Die Entstehung der modernen Naturwissenschaft aus dem biblischen Glauben - Wort und Wissen

Die Seite wird erstellt Veronika Lemke
 
WEITER LESEN
Die Entstehung der modernen
 Naturwissenschaft aus dem
     biblischen Glauben
    Eine Zusammenstellung

                 Jethro Lamprecht

                Stand: 10. 10. 2020

       Studiengemeinschaft Wort und Wissen

    https://www.wort-und-wissen.org/wp-content/
   uploads/entstehung-naturwissenschaft-glaube.pdf
Die Entstehung der modernen Naturwissen-
schaft aus dem biblischen Glauben.
Eine Zusammenstellung
Jethro Lamprecht (Stand: 10. 10. 2020)

Zusammenfassung: Der biblische Glaube hat              Geschöpfe als Mikrokosmen, als kleine Ent­
sich in der Wissenschaftsgeschichte nicht nur          sprechungen zum Universum, mit dem sie als
als fruchtbare Grundlage für wissenschaftli-           einander ergänzende Bestandteile von Gottes
che Erkenntnis bewährt, sondern hat auch               harmonischem Ganzen in Verbindung stehen.
historisch gesehen die moderne Naturwis-               … Vesalius hat … den gottgewollten Aufbau
senschaft im Abendland hervorgebracht.                 der Nerven und Äderchen, Muskeln und Arte­
                                                       rien mit ungekannter Genauigkeit dargestellt.
                                                       Mit Anleihen bei der Sprache der Renaissan­
Die biblische Grundlage – kurz                         cearchitekten beschrieb Vesalius, wie Gott
dargestellt                                            das Fundament und die Wände des Körpers
                                                       systematisch entworfen habe“.2 1575 erschien
Gott hat sich bis zu einem gewissen Grade in           eine deutsche Übersetzung der Schrift „Anato­
der geschaffenen Natur offenbart, so dass sei­         mia“ von Vesalius. Darin heißt es: „Alles mit
ne Existenz auch ohne Bibelkenntnis erkannt            kunstlichen und schönen Figuren / dermassen
werden kann. Dieses geht aus Röm 1,20 hervor:          fürgestellt und angebildet / das alle / so diss
„Sein unsichtbares Wesen lässt sich ja doch seit       unussprechlich wunderwerck Gottes in der
Erschaffung der Welt an seinen Werken [mit             Natur zuerfaren / lust habend / lychtlich darzu
dem geistigen Auge deutlich] ersehen, nämlich          kommen mögend.“3 Vesalius ermöglichte die
seine ewige Kraft und Göttlichkeit. Daher gibt         empirische Wende der Medizin.4
es keine Entschuldigung für sie“ (nach Menge              Es lohnt, einen genaueren Blick auf Francis
2020). Nach Karl Wulff will Paulus hier sagen,         Bacon (1561–1626) zu werfen. Er war einer der
dass man durch rationales Erfassen der Schöp­          wichtigsten Begründer der neuzeitlichen Wis­
fung zur Erkenntnis Gottes kommen könne.1              senschaft. Seine Philosophie der Naturbeherr­
Im griechischen Grundtext von Röm 1,20 ist             schung hat biblisch-theologische Vorausset­
das Verb noeo enthalten. Es lässt sich hier wohl       zungen, die den Weg für die Erforschung und
am besten als durch Denken erkennen übertra­           in Folge für den technischen Fortschritt frei
gen. Damit kann diese Schriftstelle als eine           machten. Alles sollte dem Wohl der Mensch­
Voraussetzung für die Ermöglichung von wis­            heit dienen.5 Der Wissenschaftsforscher Wolf­
senschaftlicher Forschung angesehen werden.            gang Krohn zitiert ein Bekenntnis von F. Bacon,
                                                       welches für ihn (Krohn) die religiöse Voraus­
Siehe auch Anhang 1: Auf dem Wege zur Ent­             setzung für eine Philosophie der Naturbeherr­
stehung der modernen Naturwissenschaft                 schung ist: F. Bacon ist überzeugt, „‘daß …
                                                       die Seele des Menschen nicht durch Himmel
                                                       und Erde geschaffen worden ist, sondern un­
Moderne Naturwissenschaft im                           mittelbar von Gott beatmet worden ist; so daß
Entstehen                                              die Wege Gottes und sein Umgang mit See­
                                                       len nicht in die Natur, also in die Gesetze des
Viele schöpfungsgläubige Naturwissenschaft­            Himmels und der Erde eingeschlossen sind;
ler haben im 16. und 17. Jahrhundert zum               sondern dem Gesetz seines geheimen Willens
Durchbruch der modernen Naturwissenschaft              und der Gnade vorbehalten sind.‘ (VII, S. 221)
beigetragen.                                           Von dieser religiösen Grundlage aus kann Ba­
   Andreas Vesalius (1514–1564) war Begrün­            con es dann als einen Fehler bezeichnen zu
der der neueren Anatomie. Vesalius – wie               glauben, ‚daß die Erforschung der Natur in
auch schon Kopernikus – „sahen menschliche             irgendeinem Teil untersagt oder verboten sei‘

                                                   2
Da die Zielsetzung dieses Aufsatzes ist, die            in diese Verlage hätten sich bibelgläubige
 Entstehung der modernen Naturwissen­                    Autoren „eingeschlichen“. Immer wieder
 schaft aus dem biblischen Glauben aufzu­                wird in dieser Literatur unsachgemäße Kri­
 zeigen, wurde weitgehend darauf verzich­                tik an biblischen Aussagen oder an Chris­
 tet, Glaubens- und Erkenntnisirrtümer bei               ten geübt. Zum Beispiel schreibt P. Fara in
 wissenschaftlichen Akteuren wie z. B. ast­              ihrem Buch auf S. 114: „Den Antidarwinis­
 rologische Vorstellungen bei Kepler darzu­              ten des 19. Jahrhunderts machte es schwer
 stellen. Diese konnten die wissenschaftliche            zu schaffen, dass ihre Urahnen Tiere wa­
 Fruchtbarkeit des biblischen Glaubens ja                ren.“ Es könnte vielleicht sein, dass man­
 nicht zerstören.                                        che Autoren absichtlich kritische Bemer­
    Bei so vielen literarischen Stimmen für              kungen in ihre Texte eingestreut haben, um
 den Ursprung der modernen Wissenschaft                  nicht von der Öffentlichkeit als bibel- oder
 aus dem christlichen Glauben könnte die                 schöpfungsgläubig eingestuft zu werden.
 Vermutung aufkommen, es seien prochrist­                Diese Bemerkungen widersprechen aber
 lich voreingenommene christliche Verlage                nicht dem Sachverhalt des Entstehens der
 ausgewählt worden. Tatsächlich stammt                   modernen Wissenschaft aus dem biblischen
 jedoch der überwältigende Anteil der ver­               Glauben.
 wendeten Literatur aus dem säkularen Ver­                  Die Anhänge liefern näher Interessierten
 lagswesen. Auch wäre die Idee abwegig,                  weitere Informationen.

(IV, N, O. Vorwort, S. 20).“6 Bei der „religiösen       genauso gehorcht haben, aus dem Nichts her­
Grundlage“ handelt es sich um biblische Leh­            vorzutreten. …
re einschließlich des Schöpfungsberichts! Weil              Der Name einer Sache ist eben das, was …
der Mensch in Wahrheit nicht auf bloße Natur            Herrschaft selbst über das gewährt, was nicht
reduziert werden kann, sondern grundlegend              vergegenwärtigt werden kann. …
in einem Gottesverhältnis steht – Gott steht                Die Metapher [der beiden Bücher, J. L.]
nämlich über der Natur –, ist der Mensch in             trägt die Legitimation der Naturwissenschaft
der Lage, die Kräfte der Natur sich untertänig          als das ausdrücklich erklärte Interesse der Re­
zu machen.                                              ligion [genauer: des biblischen Glaubens! J. L.]
   Der Wissenschaftshistoriker Floris Cohen             an der Erweiterung des Wissens von der Na­
schreibt über F. Bacons Sicht: „Sofern es dem           tur. Indem das eine Buch alles zusammenfaßt,
Menschen gegeben sei, Adams Sündenfall                  was den Gehorsam und die Unterwerfung des
wiedergutzumachen, brauche er dafür Natur­              Menschen erfordert, umfaßt das andere alles,
kenntnis.“7 Paolo Rossi drückt es ähnlich aus:          was umgekehrt der Unterwerfung durch den
„Die neue Wissenschaft, die nun am Werke                Menschen fähig und zugänglich ist. …
war, sollte die Möglichkeit eröffnen, jene Macht            [Der Mensch hat, J. L.] die Lizenz, unter
des Menschen über die Natur wiederherzu­                Wahrung des Gehorsams gegenüber dem gött­
stellen, die er nach dem Sündenfall verloren            lichen Willen, also der Moral, selbst ein über
hatte.“8 F. Bacon vertritt die Sicht der zwei Bü­       die Natur mächtiges Wesen zu sein oder sein
cher: Sowohl die Heilige Schrift einschließlich         zu können … Das Geheimnis der neuen Wis­
des Schöpfungsberichts und das „Buch“ der               senschaft besteht also darin, der Natur die Mit­
Natur liefern Erkenntnisse über Gott. Auch die          tel zu entnehmen, mit denen Macht über sie
Sicht des Philosophen Hans Blumenberg auf               ausgeübt wird, so wie sie von allem Anfang an
F. Bacon entspricht der oben genannten von              ein Produkt der Macht [genauer: der Schöpfer­
F. Cohen:                                               macht Gottes, J. L.] gewesen war. …
   „Bacon hat im Hintergrund seiner Erinne­                 Wissen … ist Wiedereinsetzung des Men­
rung die Schöpfungsgeschichte, die nichts an­           schen in seine ursprüngliche Hoheit und Macht
deres ist als die Summe der Befehle an die bei          [vor dem Sündenfall, J. L.], die Dinge bei ihrem
Namen genannten Wesen: zu sein. Der para­               wahren Namen zu rufen und dadurch wieder
diesische Mensch wiederholt also die Namen,             über sie zu herrschen. ...
die im Schöpfungsbefehl vorgekommen wa­                     Das Buch der Worte Gottes und das Buch
ren. Diese sind die wahren Namen der Din­               der Werke Gottes … – diese Dualisierung ist
ge, bei denen sie zu rufen bedeutet, daß sie            für Bacon nicht mehr strikt symmetrisch. Die

                                                    3
Worte Gottes werden zwar in einem festen               göttlichen Auftrag „Macht euch die Erde unter­
und nicht zu erweiternden Bestand verwahrt,            tan!“ verantwortlich machen wollen – ein Bei­
seine Werke jedoch … werden ständig fortge­            spiel für die unzähligen unsachgemäßen An­
führt, indem eines dieser Werke, der Mensch,           griffe auf die Bibel. Die Kritik ist unsachgemäß,
seinerseits zum Werksetzen installiert und le­         weil schon im nächsten Kapitel des Schöp­
gitimiert ist. Insofern ihn die Naturerkenntnis        fungsberichts (2,15) Gott den Auftrag des Be­
instand setzt, … diesem Weltamt zu genügen,            wahrens des Gartens Eden gegeben hatte.
ist sie … unmittelbare Umsetzung der Fähig­            Francis Bacon kann man nicht die Schuld ge­
keiten und Möglichkeiten, die dem Menschen             ben; sein Programm enthält das Ziel – durch­
ursprünglich mitgegeben waren und die er               aus in Orientierung an 1Mo 2,15 –: „Die Herr­
beim Verlust des Paradieses eingebüßt, bei der         schaft über die Natur muß an der Wohlfahrt
Erneuerung des Paradieses, nach Bacons Pro­            der Menschheit orientiert werden. Die Recht­
gramm, zurückzugewinnen hatte.“9                       mäßigkeit der Forschung bemißt sich an der
    In diesem Text wird deutlich, dass die neu­        Verbesserung der Lebensbedingungen, die sie
zeitliche Naturwissenschaft ihre Quelle im             bewirkt.“13 Das heißt, dass eine Umweltschä­
Glauben an die Schöpfungs- und Bibeloffen­             den bewirkende Forschung nicht rechtmäßig
barung hat, speziell im Ernstnehmen des heu­           ist. Für F. Bacon soll aus der Quelle des christ­
te von vielen verschmähten und bekämpften              lichen Glaubens und seiner Nächstenliebe her­
Schöpfungsberichts. Schöpfung ermöglicht               aus die Naturforschung zu einer Verbesserung
erst Naturwissenschaft. Wahre Naturkenntnis            der Lebensbedingungen beitragen.14 F. Bacon
führt zur Einsicht, dass die Natur ihren Sinn          hoffte, „je mehr die Menschen sich an den
erst von einer übernatürlichen Planung und             neuen Wissenschaften beteiligen, desto deut­
ihrer Umsetzung, also der Schöpfung, her be­           licher muß ihnen einleuchten, daß der eigene
kommt und deswegen erforscht werden kann.              Nutzen, wenn er durch die Schädigung eines
    Nach dem Medizinhistoriker William By­             anderen erreicht wird, weniger Gesamtnutzen
num beschrieb Bacon genau, wie gute Wis­               bringt und risikoreicher zu bewahren ist, als
senschaft funktioniert: „Wissenschaftler soll­-        wenn die gemeinsame Herrschaft über die Na­
ten einen präzisen und für andere leicht ver­          tur errichtet wird.“15
ständlichen Wortschatz benutzen. Sie sollen                Francis Bacon wurde wichtigster Fürspre­
möglichst unvoreingenommen an ihre Unter­              cher des wissenschaftlichen Fortschritts durch
suchungen herangehen … Vor allem aber müs­             Exploration und Experiment in Europa.16 Er
sen sie ihre Experimente wiederholen, bevor            hatte auch erkannt, dass Erkenntnis Voraus­
sie sich ihrer Ergebnisse sicher sein können. …        setzungen hat. Mit Scharfsinn analysierte er
Je mehr Beobachtungen oder induktive Schluss­          Voreingenommenheiten, die Erkenntnis beein­
folgerungen Wissenschaftler sammeln, desto             flussen.17 Seine Wahl des biblischen Glaubens
genauer können sie vorhersagen, was passie­            als Voraussetzung für wissenschaftliche Er­
ren wird. Sie können anhand dieser Indukti­            kenntnis hat sich in der Geschichte als überaus
onen Verallgemeinerungen entwickeln, aus               fruchtbar erwiesen.
denen wiederum Naturgesetze abgeleitet wer­                Mit Johannes Kepler (1571–1630) begann
den können. Über viele Generationen hinweg             die moderne Astrophysik.18 Evangelischen
ließen sich Wissenschaftler von Bacons Auf­            Glaubens, betrieb er Astronomie, um Gott zu
fassungen leiten und anregen. Und sie tun es           dienen und besser zu verstehen. Kepler ent­
auch heute noch.“10 Er hatte gelehrt, dass „Wis­       deckte die Gesetze, mit deren Hilfe die Bahnen
senschaft nicht allein der schlichten Natur-           der Planeten berechnet werden können. Damit
betrachtung entspreche. Die menschliche                erfasste er hier aus seiner Sicht Gottes mathe­
Wahrnehmungsfähigkeit muß mit Hilfe von                matischen Plan für die Planetenbewegun­
Geräten erweitert werden.“11 F. Bacons Er­             gen. Dass nicht die Erde, sondern die Sonne
kenntnis führte tatsächlich zu einem noch nie          Mittelpunkt im Sonnensystem sei, war für
dagewesenen Wachstum technischen Kön­                  Kepler kein Problem, denn für ihn war die
nens. So schreibt W. Krohn: „ … immer dort,            Sonne der einzige Himmelskörper, der wür­
wo die industrielle Gesellschaft Fortschritte          dig wäre, Gott als Sitz zu dienen.19 Es lässt sich
machte, wurde Bacons Programm ein Stück                „erkennen, dass mit Keplers quantitativ orien­
weiter Realität.“12                                    tiertem Denken und empirischem Vorgehen
    Die Industrialisierung führte allerdings           die naturwissenschaftliche Methode auf dem
auch zu Umweltschäden. Dafür hat man oft den           Vormarsch ist“.20

                                                   4
J. Kepler schrieb selbst: „ … was mich veran­-       Planetenbahnen. Für den Wissenschaftler
laßt hat, den besten Teil meines Lebens ast­             selbst jedoch zählten mehr die Ehre Gottes und
ronomischen Studien zu widmen, Tycho Bra­                die magische Schönheit der Mathematik.“28
he aufzusuchen und Prag als Wohnsitz zu                  An Johannes Kepler wird deutlich, dass bibli­
wählen, das habe ich mit Gottes Hilfe, der               scher Glaube und sorgfältig betriebene Natur­
meine Begeisterung entzündet und ein un­                 forschung keineswegs in einem Widerspruch
bändiges Verlangen in mir geweckt hatte, der             zueinander stehen, vielmehr dass biblischer
mein Leben und meine Geisteskraft frisch er­             Glaube zur Forschung motiviert und fruchtba­
hielt und mir auch die übrigen Mittel durch              re Resultate ermöglicht.
die Freigebigkeit zweier Kaiser ... verschaffte
                                                            Siehe auch Anhang 2: Weitere Akteure, die beim
– das habe ich also nach Erledigung meiner
                                                         Entstehen der modernen Naturwissenschaft mit­
astronomischen Aufgabe … endlich ans Licht
                                                         wirkten:
gebracht.“21 J. Kepler hat in dem Glauben ge­
forscht, „dass ein harmonischer und geordne­                Siehe auch Anhang 3: Während und nach der
ter Kosmos, so wie er der menschlichen Ver­              Zeit der „Aufklärung“:
nunft zugänglich ist, die Herrlichkeit Gottes
unmittelbar widerspiegelt und ihn selbst sei­
nen Anhängern zu erkennen gibt. … Er dankt               Einige Überlegungen zur
seinem Schöpfer ausdrücklich dafür, dass er              Geschichtsschreibung: Natur-
es seinem Knecht Kepler ermöglicht, ihn mit              und Menschheitsgeschichte
der Astronomie zu feiern und zu verehren.“22
Er verglich die Aufgabe eines Naturforschers             Der Theologe Gerhard Maier stellt bezüg­
mit der eines Geistlichen: die Erforschung der           lich der Geschichtsschreibung des Alten Tes­
Werke Gottes in der Natur und derjenigen in              tamentes fest: Gott wirkt verändernd in die
der Heiligen Schrift.23                                  Geschichte hinein. Wahrheit und reale Fakten
    H. J. Störig schreibt über den Zusammen­             sind aufeinander bezogen.29 „Was sich nicht
hang von Schöpfungsglaube und Naturwis­                  auf unverfälschte Tatsachen gründet, hat keine
senschaft bei Kepler: „Daß die Gesetze des               Bedeutung, ist eben nicht ‚wahr‘.“30 Und: „Wie
Kosmos von vollkommener Harmonie sein                    kein anderes Volk des Orients und vielleicht
müßten, stand für ihn fest. Schon in seinem              der ganzen Weltgeschichte ist Israel zum Ver­
ersten Werk, dem ‚Weltgeheimnis‘ begann                  ständnis der Geschichte erzogen worden.“31
er sie zu suchen. Wie die Pythagoreer war er             Der Hebraist und Archäologe Alan Millard
überzeugt, daß Zahlen und Zahlenverhält­                 kommt zum Ergebnis: „Wenn wir die Bibel
nisse eine tiefe Bedeutsamkeit in der göttli­            auf dem Hintergrund der altorientalischen
chen Schöpfung haben müßten.“24 P. Rossi                 Religionsgeschichte lesen, zeigt es sich, daß
beschreibt Keplers Sicht: „Das Universum                 ihr Zeugnis mit dem uns heute zur Verfügung
sei durch einen genauen Schöpfungsplan ge­               stehenden Wissen – aus antiken Texten und
schaffen und habe einen geometrischen Auf­               materiellen Überresten, die in den letzten hun­
bau“.25                                                  dert oder mehr Jahren entdeckt wurden – gut
    Und zur Methodik: „Im Gegensatz zu den               übereinstimmt.“32 Nach dem Hebraisten Hein­
meisten Wissenschaftlern beschränkte sich                rich von Siebenthal gehört auch die Überein­
Kepler nicht darauf, in seinen Werken lediglich          stimmung von Wirklichkeit und Aussage zum
die Resultate seiner Forschungen darzustel­              Wahrheitsverständnis der Althebräer.33
len, sondern er beschrieb auch die Ursachen,                Nach Hans Joachim Störig sind die Juden
aufgrund derer er zu seinen Theorien gelangt             diejenigen, das als erstes Volk Geschichts­
war, berichtete von seinen Versuchen, den ihn            schreibung praktizierte – Geschichte als in­
plagenden Zweifeln und Unsicherheiten und                nerer Sachzusammenhang. Erst Jahrhunderte
hielt seine Irrtümer fest.“26 Nach Kepler muss­          später wurde außerhalb Israels ein solches Ni­
te eine Hypothese die Wirklichkeit zuverlässig           veau erreicht.34 „In atl. Zeit konnte gerade auf
abbilden. Neu war seine Einsicht, dass man               dem Boden göttlicher Offenbarung in Israel
auch Resultate anderer Fachgebiete heranzie­             eine für ihre Zeit überlegene G. [Geschichts­
hen sollte, wenn sie für den Gegenstand re­              schreibung, J. L.] wachsen.“35
levant sind.27 Bernd Schuh fasst zusammen:                  Laut „DIE ZEIT“-Lexikon sieht Augusti-
„Kepler steht für Erkenntnis und Fortschritt,            nus (354–430) die Menschheitsgeschichte im
für die Vervollkommnung des Wissens über die             Gegensatz „zur antiken Auffassung nicht als

                                                     5
ewig sich wiederholenden Kreislauf, sondern            die Texte exakt festzustellen und in großen le­
als einmaligen Ablauf von der Weltschöpfung            xikonartigen Quellenwerken herauszugeben.
bis zum Weltgericht und begründete so eine             Der bekannteste unter diesen Maurinern ist
neue Geschichtsphilosophie.“36                         Jean Mabillon (1632–1707). … Sein Werk De re
    Das moderne Geschichtsdenken ist aus dem           diplomatica begründete die wichtige Hilfswis­
christlichen Geschichtsdenken des Mittelalters         senschaft der Diplomatik (Urkundenlehre).“44
erwachsen.37 „Die Geschichte ist in erster Linie           Robert Hooke (1635–1703) war nicht nur
Heilsgeschichte. Sie ist ein ungeheures Drama          Experimentalforscher, sondern äußerte sich
zwischen dem Anfang der Weltschöpfung, wie             auch zur Naturgeschichte. Er wies „die The­
er in der Schöpfungsgeschichte geschildert ist,        se, wonach die Fossilien auf die Sintflut zu­
und dem Jüngsten Gericht. … Es ist unschwer            rückgingen, als unwahrscheinlich zurück. Für
zu erkennen, daß die Geschichte als Ganzes             Hooke hatten die Erde und die auf ihr anzu­
für die christliche Auffassung wegen dieser            treffenden Formen des Lebens eine Geschich­
Einmaligkeit und Unwiderruflichkeit der ent­           te – durch Natural Powers und physische Ein­
scheidenden Vorgänge eine einzigartige Be­             wirkungen (Erdbeben, Überschwemmungen,
deutsamkeit und Eindringlichkeit erhalten              Überflutungen, vulkanische Ausbrüche) sei­
mußte. …[Es, J. L.] war das irdische Geschehen         en sie im Laufe der Zeit verändert worden.
in der Auffassung der Geschichte als Heilsge­          Seit der Schöpfung ‚hat sich ein Großteil der
schichte doch die Stätte der Versuchung und            Erdoberfläche verwandelt und seine Natur
der Bewährung, die Zeitspanne, die über das            verändert […]. Viele Teile, die einst Meer wa­
Schicksal des einzelnen für die Ewigkeit ent­          ren, sind heute Land, und verschiedene an­
schied. Die Geschichte als entscheidungs­              dere Teile, die heute zu den Meeren gehören,
schwerer und nach Gottes unabänderlichem               waren einst Festland; aus Gebirgen wurden
Ratschluß ablaufender Vorgang – solche Vor­            Ebenen und aus Ebenen Gebirge‘. Die Erde …
stellung gab dem Drama der Geschichte eine             bestehe aus übereinanderliegenden Schichten.
einzigartige Akzentuierung und Dringlichkeit.          Hooke wandte sich auch von der Vorstellung
So entstand ein neues Zeitbewußtsein, das sich         ewig unveränderlicher Arten ab und formu­
scharf abhob von allen vorangegangenen und             lierte die Hypothese von der Ausrottung und
von allen nichtchristlichen Kulturen.“38               dem Verschwinden lebender Arten: ‚Es ist
    Der Theologe Wolfhart Pannenberg kons­             festzustellen, daß Störungen klimatischer Art,
tatiert, dass der christliche Glaube der Philo­        des Bodens und der Ernährung häufig gro­
sophie und der Geschichtsschreibung das The­           ße Veränderungen nach sich ziehen […], die,
ma der menschheitlichen Universalgeschichte            soviel ist sicher, grundlegende Wandlungen
vermittelt hat.39 Und nach dem Philosophen             in Gestalt und Geschick eines Lebewesens
Karl Löwith hat die moderne Geschichtsphilo­           hervorrufen können‘ … Die Naturgeschichte
sophie ihren Ursprung in der christlichen Ge­          Hookes blieb allerdings eingebunden in die
schichtstheologie.40                                   zeitliche Dimension der Heilsgeschichte; er
    Der Reformator Philipp Melanchthon                 hatte keinerlei Absicht, die überlieferte Frist
(1497–1560) schuf Grammatiken für den La­              von sechstausend Jahren in Frage zu stellen
tein- und Griechischunterricht.41 Er „gab einen        oder die Übereinstimmung von Natur und
Leitfaden für das Studium der Geschichte he­           Heiliger Schrift in Zweifel zu ziehen.“45 Hoo­
raus, hielt als erster regelmäßige Vorlesungen         ke schrieb seine Erkenntnisse rund ein bzw.
über Geschichte und machte damit die Ge­               zwei Jahrhunderte vor James Hutton (1726–
schichtswissenschaft erst an den deutschen             1797) und Charles Lyell (1797–1875), die eine
Universitäten heimisch.“42 Nach seinem Ent­            atheistische Deutung der Erdgeschichte zur
wurf wurde das Hochschulwesen reformiert.              Herrschaft brachten.
Zu den Fächern zählten auch Philosophie und                Thomas Burnet (um 1635–1715) verfass­
Medizin.43                                             te 1680 bzw. 1684 eine hypothetische Natur­
    André Duchesne (1584–1640) und die Be­             geschichte der Erde unter Einbeziehung bi­
nediktinermönche der St. Maurus-Kongregati­            blischer Aussagen. Zeitgenössische Autoren
on „wandten sich gegen jede aus dem Streben            vertraten z. T. kontroverse Deutungen zum
nach künstlerisch ansprechender Darstellung            Thema. So vermutete der Astronom Edmund
erwachsende Verfälschung der Geschichte.               Halley (1656–1742) im Jahre 1694, dass die
Gewissenhaft, mit pedantischer Treue gingen            Sintflut durch einen Kometen verursacht wur­
sie daran, Urkunde um Urkunde auszugraben,             de.46

                                                   6
Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646–1716)          Menschheitsgeschichte ohne Gott und die Hei­
äußerte sich in seiner Schrift Protogaea, 1691         lige Schrift als Erkenntnismaßstab zu erfassen,
und 1692 entstanden, zur Naturgeschichte.              werden manche Ergebnisse defizitär oder so­
Zur Entstehung des Weltalls seien zwei seiner          gar fehlerhaft sein.
Voraussetzungen genannt: „1. Es handelt sich               Georges Cuvier (1769–1832) vertrat hin­
um die Entfaltung von impliziten, schon von            sichtlich der Urzeit eine Reihe von Katastro­
vornherein vorhandenen und wie in einem                phen, deren letzte für ihn die Sintflut war.52 Er
Embryo planmäßig festgelegten Möglichkei­              widmete sich auch der Erforschung von Fos­
ten; 2. Die Entscheidung für diesen Plan lag bei       silien.53
Gott, und die Geschichte des Universums wur­               In der Zeit seit dem letzten Drittel des
zelt nicht im Chaos, sondern erwächst aus den          17. Jahrhunderts wurde über die Möglichkeit
freien Ratschlüssen Gottes, d. h. den Gesetzen         diskutiert, die Naturgeschichte wissenschaft­
der Grundordnung dieses (besten) möglichen             lich zu erforschen.54 „Wenn man davon aus­
Universums, das Gott dazu ausersehen hatte,            ging, daß sich Physik und Naturphilosophie
Wirklichkeit zu werden … . … mechanistische            mit der bestehenden Welt befassten (so, wie sie
und teleologische Ansichten waren … nicht …            von Gott in Bewegung gesetzt worden war),
unvereinbar; man könne von der Geschichte              dann erschien es wenig sinnvoll, überhaupt
der Welt und der Entstehung des Sonnensys­             die Frage nach der Entstehung der Welt zu
tems, von einer historischen Dimension des             stellen. Dieses Problem gehörte demnach nicht
Universums und der Erde sprechen, ohne sich            in den Bereich der Wissenschaften, sondern …
… atheistischen oder materialistischen Frevels         es gehörte zu den ‚Romanen der Physik‘, wie
schuldig zu machen. Indem er das Chaos und             man damals zu sagen pflegte“.55 Dann setzte
die Unordnung relativierte, hob er die Gegen­          sich jedoch die Sicht einer Berechtigung der
sätze zwischen Burnet und den Cartesianern             wissenschaftlichen Erforschung der Naturge­
auf und schuf damit Raum für die empirische            schichte durch, und es kam zu den sich wider­
Erforschung der Veränderungen, denen Ent­              sprechenden Schulen des Uniformitarismus
wicklung des Universums und der Erde unter­            und des Katastrophismus.56 Bei der Deutung
worfen war.“47                                         naturgeschichtlicher Entdeckungen gelangte
    Isaac Newton (1643–1727) vertrat mit vie­          man zu unterschiedlichen Ergebnissen, abhän­
len Protestanten und Katholiken die Wahrheit           gig von unterschiedlichen Voraussetzungen.
der Heilsgeschichte.48 In Diskussionen plä­            Es wurde überlegt, in welchem Verhältnis die
dierten Anhänger Newtons für drei Grund­               Funde zu Schöpfung und Apokalypse oder
annahmen: „1. die Entwicklung der Erde und             auch zum Materialismus stünden.57
des Kosmos sind allein mittels der Naturphilo­             Die anfängliche Bezweiflung der Wissen­
sophie nicht gänzlich erklärbar, vielmehr sei­         schaftsfähigkeit der Erforschung der Naturge­
en einige Wunderwirkungen vorauszusetzen;              schichte ist sehr interessant. Der Erforschung
2. die Wahrheit der biblischen Geschichte darf         der Urzeit eignet ja tatsächlich eine viel gerin­
nicht in Zweifel gezogen werden; 3. man muß            gere Verlässlichkeit als den Ergebnissen der
einräumen, daß in der Natur letzte Gründe              Experimentalforschung. Erstere kann bei wei­
existieren. Eine anthropomorphe Vorstellung            tem nicht vollständig sein und die Datenlage
ist auch in der Physik völlig gerechtfertigt.“49       ist in der Regel sehr viel eingeschränkter als im
Newton erwartete für die Endzeit das tau­              experimentellen Bereich.
sendjährige Friedensreich Christi auf Erden.50             Empirische und historische Erkenntnis
    Johann Georg Hamann (1730–1788) gibt               sind in mancher Hinsicht nicht gleichartig.
zu bedenken: „Weil Gott spricht und in Wor­            Geschichte kann nicht beobachtet oder experi­
ten schafft, kann die Natur ein Buch heißen …          mentell überprüft werden, stellt der Philosoph
Die Bibel ist der ‚Schlüssel‘ für das Buch der         Thomas Zwenger fest.58 Ein Ausschalten welt­
Natur wie für das Buch der Geschichte, und             anschaulicher Voraussetzungen, wenn größere
alsdann, aber auch erst alsdann, vermögen das          (naturgeschichtliche) Zusammenhänge in den
Buch der Natur und das Buch der Geschich­              Blick genommen werden sollen, ist nicht mög­
te ihrerseits ‚Kommentare‘ zur biblischen Of­          lich. Die gegenwärtig unter Wissenschaftlern
fenbarung zu sein … Das ist alles Theo­logie,          vorherrschende Weltanschauung ist die natu­
durch ihre Begründung im Reden Gottes                  ralistische Weltsicht. Eine naturalistische Kon­
auch die Vorstellung vom ‚Buch der Natur‘.“51          zeption von Naturwissenschaft ist im Gan­
Wird versucht, die Natur, die Natur- und               zen gesehen nicht reine Naturwissenschaft,

                                                   7
sondern ein Naturwissenschafts-Weltanschau­            ist die Frage nach der Verlässlichkeit der Zeu­
ungs-Mischsystem mit einer feindschaftlich-            gen.63 Die biblischen Zeugen verdienen das
intoleranten Stoßrichtung gegen den Schöpfer           Vertrauen, weil hinter ihnen der allwissende,
der Natur.                                             wahrhaftige Gott als Offenbarer steht.
   Daher werden biblische Berichte immer                   Wilhelm von Ockham (um 1280/1285 – zw.
wieder im Namen „(natur)historischer For­              1347 u. 1349) kann christlichem Geschichtsver­
schung“ in Frage gestellt. Doch immer wieder           ständnis auch heute noch Orientierung geben.
zeigt sich, dass vermeintliche Ergebnisse „(na­        Er vertritt die Erkenntnis, dass Gott nach sei­
tur)historischer Forschung“ in Frage gestellt          nem Konstituieren der Weltordnung nicht in
werden müssen. Der Philosoph H. Blumenberg             seinem Welthandeln an sie gebunden ist.64 In
schreibt: „Die Geschichtsschreibung bedient            der Konsequenz ist Gott also in der Lage, un­
sich nicht nur einer gezielten und bedachten,          abhängig von Naturgesetzen zu erschaffen,
sondern einer ihrer Anschauung unverzicht­             Naturabläufe unabhängig von Naturgesetzen
baren Ungenauigkeit, einer ‚Idealisierung‘ ih­         zu steuern, Wunder zu tun, zu inspirieren.
res Gegenstandes“.59 Geschichtliche Ereignis­          Gott kann auch bewirken, dass die Naturge­
se können kaum vollständig und völlig exakt            schichte teils gemäß Naturgesetzen und teils
erfasst werden. In zentralen Bereichen kann            ohne sie abläuft. Das führt dazu, dass erstens
deshalb eine Interpretation nicht vermieden            die Ergebnisse der naturalistischen (Re-)Kon­
werden, und Interpretationen basieren immer            struktion der urzeitlichen Naturgeschichte
auf Annahmen oder Vorurteilen, die zu posi­            nicht nur wegen der prinzipiellen Lückenhaf­
tiver Idealisierung oder zu negativer Verzer­          tigkeit des Erforschbaren teilweise als unsicher
rung der Untersuchungsgegenstände führen.              eingestuft werden müssen. Und dass zweitens
Wenn es darum geht, Geschichte zu biblischer           die biblische Geschichtsdarstellung als nicht
Zeit zu erforschen, können sich schnell antibi­        widerlegt gelten kann. Wenn Gott in seinem
blische Motive durchsetzen.                            urzeitlichen Naturhandeln von seiner Souve­
   Nach Th. Zwenger legt der Historiker durch          ränität Gebrauch gemacht hat, wird es sich am
Interpretation die Bedeutung von Ereignissen           Ende erweisen, dass die biblische Urgeschich­
fest.60 Geschichtsschreibung ist „ein Freiheits-       te historisch Recht hat.
Geschehen …, das unter praktischen Interessen
Urteile über die Vergangenheit nur mit dem
Anspruch auf Wahrheit formuliert.“61 Der His­          Gesellschaftliche Grundvoraus-
toriker kann demnach Wahrheit nicht garan­             setzungen für die Entstehung
tieren, strebt aber im günstigen Falle diese an.       der modernen Naturwissenschaft
Die Objektivität historischer Erkenntnis ist in        sind wesentlich durch den bibli-
hohem Maße beeinträchtigt: Die Unvollstän­             schen Glauben gegeben
digkeit der Wahrnehmbarkeit der Geschichte
zwingt zur Partikularität der Historiographie          Nach dem Historiker und Philosophen Hans
nicht nur in chronologischer, sondern auch             Joachim Störig ist die Entstehung von Wissen­
in synchroner Hinsicht. Es ergibt sich die             schaft von gesellschaftlichen Vorbedingungen
Notwendigkeit, einen Sinnzusammenhang                  abhängig: Daseinsvorsorge, gesellschaftliche
des vergangenen Geschehens, welches sich               Organisiertheit (Stadt, Staat), gesellschaftliche
aus Einzelereignissen zusammensetzt, zu er­            Ordnung durch auf Religion basierende Moral
schließen oder zu konstruieren. Menschliches           und von diesen bestimmtes Recht, Arbeitstei­
Handeln ist immer moralisch und/oder unmo­             lung, Landwirtschaft, Kenntnis der Eigenschaf­
ralisch. Daher können leicht subjektive Wert­          ten verschiedener Werkstoffe, Werkzeugge­
entscheidungen des Historikers auf der Basis           brauch, Schrift und Zahlenverständnis.65 Diese
seiner bewussten oder unbewussten Weltan­              Vorbedingungen wurden und werden durch
schauung seine Arbeit beeinflussen. Bedeut­            den biblischen Glauben gefördert.
sam ist außerdem, dass die Historiographie                 H. J. Störig schreibt: „Die Wissenschaft, so
von der jeweiligen Urteilskraft der Historiker         sehr sie heute in aller Welt zu Hause ist … ,
abhängig ist.62 Dies alles gilt es zu bedenken,        wurde doch geschaffen von der kleinen Grup­
wenn im Namen „historischer Forschung“ die             pe von Völkern, die die abendländische Kul­
Glaubwürdigkeit von biblischen Berichten be­           turgemeinschaft bilden, und ihre Schöpfung
zweifelt wird. Dennoch enthält historische Er­         ist nicht ohne die geistige Tradition dieser Völ­
kenntnis auch Tatsachenwissen. Entscheidend            ker und ihre geschichtlich einmalige Eigenart

                                                   8
zu denken. … [Es, J. L.] war in der Geschichte         zu vermitteln, damit sie die Bibel selber le­
des christlichen Abendlandes durch das Mit­            sen konnten. … Doch auch hohe und höhere
telalter hindurch die religiöse Wahrheitssuche         Schulen entstanden neu, unter ihnen Genf [so!
in engster Verklammerung mit der wissen­               J. L.] und die Universitäten des deutschen Nor­
schaftlichen. Man kann die Geistesgeschichte           dens und Ostens.“70 Die Motivation, die Bibel
des Mittelalters ansehen und darstellen als die        lesen zu können, förderte auch ein allgemei­
Geschichte des Versuchs, das aus der Antike            nes Leseinteresse. In der Folge wurde immer
überkommene Erbe wissenschaftlichen Wis­               mehr Schul- und Universitätsbildung in An­
sens mit dem religiösen Glauben zu verbin­             spruch genommen, was dem Wachstum der
den und zu versöhnen. … [Es, J. L.] blieben            Wissenschaft zugutekam.71 Die Puritaner, die
… Philosophie und Wissenschaft, so sehr sie            seit Ende des 16. Jahrhunderts die Prinzipien
sich in der Folge selbständig machten oder             der Reformation rein bewahren wollten, för­
auch eine Frontstellung gegen die Religion zu          derten das Universitätswesen. Sie „bekämpf­
beziehen schienen, immer ein geschichtlich             ten heftig die Unzulänglichkeit der Lehrstoffe
auf dem Mutterboden der christlichen Reli­             und die Rückständigkeit der Methoden zur
gion erwachsener und ohne diesen niemals               Wissensvermittlung. Der Versuch, neue Wis­
geschichtlich zu verstehender Zweig unserer            senschaften an die Universitäten zu bringen,
Kultur, ja, sie hätten überhaupt an keinem an­         zielte darauf ab, deren praktische Anwendung
deren geschichtlichen Ort erwachsen können.            zu fördern, neue Erfindungen zu begünstigen
Wissenschaftsgeschichte kann deshalb die Au­           und überdies den Kreis derer zu vergrößern,
gen nicht vor der Tatsache verschließen, daß           die von dem Unterricht profitierten.“72
die ganze Geistesentwicklung des Abendlan­
des – auch dort, wo sie ihm entgegentritt – von
der geschichtlichen Erscheinung des Chris­             Biblisch-theologische Voraus­
tentums bestimmt ist; ebensowenig vor der              setzungen lassen eine intelligibel
anderen, daß zu allen Zeiten die Großen der            erschaffene Welt erkennen
Wissenschaft, gerade aus ihrem wissenschaft­
lichen Forschen heraus, oftmals von tiefer Re­         Das DIE ZEIT-Lexikon sagt: „ … der christli­
ligiosität erfüllt waren und sind. … [Es, J. L.]       che Schöpfungsglaube … führt zur Entsakra­
muß … die Wissenschaftsgeschichte sehen,               lisierung und Entgötterung der Natur“. Da­
daß die mittelalterliche Theologie in jahrhun­         mit ebnet die biblische Schöpfungslehre der
dertelanger Arbeit der besten Köpfe ein logi­          modernen Naturforschung grundlegend die
sches Instrumentarium geschaffen hat, ohne             Bahn.73
das die moderne Wissenschaftsentwicklung                   In der bisherigen Wissenschaftsgeschichte
kaum möglich gewesen wäre.“66                          einschließlich der Motivation für Naturfor­
   Im vom Christentum geprägten Europa                 schung erwies sich also der Einfluss theologi­
gelang ab dem 12. Jahrhundert die Etablie­             scher und metaphysischer Positionen als be­
rung von Naturwissenschaft. Nur hier wurde             trächtlich. Das konstatiert der Philosoph Kurt
sie zur modernen Naturwissenschaft weiter­             Hübner.74 In erster Linie ist hier der biblisch-
entwickelt.67 Fast alle wichtigen Denker und           christliche Einfluss zu nennen. So führte der
Forscher des europäischen Mittelalters waren           christliche Ordnungsgedanke in Verbindung
Geistliche. Die im westlichen Christentum              mit der Mathematik zur Entstehung des neu­
praktizierte Kombination von geistlich-geisti­         zeitlichen Naturgesetzbegriffes75 und der ka­
ger Tätigkeit mit handwerklicher Technik, aber         tholische Christ Albertus Magnus entwickelte
auch die Förderung des Arbeitsethos durch              im Mittelalter die geistige Basis für die empi­
die Reformation, unterstützte die Entwick­             risch-experimentelle Naturforschung.76 Das
lung von Wissenschaft.68 Handwerkern und               aus dem Schöpfungsglauben abgeleitete Na­
Ingenieuren kommt für die Entwicklung der              turverständnis hat sich als wissenschaftlich
Naturwissenschaft erhebliche Bedeutung zu.             sehr fruchtbar erwiesen: „Die Theorien Kep­
Im 15. und 16. Jhdt. wurden viele technische           lers und Newtons sind eingebettet in Prinzipi­
Abhandlungen verfasst.69 „Da die Reformati­            enüberlegungen, die einen engen Zusammen­
on – im Gegensatz zum Humanismus – eine                hang zwischen ihren Auffassungen über die
Massenbewegung war, machten fast alle pro­             Natur im allgemeinen und dem Wirken Gottes
testantischen Länder große Anstrengungen,              in ihr herstellen.“77 Noch deutlicher tritt die
den Massen wenigstens eine einfache Bildung            Wichtigkeit des Schöpfungsglaubens für die

                                                   9
Entwicklung der neuzeitlichen Naturwissen­                war die Gesetzesmetapher … angemessen.
schaft in folgender Feststellung des Philoso­             Denn sie dachten sich Gott als eine Art univer­
phen Ulrich Charpa hervor: „Kepler, Galilei,              salen Herrscher, dessen Anweisungen überall
Bacon, Newton und viele nach ihnen sehen                  galten und dessen Allmacht eine Art kosmi­
sich einer ‚freundlichen‘, d. h. eindeutig geord­         sche Ordnungsinstanz darstellte. Die Gesetze
neten und verläßlichen Welt gegenüber, deren              der Natur waren ewige Ideen im Geist eines
Ursache/Wirkung-Zusammenhänge sich auf­                   mathematischen Gottes.“83 Und: „Die Begrün­
spüren lassen. Die Quelle der Vermutung läßt              der der mechanistischen Naturwissenschaft
sich noch aus Einstein [so! J. L.] berühmten              im siebzehnten Jahrhundert – Johannes Kep­
‚Gott würfelt nicht‘ ersehen: Ein gütiger Gott            ler, Galileo Galilei, René Descartes, Francis
hat die Welt so erschaffen, daß wir hinter dem            Bacon, Robert Boyle, Isaac Newton und andere
Chaos der Erscheinungen auf intelligible Ge­              – waren praktizierende Christen. … Die Na­
setze stoßen können.“78                                   turwissenschaft des siebzehnten Jahrhunderts
    Nach C. F. v. Weizsäcker ist die „Annahme             entwarf ein Bild des Universums als Maschine,
‚strenger und allgemeingültiger Naturgesetze‘             die ein Gott klug konstruiert und in Gang ge­
von der Voraussetzung des christlichen Schöp­             setzt hatte.“84
fungsglaubens“ abhängig.79 Er kommt auch                      Die meisten „der führenden Vertreter …
zu dem Ergebnis: „Entgegen dem, was viele                 der mechanistischen Naturphilosophie des
Christen und alle Säkularisten glauben, neige             17. Jahrhunderts … distanzierten sich … aus­
ich zu der Ansicht, daß die moderne Welt ih­              drücklich von allen atheistischen Schlußfol­
ren unheimlichen Erfolg zum großen Teil ih­               gerungen, die sich aus der materialistischen
rem christlichen Hintergrund verdankt.“80                 [wohl besser: mechanistischen, J. L.] Lehre
    Auch einige Feststellungen des Physikers              ergaben. Sie lehnten jene Denkansätze ab, die
Albert Einstein sind gut geeignet, Licht auf              das Eingreifen eines göttlichen Schöpfers in
den Begründungs- und Motivationszusam­                    Frage stellten und den Ursprung der Welt dem
menhang des biblischen Schöpfungsglau­                    Zufall bzw. dem zufälligen Zusammenspiel
bens für die Naturwissenschaft zu werfen.                 der Atome zuschrieben. Das Bild von der Welt­
Er schreibt: „Welch ein tiefer Glaube an die              maschine setzte die Vorstellung eines Urhebers
Vernunft des Weltenbaues und welche Sehn­                 und Baumeisters voraus, die Uhrenmetapher
sucht nach dem Begreifen wenn auch nur ei­                verwies auf den göttlichen Uhrmacher. Die
nes geringen Abglanzes der in dieser Welt                 sorgfältige und fleißige Erforschung der gro­
geoffenbarten Vernunft musste in Kepler und               ßen Weltmaschine hieß, zum Ruhme Gottes
Newton lebendig sein, dass sie den Mechanis­              im Buch der Natur und, ergänzend dazu, in
mus der Himmelsmechanik in der einsamen                   der Heiligen Schrift zu lesen.“85 Der finnische
Arbeit vieler Jahre entwirren konnten!“81 Der             Professor für Biotechnologie Matti Leisola
biblische Schöpfungsglaube hat tatsächlich                schreibt: „Die Revolution der experimentellen
wissenschaftliche Forschung angeregt. In ei­              Naturwissenschaften beruht auf der Überzeu­
nem anderen Aufsatz schreibt A. Einstein:                 gung, dass das Weltall von einem intelligenten
„Wenn die Religion es ist, die Ziele setzt, so hat        und persönlichen Gott geschaffen wurde.“86
sie doch von der Wissenschaft im weitesten                Ähnlich sieht es laut „Idea-Spektrum“ der Bio­
Sinn erfahren, welche Mittel zur Erreichung               loge Günter Bechly: „Das Christentum habe in
der von ihr gesetzten Ziele beitragen können.             Wirklichkeit die Entwicklung der modernen
Wissenschaft aber kann nur geschaffen wer­                Wissenschaften erst ermöglicht. ‚Die Christen
den von Menschen, die ganz erfüllt sind von               glauben an einen himmlischen Gesetzgeber.
dem Streben nach Wahrheit und Begreifen.                  Deshalb glaubte man im christlichen Abend­
Diese Gefühlsbasis aber entstammt der reli­               land auch, man könne diese Ordnung mit dem
giösen Sphäre. Hierher gehört auch das Ver­               Verstand erfassen.‘“87
trauen in die Möglichkeit, die in der Welt des                Der Wissenschaftshistoriker Floris Cohen
Seienden geltenden Gesetzmäßigkeiten seien                schreibt: „Unsere Welt“, behaupteten Kepler
vernünftig, das heißt durch die Vernunft be­              und Galilei, „ist ihrem Wesen nach mathema­
greifbar. Ohne solchen tiefen Glauben kann                tisch konstruiert. Galilei bezeichnete die Ma­
ich mir einen wirklichen Forscher nicht vor­              thematik als die Sprache, in der das Buch der Na­
stellen.“82                                               tur geschrieben sei. Kepler sagte, die Geometrie
    Der Biologe Rupert Sheldrake stellt fest: „Für        sei vor den Dingen und ewig, sie habe Gott
die Väter der modernen Naturwissenschaft                  die Urbilder für die Erschaffung der Welt

                                                     10
geliefert.“88 Ähnlich sagt es die Wissenschafts­         her durchzieht Aristoteles‘ gesamte Philo­
historikerin Patricia Fara: Für Pythagoras               sophie. … Dieses Zweckdenken machte das
und seine Anhänger war der „quantitative                 aristotelische Weltbild für Christen besonders
Zugang zum Universum Teil ihres spirituel­               anziehend, denn ihr Gott herrscht über ein ähn­
len Strebens nach Selbstvervollkommnung,                 lich zielgerichtetes Universum. Die Teleologie
doch zugleich zeichnet er auch die rationale             hat seither immer wieder im Mittelpunkt wis­
Naturwissenschaft und die Arbeitsweise vie­              senschaftlicher Debatten gestanden, vor allem
ler berühmter Theoretiker wie Newton und                 in evolutionstheoretischem Zusammenhang,
Galilei aus, die sich den Kosmos als großes              wo sie als ‚argument from design‘ bezeich­
Buch vorstellten, das Gott in der Sprache der            net wird. Wenn man von einem intelligenten
Mathematik, der Dreiecke, Kreise und sons­               Schöpfer ausgeht, ist man in der komfortablen
tigen geometrischen Formen verfasst hatte –              Lage, alles im Universum als Bestandteil eines
ein einflussreiches Bild. Wer an die Macht der           großen Plans zu sehen“.95
mathematischen Naturwissenschaft glaubt,                     Die verbreitete Ansicht, zwischen Theolo­
kann durchaus zugleich religiös sein.“89 Die             gie und Wissenschaft hätte nur Feindschaft
Astrophysikerin Joanne Baker: Kepler „glaub­             geherrscht, ist wissenschaftshistorisch wider­
te, dass Gott das Universum nach einem ma­               legt. Der Fachmann für Geschichte der Wis­
thematischen Plan geschaffen habe.“90 Und er             senschaft Reyer Hooykaas hat „gezeigt, welch
„war der erste …, der eine wissenschaftliche             große Rolle auch die religiösen Vorstellungen
Herangehensweise anwendete, die auch heute               [genauer: biblisch orientierte Glaubensposi­
noch Bestand hat – er führte Beobachtungen               tionen, J. L.] gottesfürchtiger Naturforscher
durch und analysierte die Ergebnisse, um The­            wie Kepler, Pascal, Boyle und Newton bei der
orien über unser Universum zu überprüfen.“91             Entstehung der modernen Naturwissenschaft
Die Logik der Forschung hat im Glauben an                gespielt haben.“96 Schöpfungsglaube schwächt
eine vernünftige Schöpfung ihren Grund.                  also nicht, sondern stärkt Naturforschung.
    Die Naturphilosophen des 17. Jahrhun­                F. Cohen befasst sich auch ausführlich mit der
dert waren darin einer Meinung, dass das                 Entwicklung der Naturerkenntnis in der isla­
Uhrwerk Universum einen Schöpfer habe,                   mischen und chinesischen Welt und begrün­
so wie eine Maschine auch von einem Kon­                 det, warum nicht dort oder in Indien, sondern
strukteur entwickelt sei.92 Eine Erkenntnis aus          im christlichen Europa der Durchbruch zur
dem 17. Jahrhundert tauchte nach F. Cohen                modernen Naturwissenschaft gelang. Zentral
unlängst „im modernisierten Gewand des                   ist für ihn die „Extrovertiertheit“ des biblisch
‚Intelligent Design‘ wieder auf, obwohl sie ei­          bestimmten Glaubens. Dieser beschränkt sich
gentlich nie verschwunden war: ‚Schau nur,               nicht auf eine Innerlichkeit (Introvertiertheit),
wie geschickt die Natur konstruiert ist, wie             sondern versteht sich „(um einen biblischen
genau alles, ob groß, ob klein, aufeinander              Ausdruck zu gebrauchen) als ‚Haushalter‘ mit
abgestimmt ist, wie exakt die Naturgesetze               dem von Gott erteilten Auftrag, die Natur klug
entworfen wurden! Das alles kann kein Zufall             zu verwalten, sie aber auch zum eigenen Nut­
sein, ein Gott muss all dies für uns, die er nach        zen zu gebrauchen.
seinem Ebenbild geschaffen hat, so eingerich­                Die Reformation hat diese spezielle Ent­
tet haben.‘ Bereits im 17. Jahrhundert erschie­          wicklung … weiter vorangetrieben.“97 Deut­
nen Dutzende von Traktaten diesen Inhalts.“93            lich schimmert hinter solcher Einstellung der
Aus seinen Forschungen „konnte Newton                    Auftrag im Schöpfungsbericht durch. F. Co­
folgern, dass Gott, wenn er ein lebensfähiges            hen stellt weiter fest: Das „Christentum in sei­
Universum schaffen wollte, keine Wahl ge­                ner ganzen Breite und die Naturerkenntnis in
habt hatte; ohne Newtonsches Gravitationsge­             ihrer neuen Form ergänzen einander auf eine
setz … geht es nicht. Also besaß Gott zusätz­            natürliche Weise.
lich zu all Seinen anderen herausragenden                    … [Es, J. L.] war etwas entstanden, was es
Eigenschaften noch die eines erstrangigen                nie zuvor gegeben hatte: die religiöse Sanktio­
Mathematikers, der auch in dieser Hinsicht               nierung von rein-weltlicher [so! J. L.] Erkennt­
mit großer Sorgfalt vorgegangen war – nicht              nis. Vor allem gab es dergleichen nicht in der
das unwichtigste Merkmal eines intelligenten             islamischen Kultur.“98 Handwerkskunst und
Entwurfs!“94                                             Experiment wirkten zusammen. „Diese Art
    Auch P. Fara nimmt das Design-Argument               von unmissverständlicher Rückkopplung hat­
in den Blick: Das „Denken vom Endzustand                 te es in der Naturforschung [bisher, J. L.] nie

                                                    11
gegeben. In der realistisch-mathematischen                   vorgegeben. Im Unterschied zum naturalisti­
Naturerkenntnis des 17. Jahrhunderts werden                  schen Glauben erwächst aus dem biblischen
ihre Möglichkeiten und Grenzen untersucht.                   Glauben das unbedingte Streben nach Wahr­
Zum ersten Mal in der Geschichte der Naturer­                heit, das notwendig ist für Wissenschaft.
kenntnis wird es möglich, Annahmen zu formulie­              Denn der Schöpfer ist der Gott der Wahrheit
ren, die nicht nur plausibel klingen, sondern – ob           und der Heiligkeit. Die Verlässlichkeit Gottes
sie sich nun in einem konkreten Fall als richtig oder        in seinem Erhaltungshandeln gegenüber der
unrichtig erweisen – immer auf Fakten gegründet              Natur ebnete den Weg zur Aufdeckung von
und überprüfbar sind.“99                                     Naturgesetzen und ist vorher schon deren
    Der Wissenschaftshistoriker Paolo Rossi                  Bedingungsgrund. Daher ist es zu verstehen,
schreibt: „Für die führenden Köpfe der wissen­               dass die moderne Naturwissenschaft gerade
schaftlichen Revolution waren der Fortschritt                auf dem Boden des biblischen Glaubens zum
des Wissens und die Erringung der mensch­                    Durchbruch kam – rechtzeitig, bevor die „Auf­
lichen Macht über die Natur nur dann von                     klärung“ vielen den Weg zum biblischen Glau­
Wert, wenn sie sich innerhalb eines größeren,                ben versperrte.
Religion [biblischer bzw. christlicher Glau­
be! J. L.], Moral und Politik einschließenden
Zusammenhangs vollzogen. Die ‚universale                     Stellungnahme des Philosophen
Theokratie‘ Tommaso Campanellas, die charity                 William Lane Craig
Francis Bacons, das ‚universale Christentum‘
von Leibniz und der ‚universale Friede‘ von                  „Bis ins späte 19. Jahrhundert hinein wa­
Comenius sind nicht von ihrem Interesse und                  ren Wissenschaftler typischerweise gläubige
ihrer Begeisterung an der neuen Wissenschaft                 Christen, die keinen Konflikt zwischen ihrer
zu trennen. … Für Bacon und Boyle, ebenso                    Wissenschaft und ihrem Glauben sahen … Die
wie für Galilei, Descartes, Kepler, Leibniz und              Vorstellung eines Krieges zwischen Wissen­
Newton, sind der menschliche Wille und der                   schaft und Religion ist eine relativ neue Erfin­
Wunsch nach Beherrschung der Natur nicht                     dung des späten 19. Jahrhunderts, sorgfältig
das oberste Prinzip. Die Natur ist gleichzeitig              genährt durch säkulare Denker, deren Ziel
Gegenstand der Beherrschung und der Ehrer­                   darin bestand, die kulturelle Vorherrschaft
bietung. Sie ist zu ‚quälen‘ und dem Menschen                des Christentums im Westen zu unterhöhlen
dienstbar zu machen, aber sie ist auch ‚das                  und sie durch den Naturalismus zu ersetzen
Buch Gottes‘, das in Demut zu lesen ist.“100                 – der Sicht, dass nichts außerhalb der Natur
    Der Physiker Max Planck schreibt: „ …                    real ist und dass der einzige Weg, Wahrheit
die Voraussetzung einer gesetzlichen Welt­                   zu entdecken, die Wissenschaft sei. Sie waren
ordnung dient … als die Vorbedingung zur                     bemerkenswert erfolgreich darin, ihre Agenda
Formulierung fruchtbarer Fragestellungen.“101                durchzusetzen. Doch Wissenschaftsphiloso­
Der Glaube an den Naturgesetzgeber Gott mo­                  phen kamen in der zweiten Hälfte des 20. Jahr­
tiviert Naturforschung: Es „berechtigen uns                  hunderts zu der Erkenntnis, dass die Vorstel­
die tatsächlich reichen Erfolge der naturwis­                lung von einem Krieg zwischen Wissenschaft
senschaftlichen Forschung zu dem Schlusse,                   und Theologie eine grobe Vereinfachung dar­
dass wir uns durch unablässige Fortsetzung                   stellt. …
der Arbeit … stärken … in der Hoffnung auf                       Obwohl die Wissenschaft bei den alten
eine stetig fortschreitende Vertiefung unserer               Griechen und Chinesen bereits aufschimmerte,
Einblicke in das Walten der über die Natur re­               ist die moderne Wissenschaft ein Kind der eu­
gierenden allmächtigen Vernunft.“102 Und der                 ropäischen Zivilation. Warum ist das so? Dies
Historiker Klaus-Jürgen Mai urteilt: „Was oft                geht auf den einzigartigen Beitrag des christli­
vergessen wird, ist: Die modernen Wissen­                    chen Glaubens zur westlichen Kultur zurück.
schaften entstanden im 16./17. Jahrhundert in                Wie Eiseley feststellt, ‚es ist die christliche
Europa aus dem Geist des Christentums. Der                   Welt, die letztendlich auf klare, verständliche
Schöpfer hat die Schöpfung geordnet. Ihre                    Weise der experimentellen Methode der Wis­
Ordnung entdecken wir letztlich nur, wenn                    senschaft selbst zur Geburt verhalf.‘ … Im Ge­
wir wieder den Schöpfer in den Blick neh­                    gensatz zu pantheistischen oder animistischen
men.“103                                                     Religionen betrachtet das Christentum die Welt
    Der biblische Schöpfungsglaube hat die                   selbst nicht als göttlich oder als von Geistern
Zielsetzung des Untertanmachens der Erde                     bewohnt, sondern vielmehr als das natürliche

                                                        12
Sie können auch lesen