Schutz ist ein Menschenrecht - 5| 2018 - Der Paritätische
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Inhalt Editorial 3 Schwerpunkt: Schutz ist ein Menschenrecht! Deutschland schottet sich ab – Europa auch: Es wird Zeit für eine alternative Flüchtlingspolitik 4 Grenzenlos familiär? Familiennachzug wird Flüchtlingen schwer gemacht7 Drei Fragen an Ferdos Mirabadi, kargah e.V. 9 Hilfe und Engagement in Zeiten von Hetze und Abschottung 10 Drei Fragen an Hanna Krebs, SOS MEDITERRANEE 12 Kommentar: Wenn Dein Land „sicher“ ist, hast Du Pech gehabt 13 Das Recht auf Wasser in der humanitären Hilfe 14 Stimmen zur Istanbul-Konvention: Zum besseren Schutz von Frauen vor Gewalt 15 7 Traurig aber wahr: Frauen brauchen immer noch besonderen Schutz. 17 Drei Fragen an Eva Küblbeck, LL.M., KOK Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. 19 Viele Frauen bleiben schutzlos 20 AGG: Das Recht auf Schutz bedeutet auch Schutz vor Diskriminierung. 22 Dritte Option: Gleiches Recht für jedes Geschlecht 24 Kommentar: Antirassismusarbeit als zentraler Aspekt des Flüchtlingsschutzes 25 Kurz vorgestellt / Weitere Publikationen 27 Sozialpolitik Sozialer Zusammenhalt auf der Kippe: Paritätisches Jahresgutachten 2018 vorgestellt 28 Kommentar: Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung 29 Aktuelles u.a. Konzertierte Aktion Pflege, Masterplan Migration, Mindestlohn, Kindergeld für EU-Bürger/-innen, Sozialer Arbeitsmarkt 30 20 Verbandsrundschau Rückblick: Expertengespräch „Beratung braucht Schutz(räume)“ 33 Übersicht: Aktuelle Paritätische Verbandsstatistik 34 Neue Projekte des Paritätischen Gesamtverbands 35 Nachruf auf Jutta Pietsch 35 Aktionen und Kooperation: Kampagne konkret. 36 Menschenrechtskampagne erreicht die Handball-Bundesliga/ Rosenbrock unterwegs 37 Einkaufsvorteile nutzen 38 Termine, Bildnachweise und Impressum 39 Nicht nur gedruckt sondern auch unter facebook.com/paritaet t bei Twitter unter paritae gram und jetzt auch bei Insta 33 ritaet/ unter instagram.com/pa 2 www.der-paritaetische.de 4 | 2018
Editorial Professor Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbands Liebe Leserinnen und Leser, das Recht auf Schutz, Zuflucht und werden. Das Recht auf ein Leben in im Arbeitsleben, im Alltag, beim Zu- Hilfe ist zentraler Bestandteil der Men- Würde und auf Teilhabe am gesell- gang zu Wohnraum, in Verwaltungen schenrechte. Es findet sich in der All- schaftlichen Leben gilt für alle, auch oder Bildungseinrichtungen sind Ver- gemeinen Erklärung der Menschen- für geflüchtete Menschen. stöße gegen geltende Menschenrechte. rechte, im Internationalen Pakt über Der Schutz von Frauen vor Gewalt ist Ihnen muss durch zielgerichtete Maß- bürgerliche und politische Rechte, in ein ebenso virulentes Thema, wenn es nahmen vorgebeugt, jede darauf ge- der Europäischen Menschenrechtskon- um das gleiche Recht aller auf Schutz, richtete Praxis muss bekämpft werden. vention und weiteren völkerrechtlichen Hilfe und Zuflucht geht. Jede vierte Dazu gehört zum Beispiel, das Netz Verträgen. Darin verpflichten sich die Frau hat mindestens einmal in ihrem der Antidiskriminierungsverbände unterzeichnenden Staaten, die Men- Leben körperliche oder sexuelle Ge- durch verlässliche Förder- und Finan- schen vor Sklaverei, Folter, Diskrimi- walt erlebt. Fachberatungsstellen und zierungsstrukturen auszubauen, um nierung, politischer Verfolgung zu Frauenhäuser bieten den Betroffenen einen beständigen niedrigschwelligen schützen und jedem ein Recht auf Le- durch Notdienste, psychologische Be- Zugang zum Schutz und zur Rechts- ben, Freiheit und Sicherheit zu garan- treuung, Beratung, Kinderbetreuung, durchsetzung sicherzustellen oder den tieren. Die Menschenrechte gelten uni- sichere Wohnplätze vielseitige Unter- Diskriminierungsschutz auf den ge- versell und für jeden Menschen - un- stützung und einen Zufluchtsort. samten Bereich staatlichen Handelns abhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Doch vielerorts ist die Finanzierung auszuweiten. Herkunft oder sonstigen Merkmalen. der Unterstützungsleistungen nicht Trotz des im internationalen Vergleich gesichert. Um den betroffenen Frauen hohen Standards beim Menschen- Schutz zu bieten, bedarf es eines Herzlich, Ihr rechtsschutz in Deutschland sind auch Rechtsanspruches auf Beratung oder hierzulande Einschränkungen und Schutz und Unterstützung für alle von Verletzungen des Rechts auf Schutz Gewalt betroffenen Frauen und ihre festzustellen. Kinder, niedrigschwelliger Hilfs- und So hat jeder Mensch das Recht, in an- Unterstützungsangebote sowie einer deren Ländern vor Verfolgungen Asyl verlässlichen Finanzierung dieser Pro- zu suchen und Schutz zu erhalten. gramme. Doch das Schutzrecht erodiert zuneh- Diskriminierungen, insbesondere we- mend, v. a. durch die Abschottung Eu- gen ethnischer Zuschreibungen, Haut- ropas und die Versagung der Möglich- farbe, äußerer Erscheinung, des Ge- keiten zur sicheren Einreise. Diese in- schlechts, der sexuellen Identität, we- humane Politik muss geändert werden, gen chronischer Krankheiten und der legale Zuwanderungswege müssen of- sozialen Herkunft sind hierzulande fen gehalten bzw. geschaffen sowie der leider immer noch alltägliche Erfah- Fokus auf die Aufnahme und Integra- rungen von Menschen. Die verschie- tion der Zuflucht Suchenden gelegt denen Formen der Diskriminierungen www.der-paritaetische.de 4 | 2018 3
Schwerpunkt Deutschland schottet sich ab – Europa auch. Es wird Zeit für eine alternative Flüchtlingspolitik. Drei Jahre nach dem deutschen „Flüchtlingssommer“ hat sich nicht nur die Zahl der neu einreisenden Schutzsuchenden in Deutschland drastisch verändert, sondern auch die deutsche und europäische Asyl- politik. Welche Folgen hat dies für das Recht auf Schutz vor Verfol- gung? Und vor allem: welche Folgen hat dies für die Menschen, die von dieser Politik betroffen sind? D as Jahr 2015 war in vielerlei schen haupt- und ehrenamtlich und war das individuelle Recht auf Asyl in Hinsicht außergewöhnlich: gingen dabei bis an die Grenzen der Europa so massiv gefährdet wie im nicht nur, dass innerhalb rela- eigenen Belastbarkeit. Sommer 2018, wurde Menschen- und tiv kurzer Zeit mit 890.000 Menschen Drei Jahre später gibt es diese Men- Völkerrecht so offensichtlich ignoriert besonders viele Schutzsuchende nach schen noch immer: die, die sich aus und rechtsstaatliche Prinzipien unter- Deutschland kamen. Auch die Reakti- Überzeugung engagieren in der laufen. on der Bevölkerung sowie der breiten Flüchtlingsarbeit. Die, die davon über- Schaut man sich die aktuellen Flücht- Medien war besonders: nämlich entge- zeugt sind, dass Deutschland und Eu- lingszahlen an, so kann man die Ver- gen mancher Erwartungen ganz über- ropa eine Verantwortung für die Auf- suche, entgegen europa- und men- wiegend positiv. Es bestand ein schein- nahme von Flüchtlingen haben und schenrechtlicher Vorgaben alle nur er- bar breiter Konsens, dass die hier das Recht auf ein individuelles Asylver- denklichen Grenzen für Flüchtlinge zu schutzsuchenden Menschen aus fahren und Schutz vor Verfolgung in verschließen, kaum nachvollziehen: gutem Grund ihre Herkunftsländer Europa bewahrt werden muss. Und Zwar sind laut Angaben von UNHCR verlassen hatten und fliehen mussten. selbstverständlich gibt es auch noch im Sommer 2018 weltweit 68,5 Millio- Es gab ein Bewusstsein und Mitgefühl die, die vor Gewalt und Verfolgung flie- nen Menschen auf der Flucht – und dafür, dass diese Menschen vor ihrer hen müssen und dabei den lebensge- somit mehr als je zuvor seit dem Ende Flucht und auf dem Weg hierher unbe- fährlichen Weg nach Europa und des 2. Weltkrieges. Nach Europa und schreibliches durchlitten hatten: Ge- Deutschland auf sich nehmen. Sie alle Deutschland kommt jedoch nur ein walt, Folter, Vergewaltigung, Lebens- scheinen jedoch im Moment leiser zu Bruchteil dieser Menschen: Mehr als gefahr oder den Tod nahestehender sein als diejenigen, die sich lautstark 85 Prozent der Flüchtlinge unter UNH- Menschen. und teils hasserfüllt gegen den weite- CR-Mandat leben in Entwicklungslän- Und ja, es gab auch ein breites Einver- ren Zuzug von Flüchtlingen ausspre- dern, die allermeisten bleiben als sog. nehmen darüber, dass Deutschland chen und die Schließung der deut- Binnenvertriebene in der Krisenregion und Europa diese Menschen aufneh- schen wie auch europäischen Grenzen und den Herkunftsländern selbst. Nach men und ihnen Schutz gewähren fordern. Zumindest folgt die deutsche Angaben der Internationalen Organisa- sollte. Um dies zu ermöglichen, enga- wie auch europäische Asylpolitik au- tion für Migration sind im ersten Halb- gierten sich Zehntausende von Men- genscheinlich letzteren: Selten zuvor jahr 2018 ungefähr 51.000 Menschen 4 www.der-paritaetische.de 5 | 2018
Schwerpunkt über das Mittelmeer nach Europa ge- te Modell: der Abschluss sog. „regio- flächendeckenden Asylverfahrensbera- kommen. Von einem „Ansturm“ von naler Ausschiffungsvereinbarungen“ tung schwierig, fristgerecht Rechts- Schutzsuchenden, dem man mit so mit Drittstaaten, in denen mit Hilfe mittel einzulegen. Und schon jetzt drastischen Maßnahmen begegnen von UNHCR der Schutzbedarf geklärt werden Menschen abgeschoben, ob- müsste, wie dies aktuell passiert, kann werden soll. Auch die Frage, welche wohl das rechtsstaatliche Verfahren also nicht die Rede sein. Drittstaaten hierzu bereit sind, ist bis- zur Überprüfung ihres Antrags noch lang vollkommen offen. Es wird aus läuft. Darüber hinaus sind sich Abschottung Europas diesem Grund auf absehbare Zeit bei Sozialwissenschaftler/-innen seit Jah- der menschenrechtswidrigen Praxis ren darüber einig, dass die sog. „ab- Bereits seit Sommer 2016 versucht die bleiben, Schutzsuchende mit europä- schreckenden Maßnahmen“ für Europäische Union, das aktuelle Ge- ischer Unterstützung durch die liby- Flüchtlinge in der Regel keine Rolle bei meinsame Europäische Asylsystem zu sche Küstenwache nach Libyen zurück der Wahl des Zielortes spielen. Ent- reformieren. Die EU-Kommission hat- drängen zu lassen – obwohl ihnen scheidend sind vielmehr Informatio- te sich für die Reform vier Ziele ge- dort, wie bereits 2012 vom Europä- nen von Schleusern sowie bestehende setzt: Die Verhinderung von sog. Se- ischen Gerichtshof für Menschenrech- Kontakte zu Familienangehörigen und kundärmigration also die Weiterwan- te festgestellt wurde – Folter und un- Community. derung in einen anderen Mitgliedstaat, menschliche Behandlung droht. die Bekämpfung von Missbrauch, faire Zeit für eine alternative Flüchtlingspolitik und effiziente Asylverfahren sowie Abschreckung in Deutschland eine fairere Verteilung von Verantwort- Der Paritätische und seine Mitgliedsor- lichkeiten. Die deutsche Asylpolitik und -gesetzge- ganisationen engagieren sich in vielen Insbesondere das letzte Ziel scheint bung setzt bereits seit dem Herbst Bereichen sozialer Arbeit mit und für für die Europäische Union unerreich- 2015 zunehmend auf die Einführung Geflüchtete und dieses Heft stellt eini- bar geworden zu sein. Da bei der Frage abschreckender Maßnahmen. Im Jahr ge Beispiele vor. Doch daneben gibt es der innereuropäischen Solidarität kei- 2018 spitzt sich dies erneut zu: der so- noch viel mehr: Beratung im Asylver- ne Einigung erzielt werden kann, soll genannte „Masterplan Migration“ des fahren oder zu sozialen Rechten, psy- der Flüchtlingsschutz nunmehr ver- Bundesinnenministers sieht u.a. die chosoziale Unterstützung traumati- stärkt auf Drittstaaten außerhalb der Einführung von AnkER-Zentren vor, sierter Menschen, Empowerment und Europäischen Union ausgelagert wer- in denen Asylsuchende bis zu 18 Mo- Gewaltschutz, ehrenamtliche Unter- den. Dafür will man zum einen das nate isoliert und ohne Perspektive auf stützung und gemeinwesenorientierte Konzept sog. sicherer Dritt- und Ersta- Integration untergebracht werden sol- Projekte, Integrationskurse, Betreuung sylstaaten ausweiten und nach dem len. Diese zunehmende Abkehr von in Aufnahmeeinrichtungen und vieles Beispiel des EU-Türkei-Deals Schutz- der Willkommenskultur hat verhee- mehr. suchende ohne eine inhaltliche Prü- rende Folgen nicht nur für die Schutz- Die Erfahrungen der letzten Jahre ha- fung ihres Asylantrags direkt aus den suchenden, sondern auch für den ge- ben gezeigt, dass die voran schreiten- sog. „Hotspots“ an den europäischen samtgesellschaftlichen Zusammen- den Abschottungsversuche vor allem Außengrenzen in Drittstaaten verbrin- halt. Begegnungen und Austausch zwi- dazu führen, dass schutzsuchende gen, in denen keine europäischen schen neu Ankommenden und länger Menschen noch gefährlichere Wege Standards herrschen und die Genfer hier lebenden bzw. aufgewachsenen suchen und noch mehr Menschen auf Flüchtlingskonvention in der Regel Menschen werden dadurch verhindert ihrem Weg nach Europa ihr Leben ver- nicht ratifiziert wurde. und die Integration der hier Bleibenden lieren als bisher. Eine wirksame Poli- Zum anderen wird die zivile Seenotret- zudem erschwert. Sozialen Span- tik, um das Sterben auf dem Mittel- tung kriminalisiert und das Ausschif- nungen wird damit der Boden bereitet meer und in den Wüsten Afrikas zu fen selbst staatlicher Seenotrettungs- Daneben sollen Sozialleistungen wei- beenden ist nicht das Verschließen boote von den Mitgliedstaaten an den ter gekürzt bzw. als Sachleistungen immer weiterer Routen, sondern die EU-Außengrenzen untersagt. Im an- erbracht werden, Verfahren noch mehr Schaffung legaler Zugangswege nach dauernden Streit um die Frage der Auf- beschleunigt und das Ausweisungs- Europa, also die Ausweitung des Fami- nahme von aus Seenot Geretteter hat recht erneut verschärft werden. Ab- liennachzugs, der Ausbau von Reset- man sich im Juli darauf geeinigt, sog. schiebungen sollen selbst während tlementprogrammen oder die stärkere „kontrollierte Zentren“ einzurichten, eines laufenden Gerichtsverfahrens Nutzung humanitärer Visa. Auch der in denen innerhalb von 3 Tagen eine zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit Aufbau einer europäischen Seenotret- Prüfung des Asylantrags erfolgen soll. der Abschiebung ermöglicht werden. tung sowie die Sicherstellung der Aus- Allein die Frage, wo diese – voraus- Dies alles geschieht, obwohl die Asyl- schiffung Geretteter in sichere Häfen sichtlich haftähnlichen – Zentren ein- verfahren in den letzten Jahren schon – und somit nach Europa – ist längst gerichtet werden sollen, wurde nicht immens verkürzt und verschärft wur- überfällig. Darüber hinaus bedarf es geklärt. Bevorzugt wird ohnehin zwei- den. Schon jetzt ist es mangels einer aber vor allem eines ehrlichen Um- www.der-paritaetische.de 5 | 2018 5
Schwerpunkt gangs mit der viel gepriesenen Flucht- Schutzsuchende monate- bis jahrelang ursachenbekämpfung: eine Entwick in Großeinrichtungen unter Bedin- lungspolitik, die nicht die Bedürfnisse gungen zu isolieren, die krank ma- der Gesellschaften vor Ort, sondern chen. Dies gilt insbesondere für beson- nur die europäische Migrationspolitik ders schutzbedürftige Personen, deren im Blick hat, wird die Situation in Afri- qualifizierte Versorgung und Betreu- ka nicht verbessen, sondern verschlech- ung bundesweit sichergestellt werden tern, da sie die innerafrikanische Frei- muss. zügigkeit tangiert. Und eine Weiter- Das Ziel, Asylverfahren möglichst zü- wanderung aus Krisenregionen wird gig durchzuführen, darf nicht auf Ko- so lange nicht unterbleiben, so lange sten der Qualität, der angemessenen Flüchtlinge dort nicht einmal genug Vorbereitung und sachkundigen Lebensmittel zum Überleben und Kin- Durchführung der Verfahren realisiert der keinen Zugang zu Schulen haben. werden. Nicht Schnelligkeit allein darf In der deutschen Asylpolitik muss der entscheiden, sondern Qualität und Fokus weg von der Aufenthaltsbeendi- Rechtsstaatlichkeit müssen sicherge- gung und Abschiebepolitik dahin ge- stellt werden. lenkt werden, wo tatsächlich der größte Bedarf ist: bei der Aufnahme und Inte- gration Schutzsuchender. Eine demo- Kerstin Becker ist Referentin kratische, offene und vielfältige Gesell- für Flüchtlingshilfe/-politik beim schaft sollte gleichberechtigte Teilhabe Paritätischen Gesamtverband von Anfang an ermöglichen, anstatt Unsere Kampagne 2018 MENSCH, DU HAST RECHT! Der Paritätische Wohlfahrtsverband und seine Mitglieder treten täglich für die sozialen und individuellen Menschenrechte ein. Wir wissen durch unsere Arbeit, dass diese Grundrechte vielfach verletzt und missachtet werden. Wir wissen, dass wir um ihre Einhaltung und ihren Ausbau kämpfen müssen. Im 70. Jahr der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte setzen wir genau dort mit unserer Kampagne MENSCH, DU HAST RECHT! an: Als Träger der freien Wohlfahrtspflege machen unsere Mitglieder und wir uns stark für die Einhaltung der Menschenrechte. Schwer- punkte der Kampagne sind die zentralen Themen Wohnen, Ge- sundheit, Bildung, Selbstbestimmung, Teilhabe und Schutz. Aktuelle Informationen, Materialien und Termine unter: www.mensch-du-hast-recht.de Siehe auch Seite 36 in diesem Heft. 6 www.der-paritaetische.de 5 | 2018
Schwerpunkt ben juristischer Beratung bieten sie Grenzenlos familiär? auch Sprachkurse an. Über mangelhaften Zuspruch kann man sich nicht beklagen. Teilweise Familiennachzug wird Flüchtlingen schwer gemacht. stünden bereits morgens um 6 Uhr (und damit lange vor der Öffnung) mehr Ratsuchende vor der Tür der KuB, als an einem Morgen beraten werden können. Das bringt Probleme mit sich, wie Manuel Armbruster er- klärt: „Es kommt auch schon mal vor, dass wir Leute wegschicken müssen. Wir versuchen dann aber, sie an ande- re Beratungsstellen zu verweisen.“ Dass die Geflüchtetenzahlen seit Jah- ren deutlich zurückgehen, merkt man in der täglichen Arbeit also kaum. Der Beratungsbedarf ist immer noch im- Die Tatsache in einem fremden Land in Sicherheit zu sein, während die eigenen mens. Was sich verändert sind die The- Kinder, Partner, Geschwister oder Eltern weiterhin in einem Kriegsgebiet mit unsi- men: Während es 2016 mehr um feh- cherer Zukunft verbleiben, ist ein Albtraum für alle Menschen. Für Menschen, die lerhafte Asylbescheide und juristische nach Deutschland geflüchtet sind, ist das oft bittere Realität, denn die Strapazen der Beratung ging, stehen heute aufent- Flucht können nur diejenigen auf sich nehmen, die kräftig genug sind. Angehörige, halts- und sozialrechtliche Fragen im die zu jung, zu alt oder krank sind, bleiben dann in den Krisen- und Kriegsgebieten. Mittelpunkt. Für beide Seiten eine schreckliche Situation. Angesprochen auf die jüngsten Ent- wicklungen zum Familiennachzug hat Armbruster eine klare Meinung: „Die Für anerkannte Flüchtlinge sieht das vollen Umfang Asyl bekommen, für Aussetzung des Familiennachzugs ist Gesetz eigentlich das Instrument des zwei Jahre aus. Nach langem Streit aus humanitärer und menschenrecht- Familiennachzugs vor: Deren Angehö- auch innerhalb der Regierungskoaliti- licher Perspektive nicht nachvollzieh- rige können unter Umständen nach on dürfen nun seit August 2018 wieder bar. Da musste man schon fragen: Hat Deutschland geholt werden. Unter 1000 Menschen monatlich über den der deutsche Staat alles menschen- menschen- und verfassungsrecht- Familiennachzug nach Deutschland rechtlich Gebotene getan?“ Die Unge- lichen Aspekten ist die Frage eigent- kommen. wissheit belaste die Menschen enorm lich eindeutig. So heißt es in der Euro- Das sorgt für Verunsicherung unter und setze die Angehörigen in den Kri- päischen Menschenrechtskonvention Geflüchteten. Sie haben in der Folge sengebieten auch in Gefahr. Für genau schon seit 1950: „Jede Person hat das viele Fragen. Damit können sie sich an so wenig nachvollziehbar hält er die Recht auf Achtung ihres Privat- und Beratungsstellen wie die KuB, die willkürliche Begrenzung auf 1000 Per- Familienlebens, ihrer Wohnung und „Kontakt- und Beratungsstelle für sonen pro Monat, vor allem, da gleich- ihrer Korrespondenz.“ Auch im deut- Flüchtlinge und Migrant_innen“ in zeitig die Grenzen immer mehr ge- schlossen wurden und die realen Zu- schen Grundgesetz stehen Ehe und Berlin-Kreuzberg wenden. Dort berät gangszahlen schon enorm niedrig Familie prinzipiell unter dem besonde- sie u.a. Manuel Armbruster. sind. ren Schutz des Staates. Er beschäftigt sich seit 2008 mit dem Jemand, der eigene Erfahrungen mit Für subsidär Geflüchtete sieht die Re- Thema Flucht. Da machte Armbruster Familiennachzug hat, ist Cheredin. alität allerdings anders aus. Insgesamt ein Praktikum beim Flüchtlingsrat in Der Kurde kam bereits 1998 aus der tut Deutschland mehr, um Familien- Berlin. Nach seinem Studium in Frei- Stadt Qamischli an der türkischen nachzug zu begrenzen als ihn zu er- burg zog er 2014 wieder nach Berlin. Grenze in Syrien nach Deutschland. möglichen. In den vergangenen Jahren Zur KuB kam er, weil sie auch recht- Sein Asylantrag wurde zunächst abge- war die Frage, inwiefern man einen liche Beratung bietet, was ihm beson- lehnt, seine Klage war aber letztend- Zuzug von Flüchtlingen begrenzen ders wichtig war, wo er seit 2015 arbei- lich erfolgreich und Cheredin wurde kann, oft damit verbunden, wie man tet. Diese ist selbstorganisiert und als Flüchtling anerkannt. Zunächst den Zuzug von Angehörigen ein- überwiegend ehrenamtlich getragen. fühlte er sich in Deutschland aber schränken kann. Zuletzt setzte der Seine Arbeit dort beschreibt er als nicht so wohl: „Ich war traurig und so Bundestag 2016 den Familiennachzug „praktische Solidaritätsarbeit.“ Die alleine hier. Ich hatte kein Geld, nicht für subsidiär Schutzsuchende, also für KuB versucht anzusetzen, wo struktu- mal eine BVG-Karte. Wir haben eine Geflüchtete, die Schutz, aber nicht im relle Diskriminierung stattfindet, ne- Karte mit unserem Namen drauf be- www.der-paritaetische.de 5 | 2018 7
Schwerpunkt Schwerpunkt kommen und konnten Lebensmittel sich in Berlin wohl, habe soziale Kon- nur in bestimmten Läden kaufen. Aber takte zu anderen Kurden. Seine Mut- ich habe gekämpft.“ ter, die gesundheitlich angeschlagener Das zahlte sich aus. Inzwischen hat er ist, habe weniger Kontakt. Aber im- eine Arbeit, lebt mit seiner Familie in merhin sind sie nun in Deutschland in Charlottenburg und konnte viele sei- Sicherheit. ner Familienmitglieder über ein Bun- Ebenso wie Manuel Armbruster arbei- desaufnahmeprogramm nach tet auch Cheredin bei der KuB, neben- Deutschland bringen. Seine Geschwi- bei macht er dort seit 2005 Beratung Controlling für ster leben größtenteils in Stuttgart. Nur seine betagten Eltern blieben noch für andere Geflüchtete. Über einen Integrationskurs in Schöneberg kam soziale Einrichtungen lange in Qamischli. Ihr Haus wurde er zur KuB. Sein Lehrer gab Deutsch- im Krieg zerstört. In den Wirrungen kurse bei der KuB und empfahl ihn. Zukunftsweisende Unternehmenspla- des Bürgerkrieges kann er nicht ein- Die Regelung zum Familiennachzug mal sagen, wer es zerstört hat. Schließ- kritisiert er genau so: „Den Leuten, die nung und Steuerung erfordern den Ein- lich setzte er alles daran, dass sie nach zu mir in die Beratung kommen und satz professioneller Software, die Sie Deutschland kommen und zumindest mir ist das zu wenig! Das wird nicht permanent unterstützt und von zeitauf- ihren Lebensabend hier verbringen reichen.“ Er verweist auf gut 45.000 wändigen Routinearbeiten entlastet. können. Er musste jemanden finden, Minderjährige, die in Deutschland le- der eine Verpflichtungserklärung für ben und auf ihre Eltern warten. „Die Mit Xview haben wir eine leistungsfä- seine Eltern unterschreibt, jemanden, wissen nicht, ob ihre Eltern kommen hige und intuitiv bedienbare Business der für sie mit seinem Besitz und sei- können. Jetzt beeilen sich alle mit Ter- Intelligence Software speziell für den nen Mitteln haftet. Ein schwieriges minen beim Konsulat oder den Bot- Einsatz in sozialen Einrichtungen Unterfangen, aber Cheredin gelang es, schaften und niemand weiß, wer jetzt diese Unterschrift zu bekommen. Auf kommen kann.“ entwickelt. das Visum warteten sie zwei Monate. Im Gespräch mit beiden wird deutlich, Am Ende hat es sich gelohnt. Seit 2015 dass der Familiennachzug in Deutsch- Xview bietet eine optimale Basis für leben seine beiden Eltern in Berlin. land wohl noch lange ein Thema blei- Planung, Simulation, Steuerung und Auf die Frage, wie es seinen Eltern in ben wird – sowohl unter den Politikern Analyse Ihrer Unternehmensdaten. Die Deutschland geht und wie sie ange- als auch bei den Geflüchteten. Ob je- Erstellung von Unternehmensplanun- kommen sind, sagt er trocken „Heimat mals alle Familien wieder vereint sein gen, Forecasts, Kennzahlen, grafischen bleibt Heimat. Und für meine Eltern werden, ist fraglich. Analysen, Ampelanalysen, Dashboards ist es noch ein bisschen schwieriger.“ oder einem automatisierten Berichts- Sein Vater wurde 1929 geboren, ist jetzt Philipp Meinert fast 90. Das Klima sei für den betagten wesen sind schnell und intuitiv möglich. Mehr Informationen unter: Herrn sehr schwierig. Aber er fühlt www.kub-berlin.org Cheredin (links) und Manuel (rechts) in den Räumen des KuB in Kreuzberg ... das rechnet sich für Sie! Vereinbaren Sie Ihren Präsentationstermin! info@controlling-and-more.com 8 www.der-paritaetische.de 5 | 2018 Controlling 4 | 2018 & more Software GmbH8 www.der-paritaetische.de www.controlling-and-more.com
Schwerpunkt Drei Fragen an Ferdos Mirabadi, Koordinatorin bei kargah e.V. kargah e.V. mit Sitz in Hannover bietet Migrantinnen und Migranten umfassende Beraung und Unterstützung an. Der Verein wurde 1980 durch eine Gruppe po- litisch verfolgter Exil-Iraner/-innen gegründet, die sich gegenseitig im Alltag un- terstützten und gemeinsam politisch organisierten. Das Angebot umfasst Hilfe zur Selbsthilfe, bedarfsorientierte Bildungs-, Qualifizierungs-, Beratungs- und Kul- turangebote für Geflüchtete sowie Migranten und Migrantinnen, Förderung der Mehrsprachenkompetenz sowie Interkulturelle Kommunikation und Austausch. Wir sprachen mit Koordinatorin Ferdos Mirabadi. Frau Mirabadi, auf Ihrer Homepage konnte rung, das Spektrum an Beratungs,- ich lesen, dass kargah auf Deutsch so viel Bildungs- und Begegnungsangeboten wie „Werkstatt“ bedeutet. Was stellen Sie zu bewältigen. Besonderes Augenmerk mit Ihrem Verein her? richten wir auf Themen wie adäquate Ferdos Unterbringung Geflüchteter, ge- Mirabadi Werkstatt bedeutet im übertragenen schlechtsspezifische Asylgründe, Ge- Sinne ein Ort der Zusammenkunft waltschutz (auch in Flüchtlingsunter- Medien und in der Verrohung in der und Begegnung. kargah e.V. ist ein Be- künften), Unterstützung besonders „Sprachunkultur“ auch in der Politik. gegnungsort unterschiedlichster Kul- schutzbedürftiger Personengruppen Rassistische Ressentiments und Vor- turen und Lebensweisen. Der Begriff (alleinreisende Frauen, LSBTI*-Ge- behalte gegenüber den Neuangekom- soll das gemeinsame (Er-)Arbeiten von flüchtete, minderjährige Geflüchtete) menen werden deutlich salonfähiger. Lösungen unterschiedlichster gesell- und Empowerment und partizipative Ein Stimmungs- und Meinungsklima, schaftlicher, politischer und individu- Integrationsansätze. das die schwindende Willkommens- eller Problemlagen betonen. Durch Langsam ebbt die Willkommensbereit- kultur und Empathie für die Schick- Austausch, Diskussion, Bereitstellung schaft ab und das gesellschaftliche Kli- sale geflüchteter Menschen in unserer von Räumen zur Selbstorganisation ma verändert sich. Die Entwicklung Bevölkerung begünstigt und die poli- und unterschiedlichste Lern- Bestär- hin zur Unterteilung Geflüchteter in tische Arbeit zunehmend in den kom- kungs- und Beratungsangebote wird „gute vielleicht noch willkommene“ munalen Gremien erschwert. Men- eine Wir-Gemeinschaft angestrebt im und „schlechte Wirtschafts-, Armuts-, schenrechte und wie diese anerkannt Sinne einer Haltung/politischen Posi- und Klimaflüchtlinge“ hat bei uns zu und als Recht bewahrt werden, geraten tion auf Grundlage eines emanzipato- enormen Enttäuschungen und Bela- durch rassistische und rechte Polemik rischen Menschenbildes, die versucht, stungen geführt. Projektgelder gibt es und populistische Äußerungen aus individuelle Unterschiede zu wert- für die Unterstützung der „guten“. Der dem Fokus. Eine Versachlichung der schätzen, sich gegenseitig zu unter- gleichermaßen bestehende Unterstüt- Debatte ist kaum noch möglich. Das stützen und diese Haltung auch in die zungsbedarf für alle Flüchtlinge muss frustriert uns sehr. Gesellschaft zu tragen. „nebenher“ bewältigt werden. Zeit- Als Beispiel sehen wir das Wohl von gleich nimmt im Rahmen unserer Öf- Kindern und Jugendlichen, die in Wie hat die verstärkte Ankunft von Flüchtlin- fentlichkeitsarbeit, das betrifft uns großen Sammelunterkünften unterge- gen die Arbeit von kargah e.V. verändert? selbst auch intern, die Einbeziehung bracht werden, als gefährdet. Gerade von Rassismuskritik, Umgang mit Di- die geplanten AnkER-Einrichtungen In all unseren Arbeitsbereichen haben versität und Ungleichheit im Alltag verletzen elementare Rechte, vor allem wir einen starken Zuwachs und Zulauf immer mehr an Bedeutung zu. von Minderjährigen. Segregation, Iso- erfahren von vielen Seiten: von Rat- lation und Diskriminierung geflüchte- und Sprachkurssuchenden, von Politisch sind die Themen Flucht und Schutz ter Kinder und Jugendlicher durch das Unterstützer/-innen, von Multiplikato- schon fast ein Dauerbrenner. Wie wird die System der AnkER-Zentren werden rinnen und Multiplikatoren aus Poli- verschärfte Debatte eigentlich bei den damit weiter vorangetrieben. tik, Verwaltung und Regeldiensten, Migrantinnen, Migranten und Flüchtlingen, von Spender/-innen usw. Damit stieg die bei und mit kargah e.V. arbeiten, Die Fragen stellte Philipp Meinert. auch der Bedarf an Fortbildungen von wahrgenommen? Ehrenamtlichen und Personal enorm an. Innerhalb unserer Räumlichkeiten Wir erfahren und erleben die Debatte Mehr Informationen unter: ist es immer noch eine Herausforde- teilweise als offenen Rassismus in den www.kargah.de www.der-paritaetische.de 5 | 2018 9
Schwerpunkt Hilfe und Engagement in Zeiten von Hetze und Abschottung D ie Unsicherheit ist in diesen kurs hat sich seit dem Bundestags- Es gebe aber eine „Mehrheit denkender Tagen spürbar. Vor drei Jah- wahlkampf verschoben und die kon- und fühlender Menschen“, die dem ren, im Sommer 2015, war die krete Politik hat sich verändert. Erst Thema Asyl und Integration, Schutz Bereitschaft zu helfen so groß, dass Anfang Juli hat die Große Koalition und Hilfe positiv gegenüber steht, da Refugio München kurzfristig sogar ei- erneut eine Verschärfung der Asylpoli- ist sich Soyer sicher. Doch Rassismus, nen Stopp bei der Aufnahme der Frei- tik beschlossen. Die „schnelle Abschie- so scheint es, ist durch den geradezu willigen machen und auf andere ver- bung“ sei zum „Credo der deutschen vergifteten Bundestagswahlkampf weisen musste. Im Moment melden Innenpolitik“ geworden, stellt Jürgen plötzlich sehr viel hoffähiger gewor- sich kaum neue Menschen. Auch das Soyer fest. Die Schutzbedürftigkeit der den. Spendenvolumen sei eingebrochen, be- Betroffenen, die Menschen, um die es richtet Jürgen Soyer. Soyer ist Ge- geht, kämen überhaupt nicht mehr vor schäftsführer des Beratungs- und Be- in den aktuellen Debatten. „Es wird handlungszentrums für traumatisierte mit einer Selbstverständlichkeit davon Flüchtlinge und Folteropfer. Jedes Jahr gesprochen, dass man die Leute zu- betreut Refugio München weit über rück abschieben muss, egal, ob sie 1000 traumatisierte Geflüchtete aus schwanger sind oder einer Gruppe an- über 40 Nationen, von psychosozialer gehören, die als besonders schutzbe- Beratung bis zu Therapie. Ein Schwer- dürftig gilt oder, wie in unserem Fall punkt ist die kunsttherapeutische Ar- traumatisiert sind. Das schockiert beit mit Minderjährigen. mich schon, dass dies überhaupt keine Soyer und sein Team sind mit ihrer Rolle mehr spielt.“ Marina Expertise geschätzt und gefragt bei Für die Klientinnen und Klienten von Lessig den Medien. Doch die Presseanfragen Refugio bedeutet die aktuelle Politik haben sich verändert. Vor zwei Jahren enorme Verunsicherung. Selbst dieje- Ein Teil der Mehrheit, von der Soyer noch fragten die Journalisten, wie es nigen, die einen Aufenthaltstitel ha- spricht, hat sich organisiert. Der Ver- den Flüchtlingen geht. Heute erkundi- ben, sind alarmiert. „Auch die, die si- ein „Münchner Freiwillige – Wir hel- gten sich viele vor allem nach den cher dableiben werden, verunsichert fen e.V.“ ist aus einem Kreis von Helfe- Fluchtwegen oder danach, wo „Asylbe- man und grenzt sie aus, indem Politik rinnen und Helfern hervorgegangen, trug“ begangen werde. „Die empathi- ihnen immer wieder signalisiert ‚Viel- die im Sommer 2015 spontan am Mün- schen Fragen, wie geht es den Betrof- leicht ist es ja doch nicht so ganz si- chener Hauptbahnhof aktiv wurde, als fenen, was brauchen sie, sind von Me- cher, dass Ihr dableiben könnt‘.“ Dazu Hilfe notwendig war. Auf der Mitglie- dienseite deutlich leiser geworden“, so kommt ein massiver Anstieg rassisti- derversammlung des Paritätischen Ba- Soyer. Der politisch-öffentliche Dis- scher Beleidigungen auf offener Stra- yern berichtet Marina Lessig von dem, ße. Trotzdem würde So- was damals geleistet wurde: Innerhalb yer nie davon reden, dass von 72 Stunden sei es gelungen eine in der Bevölkerung ins- Organisation aufzubauen, um in 21 Ta- gesamt die „Stimmung gen mit 4.000 Spontanhelfern, 17.000 gekippt“ sei, schon gar Spendern und Spenderinnen an 5 nicht in München, einer Standorten über 100.000 Menschen zu sehr offenen Stadt. Und versorgen. er ärgert sich, wenn Po- Der Verein ist auch heute dort, wo Hil- litiker davon reden, dass fe gerade besonders gebraucht wird. „die Bevölkerung“ das Zum Beispiel bei der Wohnungssuche alles so „möchte“: „Man für Geflüchtete, Alleinerziehende und erzeugt ein Bild und andere sozial benachteiligte Men- marginalisiert Anders- schen. Der Freiwilligenladen in der denkende, die dann den- Tumblingerstrasse 50 ist quasi zum ken, sie stünden alleine „Wohnzimmer“ der Münchner Flücht- Jürgen Soyer da mit ihrer Meinung.“ lingshilfe geworden. Initiativen, Hel- 10 www.der-paritaetische.de 5 | 2018
Schwerpunkt Te r m i n h i n w e i s ferkreise, Patenschaftsprojekte und rechte und Demokratie“ ist ein Zu- Ehrenamtliche können sich hier tref- sammenschluss dieser sich politisie- Für eine offene und fen, austauschen und arbeiten. renden Helferkreise. Gemeinsam mit freie Gesellschaft Viele, die 2015 spontan mit angepackt anderen zivilgesellschaftlichen Ak- Demo am 13. Oktober in Berlin haben, waren zunächst politisch ei- teuren organisierte das Bündnis eine gentlich nicht besonders interessiert, Großdemonstration, bei der im Som- Solidarität statt Ausgrenzung – unter berichtet Lessig: „Viele waren der mer zehntausende Menschen unter diesem Motto ruft ein breites Bündnis zu einer bundesweiten Demonstration am festen Überzeugung, einem flüchten- dem Motto #ausgehetzt gegen Hass 13. Oktober in Berlin auf. Das Bündnis den Menschen zu helfen und einen und Ausgrenzung in München auf wird getragen von einer großen Vielfalt flüchtenden Menschen in Not zu ver- die Straße gingen. zivilgesellschaftlicher Organisationen und sorgen, sei kein politisches Statement, Jürgen Soyer, inzwischen fast 20 Jahre Initiativen. Der Paritätische Gesamtver- sei kein politischer Akt.“ Doch im Lau- bei Refugio, bleibt optimistisch: „Es band gehört zu den Erstunterzeichnern fe der Zeit habe eine Politisierung gibt sehr viele engagierte Leute, auch des Aufrufs. Von der Demonstration wird stattgefunden. „Die Menschen, die hel- engagierte Politiker. Durch Jammern ein klares Signal ausgehen: Wir sind die solidarische Gesellschaft. Wir treten für fen, erleben, dass sehr viel von dem, ist die Welt noch nie besser geworden, eine Gesellschaft ein, in der Menschen- was sie leisten an Unterstützung und sondern durch das Tun. Ich glaube, es rechte unteilbar sind und vielfältige und was sie als legitim empfinden, poli- wird manchmal einfach unterschätzt, selbstbestimmte Lebensentwürfe selbst- tisch auf völlig bürokratische, nicht dass man wirklich Einfluss nehmen verständlich. nachvollziehbare Art und Weise ein- kann.“ Er empfiehlt, aktiv zu werden: Für ein Europa der Menschenrechte und fach wieder zunichte gemacht wird. Politiker ansprechen, ihnen Briefe sozialen Gerechtigkeit. Für ein solida- Das hat in vielen die Erkenntnis ge- schreiben. Engagement lohnt sich – risches und soziales Miteinander statt Aus- grenzung und Rassismus. Für das Recht weckt, Flüchtlingshilfe und der Ein- jetzt erst Recht. auf Schutz und Asyl – gegen die Abschot- satz für sozial benachteiligte Men- tung Europas. Für eine freie und vielfältige schen ist immer politisch und ich wer- Gwendolyn Stilling Gesellschaft. de irgendwann an Grenzen stoßen, die Aufruf und Informationen: ich nicht überwinden kann, wenn ich Mehr Informationen unter: www.unteilbar.org mich nicht politisch positioniere.“ Die www.refugio-muenchen.de Social Media: #unteilbar Initiative „Gemeinsam für Menschen- www.muenchner-freiwillige.de www.der-paritaetische.de 5 | 2018 11
Schwerpunkt Drei Fragen an Hanna Krebs von SOS MEDITERRANEE SOS MEDITERRANEE ist eine europäische, maritime und humanitäre Organisati- on zur Rettung Schiffbrüchiger im Mittelmeer. Sie wurde von Bürger/-innen und Bürgern im Mai 2015 gegründet – in Reaktion auf das Sterben im Mittelmeer und der Untätigkeit der Europäischen Union, diesem ein Ende zu setzen. Im Juni 2018 erlangte die Organisation bundesweite Schlagzeilen, als ihr Rettungsschiff Aquarius mit fast 700 geretteten Flüchtlingen an Bord tagelang keinen Hafen fand, der sie anlegen lassen wollte. Wir sprachen mit Hanna Krebs, Press Relations Managerin Hanna bei MEDITERRANEE Deutschland e.V.. Krebs Frau Krebs, SOS MEDITERRANEE hat einen an ihrer Arbeit gehindert werden, ster- über das sehr unkomplizierte Engage- bewegten Sommer erlebt. Das Festhalten ben Menschen im Mittelmeer. In den ment der Künstler/-innen gefreut, sich des Schiffs Aquarius hat SOS bundesweit letzten Monaten so viele wie schon lan- so stark für die Seenotrettung zu posi- berühmt gemacht. Hatten Sie dadurch Glück ge nicht mehr, weil wir, wie andere tionieren. im Unglück? Organisationen, an ihren Einsätzen Wir freuen uns auch sehr darüber, gehindert werden. dass durch die Fotokampagne, aber Von Glück kann keine Rede sein, denn auch darüber hinaus, die breite Öffent- auf dem Spiel stehen dabei Menschen- Bundesweit bekannt geworden ist ihre lichkeit mobilisiert wurde: So nahmen leben. Es kann nicht sein, dass die Un- Aktion #SpendeMenschlichkeit, bei der sich und nehmen immer noch tausende einigkeit zwischen europäischen Ent- verschiedene Prominente in Rettungswesten Menschen bundesweit an öffentlichen scheidungsträgern auf dem Rücken fotografieren ließen. Über wessen Bild Demonstrationen teil, um sich gegen der Geretteten ausgetragen wird und haben Sie sich am meisten gefreut und die Kriminalisierung der Seenotret- dass die zivile Seenotrettung zum warum? tung einzusetzen. Dass wir Unterstüt- Spielball der EU-Politik, gar kriminali- Wir freuen uns über jeden und jede, zung von so vielen verschiedenen Sei- siert wird. Es ist in den letzten Mona- der oder die „an Bord“ gekommen ist. ten erfahren, gibt uns natürlich Mut. ten nun zwei Mal vorgekommen, dass Angefangen hat die Kampagne mit Jan die Aquarius tagelang mit Dutzenden Delay und den Beginnern, hinzu ka- Seenotretter/-innen werden häufig als Geretteten auf hoher See ausharren men dann Clemens Schick, Joy Denala- „Schlepper“ beschimpft. Was entgegnen Sie? musste, bis sie einen sicherer Hafen ne, Max Herre, Herbert Grönemeyer, Das ist ein haltloses Argument, das be- für Geflüchtete zugewiesen bekam. Heike Makatsch, Clueso, Iris Berben- reits durch mehrere Studien widerlegt Wenn zivile Rettungsorganisationen und viele mehr. Wir haben uns sehr wurde. Auch zeigt die Tatsache, dass im Juni und Juli, als humani- täre Rettungsschiffe an ihren Rettungseinsätzen gehindert wurden, die Zahl der Toten im Mittelmeer massiv ange- stiegen ist. Menschen fliehen unabhängig davon, ob Ret- tungsschiffe vor Ort sind, oder nicht. Wir hören immer wieder von Geretteten, dass sie lieber auf dem Mittelmeer gestorben wären, als in Liby- en zu bleiben, wo sie schwers- ten Menschenrechtsverlet- zungen ausgesetzt sind. Die Fragen stellte Philipp Meinert. Mehr Informationen unter: www.sosmediterranee.de 12 www.der-paritaetische.de 5 | 2018
Schwerpunkt Wenn Dein Land „sicher“ ist, hast Du Pech gehabt. Ein Kommentar von Das Recht auf Schutz und Asyl Srdjan Tošic und die prekäre Lage der Roma in Serbien E uropa, darunter auch Deutsch- men von Diskriminierung und rassis- schaftliche Emanzipation von Roma in land, erlebt einen Rechtsruck. tischer Gewalt ausgesetzt. Die Lebens- Serbien ein – die Basis für eine stetige Der rechtspopulistische Diskurs erwartung der serbischen Roma liegt Integration in die Gesellschaft. Ge- zieht in die Asyldiskussion ein, die zehn Jahre unter dem europäischen meinsam mit lokalen Roma-Organisa- asylpolitische Debatte ist durch zy- Durchschnitt, die Kindersterblichkeit tionen hat SODI Gemeindezentren in nische Sprüche wie „Asyltourismus“ liegt viermal über dem Landesdurch- mehreren serbischen Städten gegrün- weit entfernt von einem sachlichen schnitt. Durch die kumulative Diskri- det, die psychologische, soziale und Diskurs. Dabei geht es um Menschen, minierung leben sie am Rand der Ge- juristische Beratung zu Themen wie die Schutz suchen. sellschaft. Gewalterfahrungen, Diskriminierung, Arbeitslosigkeit und Schulbildung an- Recht auf faires Asylverfahren Wo Staaten versagen, muss die Zivilge- bieten. Zudem fungieren die Gemein- Die Novellierung des Asylgesetzes 2015 sellschaft ran dezentren als Link zwischen der öf- hat die Westbalkanländer, darunter Jedem Menschen ein selbstbestimmtes fentlichen Verwaltung, Firmen und auch Serbien, als „sicher“ eingestuft. Leben in Würde und Sicherheit zu er- den Roma. Sie ermöglichen es den Der Gesetzgeber geht somit davon aus, möglichen, ist verbindlicher Auftrag Roma so, u.a. an der Ausarbeitung von dass die Menschen- Integ rat ionsplä- rechtssituation so si- nen auf kommu- cher ist, dass Bürger/- naler Ebene mit- innen dieser Länder zuwirken und ihre keinen Schutz in gesellschaftliche Deutschland benöti- Teilhabe zu stär- gen. Dieses Konzept ken. Es kam sogar verallgemeinert die dazu, dass die re- Menschenrechtsituati- gierende konserva- on in einem Land, ver- tive Partei Roma neint das Recht auf als Kandidaten bei Zugang zu einem in- den Gemeinde- dividuellen Asylver- wahlen aufstellte. fahren und verstößt Wo Menschen- somit gegen die Gen- rechte verletzt fer Flüchtlingskonven- werden, muss das tion und die Europä- angeprangert wer- ische Menschen- den. Zivilgesell- rechtskonvention, die schaftliches Enga- dieses Recht garantieren. jedes Staates. Doch was passiert, wenn gement ist ein unerlässlicher Teil der er das nicht tut? Demokratie. Wenn Staaten versäumen, Wie „sicher“ ist Serbien für Roma? Menschenrechte zu achten und margi- Aktive bürgerliche Teilhabe ist der nalisierte Gruppen zu stärken, muss Dabei sind 90 Prozent der Asylsuchen- Kern der demokratischen Gesellschaft. die Zivilgesellschaft zur sozialen und den aus dem Westbalkan Roma. Sie Wo Nationalstaaten sich abschotten ökonomischen Transformation beitra- sind die größte Minderheit Europas – oder rassistische Praktiken tolerieren, gen. Denn nur durch eine aktive Zivil- und gleichzeitig eine der meist diskri- muss die Zivilgesellschaft Allianzen gesellschaft und stete Solidarität kann minierten Bevölkerungsgruppen des schmieden, Gegenöffentlichkeit orga- die Demokratie leben. Kontinents. In einer besonders pre- nisieren und politische Alternativen kären Lage leben serbische Roma: entwickeln. Neben seinem Engage- neun von zehn sind arbeitslos, nur ein ment für faire Asylverfahren, Einzel- Srdjan Tošić Fünftel hat die Grundschule abge- fallprüfung und gegen das Konzept der Referent für Presse- und schlossen. Viele Roma leben unter „sicheren Herkunftsländer“ hierzulan- Öffentlichkeitsarbeit bei SODI e.V. menschenunwürdigen Bedingungen de, setzt sich SODI als entwicklungs- ohne Zugang zu sauberem Wasser und politischer Akteur in seinen Projekten Mehr Informationen unter: Kanalisation. Sie sind vielfältigen For- für die wirtschaftliche und gesell- www.sodi.de www.der-paritaetische.de 5 | 2018 13
Schwerpunkt Das Recht auf Wasser in mar geflohen sind. In den letzten Wo- chen hat der Monsun eingesetzt, die Wassermassen drohen das Flüchtling- der humanitären Hilfe scamp zu überfluten. Bedroht ist dadurch auch die Bereit- stellung von sauberem Wasser. Abwäs- S chon um acht Uhr morgens zeigt Frau und den Kindern schon seit drei ser und Fäkalien können sich mit den das Thermometer 32 Grad. Die Jahren auf engstem Raum in einem Niederschlägen über das gesamte Ge- Sonne ist gnadenlos, die Land- der weißen Wohncontainer. Sie hoffen lände verbreiten und in die Brunnen schaft karg und trocken. Inmitten die- auf eine baldige Rückkehr in ihr Hei- des Camps gelangen. Die notdürftig ser unwirtlichen Umgebung liegt das matdorf. errichteten Latrinen im Camp stehen Flüchtlingscamp Al-Wand im Irak. Menschen in Krisen und Konflikten außerdem oft zu nah an den Wasser- Mehr als 4000 Menschen leben hier. mit Wasser zu versorgen – das ist ein quellen. „Hier ist wichtig, dass die Sa- Bäume gibt es nicht und die nächste Schwerpunkt der Arbeit von arche nitärversorgung, Abwasser- und Ab- Ortschaft ist mehrere Stunden Fußweg fallbeseitigung von Anfang an mit ge- entfernt. plant wird, damit Infektionskrank- heiten nicht ausbrechen können. Dabei Asad Uthman hält mit seinem Auto an muss auch darauf geachtet werden, der Pumpstation unweit des Camps. dass Personengruppen, die besonders Der 55 jährige Ingenieur, den alle re- gefährdet sind, in die Planung mit ein- spektvoll Kak Asad nennen, ist Koordi- bezogen werden. Toiletten müssen so nator des regionalen WASH-Pro- gebaut sein, dass zum Beispiel für gramms von arche noVa im Nordirak. Frauen und Kinder die Wege möglichst Er unterhält sich mit den beiden Tech- kurz sind und dass sie als ein sicherer nikern und fragt, ob die Maschinen Ort wahrgenommen werden“, erklärt arbeiten. Sie pumpen das Wasser aus Carmen Paradiso. einem nahe gelegenen Stausee die mehr als zwei Kilometer lange Leitung Anna-Luise Sonnenberg den Berg hinauf bis zum Camp. “Wenn arche noVa - Initiative für sie ausfallen, dann rufen wir Kak Azad Menschen in Not e.V. an”, sagt einer der Techniker. Bisher Mehr Informationen unter: hat der Ingenieur immer eine Lösung www. arche-nova.org gefunden. Sogar an hohen Feiertagen, wie dem Ramadan, steigt Kak Asad im noVa. Denn auch in prekären Ausnah- Notfall in sein Auto und fährt die stau- mesituationen gilt: Es gibt ein Men- bige Piste bis zum Camp. schenrecht auf sauberes Wasser. In ei- Denn Wasser ist in der wüstenähn- ner humanitären Krise muss die Was- lichen Gegend noch wichtiger als an- serversorgung unter starkem zeitlichem Menschenrecht auf dernorts. Wie Kak Assad es in seiner Druck schnell organisiert werden. nüchternen Art als Ingenieur aus- „Auch sauberes Wasser trägt dazu bei, sauberes Wasser und drückt: “Wenn wir uns nicht jeden Tag den Menschen in einer solchen Situa- Sanitärversorgung um Wasser kümmern, dann sterben tion ein Mindestmaß an Schutz und Am 28. Juli 2010 hat die Generalver- die Leute”. Maximal 50 Liter pro Tag Würde zu bieten. Aber das ist noch sammlung der Vereinten Nationen stehen jedem Menschen im Al-Wand- nicht alles. Denn es gibt auch ein Recht mit der Resolution 64/292 das Recht Camp täglich zur Verfügung - zum auf eine angemessene Sanitärversor- auf Wasser als Menschenrecht aner- Trinken, zum Kochen, für die Kör- gung“, sagt Carmen Paradiso, Leiterin kannt. Zu einem angemessenen Le- perhygiene und den Haushalt. Außer- der Abteilung für Humanitäre Hilfe bensstandard zählt das Recht auf sa- dem werden damit auch die einfachen und Entwicklungszusammenarbeit bei nitäre Einrichtungen und sauberes Kühleinrichtungen in den Wohncon- arche noVa. Wasser, Sanitärversorgung Wasser. Noch immer haben weltweit tainern betrieben – die sind überle- und Hygiene – dieses überlebenswich- 844 Millionen Menschen keinen Zu- bensnotwendig, wenn die Temperatur tige Paket nennt sich WASH. gang zu sauberem Wasser. 2,3 Milli- am Mittag auf bis zu 47 Grad klettert. Dass diese drei Komponenten zusam- arden Menschen haben keinen Zu- Die Menschen, die in Al Wand woh- men gehören, wird im Kutupalong- gang zu einer Toilette. Um das Men- nen, sind vor Gewalt und Krieg im ei- Camp in Bangladesch sichtbar. Es ist schenrecht zu verwirklichen, bleibt genen Land geflohen. Für viele ist das mittlerweile das größte Flüchtling- also noch einiges zu tun. Mehr Infos: Provisorium zum Dauerzustand ge- scamp der Welt. Hier leben 970.000 www.righttowater.info worden. Jakob Ibrahim lebt mit seiner geflüchtete Rohingyas, die aus Myan- 14 www.der-paritaetische.de 5 | 2018
Schwerpunkt Istanbul-Konvention: Zum besseren Schutz von Frauen vor Gewalt M it großen Schritten und null Toleranz ist Deutschland ak- Warum ist die Umsetzung der Istanbul-Konvention so tuell in Punkto Gewaltschutz wichtig für die Arbeit der Frauenhäuser? gefordert: Im Februar 2018 trat die Istanbul-Konvention zur Verhütung „Erstmals muss der Staat zum Thema Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen aktiv werden und auf allen Ebenen (Bund, Land, Kommune) umfassende Maß- Frauen und häuslicher Gewalt in Kraft. nahmen zur Prävention zum Schutz der Betroffenen und zu rechtlichen Sanktionen gegen Laut Artikel 1 der Istanbul Konvention geschlechtsspezifische Gewalt ergreifen. Der Ausbau eines differenzierten Hilfe- und gilt es, Frauen vor allen Formen von Unterstützungssystems wird verpflichtend und die Rolle der NGOs wird in diesem Kon- Gewalt zu schützen und Gewalt gegen text gestärkt. Mit Hinweis auf die Konvention können Frauenhäuser jetzt den langjäh- Frauen und häusliche Gewalt zu verhü- rigen Forderungen bezüglich einer einheitlichen, einzelfallunabhängigen und ausrei- ten, zu verfolgen und zu beseitigen. chenden Finanzierung von Schutzplätzen Nachdruck verleihen. Hierfür ist auch die Das bedeutet für die Bundesregierung Einführung eines Rechtsanspruchs zwingend geboten.“ jetzt deutlich mehr in Maßnahmen zum Gewaltschutz zu investieren. Elke Schmidt-Sawatzki, Mitglied im Vorstand des Paritätischen Gesamtverbands, Denn jede vierte Frau in Deutschland Landesvorsitzende des Paritätischen NRW und hat mindestens einmal in ihrem Leben Geschäftsführerin des Vereins „hexenHAUS“ Espelkamp körperliche oder sexuelle Partner- schaftsgewalt erfahren. Betroffen sind Frauen aller sozialen Schichten. Der Paritätische Gesamtverband fordert die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Schutz und Unterstützung für alle gewaltbetroffenen Frauen und deren Kinder. Zudem setzt sich der Verband für niedrigschwellige und bedarfsge- rechte Hilfs- und Unterstützungsange- bote für von Gewalt betroffenen Frauen ein. Sein Ziel: eine verlässliche und adäquate finanzielle Ausstattung von Frauenhäusern und Fachberatungs- stellen. Hier kommen nun vier Exper- tinnen zu Wort, die zum Thema Um- setzung der Istanbul Konvention Posi- tion beziehen. Elke Schmidt-Sawatzki Dr. Leonie Steinl LL.M. Was muss aus juristischer Sicht für die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutsch- land getan werden? Was sind die drei wichtigsten Punkte? „Der djb hat in seiner Stellungnahme zur Umsetzung der Istanbul-Konvention dringenden Umsetzungsbedarf in zahlreichen Rechtsge- bieten identifiziert. Die drei wichtigsten Punkte sind dabei: (1.) Der Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen muss als verpflichtende Staatsaufgabe angesehen werden. (2.) Alle Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt müssen als solche identifiziert und wirksam unterbunden werden. (3.) Das Unterstützungsangebot für gewaltbetroffene Frauen muss diskriminierungsfrei ausgestaltet und angewendet werden.“ Dr. Leonie Steinl LL.M. Vorsitzende der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes www.der-paritaetische.de 5 | 2018 15
Schwerpunkt Welche Vorteile hat die Umsetzung der Istanbul-Konvention insbesondere für transge- schlechtliche Personen und intergeschlechtliche Kinder in Deutschland? „Die Istanbul-Konvention nimmt eindeutig darauf Bezug, dass das Problem der Gewalt gegen Frauen intersektional angegangen werden muss, einschließlich der Diskriminierungen aufgrund „der Geschlechtsidentität“. D.h. auch trans* (transgeschlechtliche, transsexuelle, transidente, transgender, genderqueere, nicht-binäre etc.) und inter* (intergeschlechtliche, intersex, intersexuelle, zwischengeschlechtli- che, agender etc.) Menschen müssen durch den Staat (besser) vor Gewalt geschützt werden. Ein wichtiger Vorteil der Konvention liegt darin, dass sie einen sehr klaren Gewaltschutz für Transfrauen formuliert, den es gerade in Frauenhäusern, -wohneinrichtungen und Opferschutzprogrammen noch umzusetzen gilt. Das ist ein elementarer Fortschritt, denn Transfrauen sehen sich laut zahlreicher Studi- en überproportional häufig Gewalt ausgesetzt. Darüber hinaus ist es wichtig zu betonen, dass die Konvention auch Transmänner vor geschlechtsspezifischer Gewalt und Diskriminierung schützen muss, wenn diese Gewalt erfahren, weil sie als Frau wahrgenommen werden. Dies gilt auch für alle zwischengeschlechtlich/nicht-binär identifizierte Inter*- und Trans*-Menschen. Immer wenn die Selbstiden- tifikation als Frau bzw. das bei Geburt als weiblich zugewiesene Geschlecht Ausgangspunkt für Diskriminierung und Gewalterfahrungen wird, muss unseres Erachtens nach der Schutz dieser Konvention greifen. Wir sehen in diesem Kontext Transfeindlichkeit als Sonderform von Misogynie und Gewalt gegen Frauen, weil Trans*-Menschen entweder angefeindet werden weil sie „nicht weiblich genug“ (im Fall von Transfrauen) oder „noch zu weiblich“ (im Fall von Transmännern) sind bzw. die Grenzen von „Weiblichkeit“ und „Frau-Sein“ (alle Trans*-Menschen, insbesondere nicht-binäre) nicht wahren. Ratifizierungsstaaten, also auch Deutschland, haben durch die Konvention ihren proaktiven Gewaltschutz-, Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsauftrag gestärkt. Überall sind die ggf. besonders vulnerablen Lebenslagen von trans* und inter* Menschen mit zu beach- ten, egal ob es sich um die Zugänglichkeit von Frauenhäusern, Mädcheneinrichtungen, Hilfetelefonen oder Förderprogrammen zum Gewaltschutz handelt. Konkret hieße eine konsequente Anwendung der Konvention in Deutschland auch einen dritten, selbstbestimmten Geschlechtseintrag für nicht-binäre Trans*- und Inter*-Personen einzuführen, die bisher dem weiblichen Geschlecht zugeordnet waren, weil die Nicht-Existenz eines dritten Geschlechtes für sie eine Form struktureller Gewalt darstellt. Auch (nicht lebensrettende) geschlechts- zuweisende medizinische Eingriffe an inter* Kindern im nicht-einwilligungsfähigen Alter sind sofort einzustellen, weil hier direkte, körper- liche Gewalt bis hin zu Formen von Genitalverstümmelungen ausgeübt wird. Nicht zuletzt muss die Reform des Transsexuellengesetzes (TSG) dringend umgesetzt werden. Es bleibt zu hoffen, dass unsere nationale Umsetzung der Istanbul Konvention über die – wichtige und überfällige - Inklusion von Transfrauen in Frauenhäuser und Gewaltschutzprogramme hinaus geht. Da wo es der Vertragstext nicht sogar direkt mandatiert, erlaubt er es zumindest und die Trans*- und Inter*-Communities brauchen dringend einen besseren Schutz vor individueller und struktureller Gewalt.“ Arn Sauer, Josch Hoenes Bundesvereinigung Trans* e.V. Was erwarten Sie von der Umsetzung derIstanbul-Konvention im günstigsten Fall? „Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention verpflichtet sich Deutschland, Gewalt gegen Frauen in allen Ausprägungen systema- tisch und koordiniert zu bekämpfen. Alle staatlichen Ebenen sind hier gefordert: Kommunen, Länder und Bund und alle Ministerien: nicht nur Frauenministerien, sondern auch Innenministerien oder Justizministerien. Wir sehen erstmals die Chance, dass die Bekämp- fung von Gewalt gegen Frauen als Aufgabe für den gesamten Staat entschlossen angepackt wird. Nur so kann auch die rechtliche Siche- rung von Schutz und Hilfe in einem Rechtsanspruch gelingen.“ Heike Herold Geschäftsführerin von Frauenhauskoordinierung e.V. (FHK) Heike Herold 16 www.der-paritaetische.de 5 | 2018
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