AUS DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND HOCHSCHULE NR. 124|01 2020 - KU.edoc

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AUS DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND HOCHSCHULE NR. 124|01 2020 - KU.edoc
AUS DER HAUP TABT E IL UNG   S CHUL E UND HO CHS CHUL E N R . 1 24 | 0 1·2 0 2 0
AUS DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND HOCHSCHULE NR. 124|01 2020 - KU.edoc
NR. 124| 01·2020

     INHALT                                  EDITORIAL

 
ZUR AKTUELLEN AUSGABE          02–03     Sehr geehrte Damen und Herren,
                                          liebe Religionslehrerinnen und Religionslehrer,
Editorial02
Zum Heft und Gedanken zum Titelbild 03
                                          was für eine Zeit! Jetzt, Mitte März, schreibe ich Ihnen,
BASISARTIKEL04–07                        während gerade alle Schulen und andere Einrichtungen
                                          geschlossen wurden. Vor wenigen Tagen war das noch
Kreative Selbsterzählungen
                                          unvorstellbar. Wenn Sie diese Zeitschrift in den Händen
                                          halten, werden möglicherweise weitergehende Maßnah-
GEISTLICHE                                men ergriffen worden sein, um die Verbreitung des neu-
HINFÜHRUNG                     08–09     artigen Corona-Virus einzudämmen. Neuartig. Nicht nur
                                          das Virus selbst ist es, sondern auch die Auswirkungen auf das gesellschaftliche
PRAXISBEITRÄGE10–27                      Leben, unseren Alltag, unsere Familien sind neuartig. So etwas haben wir alle
                                          wahrscheinlich noch nicht erlebt.

SCHULPASTORAL28–29                       Digitales. Weder als Lehrerinnen und Lehrer noch in ihrem privaten Umfeld wer-
                                          den Sie darauf verzichten können, digital zu sein … digital zu kommunizieren,
KATHOLISCHE SCHULEN            30–31     digital Termine zu planen, digital Arbeitsmaterialien zu suchen, sich vorzube-
                                          reiten und digital zu unterrichten. In Zeiten, in denen Begegnungen notwendi-
                                          gerweise immer weiter eingeschränkt werden, wird das Digitale fast schon zum
WERKZEUGE UND MODULE           32–33     Segen, weil es Kommunikation, Information, ja sogar Begegnungen von (digi-
                                          talem) Angesicht zu (digitalem) Angesicht noch möglich macht.
MEDIENZENTRALE34
                                          Als Hauptabteilung Schule/Hochschule des Erzbistums Köln werden wir uns in
                                          diesem Jahr in verschiedenen Formaten der ‚Kultur der Digitalität‘ (Felix Stalder)
NACHRICHTEN/                              widmen, sei es reflektierend, sei es methodisch, sei es medienpraktisch.
INFORMATIONEN34–35
                                          Mit dem Jahresthema „DIGI:Tales. Religiöses Lernen und digitale Transformati-
                                          onen“ haben wir einen Ansatz gewählt, der das narrative Moment, das dem Digi-
GEISTLICHER IMPULS                 36
                                          talen wie dem Religiösen inne ist, zum roten Faden nimmt: Welche Geschichten
                                          (tales) werden im Netz erzählt, welche Aussagen äußere ich, äußern andere in
                                          Texten, Bildern oder Videos auf sozialen Plattformen? Welche Geschichten erzählt
     JAHRESTHEMA                          die Religion, das Christentum, die Jahrhunderte hindurch, um seine Botschaft zu
                                          verbreiten? Welche neuen Wege des Erzählens liefert die zunehmende Digitalisie-
     DIGI:Tales. Religiöses
                                          rung der Kommunikation?
     Lernen und digitale
                                          Als Religionslehrerinnen und -lehrer sind wir herausgefordert, Kinder und
     Transformationen                     Jugendliche in der Komplexität des Digitalen zu unterstützen, eine belastbare
                                          religiöse Identität herauszubilden. Und die aktuelle Lage gibt uns die Aufgabe,
                                          dies über die notwendigen Distanzen, die wir voneinander halten müssen, hin-
                                          weg zu tun. Das gilt für den Religionsunterricht genauso wie für die Pastoral: die
     HEFTTHEMEN 2020
                                          Nähe Gottes aus der Ferne betrachten. Ich danke Ihnen für Ihren Einsatz und
     01	DIGI:Tales about                 wünsche Ihnen in diesem Jahr österliche Freude, selbst wenn Sie die Osterfeiern
        me – ­Erzählungen                 nur digital erleben könnten ...
        vom Ich
     02	DIGI:Tales about
         God – Religiöse                  Dr. Bernadette Schwarz-Boenneke
                                          Hauptabteilungsleiterin
         Erzählungen
     03	DIGI:Tales about
                                          P.S.: Wie Sie merken werden, haben wir eine neue Rubrik in diesem Heft eingeführt,
         ­f uture – Erzählungen           die „Geistliche Hinführung“ zum Heftthema. Mit dieser wollen wir Ihnen Zeit und Raum
          von Zukunft                     geben, sich anhand einiger Fragen und Impulse selbst mit dem Thema vertraut zu
                                          machen, sich in Beziehung zu bringen und Position zu beziehen: Wo stehe ich dabei?
                                          Ich wünsche Ihnen gute Anregungen!

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AUS DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND HOCHSCHULE NR. 124|01 2020 - KU.edoc
INHALT | EDITORIAL | HEF T-INFOS

      ZUM HEFT

      DIGI:Tales about me – Erzählungen vom Ich ...

                                                               Social Media.
                                                               Sinn suchen, Flammen sammeln, Botschaften
                                                               verbreiten. Ignore?

                                                               Virtuelle Welten – real life.
                                                               Im Spielen begegnen, mit der Begegnung spielen,
                                                               miteinander sein. Ich?

                                                               Leben.
                                                               Neue und alte Freiheit(en), Grenzen, Druck.
                                                               Wofür?

      GEDANKEN ZUM TITELBILD
Auf dem Cover sehen wir ein Telefon. Es handelt sich um einen Neben-
stellenapparat mit Kurbelinduktor, Modell OB 33 (DRP), nach 1933,
Metallgehäuse, schwarz lackiert, Phenoplasthörer – Bestandteil der aktu-
ellen Ausstellung des Museums Kolumba in Köln mit dem Titel „1919 49
69 ff. Aufbrüche“. Das Modell besitzt keine Wählscheibe, keine Tasten,
keinen Touchscreen. Und ist doch soziales Medium. Dank der Ortsbatterie
(OB) eine recht unkomplizierte Art, in Kommunikation zu treten – ein Auf-
bruch –, allerdings nur in eine Richtung … gekurbelt, nicht gewählt.

Szenenwechsel: Der Blick auf die Via della Conciliazione vor dem
Petersdom 2005 bei der Papstwahl Benedikts XVI. und 2013 bei der Wahl
von Papst Franziskus spiegeln einen Wandel wieder: 2005 der Blick auf die
Szene, das Warten und wahrscheinlich hinterher die Erzählung des Erleb-
ten – am Telefon oder in den Sozialen Medien. 2013 das Festhalten des
Erlebten in (Bewegt)Bild und Ton, vielleicht live oder relive verbreitet über
Facebook, dem damals mit Abstand beliebtesten Sozialen Netzwerk.
27. März 2020: Urbi et Orbi. Auf dem Petersplatz nur der Papst, allein.
Segnet. Die Menschen mit ihm ausschließlich über Fernsehen und Internet
verbunden. Beten miteinander und füreinander, vor allem für diejenigen,
die von der Corona-Pandemie besonders getroffen sind. Ein Segen. Auch
digital.
Digitale Transformationen, darin: Erzählungen von Ich zu Ich.

Bildquelle Titel: Telefon. Mod. OB33 (DRP) Nebenstellenapparat mit Kurbelinduktor, nach 1933.
Metallgehäuse, schwarz lackiert, Phenoplasthörer. © Kolumba, Foto: Lothar Schnepf.
Bildquellen S. 3: 1.: Papstwahl 2005: © Luca Mora. 2.: Papstwahl 2013: © Michael Sohn

                                                                                                                                           3
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NR. 124| 01·2020

    BASISARTIKEL

                      Kreative Selbsterzählungen
                                    Identitätskonstruktionen in Social Media
                         und ihre religios- und medienpädagogische Begleitung
                                                     Von Simone Birkel

 Wann haben Sie Ihr letztes Selfie aufge-     vor und hinter der Kamera, die Spiegel-       Chancen und Grenzen
 nommen und veröffentlicht? Heute, im         funktion ermöglicht Inszenierungen            der Selbstinszenierungen
 letzten Monat oder haben Sie noch nie        und ist zugleich „Reflexionsinstrument
 ein Selfie angefertigt? Und wann haben       der Wahrnehmung und Deutung“ 1. Viele         Mit Hilfe von Selbstinszenierungen las-
 Sie zuletzt eine eigene Story in ein sozi-   äußere Einflussfaktoren bestimmen ein           sen sich auch Emotionen gut darstellen,
 ales Netzwerk eingestellt? Während es        Selfie, da der/die Fotografierende da­        besonders oft sind Glück oder ähnli-
 für viele, insbesondere junge Menschen       rum bemüht ist, möglichst authentisch,          che positive Gefühle zu sehen. Bei Ins-
­völlig normal ist, Selfies aufzunehmen       gleichzeitig aber auch möglichst perfekt      tagram finden sich beispielsweise unter
 und sich in sozialen Netzwerken zu ins­      und schön abgebildet zu sein. Anhand            dem Hashtag #happy über 560 Mio. Ein-
 zenieren, sehen manche Zeitgenossin-         eines Selfies lassen sich Aussagen über       träge, verwandte Hashtags sind #smile,
 nen und -genossen der inflationären          die Fotografin / den Fotografen treffen,       ­#friends, #life, #me und #love. Ob es sich
Verbreitung von Self-Stories mit Skepsis      beispielsweise zur Identität, der Soziali-      dabei immer um authentische Gefühle
 entgegen. Sie beurteilen die darin ent-      tät, dem Verständnis von Glück und Sinn.        handelt oder ob die Settings inszeniert
 haltende Selbstinszenierung kritisch         In der Regel können diese Bilder insbe-       werden, um solche herbeizuführen, kann
 und vermuten bei häufigen Postings           sondere von Jugendlichen, die in einer        nicht immer mit Sicherheit nachvollzo-
 unterschwellig narzisstische Züge. Hin-      ikonisierten Welt aufwachsen, meist sehr        gen werden. Immerhin lassen sich in
 tergrund dieser unterschiedlichen Wahr-      schnell verstanden, dechiffriert und de-        der Forschung vier Dimensionen aus-
 nehmungen sind unter anderem unter-          codiert werden. Oft sagt ein (Selbst-)Bild    machen, die mit Glück in Verbindung
 schiedliche Identitätskonstruktionen.        mehr als viele Worte. Aus diesem Grund          gebracht werden: Gemeinschaft, das
 Die Selbstinszenierungen bleiben nicht       hat sich auch eine eigene Sprache für         Festhalten von Momenten, ein beson-
 ohne Wirkung auf die religionspädago-        spezifische Selfies etabliert: belfies oder     derer Anlass und Natur bzw. die Umge-
 gische Praxis.                               footsies zeigen nur Teile des eigenen         bung.2 Je nach Nutzung und Vorlieben
                                              Körpers, wie den Hintern oder die Füße.       werden algorithmusbasierte Vorschläge
                                              Bei den nudies geht es insbesondere um        und Inhalte präsentiert und damit vor-
Selfie, das neue Genre der Selbst­            das vermehrte Zur-Schau-Stellen von             handene Ausprägungen verstärkt. Jun-
inszenierung im digitalen Zeitalter           Intimität junger Menschen, welches am-          ge Menschen überlegen in der Regel
                                              bivalent betrachtet werden muss. Die            sehr genau, ob Statussymbole wie bei-
Mittlerweile hat sich das Selfie als eige-    Grenzen zum sog. „Sexting“ sind insbe-          spielsweise bestimmte Marken-Acces-
nes visuelles Genre etabliert, das zuneh-     sondere bei Jugendlichen oft unscharf.          soires oder Werthaltungen, wie z.B. ein
mend auch aus wissenschaftlicher Pers­        Aber auch neue Trends, die mit Wort­          ­Selfie vor der Kulisse einer Friday-for-­
pektive in den Blick genommen wird.           neuschöpfungen aus Bestandteilen von          Future-Demonstration breitenwirksam
Ausgehend von den klassischen Bildpor-        sozialen Netzwerken wie beispielsweise        präsentiert werden. Hinsichtlich einer
traits bekannter Persönlichkeiten, die        ein bedstagram (also ein Selfie, welches      religionspädagogischen Beschäftigung
eine Inszenierung und damit bestimmte         im Bett aufgenommen wurde) werden             mit digitalen Selbstinszenierungen ist
Aussagen beinhalten, ist das Selfie zum       kreiert und finden zahlreiche Nachah-           es wichtig, die Ausdrucksformen junger
Massenphänomen der ikonographi-               merinnen / Nachahmer. Mit diesen For-         Menschen wahr und ernst zu nehmen.
schen Kommunikation geworden. Bei             maten werden unterschiedliche Bedürf-         Nicht selten bergen diese Inszenierun-
Selfies kann im Gegensatz zu anderen          nisse wie Entertainment, Information,           gen Chancen der Selbsterkundung und
Fotos das (Selbst-)Bild und die eigene        Inspiration, Selbstdarstellung, Kommu-         Selbsterkenntnis in sich und geben Aus-
Darstellung kontrolliert werden und eine      nikation u.a. medial bedient.                   kunft über Zugehörigkeit, Werte, Bezie-
unmittelbare Korrektur stattfinden. Der                                                       hungen, Hoffnungen und Sehnsüchte
oder die Aufnehmende steht zugleich                                                         junger Menschen.

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BASISARTIKEL

 Allerdings sind – und das darf trotz der     nerlei unerwünschte Nebenwirkungen            nologisch geordnete und sinn­      erfüllte
 Chancen nicht ignoriert werden – viele       auftreten würden. Diese idealtypischen        Selbsterzählung zielt (Lebensfilm), steht
 Kinder und Jugendliche auch anfällig für     Darstellungen können insbesondere auf         eine „UKO-Identität“ gegenüber. Diese
 die „Risiken“ der makellosen, erfolgrei-     Jugendliche mit wenig Selbstwertgefühl        Identität wird charakterisiert als „un-
 chen und perfekten Glitzerwelt. In den       deprimierend und einschüchternd wir-          mittelbar, kontextbezogen und operativ
 einschlägigen medienpädagogischen            ken. Auf der Suche nach eigener Iden-         (handlungsbezogen)“ 7. Identität in die-
 Netzwerken wird hier insbesondere auf        tität und Selbstbewusstsein sind solche       ser Perspektive ereignet sich im Hier und
 die professionell und mit hohem Auf-         Hochglanzwelten wenig hilfreich.              Jetzt und ist auf die unmittelbare Zukunft
wand produzierten Bilder vieler erfolg-                                                     hin ausgelegt. Eine Identifikation mit be-
 reicher Instagramer/innen hingewiesen.                                                     stimmten Dingen, die durch likes kund-
 Figurbetonte, sportlich durchtrainier-       Identität und Social Media.                   getan wird, kann mitunter nur eine kur-
 te und zum Teil aufwändig bearbeitete                                                      ze Zeitspanne umfassen. Allein der Blick
­Körperbilder suggerieren einen Normal-       Die Identitätssuche gehört zur spezifi-       auf die Vielzahl der oftmals ganz un-
 zustand und setzen damit junge Men-           schen Entwicklungsaufgabe junger Men-        terschiedlichen abonnierten Accounts
 schen unter Druck. Eine von der DAK in        schen. Es ist das Verdienst der Wiener       macht dies deutlich. So finden sich bei-
 Auftrag gegebene Studie der Nutzung von      Pastoraltheologin Viera Pirker, auf der       spielsweise im Instagram-Account einer
 sozialen Medien bei 12- bis 17-Jährigen      Basis sozialpsychologischer Studien von       14-Jährigen unter den rund 300 abon-
 hat ermittelt, dass Jugendliche durch-       Heiner Keupp und Jean-Claude Kauf-            nierten Kanälen Greta Thunberg, Taize-
 schnittlich rund drei Stunden (genau         mann einen Orientierungsrahmen für            travellers oder die Youtuberin Bianca
166 Minuten) in sozialen Netzwerken            die pastorale Identitätsarbeit im ­Social    Claßen. Letztere gilt als bedeutende In-
 unterwegs sind und dies Einfluss auf die     Media Bereich vorgelegt zu haben.4 Iden-      fluencerin für vorwiegend jüngere Mäd-
Entwicklung der Jugendlichen hat.3 Zwar       titätsbildung wird dabei verstanden als       chen und ist bekannt durch den Mode-,
 kann damit kein linearer Zusammenhang         ein lebenslanger Prozess, der immer als      Kosmetik- und Livestyle-­Account ‚Bibis
 zwischen einer hohen Nutzung von sozi-       Aushandlungsprozess mit der Außen-            Beauty Palace‘. Hier ist wenig Kohärenz
 alen Medien und depressivem Verhalten        welt stattfindet. Ziel der Identitätsarbeit   und Sinnzusammenhang zu erkennen,
 belegt werden, jedoch ist eine Korrelati-    ist eine Übereinstimmung bzw. Passung         im Gegenteil, erstere und letztere weibli-
 on festzustellen. Insbesondere stereoty-     zwischen Selbst- und Fremdwahrneh-            che Identifikationsfiguren verhalten sich
 pe Rollenbilder haben Auswirkung auf         mung. Nach Heiner Keupp ist das „zen-         konträr zueinander. Die Grenzen sind
 die jugendliche Identitätsentwicklung.       trale Medium der Identitätsarbeit [...]       also fließend. Was heute aktuell und in
 Derzeit finden sich unter den Top Ten         die Selbsterzählung.“ 5 Er benennt dabei     ist, kann morgen schon wieder out sein,
 der deutschen Instagramer/innen vor-         auch mögliche Einflussfaktoren: „Diese        der jeweilige Account wird trotzdem
wiegend erfolgreiche Fußballer, die sich      Selbsterzählungen werden von gesell-          nicht aus der Abo-Liste gelöscht.
 mit athletisch durchgestähltem Körper         schaftlich vorgegebenen Fertigpackun-
 präsentieren, Schmerzen bei Verletzun-       gen ebenso beeinflußt wie von Macht-          Angesichts der sozialen Netzwerke wer-
 gen werden jedoch selten gezeigt. Ab und      strukturen.“ 6 Die oben angeführten          den Identitätskonstrukte von Viera Pirker
 zu schleicht sich in die Fußballkulisse      Instagram-­Accounts können als s­ olche       als „fluide, fragil und fragmentarisch“ 8
 ein romantisch wirkendes Beziehungs-         „vorgegebenen Fertigpackungen“ für            beschrieben. Fluid deutet die Tatsache
 foto mit ein. Die Realität der bestimmt      Jugendliche identifiziert werden, auch        an, dass Mehreres gleichzeitig existieren
 nicht immer harmonischen Beziehun-           wenn diese nur einen Teil der Lebenswelt      kann und keiner Entscheidung bedarf.
 gen bleibt außen vor. Die einzigen Frau-     Jugendlicher ausmachen. Solche Teili-         Vielfältigkeit, Offenheit und Mehrdeutig-
 en in der deutschen Top-Ten-Liste sind        dentitäten werden hinsichtlich Familie/      keit sind die entscheidenden Merkmale.
 die 17-jährigen Zwillinge Lisa und Lena.     Partnerschaft, Ausbildung bzw. Arbeit         Menschen wollen sich nicht festlegen
 Sie sind durch ihre sog. ­„Lip­syncvideos“   und Freund*innen und Freizeit gebildet.       und auch nicht festlegen lassen. So sind
 auf TikTok bekannt geworden, haben           Anders als vielleicht noch in der Gene-       die Schnappschüsse als Momentauf-
 sich aber mittlerweile aufgrund der          ration der Eltern bildet sich Identitäts­     nahmen und Standbilder des je indivi-
 mangelnden ­Datensicherheit von die-         arbeit der digital natives nicht linear und   duellen Augenblicks zu verstehen, die
 ser App distanziert. Bilder auf ihrem         chronologisch ab. Viera Pirker arbeitet      am nächsten Tag oder in einem anderen
 Instagram-Account zeigen makellos ge-        hier in Anlehnung an Jean-Claude Kauf-        Setting keinerlei Relevanz besitzen. Die-
 bräunte, perfekte Körper im Doppelpack.      mann mit den Begriffen Standbild und          se beiden unterschiedlichen Perspek-
 Das auf den Bildern einhergehende Pro-       Lebensfilm, um die unterschiedlichen          tiven spiegeln sich auch in den Funkti-
 duktplacement einer Fastfood-Kette           Prozesse der Identitätsbildung zu veran-      onen von Instagram wider. Die auf der
 oder der Süßwarenindustrie suggeriert,        schaulichen. Der biografischen Identität,    Profilseite geposteten Bilder sind dauer-
 dass trotz dieser Ernährungsweise kei-        die auf eine zusammenhängende, chro-         haft sichtbar, das heißt, sie wurden i.d.R.

                                                                                                                                    5
AUS DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND HOCHSCHULE NR. 124|01 2020 - KU.edoc
NR. 124| 01·2020

sorgsam ausgewählt und ggf. individuell        Krise hat der Ruf nach virtueller Seel­        ge Krisensituation und bietet Livevideos
mit Filtern bearbeitet. Damit bilden sie,       sorge eine ungeahnte Wende genommen.          an, deren Themen über die Kommentar-
ähnlich wie bei Facebook die Funktion          Nur wenige Gemeinden sind auf virtuel-         funktion mitentschieden werden. Der
timeline, chronologisch eine individuelle      le Formate vorbereitet. Allerdings haben       Pastorin Josephine in der Nordkirche
Lebensgeschichte ab. Dagegen sind die           sich im christlichen Bereich einige „Stars“   folgen unter dem Account @seligkeits­
in den „Stories“ lediglich 24 Stunden an-      etabliert, deren Abonnent/innen-Zahlen         dinge über 17.000 Menschen. Rein an
gezeigten Bilder oft als Schnappschüsse        zwar bislang (Stand 20. März 2020) ver-        Zahlen gemessen spielt auch der theo-
angefertigt und mit Kurzkommentaren            hältnismäßig niedrig liegen (zwischen          logisch umstrittene Johannes Hartl eine
versehen. Auf diese Art und Weise erzäh-      1500 und 20 000), deren Abrufzahlen aber        gewichtige Rolle. Allerdings ist, und das
len Menschen ausschnitthaft von ihren         vermutlich aufgrund der Corona-Pande-           muss insgesamt im Social Media Bereich
alltäglichen Gegebenheiten und Heraus-         mie steigen werden. Schon sehr früh hat        immer wieder kritisch bedacht werden,
forderungen. Die Bilder in den Stories         beispielsweise die Gemeindereferentin          der alleinige Blick auf die Zahlen wenig
sind eher beiläufig und i.d.R. mit weniger     und Bloggerin Miriam Fricke unter dem          aussagekräftig. Laut eigener Internetre-
Aussagekraft versehen.                         Account @gedanken.alltag angefangen,           cherche gibt es Angebote, bei denen bei-
                                               Bilder und Geschichten von sich und            spielsweise 10.000 Follower für 950 EUR
Heiner Keupp weist auf insgesamt vier          Ihrem Alltag als angehende Gemeinde-           erworben werden können.
Ziele der Identitätsbildung hin.9 Emoti­       referentin in Südbrandenburg zur Ver-
onal ist die Suche nach Anerkennung in         fügung zu stellen. In der Fastenzeit 2020      Eine Gemeinsamkeit all der oben ge-
der Peergroup und Angenommensein in            hat sie sich zu einem Instagram-Fasten         nannten Kanäle ist, dass die Macher/
einem sozialen Gefüge bedeutsam. Im            entschlossen, bei dem auch weitere             innen mehr oder weniger authentisch
kognitiven Bereich liegen die Ziele Au-        ­soziale Medien eingeschlossen sind. Die       von ihrem Leben erzählen und als
tonomie und Authentizität. Hier suchen         täglichen Geschichten sollten also in          ­Glaubensverkünder/innen die aktuelle
junge Menschen selbstbestimmte und             der Fastenzeit ausbleiben. Die Schlie-         Situation kommentieren, Tipps anbieten
selbstgewählte Gestaltungsmöglichkei-          ßung sämtlicher Gottesdienstformate in          oder Links weitergeben. Mit den Mitteln
ten, die ihrem Leben Sinn und Konti-          ­Präsenzform setzte diesen Vorsatz außer         einer professionellen Selbstinszenierung
nuität verleihen. Bei den emotionalen          Kraft. Denn das Teilen auf Instagram oder      werden Menschen angesprochen, die mit
Identitätszielen steht das Gefühl, etwas       anderen sozialen Netzwerken ist eine der        herkömmlichen pastoralen Angeboten
bewirken zu können, im Vordergrund.           wenigen verbliebenen Möglichkeiten re-          nicht erreicht werden bzw. Menschen
Und zu guter Letzt sind die produkti­          ligiöse Themen und Impulse zu setzen           bedient, die in beiden Welten zu Hause
onsorientierten Identitätsziele zu nen-        und sich über die Kommentarfunktionen           sind. Dabei werden, wie bei Jana High-
nen. Hier gilt es eine originelle Marke        auch interaktiv auszutauschen.                  holder, die das von der EKD promotete
zu setzen, um einzigartig und unver-                                                          Format „Jana glaubt“ professionell über
wechselbar zu sein. Diese Ziele stehen        Die drei Macher/innen von @faithpwr              soziale Kanäle betreibt, von Fachleuten
in einem mehr oder wenigen intensiven         hingegen wollen sich kreativ mit dem            insbesondere die Inszenierungstechni-
Spannungsverhältnis, das teilweise auch       Glauben auseinandersetzen, diesen                ken positiv bewertet, die theologischen
in den Instagram-Profilen zu erkennen         ­öffentlich kommunizieren und andere            Aussagen sind hingegen umstritten.10
ist. Beispielsweise ist der Wunsch nach       inspirieren. Dabei bedienen sie monat-          Auch hier ist es Aufgabe einer religions-
Integration durch ‚Bibis Beauty Pala-         lich unterschiedliche Themen und bie-           pädagogisch motivierten Medienpäd-
ce‘ zu erkennen, weil fast alle Mädchen       ten auch anderen Instagramer/innen die           agogik insbesondere jungen Menschen
diesen Kanal abonniert haben, ande-
­                                             Möglichkeit von Gastfeatures. Kapp 4000         bei einer kritischen Reflexion der Medien
rerseits wird Natascha Kimberley und          vermutlich junge Menschen folgen dem            zu begleiten.
ihr ­#nobeautychannel geliked, um da-         Dachverband der katholischen Jugend-
mit A­ utonomie von dem Selbstoptimie-        verbände (BDKJ) auf Instagram, der in
rungswahn zu signalisieren. Wie medi-          der Fastenzeit täglich ein jugendgemä-         Was kann Medienpädagogik leisten?
enpädagogisch darauf eingegangen wer-         ßes Gebet präsentiert.
den kann, wird im letzten Teil dargestellt.                                                   Medienpädagogische Praxis hat als
                                       Der Schleswig-Holsteiner Pastor Gun-                   Ziel, den Erwerb von Medienkompe-
                                       nar Engel hat mittlerweile knapp 7000                  tenz zu fördern. Mit Andreas Büsch
Christliche Influencer/innen.          Abonnent/innen auf Instagram. Damit                    wird als M­ edienkompetenz „ein Bün-
                                       erreicht er fast dreimal mehr Menschen                 del von Kompetenzen, Fähigkeiten und
Angesichts der dramatischen Einschnit- als sein Dorf Wanderup, in dem er als                  Wissensbeständen“ verstanden, das
te des öffentlichen und damit auch des Pastor tätig ist, Einwohner/innen hat.                 Menschen in die Lage versetzt, Medien
kirchlichen Lebens durch die Corona-­ Auch er ist vorbereitet auf die derzeiti-               sinnvoll zu nutzen und verantwortlich

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BASISARTIKEL

selbst zu gestalten.11 Unter ästhetischen      darstellt, die von einer solidarischen       pädagogischen Ansatz können auf diese
Gesichtspunkten geht es bei den kreati-        Fangemeinde unterstützt und kommen-          Art und Weise generationsübergreifend
ven Selbsterzählungen zunächst darum,          tiert wird. Nicht umsonst zählen zur Me-     Lebensfragen bearbeitet werden, die le-
wahrzunehmen, wie Geschichten in               dienkompetenz auch gestalterische und        benslange Relevanz besitzen.
den sozialen Netzwerken erzählt wer-           soziale Kompetenzen. Dass medienpä-
den. Bestimmte Kameraeinstellungen,            dagogisch nicht immer (aber auch) die
Hintergrundgestaltung und das Outfit           ganz großen Themen bearbeitet werden,
sind dabei richtungsweisend. Oft wer-          zeigt beispielsweise die Vielzahl an Pra-
den Trends aufgegriffen, wiederholt und        xisprojekten der C ­ learingstelle Medien-
damit verinnerlicht, ohne dass dies be-        kompetenz der deutschen Bischofskon-
wusst reflektiert wird. Hier ist eine kri-     ferenz (siehe auch letzte Seite).12          1 G ojny, Tanja, Mir gegenüber – vor aller Augen. Selfies als Zugang zu anthro-
tische Reflexionskompetenz notwendig,                                                          pologischen und ethischen Fragestellungen, in: Gojny / Kürzinger / Schwarz,
die ethische Aspekte hinsichtlich Inhalt       Stellvertretend für viele weitere wird          Selfie – I like it. Anthropologische und ethische Implikationen digitaler Selb-
                                                                                               stinszenierungen (Religionspädagogik innovativ 18), Stuttgart 2016, 15–40, 19.
und Ästhetik mit einschließt. Letzteres ist    an dieser Stelle auf das medienpäda-
beispielsweise bei einem „Nolfie“ (no sel-     gogische Projekt von Religionspädago-        2 V gl. Kürzinger, Kathrin S., „bei glücklichen Selfies hast du deine Ruhe“. Selfies
                                                                                               als Gradmesser des Glücks in der aktuellen Jugendgeneration?, in: Gojny/
fie) der Fall, wenn überlegt wird, in wel-     gik-Studierenden an der Katholischen            Kürzinger/Schwarz, Selfie – I like it. Anthropologische und ethische Impli-
chen Situationen und an welchen ­Orten         Universität Eichstätt-Ingolstadt ver-           kationen digitaler Selbstinszenierungen (Religionspädagogik innovativ 18),
                                                                                               Stuttgart 2016, 103–114, 107–113.
es sich aus ethischen Überlegungen             wiesen. Im Rahmen des Schwerpunkt-
heraus verbietet, ein Selfie aufzuneh-         studiums Jugend- und Schulpastoral           3 Vgl. DAK-Gesundheit (Hg.), WhatsApp, Instagram und Co. – so süchtig
                                                                                               macht Social Media. Studie der forsa Gesellschaft für Sozialforschung und
men. Religionspädagogisch motivierte           wurde der Frage nachgegangen, ob Sel-           statistische Analysen GmbH zur Nutzung von sozialen Medien bei 12- bis
Medienpädagogik hat immer auch eine            fies Hilfestellungen bei der Identitäts-       17-Jährigen, Berlin 2017, S. 8, online abrufbar unter https://www.dak.de/
                                                                                               dak/bundesthemen/onlinesucht-studie-2106298.html (zuletzt aufgerufen
theologische Sachkompetenz im Blick.           findung Jugendlicher leisten können.            am 23.03.2020).
Christliche Influencer/innen sind bei-         Dazu identifizierten die Studierenden
                                                                                            4 V gl. dazu grundlegend Pirker, Viera, fluide, und fragil. Identität als Grund-
spielsweise daraufhin zu überprüfen,           zunächst vier identitätsstiftende Merk-         option zeitsensibler Pastoralpsychologie (Zeitzeichen 31), Ostfildern 2013.
inwieweit sie in ihren Stories traditiona-     male (#roots, #outfit, #hobbies, #dreams)       Eine aktualisierte Zusammenfassung ihrer Aussagen findet sich unter Pirker,
listische bis fundamentalistische Inhalte      und forderten Jugendliche auf, Selfies         Viera, Fragilitätssensible Pastoralanthropologie. Impulse aus Praktiken der
                                                                                               (Selbst-)Inszenierung in Social Media, in: ZPTh 39 (1/2019), 43–58.
unreflektiert von sich geben. Hier gilt es,    von sich anzufertigen und die Hashtags
Einseitigkeiten zu identifizieren und da-      mit individuellen Inhalten zu füllen. Das    5 K eupp, Heiner u.a., Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten
                                                                                               in der Spätmoderne, Reinbeck bei Hamburg 1999, 216.
rauf zu achten, Jugendlichen die ganze         Projekt ist auf einer eigens angelegten
Bandbreite von theologischen Perspek-          Internetseite dokumentiert.13 Jenseits       6 Ebd.

tiven anzubieten.                              der gewonnenen Forschungsergebnis-           7 Pirker, 2019, 49.
                                               se 14 konnten die Projektbeteiligten eine
                                                                                            8 Pirker, 2019, 55.
Eine weitere Aufgabe einer medienpä-           Vielzahl an inhaltlichen und methodi-
  dagogisch motivierten Religionspäd-          schen Medienkompetenzen erwerben,            9 Vgl. zum Folgenden Keupp u.a., 261f.
  agogik ist die kompetente Begleitung         wie beispielsweise das Wissen um Bild-       10 Vgl. Leitlein, Hannes u.a., Jana Highholder. Ist sie die Antwort, in: Die ZEIT
Jugendlicher, die sich ihrer eigenen Fra-      und Urheberrechte, Kenntnisse in Bild-          14/2019, online unter https://www.zeit.de/2019/14/jana-highholder-you­tube-
                                                                                                videos-glaube-jugendliche-evangelische-kirche/seite-2 (zuletzt aufgerufen
 gilität oftmals durchaus bewusst sind.        bearbeitung und Homepagegestaltung,              am 23.03.2020).
­Leben besteht eben nicht nur aus #smile,      Ausbau der Kommunikationsfähigkeit
 ­#happyness, #friends und #family. Hier       sowie Team- und Sozialkompetenz uvm.         11 Vgl. Büsch, Andras, Jugend und Medien, in: Angela Kaupp / Patrik C. Höring
                                                                                                (Hg.), Handbuch kirchliche Jugendarbeit. Freiburg u.a. 2019, 167-178, 172.
  gilt es zusammen mit den Jugendlichen        Medienpädagogische Projekte, so die
  auf Entdeckungsreise zu gehen und neue       langjährige Erfahrung, sind motivierend,     12 Diese sind auf der von der Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen
                                                                                                Bischofskonferenz an der Katholischen Hochschule Mainz verantworteten
 Formate zu identifizieren, die die Verletz-   inspirierend und immer wieder mit                Seite https://medienkompetenzerwerb.de/ dokumentiert und abrufbar (zuletzt
  lichkeit der eigenen Person thematisie-      überraschenden Erkenntnissen verbun-             aufgerufen am 23.03.2020).

 ren und leidvolle Erfahrungen zum Aus-        den. Ein medienpädagogisches Projekt         13 Vgl. https://ich-und-mein-selfie.jimdofree.com/ (zuletzt aufgerufen am
  druck bringen. Längst existieren diese in    zur Selbstinszenierung kann – unabhän-          23.03.2020).
  ganz unterschiedlichen B  ­ ereichen. Ob     gig davon, ob das Ergebnis veröffentlicht    14 Eine entsprechende Publikation dazu ist in Vorbereitung.
  diese Erfahrung, wie bei ­@minusgold         wird oder nicht – dazu anregen, sich Ge-
  oder @jessie_1910, die ­einen geliebten      danken über die eigene Identität zu ma-
 Menschen verloren haben, immer mit der        chen und identitätsrelevanten Fragen         Frau Dr. Simone Birkel ist Dozentin für
 Öffentlichkeit geteilt werden soll, kann      nachzugehen: Wo komme ich her? Wie           Jugend- und Schulpastoral an der Fakultät
                                                                                            für Religionspädagogik und Kirchliche Bil­
  subjektiv unterschiedlich beurteilt wer-     zeige ich mich bzw. wie werde ich wahr-      dungsarbeit der Katholischen Universität
  den. Fakt ist, dass die mediale Aufarbei-    genommen? Was möchte ich in meinem           Eichstätt-Ingolstadt. Dort leitet sie u.a. die
 tung der Gefühle eine Trauerbewältigung       Leben erreichen? Mit einem medien­           Religionspädagogische Medienwerkstatt.

                                                                                                                                                                           7
NR. 124| 01·2020

                 DIGI:Tales about me –
                         Erzählungen vom Ich
Geistliche Vorüberlegungen                                       Wer bin ich? In einer „Kultur der Digitalität“ (F. Stalder) ge-
Wer bin ich? Diese vordergründig einfache Frage ist zugleich     winnen einige der oben genannten Spannungen an Kontur,
eine Kernfrage existentieller philosophischer Erkundungen:       andere verwischen. Was ist mit dem Ich? Gewinnt es an Kontur
Ich zwischen Idee und Wirklichkeit, Ich zwischen Denken und      in den textlichen und bildlichen Selbsterzählungen sozialer
Sein, Ich als Produzent und Produkt, Ich zwischen Individuum     Medien oder verwischt es im Tippen und Wischen der mobilen
und Gemeinschaftswesen, Ich mit Leib und Seele ...               Endgeräte? Beschleunige ich mein Leben, meine Prozesse oder
                                                                 bedrängt der Druck der Bewertungen, der Likes und Tinder-
Nehmen Sie sich etwas Zeit, um über die exemplari­schen Be­      matches, mich? Bleibt das Ich erste Person?
schreibungen des Ichs nachzudenken:
                                                                 ICHthys. Als Religionslehrerin und -lehrer stehen Sie vor Ih-
•	Gibt es Momente, in denen Sie sich – platonisch –             ren Lerngruppen, den Kolleginnen und Kollegen, den Eltern
   als Teilhaber an Ideen erfahren, der Idee der Gerechtigkeit   und wahrscheinlich auch in Ihrem Alltag mit Ihrem christ-
   etwa, als befreiter Höhlenbewohner, der merkt, dass sich      lichen, katholischen Ich ein; Sie werden gefragt und angefragt.
   hinter den Schattenbildern der Wirklichkeit Ideen befin­      ICHthys: ein Fisch aus zwei geschwungenen Linien, das Er-
   den, die allein wirklich sind? Und gibt es Situationen,       kennungszeichen der alten Christen, die Wiedererkennung des
   in denen Sie sich – aristotelisch – als Mann oder Frau von    Glaubens. Die erste Linie zeichne ich in den Sand; sie offenbart
   Welt erfahren, als Erkennende und Handelnde in der            mich dem Eingeweihten … ein Strich im Sand, eine geschwun-
   Wirklichkeit der Welt?                                        gene Linie, die für sich Schutz bietet. Die zweite Linie zeich-
•	Wann denken, also sind Sie? Und wann sind Sie einfach?        net der andere, offenbart sich mir, dem Eingeweihten. In der
                                                                 Verbindung mit der anderen Linie, mit dem anderen Schwung
•	Wo erfahren Sie sich als Produzent und Schöpfer der           wird das Ich zum Wir, in eine Gemeinschaft gestellt, in einen
   Dinge und wo produzieren die Dinge, die Zustände, die         neuen Schutzraum, aus der Anonymität in die Selbstoffenba-
   anderen … Sie?                                                rung als christlich Glaubende. ICHthys.
•	Wann sind Sie sie selbst, für sich allein wie eine Insel?
   Wann sind Sie zoon politikon, auf und in die Gemeinschaft          Was ist das Christliche, das Katholische
   verwiesen? Wann werden Sie am Du zum Ich (Buber)?                  an mir, in mir? Welche geschwungenen
•	Können Sie unterscheiden, was an Ihnen Leib und was                Spuren hinterlasse ich, lese ich?
   Seele ist? Worin unterscheiden sich bei Ihnen leibliche und        Welche Räume, welche Gemeinschaften
   seelische Erfahrungen?                                             geben Schutz; wo setze ich mich aus?
                                                                      Wie offenbare ich mich in der Nachfolge
•   Was fehlt?                                                        Jesu? ICHthys – das Ich in der Gemeinschaft
                                                                      des Fischs.
                                                                                                                                    Bild S. 8: © PantherMedia / Tyler Olson

8
GEISTLICHE HINFÜHRUNG

                                  Der Song ‚Shallow‘, berühmt geworden und oscarprämiert
                                  durch die Performance von Lady Gaga und Bradley Cooper
                                  im Film ‚A star is born‘, fragt nach dem Ich in der modernen,
                                  manchmal leeren, manchmal oberflächlichen Welt: „Are you              Shallow
                                  happy?“
                                                                                                        Tell me somethin’, girl
                                  Lesen oder hören Sie den Song einmal ganz bewusst. Können
                                                                                                        Are you happy in this modern world?
                                  Sie „diese moderne Welt“, „dieses Leere (void)“ oder „die Untiefe/
                                  Oberflächlichkeit (shallow)“ für sich beschreiben? Was denken         Or do you need more?
                                  Sie? Wann empfinden Sie „diese moderne Welt“ als Leere, als           Is there somethin’ else you’re searchin’ for?
                                  Untiefe? Was ermüdet Sie? Wann fürchten Sie sich? Welche „Tie­        I’m falling
                                  fe“ haben Sie für sich, in der Sie sich geschützt fühlen?
                                                                                                        In all the good times I find myself

                                  Der Protagonist des Films, Jackson Maine (Bradley Cooper),            Longin’ for change
                                  spürt die gefährliche Oberflächlichkeit in den Untiefen sei-          And in the bad times I fear myself
                                  ner fragilen Karriere als Sänger. Die Suche nach der Tiefe, die
                                  schützt und birgt, ist für ihn existentiell. Kann die Liebe zu Ally   Tell me something, boy
                                  (Lady Gaga) ihn retten? Was birgt und rettet mich?
                                                                                                        Aren’t you tired tryin’ to fill that void?
                                  ICH. Sich selbst finden in der Welt, in einer ‚Kultur der Digitali-   Or do you need more?
                                  tät‘. Sich selbst offenbaren, von sich selbst erzählen – in seinen    Ain’t it hard keeping it so hardcore?
                                  Beziehungen, seinem Alltag, seiner Religion, seinem Glauben.          I’m falling
                                  Wer bin ich?
                                                                                                        In all the good times I find myself
                                                                                                        Longin’ for change
                                                                                                        And in the bad times I fear myself
© PantherMedia / Stefan Klapzus

                                                                                                        I’m off the deep end, watch as I dive in
                                                                                                        I’ll never meet the ground
                                                                                                        Crash through the surface, where they can’t hurt us
                                                                                                        We’re far from the shallow now
                                                                                                        In the shallow…
                                                                                                        We’re far from the shallow now
                                                                                                        Oh, oh, oh, oh
                                                                                                        Whoah!

                                                                                                        I’m off the deep end, watch as I dive in
                                                                                                        I’ll never meet the ground
                                                                                                        Crash through the surface, where they can’t hurt us
                                                                                                        We’re far from the shallow now
                                                                                                        In the shallow…
                                                                                                        We’re far from the shallow now.

                                                                                                        (Text und Musik: Lady Gaga, Mark Ronson, Andrew Wyatt und Anthony Rossomando)
                                                                                                        Eine Übersetzung des Textes ins Deutsche findet sich unter:
                                                                                                        https://www.songtexte.com/uebersetzung/
                                                                                                        lady-gaga-and-bradley-cooper/shallow-deutsch-33d660e9.html

                                                                                                        Musikvideo: https://www.youtube.com/watch?v=bo_efYhYU2A

                                                                                                                                                                                        9
wer bin ich

von Geburt an
das Fragezeichen ins Gesicht geschnitten

mein Name wie ein anonymer Steckbrief
vom Wind in den Sand geschrieben

Adresse im Niemandsland
zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Passbild im Hochglanz
doch die Augen bleiben matt

kein Spiegel
zeigt mein wahres Gesicht

nicht passendes Puzzle
aus widerstreitenden Gefühlen

ein gejagter Jäger
mich selber suchend und fliehend zugleich

die Summe meiner Eigenschaften
geht nicht auf

Maske um Maske
entblättert meine Blöße

zerrissenes Ebenbild
eines um mich bangenden Gottes

© Andreas Knapp: Brennender als Feuer.
Geistliche Gedichte. Würzburg 72014, S. 7.

I M P R E S S U M

Herausgeber: Hauptabteilung Schule/Hochschule des Erzbischöflichen         Redaktionsadresse: Marzellenstr. 32, 50606 Köln
Generalvikariates Köln                                                     Tel. (02 21)16 42-39 25, Fax (02 21)16 42-39 24
Verantwortlich: Dr. Bernadette Schwarz-Boenneke, Hauptabteilungsleiterin   Internet: www.erzbistum-koeln.de
                                                                           E-Mail: impulse@erzbistum-koeln.de
Redaktion: Dr. Dominik Arenz, Michael Bold, Beate Brinkmöller,
Marie Euteneuer, Dr. Nina Frenzel, Andrea Gersch, Gregor Hofmeister,       Erscheinungsweise: 3 × jährlich; Bezug: auf Bestellung (kostenlos)
Dr. Peter Krawczack, Dominik Schwarz, Christoph Westemeyer.                Gestaltung: MediaCompany GmbH, Bonn
Mitarbeit: Barbara Beier, Thomas Bruns, Robert Buchholz, Stefanie Esser,   Druck: DCM Druck Center Meckenheim, gedruckt auf FSC-zertifiziertem Papier
Matthias Ganter, Birgit Hess, Winfried Scharrenbroich, Gabriele Stammen,
Benedikt Stratmann, Michael Wittenbruch.                                   Sollten wir trotz intensiver Nachforschungen zu Urheberrechten nicht fündig geworden sein,
                                                                           bitten wir um Benachrichtigung der Redaktion.
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