Auf Sand gebaut - missio München
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VOR ORT ÄGYPTEN INDIEN Auf Sand gebaut 2,5 Millionen Menschen mehr zählt Ägypten jedes Jahr. Viele von ihnen zieht es nach Kairo mit seinen künstlichen Satellitenstädten, die aus dem Wüstenboden gestampft werden. Doch die goldenen Zeiten gelten für die wenigsten Ägypter. Knapp zehn Jahre nach dem gescheiterten Arabischen Frühling bleibt vom Aufwind nichts als eine vage Erinnerung. Unterwegs in einem Land, in dem die Regierung die Menschenrechte verletzt und eine Kirche versucht, ihren Platz zu finden. TEXT: KRISTINA BALBACH | FOTOS: FRITZ STARK 30 | missio 2/2020 missio 2/2020 | 31
VOR ORT ÄGYPTEN 20-Millionen-Megacity wächst täglich weiter. Städteplaner aus der ganzen Welt arbeiten der Landflucht und dem rasan- ten Bevölkerungswachstum des Landes von bis zu 2,5 Millionen Menschen jähr- lich entgegen. Ganze Städte entstehen auf dem Reißbrett und werden vor den Toren Kairos der Wüste abgerungen. Das aktu- ellste Projekt: New Capital. Die Retorten- stadt soll knapp 50 Kilometer östlich von Kairo die neue Hauptstadt mit Regie- rungs- und Bankenviertel werden. Doch die künstlichen Welten auf den Plakaten wirken vor dem Hintergrund der Wüs- tenlandschaft wie eine Fata Morgana. Vielmehr erheben sich gesichtslose Wohn- blöcke bis zum Horizont, während an den Stadträndern die informellen Siedlungen weiterwachsen. Michael ist dennoch stolz darauf, dass er es hierher geschafft hat, in die Siedlung Abnee Baitak nahe der 6th of October City, einer dieser künstlichen Satelliten- städte, benannt nach dem Tag der ägypti- schen Streitkräfte. Zufrieden pflückt er eine noch grüne Feige vom Baum, der sich durch den Asphalt kämpft, und schenkt sie den Besuchern. Alles wird gut werden, da ist er sich sicher. Und tatsäch- Utopia, Gated Community oder das Gelobte Land? Die Werbeplakate versprechen den Menschen in Ägypten eine goldene Zukunft. lich hat Familie Shokry schon einiges Priester Rofael Fausy will Infrastruktur schaffen. DIE AUSSICHT vom Balkon ist Die Realität: Massen an Wohnblocks sollen Landflucht und Bevölkerungswachstum entgegenwirken. atemberaubend: eine weite, palmenge- säumte Landschaft, in der Mitte künstli- che Lagunen. Auf grünen Wiesen spielen Kinder. Im Hintergrund erheben sich Wolkenkratzer in den blauen Himmel und erzählen von Erfolg und Geld. Wenn Jakleen und ihr Mann Michael Shokry auf den Plastikstühlen hinter ih- rem Reihenhäuschen sitzen, blicken sie auf die nächste ockerfarbene Wand. Oder in den vom Wüstensand gelb gefärbten Himmel. Nein, die Familie Shokry hat die oasenhafte Stadt nicht gefunden, die auf einer der unzähligen riesigen Plakate ent- lang der staubigen Ausfallstraßen Kairos angepriesen wird. Und wenn, dann hät- ten sie den Eintritt nicht bezahlen kön- nen. Tatsächlich sind die Versprechen für eine goldene Zukunft aller Ägypter groß, wenn nicht überdimensional. Denn die 32 | missio 2/2020 missio 2/2020 | 33
VOR ORT ÄGYPTEN Michael Shokry (30) verspricht sich in der Satellitenstadt ein besseres Leben. Die Nähe zur Kirche hilft. Stromversorgung. Michael arbeitete hart. Er fand eine Stelle als Buchhalter bei ei- ner großen Firma. Dass seine Kinder in Imbaba keine Zukunft haben würden, wusste der Familienvater sofort. Seit wenigen Monaten lebt die Familie in Abnee Baitak, was auf deutsch so viel bedeutet wie „Bau dein Haus“. Die meis- ten Gebäude sind noch im Rohbau oder unbewohnt. Die sandigen Straßen sind menschenleer. Michael nimmt als Pend- ler einen weiten Weg in Kauf, denn hier draußen gibt es keine Jobs. Eine Bahnli- hinter sich. Wie viele andere Ägypter ver- nie nach Kairo soll kommen, erzählen ließ der heute 30-Jährige vor wenigen sich die Menschen. Keiner weiß, wann. Jahren mit Frau, Kindern und seinen El- Für die 29-jährige Jakleen ist es dennoch tern sein Dorf in Oberägypten in Rich- das Paradies: „Die Luft hier draußen ist tung Kairo. Die Stadt lockte mit Fort- viel besser, und es ist ruhiger für die Kin- schritt, mit Arbeit, einem besseren Leben. der. Es gibt schon eine Schule, nicht weit Doch wie viele andere Landflüchtlinge von hier.“ Und bald ein kleines katholi- strandete die Familie in Imbaba, dem sches Pfarrzentrum mit Kirche. Auch das Verblasste Erinnerung: An der Mauer der Amerikanischen Universität nahe des Tahir-Platzes sind die meisten Märtyrer des Arabischen Frühlings übermalt. großen Elendsviertel mit seinen engen war für Familie Shokry ein wesentlicher Gassen und der schlechten Wasser- und Grund, hierherzuziehen. „Als Katholiken fühlen wir uns in der Nähe der Kirche si- anfühlt, anders zu sein als die Mehrheit. Schutz und gleichzeitig unter Beobachtung: Wo Christen wirken, sind Militär und Polizei abgestellt (hier in Ismailia, nahe der Sinai-Halbinsel). cher“, sagt Michael. Er erinnert sich an die Monate nach dem Am Samstag lenkt Rofael Fausy sein gescheiterten Arabischen Frühling 2011, Auto vorbei an den endlosen Wohn- als die Muslimbrüder die Regierung stell- blocks. Der Priester will Familie Shokry ten. „Wir konnten kaum das Haus verlas- besuchen. Und auf der Baustelle vorbei- sen. Wir hatten Angst um unser Leben schauen. Von der Kirche stehen erst die und um die Identität unserer Heimat Außenmauern. Im Raum nebenan sta- Ägypten.“ Heute fühlt er sich sicher. peln sich ein paar Stühle. Father Rofael ist Wenngleich er weiß, dass das nicht jeder ungeduldig. Er will endlich hier wohnen in diesem Land tut. „Als Kirche können und arbeiten. Er rechnet damit, dass wir jetzt wieder für die Menschen in schon bald viele Menschen zuziehen wer- Ägypten arbeiten“, sagt er und betont: „für den. Und er hat Ideen für diese Siedlung Alle“. Zum Beispiel die Berufsausbildung im Nirgendwo, zum Beispiel die kleine für Frauen auf dem Land voranbringen. medizinische Versorgungsstation. „Jetzt Oder Schulen bauen. Bischof Bakhoum gehen die Dinge wieder voran für die Kir- reicht Bauanträge beim Ministerium ein. che“, sagt er zufrieden. Ob diese genehmigt werden, hängt aller- Dass es schon einmal anders war, da- dings davon ab, über wessen Schreibtisch von zeugt das von der Polizei bewachte sie gehen. Bakhoum erzählt entspannt. Er katholische Sozialzentrum Sheraton im kennt das Spiel schon zu lange. Als Christ Osten Kairos. Hier arbeitet Bakhoum in Ägypten ist er auf das Wohlwollen sei- Hany Kiroulos Tür an Tür mit behinder- nes Gegenübers angewiesen. ten Menschen, die im geschützten Rah- Rund 90 Prozent der gut 100 Millio- men der Einrichtung ein möglichst selbst- nen Menschen in Ägypten sind Muslime. bestimmtes Leben führen können – was ihnen in vielen Teilen Ägyptens bis heute Weihbischof Bakhoum: „Wir hatten Angst verwehrt ist. Der Weihbischof weiß aber auch aus eigener Erfahrung, wie es sich um unser Leben und um die Identität Ägyptens.“ 34 | missio 2/2020 missio 2/2020 | 35
VOR ORT ÄGYPTEN „Polizei und Militär sind an eurer Seite”: zweifelhafte Versprechen des Präsidenten al-Sisi, Kiroulos Rezk (Mitte) träumt vom Leben in Europa, und die Megacity Kairo bedrängt das Ägypten des Altertums. Mit neun Prozent sind die mehrheitlich gerreporter und Blogger, sitzen in Ge- Ein Ort, an dem sich für Merit Thar- er. Amr Salehs Vater ist Sufi-Scheich, die MISSIO FÖRDERT MEINUNGSBILDUNG koptisch-orthodoxen Christen in der fängnissen in China ein, gefolgt von wat (21) und Ashras Samy (29) zumin- ganze Familie tief verwurzelt in einem Minderheit. Präsident Abdel Fattah al- Ägypten und Saudi-Arabien. dest für den Moment alles richtig anfühlt, spirituellen Islam. Als er sich eines Tages Menschen unterschiedlichster Religionen Sisi regiert das Land mit harter Hand, seit ist der alte Friedhof im Koptischen Vier- ein Herz fasste, um in der bekannten Bi- zusammenbringen, Menschenrechte the- er sich 2013 mit Hilfe des Militärs an die WhatsApp-Anrufe sind blockiert tel von Kairo, der besonders an den Wo- bliothek des Dominikanischen Instituts matisieren, Frauen bestärken – die von mis- Macht geputscht hat. Christen versprach Einer, der anders denkt, ist Kiroulos Rezk. chenenden verliebten Pärchen und jun- in Kairo nach einem seltenen Buch zu su- sio München geförderte ökumenische Fern- er Chancengleichheit und Schutz vor Is- Mit Weihbischof Bakhoum Kiroulos teilt gen Familien als Flaniermeile dient. chen, entspann sich eine tiefe Freund- sehstation SAT-7 strahlt seine Programme lamisten. Umso mehr schmerzt es den er den offensichtlich christlichen Namen, Gleich hinter der U-Bahn-Station Mar schaft zu einem Dominikaner. Und die unter anderm von Kairo aus in den gesam- überzeugten Christen Bakhoum, dass was ihm an der Uni und im Alltag immer Girgis beginnt in den von der Polizei weckte sein Interesse am Christentum. Merit Tharwat und ten arabischsprachigen Raum. Bedeutendes Bürger- und Menschenrechte in Ägypten wieder Nachteile beschert, wie er sagt. Mit schwer bewachten engen Gassen das Erbe Heute ist der Pädagoge der erste Dozent Ashras Samy Gesicht des Senders ist die ägyptische nicht für alle gelten. Dass es sich die Kir- der Kirche hat er nicht viel zu tun, erzählt einer Kirche, die im ersten Jahrhundert der Al-Azhar mit einem Vatikanischen Moderatorin und Filmemacherin Maggie che als Verteidigerin der Menschenrechte der Wirtschaftsstudent, während er das nach Christus ihre Wurzeln schlug. Mehr Diplom der Päpstlichen Universität Ur- Morgan (45). „Ein Wandel in den Köpfen der in diesem Vakuum einrichten muss, Auto gelassen durch den niemals enden- als 20 Gotteshäuser drängen sich hier baniana in der Tasche. Seine Kollegen ru- Menschen ist möglich – das sagen wir jede wohlwissend, dass auf der anderen Seite den Stau in Kairo-Downtown lenkt. Frust auf einem Quadratkilometer. Ihr Glaube fen ihn scherzhaft „Abuna“, nach der An- Woche durch die Kamera.” Dennoch müssen Repression, Folter, Verschleppung und bereitet ihm nicht der Verkehr – eher seine spielt im Alltag für sie keine Rolle, beto- rede für hohe kirchliche Würdenträger. die Themen der Live-Sendungen von Mor- Todesurteile stehen. Wer anders denkt, ist geplatzten Träume von einem Leben au- nen die beiden. Trotzdem kommen sie In Wahrheit bewundern sie seinen Mut, gan im Vorfeld sensibel geplant werden. in Gefahr. Das zeigt auch die aktuelle Bi- ßerhalb Ägyptens. Die Beziehung mit sei- ausgerechnet hierher, um zwischen Tou- in beiden Welten zu Hause zu sein. Er Gerät eine Show zu politisch, könnte das lanz der Organisation Reporter ohne ner deutschen Freundin hat nicht lange risten und Gläubigen im Café am Ein- lehrt Nicht-islamische Religionen und für die Sendung das Aus bedeuten. Grenzen. Die Hälfte aller weltweit inhaf- gehalten. Jetzt verdient er sich sein Geld gang zum Friedhof eine Cola zu trinken. Vergleichende Religionslehre – und weiß tierten Journalisten, darunter viele Bür- als Fahrer für einen US-amerikanischen „Zwischen uns Christen und Muslimen dennoch: „Der interreligiöse Dialog Dienstleister. „Das Militär ist die Regie- besteht doch keine wirkliche Beziehung“, bleibt eine Lüge, wenn man ihn nicht mit rung und sie kontrollieren die sozialen winkt die Englischstudentin Merit ab. Leben füllt.“ Medien. Probiert es doch aus, WhatsApp- Darum geht Amr Saleh heute in die In beiden Welten zu Hause: „Abuna“ Anrufe sind blockiert“, bricht es aus ihm Den interreligiösen Dialog in die Dörfer seiner Heimat, nach Oberägypten, Amr Saleh lehrt an der islamischen heraus, nachdem er sich versichert hat, Dörfer tragen wo die Analphabetenrate und die Arbeits- dass das missio magazin ausschließlich Einer, der das nicht so stehen lassen will, losigkeit hoch sind. Und wo Islamisten ei- Al-Azhar-Uni über Grenzen hinweg. auf deutsch erscheint. „Aber die meisten ist Amr Saleh. Und es verlangt ihm viel nen hohen Rückhalt bei den Menschen Menschen hier wollen gar nicht mehr ihre ab, das gibt er zu. Der 37-Jährige könnte genießen. Dahin, wo auch Jakleen und Stimme erheben. Sie haben genug Pro- jetzt auch bei seiner Frau in Nord- Michael Shokry lebten, bevor das ver- bleme damit, wo sie morgen arbeiten oder deutschland sein, seine drei Kinder in den meintlich bessere Leben in der Satelliten- ob das Geld für die Familie reicht. Und für Kindergarten und zur Schule bringen. stadt lockte. Menschen unterschiedlichen die Christen ist es doppelt schwierig. Als Stattdessen lehrt er viele Monate im Jahr Glaubens sollen dort miteinander an Pro- Minderheit stehen sie hier im Fokus – und an der Al-Azhar-Universität in Kairo, ei- jekten arbeiten, gemeinsam Veränderung wenn sie nach Europa gehen, dann sind ner der ältesten islamischen Hochschulen gestalten. Damit die Zukunft keine Fik- sie die ungeliebten Araber.“ der Welt. „Ich werde hier gebraucht“, sagt tion auf einem Werbeplakat bleibt. A 36 | missio 2/2020 missio 2/2020 | 37
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