In den letzten zweihundert Jahren hat unsere Gesellschaft im Gefolge der Aufklärung und Industrialisierung einen dramatischen Wandel von der ...
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Mark Euler Fuzzy Money - Die neue Währung der Tätigkeitsgesellschaft? Vortrag auf dem 30. Deutschen Soziologentag in Köln am 26.09.2000 Die Tätigkeitsgesellschaft zeigt einen Ausweg aus der Krise der Erwerbsarbeitsgesellschaft auf, indem sie u.a.. Bürgerarbeit aufwertet. Die Autoren demonstrieren, daß es hierzu aber nicht nur eines neuen Arbeitsbegriffes, sondern auch eines neuen Tauschmediums bedarf, da Geld die spezielle Qualität dieser Leistungen nicht erfassen kann. In den letzten zweihundert Jahren hat unsere Gesellschaft im Gefolge der Aufklärung und Industrialisierung einen dramatischen Wandel von der Agrar-, über die Industrie- hin zur Dienstleistungsgesellschaft, von der Subsistenzarbeit zur arbeitsteiligen Erwerbsarbeit vollzogen. Die Gliederung in marktvermittelte Produktion und die über abhängige Erwerbsarbeit organisierten Verteilung materieller Chancen ist bis in unsere Zeit charakteristisch gewesen. Die spezielle Verfaßtheit einer marktwirtschaftlichen Ordnung, mit ihrer Idee von freien und gleichen Individuen, die durch den ökonomischen Austausch mit anderen ihren maximalen Nutzen selbst erzielen können, hatte zu einer enormen sozialen Mobilität und Freisetzung der Menschen aus traditionellen Lebensformen geführt. Dieser als Individualisierung bezeichnete Prozess bedeutet, daß die Biographie der Menschen aus vorgegebenen Fixierungen herausgelöst, offen, entscheidungsabhängig und als Aufgabe in das Handeln jedes einzelnen gelegt wird Damit einher ging ein Bedeutungswandel von Arbeit. Sie geriet zur zentralen gesellschaftlichen Kategorie. Über Arbeit gewinnt der moderne Mensch seine soziale Identität, weshalb auch Frauen zunehmend in diese Form der Identitätsfindung drängen. Dem entgegen steht nun aber die andere, ökonomische Seite der Entwicklung. Die logische Folge des wirtschaftlichen Impetus ”höhere Produktivität, niedrigere Kosten, mehr Profit” ist Rationalisierung. Der technische Fortschritt führte somit natürlich auch immer dort zu Entlassungen von Angestellten, wo deren Arbeit von Maschinen billiger verrichtet werden konnte. Dank der Globalisierung, mit der die weit reichende Öffnung der Märkte und die Mobilität von Produktion und Kapital erreicht wurde, besteht für Unternehmen stärker als bisher die Möglichkeit und Notwendigkeit, dort zu produzieren, wo es am wirtschaftlichsten ist beziehungsweise in Kapital statt in Arbeit zu investieren. Arbeitskräfte stehen daher heute mehr denn je in Konkurrenz zueinander und das weltweit.
Die negative Seite der starken Produktivitätssteigerung ist das sog. ”jobless growth”- Wirtschaftswachstum ohne Arbeiter. Dieser Trend trifft vor allem die geringqualifizierten Arbeiter, denn in Zukunft werden infolge des sektoralen Wandels der Wirtschaft eher ”Wissensarbeiter” benötigt. Normalarbeitsverhältnisse (lebenslange, feste Vollzeitanstellung im erlernten Beruf) sind für die Zukunft nicht mehr zu erwarten. Die ehemals klare Einteilung in Schule/ Ausbildung, kontinuierliche Erwerbstätigkeit und Ruhestand gilt nicht mehr. Die Erwerbsbiographien werden fragmentiert und dynamisiert, was wiederum bedeutet, daß die flexibelsten und individualisiertesten Arbeitnehmer am ehesten einen der knappen Arbeitsplätze erhalten. Auf diese Weise heizen sie wiederum die Konkurrenz an und erhöhen das eigene Risiko des Scheiterns. Das Resultat der dargestellten Entwicklungen ist, daß nach Angaben der OECD in den Industrieländern mittlerweile annähernd 35 Millionen oder etwa 8,5% der Erwerbsbevölkerung arbeitslos sind: mehr Menschen als je zuvor; und daß, obwohl in Deutschland und in den Industrieländern insgesamt Anfang der 90er Jahre ein historischer Höchststand der Erwerbsarbeit erreicht worden ist. Das eigentliche Problem ist also darin zu sehen, daß die Zahl der Arbeitssuchenden schneller zugenommen hat als die Zahl der Arbeitsplätze. Die Tätigkeitsgesellschaft als Ausweg? Die auf Hanna Arendt und Sir Ralf Dahrendorfi zurückgehende Idee einer Tätigkeitsgesellschaft zeigt hier einen möglichen Ausweg auf. Grundannahme dahinter ist, daß auch in Zukunft Arbeit im Sinne von bedachter, tätiger Auseinandersetzung mit der natürlichen, sozialen, kulturellen und psychischen Umwelt von zentraler Bedeutung sein wird. Der Blick sollte jedoch über den Tellerrand der bezahlten Erwerbsarbeit hinaus, auch auf andere Tätigkeiten gerichtet werden wie Eigenarbeit, Haus- und Erziehungsarbeit, Nachbarschaftshilfe, Ehrenamt, gemeinnütziges Engagement, aber auch Lernen und kulturelle Aktivitäten. Auf diese Weise kann den Bedürfnissen einer individualisierten Gesellschaft sogar besser nachgekommen werden, als es die alte Arbeitsgesellschaft jemals vermochte. Denn zum einen läßt sich Selbstverwirklichung und der Wunsch Subjekt des eigenen Handelns zu sein, in abhängiger Beschäftigung nur schwer realisieren, weshalb Erwerbsarbeit für viele daher auch nur Mittel zum Zweck ist, um durch sie die Ressourcen und Beziehungen zu erhalten, mit
denen man sich in der Freizeit selbstverwirklichen und das machen kann, was man ”wirklich, wirklich machen will” (F.Bergmann). Zum anderen würde durch die flexiblere Zeitgestaltung in einer Tätigkeitsgesellschaft die Zahl der gleichzeitig Erwerbsarbeitssuchenden abnehmen und der Druck auf den ersten Arbeitsmarkt sinken. Neben der Auflösung der skizzierten Problematik ergäben sich auch noch einige gesellschaftspolitisch wünschenswerte Effekte. Denn durch die Aufwertung ehrenamtlicher, gemeinnütziger Tätigkeiten könnten, wie es die Kommunitarier vermuten, die lokalen Gemeinschaften gestärkt und eine gemeinsame Wertebasis wiederhergestellt werden. Ulrich Beck nennt als neues Leitmotiv den ”solidarischen Individualismus”, was soviel bedeutet wie Solidarität und gemeinnütziges Verhalten aus eigenem Interesse heraus. Soziale Kompetenzen, psychosoziale Gesundheit, Kreativität, Vernetzungskompetenz, Motivation und Bildung, kurz das Human- und Sozialkapital einer Gesellschaft nähmen ebenfalls zu. Hiervon wiederum würde auch der wirtschaftliche Sektor direkt profitieren. Nicht- Erwerbsarbeit stellt also keine ”Beschäftigungstherapie” für Arbeitslose und Rentner dar, sondern eine Bereicherung des Lebens und eine volkswirtschaftlich wertschöpfende Tätigkeit. Ansätze der Konkretisierung Das Konzept der Tätigkeitsgesellschaft ist jedoch noch nicht komplett ausgestaltet. Zwar ist man sich einig, daß die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in Zukunft nicht mehr wie bisher mit pauschalen Programmen, sondern stärker aktivierend und unterstützend auf lokaler Ebene eingreifen sollte, zum Beispiel in Form der Finanzierung lokaler Vernetzungsagenturen, Selbsthilfegruppen und ähnlichen, im Rahmen der lokalen Agenda 21 zu entwickelnden Bürgerprojekten. Offen ist aber noch, wie die Teilhabe an den Leistungen der einzelnen Felder sowie der Übergang von einer in die andere Tätigkeit organisiert werden soll. So müssen z.B. zeitlich organisationelle Regelungen gefunden werden, die es dem Einzelnen erlauben, zum Unternehmer seiner selbst zu werden und die Tätigkeitsfelder nach individuellem Ermessen zu wechseln, wie beim Münchner Modell und dem New Work Projekt von Prof. F. Bergmann.ii New Work Beide Konzepte versuchen in Absprache mit den beteiligten Unternehmen, den Wechsel zwischen den verschiedenen Tätigkeitsformen zu erleichtern, indem die Unternehmen den Angestellten verschiedene Arbeitszeitmodelle so anbieten, daß beispielsweise die
Erwerbsarbeit (und der Lohn) im Tausch für bürgerschaftliches Engagement oder Weiterbildung reduziert wird. Der Angestellte hat die Möglichkeit, diese Zeiten zu kumulieren. Zeitgutscheine oder Lebensarbeitszeitmodelle wären weitere Varianten dieser Idee. Unterstützend werden in der näheren Umgebung der Unternehmen New Work Zentren oder Häuser der Eigenarbeit aufgebaut, in denen ihnen mit Rat und Tat beim Erlernen neuer Fähigkeiten oder beim Herstellen eigener Produkte geholfen wird. In eine ähnliche Richtung geht auch G. Schmids Vorschlag der Übergangsarbeitsmärkte.iii Die Teilhabe an Leistungen und Gütern ist bei diesen Konzepten aber immer noch an den Erwerb und Besitz von Geld gebunden. Um es jedem zu ermöglichen, sich so zu engagieren, wie er es möchte, ohne durch finanzielle Restriktionen, zum Beispiel aufgrund von Arbeitslosigkeit eingeschränkt zu werden, bedarf es also auch neuer Modelle der Verteilung materieller Ressourcen. Neue Teilhabemodelle Eines der in diesem Zusammenhang häufig zitierten Modelle ist das des Bürgergeldes. Es handelt sich dabei der Idee nach um ein Steuer- und Sozialleistungssystem aus einem Guß, kombiniert mit einer Art Subvention für Niedriglohnjobs. Liegt das Einkommen eines Bürgers also oberhalb einer bestimmten Grenzsumme, zahlt er Steuern, liegt es darunter bekommt er Geld vom Finanzamt. Der Übergang von Sozialhilfe in Beschäftigung soll so erleichtert und attraktiver werden. Prinzipiell wird gefordert, daß die ausgezahlten Summen groß genug sein müßten, um ein ausreichendes Maß an Selbstgestaltung und somit sozialem Engagement zu ermöglichen. Eine andere Möglichkeit ”neuer Teilhabe” wäre die Stärkung der ”stake-holder-society” Idee. Hierbei geht es im Grunde darum, die staatlich finanzierten Sozialmittel durch eine Beteiligung der Arbeitnehmer an den Aktien ihres Unternehmens zu ergänzen und zu entlasten oder, manch radikaler Forderung nach, sogar ganz zu ersetzen. Die Arbeitnehmer würden so an den Kapitalgewinnen ihres Unternehmens beteiligt, auch wenn sie selbst gerade nicht erwerbstätig sind. Während die genannten Modelle darauf abzielen die bestehenden materiellen Ressourcen so zu verteilen, daß auch nichtmarktfähige Tätigkeiten ermöglicht werden, beschreiten die sogenannten LETs (local exchange trading systems), auch Tauschringe genannt, einen anderen Weg: sie schaffen eine kleinräumige Parallelwirtschaft, in der alle Tätigkeiten marktfähig gemacht werden. Über eine Vermittlungsagentur bringt man Angebot und Nachfrage privater
Haushalte zusammen. Statt aber in Geld werden die geleisteten Arbeit in speziellen internen Verrechnungseinheiten abgegolten. Jeder Teilnehmer hält ein Konto, auf dem von der Agentur seine Leistungen gutgeschrieben beziehungsweise sein Konsum abgezogen wird. Grundlegender Denkfehler der Ansätze Zum einen lassen sich natürlich spezielle modellinhärente Detail-Probleme ausmachen. Beim Bürgergeld stellt sich unter anderem die Frage, wie die Bemessungsgrundlage für den Vermögensbetrag aussehen soll, von dem an Bürgergeld gezahlt wird oder worin der prinzipielle Unterschied zur Sozialhilfe besteht. Die Anreizfunktion zu mehr bürgerschaftlichem Engagement ist ebenfalls zu bezweifeln, wenn Bürgergeld letztlich jedem unabhängig von seinem konkreten Einsatz in ausreichender Höhe zusteht. Bei den Tauschringen stellen sich naturgemäß andere Probleme: So ist nicht klar wie der Übergang zwischen dieser regionalen Parallelwirtschaft und dem allgemeinen Markt hergestellt werden soll, die Verrechnungseinheiten der meisten Tauschringe sind nicht kompatibel und sie bilden stark abgeschottete soziale Netze unter anderem bedingt durch die Notwendigkeit einer zentralen Vermittlungsagentur, die dazu zwingt, aus organisatorischen Gründen die Mitgliederzahlen klein zu halten. Das Hauptproblem bei allen Vorschlägen liegt unseres Erachtens nach jedoch darin, daß man der Erwerbsarbeit und dem monetären Sektor immer noch Priorität einräumt und ihre spezielle Struktur auf die anderen Tätigkeitsfelder überträgt. Die Teilhabe an materiellen Ressourcen ist an den Erwerb, beziehungsweise Besitz, von Geld oder einer Alternativwährung gekoppelt. Letztlich verfährt man also so, als ob es sich bei den Tätigkeiten im quartären Sektor um monetarisierbare Dienstleistungen handeln würde, für deren Erbringung man entweder direkt (LETs) oder vom Staat entlohnt wird. Bei einer Auszahlung von Bürgergeld gegen den Nachweis einer bestimmten Stundenzahl sozialer Tätigkeit würde man beispielsweise nicht die spezifisch soziale Qualität, sondern ein Zeitintervall als Referenz nutzen. Warum aber sollte ein ökonomisch denkendes Individuum (und das liegt einem solchen Verfahren immer noch zugrunde) besonderes Engagement in eine Tätigkeit investieren, wenn es doch nur darum geht nachzuweisen, daß es diese Tätigkeit über eine bestimmte Zeitdauer verrichtet hat? Das Tauschmedium Geld funktioniert ja gerade deshalb so gut, weil es sich der Quantifizierung bedient und somit universell anerkannt bestimmte Güter und Leistungen standardisiert, vergleichbar macht und individuelle Qualitäten negiert. Es senkt daher die Transaktionskosten von Verhandlungen für diese Güter
und Leistungen. Oder um es etwas plastischer auszudrücken: man redet über Zahlen, die man gemäß mathematischer Regeln verändert und nicht über Arbeitnehmer und deren individuelle Qualitäten. Eine solche Quantifizierung ist bei einigen sehr relevanten Dingen aber gar nicht möglich. Sie ähnelt der Quadratur des Kreises. Die Tätigkeiten im quartären Sektor gehören hierzu. Sie leben geradezu davon, daß sie nicht quantifiziert werden, wie zum Beispiel die Leistungen einer Mutter, freundschaftliche Beratung und Unterstützung, politisches Engagement etc. Versucht man es dennoch, werden sie nicht mehr erbrachtiv. Die empirische Basis ist hier zwar noch sehr schwach, es gibt jedoch einige Hinweise die dieses zu bestätigen scheinen. So hat Richard M. Titmuss untersucht, warum die Menge und Qualität von Blutspenden in den USA im Vergleich zu Großbritannien in den 60er Jahren so enorm abnahm. Lange Zeit wurden in den Vereinigten Staaten Blutspenden ohne jede Gegenleistung erbracht, das heißt die Spender leisteten einen Beitrag, ohne einen direkten, materiellen Vorteil davon zu haben. Nachdem man dazu übergegangen war, Blutspender zu bezahlen, in gewissem Sinne also einen Markt für Spenderblut eingerichtet hatte, mußte man feststellen, daß das Spendevolumen zurückging und es sogar zu ”professionellen” Spendern (meist aus den ärmeren Bevölkerungsschichten) kam. Richard M. Titmuss nimmt nun aufgrund seiner Befragungen an, daß die Kommerzialisierung, die soziale Anerkennung und das ”gute Gefühl zu helfen” als Motivation abgelöst hat und daß dies auf alle gesellschaftlichen Bereiche übertragbar sei. Ähnliches ist auch aus dem Sportbereich bekannt: Stellen die Vereine vermehrt hauptberufliche Übungsleiter ein, kommt es bei den ehrenamtlichen zu dem Gefühl weniger geachtet zu werden. Sie sehen die Hauptberuflichen als Konkurrenz um soziale Anerkennung und die Möglichkeit sich selbst zu verwirklichen. Außerdem zerfällt die kooperative Arbeitsform zugunsten einer um sich greifenden Professionalisierung. Die Aufgaben werden nun gebündelt den Hauptberuflichen übertragen.v, ganz nach dem Motto: ”die erhalten Geld, also sollen die es auch erledigen, ich werde sie nicht auch noch kostenlos unterstützen.” Die theoretische Grundlage des Problems Theoretisch läßt sich der dargestellte Zusammenhang wohl am ehesten als Problem bei der Herstellung öffentlicher Güter (Kollektivgüter) im Rahmen der ökonomischen Theorie reformulieren.
Dieses Problem bestand bisher immer darin, daß es aus Sicht der neoklassischen Ökonomik irrationalen Verhaltens der Wirtschaftssubjekte bedurfte, damit sie diese öffentlichen Güter erzeugten. Von der Nutzung öffentlicher Güter wie Demokratie, saubere Umwelt, Marktwirtschaft kann niemand ausgeschlossen werden, sobald sie hergestellt wurden, egal ob man einen Beitrag geleistet hat oder nicht, andererseits kann der Eigenanteil am Zustandekommen des Gutes nicht ermittelt werden. Individuell ökonomisch rational wäre es daher das öffentliche Gut zu nutzen ohne selbst einen Beitrag zum Zustandekommen des Gutes zu erbringen (Trittbrettfahrerverhalten). Da es sich um nicht eindeutig zurechenbare und quantifizierbare Beeinflussungen handelt, ist eine Lösung nur möglich, wenn die Wirtschaftssubjekte kooperativ sind, insofern, als daß sie auf mögliche Vorteile durch strategisches Nutzen ihrer Informationen und Möglichkeiten verzichten, im Sinne der Wirtschaftstheorie also irrational handeln. Die in den letzten Jahren festzustellende Konvergenz von Soziologie, Psychologie und Ökonomie hat auch hier zu neuen Erkenntnissen geführt. Erweitert man nämlich die Basis der Annahmen, so zeigt sich, daß es sehr wohl rational sein kann einen Beitrag zu leisten. Heinz Holländer geht davon aus, daß Menschen Beiträge zur Erstellung öffentlicher Güter leisten, um dadurch soziale Anerkennung zu finden.vi Sie handeln also insofern rational, als sie ihren Gewinn in Form sozialer Anerkennung maximieren. Er greift dabei unter anderem auf Gedanken der soziologischen Austauschtheorien zurück Diese besagen, daß man mit anderen kooperiert, um dadurch seine Bedürfnisse besser befriedigen oder seine Ziele besser erreichen zu können, beziehungsweise um eine intrinsische Belohnung zu erfahren, beispielsweise ein ‘gutes Gefühl’ wenn man Schwächeren hilft. Trotz der Nähe zur ökonomischen Theorie beschränkt sich Austausch somit nicht auf die rein wirtschaftliche Interaktion, sondern diese ist vielmehr nur eine der möglichen Austauschformen: man tauscht Ideen oder Gefühle aus, Nachbarn helfen sich gegenseitig etc. Der Austausch ist daher auch nicht rein rational, sondern ebenso von irrationalem oder normgesteuertem Verhalten geprägt. Holländer unterstellt nun, daß ein Individuum ein anderes sozial belohnt, auch wenn dessen Beitrag die Kollektivgutversorgung nur unwesentlich verbessert. Dies erfolgt durch einen Verallgemeinerungseffekt: was wäre, wenn alle so handelten? Dadurch führt zwar eine Erhöhung der Beiträge aller zu einer besseren Kollektivgutversorgung, auf der anderen Seite verringert sich die Anerkennung, die jeder einzelne für seinen Beitrag erhält. Um das gleiche Maß an Anerkennung zu erhalten, müssen nun höhere Beiträge geleistet werden. Holländer kann desweiteren zeigen, daß dieses Konzept die Trittbrettfaher-Option unattraktiv macht.
Allerdings kann Anerkennung ja in verschiedenster und diffusester Form vermittelt werden.vii Um den gewünschten Effekt zu erzielen, bedarf es daher zuerst einer konkreten Beziehung zwischen Geber und Empfänger. Beide müssen also eine Art relationalen Vertrag eingehen und dadurch klar identifizierbar werden Konsequenzen für die Tätigkeitsgesellschaft: fuzzy money Die starke Selektivität des Mediums Geld führt dazu, daß die zwar wertschöpfenden und für das Marktsystem grundlegenden, aber nicht quantifizierbaren Tätigkeiten außerhalb der Erwerbsarbeit nicht bewußt gesellschaftlich organisiert werden können - es ist quasi auf einem Auge blind. Da aber angesichts der Individualisierung nicht mehr darauf vertraut werden kann, daß das soziale Kapital einer Gesellschaft naturwüchsig vorhanden ist, sondern bewußt hergestellt werden muß, schlagen wir vor, nicht nur den Arbeits- und Wertschöpfungsbegriff sondern damit einhergehend auch das Austauschmedium Geld zu erweitern. Um die nicht quantifizierbaren Tätigkeiten zu organisieren, bedarf es eines Mediums, das diesen besonderen Leistungen entspricht, also mit individuell zuschreibbarer, sozialer Anerkennung und Sanktionierung agiert. Bei unserem Vorschlag eines fuzzy money, wird ein universell anerkanntes Symbol sozialer Anerkennung für bestimmte Handlungen überreicht (sozusagen Geld ohne Zahlenwert bzw. ein universelles Freundschaftsgeschenk). Auf diese Weise geht man praktisch einen relationalen Vertrag ein; eine Beziehung wird hergestellt. Die inhaltliche Ausgestaltung wird anders als beim standardisierenden Medium Geld jedoch nicht präjudiziert. Das Überreichen eines Fuzzies kann Dankbarkeit für eine Hilfe- oder Dienstleistung, Zufriedenheit mit dieser, Wunsch nach intensiverem Kontakt, aber auch das Versprechen noch ”etwas gut” zu haben, bedeuten. Es entsteht ein auf das Individuum bezogenes, soziales Netz von Leistung und Verpflichtung zur Gegenleistung. Im Sinne der genannten theoretischen Grundlagen, kann fuzzy money in der Mitte eines Kontinuums zwischen diffuser sozialer Anerkennung über enge freundschaftliche Beziehungen und Interaktionen bis hin zu stark standardisierten, anonymen und geldvermittelten Transaktionen verortet werden. Der universelle Charakter des Tauschmediums, verhindert die Abschottung sozialer Netze, indem es eine gemeinsame Interaktionsbasis für alle Mitglieder einer Gesellschaft bildet Es erleichtert die Kontaktanbahnung und die Aufnahme einer Tauschbeziehung dadurch, daß jedem klar ist, was ein Fuzzie bedeuten kann. Die Transaktionskosten werden so zwar auch
gesenkt, jedoch nicht in dem starken Maße wie es beim Geld der Fall ist. Da es sich bei den mit fuzzy money zu ”erwerbenden” Leistungen eben um eine ganz andere Art als bei den mit Geld zu erwerbenden Gütern handelt, könnten beide parallel existieren. Dies wird besonders klar, wenn man an einen fiktiven Güterkauf in einem Einzelhandelsgeschäft denkt. Zwar bezahlt man die Ware mit der entsprechenden Geldsumme, es spricht jedoch nichts dagegen, auch zusätzlich ein Fuzzie zu überreichen, wenn man beispielsweise sehr von der freundlichen Bedienung angetan war.viii Man kennt dies bisher vor allem von Trinkgeldern in Restaurants. Es ist jedoch erstens nicht in jeder Branche üblich und angebracht und zweitens entsteht die übliche Frage, die meistens entsteht, wenn man versucht solche qualitativen Elemente zu quantifizieren: war die Freundlichkeit nun genau diesen Betrag wert oder nicht? Umgekehrt wäre es denkbar, daß man Güter und Leistungen für Fuzzies erhält: bei Nachbarschaftshilfe, aber auch in Unternehmen, die ihren Angestellten Gehalt gegen eine bestimmte Menge Fuzzies auszahlen, die diese in ihrem freien Jahr gesammelt haben. Oder aber man zahlt Bürgergeld gegen Vorlage einer definierten Fuzziessumme. Dies mag nun scheinbar dem oben Gesagten hinsichtlich der Quantifizierung widersprechen und man muß hier auch tatsächlich genau beobachten, ob es zu negativen Effekten kommt. Der Unterschied zwischen Geld und Fuzzies besteht an dieser Stelle aber darin, daß weder eine Verpflichtung jemandem ein Fuzzie für eine Leistung zu überreichen, noch eine genaue Zuordnung einer bestimmten Fuzzie Menge zu einer Leistung existiert (anders als beim Markt-Preis für eine geldwerte Leistung). Wann man wem wieviel wofür gibt ist völlig offen und nur abhängig vom eigenen Empfinden. Eine freundliche Bedienung mag mir an einem Tag ein Fuzzie wert sein, an einem anderen nicht. Eine Monetarisierung sozialer Anerkennung ist daher auch dann unwahrscheinlich, wenn hieran die Verteilung materieller Ressourcen gekoppelt wird. Das Fuzzy-Money-Konzept entspricht nicht der sozialromantischen Vorstellung einer natürlich gewachsenen, emotional aufgeladenen Freundschaft oder Gruppe, in der man sich ganz selbstverständlich hilft und unterstützt, es macht vielmehr die Beziehungsebene im Sinne des Kommunikationsmodells F. Schulz von Thunsix bewußt kommunizier- und damit vernunftgemäß handhabbar. Damit kommt es den Anforderungen einer individualisierten Gesellschaft allerdings weitaus besser nach als das jetzige System. Die Fuzzy-Money-Idee darf aber auch nicht mißverstanden werden. Sie ist gedacht als Ergänzung im Rahmen des oben skizzierten Modells einer Tätigkeitsgesellschaft, nicht als Alternative zu Geld oder Erwerbsarbeit. Und selbst in der Tätigkeitsgesellschaft dient fuzzy money lediglich dazu, die Bereiche gestaltbar zu machen, die mittels Geld nicht gestaltet
werden können. Die erwähnten neuen zeitlichen Regelungen und neuen Teilhabeformen werden damit nicht obsolet. Doch im Sinne von: ”Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist...”, bleiben sie auf den Marktsektor beschränkt. i Dahrendorf,R.: Die Chancen der Krise Stuttgart 1982 / Arendt, H.: Vita Activa oder Vom tätigen Leben Stuttgart 1960 ii Mutz, G: Strukturen einer Neuen Arbeitsgesellschaft. Der Zwang zur Gestaltung der Zeit in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 9/99 26.2.1999 S.3-11 iii Schmid,G.: Übergänge in die Vollbeschäftigung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 12-13/94 iv Titmus R.M.: The gift relationship London 1970 v Jütting,D,H./Strob, Burkhard: Die Aufgabe und Stellung der Übungsleiterin im Sportverein. Konsequenzen für die Ausbildung. in: D.H.Jütting(Hg.): Die Ausbildung der Übungsleiterinnen als qualifizierte Lainnen:Frankfurt a.M. 1992 S. 217-243 vi Holländer, H.: A Social Exchange Approach to Voluntary Cooperation. American Economic Review Vol 80 No.5 December 90 S.1157- 1167 vii Franck,G.: Ökonomie der Aufmerksamkeit München, Wien 98 viii Hier sei auf ähnliche Ideen aus dem Bereich des Beziehungsmanagements und der Kundenbindung in der Betriebswirtschaftslehre verwiesen. ix Schulz v. Thun,F.: Miteinander reden.1 Störungen und Klärungen. Reinbek 1981
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