F e l - Kreuzbund DV Mainz
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Nr.2/2021 April/Mai/Juni 2021 ISSN 1611-7565 VKZ 21196 t )h ilfe ( Selb s uch t- S ra ti o n d M ig un Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft für Suchtkranke und Angehörige
IMPULS Liebe Weggefährtinnen und Weggefährten! Auferstehung und dass Gott uns nicht im Stich lässt, sondern zu uns steht. Nehmen wir doch durch die Aufstehen Taufe teil an Jesu Tod und Auferstehung. Der Jesuitenpater Alfred Delp drückt das so aus: Wir gehen nie allein, Gott geht alle E in Pallottinerpater aus meinem Heimat- ort wirkt als Missionar in Südafrika. Als er auf Heimaturlaub war, erzählte er mir Wege mit.“ Ein zweiter Gedanke kommt für mich von einem Erlebnis in Kapstadt. Jeden Tag, dazu: In dem Wort Auferstehung entdecke wenn er durch die Straßen von Kapstadt ich den Begriff „Aufstehen”. Aufstehen ging, sah er einen Mann in den besten fällt einem nicht nur am Morgen mehr Jahren, der an die Hausmauer angelehnt oder weniger schwer, wenn man den auf dem Boden hockte und mit der ausge- Schlaf beenden und aufstehen muss. Auf- streckten Hand um eine Gabe bat. Er stehen bedeutet für mich auch, aus einer konnte nicht gehen. Seine Beine waren Notlage herauszufinden, um Neues be- verstümmelt. Zu oft sei er an ihm vorbei- ginnen zu können. So wie es bei diesem gegangen, ohne richtig zu überlegen, was Pater Ludger Zewe behinderten Mann der Fall war, der plötz- es heißt, nicht aufstehen zu können, be- lich wieder aufstehen und gehen kann. hindert zu sein. dass ihm geholfen wurde. Er übte die Dabei hatte ihm die Gemeinschaft der nächsten Wochen fleißig, bis er auch ohne Pfarrgemeinde geholfen. Eines Tages wurde ihm das Lebens- Hilfe gehen konnte. schicksal dieses Mannes in seiner ganzen Aufstehen zu müssen, diese Erfahrung Härte bewusst. Denn er sah, wie viele an Dann nahte das Osterfest. Der Pater hat wohl jeder von uns schon einmal ihm vorbeigingen, ohne ihn zu beachten. hatte den Mann zum Hauptgottesdienst gemacht. Jeder wird erlebt haben, dass Kurzentschlossen ist er auf ihn zugegan- eingeladen und ihm einen Platz ganz vorn er oder sie am Boden lag und aufstehen gen und hat ihn gefragt, ob er aufstehen neben dem Altar gegeben. Er predigte ein musste, um einen neuen Weg durchs Le- möchte, ob er den Wunsch hätte, gehen zweites Mal von ihm und sagte: „Jesus ist ben zu finden. Da ist es gut, wenn ich je- zu können. Misstrauisch habe ihn der Be- auferstanden zu neuem Leben. Er schenkt manden habe, der mir beisteht. Für mich hinderte gemustert. Dann aber habe er auch uns neues Leben. Wir haben es in der und meinen Glauben ist dies der Aufer- angefangen zu erzählen: „Ich hoffe immer Hand, dass auch für unsere Mitmenschen standene Herr Jesus Christus, dessen Hilfe noch auf eine Wende in meinem Leben. ein ganz neues Leben beginnt. Durch Sie ich in meinem Leben schon des Öfteren Sie sind der erste Passant, der mich ange- hat es für unseren Freund, der neben mir erfahren habe. sprochen hat. Ansonsten bin ich mit mei- sitzt, begonnen. Stehen Sie auf und zei- nem Schicksal so allein. Für viele ist es gen Sie sich der Gemeinde, zu der sie nun Dabei müssen das nicht großartige peinlich anzuhalten. Ich möchte mich zu gehören.“ Er stand auf und zeigte, dass er Wundertaten sein. Eigentlich sind es oft gerne weiterbewegen können, aber nie- gehen konnte. Bewegende Begeisterung ganz alltägliche Dinge, durch die für mich mand hilft mir dabei. Und die Gehwerk- erfüllte die Kirche. Das, so erzählte mir Jesus unter uns wirkt. Zu diesen alltägli- zeuge sind für mich und meine Verwand- mein Mitbruder, war für ihn die schönste chen Dingen gehört z. B. auch die Hilfe ten unerschwinglich. Ich muss es wohl Feier der Auferstehung. von meinen Mitmenschen. Und dazu zäh- vergessen.“ Mein Mitbruder gab ihm die le ich auch die Gemeinschaft im Kreuz- Hand und versprach ihm: „Ich werde sie An Ostern feiern wir das Fest der Aufer- bund. Diese Gemeinschaft ist die Hand, zum Gehen bringen.“ Dann ging er nach stehung unseres Herrn Jesus Christus. Es die stützt und unterstützt und beim Auf- Hause. ist sozusagen das höchste Fest der Chris- stehen und beim Stehenbleiben hilft. Als ten. Leider wird es im Bewusstsein vieler gläubiger Mensch behaupte ich, dass In der Sonntagsmesse sprach der Pater Christen durch das Weihnachtsfest ver- durch sie Jesus in unserem Leben wirkt in der Predigt dann über das Schicksal die- drängt. Aber das Osterfest ist das Funda- und wirken kann. Auf diese Weise wird Os- ses Mannes und was wir tun könnten, um ment unseres Glaubens. Der Apostel Pau- tern unter uns lebendig erfahrbar. ihm zu helfen. Eine spontane Kollekte lus schreibt dazu in seinem Brief an die brachte mehr ein als für Krücken und Gemeinde in Korinth: Ich wünsche allen in diesem Sinne ein künstliche Beine notwendig ist. Mein Mit- gesegnetes und frohes Osterfest. bruder war überrascht und freute sich „Wenn Christus nicht auferweckt wor- sehr. Noch froher war der Mann an der den wäre, wäre unser Glaube nutzlos.“ Pater Ludger Zewe, Geistlicher Beirat des Straße. Er konnte es gar nicht glauben, Gerade durch die Auferstehung zeigt sich, Kreuzbund-Diözesanverbandes Limburg
Zu dieser Z U D I E S E R A U S G A B E / I N H A LT Ausgabe Liebe Leserin, lieber Leser, mit dem Schwerpunkt „Sucht- Aus dem Inhalt Seite (Selbst)hilfe und Migration“ wid- men wir uns einem Themenzusam- menhang, der spätestens seit 2015 IMPULS U2 Brisanz erfahren hat, als vor Krieg, Gewalt, Tyrannei, Vertreibung und Armut geflüchtete Menschen nach Deutschland kamen. Wenn wir uns ZU DIESER AUSGABE 1 mit den Schicksalen und Biografien von geflüchteten Menschen beschäftigen, finden wir im- mer wieder ähnliche negative Lebensereignisse, die von AUS DEM BUNDESVERBAND 2-5 Traumatisierung, Entwurzelung zerrissenen Familien, Ar- mut und Heimatlosigkeit berichten – allesamt Faktoren für die Entstehung einer Suchterkrankung. Umfrage bei den Gruppenleitungen zur Corona-Krise Wir beleuchten in dieser Ausgabe des WEGGEFÄHRTE, welche Erfahrungen das Hilfesystem bei der Versorgung Rückblick und Ausblick zum Kreuzbund-Chat suchtkranker Menschen mit Migrationshintergrund ge- macht hat. Dabei stellen wir auch die Frage, welches Junger Kreuzbund-Chat Suchtverständnis sie haben, warum sie für die Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe schwer erreichbar sind und welche Maßnahmen das ändern könnte. Wir schauen außerdem in die 1990-er Jahre zurück, als IM BLICKPUNKT: Spätaussiedler*innen aus Russland und Flüchtlinge aus „SUCHT-(SELBST)HILFE UND MIGRATION 6-16 dem damaligen Jugoslawien nach Deutschland kamen. Daran wird deutlich, dass die Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund immer vielfältiger wird, z.B. Alt- Sensibel für andere Denk- und und Neueingewanderte, Menschen mit oder ohne eigene Verhaltensweisen Migrationserfahrung, hier geborene und aufgewachsene Kinder und Enkelkinder von Eingewanderten. Akzeptanz und Vertrauen sind der Übrigens: Nach der Definition des Statistischen Bundes- einzige Weg amtes hat eine Person einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deut- Es fehlen passgenaue Behandlungsangebote sche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt. Das für suchtkranke Geflüchtete betrifft insgesamt 20,8 Millionen Menschen in Deutsch- land, das sind über 25 Prozent der Bevölkerung. Integration beugt Sucht vor Die Rubrik „Aus dem Bundesverband“ fällt dieses Mal et- Polnische Anfragen beim Kreuzbund was kürzer aus, u.a. weil einige Veranstaltungen wegen der Corona-Pandemie gar nicht oder nur in digitaler Form stattfinden konnten. Wir hoffen aber, dass wir möglichst Ein anderer Blick auf die Sucht alle Seminare und Tagungen im Frühjahr und Sommer durchführen können – unter Umständen mit einer redu- zierten Teilnehmendenzahl und selbstverständlich unter HOBBY + FREIZEIT 17 den jeweils geltenden Hygieneregeln. Empfehlen möchten wir Ihnen auf jeden Fall die Ergebnis- se einer Umfrage zu den Corona-Belastungen und -Her- ausforderungen an die Gruppenleitungen. (S.2-3) PERSÖNLICHE GESCHICHTEN 18-19 Der Kreuzbund-Chat hat sich ein Jahr nach seinem Start zu einem ausbaufähigen Kommunikationsinstrument ent- wickelt – inzwischen gibt es fast täglich einen Chat. Wie AUS DEN DIÖZESANVERBÄNDEN 20-24 der Chat bisher gelaufen ist und welche Pläne es für die Zukunft gibt, erfahren Sie auf den Seiten 3-4. Viele gute Lesemomente, neue Erkenntnisse und ein fro- PASSIERT – NOTIERT 25-32 hes Osterfest wünscht Ihnen Ihre Gunhild Ahmann TERMINVORSCHAU / IMPRESSUM U3 PS. Und bitte bleiben Sie gesund!
AUS DEM BUNDESVERBAND Umfrage bei den Gruppenleitungen zur Corona-Krise Vom 1. Oktober 2020 bis zum 31. b) … um die Gesundheit ihrer Familie, 2) Inwieweit fühlten sich Ihres Erach Dezember 2020 hat sich die Bundes Freunde, Weggefährten in der Selbst tens Ihre Gruppenmitglieder in den ers geschäftsstelle mit einem Fragebo hilfegruppe? / 277 … um die Gesundheit Teilnehmende ihrer Familie, Freunde, ten Monaten der Krise einsam? / 284 Weggefährten in Selbsthilfegruppen … um die Gesundheit / 277 Teilnehmende (TN) ihrer Familie, Freunde, gen zu Corona-Belastungen und -Her Teilnehmende Weggefährten in Selbsthilfegruppen / 277 Teilnehmende (TN) ausforderungen an die Gruppenlei eher schon: ca. 76 % (211 TN) tungen des Kreuzbundes gewandt. eher nicht: ca. 24 % (66 TN) Inwieweit eher schon: fühlten ca.sich 49Ihres Erachtens % (140 TN)Ihre Gruppenmitglieder in den ersten Monaten der Krise einsam? Der Fragebogen orientiert sich an eher nicht: ca. 51 /284 Teilnehmende (TN) % (144 TN) eher schon (211 TN) den subjektiven Einschätzungen der insgesamt ca. 76% eher schon (211 TN) Gruppenleitungen. Es haben sich insgesamt ca. 76% eher nicht (66 TN) ca. 285 Gruppenleitungen beteiligt. eher schon (140 TN) insgesamt eher nicht ca. (6624% TN) insgesamt ca. 49% Selbstverständlich hat die Umfrage insgesamt ca. 24% keinen wissenschaftlichen Standard. eher nicht (144 TN) insgesamt ca. 51% Dennoch lassen sich deutliche Ten 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% denzen erkennen. Die Kommentare 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% unter den einzelnen Fragen entspre Kommentar: Etwas mehr als 2/3 der 0% 20% 60% 10% 30% 40% 50% chen zum einen subjektiven Interpre Gruppenbesucher*innen äußern sich nach tationen und speisen sich zum ande Einschätzung der Gruppenleitungen be- ren aus den schriftlichen Kommenta sorgt um die Gesundheit der Zugehörigen. Kommentar: Fast jeder Zweite fühlte sich ren einzelner Gruppenleitungen im In Zusammenschau der ersten beiden Fra- nach Einschätzung der Gruppenleitungen Rahmen der Umfrage. gen wird deutlich, dass die Sorgen um an- einsam. Es ist zu vermuten, dass das Gefühl dere etwas größer sind als die um sich der Einsamkeit bei Selbsthilfebesucher*innen Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen selbst. etwas größer ist als beim Durchschnitt der Gruppenleitungen für die Teilnahme! Bevölkerung. Schließlich gibt es gute Grün- c) … um ihre finanzielle Situation? / de für den Besuch einer Selbsthilfegruppe. 1) Inwieweit machen / machten sich 283 Teilnehmende Ihres Erachtens Ihre Gruppenmitglie 3.) Wie schätzen Sie Ihres Erachtens der im Zusammenhang mit der Coro …umschon: eher Ihre finanzielle ca. 28 Situation % (79/ 283 TN) Teilnehmende (TN) das seelische Wohlbefinden Ihrer …um Ihre finanzielle Situation / 283 Teilnehmende (TN) na-Krise Sorgen eher nicht: ca. 72 % (204 TN) Gruppenmitglieder seit Beginn der Co ronakrise ein? / 285 Teilnehmende a) … um die eigene Gesundheit? / 282 eher schon (79 TN) eher schon (79 TN) Teilnehmende (TN) insgesamt ca. 28% insgesamt ca. 28% eher schonSiebelastet: Wie schätzen ca. das Ihres Erachtens 55seelische % (157 TN) Wohlbefinden Ihrer Gruppenmitglieder eher seit Beginn nicht belastet: ca.der45 Corona-Krise % (128ein?TN) Inwieweit machen / machten sich Ihres Erachtens eher nicht (204 TN) / 284 Teilnehmende (TN) eher eher nicht (204 TN) Ihreschon: ca. 71 % Gruppenmitglieder im (201 TN) mit Zusammenhang insgesamt ca. 72% insgesamt ca. 72% der Corona-Krise Sorgen eher nicht: ca. 29 % (81 TN) ... um die eigene Gesundheit / 282 Teilnehmende (TN) 0% 0% 10% 10% 20% 20% 30% 30% 40% 40% 50% 50% 60% 60% 70% 70% 80% 80% eher schon belastet (157 TN) insgesamt ca. 55% eher nicht belastet (128 TN) eher schon (201 TN) Kommentar: Ca. 2/3 der Gruppenbesucher insgesamt ca. 45% insgesamt ca. 71% *innen machen sich nach Einschätzung der eher nicht (81 TN) Gruppenleitungen tendenziell weniger Sor- insgesamt ca. 29% gen um ihre finanzielle Situation. Der Al- 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% tersdurchschnitt der Gruppenbesucher*in 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% nen ist eher höher; viele sind berentet, so Kommentar: Nach Einschätzung der Grup- dass die materielle Situation durch die Krise penleitungen fühlt sich etwas mehr als jeder weniger berührt zu sein scheint als dies bei Zweite in seinem Befinden eher belastet. Kommentar: Ca. 2/3 der Selbsthilfegrup- jüngeren Menschen der Fall ist. Jüngere Auch hier zeigt sich m.E., dass Menschen, pen-Besucher*innen machen sich nach Ein- Gruppenmitglieder machen sich diesbezüg- die in einer Selbsthilfegruppe zusammen- schätzung der Gruppenleitungen Sorgen lich eher Sorgen. Dies wird auch aus den kommen, einen vergleichsweise höheren um die eigene Gesundheit. Ca. 1/3 ist eher Rückmeldungen der Gruppenleitungen bei Belastungsgrad als die Durchschnittsbevöl- weniger besorgt. den Kommentaren zur Befragung deutlich. kerung haben. Wer sich mit Gleichgesinn- 2 WEGGEFÄHRTE 2/2021
AUS DEM BUNDESVERBAND Haben mit den Lockerungen der Kontaktbeschränkungen alle Haben mit den Lockerungen Gruppenmitglieder derGruppe wieder zur Kontaktbeschränkungen gefunden? alle Gruppenmitglieder / 279 Teilnehmendewieder (TN) zur Gruppe gefunden? / 279 Teilnehmende (TN) ten in einer Gruppe trifft, möchte etwas in Kommentar: Ca. 2/3 der Gruppenleitun- seinem Leben verändern. Besonders in Co- gen waren im telefonischem Kontakt mit Ja (192 TN) 69% rona-Zeiten ist die Gruppe ein wichtiger den Gruppenmitgliedern. Die Anzahl der Ja (192 TN) 69% Halt für Suchtkranke und Angehörige. digitalen Kontakte (z.B. WhatsApp, Jitsi, Nein (87 TN) 31% Nein (87 TN) 31% Zoom u.a) liegt geringfügig darunter. Vor 4. Gab es ein vermehrtes Aufkommen dem Hintergrund des höheren Durch- an Rückfällen in Ihrer Gruppe seit schnittsalters vieler Gruppenleitungen ist 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% Beginn der Coronakrise? / 283 Teilneh- dies eine beeindruckend hohe Anzahl. Etli- 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% mende che Regionalverbände und Gruppen haben die Corona-Krise zum Anlass genommen, 7. Gibt es Neuzugänge, nach den Lo Gab es ein vermehrtes Aufkommen an Rückfällen in Ihrer Gruppe Ja:seit Beginn 23 % (66 TN) der Corona-Krise? / 283 Teilnehmende (TN) digital „aufzurüsten“ und sich mit entspre- ckerungen der Kontaktbeschränkun Nein: 77 % (217 TN) chender Technik ausgestattet. Einige Grup- gen? / 285 Teilnehmende penleitungen berichten, dass die regelmä- ßigen digitalen Gruppentreffen besser ge- Ja: 47 % (134 TN) Gibt es Neuzugänge, nach den Lockerungen der Ja (66 TN) 23% nutzt werden als die analogen und einge- Nein: 53 % (151/ 285 TN) Kontaktbeschränkungen? Teilnehmende (TN) schränkten Gruppentreffen vor Ort. Viele Nein (217 TN) 77% erleben die digitalen Möglichkeiten als sehr hilfreich. Gleichwohl könne dieser Ersatz Ja (134 TN) 47% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% die leibhaftigen Gruppentreffen nicht er Nein (151 TN) 53% setzen. Kommentar: Fast ein Viertel der Gruppenlei- tungen schätzt die Zahl der Rückfälligen c) … vor allem von Angesicht zu Ange 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% während der Corona-Krise höher als üblich sicht, z.B. Spaziergänge mit Einzelper ein. Einige Gruppenleitungen berichten von sonen Rückfällen bei den Neuzugängen in der Kommentar: Die Corona-Erfordernisse und Gruppe. eher schon: ca. 21 % (32 TN) -einschränkungen bei Gruppentreffen (Tei- eher nicht: ca. 79 % (206 …vor allem von Angesicht zu Angesicht, TN) lung der Gruppen, Anmeldung, hoher Hygi- 5. Sind Sie während der Kontaktein z. B. Spaziergänge mit Einzelpersonen / 256 Teilnehmende (TN)eneaufwand u.a.) haben bei einigen Grup- schränkungen in Kontakt mit Ihren pen zu einer größeren Verbindlichkeit der Gruppenmitgliedern gewesen? Gruppenmitglieder untereinander geführt. eher schon (32 TN) insgesamt ca. 21% Andere hingegen beklagen, dass der Grup- a) … vor allem telefonisch eher nicht (206 TN) penzusammenhalt abgenommen hat bzw. insgesamt ca. 79% insbesondere ältere Gruppenmitglieder aus Sind Sie eher währendca. schon: der Kontakteinschränkungen 68 % (182 TN) in Kontakt Angst vor Ansteckung eher wegbleiben. Die Sind Sie während der Kontakteinschränkungen in Kontakt mit Ihren Gruppenmitgliedern gewesen? / 287 Teilnehmende (TN) mit Ihren Gruppenmitgliedern gewesen? / 287 Teilnehmende (TN) eher nicht: ca. 32 % (88 TN) … vor allem telefonisch / 270 Teilnehmende (TN) 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% strengen Hygieneregeln führten zum Teil … vor allem telefonisch / 270 Teilnehmende (TN) auch zum Gruppenverzicht. eher schon (182 TN) Von den Antworten der Gruppenleitun- eher schon (182 TN) insgesamt ca. 68% insgesamt ca. 68% Kommentar: Die weitaus meisten Gruppen- gen kann man nicht auf die Anzahl der eher nicht (88 TN) eher nicht (88 TN) leitungen haben die Möglichkeit, sich von coronabedingten Mitgliederverluste und insgesamt ca. 32% insgesamt ca. 32% Angesicht zu Angesicht mit einzelnen Grup- –zugänge schließen! penmitgliedern zu treffen, eher nicht ge- 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% nutzt. Dies kann man angesichts der Grup- 80% Ein Blick auf die Zahlen der Mitgliederver- 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% pengrößen auch nicht erwarten. Bleibt zu waltung in der Bundesgeschäftsstelle hoffen, dass ein guter Gruppenzusammen- lässt allerdings vermuten, dass es eine hö- b) … vor allem über digitale Netzwerke halt vor der Corona-Zeit die Gruppenbesu here Anzahl an Mitgliederverlusten als an cher*innen motiviert hat, sich untereinan- Neuzugängen gibt. Dies entspricht den eher schon: … vor allem ca. 64Netzwerke über digitale % (164 TN) / 256 Teilnehmende (TN) der zu zweit in sicheren Kontexten mitein- Einschätzungen mancher Gruppenleitun- … vor allem eher nicht:über digitale ca. 36Netzwerke % (92 /TN) 256 Teilnehmende (TN) ander zu verabreden. gen, die berichten, dass die Kontinuität der Gruppenbesuche – mitunter auch zu- eher schon (164 TN) 6. Haben mit den Lockerungen der gunsten anderer Aktivitäten – etwas ab- eher schon (164 insgesamt TN) ca. 64% insgesamt ca. 64% Kontaktbeschränkungen alle Gruppen genommen hat. eher nicht (92 TN) mitglieder wieder zur Gruppe gefun eher nicht ca. insgesamt (9236% TN) insgesamt ca. 36% den? / 279 Teilnehmende Für Rückfragen können Sie sich gerne an Marianne Holthaus, Suchtreferentin 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% Ja: 70% 69 % (192 TN ) in der Bundesgeschäftsstelle, wenden: 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% Nein: 70% 31 % (87 TN) holthaus@kreuzbund.de WEGGEFÄHRTE 2/2021 3
AUS DEM BUNDESVERBAND Rückblick und Ausblick zum Kreuzbund-Chat Im Jahr 2020 haben 202 Chats stattge- funden, 765 Menschen haben daran teil- ID genommen (ohne die jeweiligen Chat- Datum 160 Beginn Dauer Kreuzbund Chat 2020 MOD / Co-MOD Anzahl Themen TN / Anmerkungen 43 Moderatoren). Die meisten Personen wa- 140 ren wiederholt dabei, manche sogar fast 98 120 Teilnehmende täglich. Die Zahl der Besucher*innen je 182 100 Chat reichen von null bis zehn – im Durch- 204 80 schnitt waren es vier Besucher*innen, dar- 60 156 unter auch User*innen aus dem Ausland. 40 104 20 18 Viele Teilnehmende haben erstmalig 0 805 Kontakt zur Sucht-Selbsthilfe aufgenom- Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sept Okt Nov Dez men, darunter auch viele jüngere Sucht- Monat kranke und Angehörige im Alter von bis zu 40 Jahren. In Corona-Lockdown-Pha- Die Zahl der Teilnehmenden ist ermutigend: Der Startphase und dem 1. Corona-Lockdown folgte eine Die Zahlen der Sommerflaute. MitTeilnehmenden dem 2. Lockdownsind und ermutigend: Der Startphase der Winterzeit stiegen und dem 1. die Teilnahme-Zahlen Corona-Lockdown wieder an. fol sen stieg die Zahl der User*innen an. Mit dem 2. Lockdown und der Winterzeit steigen die Teilnahme-Zahlen wieder an. Der Kreuzbund-Chat ist seit April 2020 auf der Plattform der Caritas-Online-Bera- Kreuzbund Chat 2020 tung aktiv: www.kreuzbund.de/chat . Er 250 ist für alle Weggefährtinnen und Wegge- fährten im Kreuzbund sowie für erste Kon- 200 takte von Menschen mit Suchtproblemen Teilnehmende gedacht – alle sind willkommen! 150 Das Angebot gewährleisten derzeit 100 zehn Moderatorinnen und Moderatoren, in der Kreuzbund-Selbsthilfe erfahrene 50 Frauen und Männer. Drei von ihnen bil- 0 den die Steuerungsgruppe, deren Aufga- So Mo Di Mi Do Fr Sa be es ist, das Chat-Angebot zu koordinie- Wochentag ren und sich als Ansprechpersonen für den Der Kreuzbund-Chat wurde 2020 zur Wochenmitte hin am stärksten genutzt, um das Wochenende Kreuzbund-Chat anzubieten. (Die Mode- herum nahm die Teilnahme ab. ratorinnen und Moderatoren stellen sich auf www.kreuzbund.de persönlich vor.) Der Kreuzbund-Chat wurde 2020 zur Wochenmitte hin am stärksten genutzt, um das Wochenende heru keit, Schulden, Trauer, Beruf, Gewalt, Für Fragen und Anregungen stehen zur Die Chat-Zeiten waren 2020: montags Selbsttötung, Sexualität etc. Verfügung: bis freitags sowie sonntags alle 14 Tage von 19 bis 20 Uhr; donnerstags zusätzlich Ausblick auf 2021: Für Kreuzbund- Steuerungsgruppe: 11 bis 12 Uhr. Der Chat am Donnerstag- Gruppen besteht das Angebot, eigene Roland Männer, vorsitzender@kreuzbund- abend war Angehörigen vorbehalten. An Chat-Räume zu bekommen. Voraussicht- dv-rottenburg.de Weihnachten und Silvester gab es beson- lich in diesem Jahr wird der reine Text- Joachim Heine, jheine@gmx.de dere Chat-Angebote. Chat durch ein Video-Chat-Tool auf Jitsi- meet-Basis ergänzt werden. Seit dem 7. Marie Bischoff, bischoffmarie@outlook.de Das Themenspektrum entspricht dem Februar 2021 wird zusätzlich zu den be- Michael Tremmel, Referent, der Präsenz-Gruppen in der Sucht-Selbst- kannten Chat-Zeiten sonntags in der Zeit Kreuzbund e.V. Bundesverband, hilfe: Betroffene/Angehörige; alle Sucht- von 16 bis 17 Uhr ein Chat für junge und tremmel@kreuzbund.de formen; alle Aspekte der Abstinenz als Pro- junggebliebene Suchtkranke/Angehörige zess; Rückfall; alle Aspekte der Lebenswelt angeboten (Junger Kreuzbund). Wer sich Marianne Holthaus, Referentin, mit ihren Stressoren und Ressourcen, wie für die Chat-Moderation interessiert, mel- Kreuzbund e.V. Bundesverband, z.B. Partnerschaft/Beziehungen, Einsam- de sich gern! holthaus@kreuzbund.de 4 WEGGEFÄHRTE 2/2021
AUS DEM BUNDESVERBAND Junger Kreuzbund-Chat M ein Name ist Reinhard Petz, ich ge- höre zum Team der Moderatoren im Kreuzbund-Chat. Durch meine Alko- und Bekannte in der Altersgruppe gehen feiern, und wir müssen zu Hause blei- ben… Fortan trafen wir uns jeweils am holkrankheit lernte ich vor vielen Jahren Sonntag zur Selbsthilfegruppe. den Kreuzbund kennen und schätzen. Für mich persönlich gilt: Ohne Kreuz- Dieser Gedanke wird jetzt vom Kreuz- bund geht es nicht. Mit der Zeit entwi- bund-Bundesverband übernommen. In ckelte sich der Kreuzbund auch mehr und der Sitzung der Steuerungsgruppe und mehr zu meinem Hobby. Viele Aufgaben der Moderatoren des Kreuzbund-Chats habe ich seitdem kennengelernt und am 23. Januar 2021 verfestigte sich die übernommen. Idee, auch für junge Suchtkranke einen Chat anzubieten. Im Diözesanverband Aachen, genauer Reinhard Petz im Kreis Heinsberg, war ich jederzeit im Der Kreuzbund-Chat ist eine große Kreuzbund willkommen. Dafür bin ich SFZ (Selbsthilfe- & Freiwilligen-Zentrum Hilfe, um Hemmschwellen überwinden sehr dankbar, denn mir wurde dadurch im Kreis Heinsberg) und der Caritas-Bera- zu können. Jeder von uns erinnert sich, geholfen, eine zufriedene abstinente Le- tungsstelle, die uns die Räumlichkeiten wie schwer es war, die Tür zur Gruppe bensweise aufzubauen. zur Verfügung stellte, beantragten wir ein das erste Mal zu durchschreiten. Auch Jahr später unseren Gruppenstatus. Wir heute gibt es das Schamgefühl immer In meiner letzten Entgiftung im Jahr stellten uns die Frage: Weshalb sollen jun- noch. Durch unseren Kreuzbund-Chat 2014 lernte ich eine junge Frau kennen, ge Suchtkranke gleichfalls unseren lan- haben nun Menschen eine erste (anony- mit der ich ins Gespräch kam. Beide hat- gen Weg gehen müssen? me) Tür, um zum ersten Mal Kreuzbund- ten wir den gleichen Gedanken, eine Gruppen-Luft zu schnuppern. Hier kön- Selbsthilfegruppe für jüngere Suchtkran- Damals fragten wir im Gesprächskreis, nen Hemmungen fallen und den Weg in ke zu besuchen, denn für junge Sucht- der überwiegend von Frauen und allein- eine Präsenz-Gruppe ebnen. kranke gibt es zu wenig Angebote. erziehenden Müttern besucht wurde, wann denn die beste Zeit für ein Grup- Aus diesen Gründen findet nun seit Vier Jahre später eröffneten wir beide penangebot sei. Hier kamen wir schnell dem 7. Februar 2021 wöchentlich ein den Gesprächskreis „Phönix“ für junge zu der Antwort, dass es am Wochenende Kreuzbund-Chat für junge Suchtkranke Suchtkranke in Hückelhoven. Dank des emotional am schwersten ist. Freunde statt, und zwar jeden Sonntag von 16 bis 17 Uhr. Eingeladen sind alle Suchtkran- ken und Angehörigen, die jung sind oder sich jung fühlen. An dieser Stelle noch eine Bitte an un- sere Kreuzbündler: Helft bitte mit in den Chats, den neuen Besuchern den Schritt zu einer realen Gruppe so leicht wie mög- lich zu machen. Es gibt leider gegen die Sucht keine Impfung und auch kein Me- dikament, das Suchtkranke gesunden lässt. Sucht ist und bleibt eine tödliche Erkrankung. Ist es nicht unsere Aufgabe, denen die Hand zu reichen, die sich gleichfalls nach einem Leben in Zufrie- denheit sehnen? Und zwar nach dem Motto: Gemein- sam Sucht überwinden. Reinhard Petz (54), Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit im DV Aachen Junger Kreuzbund Hückelhoven WEGGEFÄHRTE 2/2021 5
Nr.2/2021 April/Mai/Juni 2021 ISSN 1611-7565 VKZ 21196 IM BLICKPUNKT Sensibel für andere Denk- und Verhaltensweisen elb st)hilfe -(S M enschen mit Migrationshinter- grund stellen inzwischen fast 25 Prozent der Bevölkerung dar, es gibt Sucht un d M igrati on allerdings bisher nur wenig verlässliche Daten, wie viele von einer Suchterkran- kung betroffen sind und wie gut sie von Suchthilfeeinrichtungen erreicht Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft für Suchtkranke und Angehörige werden. Untersuchungen verweisen 00_Umschlag_2_2021.indd 1 09.03.21 09:07 darauf, dass Menschen mit Migrations- hintergrund in Suchthilfeeinrichtungen eher unterrepräsentiert sind. Gunhild Werte, Normen, gesellschaftliche Struk- Ahmann hat sich mit Dr. Daniela Ruf, turen und persönliche Erfahrungen spie- Dr. Daniela Ruf Referentin für Sucht-Selbsthilfe und len eine wichtige Rolle bei Vorstellungen IM Suchthilfe im Referat Teilhabe von Krankheit und Gesundheit – und und Gesundheit im Deutschen Grundsätzlich ist zu beachten, dass auch beim Umgang mit dem Thema Caritasverband (DCV), darü- Menschen mit Migrationshintergrund kei- Sucht. Diese Lebensbereiche werden in BL ber unterhalten, wie die Ver- ne homogene Gruppe sind. Und es macht anderen Kulturen meist innerhalb der Fa- ICKPUN sorgungssituation verbessert natürlich auch einen Unterschied, ob ich milie geklärt und möglichst nicht nach werden kann. hier geboren bin oder seit 30 Jahren in außen getragen. In ihren nachbarschaftli- Deutschland lebe und die Sprache spre- chen Netzwerken oder Migrantenselbst- WEGGEFÄHRTE: Viele Einrich- che – oder ob ich aus einem Bürgerkriegs- organisationen spielen gesundheitliche KT tungen der Suchthilfe haben land stamme und auf einem langen ge- Themen meist eher eine untergeordnete in den 90er-Jahren in der Folge des fährlichen Fluchtweg erst vor kurzem nach Rolle. Jugoslawienkrieges und durch den Zu- Deutschland gekommen bin. zug vieler Spätaus siedler*innen spezielle Menschen aus islamischen Ländern Angebote für Menschen mit Migrations- Durch die Flüchtlingskrise hat das The- sind damit vertraut, dass Alkohol in ihrem hintergrund entwickelt. Was hat sich seit- ma also noch eine weitere Dimension er- Herkunftsland verboten ist, hier ist er da- dem geändert? Reichen diese Angebote halten. Die Geflüchteten sind unter ande- gegen überall leicht verfügbar. Bei Can- noch aus? ren Umständen gekommen. Im Gegen- nabis ist es genau umgekehrt. Opioide satz zu den russischen Spätaussiedler* sind in anderen Ländern teilweise sehr Dr. Daniela Ruf: Es war tatsächlich so, dass innen stammen viele von ihnen aus islami- einfach zugänglich. Es besteht eine ande- aufgrund des hohen Bedarfs spezielle An- schen Ländern. Viele Geflüchtete sind jun- re Verschreibungspraxis als in Deutsch- gebote für Menschen mit Migrationshin- ge Männer im Alter von 18 bis 25 Jahren, land. Sie werden daher als Medikation tergrund entstanden. In Suchtberatungs- eine ohnehin vulnerable (verletzliche / ge- gesehen und nicht mit Sucht assoziiert. stellen, psychiatrischen Ambulanzen und fährdete) Gruppe für Suchtmittelmiss- Teilweise versuchen Geflüchtete natürlich Suchtkliniken wurden teilweise Mitarbei- brauch. Teilweise sind Geflüchtete trau- auch, traumatische Erlebnisse mit Sucht- tende mit Migrationshintergrund und matisiert, ihr Aufenthaltsstatus ist nicht mittelkonsum zu bewältigen. fremdsprachlichen Kenntnissen einge- geklärt, die Zukunftsperspektive unsicher. stellt, und einige Fachkliniken boten mut- Außerdem haben sie Langeweile in den Menschen mit Migrationshintergrund tersprachliche Therapiegruppen an. Darü- Flüchtlingsunterkünften, ihnen fehlen eine sehen Erkrankungen oft als Schicksal oder ber hinaus wurden Infomaterialien in ver- Beschäftigung und eine Tagesstruktur. als Strafe Gottes. Sie sehen auch Sucht schiedenen Sprachen entwickelt. Teilwei- Häufig stehen nicht Suchtprobleme, son- meist nicht als Krankheit, sie kennen un- se gab und gibt es Kooperationen dern zunächst Alltagsschwierigkeiten und ser bio-psycho-soziales Erklärungsmodell zwischen Suchtberatern und mutter- deren Bewältigung im Vordergrund. nicht und sind eher somatisch orientiert sprachlichen Ärzten, Vereinen, Kulturge- – psychische Beschwerden werden kör- meinschaften und Missionen. Aber diese Wie beeinflusst ein anderer kultureller perlich ausgedrückt, z.B. über Schmerz- Angebote reichten weder damals noch Hintergrund das Verständnis von einer äußerungen. Sucht ist auch oft mit Wil- heute. Suchterkrankung? lensschwäche assoziiert und ist in den 6 WEGGEFÄHRTE 2/2021
S U C H T- ( S E L B S T ) H I L F E U N D M I G R A T I O N Herkunftsländern noch stärker stigmati- Gibt es in Bezug auf die Suchtgefährdung negativ beurteilt, denn Menschen, die siert als bei uns. Sucht gilt als selbst ver- Unterschiede zwischen geflüchteten Män- genug Geld haben, können sich aus ihrer schuldet und Verletzung der Ehre der Fa- nern und Frauen? Sicht doch professionelle Hilfe leisten. milie. Selbsthilfe wird als nicht hilfreich oder Die Unterschiede sind nicht migrations- gar „Kaffeekränzchen“ wahrgenommen. Erkrankungen werden oft als von au- spezifisch. Wie auch bei uns konsumieren Unter diesen Voraussetzungen hat es die ßen kommend betrachtet, daher erwar- geflüchtete Frauen eher Medikamente, Selbsthilfe natürlich schwer. Es muss im tet man auch Hilfe von außen, statt selbst sie haben häufig Gewalterfahrungen ge- Grunde erst erklärt werden, was Selbst- Verantwortung zu übernehmen; es wird macht, die sie durch Medikamente ver- hilfe überhaupt ist und welche wertvolle nicht angenommen, dass das eigene Ver- drängen wollen. Unterstützung sie bieten kann. Wobei es halten Einfluss hat, Selbstheilungskräfte Menschen aus anderen Kulturen teilwei- werden seltener wahrgenommen. Autori- Männer konsumieren eher Alkohol. se auch sehr schwer fällt, mit anderen, täten wie Ärzte oder auch Geistliche, teil- Bei Geflüchteten treten am häufigsten und dann auch noch außerhalb der Fa- weise auch Heiler, haben für sie eine gro- Probleme mit Cannabis und Opiaten auf, milie, über ihre Probleme und Gefühle zu ße Bedeutung, was auch respektiert wer- und gerade bei Jüngeren sind auch Wet- sprechen. den sollte. ten, Automaten- bzw. Glücksspielsucht ein Problem. Grundsätzlich ist gegenseitige Unter- Sind Menschen mit Migrationshinter- stützung z.B. im türkischen und ara grund stärker suchtgefährdet? Hängt die An Männer wird in patriarchalisch aus- bischen Raum allerdings oft stärker ver Suchterkrankung mit den schwierigen Le- gerichteten Gesellschaften der Anspruch ankert als in unserer Gesellschaft, bei- bensumständen zusammen, also mit feh- gestellt, dass sie ihre Familie zu versorgen spielsweise ist Nachbarschaftshilfe weit lenden Zukunftsperspektiven und man- haben. Sie leiden besonders darunter, verbreitet, und es gibt Migranten- gelnder Integration? dass das hier schwierig ist, sie diese Rolle selbstorganisationen, aber eben nicht mehr erfüllen können und sich nicht zu den Themen Gesundheit KT ICKPUN Es gibt für die Entwicklung einer Suchter- nicht „als Mann beweisen können“. und Sucht. Der Einstieg in das krankung nicht nur einen Grund, es spie- Thema Sucht sollte also über len immer verschiedene Faktoren eine Warum kommen suchtkranke Menschen ein anderes Thema versucht Rolle. Und bei Menschen mit Migrations- mit Migrationshintergrund nur selten in werden. Daran könnte die hintergrund bzw. Geflüchteten kommen der Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe an? Selbsthilfe dann anknüpfen, L Faktoren wie die Migrations- und Flucht um ihr Angebot bekannt zu B erfahrung dazu: Sie haben alles zurückge- Das hat verschiedene Gründe: Sie kennen machen. IM lassen, kennen hier niemanden, sprechen unser Gesundheits- und Hilfesystem zu die Sprache nicht, fühlen sich fremd und wenig. Hier brauchen wir mehr mutter- Weiterhin erschwerend ist, wenn werden teilweise ausgegrenzt. Oft sind sprachliche Information, Aufklärung und es keinen Anspruch auf Behandlung gibt ihre Wohnverhältnisse prekär oder es gibt niedrigschwellige Zugänge, weg von der und Bewilligungen fehlen oder der Auf- finanzielle Probleme. Komm-Struktur, hin zu aufsuchenden An- enthaltsstatus ungeklärt ist. geboten. Um sie zu erreichen, sollten Gerade bei Geflüchteten kommen u.a. Orte aufgesucht werden, an denen sie Was können die professionelle Suchthilfe auch traumatische Erfahrungen im Her- sind, z. B. Sprachkurse, Elternabende, Mi- und die Sucht-Selbsthilfe tun, um Men- kunftsland oder auf der Flucht dazu. All grantenselbstorganisationen, Flüchtlings- schen mit Migrationshintergrund besser das kann das Risiko für eine Suchterkran- unterkünfte u. Ä. zu erreichen? Welchen Unterstützungsbe- kung erhöhen, der Konsum von Sucht- darf haben sie? mitteln wird Teil einer Bewältigungsstra- Außerdem haben sie häufig keine gu- tegie. ten Erfahrungen mit Institutionen ge- Grundsätzlich ist es auch hier wichtig zu macht, stehen ihnen also skeptisch bis differenzieren. Wenn ausreichend gute Grundsätzlich gilt, dass Menschen teil- ablehnend gegenüber. Dazu kommen Deutschkenntnisse vorhanden sind, sollte weise schon in ihrem Herkunftsland unter Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede, eine Integration in bestehende Angebote Suchtproblemen leiden und andere sie Scham und Angst spielen auch eine Rolle; angestrebt werden. Wo dies an Grenzen während der Flucht oder erst hier entwi- Hilfesuchen wird als Schwäche angese- stößt, sollten spezifische bzw. mutter- ckeln. Vor allem Menschen aus musli- hen. Manchmal fehlt auch die entspre- sprachliche Angebote gemacht werden misch geprägten Ländern entdecken den chende Mobilität, um Angebote wahr- in Beratung, Behandlung und Selbsthilfe. Alkohol oft erst in Deutschland. Vielen nehmen zu können. geflüchteten Menschen fehlt auch das Dabei ist es zunächst wichtig, dass die Problembewusstsein; sie bringen den Selbsthilfe ist ihnen oft fremd, zumin- Angebote den Menschen überhaupt be- Konsum von Suchtmitteln nicht mit einer dest in der Weise, wie wir sie kennen, in kannt werden, hier spielt oft Mund-zu- Gesundheitsschädigung und einer mögli- einigen Sprachen gibt es nicht einmal ei- Mund Propaganda eine wichtige Rolle, chen Abhängigkeit in Verbindung. nen Begriff dafür. Teilweise wird sie auch d.h. man sollte mit Multiplikatoren aus WEGGEFÄHRTE 2/2021 7
IM BLICKPUNKT den Migranten-Communities (key per- auch für die Helfenden eine große Berei- fällt ihnen leichter, als direkt in einer Run- sons), Kulturvereinen, Gemeinden und cherung sein. de über persönliche Dinge zu sprechen. Migrantenselbstorganisationen zusam- menarbeiten und dort die Angebote be- Die Mitarbeitenden in den Suchthilfe- Betroffene Menschen mit Migrations- kannt machen. Offenheit, Toleranz, erleb- Einrichtungen und Selbsthilfe-Gruppen hintergrund können als Multiplikatoren bare Willkommenskultur oder auch Klei- brauchen Unterstützung, um Menschen wirken und in ihrem Umfeld auf Selbsthil- nigkeiten wie „Wegweiser“ in verschiede- mit Migrationshintergrund erreichen und feangebote aufmerksam machen oder nen Sprachen sind wichtig, um Menschen verstehen zu können. Es braucht kosten- eine Gruppenleitung übernehmen. Viel- den Zugang zu Hilfeangeboten zu er- freie Zugangsmöglichkeiten zu Sprach- leicht können auch neue Formate auspro- leichtern. Wichtig ist auch, ein Verständ- und Kulturmittlern, Fortbildungen zu in- biert werden, z.B. durch Gastgeber mo- nis davon zu vermitteln, wie Suchthilfe terkultureller Kompetenz, Austausch und derierte kleine Gesprächsrunden in ver- und Sucht-Selbsthilfe in Deutschland Kooperationsmöglichkeiten. Dabei ist schiedenen Sprachen zu Familie, Ge- funktionieren. Oft spielt die Familie in an- eine enge und gute Zusammenarbeit von sundheit und Integration. deren Kulturen eine sehr zentrale Rolle beruflicher Suchthilfe und Sucht-Selbst- und sollte einbezogen werden. hilfe sehr hilfreich. Auch der Lotsenansatz bzw. Patenschaf- ten könnten sehr vielversprechend sein, Mitarbeitende mit Migrationshinter- Wenn Geflüchtete in einer Gruppe weil ein 1:1 Kontakt den Weg in das Hilfe- grund in Suchtberatungsstellen, Kliniken sind, sollten sie vor allem dabei begleitet system oder eine Gruppe erleichtern kann. und Selbsthilfe sind wünschenswert, aber werden, in Deutschland Fuß zu fassen. in erster Linie brauchen wir Menschen Hilfe im Alltag steht im Vordergrund. Es Online-Angebote, die von überall ge- mit Offenheit und interkultureller Kom- geht also nicht vordringlich und aus- nutzt werden können, sollten vermehrt petenz – denn wie Menschen mit schließlich um das Thema Sucht, sondern entwickelt werden. Oft gibt es nicht ge- IM Migrationshintergrund das Thema um Alltagsbewältigung. nug Menschen mit demselben Hinter- Sucht sehen, welche Behand- grund für eine Selbsthilfegruppe vor Ort lungsansätze sie kennen und Außerdem ist bei Selbsthilfegruppen oder keine Sprachkompetenzen für eine BL welche Erwartungen sie ha- zu beachten, dass Männer und Frauen Beratung – hier könnten muttersprachli- ICKPUN ben, kann man sich erzählen nicht in allen Kulturen zusammen in einer che Online-Beratung oder auch Selbsthil- lassen. Häufig sind es nur klei- Gruppe sein können. Es sollte auch flexi- fe-Chats eine wichtige Hilfe sein. ne Gesten, die uns nicht be- bel nach Lösungen gesucht werden, wusst sind, aber ganz unter- wenn beispielsweise Kinderbetreuung Weitere Informationen: KT schiedlich gedeutet werden und fehlt oder gerade andere Anliegen, wie Dr. Daniela Ruf zu Missverständnissen führen kön- Behördengänge im Vordergrund stehen. Referat Teilhabe und Gesundheit nen. Die berufliche Suchthilfe und Beachtet werden sollte auch, dass in an- Deutscher Caritasverband e.V. die Sucht-Selbsthilfe sollten sensibler deren Kulturen oft eher ein Zeitraum zum Karlstr. 40, 79104 Freiburg werden für kulturelle Unterschiede und Ankommen bei einem Termin als eine fes- Tel. 0761 / 200-369 die Bedürfnisse von Menschen mit Mig- te Uhrzeit üblich ist. Gemeinsames Essen E-Mail: daniela.ruf@caritas.de https:// rationshintergrund – die Begegnung mit oder gemeinsam etwas zu tun, nähen, www.caritas.de/fuerprofis/fachthemen/ Menschen aus anderen Kulturen kann Walken, … und nebenher zu sprechen, sucht/migration-und-sucht Akzeptanz und Vertrauen sind der einzige Weg G osia Kubinski kam im Alter von 21 Jahren von Polen nach Deutsch- land, hat also einen Migrationshinter- len. Gunhild Ahmann hat sich mit ihr über ihre Erfahrungen mit suchtkran- ken Menschen aus anderen Ländern Gosia Kubinski: Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass die sogenannten Deutsch-Russen, die vor allem in den grund. Als Suchtreferentin beim SKM unterhalten. 1990er Jahren nach Deutschland gekom- Köln – Sozialdienst Katholischer Män- men sind, besonders suchtgefährdet ner e.V. - arbeitet sie im Reha-Zentrum WEGGEFÄHRTE: Welche Menschen mit Mi- sind. Hier machen sich die kulturellen Un- Lindenthal, einer Einrichtung für sucht- grationshintergrund sind besonders sucht- terschiede besonders bemerkbar: Sie ler- kranke Menschen, die eine Entwöh- gefährdet – in Bezug auf ihre Herkunfts- nen schon als Kinder, dass Alkoholkon- nungsbehandlung abgeschlossen ha- länder, ihre Kultur und Religion? sum zum Alltag gehört, und solange man ben und ohne Suchtmittel leben wol- noch arbeiten kann und sonstigen Pflich- 8 WEGGEFÄHRTE 2/2021
S U C H T- ( S E L B S T ) H I L F E U N D M I G R A T I O N ten nachgehen kann, sehen sie keinen Können suchtkranke Menschen mit Mig- Handlungsbedarf. Diese Strategie der rationshintergrund in den bestehenden Verharmlosung ist bei den Deutsch-Rus- Suchthilfeeinrichtungen aufgefangen sen weit verbreitet. werden? Was ist dabei zu beachten? Geflüchtete Menschen aus Syrien ha- Es beginnt immer damit zu informieren, ben dagegen in ihrem Heimatland kaum eine wichtige Voraussetzung für eine ge- Berührungspunkte mit Alkohol. In afrika- lungene Integration. Und Integration be- nischen Ländern ist THC-Gebrauch weit deutet nicht, die eigene Kultur aufzuge- verbreitet. Ich habe einen jungen Afrika- ben und kulturelle Unterschiede zu igno- ner kennen gelernt, der in Deutschland rieren. Es braucht viel Verständnis und auf Heroin umgestiegen ist. Er war er- Toleranz auf beiden Seiten, die jeweils staunt darüber, wie einfach er sich die Gosia Kubinski andere Kultur nicht zu bewerten und zu Droge besorgen konnte. Er fand das verurteilen, sondern einfach die Unter- spannend und cool und hat die Gefahr schiede zu akzeptieren. unterschätzt, wie schnell Heroin abhän- allen Bevölkerungsgruppen. Geflüchtete gig machen kann. Das deutsche Rechts- Menschen müssen sich enorm anstren- Was ist darüber hinaus notwendig, um system, in dem der Konsum von illegalen gen, um die Unterschiede in fast allen Menschen mit Migrationshintergrund vor Drogen unter bestimmten Bedingungen Lebensbereichen zwischen ihrem Her- psychischen Krankheiten zu bewahren? straffrei bleibt, aber nicht der Kauf, war kunftsland und Deutschland zu verstehen Welchen Unterstützungsbedarf haben für ihn nicht nachvollziehbar. Das ist auch und zu bewältigen. Natürlich haben auch sie? aus meiner Sicht widersprüchlich und Menschen mit Migrationshintergrund nicht konsequent. Kräfte und Fähigkeiten, genau wie alle Jede Flucht hat eine Vorgeschichte. Menschen, aber es fehlen ihnen häufig In vielen Ländern ist es sogar ver- KT ICKPUN Wie viele geflüchtete Menschen konsumie- die Möglichkeiten und die Unterstüt- boten und strafbar zu flüchten. ren Suchtmittel bereits in ihren Herkunfts- zung. Ihre Lebensumstände sind schwie- Viele geflüchtete Menschen ländern? Wie wirken sich ungünstige Le- rig, z.B. in Bezug auf ihre Bleibeperspekti- haben während ihrer Flucht bensumstände in Deutschland aus? ve und ihre Wohnsituation. Traumatisches erlebt. Um die- se Belastungen zu verdrängen, L Vor allem für junge Männer zwischen 20 Wie können suchtkranke Menschen mit greifen sie unter Umständen zu B und 30 Jahren wirkt sich das Arbeitsver- Migrationshintergrund vom Hilfesystem Suchtmitteln. Das ist für sie IM bot sehr negativ aus. Sie werden in den erreicht werden? Was ist zu tun? deutlich einfacher, als mit jeman- Flüchtlingseinrichtungen zwar versorgt, dem darüber zu sprechen. aber haben kaum Möglichkeiten, sich Je niedrigschwelliger die Hilfeangebote sinnvoll zu beschäftigen. Für ihre berufli- sind, umso mehr Menschen werden er- Manchmal ist es aber auch umge- che und soziale Integration wird zu we- reicht. Aber das bestehende Angebot von kehrt, d.h. aufgrund von Drogenkonsum nig getan. Die bestehenden Maßnahmen niedrigschwelligen Kontakt- und Bera- stellen sich psychische Auffälligkeiten sind oft zu wenig durchdacht und un- tungsstellen reicht allein nicht aus, denn ein. Wir sollten dabei berücksichtigen, strukturiert, häufig beruhen sie überwie- wenn die Betroffenen dort ankommen, dass nicht alle Menschen, die Suchtmittel gend auf ehrenamtlichem Engagement. ist es häufig schon zu spät. Es wäre sinn- konsumieren, eine Psychose oder eine In Familienzentren können Kinder er- voll, die Prävention zu verstärken. andere psychische Krankheit entwickeln reicht werden, um sie vor der Sucht zu – das hängt nicht mit der Herkunft bewahren, aber für junge geflüchtete Eine große Hürde ist dabei das Sprach- bzw. Migrationsgeschichte zusammen. Männer gibt es eindeutig zu wenig spezi- problem. Wir brauchen in den Einrich- Grundsätzlich ist es schwierig, jemanden fische Angebote zur Suchtvorbeugung. tungen mehr Muttersprachler*innen und vor der Sucht zu bewahren, das braucht Manche konsumieren nicht nur illegale Dolmetscher*innen, das ist das A & O. viel Vertrauen und belastbare Beziehun- Drogen, sondern kommen auch in Kon- Wir sollten präventiv informieren und gen. takt zu Dealern und handeln dann selbst dort andocken, wo die Flüchtlinge sind, mit Drogen. z.B. in den Flüchtlingsheimen, also aufsu- Weitere Informationen: chende Arbeit leisten und regelmäßige Gosia Kubinski, Nachsorgereferentin Welche Ressourcen haben suchtkranke Kontakte herstellen. Im Mittelpunkt sollte Reha-Zentrum Lindenthal Menschen mit Migrationshintergrund, die Beziehungsarbeit stehen, es geht dar- SKM Köln – um sich aus der Abhängigkeit zu befreien um, präsent zu sein, Vertrauen aufzubau- Sozialdienst Katholischer Männer e.V. – sich also selbst zu heilen? en und die Menschen möglichst frühzei- Simarplatz 21-22, 50825 Köln tig zu erreichen. Die klassische Flücht- Tel. 0221 / 64 055 91 Insgesamt ist das Thema „Selbstheilung“ lingshilfe reicht dafür auf jeden Fall nicht E-Mail: gosia.kubinski@skm-koeln.de bisher nur wenig erforscht, und zwar in aus. www. skm-koeln.de WEGGEFÄHRTE 2/2021 9
IM BLICKPUNKT Es fehlen passende Behandlungsan- gebote für suchtkranke Geflüchtete G eflüchtete Menschen mit einer Suchterkrankung werden Deutschland nur unzureichend ver- in fragen e.V. (DHS) eine Internetplatt- form aufgebaut, die Ressourcen zur Beratung und Behandlung von Ge- sorgt. Für diese Gruppe gibt es zu we- flüchteten bereitstellt. nig passende Angebote. Das ist Aus- gangspunkt des Projekts PREPARE, an Welche Erkenntnisse liegen bisher vor? dem mehrere Universitäten beteiligt Was haben Sie herausgefunden? sind. Ziel ist es, Suchtproblemen bei Menschen mit Fluchthintergrund vor- Viele geflüchtete Menschen haben einen zubeugen und sie angemessen zu be- anderen kulturellen Hintergrund, sie ken- handeln. nen häufig nicht die „sprechende“ Medi- Prof. Dr. Ingo Schäfer zin oder die Psychotherapie und kom- Das Projekt hat im Frühjahr 2019 be- men nicht unbedingt auf die Idee, eine gonnen und läuft insgesamt fünf Jahre. • Im zweiten Teil geht es um das Er Beratungsstelle aufzusuchen. Hinzu Das Bundesforschungsministerium kennen von Suchterkrankungen bei kommt ein anderes Verständnis von IM finanziert es im Rahmen der Flüchtlingen, hier fehlt es im Hilfesys- Sucht, und zwar die stärkere Stigmatisie- Förderinitiative zur psychischen tem an Zugängen zu einer kultursensi- rung von Sucht, sie wird oft nicht als Gesundheit geflüchteter Men- blen Diagnostik. Die bereits vorhande- Krankheit, sondern als Charakterschwä- BL schen. Gunhild Ahmann hat nen Instrumente sollen an die Bedarfe che angesehen. ICKPUN sich mit Prof. Dr. Ingo Schä- von geflüchteten Menschen angepasst fer unterhalten, Koordinator werden. Darüber hinaus gibt es strukturelle des Projekts am Zentrum Probleme in der Suchthilfe: Die Kosten- für Interdisziplinäre Suchtfor- • Im dritten Teil soll eine kultursensible übernahme für die Behandlung von Ge- KT schung (ZIS) der Universität Smartphone-App zur Prävention von flüchteten ist in manchen Bereichen un- Hamburg. problematischem Alkohol- und Canna- klar, es fehlen Sprachmittler*innen, und biskonsum und Förderung der psychi- die Mitarbeitenden haben zum Teil Prob- WEGGEFÄHRTE: Was ist der Hintergrund schen Gesundheit entwickelt werden. leme mit Menschen aus anderen Kultu- des Verbundprojekts PREPARE? Aus wel- ren. Das sind alles Hindernisse für pas- chen verschiedenen Teilprojekten setzt es • Im vierten Teil soll ein Behandlungs- sende Hilfeangebote. sich zusammen? Und welche Zielgruppen programm für geflüchtete Menschen hat es? mit psychischen Belastungen nach Wie viele geflüchtete Menschen sind traumatischen Erfahrungen und Sucht- suchtkrank? Gibt es dazu belastbare Prof. Dr. Ingo Schäfer: Hintergrund ist die problemen entwickelt und evaluiert Zahlen und Statistiken? unzureichende Versorgung suchtkranker werden. Das kultursensitive stabili geflüchteter Menschen in Deutschland. sierende Gruppenprogramm wird in Detaillierte Zahlen liegen dazu leider Für diese Gruppe gibt es ganz offensicht- sechs Metropolregionen angeboten nicht vor, aber klar ist, Geflüchtete haben lich zu wenig passende Angebote. (siehe Faltblatt rechts). Hier arbeiten ein überdurchschnittliches Risiko sucht- wir mit regionalen Trägern der Sucht- krank zu werden. Das ist u.a. auf fehlen- Das Verbundprojekt besteht aus fünf hilfe zusammen, also sehr praxisorien- de Ressourcen und psychische Belastun- Teilprojekten: tiert. Das ist der größte Bestandteil des gen zurückzuführen, bedenkt man die Projekts. Ziel ist es, dass die regionalen Gründe für die Flucht - vielfach Krieg und • Das erste Teilprojekt beschäftigt sich mit Träger möglichst bald passgenaue An- Vertreibung. Das wird verstärkt durch zu- dem Ausmaß des Problems. Dazu gibt gebot bereitstellen. Es wird erwartet, sätzliche Stressoren in Deutschland: eine es bisher keine belastbaren Zahlen. Au- dass sich positive Effekte der Interventi- ungewisse Zukunft, eine unsichere Blei- ßerdem werden Erkenntnisse zu mögli- on sowohl auf den Substanzkonsum beperspektive, häufige Wohnsitzwech- chen Untergruppen mit speziellen Be- als auch auf Symptome psychischer sel. darfen sowie zu den Bedarfen des Hilfe- Belastung ergeben. systems im Umgang damit gesammelt. Außerdem sind Suchtmittel in Auch Beispiele guter Praxis werden hier • Parallel wird in Zusammenarbeit mit Deutschland fast überall und ständig ver- herausgearbeitet. der Deutschen Hauptstelle für Sucht- fügbar und in Griffnähe. 10 WEGGEFÄHRTE 2/2021
S U C H T- ( S E L B S T ) H I L F E U N D M I G R A T I O N Welche Suchtmittel konsumieren sie? Ha- lingt und andere Stressfaktoren abneh- toren wichtig: Zunächst sollten die Mit- ben sie schon in ihren Herkunftsländern men. arbeitenden in den Flüchtlings-Unter- konsumiert? Welche Personengruppen künften und anderen Einrichtungen bes- mit Fluchterfahrungen sind besonders Erreicht die Suchthilfe die geflüchteten ser geschult werden, um Suchtprobleme suchtgefährdet im Hinblick auf Herkunfts- suchtkranken Menschen? Brauchen sie schneller zu erkennen. Dann müssen die länder, Kultur und Religion? ein eigenes Behandlungsprogramm? Was Informationsmaterialien für die Zielgrup- ist dabei wichtig? pe entsprechend angepasst werden. Es Sie konsumieren dieselben Substanzen ist eine strukturelle Herausforderung, die wie Personen ohne Fluchthintergrund, Geflüchtete suchtkranke Menschen sind Suchthilfe zu befähigen, besser mit Ge- etwa Alkohol, Cannabis und Opiate, teil- schwer zu erreichen, auch wegen ihrer flüchteten zu arbeiten und passende Hil- weise bereits in den Herkunftsländern. speziellen Lebensbedingungen: Der Zu- fen anzubieten, aber wir sehen hier auch Im Iran und in Afghanistan gibt es z.B. gang zu Hilfen wird erschwert durch ei- viele Chancen. zahlreiche Opiatabhängige, dort wird nen unsicheren Aufenthaltsstatus, wech- Opium ja auch angebaut – und dann auf selnde Wohnorte u.Ä. Weitere Informationen: der Flucht weiter konsumiert. Auch Beru- Prof. Dr. Ingo Schäfer higungsmittel, die vom Arzt verschrieben Die Suchthilfe ist auch auf schwer zu Zentrum für Interdisziplinäre Suchtfor- werden, werden teilweise missbräuchlich erreichende einheimische Zielgruppen schung (ZIS) der Universität Hamburg konsumiert. nicht immer optimal eingestellt, ge- Klinik und Poliklinik für Psychiatrie schweige denn auf geflüchtete sucht- und Psychotherapie Die Religion hat durchaus einen Ein- kranke Menschen. Es gibt Hemmnisse Universitätsklinikum Hamburg- fluss auf den Suchtmittelkonsum: Der Is- auf vielen Ebenen, z.B. strittige Kosten- Eppendorf (UKE) lam ist eine Abstinenzkultur, viele Gläubi- übernahmen, kulturelle Barrieren, keinen Martinistr. 52, 20246 Hamburg ge konsumieren aus religiöser Überzeu- Zugang zu Reha-Maßnahmen. Vieles da- Tel: 040 / 7410 59 290 gung keine Suchtmittel. Diese morali- von kann nur auf politischer Ebene ent- E-Mail: i.schaefer@uke.de KT ICKPUN sche Komponente führt dazu, dass schieden werden, aber wir können Emp- www.zis-hamburg.de Suchtmittelkonsum stärker geächtet fehlungen aussprechen und Materialien wird. zur Verfügung stellen. Wie wirken sich ungünstige Lebensum- Um geflüchtete suchtkranke Men- L stände in Deutschland aus, z.B. fehlende schen besser zu erreichen, sind viele Fak- B Zukunftsperspektiven und mangelnde In- IM tegration? Das ist ein grund- Informationen zum Behandlungsangebot: sätzliches Problem: Kontaktdaten und weitere Informationen: Zur Entwicklung einer neuen Therapieform Je besser die Integra- werden männliche Teilnehmer gesucht. Es :تفاصيل االتصال ومزيد من المعلومات tion gelingt, umso handelt sich um eine kostenlose :معلومات تماس و کسب معلومات بيشتر Gruppentherapie für geflüchtete Menschen. geringer die Belas- Das Angebot richtet sich an Personen, die Contact details and further information: tung der geflüchte- belastende Ereignisse erlebt haben und auch Erfahrungen mit Alkohol, Drogen oder Berlin@zis-prepare.de, 0170 – 901 35 22 ten Menschen und Medikamenten gemacht haben. Bremen@zis-prepare.de, 0170 – 900 64 57 damit auch die Ge- In der Therapie werden hilfreiche Strategien Frankfurt@zis-prepare.de, 0170 – 901 52 59 erlernt, um mit belastenden Gefühlen besser fährdung für psychi- umzugehen. Hamburg@zis-prepare.de, 0170 – 901 48 77 sche Krankheiten Die Sitzungen werden mit einem Dolmetscher Hannover@zis-prepare.de, 0170 – 811 94 83 und Suchtmittelab- durchgeführt und finden an zehn Terminen Muenchen@zis-prepare.de, 0170 – 901 32 99 statt. In einer Gruppe wird jeweils die gleiche hängigkeit. Die Inte- Sprache gesprochen. Homepage: www.zis-prepare.de Behandlungsangebot für Geflüchtete mit gration wirkt sich Die Gruppentherapie findet im Rahmen einer Studie statt. Die Teilnahme an der Studie ist Hamburg belastenden Erfahrungen und also in jedem Fall anonym und die Daten werden streng Bremen Substanzkonsum präventiv aus. Wir vertraulich behandelt. عرض العالج على الالجئين الذين مروا بضغوطات haben z.B. auch bei Falls Sie Interesse haben, melden Sie sich gerne Hannover Berlin كبيرة وتعاطوا المخدرات bei uns zu einem Informationsgespräch. unbegleiteten min- طرح تداوی برای پناهجويانی که سابقه استفاده از derjährigen Flücht- مواد مخدر را داشته و يا وقايع استرسزايی را تجربه Teilnahmebedingungen: lingen beobachtet, کردهاند Männlich dass sich ihr hoher Mindestalter 18 Jahre Treatment offer for refugees with stressful Fluchterfahrungen Substanzgebrauch experiences and substance use Belastende Erfahrungen Frankfurt Erhöhter Alkohol-, Drogen- oder mit der Zeit von Medikamentenkonsum München selbst reduziert, wenn Integration ge- WEGGEFÄHRTE 2/2021 11
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