Alte Sorten neu entdeckt - MEHR VIELFALT IM BEET - Humanushaus

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Alte Sorten neu entdeckt - MEHR VIELFALT IM BEET - Humanushaus
22 | Biogarten

                                               MEHR VIELFALT IM BEET

                                Alte Sorten
                               neu entdeckt
                         TEXT Jacqueline Iff, Tanja Josche        FOTOS Pro Specie Rara, Noah Breier

                             Traditionelle Gemüsesorten sind wieder im Kommen.
                       Auch im eigenen Garten machen sie sich gut, denn sie sind robust,
                              besonders schmackhaft und vermehren sich leicht.

Ochsenherz, Küttiger Rüebli oder Acht-­      Möglichkeit, Pflanzen selbst im Garten zu      Sorten auf, die vom Aussterben bedroht
Wochen-­Nüdeli – das sind klangvolle Na-     vermehren. Denn Hybriden bilden zwar           sind. Biologische Vielfalt zu schützen, steht
men für Tomaten, Karotten und Kartof-        Samen, doch wer sie aussät, erlebt meist       für Slow Food in engem Zusammenhang
feln. Namen, die neugierig machen und        eine Enttäuschung: Die Früchte haben           mit dem Erhalt von regionaltypischer Kost
nicht alltägliche Genüsse versprechen.       nicht mehr viel mit jenen aus dem ersten       und Geschmacksvielfalt. Auch die Schwei-
Doch wer diese alten Gemüsesorten pro-       Jahr zu tun. Die herangezüchteten Eigen-       zer Stiftung Pro Specie Rara hat sich dem
bieren möchte, muss sich oft auf die Suche   schaften – etwa kompakter Wuchs und            Ziel verschrieben, alte, kulturhistorisch
begeben. Denn was man früher je nach Re-     guter Geschmack – spalten sich beim Wei-       bedeutsame Pflanzensorten und Tierras-
gion in allen Gemüsegärten finden konnte,    tervermehren wieder auf. Dann wachsen          sen vor dem Aussterben zu bewahren. Das
ist in den Läden heute kaum noch zu be-      vielleicht die einen recht gut, die anderen    Saatgut soll dabei für alle frei zugänglich
kommen. Warum das so ist? Fast jede Sor-     schmecken dafür besser. Wer wieder die         sein. Jeder und jede soll es anbauen, ver-
te, deren Samen in den Handel kommt,         gleiche Sorte in seinem Garten haben           werten und Samen daraus ziehen können,
muss offiziell zugelassen werden. Das ist    möchte, muss also neues Saatgut kaufen.        um sie dann wieder anzusäen oder zu ver-
teuer und lohnt sich oft nur, wenn die       Und noch einen Nachteil haben Hybriden:        schenken. So passen sich die Sorten an
Pflanze in grossen Mengen verkauft wer-      Sie passen sich nur schlecht an sich än-       die Bedingungen in den verschiedenen Gär-
den kann. Gemüse muss dafür bestimmte        dernde Umweltbedingungen an. Bei den           ten an – und die Hobbygärtnerinnen und
Eigenschaften haben: Es sollte sich mit      alten Sorten ist das anders. Diese sind        -gärtner bleiben ein Stück weit unabhän-
Maschinen bearbeiten lassen, leicht zu       wandlungsfähig, meist hart im Nehmen           gig von den grossen Saatgut­firmen. Fast
verpacken und gut lagerfähig sein. Krum-     und vertragen auch mal Kälte oder Tro-         2000 Ehrenamtliche sowie zahlreiche Be-
me Kartoffeln und gebogene Karotten sind     ckenheit. Sie bergen eine grosse genetische    triebe und Institutionen unterstützen Pro
schwer zu normieren. Auch un­regelmässig     Vielfalt, das macht sie so wertvoll. Und sie   Specie Rara. Auch das Humanushaus ist
wachsende Kohlköpfe finden nicht den         sind samenfest, können also im eigenen         Teil des Netzwerks. «Es ist uns eine Her-
Weg ins Gemüse­regal.                        Garten selbst vermehrt werden.                 zensangelegenheit, einen Beitrag für die
                                                                                            Natur und für den Erhalt der Arten­vielfalt
Vom Aussterben bedrohte Sorten               Initiativen für mehr Vielfalt                  zu leisten. Wir wollen dazu beitragen, dass
So haben gezüchtete Pflanzen mit optima-     Damit Ochsenherztomate, ‘Berner Rose’          die alten Sorten wieder bekannter werden,
len Eigenschaften nach und nach viele        und andere Sorten nicht vollends ver-          über ihre Vorteile aufklären und so mehr
­Gemüsesorten verdrängt, die unsere Vor-     schwinden, wurden Initiativen gegründet,       Menschen dafür begeistern, sie im eigenen
 fahren über Jahrhunderte angebaut haben.    die sich für deren Erhalt einsetzen. Der       Garten anzubauen», erklärt J­ acqueline I­ ff,
 Ganze Geschmacksrichtungen sind auf         Verein Slow Food zum Beispiel nimmt sie        langjährige Mitarbeiterin im Kräuter-
 diese Weise verschwunden, aber auch die     als «Arche-Passagiere» in eine Liste von       und Zierpflanzenbereich

Schweizer Garten N° 4 / 2021
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Biogarten | 23

Quastenblume ‘Scarlet Magic’

       Tomate ‘Berner Rose’
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                                                                                      thera­peutischen Einrichtung bei Bern
                                                                                      ­arbeiten Menschen mit Beeinträchtigun-
                                                                                       gen in verschiedenen Werkstätten – eine
                                                                                       davon ist der Bereich Kräuter- und Zier-
                                                                                       pflanzen. Dort läuft schon seit dem Winter
                                                                                       die Produktion verschiedener Pflanzen
                                                                                       auf Hochtouren. Es wird gesät, pikiert,
        So vermehren Sie Gemüsepflanzen
                                                                                       umgetopft und gegossen. Vieles davon er-
                                                                                       ledigen die Humanushaus-Bewohnenden
   Samen von Erbsen, Tomaten oder Peperoni lassen sich direkt aus                      in Handarbeit, Maschinen kommen kaum
   der Frucht ernten. Dazu die Früchte etwas länger reifen lassen.                     zum Einsatz. Man setzt hier auf selbst­
   Kulturen wie Kopfsalat, Rucola oder Karotten werden dagegen                         gemischte Erde – und natürlich auf Pro-
   vermehrt wie Blumen, indem man die Samen direkt dem verblüh-                        Specie-Rara-­Saatgut.
   ten Samenstand entnimmt. Auch hier sollten die Samen gut ausrei-
   fen, aber noch geerntet werden, bevor sie von selbst herunterfal-                  Schmeckt besser
   len. Die Samen abwaschen und trocknen, damit sie nicht keimen.                     «Unsere Tomaten, Salate und Rüben sind
   Es dürfen keine Blatt- oder Stängelreste auf den Samen bleiben,                    zu 80 % Pro-Specie-Rara-Sorten,» erklärt
   sonst könnten Krankheiten übertragen werden. Die optimale La-                      Jacqueline. «Die traditionellen Sorten
   gertemperatur liegt an einem trockenen, möglichst dunklen Ort                      schmecken einfach besser als Gemüse aus
   zwischen 0 und 10 °C, Temperaturschwankungen und Feuchtigkeit                      Hybridsaatgut.» Jacqueline deutet auf die
   müssen vermieden werden. Weil die Keimfähigkeit von Gemüse zu                      noch kleinen Tomatenpflanzen in kompos-
   Gemüse schwankt, sollte man die Samen innerhalb von 1 bis                          tierbaren Töpfen. Die Schweizer Sorte
   3 Jahren v­ erwenden. Noch ein Tipp für                                            ‘Berner Rose’ sei besonders aromatisch,
   extrem kleine oder fruchtfleischbenetzte                                           eine perfekte Mischung aus Süsse und
   Samen, z. B. von Tomaten: Das Saatgut                                              Würze. «Eine meiner Lieblingssorten», be-
   mit Fruchtfleisch auf ein Stück Küchen­                                            kennt ­Jacqueline, «das Fruchtfleisch zer-
   papier reiben, verteilen und trocknen                                              geht auf der Zunge.» Die ‘Berner Rose’
   lassen. Es haftet fest am Haushaltspa-                                             gedeiht im Topf, fühlt sich aber ausge-
   pier, das man im nächsten Jahr als Saat-                                           pflanzt wohler. Sie braucht nur in kühlen
   gutscheibe in die Blumentöpfe legen                                                Regionen ein Gewächshaus, vor Regen
   kann. Etwas Erde darübergeben, an-                                                 sollte man sie aber schützen. Doch nicht
   giessen und auf die Keimlinge warten.                                              nur beim Gemüse, auch bei den Zier- und
                                                                                      Schnittpflanzen setzt das Humanushaus
                                                                                      auf Pro-­Specie-­Rara-­Sorten. Allein zehn
                                                                                      verschiedene Gera­niensorten werden hier

                                                                                       Im Humanushaus
                                                                                       erwacht der Frühling.

                                                Frühblüher wie Traubenhyazinthen
                                                     sind bei Bienen heiss begehrt.

Schweizer Garten N° 4 / 2021
Alte Sorten neu entdeckt - MEHR VIELFALT IM BEET - Humanushaus
kultiviert. Auch die ‘Schöne Schwarz­
                                 wälderin’ ist eine davon – eine Frühblühe-
                                 rin, die schon im April mit ­zahlreichen
                                 dunkelfeurig-rosaroten Blüten begeistert.
                                 Besonders lange blüht die Sorte ‘Stadt
                                 Bern’, eine sehr robuste Geranie (Pelargo-
                                 nium), die es in Weiss, Rot und Lachs gibt.
                                 Für lange Blühfreuden sorgt auch die Quas-
                                 tenblume ‘Scarlet M
                                                   ­ agic’ (Emilia coccinea).
                                 Sie wird rund 60 cm hoch und bildet den
                                 ganzen Sommer hindurch zierliche, leuch-
                                 tend orangerote Blüten.

                                 Saatgut seltener Sorten
                                 Wer selber im eigenen Garten zum Erhalt
                                 alter Sorten beitragen will, findet samen-
                                 festes Saatgut von Pro Specie Rara in eini-
                                 gen Gartencentern, Museumsgärten oder
                                 in regionalen Gärtnereien. Käufer und
                                 Interessierte können sich dabei am Güte­
                                 siegel der Stiftung Pro Specie Rara orien-
                                 tieren. Derzeit sind rund 1000 Garten-
                                 und Ackerpflanzen, 1800 Obstsorten und
                                 viele Zierpflanzen zertifiziert. Ein weiterer   Die Tulpen sind ein bunter
                                                                                 Farbtupfer zu Ostern.
                                 Tipp für seltenes Saatgut sind Tauschbör-
                                 sen oder Saatgutbibliotheken. Hier kann
                                 sich jede und jeder Saatgut ausleihen, die-     Pflege der Basilikumsetzlinge
                                 ses anbauen, von dem neu gewonnen Saat-         in der Gärtnerei.

                                 gut einen Anteil behalten und den Rest
                                 zurückgeben. Auch bei einem Austausch
Bild: Annafried Widmer-Kessler

                                 in der Nachbarschaft kann man sicher so
                                 einiges Neues entdecken. •

                                 Dieses Jahr begleitet uns die Stiftung
                                 Humanus-Haus durch das Biogartenjahr.
                                 www.humanushaus.ch

                                                                                                                 Schweizer Garten N° 4 / 2021
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