Schutz ist ein Menschenrecht - 5| 2018 - Der Paritätische

 
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Schutz ist ein Menschenrecht - 5| 2018 - Der Paritätische
D 20493 E

                                5| 2018
Schutz ist ein Menschenrecht

              Nachrichten | Berichte | Reportagen
Schutz ist ein Menschenrecht - 5| 2018 - Der Paritätische
Inhalt

                                               Editorial         3
                                               Schwerpunkt: Schutz ist ein Menschenrecht!
                                               Deutschland schottet sich ab – Europa auch: Es wird
                                               Zeit für eine alternative Flüchtlingspolitik        4
                                               Grenzenlos familiär? Familiennachzug wird
                                               Flüchtlingen schwer gemacht7
                                               Drei Fragen an Ferdos Mirabadi, kargah e.V.         9
                                               Hilfe und Engagement in Zeiten von
                                               Hetze und Abschottung                              10
                                               Drei Fragen an Hanna Krebs, SOS MEDITERRANEE 12
                                               Kommentar: Wenn Dein Land „sicher“ ist, hast Du
                                               Pech gehabt                                        13
                                               Das Recht auf Wasser in der humanitären Hilfe      14
                                               Stimmen zur Istanbul-Konvention: Zum besseren
                                               Schutz von Frauen vor Gewalt                       15

                                          7
                                               Traurig aber wahr: Frauen brauchen immer noch
                                               besonderen Schutz.                                 17
                                               Drei Fragen an Eva Küblbeck, LL.M.,
                                               KOK Bundesweiter Koordinierungskreis
                                               gegen Menschenhandel e.V.                          19
                                               Viele Frauen bleiben schutzlos                     20
                                               AGG: Das Recht auf Schutz bedeutet auch Schutz vor
                                               Diskriminierung.                                   22
                                               Dritte Option: Gleiches Recht für jedes Geschlecht 24
                                               Kommentar: Antirassismusarbeit als zentraler
                                               Aspekt des Flüchtlingsschutzes                     25
                                               Kurz vorgestellt / Weitere Publikationen           27

                                               Sozialpolitik
                                               Sozialer Zusammenhalt auf der Kippe: Paritätisches
                                               Jahresgutachten 2018 vorgestellt                       28
                                               Kommentar: Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung        29
                                               Aktuelles u.a. Konzertierte Aktion Pflege, Masterplan
                                               Migration, Mindestlohn, Kindergeld für
                                               EU-Bürger/-innen, Sozialer Arbeitsmarkt                30

                                          20   Verbandsrundschau
                                               Rückblick: Expertengespräch „Beratung braucht
                                               Schutz(räume)“                                         33
                                               Übersicht: Aktuelle Paritätische Verbandsstatistik     34
                                               Neue Projekte des Paritätischen Gesamtverbands          35
                                               Nachruf auf Jutta Pietsch                              35
                                               Aktionen und Kooperation: Kampagne konkret.            36
                                               Menschenrechtskampagne erreicht die
                                               Handball-Bundesliga/ Rosenbrock unterwegs              37
                                               Einkaufsvorteile nutzen                                38
                                               Termine, Bildnachweise und Impressum                   39

                                                               Nicht nur gedruckt
                                                               sondern auch unter
                                                             facebook.com/paritaet
                                                                                      t
                                                            bei Twitter unter paritae
                                                                                   gram
                                                          und jetzt auch bei Insta

                                          33
                                                                                  ritaet/
                                                          unter instagram.com/pa

2   www.der-paritaetische.de   4 | 2018
Schutz ist ein Menschenrecht - 5| 2018 - Der Paritätische
Editorial

                                                                      Professor Dr.
                                                                  Rolf Rosenbrock,
                                                                  Vorsitzender des
                                                                       Paritätischen
                                                                  Gesamtverbands

Liebe Leserinnen und Leser,

das Recht auf Schutz, Zuflucht und         werden. Das Recht auf ein Leben in           im Arbeitsleben, im Alltag, beim Zu-
Hilfe ist zentraler Bestandteil der Men-   Würde und auf Teilhabe am gesell-            gang zu Wohnraum, in Verwaltungen
schenrechte. Es findet sich in der All-    schaftlichen Leben gilt für alle, auch       oder Bildungseinrichtungen sind Ver-
gemeinen Erklärung der Menschen-           für geflüchtete Menschen.                    stöße gegen geltende Menschenrechte.
rechte, im Internationalen Pakt über       Der Schutz von Frauen vor Gewalt ist         Ihnen muss durch zielgerichtete Maß-
bürgerliche und politische Rechte, in      ein ebenso virulentes Thema, wenn es         nahmen vorgebeugt, jede darauf ge-
der Europäischen Menschenrechtskon-        um das gleiche Recht aller auf Schutz,       richtete Praxis muss bekämpft werden.
vention und weiteren völkerrechtlichen     Hilfe und Zuflucht geht. Jede vierte         Dazu gehört zum Beispiel, das Netz
Verträgen. Darin verpflichten sich die     Frau hat mindestens einmal in ihrem          der     Antidiskriminierungsverbände
unterzeichnenden Staaten, die Men-         Leben körperliche oder sexuelle Ge-          durch verlässliche Förder- und Finan-
schen vor Sklaverei, Folter, Diskrimi-     walt erlebt. Fachberatungsstellen und        zierungsstrukturen auszubauen, um
nierung, politischer Verfolgung zu         Frauenhäuser bieten den Betroffenen          einen beständigen niedrigschwelligen
schützen und jedem ein Recht auf Le-       durch Notdienste, psychologische Be-         Zugang zum Schutz und zur Rechts-
ben, Freiheit und Sicherheit zu garan-     treuung, Beratung, Kinderbetreuung,          durchsetzung sicherzustellen oder den
tieren. Die Menschenrechte gelten uni-     sichere Wohnplätze vielseitige Unter-        Diskriminierungsschutz auf den ge-
versell und für jeden Menschen - un-       stützung und einen Zufluchtsort.             samten Bereich staatlichen Handelns
abhängig von Hautfarbe, Geschlecht,        Doch vielerorts ist die Finanzierung         auszuweiten.
Herkunft oder sonstigen Merkmalen.         der Unterstützungsleistungen nicht
Trotz des im internationalen Vergleich     gesichert. Um den betroffenen Frauen
hohen Standards beim Menschen-             Schutz zu bieten, bedarf es eines            Herzlich, Ihr
rechtsschutz in Deutschland sind auch      Rechtsanspruches auf Beratung oder
hierzulande Einschränkungen und            Schutz und Unterstützung für alle von
Verletzungen des Rechts auf Schutz         Gewalt betroffenen Frauen und ihre
festzustellen.                             Kinder, niedrigschwelliger Hilfs- und
So hat jeder Mensch das Recht, in an-      Unterstützungsangebote sowie einer
deren Ländern vor Verfolgungen Asyl        verlässlichen Finanzierung dieser Pro-
zu suchen und Schutz zu erhalten.          gramme.
Doch das Schutzrecht erodiert zuneh-       Diskriminierungen, insbesondere we-
mend, v. a. durch die Abschottung Eu-      gen ethnischer Zuschreibungen, Haut-
ropas und die Versagung der Möglich-       farbe, äußerer Erscheinung, des Ge-
keiten zur sicheren Einreise. Diese in-    schlechts, der sexuellen Identität, we-
humane Politik muss geändert werden,       gen chronischer Krankheiten und der
legale Zuwanderungswege müssen of-         sozialen Herkunft sind hierzulande
fen gehalten bzw. geschaffen sowie der     leider immer noch alltägliche Erfah-
Fokus auf die Aufnahme und Integra-        rungen von Menschen. Die verschie-
tion der Zuflucht Suchenden gelegt         denen Formen der Diskriminierungen

                                                                                       www.der-paritaetische.de   4 | 2018   3
Schutz ist ein Menschenrecht - 5| 2018 - Der Paritätische
Schwerpunkt

Deutschland schottet sich ab – Europa auch.
Es wird Zeit für eine alternative Flüchtlingspolitik.

    Drei Jahre nach dem deutschen
    „Flüchtlingssommer“ hat sich nicht
    nur die Zahl der neu einreisenden
    Schutzsuchenden in Deutschland
    drastisch verändert, sondern auch
    die deutsche und europäische Asyl-
    politik. Welche Folgen hat dies für
    das Recht auf Schutz vor Verfol-
    gung? Und vor allem: welche Folgen
    hat dies für die Menschen, die von
    dieser Politik betroffen sind?

D
         as Jahr 2015 war in vielerlei       schen haupt- und ehrenamtlich und          war das individuelle Recht auf Asyl in
         Hinsicht     außergewöhnlich:       gingen dabei bis an die Grenzen der        Europa so massiv gefährdet wie im
         nicht nur, dass innerhalb rela-     eigenen Belastbarkeit.                     Sommer 2018, wurde Menschen- und
tiv kurzer Zeit mit 890.000 Menschen         Drei Jahre später gibt es diese Men-       Völkerrecht so offensichtlich ignoriert
besonders viele Schutzsuchende nach          schen noch immer: die, die sich aus        und rechtsstaatliche Prinzipien unter-
Deutschland kamen. Auch die Reakti-          Überzeugung engagieren in der              laufen.
on der Bevölkerung sowie der breiten         Flüchtlingsarbeit. Die, die davon über-    Schaut man sich die aktuellen Flücht-
Medien war besonders: nämlich entge-         zeugt sind, dass Deutschland und Eu-       lingszahlen an, so kann man die Ver-
gen mancher Erwartungen ganz über-           ropa eine Verantwortung für die Auf-       suche, entgegen europa- und men-
wiegend positiv. Es bestand ein schein-      nahme von Flüchtlingen haben und           schenrechtlicher Vorgaben alle nur er-
bar breiter Konsens, dass die hier           das Recht auf ein individuelles Asylver-   denklichen Grenzen für Flüchtlinge zu
schutzsuchenden       Menschen      aus      fahren und Schutz vor Verfolgung in        verschließen, kaum nachvollziehen:
gutem Grund ihre Herkunftsländer             Europa bewahrt werden muss. Und            Zwar sind laut Angaben von UNHCR
verlassen hatten und fliehen mussten.        selbstverständlich gibt es auch noch       im Sommer 2018 weltweit 68,5 Millio-
Es gab ein Bewusstsein und Mitgefühl         die, die vor Gewalt und Verfolgung flie-   nen Menschen auf der Flucht – und
dafür, dass diese Menschen vor ihrer         hen müssen und dabei den lebensge-         somit mehr als je zuvor seit dem Ende
Flucht und auf dem Weg hierher unbe-         fährlichen Weg nach Europa und             des 2. Weltkrieges. Nach Europa und
schreibliches durchlitten hatten: Ge-        Deutschland auf sich nehmen. Sie alle      Deutschland kommt jedoch nur ein
walt, Folter, Vergewaltigung, Lebens-        scheinen jedoch im Moment leiser zu        Bruchteil dieser Menschen: Mehr als
gefahr oder den Tod nahestehender            sein als diejenigen, die sich lautstark    85 Prozent der Flüchtlinge unter UNH-
Menschen.                                    und teils hasserfüllt gegen den weite-     CR-Mandat leben in Entwicklungslän-
Und ja, es gab auch ein breites Einver-      ren Zuzug von Flüchtlingen ausspre-        dern, die allermeisten bleiben als sog.
nehmen darüber, dass Deutschland             chen und die Schließung der deut-          Binnenvertriebene in der Krisenregion
und Europa diese Menschen aufneh-            schen wie auch europäischen Grenzen        und den Herkunftsländern selbst. Nach
men und ihnen Schutz gewähren                fordern. Zumindest folgt die deutsche      Angaben der Internationalen Organisa-
sollte. Um dies zu ermöglichen, enga-        wie auch europäische Asylpolitik au-       tion für Migration sind im ersten Halb-
gierten sich Zehntausende von Men-           genscheinlich letzteren: Selten zuvor      jahr 2018 ungefähr 51.000 Menschen

4      www.der-paritaetische.de   5 | 2018
Schutz ist ein Menschenrecht - 5| 2018 - Der Paritätische
Schwerpunkt

über das Mittelmeer nach Europa ge-       te Modell: der Abschluss sog. „regio-        flächendeckenden Asylverfahrensbera-
kommen. Von einem „Ansturm“ von           naler Ausschiffungsvereinbarungen“           tung schwierig, fristgerecht Rechts-
Schutzsuchenden, dem man mit so           mit Drittstaaten, in denen mit Hilfe         mittel einzulegen. Und schon jetzt
drastischen Maßnahmen begegnen            von UNHCR der Schutzbedarf geklärt           werden Menschen abgeschoben, ob-
müsste, wie dies aktuell passiert, kann   werden soll. Auch die Frage, welche          wohl das rechtsstaatliche Verfahren
also nicht die Rede sein.                 Drittstaaten hierzu bereit sind, ist bis-    zur Überprüfung ihres Antrags noch
                                          lang vollkommen offen. Es wird aus           läuft. Darüber hinaus sind sich
Abschottung Europas                       diesem Grund auf absehbare Zeit bei          Sozialwissenschaftler/-innen seit Jah-
                                          der menschenrechtswidrigen Praxis            ren darüber einig, dass die sog. „ab-
Bereits seit Sommer 2016 versucht die     bleiben, Schutzsuchende mit europä-          schreckenden      Maßnahmen“         für
Europäische Union, das aktuelle Ge-       ischer Unterstützung durch die liby-         Flüchtlinge in der Regel keine Rolle bei
meinsame Europäische Asylsystem zu        sche Küstenwache nach Libyen zurück          der Wahl des Zielortes spielen. Ent-
reformieren. Die EU-Kommission hat-       drängen zu lassen – obwohl ihnen             scheidend sind vielmehr Informatio-
te sich für die Reform vier Ziele ge-     dort, wie bereits 2012 vom Europä-           nen von Schleusern sowie bestehende
setzt: Die Verhinderung von sog. Se-      ischen Gerichtshof für Menschenrech-         Kontakte zu Familienangehörigen und
kundärmigration also die Weiterwan-       te festgestellt wurde – Folter und un-       Community.
derung in einen anderen Mitgliedstaat,    menschliche Behandlung droht.
die Bekämpfung von Missbrauch, faire                                                   Zeit für eine alternative Flüchtlingspolitik
und effiziente Asylverfahren sowie        Abschreckung in Deutschland
eine fairere Verteilung von Verantwort-                                                Der Paritätische und seine Mitgliedsor-
lichkeiten.                               Die deutsche Asylpolitik und -gesetzge-      ganisationen engagieren sich in vielen
Insbesondere das letzte Ziel scheint      bung setzt bereits seit dem Herbst           Bereichen sozialer Arbeit mit und für
für die Europäische Union unerreich-      2015 zunehmend auf die Einführung            Geflüchtete und dieses Heft stellt eini-
bar geworden zu sein. Da bei der Frage    abschreckender Maßnahmen. Im Jahr            ge Beispiele vor. Doch daneben gibt es
der innereuropäischen Solidarität kei-    2018 spitzt sich dies erneut zu: der so-     noch viel mehr: Beratung im Asylver-
ne Einigung erzielt werden kann, soll     genannte „Masterplan Migration“ des          fahren oder zu sozialen Rechten, psy-
der Flüchtlingsschutz nunmehr ver-        Bundesinnenministers sieht u.a. die          chosoziale Unterstützung traumati-
stärkt auf Drittstaaten außerhalb der     Einführung von AnkER-Zentren vor,            sierter Menschen, Empowerment und
Europäischen Union ausgelagert wer-       in denen Asylsuchende bis zu 18 Mo-          Gewaltschutz, ehrenamtliche Unter-
den. Dafür will man zum einen das         nate isoliert und ohne Perspektive auf       stützung und gemeinwesenorientierte
Konzept sog. sicherer Dritt- und Ersta-   Integration untergebracht werden sol-        Projekte, Integrationskurse, Betreuung
sylstaaten ausweiten und nach dem         len. Diese zunehmende Abkehr von             in Aufnahmeeinrichtungen und vieles
Beispiel des EU-Türkei-Deals Schutz-      der Willkommenskultur hat verhee-            mehr.
suchende ohne eine inhaltliche Prü-       rende Folgen nicht nur für die Schutz-       Die Erfahrungen der letzten Jahre ha-
fung ihres Asylantrags direkt aus den     suchenden, sondern auch für den ge-          ben gezeigt, dass die voran schreiten-
sog. „Hotspots“ an den europäischen       samtgesellschaftlichen     Zusammen-         den Abschottungsversuche vor allem
Außengrenzen in Drittstaaten verbrin-     halt. Begegnungen und Austausch zwi-         dazu führen, dass schutzsuchende
gen, in denen keine europäischen          schen neu Ankommenden und länger             Menschen noch gefährlichere Wege
Standards herrschen und die Genfer        hier lebenden bzw. aufgewachsenen            suchen und noch mehr Menschen auf
Flüchtlingskonvention in der Regel        Menschen werden dadurch verhindert           ihrem Weg nach Europa ihr Leben ver-
nicht ratifiziert wurde.                  und die Integration der hier Bleibenden      lieren als bisher. Eine wirksame Poli-
Zum anderen wird die zivile Seenotret-    zudem erschwert. Sozialen Span-              tik, um das Sterben auf dem Mittel-
tung kriminalisiert und das Ausschif-     nungen wird damit der Boden bereitet         meer und in den Wüsten Afrikas zu
fen selbst staatlicher Seenotrettungs-    Daneben sollen Sozialleistungen wei-         beenden ist nicht das Verschließen
boote von den Mitgliedstaaten an den      ter gekürzt bzw. als Sachleistungen          immer weiterer Routen, sondern die
EU-Außengrenzen untersagt. Im an-         erbracht werden, Verfahren noch mehr         Schaffung legaler Zugangswege nach
dauernden Streit um die Frage der Auf-    beschleunigt und das Ausweisungs-            Europa, also die Ausweitung des Fami-
nahme von aus Seenot Geretteter hat       recht erneut verschärft werden. Ab-          liennachzugs, der Ausbau von Reset-
man sich im Juli darauf geeinigt, sog.    schiebungen sollen selbst während            tlementprogrammen oder die stärkere
„kontrollierte Zentren“ einzurichten,     eines laufenden Gerichtsverfahrens           Nutzung humanitärer Visa. Auch der
in denen innerhalb von 3 Tagen eine       zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit           Aufbau einer europäischen Seenotret-
Prüfung des Asylantrags erfolgen soll.    der Abschiebung ermöglicht werden.           tung sowie die Sicherstellung der Aus-
Allein die Frage, wo diese – voraus-      Dies alles geschieht, obwohl die Asyl-       schiffung Geretteter in sichere Häfen
sichtlich haftähnlichen – Zentren ein-    verfahren in den letzten Jahren schon        – und somit nach Europa – ist längst
gerichtet werden sollen, wurde nicht      immens verkürzt und verschärft wur-          überfällig. Darüber hinaus bedarf es
geklärt. Bevorzugt wird ohnehin zwei-     den. Schon jetzt ist es mangels einer        aber vor allem eines ehrlichen Um-

                                                                                      www.der-paritaetische.de     5 | 2018       5
Schutz ist ein Menschenrecht - 5| 2018 - Der Paritätische
Schwerpunkt

gangs mit der viel gepriesenen Flucht-       Schutzsuchende monate- bis jahrelang
ursachenbekämpfung: eine Entwick             in Großeinrichtungen unter Bedin-
lungspolitik, die nicht die Bedürfnisse      gungen zu isolieren, die krank ma-
der Gesellschaften vor Ort, sondern          chen. Dies gilt insbesondere für beson-
nur die europäische Migrationspolitik        ders schutzbedürftige Personen, deren
im Blick hat, wird die Situation in Afri-    qualifizierte Versorgung und Betreu-
ka nicht verbessen, sondern verschlech-      ung bundesweit sichergestellt werden
tern, da sie die innerafrikanische Frei-     muss.
zügigkeit tangiert. Und eine Weiter-         Das Ziel, Asylverfahren möglichst zü-
wanderung aus Krisenregionen wird            gig durchzuführen, darf nicht auf Ko-
so lange nicht unterbleiben, so lange        sten der Qualität, der angemessenen
Flüchtlinge dort nicht einmal genug          Vorbereitung      und    sachkundigen
Lebensmittel zum Überleben und Kin-          Durchführung der Verfahren realisiert
der keinen Zugang zu Schulen haben.          werden. Nicht Schnelligkeit allein darf
In der deutschen Asylpolitik muss der        entscheiden, sondern Qualität und
Fokus weg von der Aufenthaltsbeendi-         Rechtsstaatlichkeit müssen sicherge-
gung und Abschiebepolitik dahin ge-          stellt werden.
lenkt werden, wo tatsächlich der größte
Bedarf ist: bei der Aufnahme und Inte-
gration Schutzsuchender. Eine demo-            Kerstin Becker ist Referentin
kratische, offene und vielfältige Gesell-      für Flüchtlingshilfe/-politik beim
schaft sollte gleichberechtigte Teilhabe       Paritätischen Gesamtverband
von Anfang an ermöglichen, anstatt

                                                                  Unsere Kampagne 2018
                                                                  MENSCH, DU HAST RECHT!
                                                                  Der Paritätische Wohlfahrtsverband und seine Mitglieder treten
                                                                  täglich für die sozialen und individu­ellen Menschenrechte ein.
                                                                  Wir wissen durch unsere Arbeit, dass diese Grundrechte vielfach
                                                                  verletzt und missachtet werden. Wir wissen, dass wir um ihre
                                                                  Einhaltung und ihren Ausbau kämpfen müssen. Im 70. Jahr der
                                                                  Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte setzen wir genau
                                                                  dort mit unserer Kam­pagne MENSCH, DU HAST RECHT! an:
                                                                  Als Träger der freien Wohlfahrtspflege machen unsere Mitglieder
                                                                  und wir uns stark für die Einhaltung der Menschenrechte. Schwer-
                                                                  punkte der Kampagne sind die zentralen Themen Wohnen, Ge-
                                                                  sundheit, Bildung, Selbstbestimmung, Teilhabe und Schutz.

                                                                         Aktuelle Informationen, Materialien und Termine unter:
                                                                                                 www.mensch-du-hast-recht.de

                                                                                              Siehe auch Seite 36 in diesem Heft.

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Schutz ist ein Menschenrecht - 5| 2018 - Der Paritätische
Schwerpunkt

                                                                                           ben juristischer Beratung bieten sie

 Grenzenlos familiär?                                                                      auch Sprachkurse an.
                                                                                           Über mangelhaften Zuspruch kann
                                                                                           man sich nicht beklagen. Teilweise
 Familiennachzug wird Flüchtlingen schwer gemacht.                                         stünden bereits morgens um 6 Uhr
                                                                                           (und damit lange vor der Öffnung)
                                                                                           mehr Ratsuchende vor der Tür der
                                                                                           KuB, als an einem Morgen beraten
                                                                                           werden können. Das bringt Probleme
                                                                                           mit sich, wie Manuel Armbruster er-
                                                                                           klärt: „Es kommt auch schon mal vor,
                                                                                           dass wir Leute wegschicken müssen.
                                                                                           Wir versuchen dann aber, sie an ande-
                                                                                           re Beratungsstellen zu verweisen.“
                                                                                           Dass die Geflüchtetenzahlen seit Jah-
                                                                                           ren deutlich zurückgehen, merkt man
                                                                                           in der täglichen Arbeit also kaum. Der
                                                                                           Beratungsbedarf ist immer noch im-
 Die Tatsache in einem fremden Land in Sicherheit zu sein, während die eigenen             mens. Was sich verändert sind die The-
 Kinder, Partner, Geschwister oder Eltern weiterhin in einem Kriegsgebiet mit unsi-        men: Während es 2016 mehr um feh-
 cherer Zukunft verbleiben, ist ein Albtraum für alle Menschen. Für Menschen, die          lerhafte Asylbescheide und juristische
 nach Deutschland geflüchtet sind, ist das oft bittere Realität, denn die Strapazen der    Beratung ging, stehen heute aufent-
 Flucht können nur diejenigen auf sich nehmen, die kräftig genug sind. Angehörige,         halts- und sozialrechtliche Fragen im
 die zu jung, zu alt oder krank sind, bleiben dann in den Krisen- und Kriegsgebieten.      Mittelpunkt.
 Für beide Seiten eine schreckliche Situation.                                             Angesprochen auf die jüngsten Ent-
                                                                                           wicklungen zum Familiennachzug hat
                                                                                           Armbruster eine klare Meinung: „Die
Für anerkannte Flüchtlinge sieht das         vollen Umfang Asyl bekommen, für              Aussetzung des Familiennachzugs ist
Gesetz eigentlich das Instrument des         zwei Jahre aus. Nach langem Streit            aus humanitärer und menschenrecht-
Familiennachzugs vor: Deren Angehö-          auch innerhalb der Regierungskoaliti-         licher Perspektive nicht nachvollzieh-
rige können unter Umständen nach             on dürfen nun seit August 2018 wieder         bar. Da musste man schon fragen: Hat
Deutschland geholt werden. Unter             1000 Menschen monatlich über den              der deutsche Staat alles menschen-
menschen- und verfassungsrecht-              Familiennachzug nach Deutschland              rechtlich Gebotene getan?“ Die Unge-
lichen Aspekten ist die Frage eigent-        kommen.                                       wissheit belaste die Menschen enorm
lich eindeutig. So heißt es in der Euro-     Das sorgt für Verunsicherung unter            und setze die Angehörigen in den Kri-
päischen Menschenrechtskonvention            Geflüchteten. Sie haben in der Folge          sengebieten auch in Gefahr. Für genau
schon seit 1950: „Jede Person hat das        viele Fragen. Damit können sie sich an        so wenig nachvollziehbar hält er die
Recht auf Achtung ihres Privat- und          Beratungsstellen wie die KuB, die             willkürliche Begrenzung auf 1000 Per-
Familienlebens, ihrer Wohnung und            „Kontakt- und Beratungsstelle für             sonen pro Monat, vor allem, da gleich-
ihrer Korrespondenz.“ Auch im deut-          Flüchtlinge und Migrant_innen“ in             zeitig die Grenzen immer mehr ge-
                                                                                           schlossen wurden und die realen Zu-
schen Grundgesetz stehen Ehe und             Berlin-Kreuzberg wenden. Dort berät
                                                                                           gangszahlen schon enorm niedrig
Familie prinzipiell unter dem besonde-       sie u.a. Manuel Armbruster.
                                                                                           sind.
ren Schutz des Staates.                      Er beschäftigt sich seit 2008 mit dem
                                                                                           Jemand, der eigene Erfahrungen mit
Für subsidär Geflüchtete sieht die Re-       Thema Flucht. Da machte Armbruster
                                                                                           Familiennachzug hat, ist Cheredin.
alität allerdings anders aus. Insgesamt      ein Praktikum beim Flüchtlingsrat in
                                                                                           Der Kurde kam bereits 1998 aus der
tut Deutschland mehr, um Familien-           Berlin. Nach seinem Studium in Frei-
                                                                                           Stadt Qamischli an der türkischen
nachzug zu begrenzen als ihn zu er-          burg zog er 2014 wieder nach Berlin.          Grenze in Syrien nach Deutschland.
möglichen. In den vergangenen Jahren         Zur KuB kam er, weil sie auch recht-          Sein Asylantrag wurde zunächst abge-
war die Frage, inwiefern man einen           liche Beratung bietet, was ihm beson-         lehnt, seine Klage war aber letztend-
Zuzug von Flüchtlingen begrenzen             ders wichtig war, wo er seit 2015 arbei-      lich erfolgreich und Cheredin wurde
kann, oft damit verbunden, wie man           tet. Diese ist selbstorganisiert und          als Flüchtling anerkannt. Zunächst
den Zuzug von Angehörigen ein-               überwiegend ehrenamtlich getragen.            fühlte er sich in Deutschland aber
schränken kann. Zuletzt setzte der           Seine Arbeit dort beschreibt er als           nicht so wohl: „Ich war traurig und so
Bundestag 2016 den Familiennachzug           „praktische Solidaritätsarbeit.“ Die          alleine hier. Ich hatte kein Geld, nicht
für subsidiär Schutzsuchende, also für       KuB versucht anzusetzen, wo struktu-          mal eine BVG-Karte. Wir haben eine
Geflüchtete, die Schutz, aber nicht im       relle Diskriminierung stattfindet, ne-        Karte mit unserem Namen drauf be-

                                                                                          www.der-paritaetische.de   5 | 2018    7
Schutz ist ein Menschenrecht - 5| 2018 - Der Paritätische
Schwerpunkt                              Schwerpunkt

kommen und konnten Lebensmittel              sich in Berlin wohl, habe soziale Kon-
nur in bestimmten Läden kaufen. Aber         takte zu anderen Kurden. Seine Mut-
ich habe gekämpft.“                          ter, die gesundheitlich angeschlagener
Das zahlte sich aus. Inzwischen hat er       ist, habe weniger Kontakt. Aber im-
eine Arbeit, lebt mit seiner Familie in      merhin sind sie nun in Deutschland in
Charlottenburg und konnte viele sei-         Sicherheit.
ner Familienmitglieder über ein Bun-         Ebenso wie Manuel Armbruster arbei-
desaufnahmeprogramm                  nach    tet auch Cheredin bei der KuB, neben-
Deutschland bringen. Seine Geschwi-          bei macht er dort seit 2005 Beratung          Controlling für
ster leben größtenteils in Stuttgart.
Nur seine betagten Eltern blieben noch
                                             für andere Geflüchtete. Über einen
                                             Integrationskurs in Schöneberg kam
                                                                                           soziale Einrichtungen
lange in Qamischli. Ihr Haus wurde           er zur KuB. Sein Lehrer gab Deutsch-
im Krieg zerstört. In den Wirrungen          kurse bei der KuB und empfahl ihn.
                                                                                           Zukunftsweisende Unternehmenspla-
des Bürgerkrieges kann er nicht ein-         Die Regelung zum Familiennachzug
mal sagen, wer es zerstört hat. Schließ-     kritisiert er genau so: „Den Leuten, die      nung und Steuerung erfordern den Ein-
lich setzte er alles daran, dass sie nach    zu mir in die Beratung kommen und             satz professioneller Software, die Sie
Deutschland kommen und zumindest             mir ist das zu wenig! Das wird nicht          permanent unterstützt und von zeitauf-
ihren Lebensabend hier verbringen            reichen.“ Er verweist auf gut 45.000          wändigen Routinearbeiten entlastet.
können. Er musste jemanden finden,           Minderjährige, die in Deutschland le-
der eine Verpflichtungserklärung für         ben und auf ihre Eltern warten. „Die          Mit Xview haben wir eine leistungsfä-
seine Eltern unterschreibt, jemanden,        wissen nicht, ob ihre Eltern kommen           hige und intuitiv bedienbare Business
der für sie mit seinem Besitz und sei-       können. Jetzt beeilen sich alle mit Ter-
                                                                                           Intelligence Software speziell für den
nen Mitteln haftet. Ein schwieriges          minen beim Konsulat oder den Bot-
                                                                                           Einsatz in sozialen Einrichtungen
Unterfangen, aber Cheredin gelang es,        schaften und niemand weiß, wer jetzt
diese Unterschrift zu bekommen. Auf          kommen kann.“                                 entwickelt.
das Visum warteten sie zwei Monate.          Im Gespräch mit beiden wird deutlich,
Am Ende hat es sich gelohnt. Seit 2015       dass der Familiennachzug in Deutsch-          Xview bietet eine optimale Basis für
leben seine beiden Eltern in Berlin.         land wohl noch lange ein Thema blei-          Planung, Simulation, Steuerung und
Auf die Frage, wie es seinen Eltern in       ben wird – sowohl unter den Politikern        Analyse Ihrer Unternehmensdaten. Die
Deutschland geht und wie sie ange-           als auch bei den Geflüchteten. Ob je-         Erstellung von Unternehmensplanun-
kommen sind, sagt er trocken „Heimat         mals alle Familien wieder vereint sein        gen, Forecasts, Kennzahlen, grafischen
bleibt Heimat. Und für meine Eltern          werden, ist fraglich.                         Analysen, Ampelanalysen, Dashboards
ist es noch ein bisschen schwieriger.“
                                                                                           oder einem automatisierten Berichts-
Sein Vater wurde 1929 geboren, ist jetzt                              Philipp Meinert
fast 90. Das Klima sei für den betagten                                                    wesen sind schnell und intuitiv möglich.
                                                            Mehr Informationen unter:
Herrn sehr schwierig. Aber er fühlt                               www.kub-berlin.org

Cheredin (links)
und Manuel (rechts)
in den Räumen
des KuB in
Kreuzberg
                                                                                           ... das rechnet sich für Sie!

                                                                                                             Vereinbaren Sie Ihren
                                                                                                             Präsentationstermin!
                                                                                                     info@controlling-and-more.com

8     www.der-paritaetische.de    5 | 2018                                                   Controlling
                                                                                        4 | 2018         & more Software
                                                                                                                   GmbH8
                                                                                                    www.der-paritaetische.de
                                                                                            www.controlling-and-more.com
Schutz ist ein Menschenrecht - 5| 2018 - Der Paritätische
Schwerpunkt

Drei Fragen an Ferdos Mirabadi,
Koordinatorin bei kargah e.V.
 kargah e.V. mit Sitz in Hannover bietet Migrantinnen und Migranten umfassende
 Beraung und Unterstützung an. Der Verein wurde 1980 durch eine Gruppe po-
 litisch verfolgter Exil-Iraner/-innen gegründet, die sich gegenseitig im Alltag un-
 terstützten und gemeinsam politisch organisierten. Das Angebot umfasst Hilfe
 zur Selbsthilfe, bedarfsorientierte Bildungs-, Qualifizierungs-, Beratungs- und Kul-
 turangebote für Geflüchtete sowie Migranten und Migrantinnen, Förderung der
 Mehrsprachenkompetenz sowie Interkulturelle Kommunikation und Austausch.
 Wir sprachen mit Koordinatorin Ferdos Mirabadi.

Frau Mirabadi, auf Ihrer Homepage konnte        rung, das Spektrum an Beratungs,-
ich lesen, dass kargah auf Deutsch so viel      Bildungs- und Begegnungsangeboten
wie „Werkstatt“ bedeutet. Was stellen Sie       zu bewältigen. Besonderes Augenmerk
mit Ihrem Verein her?                           richten wir auf Themen wie adäquate                                            Ferdos
                                                Unterbringung       Geflüchteter,   ge-                                        Mirabadi
Werkstatt bedeutet im übertragenen              schlechtsspezifische Asylgründe, Ge-
Sinne ein Ort der Zusammenkunft                 waltschutz (auch in Flüchtlingsunter-          Medien und in der Verrohung in der
und Begegnung. kargah e.V. ist ein Be-          künften), Unterstützung besonders              „Sprachunkultur“ auch in der Politik.
gegnungsort unterschiedlichster Kul-            schutzbedürftiger Personengruppen              Rassistische Ressentiments und Vor-
turen und Lebensweisen. Der Begriff             (alleinreisende Frauen, LSBTI*-Ge-             behalte gegenüber den Neuangekom-
soll das gemeinsame (Er-)Arbeiten von           flüchtete, minderjährige Geflüchtete)          menen werden deutlich salonfähiger.
Lösungen unterschiedlichster gesell-            und Empowerment und partizipative              Ein Stimmungs- und Meinungsklima,
schaftlicher, politischer und individu-         Integrationsansätze.                           das die schwindende Willkommens-
eller Problemlagen betonen. Durch               Langsam ebbt die Willkommensbereit-            kultur und Empathie für die Schick-
Austausch, Diskussion, Bereitstellung           schaft ab und das gesellschaftliche Kli-       sale geflüchteter Menschen in unserer
von Räumen zur Selbstorganisation               ma verändert sich. Die Entwicklung             Bevölkerung begünstigt und die poli-
und unterschiedlichste Lern- Bestär-            hin zur Unterteilung Geflüchteter in           tische Arbeit zunehmend in den kom-
kungs- und Beratungsangebote wird               „gute vielleicht noch willkommene“             munalen Gremien erschwert. Men-
eine Wir-Gemeinschaft angestrebt im             und „schlechte Wirtschafts-, Armuts-,          schenrechte und wie diese anerkannt
Sinne einer Haltung/politischen Posi-           und Klimaflüchtlinge“ hat bei uns zu           und als Recht bewahrt werden, geraten
tion auf Grundlage eines emanzipato-            enormen Enttäuschungen und Bela-               durch rassistische und rechte Polemik
rischen Menschenbildes, die versucht,           stungen geführt. Projektgelder gibt es         und populistische Äußerungen aus
individuelle Unterschiede zu wert-              für die Unterstützung der „guten“. Der         dem Fokus. Eine Versachlichung der
schätzen, sich gegenseitig zu unter-            gleichermaßen bestehende Unterstüt-            Debatte ist kaum noch möglich. Das
stützen und diese Haltung auch in die           zungsbedarf für alle Flüchtlinge muss          frustriert uns sehr.
Gesellschaft zu tragen.                         „nebenher“ bewältigt werden. Zeit-             Als Beispiel sehen wir das Wohl von
                                                gleich nimmt im Rahmen unserer Öf-             Kindern und Jugendlichen, die in
Wie hat die verstärkte Ankunft von Flüchtlin-   fentlichkeitsarbeit, das betrifft uns          großen Sammelunterkünften unterge-
gen die Arbeit von kargah e.V. verändert?       selbst auch intern, die Einbeziehung           bracht werden, als gefährdet. Gerade
                                                von Rassismuskritik, Umgang mit Di-            die geplanten AnkER-Einrichtungen
In all unseren Arbeitsbereichen haben           versität und Ungleichheit im Alltag            verletzen elementare Rechte, vor allem
wir einen starken Zuwachs und Zulauf            immer mehr an Bedeutung zu.                    von Minderjährigen. Segregation, Iso-
erfahren von vielen Seiten: von Rat-                                                           lation und Diskriminierung geflüchte-
und     Sprachkurssuchenden,      von           Politisch sind die Themen Flucht und Schutz    ter Kinder und Jugendlicher durch das
Unterstützer/-innen, von Multiplikato-          schon fast ein Dauerbrenner. Wie wird die      System der AnkER-Zentren werden
rinnen und Multiplikatoren aus Poli-            verschärfte Debatte eigentlich bei den         damit weiter vorangetrieben.
tik, Verwaltung und Regeldiensten,              Migrantinnen, Migranten und Flüchtlingen,
von Spender/-innen usw. Damit stieg             die bei und mit kargah e.V. arbeiten,                 Die Fragen stellte Philipp Meinert.
auch der Bedarf an Fortbildungen von            wahrgenommen?
Ehrenamtlichen und Personal enorm
an. Innerhalb unserer Räumlichkeiten            Wir erfahren und erleben die Debatte                          Mehr Informationen unter:
ist es immer noch eine Herausforde-             teilweise als offenen Rassismus in den                                  www.kargah.de

                                                                                              www.der-paritaetische.de   5 | 2018         9
Schutz ist ein Menschenrecht - 5| 2018 - Der Paritätische
Schwerpunkt

Hilfe und Engagement in Zeiten
von Hetze und Abschottung
D
        ie Unsicherheit ist in diesen       kurs hat sich seit dem Bundestags-          Es gebe aber eine „Mehrheit denkender
        Tagen spürbar. Vor drei Jah-        wahlkampf verschoben und die kon-           und fühlender Menschen“, die dem
        ren, im Sommer 2015, war die        krete Politik hat sich verändert. Erst      Thema Asyl und Integration, Schutz
Bereitschaft zu helfen so groß, dass        Anfang Juli hat die Große Koalition         und Hilfe positiv gegenüber steht, da
Refugio München kurzfristig sogar ei-       erneut eine Verschärfung der Asylpoli-      ist sich Soyer sicher. Doch Rassismus,
nen Stopp bei der Aufnahme der Frei-        tik beschlossen. Die „schnelle Abschie-     so scheint es, ist durch den geradezu
willigen machen und auf andere ver-         bung“ sei zum „Credo der deutschen          vergifteten      Bundestagswahlkampf
weisen musste. Im Moment melden             Innenpolitik“ geworden, stellt Jürgen       plötzlich sehr viel hoffähiger gewor-
sich kaum neue Menschen. Auch das           Soyer fest. Die Schutzbedürftigkeit der     den.
Spendenvolumen sei eingebrochen, be-        Betroffenen, die Menschen, um die es
richtet Jürgen Soyer. Soyer ist Ge-         geht, kämen überhaupt nicht mehr vor
schäftsführer des Beratungs- und Be-        in den aktuellen Debatten. „Es wird
handlungszentrums für traumatisierte        mit einer Selbstverständlichkeit davon
Flüchtlinge und Folteropfer. Jedes Jahr     gesprochen, dass man die Leute zu-
betreut Refugio München weit über           rück abschieben muss, egal, ob sie
1000 traumatisierte Geflüchtete aus         schwanger sind oder einer Gruppe an-
über 40 Nationen, von psychosozialer        gehören, die als besonders schutzbe-
Beratung bis zu Therapie. Ein Schwer-       dürftig gilt oder, wie in unserem Fall
punkt ist die kunsttherapeutische Ar-       traumatisiert sind. Das schockiert
beit mit Minderjährigen.                    mich schon, dass dies überhaupt keine
Soyer und sein Team sind mit ihrer          Rolle mehr spielt.“                                                      Marina
Expertise geschätzt und gefragt bei         Für die Klientinnen und Klienten von                                     Lessig
den Medien. Doch die Presseanfragen         Refugio bedeutet die aktuelle Politik
haben sich verändert. Vor zwei Jahren       enorme Verunsicherung. Selbst dieje-        Ein Teil der Mehrheit, von der Soyer
noch fragten die Journalisten, wie es       nigen, die einen Aufenthaltstitel ha-       spricht, hat sich organisiert. Der Ver-
den Flüchtlingen geht. Heute erkundi-       ben, sind alarmiert. „Auch die, die si-     ein „Münchner Freiwillige – Wir hel-
gten sich viele vor allem nach den          cher dableiben werden, verunsichert         fen e.V.“ ist aus einem Kreis von Helfe-
Fluchtwegen oder danach, wo „Asylbe-        man und grenzt sie aus, indem Politik       rinnen und Helfern hervorgegangen,
trug“ begangen werde. „Die empathi-         ihnen immer wieder signalisiert ‚Viel-      die im Sommer 2015 spontan am Mün-
schen Fragen, wie geht es den Betrof-       leicht ist es ja doch nicht so ganz si-     chener Hauptbahnhof aktiv wurde, als
fenen, was brauchen sie, sind von Me-       cher, dass Ihr dableiben könnt‘.“ Dazu      Hilfe notwendig war. Auf der Mitglie-
dienseite deutlich leiser geworden“, so     kommt ein massiver Anstieg rassisti-        derversammlung des Paritätischen Ba-
Soyer. Der politisch-öffentliche Dis-       scher Beleidigungen auf offener Stra-       yern berichtet Marina Lessig von dem,
                                                            ße. Trotzdem würde So-      was damals geleistet wurde: Innerhalb
                                                            yer nie davon reden, dass   von 72 Stunden sei es gelungen eine
                                                            in der Bevölkerung ins-     Organisation aufzubauen, um in 21 Ta-
                                                            gesamt die „Stimmung        gen mit 4.000 Spontanhelfern, 17.000
                                                            gekippt“ sei, schon gar     Spendern und Spenderinnen an 5
                                                            nicht in München, einer     Standorten über 100.000 Menschen zu
                                                            sehr offenen Stadt. Und     versorgen.
                                                            er ärgert sich, wenn Po-    Der Verein ist auch heute dort, wo Hil-
                                                            litiker davon reden, dass   fe gerade besonders gebraucht wird.
                                                            „die Bevölkerung“ das       Zum Beispiel bei der Wohnungssuche
                                                            alles so „möchte“: „Man     für Geflüchtete, Alleinerziehende und
                                                            erzeugt ein Bild und        andere sozial benachteiligte Men-
                                                            marginalisiert Anders-      schen. Der Freiwilligenladen in der
                                                            denkende, die dann den-     Tumblingerstrasse 50 ist quasi zum
                                                            ken, sie stünden alleine    „Wohnzimmer“ der Münchner Flücht-
 Jürgen Soyer
                                                            da mit ihrer Meinung.“      lingshilfe geworden. Initiativen, Hel-

10    www.der-paritaetische.de   5 | 2018
Schwerpunkt
                                                                                       Te r m i n h i n w e i s
ferkreise,   Patenschaftsprojekte  und    rechte und Demokratie“ ist ein Zu-
Ehrenamtliche können sich hier tref-      sammenschluss dieser sich politisie-               Für eine offene und
fen, austauschen und arbeiten.            renden Helferkreise. Gemeinsam mit                  freie Gesellschaft
Viele, die 2015 spontan mit angepackt     anderen zivilgesellschaftlichen Ak-            Demo am 13. Oktober in Berlin
haben, waren zunächst politisch ei-       teuren organisierte das Bündnis eine
gentlich nicht besonders interessiert,    Großdemonstration, bei der im Som-           Solidarität statt Ausgrenzung – unter
berichtet Lessig: „Viele waren der        mer zehntausende Menschen unter              diesem Motto ruft ein breites Bündnis zu
                                                                                       einer bundesweiten Demonstration am
festen Überzeugung, einem flüchten-       dem Motto #ausgehetzt gegen Hass
                                                                                       13. Oktober in Berlin auf. Das Bündnis
den Menschen zu helfen und einen          und Ausgrenzung in München auf               wird getragen von einer großen Vielfalt
flüchtenden Menschen in Not zu ver-       die Straße gingen.                           zivilgesellschaftlicher Organisationen und
sorgen, sei kein politisches Statement,   Jürgen Soyer, inzwischen fast 20 Jahre       Initiativen. Der Paritätische Gesamtver-
sei kein politischer Akt.“ Doch im Lau-   bei Refugio, bleibt optimistisch: „Es        band gehört zu den Erstunterzeichnern
fe der Zeit habe eine Politisierung       gibt sehr viele engagierte Leute, auch       des Aufrufs. Von der Demonstration wird
stattgefunden. „Die Menschen, die hel-    engagierte Politiker. Durch Jammern          ein klares Signal ausgehen: Wir sind die
                                                                                       solidarische Gesellschaft. Wir treten für
fen, erleben, dass sehr viel von dem,     ist die Welt noch nie besser geworden,       eine Gesellschaft ein, in der Menschen-
was sie leisten an Unterstützung und      sondern durch das Tun. Ich glaube, es        rechte unteilbar sind und vielfältige und
was sie als legitim empfinden, poli-      wird manchmal einfach unterschätzt,          selbstbestimmte Lebensentwürfe selbst-
tisch auf völlig bürokratische, nicht     dass man wirklich Einfluss nehmen            verständlich.
nachvollziehbare Art und Weise ein-       kann.“ Er empfiehlt, aktiv zu werden:        Für ein Europa der Menschenrechte und
fach wieder zunichte gemacht wird.        Politiker ansprechen, ihnen Briefe           sozialen Gerechtigkeit. Für ein solida-
Das hat in vielen die Erkenntnis ge-      schreiben. Engagement lohnt sich –           risches und soziales Miteinander statt Aus-
                                                                                       grenzung und Rassismus. Für das Recht
weckt, Flüchtlingshilfe und der Ein-      jetzt erst Recht.
                                                                                       auf Schutz und Asyl – gegen die Abschot-
satz für sozial benachteiligte Men-                                                    tung Europas. Für eine freie und vielfältige
schen ist immer politisch und ich wer-                         Gwendolyn Stilling      Gesellschaft.
de irgendwann an Grenzen stoßen, die                                                           Aufruf und Informationen:
ich nicht überwinden kann, wenn ich                   Mehr Informationen unter:                   www.unteilbar.org
mich nicht politisch positioniere.“ Die               www.refugio-muenchen.de                   Social Media: #unteilbar
Initiative „Gemeinsam für Menschen-                 www.muenchner-freiwillige.de

                                                                                    www.der-paritaetische.de       5 | 2018       11
Schwerpunkt

Drei Fragen an Hanna Krebs
von SOS MEDITERRANEE
 SOS MEDITERRANEE ist eine europäische, maritime und humanitäre Organisati-
 on zur Rettung Schiffbrüchiger im Mittelmeer. Sie wurde von Bürger/-innen und
 Bürgern im Mai 2015 gegründet – in Reaktion auf das Sterben im Mittelmeer und
 der Untätigkeit der Europäischen Union, diesem ein Ende zu setzen. Im Juni 2018
 erlangte die Organisation bundesweite Schlagzeilen, als ihr Rettungsschiff Aquarius
 mit fast 700 geretteten Flüchtlingen an Bord tagelang keinen Hafen fand, der sie
 anlegen lassen wollte. Wir sprachen mit Hanna Krebs, Press Relations Managerin
                                                                                                                             Hanna
 bei MEDITERRANEE Deutschland e.V..                                                                                          Krebs

Frau Krebs, SOS MEDITERRANEE hat einen       an ihrer Arbeit gehindert werden, ster-      über das sehr unkomplizierte Engage-
bewegten Sommer erlebt. Das Festhalten       ben Menschen im Mittelmeer. In den           ment der Künstler/-innen gefreut, sich
des Schiffs Aquarius hat SOS bundesweit      letzten Monaten so viele wie schon lan-      so stark für die Seenotrettung zu posi-
berühmt gemacht. Hatten Sie dadurch Glück    ge nicht mehr, weil wir, wie andere          tionieren.
im Unglück?                                  Organisationen, an ihren Einsätzen           Wir freuen uns auch sehr darüber,
                                             gehindert werden.                            dass durch die Fotokampagne, aber
Von Glück kann keine Rede sein, denn                                                      auch darüber hinaus, die breite Öffent-
auf dem Spiel stehen dabei Menschen-         Bundesweit bekannt geworden ist ihre         lichkeit mobilisiert wurde: So nahmen
leben. Es kann nicht sein, dass die Un-      Aktion #SpendeMenschlichkeit, bei der sich   und nehmen immer noch tausende
einigkeit zwischen europäischen Ent-         verschiedene Prominente in Rettungswesten    Menschen bundesweit an öffentlichen
scheidungsträgern auf dem Rücken             fotografieren ließen. Über wessen Bild       Demonstrationen teil, um sich gegen
der Geretteten ausgetragen wird und          haben Sie sich am meisten gefreut und        die Kriminalisierung der Seenotret-
dass die zivile Seenotrettung zum            warum?                                       tung einzusetzen. Dass wir Unterstüt-
Spielball der EU-Politik, gar kriminali-     Wir freuen uns über jeden und jede,          zung von so vielen verschiedenen Sei-
siert wird. Es ist in den letzten Mona-      der oder die „an Bord“ gekommen ist.         ten erfahren, gibt uns natürlich Mut.
ten nun zwei Mal vorgekommen, dass           Angefangen hat die Kampagne mit Jan
die Aquarius tagelang mit Dutzenden          Delay und den Beginnern, hinzu ka-           Seenotretter/-innen werden häufig als
Geretteten auf hoher See ausharren           men dann Clemens Schick, Joy Denala-         „Schlepper“ beschimpft. Was entgegnen Sie?
musste, bis sie einen sicherer Hafen         ne, Max Herre, Herbert Grönemeyer,           Das ist ein haltloses Argument, das be-
für Geflüchtete zugewiesen bekam.            Heike Makatsch, Clueso, Iris Berben-         reits durch mehrere Studien widerlegt
Wenn zivile Rettungsorganisationen           und viele mehr. Wir haben uns sehr           wurde. Auch zeigt die Tatsache, dass
                                                                                                    im Juni und Juli, als humani-
                                                                                                    täre Rettungsschiffe an ihren
                                                                                                    Rettungseinsätzen gehindert
                                                                                                    wurden, die Zahl der Toten
                                                                                                    im Mittelmeer massiv ange-
                                                                                                    stiegen ist. Menschen fliehen
                                                                                                    unabhängig davon, ob Ret-
                                                                                                    tungsschiffe vor Ort sind,
                                                                                                    oder nicht. Wir hören immer
                                                                                                    wieder von Geretteten, dass
                                                                                                    sie lieber auf dem Mittelmeer
                                                                                                    gestorben wären, als in Liby-
                                                                                                    en zu bleiben, wo sie schwers-
                                                                                                    ten     Menschenrechtsverlet-
                                                                                                    zungen ausgesetzt sind.

                                                                                                                   Die Fragen stellte
                                                                                                                    Philipp Meinert.

                                                                                                        Mehr Informationen unter:
                                                                                                         www.sosmediterranee.de

12    www.der-paritaetische.de    5 | 2018
Schwerpunkt

Wenn Dein Land „sicher“ ist, hast Du Pech gehabt.
 Ein Kommentar von                         Das Recht auf Schutz und Asyl
 Srdjan Tošic                              und die prekäre Lage der Roma in Serbien

E
     uropa, darunter auch Deutsch-          men von Diskriminierung und rassis-        schaftliche Emanzipation von Roma in
     land, erlebt einen Rechtsruck.         tischer Gewalt ausgesetzt. Die Lebens-     Serbien ein – die Basis für eine stetige
     Der rechtspopulistische Diskurs        erwartung der serbischen Roma liegt        Integration in die Gesellschaft. Ge-
zieht in die Asyldiskussion ein, die        zehn Jahre unter dem europäischen          meinsam mit lokalen Roma-Organisa-
asylpolitische Debatte ist durch zy-        Durchschnitt, die Kindersterblichkeit      tionen hat SODI Gemeindezentren in
nische Sprüche wie „Asyltourismus“          liegt viermal über dem Landesdurch-        mehreren serbischen Städten gegrün-
weit entfernt von einem sachlichen          schnitt. Durch die kumulative Diskri-      det, die psychologische, soziale und
Diskurs. Dabei geht es um Menschen,         minierung leben sie am Rand der Ge-        juristische Beratung zu Themen wie
die Schutz suchen.                          sellschaft.                                Gewalterfahrungen, Diskriminierung,
                                                                                       Arbeitslosigkeit und Schulbildung an-
Recht auf faires Asylverfahren              Wo Staaten versagen, muss die Zivilge-     bieten. Zudem fungieren die Gemein-
Die Novellierung des Asylgesetzes 2015      sellschaft ran                             dezentren als Link zwischen der öf-
hat die Westbalkanländer, darunter          Jedem Menschen ein selbstbestimmtes        fentlichen Verwaltung, Firmen und
auch Serbien, als „sicher“ eingestuft.      Leben in Würde und Sicherheit zu er-       den Roma. Sie ermöglichen es den
Der Gesetzgeber geht somit davon aus,       möglichen, ist verbindlicher Auftrag       Roma so, u.a. an der Ausarbeitung von
dass die Menschen-                                                                                          Integ rat ionsplä-
rechtssituation so si-                                                                                      nen auf kommu-
cher ist, dass Bürger/-                                                                                     naler Ebene mit-
innen dieser Länder                                                                                         zuwirken und ihre
keinen Schutz in                                                                                            gesellschaftliche
Deutschland benöti-                                                                                         Teilhabe zu stär-
gen. Dieses Konzept                                                                                         ken. Es kam sogar
verallgemeinert     die                                                                                     dazu, dass die re-
Menschenrechtsituati-                                                                                       gierende konserva-
on in einem Land, ver-                                                                                      tive Partei Roma
neint das Recht auf                                                                                         als Kandidaten bei
Zugang zu einem in-                                                                                         den     Gemeinde-
dividuellen Asylver-                                                                                        wahlen aufstellte.
fahren und verstößt                                                                                         Wo      Menschen-
somit gegen die Gen-                                                                                        rechte      verletzt
fer Flüchtlingskonven-                                                                                      werden, muss das
tion und die Europä-                                                                                        angeprangert wer-
ische       Menschen-                                                                                       den. Zivilgesell-
rechtskonvention, die                                                                                       schaftliches Enga-
dieses Recht garantieren.                   jedes Staates. Doch was passiert, wenn     gement ist ein unerlässlicher Teil der
                                            er das nicht tut?                          Demokratie. Wenn Staaten versäumen,
Wie „sicher“ ist Serbien für Roma?                                                     Menschenrechte zu achten und margi-
                                            Aktive bürgerliche Teilhabe ist der
                                                                                       nalisierte Gruppen zu stärken, muss
Dabei sind 90 Prozent der Asylsuchen-       Kern der demokratischen Gesellschaft.
                                                                                       die Zivilgesellschaft zur sozialen und
den aus dem Westbalkan Roma. Sie            Wo Nationalstaaten sich abschotten
                                                                                       ökonomischen Transformation beitra-
sind die größte Minderheit Europas –        oder rassistische Praktiken tolerieren,
                                                                                       gen. Denn nur durch eine aktive Zivil-
und gleichzeitig eine der meist diskri-     muss die Zivilgesellschaft Allianzen
                                                                                       gesellschaft und stete Solidarität kann
minierten Bevölkerungsgruppen des           schmieden, Gegenöffentlichkeit orga-
                                                                                       die Demokratie leben.
Kontinents. In einer besonders pre-         nisieren und politische Alternativen
kären Lage leben serbische Roma:            entwickeln. Neben seinem Engage-
neun von zehn sind arbeitslos, nur ein      ment für faire Asylverfahren, Einzel-                                      Srdjan Tošić
Fünftel hat die Grundschule abge-           fallprüfung und gegen das Konzept der                         Referent für Presse- und
schlossen. Viele Roma leben unter           „sicheren Herkunftsländer“ hierzulan-               Öffentlichkeitsarbeit bei SODI e.V.
menschenunwürdigen Bedingungen              de, setzt sich SODI als entwicklungs-
ohne Zugang zu sauberem Wasser und          politischer Akteur in seinen Projekten                    Mehr Informationen unter:
Kanalisation. Sie sind vielfältigen For-    für die wirtschaftliche und gesell-                                   www.sodi.de

                                                                                      www.der-paritaetische.de    5 | 2018      13
Schwerpunkt

Das Recht auf Wasser in                                                                mar geflohen sind. In den letzten Wo-
                                                                                       chen hat der Monsun eingesetzt, die
                                                                                       Wassermassen drohen das Flüchtling-

der humanitären Hilfe                                                                  scamp zu überfluten.
                                                                                       Bedroht ist dadurch auch die Bereit-
                                                                                       stellung von sauberem Wasser. Abwäs-

S
     chon um acht Uhr morgens zeigt         Frau und den Kindern schon seit drei       ser und Fäkalien können sich mit den
     das Thermometer 32 Grad. Die           Jahren auf engstem Raum in einem           Niederschlägen über das gesamte Ge-
     Sonne ist gnadenlos, die Land-         der weißen Wohncontainer. Sie hoffen       lände verbreiten und in die Brunnen
schaft karg und trocken. Inmitten die-      auf eine baldige Rückkehr in ihr Hei-      des Camps gelangen. Die notdürftig
ser unwirtlichen Umgebung liegt das         matdorf.                                   errichteten Latrinen im Camp stehen
Flüchtlingscamp Al-Wand im Irak.            Menschen in Krisen und Konflikten          außerdem oft zu nah an den Wasser-
Mehr als 4000 Menschen leben hier.          mit Wasser zu versorgen – das ist ein      quellen. „Hier ist wichtig, dass die Sa-
Bäume gibt es nicht und die nächste         Schwerpunkt der Arbeit von arche           nitärversorgung, Abwasser- und Ab-
Ortschaft ist mehrere Stunden Fußweg                                                   fallbeseitigung von Anfang an mit ge-
entfernt.                                                                              plant wird, damit Infektionskrank-
                                                                                       heiten nicht ausbrechen können. Dabei
Asad Uthman hält mit seinem Auto an                                                    muss auch darauf geachtet werden,
der Pumpstation unweit des Camps.                                                      dass Personengruppen, die besonders
Der 55 jährige Ingenieur, den alle re-                                                 gefährdet sind, in die Planung mit ein-
spektvoll Kak Asad nennen, ist Koordi-                                                 bezogen werden. Toiletten müssen so
nator des regionalen WASH-Pro-                                                         gebaut sein, dass zum Beispiel für
gramms von arche noVa im Nordirak.                                                     Frauen und Kinder die Wege möglichst
Er unterhält sich mit den beiden Tech-                                                 kurz sind und dass sie als ein sicherer
nikern und fragt, ob die Maschinen                                                     Ort wahrgenommen werden“, erklärt
arbeiten. Sie pumpen das Wasser aus                                                    Carmen Paradiso.
einem nahe gelegenen Stausee die
mehr als zwei Kilometer lange Leitung                                                                   Anna-Luise Sonnenberg
den Berg hinauf bis zum Camp. “Wenn                                                                    arche noVa - Initiative für
sie ausfallen, dann rufen wir Kak Azad                                                                    Menschen in Not e.V.
an”, sagt einer der Techniker. Bisher                                                               Mehr Informationen unter:
hat der Ingenieur immer eine Lösung                                                                     www. arche-nova.org
gefunden. Sogar an hohen Feiertagen,
wie dem Ramadan, steigt Kak Asad im         noVa. Denn auch in prekären Ausnah-
Notfall in sein Auto und fährt die stau-    mesituationen gilt: Es gibt ein Men-
bige Piste bis zum Camp.                    schenrecht auf sauberes Wasser. In ei-
Denn Wasser ist in der wüstenähn-           ner humanitären Krise muss die Was-
lichen Gegend noch wichtiger als an-        serversorgung unter starkem zeitlichem      Menschenrecht auf
dernorts. Wie Kak Assad es in seiner        Druck schnell organisiert werden.
nüchternen Art als Ingenieur aus-           „Auch sauberes Wasser trägt dazu bei,       sauberes Wasser und
drückt: “Wenn wir uns nicht jeden Tag       den Menschen in einer solchen Situa-        Sanitärversorgung
um Wasser kümmern, dann sterben             tion ein Mindestmaß an Schutz und           Am 28. Juli 2010 hat die Generalver-
die Leute”. Maximal 50 Liter pro Tag        Würde zu bieten. Aber das ist noch          sammlung der Vereinten Nationen
stehen jedem Menschen im Al-Wand-           nicht alles. Denn es gibt auch ein Recht    mit der Resolution 64/292 das Recht
Camp täglich zur Verfügung - zum            auf eine angemessene Sanitärversor-         auf Wasser als Menschenrecht aner-
Trinken, zum Kochen, für die Kör-           gung“, sagt Carmen Paradiso, Leiterin       kannt. Zu einem angemessenen Le-
perhygiene und den Haushalt. Außer-         der Abteilung für Humanitäre Hilfe          bensstandard zählt das Recht auf sa-
dem werden damit auch die einfachen         und Entwicklungszusammenarbeit bei          nitäre Einrichtungen und sauberes
Kühleinrichtungen in den Wohncon-           arche noVa. Wasser, Sanitärversorgung       Wasser. Noch immer haben weltweit
tainern betrieben – die sind überle-        und Hygiene – dieses überlebenswich-        844 Millionen Menschen keinen Zu-
bensnotwendig, wenn die Temperatur          tige Paket nennt sich WASH.                 gang zu sauberem Wasser. 2,3 Milli-
am Mittag auf bis zu 47 Grad klettert.      Dass diese drei Komponenten zusam-          arden Menschen haben keinen Zu-
Die Menschen, die in Al Wand woh-           men gehören, wird im Kutupalong-            gang zu einer Toilette. Um das Men-
nen, sind vor Gewalt und Krieg im ei-       Camp in Bangladesch sichtbar. Es ist        schenrecht zu verwirklichen, bleibt
genen Land geflohen. Für viele ist das      mittlerweile das größte Flüchtling-         also noch einiges zu tun. Mehr Infos:
Provisorium zum Dauerzustand ge-            scamp der Welt. Hier leben 970.000          www.righttowater.info
worden. Jakob Ibrahim lebt mit seiner       geflüchtete Rohingyas, die aus Myan-

14    www.der-paritaetische.de   5 | 2018
Schwerpunkt

Istanbul-Konvention: Zum besseren
Schutz von Frauen vor Gewalt
M
         it großen Schritten und null
         Toleranz ist Deutschland ak-           Warum ist die Umsetzung der Istanbul-Konvention so
         tuell in Punkto Gewaltschutz           wichtig für die Arbeit der Frauenhäuser?
gefordert: Im Februar 2018 trat die
Istanbul-Konvention zur Verhütung               „Erstmals muss der Staat zum Thema Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen
und Bekämpfung von Gewalt gegen                 Frauen aktiv werden und auf allen Ebenen (Bund, Land, Kommune) umfassende Maß-
Frauen und häuslicher Gewalt in Kraft.          nahmen zur Prävention zum Schutz der Betroffenen und zu rechtlichen Sanktionen gegen
Laut Artikel 1 der Istanbul Konvention          geschlechtsspezifische Gewalt ergreifen. Der Ausbau eines differenzierten Hilfe- und
gilt es, Frauen vor allen Formen von            Unterstützungssystems wird verpflichtend und die Rolle der NGOs wird in diesem Kon-
Gewalt zu schützen und Gewalt gegen             text gestärkt. Mit Hinweis auf die Konvention können Frauenhäuser jetzt den langjäh-
Frauen und häusliche Gewalt zu verhü-           rigen Forderungen bezüglich einer einheitlichen, einzelfallunabhängigen und ausrei-
ten, zu verfolgen und zu beseitigen.            chenden Finanzierung von Schutzplätzen Nachdruck verleihen. Hierfür ist auch die
Das bedeutet für die Bundesregierung            Einführung eines Rechtsanspruchs zwingend geboten.“
jetzt deutlich mehr in Maßnahmen
zum Gewaltschutz zu investieren.                 Elke Schmidt-Sawatzki, Mitglied im Vorstand des Paritätischen Gesamtverbands,
Denn jede vierte Frau in Deutschland                                              Landesvorsitzende des Paritätischen NRW und
hat mindestens einmal in ihrem Leben                                    Geschäftsführerin des Vereins „hexenHAUS“ Espelkamp
körperliche oder sexuelle Partner-
schaftsgewalt erfahren. Betroffen sind
Frauen aller sozialen Schichten. Der
Paritätische Gesamtverband fordert
die Einführung eines Rechtsanspruchs
auf Schutz und Unterstützung für alle
gewaltbetroffenen Frauen und deren
Kinder. Zudem setzt sich der Verband
für niedrigschwellige und bedarfsge-
rechte Hilfs- und Unterstützungsange-
bote für von Gewalt betroffenen Frauen
ein. Sein Ziel: eine verlässliche und
adäquate finanzielle Ausstattung von
Frauenhäusern und Fachberatungs-
stellen. Hier kommen nun vier Exper-
tinnen zu Wort, die zum Thema Um-
setzung der Istanbul Konvention Posi-
tion beziehen.                                                     Elke Schmidt-Sawatzki                         Dr. Leonie Steinl LL.M.

 Was muss aus juristischer Sicht für die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutsch-
 land getan werden? Was sind die drei wichtigsten Punkte?
 „Der djb hat in seiner Stellungnahme zur Umsetzung der Istanbul-Konvention dringenden Umsetzungsbedarf in zahlreichen Rechtsge-
 bieten identifiziert. Die drei wichtigsten Punkte sind dabei: (1.) Der Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen muss als
 verpflichtende Staatsaufgabe angesehen werden. (2.) Alle Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt müssen als solche identifiziert und
 wirksam unterbunden werden. (3.) Das Unterstützungsangebot für gewaltbetroffene Frauen muss diskriminierungsfrei ausgestaltet und
 angewendet werden.“
                                                                                                       Dr. Leonie Steinl LL.M.
                                                        Vorsitzende der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes

                                                                                           www.der-paritaetische.de      5 | 2018     15
Schwerpunkt

     Welche Vorteile hat die Umsetzung der Istanbul-Konvention insbesondere für transge-
     schlechtliche Personen und intergeschlechtliche Kinder in Deutschland?
     „Die Istanbul-Konvention nimmt eindeutig darauf Bezug, dass das Problem der Gewalt gegen Frauen intersektional angegangen werden
     muss, einschließlich der Diskriminierungen aufgrund „der Geschlechtsidentität“. D.h. auch trans* (transgeschlechtliche, transsexuelle,
     transidente, transgender, genderqueere, nicht-binäre etc.) und inter* (intergeschlechtliche, intersex, intersexuelle, zwischengeschlechtli-
     che, agender etc.) Menschen müssen durch den Staat (besser) vor Gewalt geschützt werden. Ein wichtiger Vorteil der Konvention liegt
     darin, dass sie einen sehr klaren Gewaltschutz für Transfrauen formuliert, den es gerade in Frauenhäusern, -wohneinrichtungen und
     Opferschutzprogrammen noch umzusetzen gilt. Das ist ein elementarer Fortschritt, denn Transfrauen sehen sich laut zahlreicher Studi-
     en überproportional häufig Gewalt ausgesetzt. Darüber hinaus ist es wichtig zu betonen, dass die Konvention auch Transmänner vor
     geschlechtsspezifischer Gewalt und Diskriminierung schützen muss, wenn diese Gewalt erfahren, weil sie als Frau wahrgenommen
     werden. Dies gilt auch für alle zwischengeschlechtlich/nicht-binär identifizierte Inter*- und Trans*-Menschen. Immer wenn die Selbstiden-
     tifikation als Frau bzw. das bei Geburt als weiblich zugewiesene Geschlecht Ausgangspunkt für Diskriminierung und Gewalterfahrungen
     wird, muss unseres Erachtens nach der Schutz dieser Konvention greifen. Wir sehen in diesem Kontext Transfeindlichkeit als Sonderform
     von Misogynie und Gewalt gegen Frauen, weil Trans*-Menschen entweder angefeindet werden weil sie „nicht weiblich genug“ (im Fall
     von Transfrauen) oder „noch zu weiblich“ (im Fall von Transmännern) sind bzw. die Grenzen von „Weiblichkeit“ und „Frau-Sein“ (alle
     Trans*-Menschen, insbesondere nicht-binäre) nicht wahren.

     Ratifizierungsstaaten, also auch Deutschland, haben durch die Konvention ihren proaktiven Gewaltschutz-, Antidiskriminierungs- und
     Gleichstellungsauftrag gestärkt. Überall sind die ggf. besonders vulnerablen Lebenslagen von trans* und inter* Menschen mit zu beach-
     ten, egal ob es sich um die Zugänglichkeit von Frauenhäusern, Mädcheneinrichtungen, Hilfetelefonen oder Förderprogrammen zum
     Gewaltschutz handelt. Konkret hieße eine konsequente Anwendung der Konvention in Deutschland auch einen dritten, selbstbestimmten
     Geschlechtseintrag für nicht-binäre Trans*- und Inter*-Personen einzuführen, die bisher dem weiblichen Geschlecht zugeordnet waren,
     weil die Nicht-Existenz eines dritten Geschlechtes für sie eine Form struktureller Gewalt darstellt. Auch (nicht lebensrettende) geschlechts-
     zuweisende medizinische Eingriffe an inter* Kindern im nicht-einwilligungsfähigen Alter sind sofort einzustellen, weil hier direkte, körper-
     liche Gewalt bis hin zu Formen von Genitalverstümmelungen ausgeübt wird. Nicht zuletzt muss die Reform des Transsexuellengesetzes
     (TSG) dringend umgesetzt werden. Es bleibt zu hoffen, dass unsere nationale Umsetzung der Istanbul Konvention über die – wichtige
     und überfällige - Inklusion von Transfrauen in Frauenhäuser und Gewaltschutzprogramme hinaus geht. Da wo es der Vertragstext nicht
     sogar direkt mandatiert, erlaubt er es zumindest und die Trans*- und Inter*-Communities brauchen dringend einen besseren Schutz vor
     individueller und struktureller Gewalt.“

                                                                                                                   Arn Sauer, Josch Hoenes
                                                                                                               Bundesvereinigung Trans* e.V.

                                                                           Was erwarten Sie von der Umsetzung
                                                                           derIstanbul-Konvention im günstigsten Fall?
                                                                           „Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention verpflichtet sich
                                                                           Deutschland, Gewalt gegen Frauen in allen Ausprägungen systema-
                                                                           tisch und koordiniert zu bekämpfen. Alle staatlichen Ebenen sind
                                                                           hier gefordert: Kommunen, Länder und Bund und alle Ministerien:
                                                                           nicht nur Frauenministerien, sondern auch Innenministerien oder
                                                                           Justizministerien. Wir sehen erstmals die Chance, dass die Bekämp-
                                                                           fung von Gewalt gegen Frauen als Aufgabe für den gesamten Staat
                                                                           entschlossen angepackt wird. Nur so kann auch die rechtliche Siche-
                                                                           rung von Schutz und Hilfe in einem Rechtsanspruch gelingen.“

                                                                                                                          Heike Herold
                                                                               Geschäftsführerin von Frauenhauskoordinierung e.V. (FHK)

                                              Heike Herold

16        www.der-paritaetische.de       5 | 2018
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