Alpine Küche(ngeschichte) - Eine Unmöglichkeit?
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These 1 • Neuheit und Tradition bilden im Ernährungsbereich eine „Antinomie“. • Das Streben nach Neuigkeiten (in den 1970/80ern) wich danach dem nach Tradition. • Marketing mit „Heimat“ etc. ist eine Folge. • Das Verlangen nach „Authentizität“ eine weitere. (warum ist eine eigene Frage).
These 2 • Dieses Verlangen stillen: „nostalgisch“ aufgemachte Kochbücher und danach zubereitete Gerichte märchenhaftes „story telling“ (Salzburger Nockerl) die (mediale) Wiederholung der Stereotypen.
These 3 • Dies basiert kaum auf fundierten Grundlagen, auf Forschung und Recherche • Der Zustand der einschlägigen Forschung ist defizitär (dafür lassen sich diverse Gründe nennen) • Für die Forschung müssen erst strukturelle Grundlagen geschaffen werden. Diese sind breit anzulegen.
These 4 • Eine (Regional-) Geschichte der Esskultur ist unvollständig ohne die gleichzeitige Erforschung und Darstellung des „Überbaus“: • der Vorstellungen von Diätetik • der mentalen Einstellungen • der gesellschaftlichen Regelungen • der Hintergründe, Grundlagen, Wirkungen.
These 5 • Die Erforschung erfordert ferner Kenntnisse in: Forschungsstrategien Editionshandwerk (Paläographie, Sprachwiss.) diversen „Kulturgeschichten“ technologischen Kenntnisse praktischen Fertigkeiten ……….. Das alles überfordert ein Forschungsindividuum.
These 6 Eine Erforschung erfordert • Interdisziplinarität und breite Vernetzung • Ressourcen • Kreativität • Mut?
These 7 • Alpinküche ist ein mentales Konstrukt • Wiener Küche ist ein mentales Konstrukt • Bayerische Küche ist ein mentales Konstrukt • Die „Traditionen“ sind jünger als man denkt!
Die Unmöglichkeit wagen? • Auf der Suche nach der Bayerischen Küche: • Keine Definition • Keine wissenschaftliche Abhandlung • Dafür viele jüngere Kochbücher mit dem Titel – ohne weitere Erklärungen. • These 8: BK ist das, was jede/r darunter verstehen will.
B.K. in den Lexika • Udo Pini: Gourmethandbuch (2000/4), ähnlich Wikipedia • B. Senf • Leberkäs • B. Kraut • B. Creme • Ochsen, Haxn, Backhendl, Spanferkl, Würstl, Knödl, Pressackl, Obazter, Steckerlfisch • Bier • These 9: B.K. aus (Fern-) Ansicht im Biergarten gewonnen?
Schuhbeck : Meine B.K. • Barbarie-Entenbrust • Bayerisches Kraut mit Quitte • Böfflamot • Böhmische Serviettenknödel • Champagner – Risotto • Spaghettini mit Chili/ Farfalle mit Krebsen • Geeister Kaiserschmarrn • Kaspressknödel • Topfen-Mohn-Spätzle • Rösti – Variationen • Süß-saurer Saibling • These 10: Jeder Koch sucht sich seine B.K. zusammen
Auf der Suche nach der „Alten B.K.“ • Siegel, Maria Katharina: Bayrisches Kochbuch, 1825 • Huberinn, Johanna Maria: Baier'sches Kochbuch für Fleisch-und Fasttäge. Enthält leichtfaßliche und bewährte Anweisungen..., 1802 • Buchnerin, Crescentia: Die erfahrene Münchener Köchin : oder vollständiges und geprüftes bayerisches Kochbuch, 1813/24 • Neudecker, Anna Maria: Die bayerische Köchin in Böhmen, 1832 • Völckel, Margaretha: Neuestes Bayerisches Kochbuch. Rezepte für den bürgerlichen und feinen Tisch enthaltend. Zuverlässiger Rathgeber zur Bereitung guter und schmackhafter Speisen, 1875 • Regensburger (Schandri), Augsburgisches (Weiler), Lindauer (Riedl) • Kochbuch • Katharina Prato: Süddeutsche Küche (1860) • Horn, Erna: Bayrische Kuchl: Alte bayrische Originalrezepte, 2008
Was kommt darin Bayerisch vor? • Huber: B. Leberknöderln, Rindfleisch b. Art, B. Kraut, B. Nudeln, B. Krapfen, B. Dampfnudeln, B. Kuchen • Buchner: B. Dampfnudeln, B. Nudeln, B. Ruben • Neudecker: B. ganz ordinäre Dampfnudeln • Augsburgisches (1819): B. Kraut • Prato (1894): B. Dampfnudeln, B. Hefenknopf, Bavaroise
Das kommt einem seltsam vor! • Erklärungen: • Das Kochbuch konserviert in der Gesellschaft bereits etablierte Essensordnungen, trägt zur Konstituierung, zum Wandel und zur Implementierung von Essensordnungen bei (Ehlert). • Problematik der Kochbücher: • Abschreiben • Veraltet (Blanc Manger, Pasteten) • Verwendung: Wer? Für wen? • Adressaten: Oberschichten – Inhalte adäquat • These 11: Kochbücher enthalten keine B.K.
Auf dem Lande: Kraut & Rüben • Quellen: Physikatsberichte, Reisebeschreibungen, Rechnungsbücher… • Mehl-, Schmalz- Milch- Speisen • Fleisch an den fünf Festzeiten, Taufen, Hochzeiten • Gutsbetrieb 1872, seit ca. 250 Jahre unverändert: Mehlschmarren, Semmelknödel, Nudeln mit Kraut, Knödel mit Kraut, Nudel mit Gemüse, Semmelschmarren, Fleischknödel.
Ernährung im 19. Jhd.: • Land: Mehl-, Schmalz-, Milch- Speisen • München – Bürgertum: Kalbfleisch, Innereien, Würste • Oberschichten, Adel: Französische Küche
Die „vulgo bayerische Küche“ • These 12: Was allgemein unter B.K. läuft, sind einige Gerichte (Haxn, Spanferkl, Würstl, Knödl, Pressackl, Obazter), die ihre Stereotypie der Münchner Fremdenverkehrswerbung um 1900 verdanken und sich mit ihr verbreiteten. • Diese V.B.K. entspricht keiner Ess-Realität auf dem Gäu und in den Städten, allenfalls einer in den Münchner Bräuschenken. • Diese V.B.K. ist nach den Notzeiten von 1914 – ca. 1960 erneut touristisch vermarktet worden: Sichtlich erfolgreich.
These 13 Die V.B.K. entspricht: • bestimmten Vermarktungsinteressen! • Aber sonst nichts mehr! • Sie überdeckt regionales Potential und dessen Nutzbarmachung.
These 14 • Wir müssen uns entscheiden: • Pendel weiter ausschlagen lassen: „Traditionellste Gerichte aus unserer Heimat“: „Salzburger Nockerl auf Wiener Art“ • Invention of Tradition • Vernetzt, interdisziplinär forschen, entwickeln, was eine heutige „Alpinküche“ sein könnte.
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