Kirche im Aufbruch - auch weltweit! - kirche im aufbruch - Dokumentation der EKD-Partnerkonferenz im Johanniterhaus Kloster Wennigsen, 30.10 ...

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Kirche im Aufbruch –
auch weltweit!
Dokumentation der EKD-Partnerkonferenz
im Johanniterhaus Kloster Wennigsen,
30.10. – 01.11.2008

         ki rch e im au fbruch

                                         Evangelische Kirche
                                         in Deutschland
epd-Dokumentation 9/2009   3

Aus dem Inhalt:

Kirche im Aufbruch – auch weltweit!
► Dr. Thies Gundlach:
»Einführung«                                                                              4

► Dr. Thies Gundlach:
»Das Evangelium als Angebot – Überlegungen zum Reformprozess in der EKD«                  5

► Federico H. Schäfer:
»Reformprozess in der Evangelischen Kirche am La Plata«                                  12

► Dr. Arden Haug::
»Liturgical Reform in the Evangelical Lutheran Church of America«                        15

► Dr. Arjan Plaisier:
»Protestantische Kirche in den Niederlanden«                                             17

► Dr. Nestor Friedrich:
»Kirche im Aufbruch – Ecclesia semper reformanda: Der Missionarische Aktionsplan
der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien 2008-2012«      19

► Gunnar Grönblom :
»Reformarbeit der Evangelisch-Lutherische Kirche Finnlands«                              22

► Erich Hertel:
»Vereinigungsprozess in Namibia«                                                         24

► Dr. Peter Schmid-Scheibler:
»Die Reformierten reformieren!
Der Reformprozess des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes«                       27

► Nick Baines:
»Die Erneuerung und Reform der Kirche von England«                                       30

► Martin Schindehütte:
»’Fresh experiences’ – Erkenntnisse aus ökumenischen Begegnungen
für den Reformprozess«                                                                   32
4   9/2009 epd-Dokumentation

»Kirche im Aufbruch – auch weltweit« / Einführung
Zur Dokumentation der Partnerkonferenz der            und Lösungsansätzen hinaus erwiesen sich diese
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im          Begegnungen als äußerst fruchtbar und produk-
Johanniterhaus Kloster Wennigsen,                     tiv. Das tragende Grundgefühl war: »Wir befinden
30.10.- 01.11.2008                                    uns nicht nur gemeinsam im Aufbruch, wir kön-
                                                      nen auch viel voneinander lernen.« Aus guten
                                                      Ideen, Initiativen und Projekten lassen sich »Fun-
»Kirche im Aufbruch« – dies ist nicht nur ein         ken« für die eigene Arbeit schlagen. Und selbst
Thema, das die Evangelische Kirche in Deutsch-        Erfahrungen von Schwierigkeiten oder Scheitern
land beschäftigt. »Kirche im Aufbruch« ist gleich-    erweisen sich als gute Lernorte, wenn man sie
sam ein Grundmotiv, mit dem sich die Situation        mit anderen teilt.
vieler protestantischer Kirchen innerhalb und
außerhalb Europas beschreiben lässt. In vielen        Die EKD-Partnerkonferenz im Kloster Wennigsen
Ländern sehen sich evangelische Kirchen – bei         stellte einen besonderen Höhepunkt im Rahmen
aller Unterschiedlichkeit in der konkreten Situati-   der bisherigen Begegnungen dar: Zum einen dis-
on – vor ähnlichen Grundherausforderungen etwa        kutierten in Wennigsen Vertreter/innen vieler
durch eine verstärkte Marktsituation, durch Ver-      verschiedener evangelischen Kirchen erstmals
änderungen der Mitgliedschaft und des Beteili-        gemeinsam ihre jeweiligen Reformprozesse, der
gungsverhaltens oder durch die Frage nach der         Bogen reichte von den Niederlanden bis zu Na-
Sprachfähigkeit in der eigenen Glaubenstradition.     mibia, von La-Plata-Kirchen bis nach Russland.
Und sie stellen sich diesen Herausforderungen         Zum anderen waren Atmosphäre und Inhalt der
durch eine profilierte, missionarische und innova-    Beiträge so, dass sie »Lust auf mehr« machten.
tive Wendung »nach außen«. Dies zeigte die star-      Die Begegnung sprach aus sich heraus für eine
ke und positive Resonanz, die das Impulspapier        verstärkte ökumenische Reformvernetzung.
»Kirche der Freiheit« in evangelischen Kirchen
anderer Länder erfahren hat und sich in zahlrei-      Aus Sicht des EKD-Reformprozesses stellen die
chen ökumenischen Begegnungen mit Partnerkir-         hier dokumentierten Beiträge eine wichtige Berei-
chen (z.B. aus England, Finnland, den Niederlan-      cherung und Bestärkung dar. Zugleich verbindet
den, der Schweiz oder Schweden) in den letzten        sich mit der Publikation die Hoffnung, dass der
zwei Jahren niedergeschlagen hat.                     Impuls eines gemeinsamen ökumenischen Re-
                                                      formaustausches aufgenommen und weiter fort-
Über die Erkenntnisse der großen Gemeinsamkei-        gesetzt wird.
ten hinsichtlich von Herausforderungen, Chancen                                      Dr. Thies Gundlach
epd-Dokumentation 9/2009   5

Das Evangelium als Angebot –
Überlegungen zum Reformprozess in der EKD
Von Dr. Thies Gundlach,
Leiter der Abteilung »Kirchliche Handlungsfelder« im Kirchenamt der EKD

                                                     ihm gerade eben noch seinen Besitz anvertraut
I.                                                   hat, einen gestrengen und hartherzigen Mann.

Sie alle kennen die Geschichte von den anvertrau-    Der dritte Knecht hat das falsche Herren-, besser
ten Talenten nach Matthäus 25, 14 - 25; in diesen    Gottesbild und also auch die falsche Angst, denn
Tagen und Wochen diese »Börsengeschichte« der        es gilt der Satz: Zeige mir dein Gottesbild und ich
Bibel aufzurufen, ist besonders richtig, denn es     sage dir, welche Ängste du hast! Wer seinen
geht in ihr gerade nicht um Börsenprofit! Deswe-     Herrn verteufelt, der kriegt verteufelt viel Angst,
gen die Konzentration auf den dritten, den die       das ist wie im richtigen Leben. Der Knecht
Talente vergrabenden Knecht. Er kann einem ja        braucht also gar nicht mehr in die Hölle geschickt
richtig leidtun, er kommt ausgesprochen schlecht     zu werden, er hat schon zu Lebzeiten `Heulen
weg, nicht nur weil ihm wieder genommen wird,        und Zähneklappern` vor seinem selbst gezimmer-
was der Herr ihm gegeben hat – das wäre ja so-       ten Herrenbild.
weit auch o.k., sondern weil er darüber hinaus
auch noch verdammt und verurteilt und dahin          Von diesem Fehler aus fällt das richtige Licht auf
kommt, wo Heulen und Zähneklappern herr-             die anderen beiden Knechte: Sie finden die Aner-
schen. Er kann einen schon barmen, wie die Al-       kennung ihres Herrn, nicht weil sie so tolle Kapi-
ten gesagt hätten, dieser kleine, unglückliche       talisten sind, sondern weil sie den Ruf zur Frei-
Knecht, denn immerhin, er hat ja eigentlich          heit verstanden haben, der in den anvertrauten
nichts wirklich Anstößiges mit den anvertrauten      Talenten liegt. Und viele kluge Wissenschaftler
Talenten gemacht, da haben wir es doch heute         behaupten heute, unsere Gegenwart sei der ur-
mit ganz anderen Kalibern zu tun. Er hat die         christlichen Zeit nahe verwandt; wir sollten uns
anvertrauten Pfunde nicht sinnlos verprasst, er      daher an die ersten beiden Knechte halten, unsere
hat sie nicht leichtsinnig verliehen oder unan-      Talente also mit Mut und Tatkraft einbringen.
ständige Provisionen darauf kassiert, er hat keine   Deswegen ist der Reformprozess auch zu verste-
wilden Partys gefeiert und hat das Geld auch         hen als eine Art Antidepressivum, eine Art Auf-
nicht auf den Kopf gehauen. Er hat zurückgege-       bruchstimmung, die sich nicht entmutigen lassen
ben, was er erhalten hat.                            will von demografischen Zahlen und finanziellen
                                                     Entwicklungen. Reformen sind wie ein Erfri-
Sicher, es ist keine besonders pfiffige Idee, die    schungsbad, eine Ermutigungsdusche, die im
anvertrauten Pfunde zu vergraben; aber seit          Kern sagt: »Bangemachen gilt nicht«! Denn ich
wann ist Pfiffigkeit eine Bedingung zum Reiche       glaube wohl, dass wir uns mit unseren Talenten
Gottes? Und wenn fehlende Pfiffigkeit auch noch      auch in der modernen Welt und ihren Heraufor-
mit Heulen und Zähneklappern bestraft wird, –        derungen gar nicht so verlaufen können, dass
dann gute Nacht! Was also hat dieser arme            Gott uns nicht wiederfindet. Wir sehen zwar die
Knecht nun so schrecklich falsch gemacht? Verrä-     enormen Herausforderungen, aber lassen uns
terisch für seinen Fehler ist das, was der dritte    nicht einschüchtern. Reformen machen auch
Knecht zu seiner Selbstrechtfertigung anbringt; da   geistlich Freude, weil sie nicht nur abbauen, ein-
sagt doch dieser kümmerliche Knecht tatsächlich:     stellen und restrukturieren, sondern auch inves-
»Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist;     tieren, aufbauen, ausprobieren. So viel Anfang
du schneidest, wo du nicht gesät hast und du         gibt es nicht so oft in unseren Kirchen. Zugleich
sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast!«         aber sind Reformen auch ein schwieriges Ge-
(Matthäus 25, 24) Ja, woher weiß dieser Knecht       schäft, und das hat mit den Ausgangskonstellati-
das eigentlich? Das Gleichnis erzählte gerade das    onen zu tun, die sich kaum noch verändern las-
genaue Gegenteil, dass es nämlich um einen           sen. Drei Aspekte will ich nennen:
Herrn geht, der seinen Knechten all seine Talente
anvertraut. Und trotzdem behauptet der dritte        Der Reformprozess ist zu einem ganz erheblichen
Knecht, er wüsste, dass sein Herr ein gestrenger     Teil ein »Top-down-Prozess«, der erst in einem
Mann sei. Der dritte Knecht lügt das Graue vom       zweiten Schritt ein »Bottom-up-Prozess« gewor-
Himmel herunter! Er macht aus einem Herrn, der       den ist bzw. werden soll. Der Rat der EKD be-
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schließt ein Impulspapier und natürlich entsteht        len. Die Kirchen müssen um des Evangeliums
jedenfalls bei uns Protestanten sofort der Ver-         willen ihre Zielklarheit, ihre Maßnahmengenau-
dacht, hier will die Zentrale irgendwie Macht           igkeit und ihre Handlungseffektivität deutlich
gewinnen. Und die gleiche Reaktion gibt es auch,        stärken, dies ist die geistliche Aufgabe unserer
wenn eine Landeskirche, ein Kirchenkreis oder           Generation und eben dieser notwendige Organisa-
auch ein Gemeindevorstand etwas beschließt.             tionsschub ist faktisch der Reformprozess. Diese
Das machen wir alle so: Wenn uns der Inhalt             These begründe ich nun im weiteren Nachden-
nicht gefällt, kritisieren wir das Verfahren!           ken:

Der Reformprozess hat Tabus ausgesprochen,              Worin bestehen eigentlich die fundamentalen
was man nicht straflos tut. Dass eine erheblich         Herausforderungen, auf die alle unsere Kirchen
reduzierte Zahl von Landeskirchen auch eine             mit ihren verschiedenen Reformprozessen reagie-
Provokation ist, brauche ich nicht zu begründen.        ren? Der harte Kern liegt m. E. in dem häufig
Dass die Rede von EKD-weiten Leuchtturmkir-             diskutierten Phänomen der Wiederentdeckung
chen nicht eben geeignet war, die Gemüter zu            der Religionen. Viele kluge Beobachter der Ge-
beruhigen, muss auch nicht ausgeführt werden.           genwart sind davon überzeugt, dass die im letz-
Und dass von zu verbessernder Qualität gespro-          ten Jahrhundert so häufig vertretene These vom
chen wird, klingt nach Kritik und Besserwisserei,       unabwendbaren Ende der Religionen in moder-
nach Schlechtmachen der Gegenwart, – und auch           nen und säkularen Gesellschaften widerlegt ist.
das mag niemand. Reformen legen die Finger auf          Religion ist das Megathema des 21. Jahrhunderts.
Schwachstellen, und dafür gibt es keinen Ap-            Matthias Schreiber, SPIEGEL-Redakteur, formu-
plaus.                                                  liert treffend: Religion und ihre Schwester, die
                                                        Philosophie »ist der Überraschungsgast des frü-
Zuletzt: Es hat von Anfang an Stimmen gegeben,          hen 21. Jahrhunderts!« Aber dieser Überra-
die den Reformern vorgeworfen haben, sie seien          schungsgast hat viele Gesichter:
zwar sehr ehrgeizig im Blick auf die Zielzahlen,
die es bis 2030 zu erreichen gälte, aber doch et-       Einerseits hat uns dieses Phänomen Hoffnung
was schwachbrüstig im Blick auf die Theologie,          schöpfen lassen, dass unsere Gemeinden und
die der Reform zugrunde liege. Und eben dieses          Angebote neue Aufmerksamkeit finden, dass die
Theologiedefizit – so die Meinung – habe das            Kirche ihre Themen besser anbringen kann; und
ganze Unternehmen in Richtung Wirtschaftsspra-          z. T. gelingt dies ja auch. Andererseits hat diese
che und Organisationsgerede abgleiten lassen.           Wiederkehr auch eine Rückseite, weil sie zu einer
Aber die Organisationssprache hat eine heuristi-        sich verschärfenden Wettbewerbssituation auf
sche Funktion, sie ist eingebettet in vier geistliche   dem Religionsmarkt führt. Es gibt einen Zuwachs
Grundsätze, die das ganze Impulspapier in eine          an Konkurrenz in punkto Religion, Spiritualität
theologische Grundlinie eintauchen. Die vier            und Esoterik. Wir haben eine Pluralisierung der
theologischen Grundsätze lauten:                        Angebotslandschaft, die sich keineswegs auf die
                                                        großen Weltreligionen beschränkt, sondern eben-
„   Geistliche Profilierung statt undeutlicher Akti-    so die vielen kleinen, schnellen, wendigen und
    vität: Wo evangelisch draufsteht, muss Evan-        nahen religiösen Gemeinschaftsangebote umfasst.
    gelium erfahrbar sein.                              Die Wiederkehr der Religionen bedeutet die Zu-
„   Schwerpunktsetzung statt Vollständigkeit:           nahme von »Mitbewerbern«. Ja, es gibt in unserer
    Kirchliches Wirken muss nicht überall vor-          Welt insgesamt einen zunehmenden Wettbewerb
    handen sein, wohl aber überall mit seinem           um Aufmerksamkeit und Zeit, um Beachtung und
    Kernanliegen sichtbar sein.                         Wahrnehmung, es gibt einen Kampf um gute
„   Beweglichkeit in den Formen statt Klammern          Köpfe und starke Talente, es gibt einen Wettbe-
    an Strukturen: Nicht überall muss um das ge-        werb um Geld und Ressourcen, es gibt einen
    meinsamen Zieles willen alles auf dieselbe          Wettbewerb um Freiwillige und ihr Engagement,
    Weise geschehen.                                    es gibt einen Wettbewerb um Präsenz in der Öf-
„   Außenorientierung statt Selbstgenügsamkeit:         fentlichkeit und um die Wahrnehmung vorhan-
    Auch der Fremde soll Gottes Güter erfahren          dener Angebote usw. – es gibt heute kaum noch
    können, auch der Ferne gehört zu Christus.          ein Feld, auf dem sich nicht viele Mitbewerber
                                                        tummeln. Und ich bin davon überzeugt, dass wir
Deswegen gilt: Unsere Kirchen müssen aus bibli-         Christen in diesem Wettbewerb durchaus mithal-
schen, theologischen, geistlichen Gründen ihre          ten können, unsere Chancen sind nicht so
Organisationsfähigkeiten verbessern, wenn sie die       schlecht. Nur ein Beispiel: Dass wir alle in den
gegenwärtigen Herausforderungen bestehen wol-           letzten Jahren Fundraising gelernt haben, dass
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die Gemeinden Fördervereine gründen, dass wir           hilft, denn natürlich: geistliches Wachsen und
mit Stiftungsrecht umzugehen gelernt haben              Reifen kann man nicht machen. Aber es unver-
usw., das alles ist Ausdruck der Einsicht, dass der     sucht zu lassen, halte ich für geistlichen Leicht-
Wettbewerb um die Finanzierung von kirchlichen          sinn und einen Widerspruch gegen den Auftrag,
Aktivitäten mehrere Beine braucht.                      den der Herr seiner Kirche gegeben hat.

Trotzdem haben es große Kirchen insgesamt als
ehemalige Monopolisten nicht ganz leicht, denn          II.
einmal sind sie naturgemäß nicht ganz so schnell
und flexibel, und zum anderen können sie aus            In und mit dieser Wettbewerbssituation aber
sachlichen Gründen nicht alle Erwartungen erfül-        taucht ein grundlegendes theologisches Problem
len. Denn die Wiederkehr der Religionen ist ei-         auf: Denn was geschieht, wenn der Glaube zu
nerseits gekennzeichnet durch eine starke Well-         einem Angebot auf einem umkämpften Markt
nessorientierung, auf der anderen Seite ist sie oft     wird bzw. werden muss? Was geschieht mit dem
radikalisiert und beschwört die Gefahr des Fun-         Glauben, wenn er Formate finden muss, die
damentalismus herauf. Die etablierten Kirchen           marktplatztauglich sind? Was machen wir mit
stehen dazwischen, weder einfach wellnesskom-           unserem Glauben, wenn er in Form eines Wett-
patibel noch fundamentalistisch geneigt. Die            bewerbangebotes gegossen wird? Ohne Anspruch
Menschen wollen zwar Religion, sie suchen nach          auf Vollständigkeit nenne ich drei Dimensionen,
Sinn und Halt, nach geistigen Wurzeln und               die m. E. mit diesem fundamentalen Wandel
glaubwürdiger Spiritualität; aber sie suchen dies       verbunden sind:
gleich zu neuen Bedingungen.
                                                        1. Alle Wahrnehmungen unserer Tage weisen
Dies ist die Mitte der geistlichen Herausforderun-      darauf hin, dass sich Entscheidungen der Men-
gen heute: Als Christen sind wir zutiefst davon         schen daran ausrichten, ob der angebotene Sinn,
überzeugt, dass das Evangelium von Jesus Chris-         der Zweck und das Ziel »etwas bringe«, ob der
tus das Beste ist, was ein Mensch je wird hören         Einzelne davon etwas habe, ob er einen »Nutzen«
können: Die von Gott zugesagte Würde eines              davontrüge. Nutzen ist dabei keineswegs nur
jeden Menschen ist unabhängig von aller Leis-           rational, banal oder materialistisch zu verstehen,
tung und allem Können, darin gründet der freie,         auch ein Erlebniswert, eine Sinnstabilität, ein
aufrechte Gang des Menschen und eben diese              Verantwortungswert (Prestige) oder ein Zugehö-
»Freiheit eines Christenmenschen« ist der größte        rigkeitswert bieten einen Nutzen. Die Orientie-
anzunehmende Glücksfall eines jeden Lebens,             rung der Kirche an den nützlichen Entscheidun-
weil er das Herz erhebt und die Seele tröstet auch      gen der Menschen sollte daher nicht denunziert
in dunklen Zeiten. Wir wissen auch, dass der            werden; es ist die heute dominante Form, exi-
Dienst am Nächsten die Form ist, in der sich die        stenzielle Relevanz wahrzunehmen. Aber diese
christliche Freiheit konkretisiert, und dass nir-       »Optionierung der Lebensgestaltung« führt dazu,
gends so groß von Gott als Geheimnis der Welt           dass die Menschen nicht mehr von allein, nicht
und deswegen so würdig vom Menschen als Got-            mehr traditionsgeleitet und automatisch zur Kir-
tes Geschöpf gedacht und gesprochen wird wie in         che kommen, sondern mit geeigneten Angeboten
unserer christlichen Tradition – bis hinein in poli-    und Einladungen gelockt werden müssen. Es gilt,
tische Zusammenhänge. Und wir wollen, dass              die Bezeugung des Evangeliums auch in Gestalt
»allen Menschen geholfen wird und sie zur Er-           eines zu erwählenden Angebotes so auszulegen,
kenntnis der Wahrheit kommen«, wir wollen               dass Menschen sich zugunsten des evangelischen
diese Schönheit und Klarheit unseres Glaubens           Glaubens und dann auch zugunsten einer Kir-
nicht für uns behalten. Und doch ist es oft so,         chenzugehörigkeit entscheiden können. Unver-
dass uns dies nicht gelingt, dass Gott und das          meidlich aber geschieht dadurch ein Zweifaches:
Evangelium links liegen gelassen werden. »Stellt        Einerseits muss die Funktionalität bzw. der
euch vor, es ist Gnade, und niemand geht hin!«          Zweck der Angebote intensiver betont werden;
Natürlich können wir jetzt auf Gottes freies Tun        jedes Angebot muss entfalten können, warum es
verweisen, auf seine Unverfügbarkeit; wir wären         sinnvoll und wertvoll ist und welche Funktion es
dann fein raus, irgendwie Opfer der göttlichen          für den Einzelnen erfüllt. So kommt es, dass wir
Untätigkeit. Aber das ist nicht fair, das lastet Gott   die stärkende Funktion des Gottesdienstes
etwas an, was vielleicht wir zu verantworten            herausstellen oder dass wir die heilende Dimen-
haben. Ich glaube wohl, dass wir uns zuerst und         sion von Ritualen betonen. Andererseits gerät
vor allem zu fragen haben, was wir verbessern           durch die Vielzahl der Einzelangebote die Ge-
können. Es kann sein, dass dies dennoch nichts          samtheit aus dem Blick, die Verantwortung für
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das Ganze einer Kirche wird geschwächt. Die          der Nichtbeachtung ausweichen kann. Wenn man
eigene Frömmigkeit, die eigene Gemeinde, die         vergleicht, was Mitbewerber wie z.B. das Thea-
naheliegenden Vernetzungen erscheinen ausrei-        ter, das Kino oder die Konzerthallen an Energie,
chend. Je dominanter die Frage nach dem persön-      an Einfallsreichtum, an Kreativität und auch an
lichen Nutzen wird, desto näher liegt die Ant-       Geld einsetzen, um Aufmerksamkeit für sich zu
wort: Ich brauche keine Kirche, mir reicht eine      gewinnen, dann muss selbst ein »Kloster auf Zeit«
kleine, feine und freie Gemeinde. Ich brauche        mit relativ viel Lärm beworben werden. Oder
keine große Gemeinschaft, mir sind Institutionen     anders gesagt: Wenn sich die evangelische Kirche
und Hierarchien sowieso zuwider. Die freien          nicht in die Privatheit abdrängen lassen will,
Gemeinden bzw. der Kongregationalismus ist           muss sie auch eine in der Gesellschaft sichtbare
angesichts dieser auf den Einzelnen bezogenen        und hörbare, erlebbare und attraktive Religion
Frömmigkeitsform die konsequenteste Form der         sein wollen. Ihre Medienkompetenz, ihre Event-
Kirche.                                              tauglichkeit, ihre überzeugenden Gesichter und
                                                     attraktiven Angebote werden über die Zukunft
2. Diejenigen unter uns, die in den 80er Jahren      mit entscheiden.
die Entstehung und Etablierung der privaten
Fernsehprogramme miterlebt haben, die erinnern       Die Phänomene, die mit der Wettbewerbssituati-
sich noch an den Kulturschock, den es damals         on einhergehen, ließen sich zweifellos noch ver-
gegeben hat. Nachdem es über Jahrzehnte nur          feinern, aber die geistliche Gefahr wird schon
drei Programme gegeben hat, breitete sich plötz-     sichtbar:
lich das Programmangebot auf unüberschaubar
viele Programme, Sparten, Themen usw. aus. Die       Dass nämlich die Tiefe, die Schätze, die Substanz
großen »Straßenfeger« fielen aus, die Vielzahl von   und die existenzielle Erschließungskraft unserer
Programmangeboten relativieren das Einzelereig-      Tradition verloren gehen, weil sie sich den
nis. Die Generation meiner Kinder hat das »Zap-      Markterfordernissen zu stark anpassen müssen.
pen« perfektioniert, sie können durchaus an ei-      Weil die Substanz unseres Glaubens nicht mal so
nem Abend drei Programme parallel verfolgen,         im Vorübergehen zu erschließen ist, laufen wir
weil sie die 7-minütigen Werbeunterbrechungen        Gefahr, unbeachtet zu bleiben. Weil die Kreuzes-
intelligent nutzen. Übertragen auf die Religion      theologie keine Fast-Food-Religion ist, weil wir
heißt das: Die Zunahme der Angebote relativiert      keine einfachen Antworten auf schwierige Fragen
das Einzelangebot, die Medialisierung des Lebens     geben wollen und nicht auf Schwarz-Weiß um-
verändert unser Verhältnis zur Religion. Es steigt   schalten werden, nur weil es vielen sonst zu bunt
automatisch die Bereitschaft, Patchwork-             wird, deswegen geraten wir in ein fundamentales
Konstruktionen vorzunehmen. Es erscheint nicht       Dilemma:
mehr nötig und zwingend, das ganze Gebäude
eines Glaubenssystems zu übernehmen, sondern         Entweder wir nehmen ein Nischendasein in Kauf,
es reicht, wenn man das eine oder das andere         substanzreich, aber unbemerkt; oder wir laufen
Element für plausibel hält. Es liegt auf der Hand,   Gefahr, einem theologischen Substanzverlust,
dass Kategorien wie Verbindlichkeit und Treue,       einem Verlust der Tiefenschärfe, einem Versan-
Verlässlichkeit in der Zeugenschaft und Kontinui-    den der Glaubensschätze ausgeliefert zu werden.
tät in der Beteiligung nicht dominieren. Auch        Das Nischendasein verbietet uns unser Auftrag,
werden Theologie und Dogmatik, also das ge-          den Substanzverlust verbietet uns der Glaube.
meinsam reflektiert Geglaubte und die in Jahr-       Dies ist in meinen Augen der harte Kern der geist-
hunderten gereiften Inhalte unwichtiger, die Er-     lichen Sorge, die wir alle – die Reformer und ihre
kennbarkeit, das wahrnehmbare Profil werden          Kritiker – heute teilen müssen: Wir sollen am
unscharf.                                            Markt bestehen, aber gerade ein erfolgreiches
                                                     Bestehen birgt die Gefahr in sich, dass die Sub-
3. Der Kampf um Aufmerksamkeit und um Be-            stanz verloren geht. Dieses Dilemma ist echt, –
achtung bringt es zuletzt mit sich, dass man in      und es ist uralt. Denn man kann es durchaus
anderer Weise als früher um Aufmerksamkeit           fassen in Analogie zur Sprache des jungen Karl
kämpfen muss. Die Warnungen vor der Eventisie-       Barth:
rung des Glaubens sind Signal dieser Herausfor-
derung: Das ständige Produzieren von besonde-        »Wir sollen mitten in der schnöden Wettbe-
ren Veranstaltungen und neuen Gottesdienstfor-       werbswelt den gekreuzigten Gott verkündigen.
maten, die ständige Hoffnung auf kreative, origi-    Wir sind aber Teil dieser schnöden Wettbe-
nelle, attraktive und innovative Erlebnisse in der   werbswelt und können es deswegen nicht. Wir
Kirche ist eine Erwartung, der man nur bei Strafe
epd-Dokumentation 9/2009   9

sollen beides, das Sollen und das Nichtkönnen,       ist und welche Verfahren es zu ihrer Stärkung
vor Gott stellen und so Gott die Ehre geben!«        gibt, und ob der Grundsatz auch für unsere Got-
                                                     tesdienste gilt: »Qualität setzt sich durch!«, ohne
                                                     damit die unverfügbaren Dimensionen der Ver-
III.                                                 kündigung zu leugnen, – dass wir diese Fragen
                                                     nun verstärkt traktieren, das ist eine notwendige
Dilemmata kann man nicht auflösen, man kann          Aufgabe. Deswegen haben Rat und Steuerungs-
sie nur bearbeiten! Wenn wir uns also aus dem        gruppe ein Zentrum für Qualitätsentwicklung in
Wettbewerb um des Evangeliums willen nicht           der gottesdienstlichen Arbeitsstelle in Hildesheim
zurückziehen dürfen, sondern den Kampf um            in Aussicht genommen, das vor allem drei Dinge
Aufmerksamkeit und Köpfe, um Talente und             fördern wird:
Ressourcen aufnehmen wollen, dann ist es strate-
gisch entscheidend, die geistigen Gegenkräfte        „   Die Sammlung und Sichtung dessen, was es an
gegen den Marktsog stark zu machen. Weil uns             Qualitätsverfahren, an Intervision und Feed-
unser Evangelium hinaustreibt in die Welt, weil          backsystemen schon gibt; in der Regel haben
wir das Licht nicht unter den Scheffel stellen und       wir alle guten Ideen ja schon zusammen, wir
die Talente nicht vergraben sollen, deswegen             wissen sie nur nicht voneinander.
müssen wir auftragsgemäß hinausgehen in die
Welt und das Evangelium so weitersagen, dass es      „   Sodann sollen in Modellregionen neue Formen
von den heutigen Menschen gehört werden kann.            der Qualitätssicherung und der Qualitätsstei-
Der alte Werbungsgedanke, dass der Wurm dem              gerung ausprobiert werden.
Fisch, nicht dem Angler schmecken muss, gilt
noch heute. Doch wir sind keine naiven Angler,       „   Und zuletzt kommt es darauf an, Qualitäts-
keine Leichtgewichtige, wir sehen die geistlichen        standards zu formulieren, die als Orientierung
Gefahren und angeln dennoch. So wenig wir eine           hilfreich sind, ohne dass sie zu einer Predigt-
pure, unkontrollierte, freie Marktwirtschaft wol-        Kasuistik oder zu einer Gottesdienst-
len, sondern eine soziale, also der Gemeinschaft         Zertifikations-Unkultur führen.
verantwortliche Marktwirtschaft, so wenig wollen
wir eine beliebige Kirchenlandschaft, sondern        Auf der gleichen Linie liegt auch die von Rat und
eine verantwortete Kirchenlandschaft.                Kirchenkonferenz in Aussicht genommene Etab-
                                                     lierung eines Zentrums für evangelische Predigt-
Aber wir brauchen Kräfte und Kompetenzen, wir        kultur in Wittenberg. Mit Hilfe von theologischer,
brauchen theologische Unterstützungen und ge-        aber auch literarischer, rhetorischer und herme-
meinsame Reformen, damit wir nicht einfach im        neutischer Kompetenz sollen hier besondere
Markt aufgehen. Und eben dies ist das geistliche     Sprachbegabungen entdeckt, vernetzt und geför-
Kernanliegen des Reformprozesses auf der EKD-        dert werden, soll es eine Art »Villa hermeneutica«
Ebene. Was müssen wir – so heißt die Leitfrage –     ähnlich wie die »Villa massimo« geben und es
stärken, damit wir trotz der Dilemmata, trotz der    sollen stationäre und ambulante Formen gefun-
Wettbewerbssituation die Substanz und die            den werden, die Predigtkultur im Gesamten des
Schönheit unseres Glaubens darstellen können?        Gottesdienstgeschehens zu stärken.
Was braucht es, um am Markt und bei uns selbst
zu bleiben? Auch hier will ich drei Kräfte nennen,   2. Will man dem Wettkampf um Aufmerksamkeit
die faktisch zugleich den gegenwärtigen Stand der    und Zeit nicht ausweichen und dennoch die Ein-
Reformanstrengungen spiegeln:                        ladung zum Glauben geistlich gehaltvoll ausfor-
                                                     mulieren, dann gilt es, gegenüber allen kurzatmi-
1. Will man dem Marktgeschehen nicht auswei-         gen Eventisierungen, nachhaltige missionarische
chen und als Mitbewerber bestehen, ohne die          Kultur in der Kirche zu stärken. Es gilt, die Fülle
Substanz des Glaubens zu verfehlen, dann ist die     volkskirchlicher Einladungen zur Entdeckung
Frage der Sprach- und Auskunftsfähigkeit des         bzw. Beteiligung am Glauben in ansprechender,
Glaubens zentral. Diese zu stärken kann man auf      glaubwürdiger und offener Weise zu entfalten.
verschiedene Weise versuchen. Zuerst ist eine        Deswegen ist es konsequent, wenn Rat und Kir-
Diskussion der Qualität dessen unerlässlich, was     chenkonferenz ein Zentrum für Mission in der
man tut und was das eigene Angebot auszeich-         Region in Dortmund in Verbindung mit Stuttgart
net. Dass wir unseren Kernbereich, nämlich die       und Greifswald einrichten, in der Ideen einer
Verkündigung in Gottesdienst und Kasualien, der      regional gemeinsamen missionarischen Arbeit
Frage aussetzen, was Qualität ist, wie sich Quali-   vernetzt werden. Kernstück dieser Gründungsidee
tät zu Quantität verhält, wie Qualität zu steigern   ist die Einsicht, dass viele missionarische An-
10   9/2009 epd-Dokumentation

strengungen zukünftig nicht mehr allein von den       men mit den Gemeinden Partner jenseits der Ge-
Einzelgemeinden getragen werden können, son-          meinden zu finden: von Schwangerschaftsbera-
dern dass es die gemeinsame Anstrengung aller         tungsstellen bis Rückbildungsgymnastikangebo-
kirchlichen Orte in einer Region bedarf, um über-     ten der Volkshochschulen, um möglichst viele
zeugend und attraktiv zu sein. Das Zentrum soll       Frauen mit einem Medienpaket für die Kleinsten
die Geschwisterlichkeit und Nachbarschaftlichkeit     zu erreichen, das neben Bilderbüchern und Bera-
der Christen in einer Region stärken, denn eine       tungsliteratur auch die Einladung zur Taufe ent-
sinnvolle missionarische Verzahnung zwischen          hält.
Angeboten der verfassten Kirche, der Bildungsin-
stitutionen, des Diakonischen Handelns und der        3. Zuletzt: Wenn man den Kampf um Aufmerk-
funktionalen Dienste wird zur unerlässlichen          samkeit und Zeit nicht verlieren will, ohne theo-
Voraussetzung für zukünftige Angebote. Und wir        logisch zu verflachen, dann ist es unerlässlich,
brauchen um unseres Auftrages willen die ganze        eine klare Erkennbarkeit zu stärken. Für jede
Breite volkskirchlichen einladenden Handelns:         Wettbewerbssituation gilt, dass Pluralität und
Von der Zeltmission, Willow-creek-Gemeinden,          Vielfalt an sich noch kein Vorteil ist, sondern eher
ProChrist- und Christival-Veranstaltungen über        ein Nachteil, weil die Menschen nicht mehr er-
Wiedereintrittsstellen, Intensivierung der Konfir-    kennen können, wofür ein bestimmtes Angebot
mandenarbeit, Glaubenskursen im Nachgang zu           steht. Die Frage nach der Erkennbarkeit lässt sich
Amtshandlungen bis hin zu kulturell orientierten      aber nur aus dem soliden Bewusstsein der eige-
Veranstaltungen und originellen Events in den         nen Stärken heraus entwickeln; Altbischof Horst
Kirchen. Mission als glaubenweckendes Handeln         Hirschler spricht deswegen zu Recht vom »Pro-
der Kirche, Mission als Ent-Bergung und Er-           duktstolz«, den sich die Evangelischen zulegen
schließung theologischer Tiefe, Mission als ge-       sollten. Solche Profilierung voranzutreiben, das
meinschaftliches und nachhaltiges Handeln der         Gesicht des Protestantismus zu konturieren und
Christen in einer Region ist ein gemeinsamer Weg      die inhaltlichen Kernbestände zu etablieren, das
in die Zukunft.                                       ist eine zentrale Aufgabe. Deswegen haben Rat
                                                      und Kirchenkonferenz sich – und ich persönlich
Zuletzt: Es gibt zunehmend Menschen, die nach         halte dies für eine echte Sensation - auf ein »Ver-
Glauben, nach Gott, nach Bibel und Trinität fra-      fahren zur vorlaufenden Beratung und Verständi-
gen, aber wenig eigene Wissensbestände haben.         gung in wesentlichen Fragen des kirchlichen Le-
Das Reden über Gott und die Welt ist wieder `en       bens und Handelns« geeinigt, was das auch von
vogue`. Es gehört deswegen zur Mitte der Refor-       der EKD-Synode geforderte »Gemeinsam reden,
men, dass die AMD mit ausdrücklicher Unterstüt-       handeln und leiten« der evangelischen Kirche
zung des Rates eine missionarische Bildungsiniti-     eindeutig stärkt.
ative startet unter dem Titel »Erwachsen glau-
ben«, die das Gespräch über den Glauben zu            Und klar ist: Profilsetzung und -sicherung ist
einer Art Regelangebot in jeder Region machen         naturgemäß eine Leitungs- bzw. Führungsaufga-
möchte. Es werden 7 oder 8 sog. Glaubenskurse         be. Profil ohne Führung ist nicht zu haben, weil
bereitgestellt, die sich jeweils in unterschiedli-    Profil naturgemäß die Grenzen der Angebotsviel-
chen Milieus bewährt haben, und es werden Mul-        falt definiert. Deswegen gehört hier auch die
tiplikatoren/innen gestellt, die jedem Interessier-   durchaus umstrittene Frage hin, ob es nicht so
ten helfen, diese Angebote umzusetzen.                etwas wie eine »Dachmarke evangelisch« geben
                                                      muss; aber damit betrete ich das weite Feld der
Ähnlich ist eine Idee, die von dem Deutschen          Fragen, die wir perspektivisch im Anschluss an
Verband evangelischer Büchereien verfolgt wird.       die jetzige Reformphase und ihre konkrete Um-
Titel wie »Religion von Anfang an« oder »Bilder-      setzung im Blick haben sollten. Die Erkennbarkeit
buchstart ins Leben« zeigen die Richtung an: Wir      des Evangelischen in der Vielfalt aller Angebote
sollen den Versuch machen, die Angebote zu            zu stärken, das ist jedenfalls der Kern der heuti-
einem Aufwachsen im christlichen Glauben sehr         gen Führungsaufgabe. Dass also der Reformpro-
zeitig in die Familien zu tragen, nicht nur bei den   zess das Thema Führung und Leitung in der
kirchlich gebundenen Familien, sondern auch bei       evangelischen Kirche als drittes strategisches
jenen, die einen »evangelischen Migrationshin-        Kernthema betont, dass wir gerade einen Work-
tergrund« haben. Es ist ja doch dem Inhalt der        shop zum Thema Führen und Leiten durchge-
Taufe diametral entgegengesetzt, wenn wir Kin-        führt haben und dass die Führungsakademie für
der von Alleinerziehenden markant viel seltener       Kirche und Diakonie in Berlin massiv aufgewertet
taufen als Kinder in sog. normalen Familien.          wird, ist daher konsequent. Gute Führungskom-
Deswegen versucht der DVEB, gleichsam zusam-          petenz wird gerade nicht Vielfalt verbieten oder
epd-Dokumentation 9/2009   11

Pluralität abschaffen, gute Führung wird ein kla-    meinden und Kirchenkreisen, aus der Diakonie
res Bewusstsein davon entwickeln, welche Stär-       und den Diensten und Werken, und stellen dies
ken, aber auch welche Grenzen kirchliches Han-       leicht zugänglich auf eine Plattform. Und es ist
deln haben sollte.                                   schon verblüffend, was es alles gibt an guten
                                                     Ideen; der deutsche Protestantismus ist auch eine
In jedem Fall aber stammt aus diesen Überlegun-      Kreativkirche! Am 31. Oktober 08 wird die Platt-
gen die m. W. von Baden und Württemberg sehr         form ganz feierlich anlässlich des Reformations-
früh aufgegriffene Idee, dass es zwölf Geschichten   tags-Gottesdienstes in Berlin frei geschaltet, dann
der Bibel, zwölf vertraute Lieder aus dem Ge-        können Sie die Ideen und Anregungen unter
sangbuch und einige Gebete des Herzens geben         www.kirche-im-aufbruch.ekd.de ansehen. Bis
sollte, die die evangelischen Christen von Frei-     dahin aber können Sie auch noch originelle Ideen
burg bis Flensburg gemeinsam singen, beten und       und pfiffige Anregungen an uns senden, herzliche
hören können. Zur Profilstärkung gehört aber         Einladung dazu!
ebenso die neu eingeführte Martin-Luther-
Medaille für herausragende Verdienste um den         Damit aber diese Ideen auch erfahrbar und an-
deutschen Protestantismus wie die sog. Lutherde-     schaulich werden können, gibt es im September
kade mit ihrem Fernziel eines weithin sichtbaren     2009 eine große Zukunftswerkstatt in Kassel. Der
Reformationsjubiläum 2017, das ein internationa-     Rat der EKD lädt mit Zustimmung der Landeskir-
les, ökumenisch ausgerichtetes und inhaltlich        chen zu einer Art »Fachmesse für innovative
nachhaltig konturiertes Ereignis werden soll, ein    Ideen und Reformen« ein, auf der man sich einer-
Fest ohne Heldenverehrung und unkritische Ju-        seits informieren kann über kreative Ideen aus
belfeier, wohl aber im klaren Bewusstsein davon,     anderen Landeskirchen, in denen man aber auch
woher wir kommen und wohin wir wollen.               seine eigene »best-practice« mitbringen und dar-
                                                     stellen kann. Das Format »Fachmesse« ist neu
Nun werden aber manche vielleicht sagen: »Gut        und noch nicht fertig erfunden, aber in jedem Fall
gebrüllt, Löwe!«, aber was habe ich in meiner        sind die Landeskirchen herzlich eingeladen, gute
alltäglichen Arbeit davon? Auf diese Frage, was      Ideen und einfallsreiche Formate aus Baden nach
haben wir eigentlich von dem Reformprozess »bei      Hannover zu melden und nach Kassel mitzubrin-
denen da oben«, sollten Sie im Idealfall immer       gen. Es wird eine »Galerie der guten Ideen« ge-
sagen können: schnelle Informationen, gute An-       ben, in der pfiffige Anregungen ausgestellt wer-
regungen und brauchbare Vorarbeiten, die Sie         den, es soll einen »Gala-Abend« geben, eine Art
dann in der Gemeinde oder im Kirchenkreis nicht      »Oscar-Nacht« für tolle Anregungen, es sollen
mehr zu machen brauchen. Die Kernaufgabe aller       auch verschiedene Formen von Qualitätssiche-
Zentren und Anstrengungen ist ganz elementar:        rung und Feedback-Systemen ausprobiert werden
vernetzen, verzahnen, sammeln und sichten,           und es soll nicht zuletzt der Frage intensiv nach-
optimieren, was vorhanden ist, stärken, was viel-    gegangen werden, welchen gesellschaftlichen
versprechend wirkt, entdecken, was uns sonst         Herausforderungen die so – klassisch würde man
noch hilft. Die Zentren sollen das Rad keineswegs    sagen – zugerüstete, innovative evangelische
neu erfinden, sondern sollen die vielen Räder in     Kirche eigentlich entgegengeht. Hier finden dann
den Gliedkirchen vernetzen und so einer typisch      hoffentlich die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen
protestantischen Schwachstelle aufhelfen, näm-       und diakonischen Aufgaben der Kirche einen
lich der Regionalität. Wir können noch so viel       neuen Impuls.
miteinander machen und so viel voneinander
lernen – diese Tonlage war eine Schlüsselerfah-      Ob nun alle Maßnahmen die Hoffnungen erfüllen,
rung im Zukunftskongress in Wittenberg Anfang        die wir Reformer damit verbinden, lässt sich noch
2007, und deswegen ist Vernetzung das Zauber-        nicht sagen; es sollen die Maßnahmen allerdings
wort der Reformanstrengung. Z. B. durch die          ständig überprüft werden. Doch eines liegt m.E.
Internetplattform, auf der »best-practice-           auf der Hand: Mit diesen Maßnahmen haben wir
Beispiele« zu jenen drei Themen gesammelt wer-       jedenfalls keine Nähe zu dem dritten Knecht, wir
den. Wir suchen in allen Landeskirchen nach          vergraben unsere Talente nicht – und das ist doch
kreativen und innovativen, nach missionarischen      schon mal was!
und einladenden Ideen und Formaten aus Ge-
12   9/2009 epd-Dokumentation

Reformprozesse in der Evangelischen Kirche am La Plata
Von Federico H. Schäfer, Präsident der Evangelischen Kirche am Rio de la Plata

                                                    nächst unmerklich, langsam aber doch sichtbar
I. Strukturänderungen                               kleiner geworden. Die Binnenwanderung führte
                                                    Mitglieder unserer geschlossenen Gemeinden
Unter dem protestantischen Gesichtspunkt einer      nicht nur in wichtige Städte, sondern auch in
»ecclesia semper reformanda«, hat die Synode der    entlegene Regionen unserer Länder, in eine Dias-
Evangelischen Kirche am La Plata (EKaLP) 1995       pora der Diaspora, in die unsere Kirche ihnen
Kritik an Gesellschaft und eigener Kirche geübt.    nicht nachfolgen konnte. Neue Filialgemeinden
Einerseits entstand dazu ein geradezu die Zukunft   entstanden, was zur Verdünnung der Betreuung
vorwegnehmendes Papier über die Folgen der          je an einem Ort führte und manche Gemeinde-
neoliberalen Globalisierung und andererseits gab    glieder zu leichten Opfern der aggressiv missio-
die Synode dem Kirchenrat den Auftrag, einen        nierenden anderen Glaubensgemeinschaften
Ausschuss zu berufen, der die Struktur unserer      machte. Zwar waren neue Pfarrämter gegründet
Kirche überprüfen solle und eventuelle Ände-        worden, aber viele von diesen mussten in der
rungsvorschläge der kommenden Synode vorle-         Zwischenzeit infolge knapper werdender Mittel
gen möge. Kein einfaches Unterfangen. Immer-        wieder geschlossen werden.
hin, nach zwei »Zwischensynoden« konnte auf
der Synode 1998 eine novellierte Kirchenverfas-     Mitte der 90er Jahre wurde uns bewusst, dass
sung und Kirchenordnung verabschiedet werden.       diese Entwicklung so nicht weitergehen konnte.
Umwälzend sind die angenommenen Änderungen          Es musste etwas getan werden, um dem Mitglie-
nicht gewesen. Immerhin sollten infolge der neu-    derschwund entgegenzuarbeiten und vor allem,
en Satzungen und der weiteren Synodalbeschlüs-      um dem Auftrag des Herren gerecht zu werden.
se Aufgaben der Kirchenleitung dezentralisiert      Es konnte nicht mehr länger darum gehen, die
und unbefristete Mandate begrenzt werden.           Nachkommen der evangelischen Einwanderer,
Darüber hinaus sollte die theologische Ausbil-      die einmal den Kern unserer Gemeinden bildeten,
dung mit verstärktem Nachdruck auf die prakti-      seelsorgerlich zu betreuen bzw. anlässlich von
sche Theologie überprüft werden, die christliche    Kasualien zu versorgen, sondern offensiver als
Unterweisung verstärkt, die Arbeit im Kirchenamt    bisher, allen Menschen in unserem Umkreis die
leistungsfähiger gestaltet und in der gesamten      Frohe Botschaft mitzuteilen. Die PfarrerInnen
Kirche den missionarischen Aufgaben ein höherer     allein konnten das nicht bewerkstelligen. Dass
Stellenwert beigemessen werden. Dazu sollte eine    mehr Laien theologisch ausgebildet werden muss-
Förderung der strategischen Planung und die         ten, war bereits eine alte Erkenntnis und manch
»nachhaltige Haushalterschaft« eingeführt wer-      ein Pfarrer hat sich auch bei der Ausbildung von
den. Es folgten eine institutionelle Analyse der    Lektoren verdient gemacht. Aber dies reichte
Funktionsaufteilung im Kirchenamt und in ande-      auch nicht aus. Die gesamten Gemeindemitglieder
ren Arbeitsbereichen und je zwei Synoden mit        mussten die Mission auch wollen; die reformato-
Schwerpunktthemen im Zusammenhang der Mis-          rische Lehre der allgemeinen Priesterschaft aller
sion und Unterweisung und je zwei Synoden mit       Gläubigen musste zum Zuge kommen.
dem Schwerpunktthema »Glaube und Wirt-
schaft«. In der letzten Synode vor drei Wochen      So wurde vom Rat der Kirche ein Missionsaus-
ging es uns erneut um die Evangelisation.           schuss ins Leben gerufen, der die Aufgabe hatte,
                                                    Wege und Mittel zu erkunden, um die Mission
                                                    unserer Kirche voranzutreiben. Der Ausschuss
II. Mission, Evangelisation                         wurde gebildet durch Personen, denen das The-
                                                    ma Mission ein besonderes Anliegen war. Sie
Infolge von wirtschaftlich bedingter Binnenwan-     organisierten Workshops, hielten in den Gemein-
derung bzw. Landflucht, Rückkehr einstiger          den Vorträge und beteiligten sich an Evangelisati-
Auswandererkinder nach Europa, Mischehen und        onswochen. Aber die richtige Vorgehensweise
damit verbundener Übertritt in die römisch-         fanden sie offenbar nicht. Vieles ging in den Ge-
katholische Kirche, Abwerbung durch andere          meinden den alten Trott weiter. Der Ausschuss
Kirchengemeinschaften (Missouri-Lutheraner,         änderte schließlich seinen Namen, er wurde zum
Adventisten und Pfingstler) und Sekten, Säkulari-   »Ausschuss für Geistliche Erneuerung und Evan-
sierung, Geburtenminderung usw. sind viele un-      gelisation«. Parallel dazu nahm nun auch die
serer Gemeinden in den letzten 40 Jahren, zu-       Gesamtpfarrkonferenz unserer Kirche das Thema
epd-Dokumentation 9/2009   13

auf und setzte sich mit ihm lange auseinander.       einen Akt der Entsendung sämtlicher Missionsbe-
Gute Konzepte kamen wohl zu Tage, die dem            auftragten der verschiedenen Kirchenbezirke
Missionsausschuss zugearbeitet wurden, aber es       gefeiert. Es sollte allen Synodalen und auch den
scheiterte immer wieder an der praktischen Um-       Entsendeten klarwerden, dass wir in Gehorsam
setzung. Die Ausschussmitglieder allein konnten      gegenüber unserem Herrn Ernst machen mit un-
die gesamte Kirche nicht in Bewegung setzen.         serem gemeinsamen Ansinnen, der Evangelisati-
                                                     on in unserer Kirche einen starken Impuls zu
Ob wir nun endlich die rechte Methode gefunden       vermitteln.
haben, muss die nächste Zeit bestätigen. Es ist
uns allerdings bewusst, dass allein der Herr Wol-    Ich darf noch hinzufügen, dass im geografisch
len und Vollbringen in uns Menschen bewirkt,         recht ausgedehnten Westbezirk unserer Kirche
dass die Mission seine Mission ist und wir nach      mit mehreren Diasporagemeinden zwischenzeit-
seinem Wohlgefallen zu handeln haben. Sicher         lich ein Missionsplan erarbeitet worden ist für die
geht es auch nicht allein um proppevolle Kirchen     nächsten zehn Jahre (2009-2019). Er beinhaltet
von Menschen die »Herr, Herr!!« rufen, sondern       unter anderem die Ausbildung von Mitarbeiten-
um das Gewinnen von Menschen, die bereit sind,       den (Kindergottesdiensthelfer, Jugendleiter, Lek-
Gottes Willen zu tun. Vor zwei Jahren hat nun        toren, etc.), Intensivierung von Kinder- und Ju-
der »Ausschuss für Geistliche Erneuerung und         gendarbeit, Wiedereröffnung von stillgelegten
Evangelisation« mit der Gründung von Regional-       Pfarrämtern und die Beschaffung von eigenen
ausschüssen in den sieben Bezirken, in die unse-     Geldmitteln, um die Missionsarbeit zu unterhal-
re Kirche verwaltungsmäßig aufgeteilt ist, begon-    ten. In manchen Gemeinden sind auch schon
nen. Die Suche nach Menschen, die bereit waren,      andere Kampagnen durchgeführt worden oder
sich in diesen Dienst einspannen zu lassen, hat      sind nach ausländischen Konzeptionen im Gange,
eine Zeit lang gedauert. Nicht mehr als zwei         wie die von Pfarrer Schwarz genannte: »Natürli-
Amtsträger sollten in jeder Arbeitsgruppe mitar-     che Entwicklung der Kirche«, oder eine andere
beiten. Aber nun waren die Teams zusammenge-         namens »Neu beginnen«, oder das englische Sys-
stellt und konnten in einigen Seminaren zusam-       tem »Alpha und Omega« mit der Bildung von
mengeführt und ausgebildet werden. Die Aufgabe       Zellen usw., usf.. Der zu verzeichnende Aufbruch
dieser Regionalausschüsse ist es, die jeweiligen     geht mit einer gewissen Experimentierlust einher,
Gemeinden in ihrem Bezirk:                           doch der Erfolg dieser Methoden ist noch abzu-
                                                     warten.
„   zu Evangelisierungsaktionen zu ermutigen
„   bei der Erarbeitung von Programmen zu bera-
    ten                                              III. Weitere Maßnahmen
„   bei Ermüdungserscheinungen zu stärken
„   bei Erfolglosigkeit zu animieren, neue Wege      Zur Arbeit des »Ausschusses für Geistige Erneue-
    zu wagen                                         rung und Evangelisation« kommen flankierende
„   bei der Durchführung strategischer Planungen     Maßnahmen hinzu, die vom »Ausschuss für Er-
    zu beraten.                                      ziehung und Christliche Unterweisung« betrieben
                                                     werden. Es ist sicher nichts Neues, dass ein
Die Gemeinden und Bezirke unserer Kirche sind        Christ sich lebenslang in einem Lernprozess be-
zu unterschiedlich, als dass man ein einheitliches   findet, in dem er sich über seinen Glauben stän-
Evangelisationsprogramm zur Anwendung in der         dig neue Inhalte aneignen kann, vor allem durch
gesamten Kirche entwickeln und umsetzen könn-        die Arbeit mit der Heiligen Schrift, aber auch im
te. Auch die Selbstherrlichkeit einer jeden Ge-      Experimentierfeld des Lebens, in dem er ethische
meinde würde dies verhindern, würde als eine         Entscheidungen treffen muss etc. Aber nicht alle
autoritäre Oktroyierung von Verpflichtungen          schaffen dies aus sich selbst heraus, sondern
durch die Kirchenleitung ausgelegt werden. Jede      wollen motiviert und angeleitet werden. So ist die
Gemeinde muss denn mit Hilfe des jeweiligen          Bildung, Weiterbildung bzw. Ausbildung von
Regionalausschusses einen eigenen Weg finden,        Laien unumgänglich, wenn wir von der pastor-
den Missionsauftrag ihres Herrn durchzuführen,       zentrierten Gemeindearbeit hin zum allgemeinen
den besonderen Eigentümlichkeiten und denen          Priesteramt aller Gläubigen, ja, zur mündigen und
ihres Umfeldes entsprechend angepasst zu han-        profilierten Gemeinde gelangen wollen, die bei
deln. Im Zusammenhang des Abschlussgottes-           der Mission überzeugt mitarbeitet. In diesem
dienstes unserer letzten Synode, die – wie schon     Sinne sind wir dabei, ein Programm für die Lai-
gesagt – sich mit dem Schwerpunktthema »Evan-        enbildung in Gang zu setzen, das aus zwei gro-
gelisation« beschäftigt hat, haben wir symbolhaft    ßen Modulen zusammengesetzt ist. Einmal eine
14   9/2009 epd-Dokumentation

Grundausbildung mit folgenden vier Fächern für        bereit sein, für die Verbreitung dieses Glaubens
alle Interessierten: Bibel, Kirchengeschichte,        materielle Mittel beizusteuern. Dieses Vollbringen
Grundlegendes der Systematik und Gemeindeauf-         ist aber weder automatisch noch selbstverständ-
bau. Ein zweites Modul soll jeweils nach den          lich. Unternehmer würden uns sagen: Wenn Ge-
Gaben und Vorstellungen der Interessenten ange-       winn erzielt werden soll, dann muss zuerst inves-
boten werden. Hier wollen wir in den Bereichen,       tiert werden. Also predigen wir getrost weiter und
in denen sich die Interessenten besonders enga-       versuchen dabei, die Angst, auch einmal vom
gieren wollen, Unterstützung anbieten, also etwa      lieben Geld zu sprechen, beiseitezulassen, unge-
in: Jugendarbeit, Kindergottesdienst, Besuchs-        achtet der Tatsache, dass Neo-Pfingstkirchen und
dienst, Menschenrechte, Liturgie, Umweltschutz        andere Gemeinschaften allzu sehr davon predigen
usw. In jedem Bezirk sollen jährlich zwei viertä-     und die Kirche zum reinen Geschäft werden las-
gige Seminare stattfinden, in denen zwei Fächer       sen.
behandelt und Leseaufgaben zwischen den Semi-
naren absolviert werden.                              In diesem Zusammenhang beteiligt sich unsere
                                                      Kirche am Programm für »nachhaltige Haushal-
Ein weiteres Thema, das uns nun auch seit länge-      terschaft« der Kirchen, welches der Lutherische
rem beschäftigt, ist die »Supervision« bzw. seel-     Weltbund in Lateinamerika zurZeit durchführt.
sorgerliche Begleitung der Amtsträger bzw. ande-      Darüber hinaus, und zwar schon seit acht Jahren
rer Mitarbeiter unserer Kirche. Als positiv schät-    und dank einer Beihilfe von »Brot für die Welt«,
zen wir ein, dass es zu einem Anwachsen des           haben wir einen spezialisierten Mitarbeiter einge-
Vertrauens der Gemeindemitglieder gegenüber           stellt, der PfarrerInnen, DiakonInnen, Gemeinde-
unseren PfarrerInnen gekommen ist. Der Pfarrer        vorstände und andere Mitarbeitende dazu befä-
ist längst nicht mehr der »unnahbare Herr Pas-        higt, Programme und Maßnahmen zur Eigenmit-
tor«. Somit verstärkt sich sehr die Zahl derer, die   telförderung zu erarbeiten und durchzuführen.
zu ihm kommen mit allen möglichen Problemen.          Viele diakonische Projekte sind in unserer Kirche
Das kann für den einzelnen Amtsträger leicht zu       mit ausländischer Hilfe gegründet und lange Zeit
viel werden, wenn hinzukommt, dass unter Um-          auch erhalten worden. Doch im Zuge knapper
ständen in seiner Gemeinde auch noch andere           werdender Mittel ist diese Abhängigkeit von Ge-
Probleme vorliegen, wie Streitigkeiten im Ge-         berorganisationen nicht mehr haltbar und bei
meindevorstand, Auseinandersetzungen mit Re-          älteren Einrichtungen auch nicht mehr zu recht-
gierungsstellen wegen einer Mülldeponie etc.          fertigen. Deshalb müssen lokale Mittel gesucht
Nicht alle haben die natürliche Widerstandsfähig-     werden. Dies ist im Rahmen diakonischer Arbeit
keit und Gabe, mit vielen Problemen gleichzeitig      auch möglich, da Staat und Privatunternehmen
klarzukommen und dabei möglicherweise auch            eingespannt werden können. Weit schwieriger ist
noch persönliche Schwierigkeiten zu meistern. Es      es im Falle von reinen Missionsprojekten, für die
muss von außen eingegriffen werden, ehe sich          nur auf Kirchengelder zurückgegriffen werden
der Stresskollaps einstellt. Für Kirchen in den       kann. Alle Versuche machen jedoch die strategi-
USA oder in Deutschland mag die besondere seel-       sche, partizipative Planung und die ihr folgende
sorgerliche Begleitung der Mitarbeiter selbstver-     laufende Überwachung und Überprüfung not-
ständlich sein. Wir müssen hier noch Neuland          wendig. Sie erfordern eine Methode, die jedoch
betreten in einem Bereich, welcher uns auch neue      auch erst gelernt und eingeübt werden muss, was
finanzielle Kosten aufbürdet. Aber mit gestressten    in den Gemeinden und diakonischen Einrichtun-
PfarrerInnen können wir keine Mission treiben.        gen nicht immer ohne anfängliche Widerstände
                                                      angenommen wird.

IV. Finanzielle Mittel                                Das große erfolgversprechende Rezept zur Wie-
                                                      dergewinnung der von der Kirche entfremdeten
Ein Hindernis, das unsere Aufbruchsbestrebun-         Mitglieder oder der Gewinnung neuer Nachfolger
gen begrenzt, ist der Mangel an entsprechenden        des Herrn, ohne dabei vom Evangelium her frag-
finanziellen Mitteln. Vieles, was getan werden        liche Wege zu gehen, haben wir noch nicht ent-
könnte oder müsste, scheitert am Fehlen des           deckt. Jedoch ist es mein Anliegen, davon zu
notwendigen Geldes. Andererseits wissen wir           berichten, in welchen Unternehmungen die
auch, dass Evangelisation auch die »Hosenta-          Evangelische Kirche am La Plata zurzeit engagiert
schen bekehren« kann und muss. Wer von dem            ist. Der Herr möge unsere Bestrebungen segnen
Glauben an Jesus Christus überzeugt ist und           oder uns neue, bessere Wege zur Ausführung
ebenfalls davon überzeugt ist, dass dieser Glaube     seines missionarischen Mandats weisen.
auch anderen zugutekommen soll, wird auch
epd-Dokumentation 9/2009   15

Liturgical Reform in the Evangelical Lutheran Church of America
Dr. Arden Haug, Europabeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Amerika

                                                         The Post-World War II generation, the sons and
Introduction                                             daughters of immigrants, who once felt strong
                                                         allegiance to their homogenous ethnic towns and
The history of American Lutheranism is the story         villages were moving into larger, metropolitan
of an ever reforming church. It is the story of          cities. Lutherans from a variety of ethnic, Euro-
diversity moving toward uniformity, and multiple         pean traditions were suddenly worshiping to-
linguistic traditions and musical styles merging         gether- and they didn’t always share the same
into one common, English language expression.            melodies and hymns, or even worship practices –
At least as a church, that’s what we believe is          or the same pietism. They couldn’t even agree on
happening. But at the same time across the ELCA,         when they should celebrate the great festivals of
there has been an explosion of new expressions           the church. Swedish Americans celebrated the
and forms. Perhaps one ritual, for each of the           birth of Christ at Christmas early in the morning,
10,000 congregations within the ELCA. In this            on December 25th, while Norwegians celebrated
brief talk, I have three objectives. First, to share a   at five o’clock on Christmas Eve, December 24th.
history of liturgical reform in the Lutheran             In my own town, we knew that the Germans
churches in America. Second, to explore the              celebrated Christmas, but since the majority of
ecumenical movements that have colored our               Germans in Minnesota were Roman Catholic, we
liturgical movement. And third, to introduce the         simply thought all Germans celebrated Christmas
ELCA latest hymnal: the Evangelical Lutheran             as Midnight- the time of the midnight Mass.
Worship.
                                                         In 1945, eight ethnic Lutherans churches in
                                                         America decided to experiment with their tradi-
History of Liturgical Reform                             tion. They established a Joint Commission on the
                                                         Liturgy and Hymnal, for creating a new liturgical
The history of Liturgical Reform in the Lutheran         worship book in a common language that would
Churches in America is the story of ethnic, immi-        draw these historical, immigrant traditions into
grant Lutheran churches merging into larger and          one. In 1958, these churches published the Ser-
ever more diverse churches. Norwegian immi-              vice Book and Hymnal. Following the recent in-
grant churches merged with Swedish immigrant             novations of the Swedish Lutheran Church, the
churches, with Danish immigrant churches, and            Lutherans of the Norwegian, Swedish, Finnish,
eventually with German immigrant churches.               Icelandic, Danish and a lesser degree Germans
National animosities in Europe, however, often           created a book that would change the worship
were carried to America with the immigrants.             life of Lutherans in America. Liturgically, it
Divisions remained within the Lutheran church.           marked both the culmination of the Common
These were often pietistic traditions. When I was        Service tradition, and the first steps into the lar-
growing up, we knew the differences between              ger ecumenical heritage.
Lutheran. Norwegian Lutheran didn’t drink.
German Lutherans always drank. And Swedish               In the beginning of the 1960’s, most Lutherans in
Lutherans pulled the shades, so that nobody              North America were using either the recently
knew whether they were drinking or not. Against          published Service Book and Hymnal or the Lu-
the background of European cultural tradition,           theran Church Missouri Synod’s The Lutheran
there was also a movement among the immigrant            Hymnal for worship. But in 1965, after abandon-
churches to produce a Common Service in the              ing its work on its own hymnbook, the Missouri
English language. The English Book of Common             Synod, with its strong German, liturgical and
Prayer and the Authorized Version of the Bible           musical traditions, invited the other Lutheran
served as foundational pieces for this movement.         Churches in North America to join and work
In adopting English as the main language for             toward a common hymnal and service book. The
worship in the course of World War I, many               1978, Lutheran Book of Worship, was the com-
American Lutherans began to see even greater             pletion of the European immigrant worship tradi-
uniformity in worship practice. But there re-            tions merging into one worshiping tradition. The
mained significant differences over pastoral au-         Lutheran Church in America would no longer
thority, the office of the bishop, the role of the       simply adapt European church orders, but it
laity and who owned the churches.                        would actually dare to create its own.
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