Architektur, Bauen, Recht MODU1ØR - ARCHITEKTURBIENNALE - Henke Schreieck Architekten

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Architektur, Bauen, Recht MODU1ØR - ARCHITEKTURBIENNALE - Henke Schreieck Architekten
Nº
 04
 18
MODULØR
16. ARCHITEKTURBIENNALE

                                                                     16. ARCHITEKTURBIENNALE
                                            ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND UND DIE SCHWEIZ IM HINTERGRUNDBERICHT
                                                         BLICK HINTER DIE KULISSEN: INTERVIEW MIT PRO HELVETIA

                                                                                                     Nº4 2018
                                                                                                 www.modulor.ch

                                     MODU1ØR
  www.modulor.ch

                                     Architektur, Bauen, Recht

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Architektur, Bauen, Recht MODU1ØR - ARCHITEKTURBIENNALE - Henke Schreieck Architekten
THEMA                                                          MODULØR                                                     2018
       16. Architekturbiennale                                        Magazin                                                     Nº4

                                   DIE
                                SCHONHEIT
                                   DES
                                GEDANKENS

                                                I
       von Marko Sauer (Text)                        m Frühjahr 2017 erreichte Verena         einer Kommissärin gehen weit über in-
       und Marc Lins / Martin Mischkulnig /          Konrad ein Anruf aus Wien: Kultur-       haltliche Fragen hinaus. Doch Verena Kon-
       Henke Schreieck / Sagmeister & Walsh /        minister Thomas Drozda fragte an, ob     rad ist vom VAI her gewohnt, die gesamte
       Darko Todorovic (Fotos)                  sie als Kommissärin den österreichischen      Bandbreite der Verantwortung zu überneh-
       Den österreichischen Pavillon            Pavillon an der Biennale 2018 kuratieren      men. Vor fünf Jahren hat die promovierte
       kuratiert dieses Jahr Verena             würde. So eine Anfrage schlägt wohl kaum      Kunsthistorikerin, zweifache Mutter und
                                                jemand aus – und auch die Leiterin des        passionierte Langstreckenläuferin die Lei-
       Konrad. Die Leiterin des                 Vorarlberger Architektur Instituts (VAI)      tung der Vorarlberger Architekturinstitu-
       Vorarlberger Architektur Instituts       hat sich der Herausforderung gestellt.        tion von Marina Hämmerle übernommen.
       VAI nutzt die Gelegenheit,               Nach der ersten Begeisterung zeigten sich     Seither hat die gebürtige Oberösterreiche-
       grundsätzliche Fragen zu stellen.        jedoch auch die schwierigen Seiten dieser     rin die Geschicke der Institution gelenkt,
                                                Aufgabe, denn als Kommissärin musste sie      die wie kaum eine andere für den Erfolg
       Sie setzt dabei auf starke Partner       nicht nur das Budget von 450 000 Euro mit     der Vorarlberger Baukultur steht.
       und räumliche Vielfalt.                  Sponsorenmitteln aufstocken. Als Bürde
                                                wiegt wohl ebenso schwer, dass sie per-       EIN KONZEPT WIE EIN UHRWERK
                                                sönlich für den Auftritt in Venedig haftet.
                                                Also auch mit ihrem eigenen Vermögen bei      Knapp ein Jahr nach der Ernennung zur
                                                einem eventuellen Defizit – die Aufgaben      Kommissärin treffe ich Verena Konrad

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Architektur, Bauen, Recht MODU1ØR - ARCHITEKTURBIENNALE - Henke Schreieck Architekten
Die drei Installationen im österreichischen Pavillon vereinen sich zu einer gemeinsamen Aussage – atmosphärisch dicht, intellektuell
       anregend und räumlich vielfältig.

       in Dornbirn. Es sind die ersten warmen                  schaden am Pavillon zu schaffen. Es gibt                 schen Kosmos auf, bei dem unzählige
       Tage, und im 1. OG an der Marktgasse                    tausend Dinge, die noch gelöst werden                    Zahnräder wie ein Uhrwerk ineinan-
       zeigt das VAI gerade eine Ausstellung                   müssen und ebenso viele Fragen. Wir                      dergreifen. Die Basis bilden drei Teams
       über den Lehmbaupionier Martin Rauch.                   setzten uns zum Mittagessen in ein Stras-                aus je einem Mann und einer Frau, die
       Der Vorarlberger hat den Baustoff in jahr-              senrestaurant. Die Dornbirner geniessen                  Verena Konrad für ihren Pavillon gewin-
       zehntelangem Engagement international                   die ersten warmen Frühlingstage und                      nen konnte. Und mit dieser Wahl wird
       wieder aufs Tapet gebracht. Neben dem                   südliches Flair macht sich in den Gassen                 klar: Konrad spielt an der Biennale nicht
       Büro des VAI, in dem Verena Konrad mit                  der kleinen Stadt breit – Verena Konrad                  die Vorarlberg-Karte. Sie verfolgt beim
       Jörg Meissner und Lisa Ugrinovich an                    kann sich dem Lento um uns herum                         Pavillon eine andere Agenda: «Ich woll-
       den Inhalten und Ausstellungen des VAI                  nicht anschliessen: Ihre Gedanken und                    te diese Gelegenheit nutzen, um eine
       arbeitet, ist zwischenzeitlich auch das Bi-             Argumente schiessen im Stakkato über                     Mischung aus pointierten Positionen
       ennale-Büro eingezogen. Hier laufen die                 den Tisch. Präzise beschreibt sie ihre Ab-               zusammenzutragen. Man ist wohl nur
       Fäden für den Auftritt Österreichs an der               sichten und Argumente, die Partner, die                  einmal im Leben Kommissärin an der
       16. Architekturbiennale zusammen.                       sie sich für den Pavillon ausgesucht hat,                Biennale. Ich möchte Fragen nachgehen,
       Verena Konrad verabschiedet gerade ei-                  und was den Auftritt zusammenhält –                      für die ich sonst in meiner Ausstellungs-
       nen anderen Journalisten, die Kadenz                    dazwischen grüsst sie immer wieder Pas-                  praxis im VAI keinen Raum finde, und
       der Pressetermine erhöht sich. Zudem                    santen: In Dornbirn ist man en famille.                  mit Partnern zusammenarbeiten, deren
       macht der Kommissärin auch ein Bau-                     Verena Konrad spannt einen kuratori-                     Haltungen mich faszinieren und inter-

                                                                                                                                                            065

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Architektur, Bauen, Recht MODU1ØR - ARCHITEKTURBIENNALE - Henke Schreieck Architekten
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       16. Architekturbiennale                                                           Magazin                                                          Nº4

       Die spiegelnde Sphäre von LAAC ist das Element, das alles zusammenhält. Gleichzeitig bricht das forsche Architekturteam damit die
       strenge Symmetrie des Pavillons auf und bietet einen gemeinsamen Grund für die beiden anderen Projekte.

       essieren. Da kommt es nicht darauf an,                 zisen und höchst differenzierten Einsatz               noch eine Beziehung her, die nicht auf
       woher jemand stammt. Für mich war die                  von Material und Konstruktion. Zudem                   den ersten Blick ersichtlich ist. In zuneh-
       entscheidende Frage: Wie können diese                  sind sie leidenschaftliche Sammler von                 mend feinere Verzweigungen verästelt
       Teams zusammenarbeiten?»                               Artefakten aus verschiedensten Kulturen.               sich das Konzept. Der Titel des Beitrags
       Die Wahl der Teams spielt in Konrads                   Als drittes Team vervollständigen die                  zur Biennale lautet «Thoughts Form Mat-
       Konzept eine entscheidende Rolle – und                 Grafiker Jessica Walsh und Stefan Sag-                 ter» – und es sind viele Gedanken, die
       die richtige Mischung macht einen gros-                meister das Trio. Unter dem Namen Sag-                 da am Werk sind. Diese Gedanken for-
       sen Teil der kuratorischen Leistung aus.               meister & Walsh führen sie in New York                 men nicht nur «matter» als Material, sie
       Das erste Team sind die aufstrebenden                  eines der progressivsten und renommier-                beziehen sich auch auf die mannigfachen
       Architekten Kathrin Aste und Frank Lu-                 testen Grafikbüros weltweit – sie sind es              Möglichkeiten einer Übersetzung von
       din von LAAC, die in Innsbruck die loka-               gewohnt, die Grenzen ihrer Profession zu               «matter» – diese reichen von Materie
       le Tradition zur Freiform und das Experi-              hinterfragen und zu überschreiten. Als                 über Stoff bis hin zum Begriff der Bedeu-
       ment mit unterschiedlichsten Materialien               gebürtiger Bregenzer hat Stefan Sagmeis-               tung selbst. Ein semantisch äusserst wei-
       pflegen. Als zweites Team bringen Marta                ter dann doch noch einen direkten Bezug                tes Feld, das Verena Konrad aufspannt.
       Schreieck und Dieter Henke eine enorme                 zu Vorarlberg.                                         In den Worten der Kommissärin liest sich
       Erfahrung als bauende Architekten ein.                 Immer wieder erklärt Verena Konrad                     das Konzept in der Pressemitteilung wie
       Ihr Büro Henke Schreieck aus Wien steht                ihr Konzept aus einer neuen Warte, von                 folgt: «Thoughts Form Matter: Drei Wör-
       für gepflegtes Handwerk und einen prä-                 einem anderen Standpunkt aus – stellt                  ter, als Satz gelesen drei Worte. Ein Ge-

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Architektur, Bauen, Recht MODU1ØR - ARCHITEKTURBIENNALE - Henke Schreieck Architekten
dankengebäude. Der Österreich-Beitrag           Das ist hoch gegriffen und zeigt die Kom-   von Grafton Architects) für das Gene-
       zur Biennale 2018 ist ein Plädoyer für          plexität, die Verena Konrad mit ihrem       ralthema «Freespace» geschrieben hat-
       eine gestalterische Praxis, die sich als For-   Pavillon anstrebt. Wie kann man so ein      ten. Als zweite Vorgabe waren die Part-
       mulierung von Gedanken versteht. Archi-         ambitioniertes Programm realisieren,        ner angehalten, im Kontext zu arbeiten:
       tektur als kulturelle und soziale Praxis        ohne bei der Umsetzung über die fein ge-    Damit waren sowohl die Giardini ge-
       setzt auf Inhalt statt auf gebaute Funkti-      strickten Fäden des Settings zu stolpern?   meint als auch der Pavillon selbst und
       onsschemen. Der Inhalt ist das (Raum-)          Um den Teams einen gemeinsamen Bo-          der Kontext der Biennale als Institution.
       Programm, eine Vision des Zusammen-             den zu bieten, hat Konrad als Kuratorin     Drittens war eine Kultur der Kooperation
       lebens, das Vermögen, bestehende Regel-         vier Vorgaben entwickelt, dank denen        gefragt, und als letzten Punkt wünschte
       werke zu hinterfragen und neu zu erfin-         sich die Arbeiten der Teams einfacher       sich Verena Konrad eine Arbeit, die in-
       den. Im Streben nach konzeptuell immer          begegnen können – denn das Ziel war         nen und aussen in eine Beziehung setzt.
       wieder Neuem entstehen Dinge von Be-            es, miteinander auszustellen und nicht      Damit war der letzte Mechanismus defi-
       deutung. Im Kleinen wie im Grossen. In          nebeneinander sowie gemeinsam ein Ex-       niert, der für eine Schnittstelle zwischen
       Relation zum Vorhandenen. Im Rück- und          periment zu wagen.                          den drei Arbeiten sorgen sollte. Dass die
       Ausblick auf das, was denkbar ist. Nur so       Erstens sollten sich die Teams einen        Schnittmenge der drei Arbeiten span-
       entstehen Räume oder Gegenstände, die           Gedanken aus dem Manifest auswäh-           nend werden könnte, lässt sich aus den
       inspirieren und die die Qualität haben,         len, das die Kuratorinnen der Biennale      Statements herauslesen, in denen die
       positive Emotionen hervorzurufen.»              (Yvonne Farrell und Shelley McNamara        Teams beschreiben, was sie umtreibt.

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Architektur, Bauen, Recht MODU1ØR - ARCHITEKTURBIENNALE - Henke Schreieck Architekten
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       16. Architekturbiennale                                            Magazin                                                     Nº4

           «Für uns bedeutet                          «Architekt oder Archi-                       «Schönheit hat für uns
        ‹Freespace› die Ausein-                      tektin zu sein, bedeutet                    etwas mit dem Willen zur
         andersetzung mit dem                         für uns auch, sich den                         Gestaltung zu tun.
        Raum an sich, mit der                         Freiraum zu nehmen,                             Ein gemeinsames
         Beziehung der Räume                           um Architekturen zu                        Merkmal guter Arbeiten
        untereinander und zum                           entwerfen, die die                        ist, dass den Menschen,
       Aussenraum. Es geht um                          Qualität des Raums                          die dahinterstehen, die
       die Qualität des Raums,                       und des Zwischenraums                        Formfindung ein grosses
          um Raumsequenzen,                            zelebrieren und dem                              Anliegen ist.»
           Atmosphäre, Licht,                          Aussergewöhnlichen
         Material, Oberfläche,                          wieder eine Chance
          Haptik und um das                         geben. Freiraum ermutigt
       Erlebnis, Raum mit allen                       zum Widerstand gegen
          Sinnen erfahrbar zu                       das Absolute und bedingt
               machen.»                              die Abweichung von der
                                                              Norm.»

           HENKE                                                                                 SAGMEISTER
          SCHREIECK                                            LAAC                                & WALSH
       So weit also die Ausgangslage: Ein viel-     mann (1870–1956) und Robert Kramrei-         tragenen Stimmung seinen Modernismus
       schichtiges Konzept und ein ambitionier-     ter (1905–1965) entworfen. Das axial-        in dünnwandigem Beton entgegen.
       tes Programm treffen auf drei eigenwilli-    symmetrische Bauwerk hat schon viele         Diese elegante, aber unaufdringliche At-
       ge Teams. Daraus soll ein gemeinsames        Ausstellungsmacher herausgefordert. Die      mosphäre im österreichischen Pavillon
       Projekt entstehen, in dem jeder Partner      Würde der Nation und die Repräsenta-         drängt die Ausstellungsmacher unweiger-
       einen eigenständigen Beitrag leistet mit     tion sind ihm eingeschrieben. Generell       lich zu einer Haltung: Soll man sich dieser
       Respekt vor und im Dialog mit den beiden     atmet dieser Teil der Giardini, von den      Symmetrie hingeben? Soll man die klare
       anderen Teams. Kompliziert genug. Doch       restlichen Pavillons durch einen Kanal       Geometrie in den Entwurf einbinden –
       was geschieht erst, wenn diese komplexe      getrennt, einen staatstragenden Duktus:      oder die Struktur für einen Kontrapunkt
       Gemengelage auf den nicht weniger eigen-     Zusammen mit den Pavillons von Serbi-        nutzen? Nur schon die Aufteilung in einen
       willigen österreichischen Pavillon trifft?   en, Ägypten, der Stadt Venedig, Polen,       westlichen und in einen östlichen Teil be-
                                                    Rumänien – alle in einem gemeinsamen         dingt eine Entscheidung: Kann man beide
       DIE NAGELPROBE IN VENEDIG                    Gebäude untergebracht – und Griechen-        Raumkammern mit den gleichen Inhalten
                                                    land bildet das Ensemble ein klassizis-      bespielen, oder braucht es ein Ungleich-
       Vor Ort in Venedig kommt der vierte          tisch ausgeformtes Rückgrat für die Giar-    gewicht? In diesem Pavillon ist keine
       Faktor in dieser Gleichung hinzu: der        dini. So in etwa stellt man sich Sarastros   Ausstellung ohne Haltung möglich. Man
       österreichische Pavillon, 1934 von den       Tempel in der «Zauberflöte» vor. Einzig      muss sich der Symmetrie bewusst sein,
       beiden Wiener Architekten Josef Hoff-        der brasilianische Pavillon stellt der ge-   die nicht ohne Folgen für das Ausstel-

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Architektur, Bauen, Recht MODU1ØR - ARCHITEKTURBIENNALE - Henke Schreieck Architekten
Die Protagonisten im österreichischen Pavillon von links nach rechts: Frank Ludin, Marta Schreieck, Dieter Henke, Jessica Walsh,
       Stefan Sagmeister, Verena Konrad und Kathrin Aste.

       lungskonzept sein kann. Den Statements                  Narration in den Mittelpunkt, die auf einer             Westen verschoben. Mit diesem Mittel
       folgend, war zu erwarten, dass die drei                 Erweiterung des Pavillons aufbaut: Zwei                 brechen LAAC die Symmetrie von Hoff-
       Beteiligten höchst unterschiedlich auf die              Jahre vor seinem Tod konnte Hoffmann                    mann auf – wohlbemerkt auf Basis einer
       Situation vor Ort reagieren würden. Vere-               1954 den Pavillon nochmals ausbauen –                   Intervention von Hoffmann selbst.
       na Konrad hatte eine kontextuelle Arbeit                der Garten sollte neu gefasst werden. Und               Dies ist ein äusserst überzeugender Dreh.
       eingefordert, die sich auf die Bedingungen              Hoffmann selbst brach mit der Symmetrie                 Nicht nur auf konzeptioneller Ebene,
       vor Ort einlässt – und die drei Teams ha-               des Pavillons, indem er eine geschwunge-                sondern ganz direkt als tragende räum-
       ben darauf mit einer Installation reagiert,             ne Mauer an das hintere Ende des Gartens                liche Idee. Der spiegelnde und gewölbte
       der sie jeweils selbst ein Stichwort und ei-            setzte. Diesen Bogen nehmen Kathrin                     Boden bereitet den Partnern im Projekt
       nen Titel zugeordnet haben.                             Aste und Frank Ludin als Ausgangspunkt                  eine Ebene der Reflexion – auch dies im
                                                               ihrer räumlichen und narrativen Reise                   übertragenen wie im konkreten Sinn.
       ABWEICHUNG AUF DEM BODEN                                rund um den Boden des Pavillons. Sie                    Die Vorgabe von Verena Konrad, eine
                                                               schreiben der Rundung der Mauer eine                    Brücke zu schlagen zwischen Innen- und
       LAAC zeigt unter dem Titel «Sphäre                      silbrig-glänzende, gebogene Linse ein,                  Aussenraum wird durch die Sphäre vor-
       1:5 0 000» eine überraschende Interventi-               die sich von der Gartenmauer durch den                  bildlich umgesetzt. Die Installation von
       on, die auf der präzisen Lektüre des Pavil-             Pavillon hindurch bis vor die Fassade er-               LAAC nimmt zudem ein Statement von
       lons beruht. Ganz dem Schwerpunkt ihrer                 streckt. Der Pol dieser Linse liegt ausser-             Grafton auf: «We see the earth as client.»
       Praxis folgend, setzen die Architekten eine             halb der Achse des Pavillons, leicht gegen              Die beiden Biennale-Kuratorinnen möch-

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Architektur, Bauen, Recht MODU1ØR - ARCHITEKTURBIENNALE - Henke Schreieck Architekten
THEMA                                                                             MODULØR                                                           2018
       16. Architekturbiennale                                                           Magazin                                                           Nº4

       Im Hauptraum des Pavillons breiten Henke Schreieck mit ihrer zweiteiligen Installation ein Lehrstück zum Thema der Atmosphäre aus.
       Dabei durchmessen sie den gesamten Raum und suchen den Dialog mit dem spiegelnden Boden von LAAC.

       ten natürliche Ereignisse in die Archi-                bald die Spuren seines Gebrauchs zeigen                den Längsraum des Pavillons – der quer
       tektur integrieren. Diese Ereignisse fin-              wird, ist ganz im Sinne der Architekten.               zur Symmetrieachse liegt – unter dem Be-
       den im österreichischen Pavillon einen                 Einen letzten Twist geben LAAC ihrer                   griff der Atmosphäre. Gegen Westen steht
       Bezugsraum, der sie nicht ausklammert,                 Intervention, indem sie die begehbare                  eine Konstruktion aus Eichenbalken im
       sondern sie mit grosser Lust in das räum-              Linse im Geiste zu einer kompletten Ku-                Raum, gegen Osten hängen Streifen aus
       liche Konzept einbezieht.                              gel fertig denken. Diese Sphäre soll ihren             Papier von der Decke und ergänzen die
       Die verzerrten Spiegelungen verwandeln                 Untersuchungen zurfolge die Erdkugel in                Installation. Die Wände sind mit einem
       den Pavillon in ein lustvolles, wunderbar              einem Verhältnis von 1:50 000 abbilden.                Lehmputz belegt, und die dunkelgraue
       verwirrendes Raumkontinuum, in dem                     Als Grund für diese erstaunliche Koin-                 Farbe gibt dem Raum Halt. Die Holz-
       Wände, Himmel, Bäume und Decken                        zidenz führen die beiden an, dass Hoff-                konstruktion gleicht einem eingestellten
       ineinander übergehen. Die Linsenform                   manns Pavillon im Goldenen Schnitt er-                 Möbel. Die Rahmenkonstruktion bleibt
       verwirrt hingegen nicht nur den Seh-                   stellt wurde – si non è vero, è ben trovato!           teils offen, teils bietet sie begehbare Ebe-
       sinn: Die gewölbte Oberfläche erfordert                                                                       nen. Der Weg führt hoch bis unter die
       einige Konzentration beim Laufen. Wenn                 ATMOSPHÄRE IM RAUM                                     Decke und hinauf in die Laterne, die den
       dann auch noch ein Regenschauer die                                                                           Pavillon krönt. Das Eichenholz lädt zur
       spiegelnde Folie benetzt, dann wird der                Auf dieser höchst anregenden Grundlage                 Berührung ein, und es verströmt einen
       Spaziergang auf der Kugel zu einer verita-             bauen Henke Schreieck ihre Installation                angenehmen Duft. Auf dieser Konstrukti-
       blen Rutschpartie. Dass der Boden schon                «Layers of Atmosphere» auf. Sie besetzen               on können die Gäste den gesamten Raum

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Architektur, Bauen, Recht MODU1ØR - ARCHITEKTURBIENNALE - Henke Schreieck Architekten
erkunden, aber auch die nähere Umge-          Windstoss durch den Pavillon fährt – die          Holz und hängendem Papier, von Hell und
       bung: Dank der Höhe geht der Blick aus        andere Sorte ist steifer und faltiger, sie bie-   Dunkel, von spiegelndem Boden im dunk-
       den hoch liegenden Fenstern und richtet       tet dem Wind mehr Widerstand, und mit             len Raum und der lichten Aussicht über
       sich auf die umliegenden Pavillons.           den Bewegungen geht ein leises, aber ein-         den dunklen Wänden. Die «Layers of At-
       Auf der östlichen Seite des Ausstellungs-     dringliches Knistern einher. Die Papier-          mosphere» von Henke Schreieck vereinen
       raums vervollständigt die Holzkonst-          streifen filtern das Licht, ihre Bewegun-         kulturelles Bewusstsein, scharfen Intellekt
       ruktion eine Installation der Kärntner        gen geben dem Wind eine Gestalt, ihre             und ein sinnliches Erleben – und treffen
       Künstlerin Anna Rubin, die sich mit ihren     Berührung schmeichelt der Haut. Der               damit präzise den Nerv der Profession.
       filigranen Papierdrachen einen Ruf weit       spiegelnde Boden löst den Untergrund auf          Gleichzeitig gehen sie einen engen Dialog
       über die Landesgrenzen hinaus erworben        und verdoppelt Raum und Licht.                    mit der Arbeit von LAAC ein: Ohne den
       hat. Die etwa meterbreiten Streifen aus       Henke Schreieck hauchen dem nüchternen            spiegelnden Boden wäre der Zauber der In-
       Japanpapier hängen von der Decke bis          Pavillon Sinnlichkeit ein. Wer will, kann         stallation kleiner – ohne Rauminstallation
       knapp über dem Boden – sprich über der        sich damit zufriedengeben und es dabei            würde der Sphäre ein Gegenüber fehlen.
       spiegelnden Sphäre von LAAC. Aus der          bewenden lassen. Doch auch dieser Teil
       Nähe zeigt sich, dass es zwei verschiede-     des Pavillons ist mit Bedeutung aufgela-          SCHÖNHEIT IN DEN KAMMERN
       ne Papiersorten sind. Die eine ist weich in   den. Da ist einerseits die Dichotomie von
       der Berührung, die Streifen bewegen sich      Ost und West, die in den beiden Räumen            Auf die beiden kleinen Räume, die an den
       fliessend und beinahe lautlos, wenn ein       aufblitzt, das Gegenüber von tragendem            Längsraum anschliessen, verteilt sich die

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Architektur, Bauen, Recht MODU1ØR - ARCHITEKTURBIENNALE - Henke Schreieck Architekten
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       16. Architekturbiennale                                                              Magazin                                                          Nº4

       Die digitale Welt von Sagmeister & Walsh bildet die dritte Position in der Gleichung der Kuratorin. Die direkte körperliche Auswirkung
       dieser Gedankenwelt ist die verblüffendste Erkenntnis aus dem Besuch des österreichischen Pavillons.

       Installation «Beauty = Function» von Sag-                schen, im glänzenden Boden im Garten                     mationen und nicht zuletzt auch den kon-
       meister & Walsh. An die Decke der beiden                 eingelassen, ein pinkfarbenes Gleichheits-               genialen Geräuschen zu verdanken ist.
       verdunkelten Kammern werden Filme im                     zeichen, das die beiden Pole zu einer Glei-              All dies kommt aus dem Rechner, ist das
       Loop von einigen wenigen Minuten Län-                    chung ergänzt: «Beauty = Function».                      Resultat eines rein geistigen Prozesses.
       ge projiziert. Schmatzende Geräusche                     Die Filme zeigen Verfremdungen der bei-                  Nichts daran hat einen materiellen Ur-
       begleiten die Bilder, ein rundes Sofa mit                den Begriffe: Immer von neuem werden                     sprung ausserhalb des Computers – und
       Kopfhörern lädt ein, sich hinzusetzen                    unterschiedliche Schriftzüge von Beauty                  doch sind die Auswirkungen sehr körper-
       und die Projektion kopfüber zu betrach-                  und Function (in eigens für die Installation             lich. Einzelne Sequenzen der Animation
       ten. Aus den Kopfhörern ertönt eine flüs-                entworfenen Fonts) aus glibberiger Mas-                  von Bild und Ton lassen den Betrachter
       ternde Stimme, die Texte zum Verhältnis                  se gepresst, aus Ballonen aufgeblasen, in                zusammenzucken wie der Gedanke an
       von Funktion und Schönheit vorträgt, von                 Schaum extrudiert, in Formen gedrückt,                   Fingernägel, die über die Wandtafel strei-
       Architektur und Raum. Zum Garten hin                     aus Folien ausgeschnitten oder aus Poly-                 chen: «Thoughts Form Goosebumps.»
       ersetzen schwarze Vorhänge die Fenster-                  styrolkugeln verfestigt und mit virtuellen               In der Mise en Place von Verena Konrad
       fronten, die sich sonst dort befinden –                  Messern zerschnitten. Diese Manifestati-                 nehmen Jessica Walsh und Stefan Sag-
       unter dem Vorhang lugt noch ein kleines                  onen von Material und Raum sind Cutting                  meister die Position der kritischen Be-
       Stück der Spiegellinse in den Raum. Die                  Edge der digitalen Produktion. Täuschend                 trachter von aussen ein. Die beiden Gra-
       östliche Kammer ist der «Beauty» gewid-                  echt erscheinen die Verwandlungen des                    fiker arbeiten viel mit starken Bildern,
       met, die westliche der «Function». Dazwi-                Materials, was den herausragenden Ani-                   und die Wahrnehmung von Architektur

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über Bilder ist eines der grossen Themen       Schlüsselbegriff dieser Ausstellung – und      beteiligten Büros. Dass die drei Teams so
       in der Profession. Besonders die Rende-        fast ebenso wichtig erscheint der Dialog       eindrücklich ihre einzelnen Arbeiten zu
       rings, die die Wettbewerbe allenthalben        aus einer starken eigenen Position heraus.     einer überzeugenden Gesamtschau fügen
       dominieren, werden zunehmend kritisch          Eine grosse Stärke dieses Pavillons ist sei-   konnten, belegt ihre Fähigkeit, sich auf
       diskutiert.                                    ne direkte Umsetzung: Die Rauminstalla-        ein Gegenüber einlassen zu können – dies
       Doch die Installation von Sagmeister &         tionen sind, was sie sind. Es braucht keine    belegt damit aber auch die Treffsicherheit,
       Walsh ist auch Teil einer grösseren Arbeit:    weitere Erklärung, um die atmosphäri-          mit der Verena Konrad ihre Partner ausge-
       des Beauty-Projekts, das die beiden seit       scher Dichte dieses Ortes geniessen zu         sucht hat.
       letztem Jahr verfolgen. Das Ziel ist, Künst-   können, man benötigt keine Einführung,         Und dass die Kommissärin an der Bien-
       ler aus der ganzen Welt für eine globale       um sich auf die digitale Welt von Sagmeis-     nale ihr VAI und die Vorarlberger nicht
       Ausstellung zu gewinnen, um die Schön-         ter & Walsh einzulassen. Ebenso wichtig        vergessen hat, zeigt die aktuelle Ausstel-
       heit zu feiern. Als erster Schritt sollen      ist aber, dass ein semantischer Reichtum       lung, die dort bis zum 6. Oktober läuft.
       kleinere Treffen rund um die Welt folgen       gegeben ist, der immer wieder neue Be-         Unter «Making of Austrian Pavilion,
       – die Installation im österreichischen Pa-     deutungen hervorbringt. Dessen Tiefe           Biennale Architettura di Venezia 2018»
       villon war die erste Station dieser Reise.     lässt sich so schnell nicht ausschöpfen.       zeigt das VAI den Prozess und das Drum-
       Ist das Experiment von Verena Konrad ge-       Und dies ist eindeutig dem klaren und          herum zum heurigen Auftritt von Öster-
       lungen? Konnte sie ihren eigenen Ansprü-       strengen Konzept zu verdanken – und            reich an der Biennale. Wer kann, sollte
       chen gerecht werden? «Koexistenz» ist der      der nicht minder klaren Haltung der drei       beide Ausstellungen besuchen!

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