Als sich Nordsee und Südsee in Schleswig-Holstein trafen - LANU richtet Paläontolo-gentagung im Kulturzentrum Salzau aus

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Als sich Nordsee und Südsee in Schleswig-Holstein trafen - LANU richtet Paläontolo-gentagung im Kulturzentrum Salzau aus
Als sich Nordsee und Südsee in Schleswig-
Holstein trafen – LANU richtet Paläontolo-
gentagung im Kulturzentrum Salzau aus

 Dr. Karl Gürs      Am Dienstag, den 2. Oktober 2001, trafen        nur der Atlantik. Auch die viel ältere Nord-
                     42 Personen auf Schloß Salzau ein. Sie al-      see verbreiterte und vertiefte sich und an
                     le sind Paläontologen, also Forscher, die       dem durch Strömungen blankgeputzten
                     sich mit dem Leben der Vorzeit auf diesem       Meeresboden siedelten sich Tiefwasser-
                     Planeten beschäftigen, und kamen aus sie-       Korallenriffe an. An ihrem südlichen Rand,
                     ben europäischen Ländern – Belgien,             wo sie an die Gebirge des Armorikani-
                     Niederlande, England, Norwegen, Däne-           schen und Brabanter Massivs stieß, bilde-
                     mark, Deutschland und Polen. Dies sind          ten sich in einzelnen Trögen, die sich als
                     die Länder, die im Bereich der Nordsee in       Buchten abzeichneten, Flachwasserablage-
                     ihrer größten früheren Erstreckung lagen.       rungen.
                     Der offizielle Titel der Tagung war: „8th
                     joint biannual meeting of the Regional          Im ersten Vortrag der Tagung konnte ein
                     Committee of Northern Neogene Strati-           deutsch, englisch, französisch, belgisches
                     graphy and the Regional committee of            Forscherteam nicht nur genauere Alters-
                     Northern Paleogene Stratigraphy“. Die           angaben zu den Ablagerungen dieser
                     Kommittees sind Untereinheiten der ICS          Buchten machen, sondern auch ihre Ent-
                     (International Commission on Stratigra-         wicklung vom subtropischem Flachmeer
                     phy) als Abteilung der IUGS (International      über Aussüßung während einer Abküh-
                     Union on Geological Sciences) mit Sitz in       lungsphase bis hin zur Verlandung nach-
                     Washington D.C. in den USA.                     zeichnen.

Abbildung 1:
Landeskulturzen-
trum des Landes
Schleswig-Hol-
stein, Schloß Sal-
zau

                     Vor etwa 62 Millionen Jahren war ganz           Im nachfolgenden Zeitabschnitt, dem so-
                     Schleswig-Holstein vom Meer bedeckt. An         genannten Eozän, das eine Zeitspanne von
                     keiner Stelle war die Küste sichtbar, die et-   54,8 bis 33,7 Millionen Jahren umfasst,
                     wa im Gebiet von Südschonen lag. Durch          tiefte sich die Nordsee weiter ein. Im Be-
                     das westwärts Driften der amerikanischen        reich von Schleswig-Holstein war das
                     Kontinentalplatte vergrößerte sich nicht        Meer bis über 500 m tief. Nach Osten

                                                                                                             113
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dehnte sich das Meer in einem langgezo-        ins Meer. Sie brachten große Mengen an
      genen, tiefen Meeresarm über Polen, die        Baumharzen aus ausgedehnten Pinienwäl-
      Ukraine und den Kaukasus bis nach Indien       dern, den späteren Bernstein, ins Meer.
      aus, wo der indische Subkontinent noch         Dies wurde in einem Beitrag aufgezeigt,
      als riesige Insel im Indopazifik lag. Dieser   aus dem ebenso hervorging, dass der
      Meeresarm hatte jedoch noch eine andere        Bernstein immer wieder aufgearbeitet
      Bedeutung für Schleswig-Holstein. Er           wurde und so in Ablagerungen zu finden
      sorgte dafür, dass der von Ost nach West       ist, die eine Zeit von mindestens 30 Millio-
      fließende Nordäquatorialstrom nach Nor-        nen Jahren umspannen.
      den abgelenkt wurde und riesige warme
      Wassermassen in die Nordsee brachte.           Die Verhältnisse in den Tiefseeablagerun-
      Damit kehrten die Tropen hier ein. An den      gen des zentralen Beckens, wie in Schles-
      Stränden der eozänen Nordsee wuchsen           wig-Holstein, Dänemark oder vor Nor-
      Palmen und das Land war von dichten Re-        wegen zu beobachten, zeigen völlig ande-
      genwäldern bedeckt. Das Meer war bunt          re Abhängigkeiten. Hier spielen Strömun-
      von tropischen Fischen, Muscheln und           gen, Klima und Wassertiefe sowie der Ein-
      Schnecken. Imposante Haie von bis zu 10        trag von Schwebteilchen vom Festland ei-
      Meter Länge bejagten das Gewässer. Die         ne entscheidende Rolle. Anhand einer
      starken Strömungen brachten Treibgut so        Bohrung in Dänemark konnte ein dänisch,
      weit in das offene Meer, bis dieses von        englisch, belgisches Forscherteam die Ent-
      Meerwasser vollgesogen versank. Daher          wicklung von Tiefseeablagerungen zu Ab-
      können in den Tiefwasserablagerungen           lagerungen der tieferen Schelfs während
      Schleswig-Holsteins Versteinerungen von        des Eozäns und damit eine Verflachung
      Holz und exotischen Früchten aber auch         des Beckens aufzeigen. Dabei kam es strö-
      Reste von Vögeln gefunden werden. Die          mungsbedingt sowohl zu Ablagerungs-
      warmen Wassermassen gelangten direkt           unterbrechungen als auch zu dramati-
      in das Polarmeer, da im Westen die Nord-       schen Änderungen in der Art der abgela-
      see durch ein vulkanisches Gebirge voll-       gerten Sedimente. Ein weiterer Beitrag de-
      ständig vom Atlantik getrennt war. Dieses      monstrierte, wie sich mit einem interdiszi-
      Gebirge reichte von Schottland über Is-        plinären Ansatz aus Bohrdaten der Erdöl-
      land bis nach Grönland und wird Thule-         industrie eine eozäne Schelfkante kartie-
      Landbrücke genannt.                            ren lässt und damit ein direktes Bild des
                                                     Aussehens der Ur-Nordsee gewonnen
      Viele Beiträge auf der Tagung beschäftig-      werden kann.
      ten sich mit diesem Zeitabschnitt, wobei
      ein Schwerpunkt der Forschung auf einer        In der nächsten erdgeschichtlichen Epo-
      genaueren Datierung der einzelnen              che, dem Oligozän, das von 33,7 bis 23,8
      Schichten und der Ableitung ihrer Ablage-      Millionen Jahren reichte, kam es zu ein-
      rungsbedingungen liegt. Forschungen in         schneidenden Veränderungen. Im Bereich
      Belgien, im Bereich der damaligen Küste,       der polnischen Meeresstraße verflachte
      zeigen einen häufigen Wechsel von              das Meer durch Anhebung der Landmas-
      Strandablagerungen, küstennahen Ablage-        se, wodurch der Durchgang des Ablegers
      rungen und Ablagerungen des offenen            des Nordäquatorialstroms unterbunden
      Meeres, die zum Teil auf Schwankungen          wurde. Der ausgefallene Wärmetauscher-
      des globalen Meeresspiegels zurückzufüh-       effekt führte zu einer starken Abkühlung.
      ren sind. Sie werden in Sequenzen zu-          Schwache Oberflächenströme bewirkten
      sammengefasst. Die Meeresspiegel-              einen Rückfluss kalten Tiefenwassers, was
      schwankungen zeigen im Bereich der Küs-        die Tiefenwassertemperaturen auf unter
      te im Norddeutschen Flachland andere           10 °C senkte. Währenddessen tummelten
      Auswirkungen, indem es hier in den Buch-       sich im immer noch warmen Flachwasser
      ten unter bestimmten Bedingungen zur           Schildkröten und Seekühe, die mindestens
      Braunkohlebildung kam. Diese wurden            Wassertemperaturen des heutigen Mittel-
      ebenfalls in einem Tagungsbeitrag behan-       meers anzeigten. Durch sinkenden Mee-
      delt. Das nördliche Festland war kein Abla-    resspiegel und Eintrag von Sand und Ton
      gerungsraum, dennoch flossen größere           aus großen Flüssen, die aus dem Nordos-
      Flusssysteme von Norwegen nach Osten           ten kamen, verflachte das Becken zum En-
      oder Südosten und mündeten im Baltikum         de dieser Epoche.

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Als sich Nordsee und Südsee in Schleswig-Holstein trafen - LANU richtet Paläontolo-gentagung im Kulturzentrum Salzau aus
Abbildung 2:
Land-Meervertei-
lung im Bereich
der Ur-Nordsee
während des Oli-
gozäns vor etwa 32
Millionen Jahren.
Türkisfarbene Be-
reiche zeigen das
Flachmeer, dunkle-
re den tiefen
Schelf unterhalb
200 Meter, blau-
violette schließlich
Tiefsee. Die brau-
nen Bereiche sind
Land.

                       In einem weiteren Vortrag wurde die ge-       deutlich wärmerem Klima. Ab etwa 15
                       samte Schichtenfolge dieser Epoche aus        Millionen Jahren stieg der Meeresspiegel
                       dem marin bis brackischen Mainzer Be-         wieder beträchtlich an und die Nordsee
                       cken beschrieben und neu gedeutet, ins-       überflutete das Land bis nach Polen. Das
                       besondere im Hinblick auf die Zusammen-       deutliche Abfallen des Meeresspiegels
                       hänge mit den globalen Meeresspiegel-         zum Ende der Epoche und die Entstehung
                       schwankungen dieser Zeit. Zwei andere         eines großen Flusssystems aus dem Osten
                       Vorträge beschäftigten sich mit kurzfristi-   führte zu einem weitgehenden Rückzug
                       gen Planktonblüten, die zur genaueren Da-     des Meeres einhergehend mit einer lang-
                       tierung der Schichten eingesetzt werden       samen Abkühlung des Klimas.
                       können. Die genaue Untersuchung einer
                       Überflutungsfläche zu Beginn einer Phase      Eine sehr stark verfeinerte Zeitskala für
                       des Meeresspiegelanstiegs in Belgien          diese Epoche mit Hilfe im Plankton leben-
                       zeigte die Möglichkeiten auf, Zeithorizonte   der Schnecken wurde in Zusammenarbeit
                       zu erkennen und Sequenzen zu interpretie-     mit einem Paläontologen aus Malta im LA-
                       ren.                                          NU entwickelt, ebenso ein für das Nord-
                                                                     seebecken neuer Standard mit bodenbe-
                       Die nachfolgende Epoche, das Miozän,          wohnenden Meeresschnecken. Ein ähn-
                       dauerte bis 5,32 Millionen Jahre. Sie war     licher Standard für das Belgische Miozän
                       die Zeit der Verfüllung des Nordseebe-        mit versteinerten Geißeltierchen wurde
                       ckens. Zu Beginn schütteten große Flüsse      vorgestellt. Weitere Vorträge hatten die
                       von Norden wie von Osten große Deltas,        Erdgeschichtliche Entwicklung des Nieder-
                       auf deren Ebenen größere und kleinere         rhein-Gebietes und die Mecklenburg-Vor-
                       Sümpfe zur Braunkohlebildung beitrugen.       pommerns in dieser Epoche zum Inhalt,
                       In weiten Ebenen im Südwesten und Os-         die eng mit der Schleswig-Holsteins ver-
                       ten entstanden ausgedehnte Sümpfe, in         knüpft sind. Der östliche Bereich des Be-
                       denen sich die Niederrheinische und die       ckens, in dem Meeresablagerungen und
                       Lausitzer Braunkohle bildete. Die Sümpfe      Landablagerungen mit Braunkohlen sich
                       zogen sich bis nach Polen hinein. In          abwechseln, wurde in Beiträgen aus Polen
                       Schleswig-Holstein endete diese Schüt-        und Sachsen behandelt. Hier zeigte sich
                       tung abrupt vor etwa 16 Millionen Jahren      ein mariner Einfluss bis weit nach Polen,
                       und es entstand zwischen Neumünster           der zu einer kontroversen Diskussion darü-
                       und Hamburg ein großer brackischer            ber führte, ob der Austausch der marinen
                       Binnensee. Er wurde nach kurzer Zeit vom      Tierwelt zwischen Mittelmeer und Nordsee
                       Meer überspült und es entwickelte sich ein    zu dieser Epoche nur über den Atlantik
                       Wattenmeer ähnlich dem heutigen nur in        oder auch direkt über eine unbekannte

                                                                                                           115
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Meeresverbindung zwischen der nördlich-         Grönland, der eine Verstärkung des Klima-
                       sten bekannten Verbreitung des Ur-Mittel-       gradienten polwärts gegenüber den frühe-
                       meers in Südpolen und den östlichen Aus-        ren Epochen belegt.
                       läufern der Nordsee in Westpolen vor sich
                       gegangen sein kann.                             In den Pausen und nach den Vorträgen
                                                                       standen die Teilnehmer zusammen und
                       Noch später, im Pliozän, erkämpfte sich         diskutierten vor Postern das Gehörte und
                       das Land durch die Gesteinsmassen der           Gesehene. Dabei trafen unterschiedlichste

Abbildung 3: Tagungsteilnehmer bei der anschließenden Exkursion vor dem Eozänen Kliff in Heiligenhafen. Von
rechts: W. Hinsch (D), A. Burger (NL), S. Ritzkowski (D), K.J. Meyer (D), K. Dybkjaer (DK), G. Standke (D), D. Jut-
son (UK), H. Kuster (D), E. Kuster-Wendenburg (D), A. Clemmensen (DK), W. von Bülow (D), I. de Lught (NL), N.
Vandenberghe (B), H.-J. Stephan (D), B. Studencka (PL), J. Kasinski (PL), D. Spiegler (D), S. Louwye (B), F. Gra-
mann (D), S. de Schepper (B), S. van Simaeys (B)

                       Flüsse nicht nur den gesamten Bereich           Sichtweisen aufeinander, denn die Teil-
                       von Schleswig-Holstein sondern auch wei-        nehmer kamen von verschiedensten Insti-
                       te Teile der angrenzenden Nordsee, wäh-         tutionen. Vertreter von Ämtern und Indus-
                       rend durch Absenkungen im Bereich des           triebetrieben diskutierten mit Angestellten
                       sogenannten London-Brabant-Massivs Tei-         von Universitäten, Forschungsinstituten
                       le von Belgien und Südengland überflutet        und Museen. Auch freie Forscher waren
                       wurden. Das weiter stufenweise abkühlen-        beteiligt. So unterschiedlich das berufliche
                       de Klima führte zu dem vor etwa 1,8 Milli-      Umfeld der Teilnehmer war, so unter-
                       onen Jahren beginnenden Eiszeitalter. In        schiedlich waren auch die Erwartungen an
                       den Vereisungsphasen war die Nordsee            die Ergebnisse der Tagung. Während eini-
                       zum Teil eine weite Grassteppe, über die        ge Teilnehmer sich konkrete Verbesserun-
                       man trockenen Fußes von Schleswig-Hol-          gen für die tägliche Arbeit, zum Beispiel
                       stein nach England gelangen konnte. Auf         bei der Erschließung von Grundwasser
                       ihr lebten die Großtiere der Eiszeit, wie       oder anderen Bodenschätzen, der Bearbei-
                       Mammuts, Bisons, Rentiere, Nashörner            tung von Grundbauproblemen oder der
                       und nicht zuletzt der Mensch.                   Bereitstellung wissenschaftlicher Daten für
                                                                       die Öffentlichkeit erhofften, holten sich an-
                       Aus diesem Zeitabschnitt wurden Untersu-        dere Anregungen für Forschungsprojekte
                       chungen über Gesteinsabfolge und Alters-        oder Daten für die eigenen Arbeiten in den
                       bestimmungen von Bohrungen der                  Museumssammlungen oder für Grabun-
                       Niederländischen Nordsee vorgelegt, so-         gen.
                       wie ein Beitrag über Ablagerungen von

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Abbildung 4:
Tropische Land-
schaft mit Meer
auf den Bahamas,
Blick in die erdge-
schichtliche Ver-
gangenheit Schles-
wig-Holsteins

                      Aufgrund des breiten Spektrums der Ta-
                      gungsthemen konnten aber alle Informa-
                      tionsbedürfnisse der Teilnehmer zufrieden
                      gestellt werden und mancher wird bei der
                      Rückreise noch von einem Liegestuhl am
                      Palmenstrand der Nordsee geträumt ha-
                      ben, zu der Zeit, als sich Nordsee und
                      Südsee in Schleswig-Holstein trafen ...

                      Summary
                      The State Agency for Nature and Environ-
                      ment of Schleswig-Holstein (LANU) was
                      organiser of the 2001 meeting of the Re-
                      gional Committees on Northern Neoge-
                      ne/Paleogene Stratigraphy taking place at
                      Salzau Castle (Cultural Centre of the State
                      of Schleswig-Holstein). A brief notice on
                      the new research activities of the commit-
                      tees members presented at the meeting is
                      given. The outline of the paleogeographi-
                      cal development of Schleswig-Holstein du-
                      ring this pre-historical time span gives the
                      frame for this summary.

                       Dr. Karl Gürs
                      Dezernat 50 – Geowissenschaftliche
                      Grundlagen
                      Tel.: 0 43 47 / 704 – 554
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