Anmerkungen zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht
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Anmerkungen zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht Prof. Dr. Christian Alexander Inhalt I. Einführung II. Anwendungsbereich (§ 1 Abs. 2 UWG-E) III. Begriffsbestimmungen (§ 2 UWG-E) 1. Neue Überschrift und neue Reihenfolge 2. Neue Definitionen 3. Erweiterung und Anpassung der geschäftlichen Handlung a) Digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen b) Unmittelbarer und objektiver Zusammenhang 4. Fehlende Begriffsbestimmungen 5. Verbraucherbegriff IV. Irreführung (§ 5 UWG-E) 1. Neue Systematik 2. Schutz vor Täuschungen bei „dual quality“ V. Vorenthalten wesentlicher Informationen (§§ 5a und 5b UWG-E) 1. Streichung von § 5a Abs. 1 UWG und systematische Neuordnung 2. Neue Informationspflichten 3. Nichterkennbarkeit des kommerziellen Zwecks und Influencer-Marketing a) § 5a Abs. 4 Satz 1 UWG-E b) § 5a Abs. 4 Satz 2 UWG-E 4. Zwischenfazit VI. Belästigungen (§§ 7 und 20 UWG-E) VII. Schadensersatz und Verjährung (§§ 9 und 11 UWG-E) 1. Schadensersatz a) Schadensersatz für Verbraucher 1
aa) Ausgangsüberlegungen bb) Sachgerechte Ausgestaltung und Eingrenzung des Individualschadensersatzes für Verbraucher (1) Keine Vertragsaufhebung im Wege des Schadensersatzes (2) Subsidiarität statt freier Anspruchskonkurrenz (3) Zwischenfazit b) Presseprivileg 2. Verjährung VIII. Bußgelder bei weitverbreiteten Verstößen und weitverbreiteten Verstößen mit Unions-Dimension (§§ 5c und 19 UWG-E) IX. Schwarze Liste X. Fazit 1. Positive Ansätze 2. Korrekturbedarf I. Einführung Mit der Richtlinie (EU) 2019/2161 1 hat der Unionsgesetzgeber unter anderem die UGP-RL überarbeitet und erweitert. Das Gesetzgebungsvorhaben bildet einen Teil des „New Deal for Consumers“. 2 Die Änderungen der UGP-RL sind bis zum 28.11.2021 in das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten umzusetzen 3 und spätestens ab dem 28.05.2022 anzuwenden. 4 Bei der Richtlinie (EU) 2019/2161 handelt es sich um eine Änderungsrichtlinie. Sie ersetzt keine bestehenden Rechtsakte, sondern sie ändert punktuell andere Richtlinien. 5 Damit verfolgt die Richtlinie (EU) 2019/2161 keinen neuen Harmonisierungsansatz, sondern der Grad der Harmonisierung ist im Kontext der jeweils geänderten Richtlinien zu bestimmen. Für die vollharmonisierende UGP-RL bedeutet dies, dass der Regelungsansatz dieser Richtlinie durch die Richtlinie (EU) 2019/2161 nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird. Die Richtlinie (EU) 2019/2161 enthält lediglich einzelne Öffnungsklauseln, die den Mitgliedstaaten einen 1 Richtlinie (EU) 2019/2161 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinien 98/6/EG, 2005/29/EG und 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union, ABl. Nr. L 328/7. 2 Dazu näher Alexander WRP 2019, 1235 ff. m. w. Nachw. 3 Art. 7 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2019/2161. 4 Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 Richtlinie (EU) 2019/2161. 5 Geändert werden im Einzelnen die Klausel-Richtlinie 93/13/EG, die Preisangaben-Richtlinie 98/6/EG, die UGP-RL und die Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83/EU. 2
erweiterten Umsetzungsspielraum einräumen; 6 zudem sind einige ihrer Vorgaben unscharf gefasst. 7 Gleichwohl bleibt es dabei, dass die UGP-RL auch in der geänderten Fassung der Richtlinie (EU) 2019/2161 weiterhin dem Ansatz einer Vollharmonisierung folgt. Daher verbleibt den Mitgliedstaaten zwar grundsätzlich die „Wahl der Form und der Mittel“ 8 bei der Umsetzung der geänderten UGP-RL in das innerstaatliche Recht, jedoch ist der Gestaltungsspielraum eingeschränkt. Nach den Erfahrungen bei der Erst- und Zweitumsetzung der UGP-RL in Deutschland ist es zweckmäßig, eine Form der Umsetzung zu wählen, die sich möglichst nah an den Vorgaben der Richtlinie orientiert. Zur Transformation dieser unionsrechtlichen Vorgaben hat das federführende Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im November 2020 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht vorgelegt (im Folgenden: RefE). 9 Die nachfolgenden Anmerkungen beschränken sich auf die zentralen Änderungen durch Art. 1 des RefE. Nicht näher betrachtet werden hingegen die geplanten Änderungen der GewO durch Art. 2 RefE. II. Anwendungsbereich (§ 1 Abs. 2 UWG-E) Der RefE sieht vor, einen neuen § 1 Abs. 2 UWG-E zu schaffen, der Aussagen zum Anwendungsbereich des UWG enthält: „Vorschriften zur Regelung besonderer Aspekte unlauterer geschäftlicher Handlungen gehen im Fall unterschiedlicher Rechtsfolgen den Regelungen dieses Gesetzes vor.“ Die Begründung des RefE stützt sich auf die Vorgaben aus Art. 3 Abs. 4 UGP-RL. 10 Es solle klargestellt werden, dass Vorschriften, die spezielle Aspekte unlauterer geschäftlicher Handlungen regeln, vorrangig seien. 11 Als Beispiel erwähnt die Begründung die für das Influencer-Marketing geltenden Regeln des RStV (nunmehr abgelöst durch den MStV 12) sowie des TMG. 13 Dieser Regelungsvorschlag überzeugt nicht. Art. 3 Abs. 4 UGP-RL löst keinen Umsetzungsbedarf aus, denn die Vorschrift regelt allein den Anwendungsbereich der UGP-RL und ihr Verhältnis zu anderen Sekundärrechtsakten. Die UGP-RL verlangt nicht, dass die Mitgliedstaaten den Anwendungsbereich ihrer gesetzlichen Bestimmungen zur Umsetzung demjenigen der UGP-RL angleichen. 6 Z. B. Art. 3 Abs. 5 und 6 Richtlinie (EU) 2019/2161. 7 Z. B. Art. 11a UGP-RL, dazu näher unter VII. 1. a). 8 Art. 288 Abs. 3 AEUV. 9 Abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Staerkung_Ver braucherschutz_Wettbewerbs-_und_Gewerberecht.pdf. 10 Begründung zum RefE (Fn. 9), S. 26. 11 Begründung zum RefE (Fn. 9), S. 26. 12 Inkraftgetreten am 07.11.2020. 13 Begründung zum RefE (Fn. 9), S. 26. 3
Weiterhin passt der Regelungsvorschlag des RefE nicht, weil zu den Vorschriften zur Regelung besonderer Aspekte unlauterer geschäftlicher Handlungen insbesondere unionsrechtliche Informationspflichten gehören, die nach Art. 7 UGP-RL (§§ 5a Abs. 1-3, 5b Abs. 4 UWG-E) zwingend in das UWG einzubeziehen sind. Insoweit ist eine Abweichung von der UGP-RL aufgrund der Vollharmonisierung nicht zulässig. Das gilt auch für die in der Begründung des RefE erwähnten medienrechtlichen Informations- bzw. 14 Kennzeichnungspflichten, soweit diese im Unionsrecht ihre Grundlage haben. § 1 Abs. 2 UWG-E könnte massive Auswirkungen auf den Rechtsbruchtatbestand des § 3a UWG haben. Da viele Marktverhaltensnormen besondere Aspekte unlauterer geschäftlicher Handlungen regeln (z. B. spezielle Irreführungsverbote oder Informationsanforderungen) und unterschiedliche, also vom UWG abweichende Rechtsfolgen vorsehen (z. B. verwaltungsbehördliche Eingriffsbefugnisse oder strafrechtliche Sanktionen), könnte das UWG gemäß § 1 Abs. 2 UWG-E nicht mehr gleichrangig neben diesen Spezialvorschriften zur Anwendung gelangen. Damit wäre in diesen Fällen dem Rechtsbruchtatbestand möglicherweise die Grundlage entzogen. Angesichts der erheblichen Bedeutung des § 3a UWG hätte eine solche Regelung weitreichende praktische Konsequenzen. Selbst wenn man den Rechtsbruchtatbestand und dessen weite Ausdehnung durch die Rechtsprechung kritisch sieht, 15 ist es nicht zweckmäßig, ohne unionsrechtliche Notwendigkeit ein Konfliktfeld zu schaffen, das möglicherweise tiefe Verwerfungen verursacht und bestehende Strukturen des Lauterkeitsrechts ohne Not in Frage stellt. § 1 Abs. 2 UWG-E sollte ersatzlos gestrichen werden. III. Begriffsbestimmungen (§ 2 UWG-E) 1. Neue Überschrift und neue Reihenfolge Bei § 2 UWG-E fallen zunächst die neue Überschrift („Begriffsbestimmungen“ statt bislang „Definitionen“) sowie die Erweiterung des Katalogs von neun auf elf Definitionen auf. Für viele Lauterkeitsrechtler gewöhnungsbedürftig dürfte außerdem die Änderung der Reihenfolge der Begriffe sein. Der bislang an der Spitze stehende Zentralbegriff der geschäftlichen Handlung rutscht von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG auf § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG-E. Nunmehr steht – der alphabetischen Ordnung des neu sortierten Katalogs entsprechend – die geschäftliche Entscheidung an erster Stelle. Diese Neuordnung hat Vor- und Nachteile. Ein wichtiger Vorzug ist der Gewinn an Struktur. Der derzeitige Katalog des § 2 Abs. 1 UWG folgt in seiner Gesamtheit keinem System, mit Ausnahme der Häufigkeit und Wichtigkeit der ersten vier Begriffe. Eine alphabethische Ordnung erleichtert das Auffinden der relevanten Definitionen. Der Nachteil: Die veränderte 14 Vgl. dazu die ausdrückliche Bezugnahme auf die frühere Fernseh-Richtlinie 89/552/EWG in Nr. 11 Satz 2 Anhang I UGP-RL sowie die Erwähnung der E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG im Anhang II UGP-RL. 15 Siehe nur Glöckner GRUR 2013, 568 ff.; Ohly in: FS Köhler, 2014, S. 507 ff.; ders. in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 3a Rn. 9 ff.; vgl. zur Kritik auch Alexander, Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 1517 ff. 4
Nummerierung erschwert die Suche und Zuordnung von bereits ergangenen Entscheidungen zu einzelnen Definitionen. 2. Neue Definitionen Neu aufgenommen werden die Definitionen für „Online-Marktplatz“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 UWG- E in Umsetzung von Art. 2 Buchst. n) UGP-RL) und „Ranking“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG-E in Umsetzung von Art. 2 Buchst. m) UGP-RL). Beide Begriffsbestimmungen sind sehr richtliniennah formuliert. Sie haben Bedeutung für die Informationspflichten gemäß § 5b Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 UWG-E. Die Aufnahme in den allgemeinen Definitionskatalog des § 2 Abs. 1 UWG-E ist konsequent und zu begrüßen. 3. Erweiterung und Anpassung der geschäftlichen Handlung Erweitert und angepasst wird die Definition der geschäftlichen Handlung (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG-E). a) Digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen Die Erweiterung erstreckt sich auf digitale Inhalte 16 und digitale Dienstleistungen. 17 Damit vollzieht das deutsche Recht die entsprechende Anpassung von Art. 2 Buchst. c) UGP-RL nach. Die ohnehin schon recht sperrige Definition der geschäftlichen Handlung wird damit allerdings noch schwerfälliger. b) Unmittelbarer und objektiver Zusammenhang Die Anpassung betrifft das Tatbestandsmerkmal des objektiven Zusammenhangs. Nach geltendem Recht ist ein Verhalten erforderlich, „das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt“. Künftig soll ein unmittelbarer und objektiver Zusammenhang erforderlich sein. Die Begründung des RefE verweist darauf, bei bestimmten Formen der Förderung des eigenen Unternehmens bestehe kein unmittelbarer Zusammenhang zur Absatzförderung, z. B. bei Produktempfehlungen durch Influencer, die hierfür keine Gegenleistung erhalten. 18 16 Definiert in Art. 2 Nr. 1 Richtlinie (EU) 2019/770 vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen, ABl. Nr. L 136/1 und Art. 2 Nr. 6 Richtlinie (EU) 2019/771 vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/22/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG (ABl. Nr. L 136/28). 17 Definiert in Art. 2 Nr. 2 Richtlinie (EU) 2019/770 und Art. 2 Nr. 7 Richtlinie (EU) 2019/771. 18 Begründung zum RefE (Fn. 9), S. 27. 5
Gerade das Beispiel der Influencer passt und überzeugt jedoch nicht. Influencer handeln bei Produkt- und Unternehmensempfehlungen typischerweise sowohl zugunsten des eigenen Unternehmens als auch zugunsten eines fremden Unternehmens. Es liegt ein Handeln mit doppeltem Geschäftszweck vor. 19 Die Eigenförderung 20 besteht in dem Ausbau der eigenen Bekanntheit in den sozialen Netzwerken (z. B. Instagram, YouTube, Twitter usw.), dem Erhalt der Follower und dem Gewinnen neuer Follower. Der Aufbau und die Pflege der eigenen virtuellen Präsenz sowie der Erhalt der Verbindung zu den Followern bilden die Basis für die Fremdförderung. Influencer nutzen ihren Einfluss, um Unternehmen oder deren Leistungen zu empfehlen. Sie sind als Werbeträger für Unternehmen umso attraktiver und wertvoller, je genauer sie bestimmte Zielgruppen erreichen, denn dies verringert die Streuverluste von Werbung und Marketing. Influencer eröffnen den Unternehmen einen spezifischen Kommunikationskanal zur gewünschten Zielgruppe; sie handeln mit ihrer Empfehlung gegenüber den Followern zugunsten der empfohlenen Unternehmen.21 Entgegen einem bisweilen anzutreffenden Missverständnis sind Influencer keine Privatpersonen, die gleichsam nebenher in sozialen Netzwerken durch eigene Meinungskundgabe ein wenig Geld verdienen, sondern es handelt sich um ein eigenständiges und spezialisiertes Geschäftsmodell, das in der kommerziellen Vermarktung des (realen oder vermeintlich realen) Privatlebens besteht. 22 Influencer und beworbene Unternehmen stehen in einer symbiotischen Beziehung. Ein unmittelbarer Zusammenhang zur Absatz- und Bezugsförderung wird sich daher kaum verneinen lassen. Ungeachtet der Influencer-Problematik besteht keine Notwendigkeit, das Merkmal der Unmittelbarkeit zu übernehmen. Die deutsche Begriffsbestimmung für die geschäftliche Handlung setzt Art. 2 Buchst. d) UGP-RL ohnehin nicht wortlautgetreu um, da das UWG über den Anwendungsbereich der UGP-RL hinausgeht und die geschäftliche Handlung deswegen offener formuliert sein muss. Geschäftliche Handlungen sind insbesondere auch Verhaltensweisen im B2B-Horizontalverhältnis sowie im B2B-Vertikalverhältnis. Die Einfügung eines Erfordernisses der Unmittelbarkeit könnte die Frage aufwerfen, ob dadurch der Anwendungsbereich des UWG außerhalb des B2C-Verhältnisses eingeschränkt werden soll. 19 OLG Braunschweig, 13.05.2020 – 2 U 78/19, GRUR-RR 2020, 452 Rn. 34 ff. – Fitnessinfluencerin; OLG Frankfurt, 23.10.2019 – 6 W 68/19, GRUR 2020, 208 Rn. 10 ff. = WRP 2020, 97 – Die Influencerin; OLG Hamburg, 02.07.2020 – 15 U 142/19, GRUR-RS 2020, 18139 Rn. 38 ff.; siehe dazu auch unten, V. 3. 20 Dazu näher OLG Braunschweig, 13.05.2020 – 2 U 78/19, GRUR-RR 2020, 452 Rn. 37 ff. – Fitnessinfluencerin; OLG Frankfurt, 23.10.2019 – 6 W 68/19, GRUR 2020, 208 Rn. 13 = WRP 2020, 97 – Die Influencerin; OLG Hamburg, 02.07.2020 – 15 U 142/19, GRUR-ES 2020, 18139 Rn. 39 ff.; OLG Karlsruhe, 09.09.2020 – 6 U 38/19, GRUR-RS 2020, 22210 Rn. 54 = WRP 2020, 1467; OLG München, 25.06.2020 – 29 U 2333/19, GRUR 2020, 1096 Rn. 27 = WRP 2020, 1227 – Blauer Plüschelefant. 21 Dazu näher OLG Braunschweig, 13.05.2020 – 2 U 78/19, GRUR-RR 2020, 452 Rn. 42 ff. – Fitnessinfluencerin; OLG Frankfurt, 23.10.2019 – 6 W 68/19, GRUR 2020, 208 Rn. 12 = WRP 2020, 97 – Die Influencerin; OLG Hamburg, 02.07.2020 – 15 U 142/19, GRUR-RS 2020, 18139 Rn. 45 ff.; OLG Karlsruhe, 09.09.2020 – 6 U 38/19, GRUR-RS 2020, 22210 Rn. 57 = WRP 2020, 1467 22 Zur Herkunft, Einordnung und Wirkung von Influencer-Marketing siehe nur Reimann, UFITA 2019, 428, 430 ff. m. w. Nachw. 6
Weiterhin könnte die Frage entstehen, ob dieses Merkmal im Sinne eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen der Handlung und der Absatz- bzw. Bezugsförderung zu verstehen ist, was bislang zu Recht abgelehnt wird. 23 Schließlich ist nicht erkennbar geworden, dass die geltende Definition der geschäftlichen Handlung erhebliche Schwierigkeiten in ihrer Vereinbarkeit mit Art. 2 Buchst. d) UGP-RL bereitet, sodass ein gesetzgeberisches Nachsteuern erforderlich wäre. Eine weitere Anpassung an den Wortlaut der UGP-RL ist daher nicht notwendig. Die Einfügung des Merkmals „unmittelbar“ in die Definition der geschäftlichen Handlung ist verzichtbar. 4. Fehlende Begriffsbestimmungen Nicht im Katalog des § 2 UWG-E enthalten ist die Aufforderung zum Kauf aus Art. 2 Buchst. i) UGP-RL. Die Umschreibung findet sich im neuen § 5b Abs. 1 UWG-E. Sie wird – mit redaktioneller Anpassung – aus § 5a Abs. 3 UWG übernommen. Keine Begriffsbestimmung ist für den wichtigen Begriff der Werbung vorgesehen, der im UWG vielfach Verwendung findet. 24 Zwar enthält die UGP-RL keine entsprechende Definition, jedoch könnte hier die Begriffsbestimmung aus Art. 2 Buchst. a) Richtlinie 2006/114/EG25 übernommen werden. Eine Änderung der Rechtslage wäre damit nicht verbunden, weil der Begriff der Werbung im UWG schon nach derzeitiger Praxis richtlinienkonform und auf der Grundlage von Art. 2 Buchst. a) Richtlinie 2006/114/EG auszulegen ist. 26 5. Verbraucherbegriff § 2 Abs. 2 UWG-E verweist auch weiterhin auf den Verbraucherbegriff des § 13 BGB. Das entspricht dem geltenden Recht. Jedoch ist anerkannt, dass der Verweis auf § 13 BGB nur eingeschränkt passt, weil im Lauterkeitsrecht – anders als im Vertragsrecht – kein Bezug zu einem Rechtsgeschäft erforderlich ist. 27 Zudem bestehen weitere Konfliktbereiche zwischen den Verbraucherbegriffen des Vertrags- und des Lauterkeitsrechts, z. B. bei der Einordnung von Geschäften mit „Doppelcharakter“.28 23 Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 2 Rn. 47. 24 §§ 5 Abs. 2 und 3, 5a Abs. 4, 6, 7 und 16 UWG. 25 Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung, ABl. Nr. L 376/21. 26 Siehe nur BGH, 09.02.2006 – I ZR 124/03, GRUR 2006, 875 Rn. 22 = WRP 2006, 1109 – Rechtsanwalts-Ranglisten; BGH, 06.12.2007 – I ZR 169/04, GRUR 2008, 628 Rn. 18 = WRP 2008, 930 – Imitationswerbung (jeweils zu § 6 UWG); BGH, 14.01.2016 – I ZR 65/14, GRUR 2016, 946 Rn. 27 = WRP 2016, 958 – Freunde finden (zu § 7 Abs. 2 UWG); allg. Alexander, Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 309 ff.; Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2019, § 2 Rn. 15. 27 Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 2 Rn. 160 ff.; Schilling in: Büscher, UWG, 2019, § 2 Abs. 2 Rn. 2 ff. 28 Die unionsrechtlichen Vorgaben zum Verbraucherbegriff sind insoweit nicht einheitlich. Während es nach Erwägungsgrund 17 der Richtlinie 2011/83/EU für die 7
Im Interesse einer systematischen Klarheit und Kohärenz sollte § 2 Abs. 2 UWG-E gestrichen und stattdessen die eigenständige Verbraucherdefinition aus Art. 2 Buchst. a) UGP- RL in den Definitionskatalog des § 2 UWG-E integriert werden. Dies wäre auch regelungstechnisch konsequent, weil der Begriff des Unternehmers – als Komplementärbegriff zum Verbraucher – in § 2 Abs. 1 Nr. 6 UWG (= § 2 Abs. 1 Nr. 8 UWG-E) eigenständig definiert wird. IV. Irreführung (§ 5 UWG-E) 1. Neue Systematik § 5 UWG-E erhält eine redaktionelle Anpassung. Der bisherige § 5 Abs. 1 Satz 2 UWG wird zu einem neuen Absatz 2. Die weiteren Absätze werden verschoben. Hierdurch gewinnt die Vorschrift an Lesbarkeit und Verständlichkeit. 2. Schutz vor Täuschungen bei „dual quality“ § 5 Abs. 2 UWG soll zum neuen Absatz 3 werden, der nunmehr zwei spezielle Irreführungstatbestände beinhaltet. Als Nr. 1 wird die geltende Regelung zum Schutz vor Verwechslungsgefahren übernommen. 29 Neu hinzu kommt die viel diskutierte „dual quality“- Regelung aus Art. 6 Abs. 2 Buchst. c) UGP-RL.30 Dieser spezielle Tatbestand zum Schutz vor Irreführungen wurde von der Kommission als ein besonderes Anliegen im Entstehungsprozess der Richtlinie (EU) 2019/2161 herausgestellt. 31 Hintergrund waren die Beschwerden einiger Mitgliedstaaten, es würden unter der gleichen Marke Erzeugnisse in schlechterer Qualität vertrieben. Eine geschäftliche Handlung ist nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 UWG-E irreführend, wenn „mit ihr eine Ware in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union als identisch mit einer in anderen Mitgliedstaaten auf dem Markt bereitgestellten Ware vermarktet wird, obwohl sich diese Waren in ihrer Zusammensetzung oder in ihren Merkmalen wesentlich voneinander unterscheiden, sofern dies nicht durch legitime und objektive Faktoren gerechtfertigt ist.“ Dieser Wortlaut entspricht weitgehend den Vorgaben der UGP-RL. Unabhängig von der Frage der rechtspolitischen Überzeugungskraft dieser Regelung ist eine Umsetzung in das nationale Recht geboten. Verbrauchereigenschaft darauf ankommt, dass der gewerbliche Zweck nicht überwiegt, enthält die UGP-RL eine entsprechende Aussage nicht. § 13 BGB ist zudem für die „dual use“-Fälle missverständlich formuliert. 29 Umsetzung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a) UGP-RL. 30 Siehe dazu nur Dröge, WRP 2019, 160, 164 ff. 31 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Neugestaltung der Rahmenbedingungen für die Verbraucher, COM(2018) 183 final vom 11.04.2018, S. 13 ff.; siehe auch die umfangreiche Zusammenstellung von Dokumenten unter https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_19_3332. 8
Zu den legitimen und objektiven Faktoren, die eine „dual quality“-Vermarktung von Waren rechtfertigen, gehören spezifische Vorgaben des nationales Recht, Verfügbarkeit oder Saisonabhängigkeit von Rohstoffen oder die Beachtung von freiwilligen Strategien zur Verbesserung des Zugangs zu gesunden und nährstoffreichen Lebensmitteln. 32 Ebenfalls zu den legitimen und objektiven Faktoren soll nach der Begründung des RefE „die Anpassung an eine unterschiedliche Verbraucherpräferenz gehören“. 33 Dies betrifft eine für die Praxis wichtige Frage. Beispiel: Ein Unternehmer passt den Geruch, den Geschmack oder die Konsistenz einer Ware an regionale Vorlieben von Verbrauchern an. Es gilt zu beachten, dass Verbraucherpräferenzen im Erwägungsgrund 53 der Richtlinie (EU) 2019/2161 nicht mehr erwähnt sind, während der Kommissionsentwurf der Richtlinie eine entsprechende Aussage noch enthielt. 34 Es ist daher keineswegs sicher, ob eine Anpassung an Verbraucherpräferenzen von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c) UGP-RL im Sinne der Richtlinie als ein legitimer und objektiver Faktor anzusehen ist. V. Vorenthalten wesentlicher Informationen (§§ 5a und 5b UWG-E) Die Regelungen zum Vorenthalten wesentlicher Informationen werden in §§ 5a und 5b UWG-E neu strukturiert und durch die erweiterten Vorgaben des Art. 7 UGP-RL ergänzt. 1. Streichung von § 5a Abs. 1 UWG und systematische Neuordnung Uneingeschränkt zu begrüßen ist die Streichung von § 5a Abs. 1 UWG. Diese Altregelung des Irreführens durch Verschweigen ist ein Erbstück aus dem früheren Recht. 35 § 5a Abs. 1 UWG ist seit seiner Einführung systematisch deplatziert, weil die Norm keinen Unlauterkeitstatbestand enthält, 36 sondern eine Erweiterung des Irreführungsverbots aus § 5 Abs. 1 UWG bildet. Die Vorschrift ist zudem für geschäftliche Handlungen im B2C-Verhältnis funktionslos, weil dieser Bereich von § 5a Abs. 2 bis 6 UWG erfasst ist. 37 Eine Regelungslücke für das Verschweigen oder sonstige Vorenthalten von wesentlichen Informationen gegenüber sonstigen Marktteilnehmern entsteht durch die Streichung nicht, weil der RefE den neuen Grundtatbestand des Vorenthaltens wesentlicher Informationen (§ 5a 32 Erwägungsgrund 53 Richtlinie (EU) 2019/2161. 33 Begründung zum RefE (Fn. 9), S. 29. 34 Erwägungsgrund 43 im Kommissionsentwurf, COM(2018) 185 final vom 11.04.2018. 35 § 5 Abs. 2 Satz 2 UWG 2004. 36 Alexander in: MünchKomm-UWG, 3. Aufl. 2020, § 5a Rn. 49; Büscher in: Büscher, UWG, 2019, § 5a Rn. 11; Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 5a Rn. 2.4; Nordemann in: Götting/Nordemann, UWG, 3. Aufl. 2016, § 5a Rn. 4: mutmaßliches Redaktionsversehen; Obergfell in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 5a Rn. 28. 37 Zum Verhältnis von § 5a Abs. 1 zu § 5a Abs. 2-6 UWG siehe nur Alexander in: MünchKomm- UWG, 3. Aufl. 2020, § 5a Rn. 57 ff.; Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 5a Rn. 2.1 ff. 9
Abs. 1 UWG-E) auf Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer erstreckt. Dies entspricht der Regelungstechnik in § 4a Abs. 1 UWG. Die tatbestandliche Einbeziehung der sonstigen Marktteilnehmer in § 5a Abs. 1-3 UWG-E steht einer Anwendung differenzierender Beurteilungsmaßstäbe für geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern und gegenüber sonstigen Marktteilnehmern nicht entgegen. Je nach zu beurteilender geschäftlicher Handlung ist bei der Beurteilung auf einen durchschnittlichen Verbraucher im Sinne von § 3 Abs. 4 UWG oder einen durchschnittlichen sonstigen Marktteilnehmer der angesprochenen Verkehrskreise abzustellen.38 Die von der Rechtsprechung zur Irreführung durch Verschweigen zu § 5a Abs. 1 UWG und der Vorgängerregelung entwickelten Grundsätze können wertend herangezogen werden. Die gesetzlich vertypten Fälle der Wesentlichkeit gemäß § 5b UWG-E sind auf geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern beschränkt. Diesem Regelungsansatz des RefE ist zuzustimmen. Eine Ausweitung der Regelungen zur Wesentlichkeit auf sonstige Marktteilnehmer wäre nicht sachgerecht, weil die Interessenlage und das Informationsbedürfnis bei sonstigen Marktteilnehmern anders als bei Verbrauchern gelagert sein können. Die systematische Neuordnung der Regelung des Vorenthaltens wesentlicher Informationen erschließt sich am besten durch eine vergleichende Gegenüberstellung. Diese zeigt, dass die Neuregelung stärker der Systematik der UGP-RL folgt: UWG-E Geltende Fassung UWG UGP-RL § 5a Abs. 1 § 5a Abs. 2 Satz 1 Art. 7 Abs. 1 § 5a Abs. 2 § 5a Abs. 2 Satz 2 Art. 7 Abs. 2 (Teilumsetzung) § 5a Abs. 3 § 5a Abs. 5 Art. 7 Abs. 3 § 5a Abs. 4 § 5a Abs. 6 Art. 7 Abs. 2 (Teilumsetzung) § 5b Abs. 1 § 5a Abs. 3 Art. 7 Abs. 4 § 5b Abs. 2 --- Art. 7 Abs. 4a § 5b Abs. 3 --- Art. 7 Abs. 6 § 5b Abs. 4 § 5a Abs. 4 Art. 7 Abs. 5 2. Neue Informationspflichten Neu sind die folgenden Informationspflichten: 38 Vgl. für § 4a Abs. 1 UWG: BGH, 19.04.2018 – I ZR 154/16, WRP 2018, 1322 Rn. 68 = GRUR 2018, 1251 – Werbeblocker II. 10
Im Falle einer Aufforderung zum Kauf gehört zu den wesentlichen Informationen nach der der Neuregelung in § 5b Abs. 1 Nr. 6 UWG-E: „bei Waren oder Dienstleistungen, die über einen Online-Marktplatz angeboten werden, die Information, ob es sich bei dem Anbieter der Waren oder Dienstleistungen nach dessen eigener Erklärung gegenüber dem Betreiber des Online-Marktplatzes um einen Unternehmer handelt.“ Es handelt sich um die Pflicht zur Schaffung geschäftlicher Transparenz im Hinblick auf die Unternehmereigenschaft. Diese Norm dient der Umsetzung von Art. 7 Abs. 4 Buchst. f) UGP- RL.39 Weiterhin gilt bei einem Zurverfügungstellen von Online-Suchfunktionen eine Informationspflicht des Unternehmers zu den Hauptparametern, die für das Ranking der angezeigten Suchergebnisse maßgeblich sind (§ 5b Abs. 2 UWG-E): „Bietet ein Unternehmer Verbrauchern die Möglichkeit, nach Waren oder Dienstleistungen zu suchen, die von verschiedenen Unternehmern oder von Verbrauchern angeboten werden, so gelten unabhängig davon, wo das Rechtsgeschäft abgeschlossen werden kann, folgende allgemeine Informationen als wesentlich: 1. die Hauptparameter zur Festlegung des Rankings der dem Verbraucher als Ergebnis seiner Suchanfrage präsentierten Waren oder Dienstleistungen sowie 2. die relative Gewichtung der Hauptparameter für das Ranking im Vergleich zu anderen Parametern. Die Informationen nach Satz 1 müssen von der Anzeige der Suchergebnisse aus unmittelbar und leicht zugänglich sein. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Betreiber von Online- Suchmaschinen im Sinne des Artikels 2 Nummer 6 der Verordnung (EU) 2019/1150 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten (ABl. L 186 vom 11.7.2019, S. 57).“ Mit dieser Regelung wird Art. 7 Abs. 4a UGP-RL umgesetzt.40 Der Begriff der „Hauptparameter“ ist weder im UWG noch in der UGP-RL definiert. Die Richtlinie (EU) 2019/2161 gibt aber zumindest einen Hinweis, was unter Parametern zu verstehen ist. Dabei handelt es sich um „alle allgemeinen Kriterien, Prozesse und spezifischen Signale, die in Algorithmen eingebunden sind, oder sonstige Anpassungs- oder Rückstufungsmechanismen, die im Zusammenhang mit dem Ranking eingesetzt werden“. 41 Ebenfalls neu ist die Pflicht zu Angaben über den Umgang mit Verbraucherbewertungen in § 5b Abs. 3 UWG. Diese Regelung setzt Art. 7 Abs. 6 UGP-RL um: 42 „Macht ein Unternehmer Bewertungen zugänglich, die Verbraucher im Hinblick auf Waren oder Dienstleistungen vorgenommen haben, so gelten als wesentlich Informationen darüber, 39 Dazu näher Alexander WRP 2019, 1235, 1237. 40 Dazu näher Alexander WRP 2019, 1235, 1237 f. 41 Erwägungsgrund 22 Richtlinie (EU) 2019/2161. Demgegenüber nutzt die Verordnung (EU) 2019/1150 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2019 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten (ABl. Nr. L 186/57) diese Beschreibung als Begriffsbestimmung für „Hauptparameter“ (Erwägungsgrund 24). 42 Dazu näher Alexander WRP 2019, 1235, 1238 f. 11
ob und wie der Unternehmer sicherstellt, dass die veröffentlichten Bewertungen von solchen Verbrauchern stammen, die die Waren oder Dienstleistungen tatsächlich genutzt oder erworben haben.“ Die Vorschrift basiert auf der Erkenntnis, dass Verbraucherbewertungen im Entscheidungsprozess über den Erwerb einer Ware oder Dienstleistung oft eine große Bedeutung zukommt. 43 Daher muss der Unternehmer Auskunft darüber geben, ob und ggf. welche Maßnahmen er ergreift, um „Fake“-Bewertungen zu verhindern. 3. Nichterkennbarkeit des kommerziellen Zwecks und Influencer-Marketing a) § 5a Abs. 4 Satz 1 UWG-E Die gesonderte Regelung der Nichterkennbarkeit des kommerziellen Zwecks in § 5a Abs. 4 UWG-E als Teilumsetzung von Art. 7 Abs. 2 UGP-RL ist nach dem RefE auch weiterhin auf das B2C-Verhältnis beschränkt. Das führt zum einen dazu, dass eine Regelungslücke in Fällen verbleibt, in denen eine geschäftliche Handlung gegenüber sonstigen Marktteilnehmern nicht erkennbar ist.44 Zum anderen ist die Regelung systematisch inkonsequent, da § 5a UWG-E im Übrigen für geschäftliche Handlungen sowohl gegenüber Verbrauchern als auch gegenüber sonstigen Marktteilnehmern gilt. Diese Unstimmigkeiten lassen sich auf unterschiedliche Weise bereinigen: § 5a Abs. 4 UWG-E könnte in § 5b UWG überführt oder § 5a Abs. 4 UWG-E auf geschäftliche Handlungen gegenüber sonstigen Marktteilnehmern erstreckt werden. Der Regelungssystematik des Art. 7 Abs. 2 UGP-RL würde es jedoch am besten entsprechen, wenn das Nichtkenntlichmachen des kommerziellen Zwecks einer geschäftlichen Handlung als Nr. 4 in den § 5a Abs. 2 UWG-E integriert würde. b) § 5a Abs. 4 Satz 2 UWG-E Weiterhin ist ein neuer § 5a Abs. 4 Satz 2 UWG-E vorgesehen, der nicht von der UGP-RL vorgegeben ist: „Bei einer Handlung ausschließlich zugunsten eines fremden Unternehmens ist nur dann ein kommerzieller Zweck anzunehmen, wenn der Handelnde ein Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung für die Handlung von dem fremden Unternehmen erhält.“ Nach der Begründung des RefE soll diese Regelung insbesondere einen sicheren Rechtsrahmen für Handlungen von Bloggern und Influencern bieten, wenn diese Waren und Dienstleistungen anderer Unternehmen empfehlen, ohne davon selbst unmittelbar finanziell zu 43 Erwägungsgrund 47 Richtlinie (EU) 2019/2161. 44 Diese Lücke müsste – wie bereits im geltenden Recht – durch eine Analogie geschlossen werden, siehe nur Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 5a Rn. 7.9. 12
profitieren.45 Für solche Handlungen erscheine es unangemessen, eine Kennzeichnung als „kommerziell“ zu verlangen. 46 Diese Regelung überzeugt nicht. Sie ist überflüssig, soweit die Voraussetzungen einer geschäftlichen Handlung nicht erfüllt sind, denn in diesem Fall gilt das Kennzeichnungsgebot nicht. Hat die Tätigkeit eines Influencers dagegen einen geschäftlichen Charakter, dann liegt aus den bereits genannten Gründen 47 typischerweise kein isoliert fremdnütziges Handeln, sondern eine Tätigkeit mit doppeltem Geschäftszweck vor. 48 Hierauf ist § 5a Abs. 4 Satz 2 UWG-E aber nach dem Wortlaut nicht anzuwenden, weil es an der ausschließlich fremdnützigen Tätigkeit fehlt. § 5a Abs. 4 Satz 2 UWG-E greift auch nicht zugunsten von Personen, die sich eine Influencer- Karriere erst aufbauen wollen. Ein eigennütziges Handeln mit einem wirtschaftlichen Zweck ist nämlich in diesem Fall nicht ausgeschlossen. Denn es ist zu berücksichtigen, dass das UWG für sämtliche Geschäftstätigkeiten eines Unternehmers gilt, unabhängig vom erzielten Umsatz und Gewinn, dem zeitlichen Umfang der Tätigkeit usw. Schon der Start einer Unternehmenstätigkeit ist eine geschäftliche Handlung. 49 Wer sich entschließt, als Influencer tätig zu werden, verfolgt bereits in diesem Moment einen eigenen Geschäftszweck. Die Regelung des § 5a Abs. 4 Satz 2 UWG-E wird damit in den meisten, wenn nicht sogar allen Fällen des Influencer-Marketings schlicht leerlaufen. Sie ist überflüssig und zu streichen. 4. Zwischenfazit Das Vorenthalten wesentlicher Informationen wird durch die neuen Tatbestände weiter aufgewertet. Die neue Regelungssystematik ist – abgesehen vom korrekturbedürftigen § 5a Abs. 4 UWG-E – stimmig und überzeugend. Sie beseitigt die verbliebenen Fragmente der zunächst wenig geglückten Umsetzung von Art. 7 UGP-RL in das deutsche Recht. VI. Belästigungen (§§ 7 und 20 UWG-E) Einen überfälligen Befreiungsschlag nimmt die RefE mit der Aufhebung von § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG vor. Die Vorschrift enthält in der geltenden Fassung das Verbot der hartnäckigen und unerwünschten Ansprache mit solchen Fernkommunikationsmitteln, die nicht von § 7 Abs. 2 45 Begründung zum RefE (Fn. 9), S. 29. 46 Begründung zum RefE (Fn. 9), S. 29. 47 Siehe oben, III. 3. b). 48 OLG Frankfurt, 23.10.2019 – 6 W 68/19, GRUR 2020, 208 Rn. 10 ff. = WRP 2020, 97 – Die Influencerin; OLG Hamburg, 02.07.2020 – 15 U 142/19, GRUR-RS 2020, 18139 Rn. 38 ff. 49 Siehe nur Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 2 Rn. 30. 13
Nr. 2 und 3 UWG erfasst waren.50 Es handelt sich um die in mehrfacher Hinsicht missglückte51 Umsetzung von Nr. 26 Anhang I UGP-RL. Der RefE beseitigt das bislang bestehende Umsetzungsdefizit, indem die Vorschrift aufgehoben und stattdessen der Tatbestand Nr. 26 Anhang I UGP-RL in die „Schwarze Liste“ des UWG übernommen wird. Dieses Verbot lautet: „Folgende geschäftliche Handlungen sind stets unzulässig: (…) bei hartnäckigem und unerwünschtem Ansprechen des Verbrauchers mittels Telefonanrufen, unter Verwendung eines Faxgerätes, elektronischer Post oder sonstiger für den Fernabsatz geeigneter Mittel der kommerziellen Kommunikation, es sei denn das Verhalten ist zur rechtmäßigen Durchsetzung einer vertraglichen Verpflichtung gerechtfertigt“. Die übrigen Regelungen des § 7 UWG werden ebenso wie die damit verknüpften Bußgeldbestimmungen in § 20 UWG redaktionell angepasst, bleiben aber nach ihrem Inhalt erhalten. VII. Schadensersatz und Verjährung (§§ 9 und 11 UWG-E) Erweitert und systematisch neu gefasst werden die Regelungen zum Schadensersatz und zur Verjährung. 1. Schadensersatz Der RefE knüpft an die Regelungen des § 9 UWG an. Der Schadensersatzanspruch der Mitbewerber aus § 9 Satz 1 UWG wird zu § 9 Abs. 1 UWG-E und das Haftungsprivileg für die Verantwortlichen von periodischen Druckschriften wird mit redaktionellen Anpassungen als § 9 Abs. 3 UWG-E übernommen. a) Schadensersatz für Verbraucher Neu ist ein Individualschadensersatzanspruch für Verbraucher in § 9 Abs. 2 UWG-E: „Wer vorsätzlich oder fahrlässig eine nach § 3 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, ist den Verbrauchern zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Dies gilt nicht für unlautere geschäftliche Handlungen nach den §§ 3a, 4 und 6.“ aa) Ausgangsüberlegungen Mit diesem Anspruch sollen die Vorgaben aus dem neuen Art. 11a UGP-RL in das deutsche Recht umgesetzt werden. Leider ist der konkrete Umsetzungsauftrag der UGP-RL hier viel weniger eindeutig als bei den übrigen geänderten Bestimmungen der Richtlinie. Dem Unionsgesetzgeber ist es nicht gelungen, das von den Mitgliedstaaten zu erreichende Regelungsziel, das den verbindlichen Maßstab für die Umsetzung einer Richtlinie in das 50 Z. B. Briefwerbung oder Scheibenwischerwerbung. 51 Siehe nur Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, Rn. 99 ff. 14
innerstaatliche Recht vorgibt, 52 präzise und unmissverständlich zu umschreiben. Die Ursache hierfür liegt möglicherweise in der Kompromisssuche während des Gesetzgebungsverfahrens. 53 Die Unklarheit über den Umsetzungsauftrag resultiert zudem aus einem ganzen Konglomerat von Vorgaben. Gemäß Art. 11a Abs. 1 Satz 1 UGP-RL sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, Verbrauchern, „die durch unlautere Geschäftspraktiken geschädigt“54 wurden, „Zugang zu angemessenen und wirksamen Rechtsbehelfen, einschließlich Ersatz des dem Verbraucher entstandenen Schadens sowie gegebenenfalls Preisminderung oder Beendigung des Vertrags“ zu verschaffen. Nach Art. 11a Abs. 1 Satz 2 UGP-RL und Erwägungsgrund 16 der Richtlinie (EU) 2019/2161 steht es den Mitgliedstaaten frei, die Voraussetzungen für die Anwendung und die Folgen der Rechtsbehelfe für die Verbraucher festzulegen. Weiter folgt aus Art. 11a Abs. 2 UGP-RL, dass die von den Mitgliedstaaten vorzusehenden Rechtsbehelfe nicht die Anwendung anderer Rechtsbehelfe berühren, „die den Verbrauchern nach dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht zur Verfügung stehen“. Aus Art. 3 Abs. 2 UGP-RL, der unverändert weiter gilt, ergibt sich schließlich, dass die Richtlinie „das Vertragsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen oder die Wirkungen eines Vertrags unberührt“ lässt. In diesen verschiedenen Aussagen kommt das Bestreben des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, sicherzustellen, dass Verbraucher, die durch unlautere Geschäftspraktiken Nachteile erleiden, Individualansprüche geltend machen können. Im Vordergrund steht dabei ein Anspruch auf Schadensersatz, während ein Recht auf Preisminderung oder Beendigung des Vertrags nur „gegebenenfalls“ 55 vorgesehen sein müssen. Die UGP-RL verlangt zur Umsetzung nicht notwendigerweise die Schaffung neuer Rechte oder Ansprüche, vielmehr muss Art. 11a UGP-RL im Kontext der vorhandenen Vorschriften des Unionsrechts und des nationalen Rechts betrachtet werden. Das von Art. 11a Abs. 1 UGP-RL formulierte Ziel eines Zugangs kann auch die bereits im Unionsrecht und im innerstaatlichen Recht vorhandenen Schutzinstrumente umfassen, wenn und weil es sich um angemessene und wirksame Rechtsbehelfe handelt. Insbesondere die zahlreichen Verbraucherschutzbestimmungen sehen spezifische Schutzinstrumente vor. Individualansprüche von Verbrauchern gegen Unternehmer berühren zwangsläufig die Kernbereiche des bürgerlichen Rechts, namentlich das Vertrags- und Deliktsrecht. Die dort 52 Vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV: „Die Richtlinie ist (…) hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich“. 53 Dies belegt auch der Vergleich zwischen dem Wortlaut von Art. 11a UGP-RL im Kommissionsentwurf (COM(2018) 185 final vom 11.04.2018 und der schließlich verabschiedeten Fassung. 54 Hier ist überdies die deutsche Übersetzung des Richtlinientextes ist nicht geglückt, da sie zu stark an eine Schädigung bzw. einen Schaden denken lässt. In der englischen Fassung der Richtlinie heißt es offener: „Consumers harmed by unfair commercial practices“; „harmed“ wäre wohl besser mit „verletzt“ oder „beeinträchtigt“ zu übersetzen. Noch etwas anders ist die Umschreibung in der französischen Version: „Les consommateurs victimes de pratiques commerciales (…)“. 55 In der englischen Fassung der Richtlinie: „where relevant“. 15
vorgesehenen Schutzmechanismen beruhen vielfach auf speziellen Wertungen und Interessenabwägungen, die sich in spezifischen Tatbestandsvoraussetzungen, Einschränkungen oder Ausschlussgründen manifestieren. Beispiel: Ein vertragsrechtlicher Schadensersatzanspruch ist – je nach der Art des zu ersetzenden Schadens – an ganz unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft. Ein vorvertraglicher Ersatz des negativen Interesses 56 wird unter anderen Voraussetzungen gewährt als ein einfacher Schadensersatz wegen einer Pflichtverletzung 57 oder ein Ersatz des Erfüllungsinteresses bei einem Schadensersatz statt der Leistung wegen einer Nicht- oder Schlechtleistung. 58 Schafft der nationale Gesetzgeber einen neuen Individualanspruch für Verbraucher, dann muss sichergestellt sein, dass sich ein solcher Individualanspruch in das bestehende Regelungssystem einfügt und keine Regelungs- und/oder Wertungskonflikte auslöst. bb) Sachgerechte Ausgestaltung und Eingrenzung des Individualschadensersatzes für Verbraucher Im deutschen Lauterkeitsrecht wird die Diskussion über das Für und Wider von Individualansprüchen/-rechten von Verbrauchern im Falle von unlauteren geschäftlichen Handlungen bereits seit Jahrzehnten geführt. 59 Zwischen 1986 und 2004 bestand ein (nicht nur für Verbraucher geltendes) Rücktrittsrecht, das Abnehmer bei unwahren und zur Irreführung geeigneten Werbeangaben zur Lösung vom Vertrag berechtigte (§ 13a UWG 1909). Dieses Recht hatte allerdings nahezu keine praktische Bedeutung. Im Ausgangspunkt zuzustimmen ist der Überlegung in der Begründung des RefE, dass ungeachtet bestehender Haftungsgrundlagen im Vertrags- und Deliktsrecht in Einzelfällen möglicherweise Lücken verbleiben, in denen es nach dem geltenden Recht Schwierigkeiten bereitet, einen individuellen Schadensersatzanspruch für Verbraucher, die von einer unlauteren geschäftlichen Handlung betroffen sind, zu begründen. 60 Beispiel: 61 Ein Unternehmer wirbt für ein besonders verlockendes „Schnäppchen“ in seinem Ladengeschäft, das aber nicht oder nur für einen viel zu kurzen Zeitraum verfügbar ist. 62 Möglicherweise wenden Verbraucher in dem Vertrauen auf die Werbung vergeblich Fahrtkosten auf, um zu dem Geschäft des Unternehmers zu gelangen, wo sie in ihrer Erwartung, das „Schnäppchen“ erwerben zu können, enttäuscht werden. Nach dem BGB lässt sich ein Schadensersatzanspruch nur schwer begründen. Für eine vorvertragliche Verschuldenshaftung nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB fehlt es an einem Näheverhältnis; eine deliktische Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 16 Abs. 56 §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB. 57 § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB. 58 §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281-283 BGB. 59 Siehe nur Ahrens, WRP 1978, 677 ff.; Alexander, Vertrag und unlauterer Wettbewerb, 2002; Fezer, WRP 2003, 127 ff.; Köhler, GRUR 2003, 265 ff.; Sack, GRUR 2004, 625 ff.; Weiler, WRP 2003, 423 ff. 60 Begründung zum RefE (Fn. 9), S. 34. 61 In Anlehnung an die Begründung zum RefE (Fn. 9), S. 34. 62 Unlauter gemäß § 5 Abs. 1 UWG, ggf. auch nach Nr. 5 Anhang UWG. 16
1 UWG und § 826 BGB scheidet jedenfalls dann aus, wenn der Unternehmer nicht vorsätzlich handelt. Ein Individualanspruch gemäß § 9 Abs. 2 UWG-E könnte solche und ähnliche Schutzlücken schließen. Allerdings wird der entstandene Schaden in vielen Fällen so gering sein, dass einzelne Verbraucher ein rationales Desinteresse an der Rechtsdurchsetzung haben. Eine Rechtsdurchsetzung wäre dann noch am ehesten durch die unionsrechtlich neu geschaffene Möglichkeit einer Sammelklage zu erwarten.63 Das setzt allerdings ein in vielen Fällen gleichartiges Schadensgeschehen voraus. Der deutsche Gesetzgeber wird nicht umhinkommen, einen Individualanspruch für Verbraucher zu schaffen, der einen Schadensersatz bei unlauteren geschäftlichen Handlungen ermöglicht. § 9 Abs. 2 UWG-E geht allerdings in der vorgeschlagenen Fassung weit über das von der UGP-RL vorgegebene Regelungsziel hinaus. Unter zwei Gesichtspunkten ist eine Eingrenzung geboten. (1) Keine Vertragsaufhebung im Wege des Schadensersatzes Erstens: § 9 Abs. 2 UWG-E sollte im Wege des Schadensersatzes keine Freistellung vom Vertrag ermöglichen. Diese Rechtsfolge kommt zwar nicht im Wortlaut der Norm selbst zum Ausdruck, jedoch findet sich in der Begründung zum RefE die Aussage, es könne „im Wege der Naturalrestitution nach § 249 Absatz 1 BGB unter Umständen auch ein Anspruch auf Aufhebung des Vertrages bestehen“.64 Leider gibt die Begründung schon keinen näheren Aufschluss darüber, unter welchen Umständen eine solche Lösung vom Vertrag in Betracht kommen soll. Der Richtlinie lässt sich eine entsprechende Vorgabe nicht entnehmen, da Art. 11a Abs. 1 Satz 1 UGP-RL systematisch zwischen einem Ersatz des entstandenen Schadens und einer Vertragsbeendigung unterscheidet. Aus schadensrechtlicher Sicht ist zweifelhaft, ob bereits die Bindung an einen Vertrag als Schaden angesehen werden kann. Es wäre nach dem jeweiligen Schutzzweck der haftungsbegründenden Norm zu fragen, jedoch trifft das UWG gerade keine Aussagen zu einer Individualbetroffenheit von Verbrauchern, weil es systematisch auf einen Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher ausgerichtet ist. 65 Ein Recht zur Aufhebung des Vertrags bzw. zur Lösung vom Vertrag könnte eine Schwächung des vertragsrechtlichen Grundsatzes pacta sunt servanda bewirken. Es entsteht ein Wertungskonflikt mit den Anfechtungsregeln des BGB. Beispiel: Das BGB lässt in §§ 123, 124 BGB eine Anfechtung nur bei besonders massiven Einwirkungen auf die Willensfreiheit (arglistige Täuschung und Drohung) innerhalb eines 63 Dies bildet den zweiten Teil des New Deal for Consumers; vgl. den Kommissionsentwurf COM(2018) 184 final vom 11.04.2018. Die Richtlinie wurde am 24.11.2020 vom Europäischen Parlament verabschiedet. Der Stand des Gesetzgebungsverfahrens sowie die Dokumente sind abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal- content/DE/HIS/?uri=CELEX:52018PC0184#2020-11-25_SIGN_byEP_CONSIL. 64 Begründung zum RefE (Fn. 9), S. 35. 65 Siehe nur Beater, Unlauterer Wettbewerb, 2011, Rn. 25. 17
Jahres zu. Demgegenüber würde § 9 Abs. 2 UWG-E eine Freistellung vom Vertrag innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren ermöglichen (§ 11 Abs. 5 UWG-E). Man könnte einwenden, dass § 123 BGB ohnehin verfehlt ist. Dann wäre es aber vorzugswürdig, eine Korrektur des Anfechtungsrechts vorzunehmen, statt über den Umweg des Lauterkeitsrechts § 123 BGB gleichsam auszuhebeln. In die Richtung einer Vertragsaufhebung bei Fahrlässigkeit weist die höchstrichterliche Rechtsprechung, wenn sie in einigen Fällen unterhalb der Arglistschwelle im Wege der vorvertraglichen Verschuldenshaftung eine Freistellung vom Vertrag zulässt. 66 Diese Rechtsprechung ist allerdings nicht unumstritten. 67 Zudem ist die Aufhebung eines durch Täuschung herbeigeführten Vertrags nur unter spezifischen Voraussetzungen möglich und die Rechtsprechung nimmt einen Wertungsabgleich mit dem Anfechtungsrecht vor.68 Weiterhin stellt sich bei einer Aufhebung des Vertrags im Wege des Schadensersatzes die wichtige Frage nach dem dann geltenden Rückabwicklungsregime, wenn die Parteien bereits Leistungen ausgetauscht haben. Beispiel: Es ist fraglich, ob ein Verbraucher Wertersatz leisten muss, wenn er vom Unternehmer eine Leistung erhalten hat, diese jedoch vor der Aufhebung des Vertrags untergegangen ist oder sich verschlechtert hat. Die Rückabwicklungsregeln des BGB (§§ 346 ff.; 355, 357 ff.; 812 ff. BGB) sehen unterschiedliche Lösungen vor. Demgegenüber findet sich im Schadensersatzrecht (§§ 249 ff. BGB) dazu keine Aussage. Schließlich spricht gegen eine Vertragsauflösung über § 9 Abs. 2 UWG-E, dass wichtige Differenzierungen des Vertragsrechts unterlaufen würden. Beispiel: Das Kaufrecht schließt bei Mängeln einen Rücktritt vom Vertrag bei einer unerheblichen Pflichtverletzung aus 69 und knüpft den Rücktritt im Übrigen an besondere Voraussetzungen. 70 Täuscht jedoch ein Verkäufer oder – unter den Voraussetzungen des § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB ein Hersteller – über die Eigenschaften eines Gegenstands und erwirbt der Käufer daraufhin diesen mangelhaften Gegenstand, dann könnte sich ein Verbraucher als Käufer über § 9 Abs. 2 UWG-E ohne weiteres innerhalb der Regelverjährung vom Kaufvertrag lösen. Im Beispielsfall würden die vertragsrechtlichen Differenzierungen ebenso umgangen wie die differenzierenden kaufrechtlichen Verjährungsregeln.71 Dies birgt nicht nur Konfliktpotenzial im innerstaatlichen Recht. Im Hinblick auf die vollharmonisierende Richtlinie (EU) 2019/771 wäre eine solche Lösung unionsrechtswidrig. 72 66 BGH, 26.09.1997 – V ZR 29/96, NJW 1998, 302 ff.; BGH, 19.12. 1997 – V ZR 112/96, NJW 1998, 898 ff. 67 Dazu näher Alexander, Vertrag und unlauterer Wettbewerb, 2002, S. 134 ff. 68 Vgl. etwa BGH, 04.12.2015 – V ZR 142/14, NZM 2016, 582 Rn. 17 ff. (Ausschluss der Anfechtung bei Bestätigung und konkludenter Abschluss eines Erlassvertrags). 69 §§ 440, 323 Abs. 5 Satz 2 BGB. 70 § 440 BGB: Fristsetzung, Verweigerung, Fehlschlagen oder Unzumutbarkeit der Nacherfüllung. 71 § 438 BGB. 72 Verstoß gegen Art. 13 Abs. 4 und 5 Richtlinie (EU) 2019/771. 18
(2) Subsidiarität statt freier Anspruchskonkurrenz Zweitens: Ein Individualanspruch von Verbrauchern ist nicht notwendig, wenn und soweit das bestehende Recht bereits einen Ausgleich von Schäden ermöglicht, die durch eine unlautere geschäftliche Handlung entstehen. Dies gilt insbesondere im Bereich der vorvertraglichen und vertraglichen Verschuldenshaftung sowie der Deliktshaftung. Bei letzterer ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die beiden Straftatbestände des § 16 UWG als individuelle Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anerkannt sind 73 und der BGH seine Rechtsprechung im „Dieselskandal“ in jüngster Zeit präzisiert hat. 74 Soweit ein wirksamer Schutz nach dem Bürgerlichen Recht besteht, würde mit § 9 Abs. 2 UWG-E lediglich eine weitere, konkurrierende Anspruchsgrundlage geschaffen. Die bloße Vermehrung von Anspruchsgrundlagen führt indessen nicht zu der von Art. 11a UGP-RL angestrebten qualitativen Verbesserung des Verbraucherschutzes. In diesen Fällen ist § 9 Abs. 2 UWG-E überflüssig. (3) Zwischenfazit Daraus folgt: § 9 Abs. 2 UWG-E sollte keine Freistellung vom Vertrag ermöglichen und die Vorschrift sollte nur in Fällen eingreifen, in denen eine echte Schutzlücke besteht, also keine sonstigen Individualansprüche zugunsten der Verbraucher eingreifen. Dies kann mit einer Subsidiaritätsklausel erreicht werden. Zuzustimmen ist dem RefE dagegen, soweit geschäftliche Handlungen, die gegen §§ 3a, 4 und 6 UWG verstoßen, vom Anwendungsbereich des Schadensersatzanspruchs ausgenommen sind. Diese Vorschriften unterfallen nicht den Vorgaben der UGP-RL, sodass mit Blick auf Art. 11a UGP-RL kein Umsetzungsbedarf besteht. b) Presseprivileg Die Übernahme des Presseprivilegs in § 9 Abs. 3 UWG-E spiegelt die besondere Bedeutung der Medien wider. Sie ist Ausdruck der Wertungen der Medien- und Kommunikationsgrundrechte.75 Kritikwürdig und korrekturbedürftig ist jedoch die Beschränkung auf verantwortliche Personen von periodischen Druckschriften. Der Entwurf übernimmt damit zwar die geltende Rechtslage, doch erweist sich diese als rechtspolitisch fragwürdig. 73 BGH, 30.05.2008 – 1 StR 166/07, WRP 2008, 1071 Rn. 87 = GRUR 2008, 818 – Strafbare Werbung im Versandhandel; Bornkamm in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 16 Rn. 32 und 59. Die Begründung zum RefE (Fn. 9), S. 35 hält daran ausdrücklich fest. 74 BGH, 25.05.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 ff. 75 Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 11 GR-Charta sowie Art. 10 EMRK. 19
Die Beschränkung des Haftungsprivileg auf periodische Druckschriften lässt sich auf das UWG 1896 und das UWG 1909 zurückführen. 76 Seit dieser Zeit hat sich die Medienlandschaft grundlegend gewandelt. Die heutige Lebenswirklichkeit ist durch eine Medienkonvergenz geprägt, die eine Sonderstellung periodischer Druckschriften nicht mehr rechtfertigt. § 9 Satz 2 UWG/§ 9 Abs. 3 UWG-E führen zu ganz unbefriedigenden Differenzierungen. Beispiel: Erscheint in einer Tageszeitung (= periodisches Druckwerk) eine irreführende Werbeanzeige, die die verantwortliche Person fahrlässig nicht als eine solche erkennt, dann ist die Schadensersatzhaftung ausgeschlossen. Wenn der gleiche Werbeinhalt aufgrund von Fahrlässigkeit über den Rundfunk verbreitet wird, dann greift das Haftungsprivileg nicht ein. 77 Diese unterschiedliche Behandlung ist bereits im geltenden Recht verfehlt. 78 Vor dem Hintergrund eines einheitlichen Schutzmaßstabs für alle Medien durch die Grundrechte ist ein Fortbestand der Differenzierung im Haftungsmaßstab nicht plausibel. Der Gesetzgeber ist zur Korrektur aufgerufen und die Neuregelung der Schadensersatzhaftung in § 9 UWG-E böte hierzu die geeignete Gelegenheit. 2. Verjährung Die Änderungen in § 11 Abs. 1 bis 4 UWG-E sind redaktioneller Natur. Es handelt sich um notwendige Anpassungen infolge der Neufassung von § 9 UWG-E. Dagegen ist § 11 Abs. 5 UWG-E überflüssig, weil die Vorschrift nur ausspricht, dass andere als die in § 11 Abs. 1 bis 4 UWG-E genannten Ansprüche, darunter auch der Anspruch aus § 9 Abs. 2 UWG-E, der regelmäßigen Verjährung unterliegen. Die Anwendbarkeit der allgemeinen Verjährungsregeln ergibt sich aber ohnehin im Umkehrschluss aus § 11 Abs. 1 bis 4 UWG-E sowie aus den allgemeinen Verjährungsgrundsätzen. Daher kann § 11 Abs. 5 UWG-E gestrichen werden. VIII. Bußgelder bei weitverbreiteten Verstößen und weitverbreiteten Verstößen mit Unions-Dimension (§§ 5c und 19 UWG-E) §§ 5c und 19 UWG-E enthalten Regelungen zur Umsetzung von Art. 13 UGP-RL in Verbindung mit den Vorgaben aus der Verordnung (EU) 2017/2394. 79 Dabei geht es um Bußgeldsanktionen für Verstöße gegen unionsrechtliche Bestimmungen zum Schutz von Verbraucherinteressen. 76 Näher zur Entstehungsgeschichte Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht, 2010, S. 669 ff. 77 Für die Veröffentlichung von Online-Werbung durch Medien sind die §§ 7-10 TMG anzuwenden. 78 Näher zur Kritik Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht, 2010, S. 672 ff. 79 Verordnung (EU) 2017/2394 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2017 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004, ABl. Nr. L 345/1. 20
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