Architektur, Bauen, Recht MODU1ØR - ARCHITEKTURBIENNALE - Henke Schreieck Architekten
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Nº 04 18 MODULØR 16. ARCHITEKTURBIENNALE 16. ARCHITEKTURBIENNALE ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND UND DIE SCHWEIZ IM HINTERGRUNDBERICHT BLICK HINTER DIE KULISSEN: INTERVIEW MIT PRO HELVETIA Nº4 2018 www.modulor.ch MODU1ØR www.modulor.ch Architektur, Bauen, Recht Mod_Titel_0418.indd 1 05.06.18 17:11
THEMA MODULØR 2018 16. Architekturbiennale Magazin Nº4 DIE SCHONHEIT DES GEDANKENS I von Marko Sauer (Text) m Frühjahr 2017 erreichte Verena einer Kommissärin gehen weit über in- und Marc Lins / Martin Mischkulnig / Konrad ein Anruf aus Wien: Kultur- haltliche Fragen hinaus. Doch Verena Kon- Henke Schreieck / Sagmeister & Walsh / minister Thomas Drozda fragte an, ob rad ist vom VAI her gewohnt, die gesamte Darko Todorovic (Fotos) sie als Kommissärin den österreichischen Bandbreite der Verantwortung zu überneh- Den österreichischen Pavillon Pavillon an der Biennale 2018 kuratieren men. Vor fünf Jahren hat die promovierte kuratiert dieses Jahr Verena würde. So eine Anfrage schlägt wohl kaum Kunsthistorikerin, zweifache Mutter und jemand aus – und auch die Leiterin des passionierte Langstreckenläuferin die Lei- Konrad. Die Leiterin des Vorarlberger Architektur Instituts (VAI) tung der Vorarlberger Architekturinstitu- Vorarlberger Architektur Instituts hat sich der Herausforderung gestellt. tion von Marina Hämmerle übernommen. VAI nutzt die Gelegenheit, Nach der ersten Begeisterung zeigten sich Seither hat die gebürtige Oberösterreiche- grundsätzliche Fragen zu stellen. jedoch auch die schwierigen Seiten dieser rin die Geschicke der Institution gelenkt, Aufgabe, denn als Kommissärin musste sie die wie kaum eine andere für den Erfolg Sie setzt dabei auf starke Partner nicht nur das Budget von 450 000 Euro mit der Vorarlberger Baukultur steht. und räumliche Vielfalt. Sponsorenmitteln aufstocken. Als Bürde wiegt wohl ebenso schwer, dass sie per- EIN KONZEPT WIE EIN UHRWERK sönlich für den Auftritt in Venedig haftet. Also auch mit ihrem eigenen Vermögen bei Knapp ein Jahr nach der Ernennung zur einem eventuellen Defizit – die Aufgaben Kommissärin treffe ich Verena Konrad 064 064-073_Mod_Thema_AT_0418.indd 64 09.06.18 11:28
Die drei Installationen im österreichischen Pavillon vereinen sich zu einer gemeinsamen Aussage – atmosphärisch dicht, intellektuell anregend und räumlich vielfältig. in Dornbirn. Es sind die ersten warmen schaden am Pavillon zu schaffen. Es gibt schen Kosmos auf, bei dem unzählige Tage, und im 1. OG an der Marktgasse tausend Dinge, die noch gelöst werden Zahnräder wie ein Uhrwerk ineinan- zeigt das VAI gerade eine Ausstellung müssen und ebenso viele Fragen. Wir dergreifen. Die Basis bilden drei Teams über den Lehmbaupionier Martin Rauch. setzten uns zum Mittagessen in ein Stras- aus je einem Mann und einer Frau, die Der Vorarlberger hat den Baustoff in jahr- senrestaurant. Die Dornbirner geniessen Verena Konrad für ihren Pavillon gewin- zehntelangem Engagement international die ersten warmen Frühlingstage und nen konnte. Und mit dieser Wahl wird wieder aufs Tapet gebracht. Neben dem südliches Flair macht sich in den Gassen klar: Konrad spielt an der Biennale nicht Büro des VAI, in dem Verena Konrad mit der kleinen Stadt breit – Verena Konrad die Vorarlberg-Karte. Sie verfolgt beim Jörg Meissner und Lisa Ugrinovich an kann sich dem Lento um uns herum Pavillon eine andere Agenda: «Ich woll- den Inhalten und Ausstellungen des VAI nicht anschliessen: Ihre Gedanken und te diese Gelegenheit nutzen, um eine arbeitet, ist zwischenzeitlich auch das Bi- Argumente schiessen im Stakkato über Mischung aus pointierten Positionen ennale-Büro eingezogen. Hier laufen die den Tisch. Präzise beschreibt sie ihre Ab- zusammenzutragen. Man ist wohl nur Fäden für den Auftritt Österreichs an der sichten und Argumente, die Partner, die einmal im Leben Kommissärin an der 16. Architekturbiennale zusammen. sie sich für den Pavillon ausgesucht hat, Biennale. Ich möchte Fragen nachgehen, Verena Konrad verabschiedet gerade ei- und was den Auftritt zusammenhält – für die ich sonst in meiner Ausstellungs- nen anderen Journalisten, die Kadenz dazwischen grüsst sie immer wieder Pas- praxis im VAI keinen Raum finde, und der Pressetermine erhöht sich. Zudem santen: In Dornbirn ist man en famille. mit Partnern zusammenarbeiten, deren macht der Kommissärin auch ein Bau- Verena Konrad spannt einen kuratori- Haltungen mich faszinieren und inter- 065 064-073_Mod_Thema_AT_0418.indd 65 09.06.18 11:28
THEMA MODULØR 2018 16. Architekturbiennale Magazin Nº4 Die spiegelnde Sphäre von LAAC ist das Element, das alles zusammenhält. Gleichzeitig bricht das forsche Architekturteam damit die strenge Symmetrie des Pavillons auf und bietet einen gemeinsamen Grund für die beiden anderen Projekte. essieren. Da kommt es nicht darauf an, zisen und höchst differenzierten Einsatz noch eine Beziehung her, die nicht auf woher jemand stammt. Für mich war die von Material und Konstruktion. Zudem den ersten Blick ersichtlich ist. In zuneh- entscheidende Frage: Wie können diese sind sie leidenschaftliche Sammler von mend feinere Verzweigungen verästelt Teams zusammenarbeiten?» Artefakten aus verschiedensten Kulturen. sich das Konzept. Der Titel des Beitrags Die Wahl der Teams spielt in Konrads Als drittes Team vervollständigen die zur Biennale lautet «Thoughts Form Mat- Konzept eine entscheidende Rolle – und Grafiker Jessica Walsh und Stefan Sag- ter» – und es sind viele Gedanken, die die richtige Mischung macht einen gros- meister das Trio. Unter dem Namen Sag- da am Werk sind. Diese Gedanken for- sen Teil der kuratorischen Leistung aus. meister & Walsh führen sie in New York men nicht nur «matter» als Material, sie Das erste Team sind die aufstrebenden eines der progressivsten und renommier- beziehen sich auch auf die mannigfachen Architekten Kathrin Aste und Frank Lu- testen Grafikbüros weltweit – sie sind es Möglichkeiten einer Übersetzung von din von LAAC, die in Innsbruck die loka- gewohnt, die Grenzen ihrer Profession zu «matter» – diese reichen von Materie le Tradition zur Freiform und das Experi- hinterfragen und zu überschreiten. Als über Stoff bis hin zum Begriff der Bedeu- ment mit unterschiedlichsten Materialien gebürtiger Bregenzer hat Stefan Sagmeis- tung selbst. Ein semantisch äusserst wei- pflegen. Als zweites Team bringen Marta ter dann doch noch einen direkten Bezug tes Feld, das Verena Konrad aufspannt. Schreieck und Dieter Henke eine enorme zu Vorarlberg. In den Worten der Kommissärin liest sich Erfahrung als bauende Architekten ein. Immer wieder erklärt Verena Konrad das Konzept in der Pressemitteilung wie Ihr Büro Henke Schreieck aus Wien steht ihr Konzept aus einer neuen Warte, von folgt: «Thoughts Form Matter: Drei Wör- für gepflegtes Handwerk und einen prä- einem anderen Standpunkt aus – stellt ter, als Satz gelesen drei Worte. Ein Ge- 066 064-073_Mod_Thema_AT_0418.indd 66 09.06.18 11:28
dankengebäude. Der Österreich-Beitrag Das ist hoch gegriffen und zeigt die Kom- von Grafton Architects) für das Gene- zur Biennale 2018 ist ein Plädoyer für plexität, die Verena Konrad mit ihrem ralthema «Freespace» geschrieben hat- eine gestalterische Praxis, die sich als For- Pavillon anstrebt. Wie kann man so ein ten. Als zweite Vorgabe waren die Part- mulierung von Gedanken versteht. Archi- ambitioniertes Programm realisieren, ner angehalten, im Kontext zu arbeiten: tektur als kulturelle und soziale Praxis ohne bei der Umsetzung über die fein ge- Damit waren sowohl die Giardini ge- setzt auf Inhalt statt auf gebaute Funkti- strickten Fäden des Settings zu stolpern? meint als auch der Pavillon selbst und onsschemen. Der Inhalt ist das (Raum-) Um den Teams einen gemeinsamen Bo- der Kontext der Biennale als Institution. Programm, eine Vision des Zusammen- den zu bieten, hat Konrad als Kuratorin Drittens war eine Kultur der Kooperation lebens, das Vermögen, bestehende Regel- vier Vorgaben entwickelt, dank denen gefragt, und als letzten Punkt wünschte werke zu hinterfragen und neu zu erfin- sich die Arbeiten der Teams einfacher sich Verena Konrad eine Arbeit, die in- den. Im Streben nach konzeptuell immer begegnen können – denn das Ziel war nen und aussen in eine Beziehung setzt. wieder Neuem entstehen Dinge von Be- es, miteinander auszustellen und nicht Damit war der letzte Mechanismus defi- deutung. Im Kleinen wie im Grossen. In nebeneinander sowie gemeinsam ein Ex- niert, der für eine Schnittstelle zwischen Relation zum Vorhandenen. Im Rück- und periment zu wagen. den drei Arbeiten sorgen sollte. Dass die Ausblick auf das, was denkbar ist. Nur so Erstens sollten sich die Teams einen Schnittmenge der drei Arbeiten span- entstehen Räume oder Gegenstände, die Gedanken aus dem Manifest auswäh- nend werden könnte, lässt sich aus den inspirieren und die die Qualität haben, len, das die Kuratorinnen der Biennale Statements herauslesen, in denen die positive Emotionen hervorzurufen.» (Yvonne Farrell und Shelley McNamara Teams beschreiben, was sie umtreibt. 067 064-073_Mod_Thema_AT_0418.indd 67 09.06.18 11:28
THEMA MODULØR 2018 16. Architekturbiennale Magazin Nº4 «Für uns bedeutet «Architekt oder Archi- «Schönheit hat für uns ‹Freespace› die Ausein- tektin zu sein, bedeutet etwas mit dem Willen zur andersetzung mit dem für uns auch, sich den Gestaltung zu tun. Raum an sich, mit der Freiraum zu nehmen, Ein gemeinsames Beziehung der Räume um Architekturen zu Merkmal guter Arbeiten untereinander und zum entwerfen, die die ist, dass den Menschen, Aussenraum. Es geht um Qualität des Raums die dahinterstehen, die die Qualität des Raums, und des Zwischenraums Formfindung ein grosses um Raumsequenzen, zelebrieren und dem Anliegen ist.» Atmosphäre, Licht, Aussergewöhnlichen Material, Oberfläche, wieder eine Chance Haptik und um das geben. Freiraum ermutigt Erlebnis, Raum mit allen zum Widerstand gegen Sinnen erfahrbar zu das Absolute und bedingt machen.» die Abweichung von der Norm.» HENKE SAGMEISTER SCHREIECK LAAC & WALSH So weit also die Ausgangslage: Ein viel- mann (1870–1956) und Robert Kramrei- tragenen Stimmung seinen Modernismus schichtiges Konzept und ein ambitionier- ter (1905–1965) entworfen. Das axial- in dünnwandigem Beton entgegen. tes Programm treffen auf drei eigenwilli- symmetrische Bauwerk hat schon viele Diese elegante, aber unaufdringliche At- ge Teams. Daraus soll ein gemeinsames Ausstellungsmacher herausgefordert. Die mosphäre im österreichischen Pavillon Projekt entstehen, in dem jeder Partner Würde der Nation und die Repräsenta- drängt die Ausstellungsmacher unweiger- einen eigenständigen Beitrag leistet mit tion sind ihm eingeschrieben. Generell lich zu einer Haltung: Soll man sich dieser Respekt vor und im Dialog mit den beiden atmet dieser Teil der Giardini, von den Symmetrie hingeben? Soll man die klare anderen Teams. Kompliziert genug. Doch restlichen Pavillons durch einen Kanal Geometrie in den Entwurf einbinden – was geschieht erst, wenn diese komplexe getrennt, einen staatstragenden Duktus: oder die Struktur für einen Kontrapunkt Gemengelage auf den nicht weniger eigen- Zusammen mit den Pavillons von Serbi- nutzen? Nur schon die Aufteilung in einen willigen österreichischen Pavillon trifft? en, Ägypten, der Stadt Venedig, Polen, westlichen und in einen östlichen Teil be- Rumänien – alle in einem gemeinsamen dingt eine Entscheidung: Kann man beide DIE NAGELPROBE IN VENEDIG Gebäude untergebracht – und Griechen- Raumkammern mit den gleichen Inhalten land bildet das Ensemble ein klassizis- bespielen, oder braucht es ein Ungleich- Vor Ort in Venedig kommt der vierte tisch ausgeformtes Rückgrat für die Giar- gewicht? In diesem Pavillon ist keine Faktor in dieser Gleichung hinzu: der dini. So in etwa stellt man sich Sarastros Ausstellung ohne Haltung möglich. Man österreichische Pavillon, 1934 von den Tempel in der «Zauberflöte» vor. Einzig muss sich der Symmetrie bewusst sein, beiden Wiener Architekten Josef Hoff- der brasilianische Pavillon stellt der ge- die nicht ohne Folgen für das Ausstel- 068 064-073_Mod_Thema_AT_0418.indd 68 09.06.18 11:28
Die Protagonisten im österreichischen Pavillon von links nach rechts: Frank Ludin, Marta Schreieck, Dieter Henke, Jessica Walsh, Stefan Sagmeister, Verena Konrad und Kathrin Aste. lungskonzept sein kann. Den Statements Narration in den Mittelpunkt, die auf einer Westen verschoben. Mit diesem Mittel folgend, war zu erwarten, dass die drei Erweiterung des Pavillons aufbaut: Zwei brechen LAAC die Symmetrie von Hoff- Beteiligten höchst unterschiedlich auf die Jahre vor seinem Tod konnte Hoffmann mann auf – wohlbemerkt auf Basis einer Situation vor Ort reagieren würden. Vere- 1954 den Pavillon nochmals ausbauen – Intervention von Hoffmann selbst. na Konrad hatte eine kontextuelle Arbeit der Garten sollte neu gefasst werden. Und Dies ist ein äusserst überzeugender Dreh. eingefordert, die sich auf die Bedingungen Hoffmann selbst brach mit der Symmetrie Nicht nur auf konzeptioneller Ebene, vor Ort einlässt – und die drei Teams ha- des Pavillons, indem er eine geschwunge- sondern ganz direkt als tragende räum- ben darauf mit einer Installation reagiert, ne Mauer an das hintere Ende des Gartens liche Idee. Der spiegelnde und gewölbte der sie jeweils selbst ein Stichwort und ei- setzte. Diesen Bogen nehmen Kathrin Boden bereitet den Partnern im Projekt nen Titel zugeordnet haben. Aste und Frank Ludin als Ausgangspunkt eine Ebene der Reflexion – auch dies im ihrer räumlichen und narrativen Reise übertragenen wie im konkreten Sinn. ABWEICHUNG AUF DEM BODEN rund um den Boden des Pavillons. Sie Die Vorgabe von Verena Konrad, eine schreiben der Rundung der Mauer eine Brücke zu schlagen zwischen Innen- und LAAC zeigt unter dem Titel «Sphäre silbrig-glänzende, gebogene Linse ein, Aussenraum wird durch die Sphäre vor- 1:5 0 000» eine überraschende Interventi- die sich von der Gartenmauer durch den bildlich umgesetzt. Die Installation von on, die auf der präzisen Lektüre des Pavil- Pavillon hindurch bis vor die Fassade er- LAAC nimmt zudem ein Statement von lons beruht. Ganz dem Schwerpunkt ihrer streckt. Der Pol dieser Linse liegt ausser- Grafton auf: «We see the earth as client.» Praxis folgend, setzen die Architekten eine halb der Achse des Pavillons, leicht gegen Die beiden Biennale-Kuratorinnen möch- 069 064-073_Mod_Thema_AT_0418.indd 69 09.06.18 11:28
THEMA MODULØR 2018 16. Architekturbiennale Magazin Nº4 Im Hauptraum des Pavillons breiten Henke Schreieck mit ihrer zweiteiligen Installation ein Lehrstück zum Thema der Atmosphäre aus. Dabei durchmessen sie den gesamten Raum und suchen den Dialog mit dem spiegelnden Boden von LAAC. ten natürliche Ereignisse in die Archi- bald die Spuren seines Gebrauchs zeigen den Längsraum des Pavillons – der quer tektur integrieren. Diese Ereignisse fin- wird, ist ganz im Sinne der Architekten. zur Symmetrieachse liegt – unter dem Be- den im österreichischen Pavillon einen Einen letzten Twist geben LAAC ihrer griff der Atmosphäre. Gegen Westen steht Bezugsraum, der sie nicht ausklammert, Intervention, indem sie die begehbare eine Konstruktion aus Eichenbalken im sondern sie mit grosser Lust in das räum- Linse im Geiste zu einer kompletten Ku- Raum, gegen Osten hängen Streifen aus liche Konzept einbezieht. gel fertig denken. Diese Sphäre soll ihren Papier von der Decke und ergänzen die Die verzerrten Spiegelungen verwandeln Untersuchungen zurfolge die Erdkugel in Installation. Die Wände sind mit einem den Pavillon in ein lustvolles, wunderbar einem Verhältnis von 1:50 000 abbilden. Lehmputz belegt, und die dunkelgraue verwirrendes Raumkontinuum, in dem Als Grund für diese erstaunliche Koin- Farbe gibt dem Raum Halt. Die Holz- Wände, Himmel, Bäume und Decken zidenz führen die beiden an, dass Hoff- konstruktion gleicht einem eingestellten ineinander übergehen. Die Linsenform manns Pavillon im Goldenen Schnitt er- Möbel. Die Rahmenkonstruktion bleibt verwirrt hingegen nicht nur den Seh- stellt wurde – si non è vero, è ben trovato! teils offen, teils bietet sie begehbare Ebe- sinn: Die gewölbte Oberfläche erfordert nen. Der Weg führt hoch bis unter die einige Konzentration beim Laufen. Wenn ATMOSPHÄRE IM RAUM Decke und hinauf in die Laterne, die den dann auch noch ein Regenschauer die Pavillon krönt. Das Eichenholz lädt zur spiegelnde Folie benetzt, dann wird der Auf dieser höchst anregenden Grundlage Berührung ein, und es verströmt einen Spaziergang auf der Kugel zu einer verita- bauen Henke Schreieck ihre Installation angenehmen Duft. Auf dieser Konstrukti- blen Rutschpartie. Dass der Boden schon «Layers of Atmosphere» auf. Sie besetzen on können die Gäste den gesamten Raum 070 064-073_Mod_Thema_AT_0418.indd 70 09.06.18 11:28
erkunden, aber auch die nähere Umge- Windstoss durch den Pavillon fährt – die Holz und hängendem Papier, von Hell und bung: Dank der Höhe geht der Blick aus andere Sorte ist steifer und faltiger, sie bie- Dunkel, von spiegelndem Boden im dunk- den hoch liegenden Fenstern und richtet tet dem Wind mehr Widerstand, und mit len Raum und der lichten Aussicht über sich auf die umliegenden Pavillons. den Bewegungen geht ein leises, aber ein- den dunklen Wänden. Die «Layers of At- Auf der östlichen Seite des Ausstellungs- dringliches Knistern einher. Die Papier- mosphere» von Henke Schreieck vereinen raums vervollständigt die Holzkonst- streifen filtern das Licht, ihre Bewegun- kulturelles Bewusstsein, scharfen Intellekt ruktion eine Installation der Kärntner gen geben dem Wind eine Gestalt, ihre und ein sinnliches Erleben – und treffen Künstlerin Anna Rubin, die sich mit ihren Berührung schmeichelt der Haut. Der damit präzise den Nerv der Profession. filigranen Papierdrachen einen Ruf weit spiegelnde Boden löst den Untergrund auf Gleichzeitig gehen sie einen engen Dialog über die Landesgrenzen hinaus erworben und verdoppelt Raum und Licht. mit der Arbeit von LAAC ein: Ohne den hat. Die etwa meterbreiten Streifen aus Henke Schreieck hauchen dem nüchternen spiegelnden Boden wäre der Zauber der In- Japanpapier hängen von der Decke bis Pavillon Sinnlichkeit ein. Wer will, kann stallation kleiner – ohne Rauminstallation knapp über dem Boden – sprich über der sich damit zufriedengeben und es dabei würde der Sphäre ein Gegenüber fehlen. spiegelnden Sphäre von LAAC. Aus der bewenden lassen. Doch auch dieser Teil Nähe zeigt sich, dass es zwei verschiede- des Pavillons ist mit Bedeutung aufgela- SCHÖNHEIT IN DEN KAMMERN ne Papiersorten sind. Die eine ist weich in den. Da ist einerseits die Dichotomie von der Berührung, die Streifen bewegen sich Ost und West, die in den beiden Räumen Auf die beiden kleinen Räume, die an den fliessend und beinahe lautlos, wenn ein aufblitzt, das Gegenüber von tragendem Längsraum anschliessen, verteilt sich die 071 064-073_Mod_Thema_AT_0418.indd 71 09.06.18 11:28
THEMA MODULØR 2018 16. Architekturbiennale Magazin Nº4 Die digitale Welt von Sagmeister & Walsh bildet die dritte Position in der Gleichung der Kuratorin. Die direkte körperliche Auswirkung dieser Gedankenwelt ist die verblüffendste Erkenntnis aus dem Besuch des österreichischen Pavillons. Installation «Beauty = Function» von Sag- schen, im glänzenden Boden im Garten mationen und nicht zuletzt auch den kon- meister & Walsh. An die Decke der beiden eingelassen, ein pinkfarbenes Gleichheits- genialen Geräuschen zu verdanken ist. verdunkelten Kammern werden Filme im zeichen, das die beiden Pole zu einer Glei- All dies kommt aus dem Rechner, ist das Loop von einigen wenigen Minuten Län- chung ergänzt: «Beauty = Function». Resultat eines rein geistigen Prozesses. ge projiziert. Schmatzende Geräusche Die Filme zeigen Verfremdungen der bei- Nichts daran hat einen materiellen Ur- begleiten die Bilder, ein rundes Sofa mit den Begriffe: Immer von neuem werden sprung ausserhalb des Computers – und Kopfhörern lädt ein, sich hinzusetzen unterschiedliche Schriftzüge von Beauty doch sind die Auswirkungen sehr körper- und die Projektion kopfüber zu betrach- und Function (in eigens für die Installation lich. Einzelne Sequenzen der Animation ten. Aus den Kopfhörern ertönt eine flüs- entworfenen Fonts) aus glibberiger Mas- von Bild und Ton lassen den Betrachter ternde Stimme, die Texte zum Verhältnis se gepresst, aus Ballonen aufgeblasen, in zusammenzucken wie der Gedanke an von Funktion und Schönheit vorträgt, von Schaum extrudiert, in Formen gedrückt, Fingernägel, die über die Wandtafel strei- Architektur und Raum. Zum Garten hin aus Folien ausgeschnitten oder aus Poly- chen: «Thoughts Form Goosebumps.» ersetzen schwarze Vorhänge die Fenster- styrolkugeln verfestigt und mit virtuellen In der Mise en Place von Verena Konrad fronten, die sich sonst dort befinden – Messern zerschnitten. Diese Manifestati- nehmen Jessica Walsh und Stefan Sag- unter dem Vorhang lugt noch ein kleines onen von Material und Raum sind Cutting meister die Position der kritischen Be- Stück der Spiegellinse in den Raum. Die Edge der digitalen Produktion. Täuschend trachter von aussen ein. Die beiden Gra- östliche Kammer ist der «Beauty» gewid- echt erscheinen die Verwandlungen des fiker arbeiten viel mit starken Bildern, met, die westliche der «Function». Dazwi- Materials, was den herausragenden Ani- und die Wahrnehmung von Architektur 072 064-073_Mod_Thema_AT_0418.indd 72 09.06.18 11:28
über Bilder ist eines der grossen Themen Schlüsselbegriff dieser Ausstellung – und beteiligten Büros. Dass die drei Teams so in der Profession. Besonders die Rende- fast ebenso wichtig erscheint der Dialog eindrücklich ihre einzelnen Arbeiten zu rings, die die Wettbewerbe allenthalben aus einer starken eigenen Position heraus. einer überzeugenden Gesamtschau fügen dominieren, werden zunehmend kritisch Eine grosse Stärke dieses Pavillons ist sei- konnten, belegt ihre Fähigkeit, sich auf diskutiert. ne direkte Umsetzung: Die Rauminstalla- ein Gegenüber einlassen zu können – dies Doch die Installation von Sagmeister & tionen sind, was sie sind. Es braucht keine belegt damit aber auch die Treffsicherheit, Walsh ist auch Teil einer grösseren Arbeit: weitere Erklärung, um die atmosphäri- mit der Verena Konrad ihre Partner ausge- des Beauty-Projekts, das die beiden seit scher Dichte dieses Ortes geniessen zu sucht hat. letztem Jahr verfolgen. Das Ziel ist, Künst- können, man benötigt keine Einführung, Und dass die Kommissärin an der Bien- ler aus der ganzen Welt für eine globale um sich auf die digitale Welt von Sagmeis- nale ihr VAI und die Vorarlberger nicht Ausstellung zu gewinnen, um die Schön- ter & Walsh einzulassen. Ebenso wichtig vergessen hat, zeigt die aktuelle Ausstel- heit zu feiern. Als erster Schritt sollen ist aber, dass ein semantischer Reichtum lung, die dort bis zum 6. Oktober läuft. kleinere Treffen rund um die Welt folgen gegeben ist, der immer wieder neue Be- Unter «Making of Austrian Pavilion, – die Installation im österreichischen Pa- deutungen hervorbringt. Dessen Tiefe Biennale Architettura di Venezia 2018» villon war die erste Station dieser Reise. lässt sich so schnell nicht ausschöpfen. zeigt das VAI den Prozess und das Drum- Ist das Experiment von Verena Konrad ge- Und dies ist eindeutig dem klaren und herum zum heurigen Auftritt von Öster- lungen? Konnte sie ihren eigenen Ansprü- strengen Konzept zu verdanken – und reich an der Biennale. Wer kann, sollte chen gerecht werden? «Koexistenz» ist der der nicht minder klaren Haltung der drei beide Ausstellungen besuchen! 073 064-073_Mod_Thema_AT_0418.indd 73 09.06.18 11:28
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