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Ausgewählte Beiträge zur
Schweizer Politik
  Prozess               Entwicklungen in der Presselandschaft Schweiz

ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK
Impressum
Herausgeber
Année Politique Suisse
Institut für Politikwissenschaft
Universität Bern
Fabrikstrasse 8
CH-3012 Bern
www.anneepolitique.swiss

Beiträge von
Ehrensperger, Elisabeth
Müller, Eva
Rinderknecht, Matthias

Bevorzugte Zitierweise

Ehrensperger, Elisabeth; Müller, Eva; Rinderknecht, Matthias 2019. Ausgewählte
Beiträge zur Schweizer Politik: Entwicklungen in der Presselandschaft Schweiz, 1991 -
1999. Bern: Année Politique Suisse, Institut für Politikwissenschaft, Universität Bern.
www.anneepolitique.swiss, abgerufen am 11.10.2019.

ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                       I
Inhaltsverzeichnis

Allgemeine Chronik                                                    1
    Bildung, Kultur und Medien                                        1
        Medien                                                        1
          Presse                                                      1

ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK       II
Abkürzungsverzeichnis
GDP              Gewerkschaft Druck und Papier, später Comedia/Syndicom
SZV              Schweizerischer Verband der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger

SLP              Syndicat du livre et du papier
ASEJ             Association suisse des éditeurs de journaux et périodiques

ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                1
Allgemeine Chronik
                            Bildung, Kultur und Medien
                            Medien
                            Presse
GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE   In der Deutschschweiz kaufte die Curti Medien AG nach dem Zusammenbruch der Omni
DATUM: 31.12.1991
MATTHIAS RINDERKNECHT
                            Holding Werner K. Reys das in sie eingegliederte Medienunternehmen Jean Frey AG auf.
                            Mit der Einverleibung von Publikationen wie "Die Weltwoche", "Bilanz", "Sport",
                            "Katapult" und verschiedener Fachzeitschriften wurde damit die Curti Medien AG zur
                            dritten Kraft in der schweizerischen Verlagsbranche. Allerdings redimensionierte Curti
                            sein Unternehmen wieder durch die Einstellung resp. den Verkauf einiger
                            Fachzeitschriften. Ausserdem wurde der defizitäre "Sport" zur Hälfte an die "Basler
                            Zeitung" und das Wirtschaftsmagazin "Bilanz" zur Hälfte an das deutsche "Handelsblatt"
                            der Holtzbrinck-Gruppe veräussert.

                            Auch die Neue Zürcher Zeitung AG vergrösserte ihr Imperium durch eine
                            Mehrheitsbeteiligung von 60% an der Freien Presseholding St. Gallen, welche ihrerseits
                            60% am Druck- und Verlagsunternehmen Zollikofer AG besitzt; durch letztere
                            kontrolliert die NZZ AG künftig indirekt das "St. Galler Tagblatt", die mit über 70 000
                            Exemplaren auflagenstärkste Tageszeitung der Ostschweiz. Im übrigen lancierte die NZZ
                            im August eine neue Monatsbeilage namens "Folio" mit Schwerpunktthemen.

                            In der stark umkämpften Presselandschaft der Innerschweiz fusionierten die beiden
                            ehemaligen Erzrivalen, das liberale (freisinnige) "Luzerner Tagblatt" und das
                            christlichdemokratische "Vaterland", zur neuen "Luzerner Zeitung". Die konfessionell
                            ausgerichtete politische Presse verlor ausserdem mit der Einstellung der katholischen
                            Tageszeitung "Neue Zürcher Nachrichten" ihr einziges Organ im Kanton Zürich; sie war
                            seit 1972 als Kopfblatt der St. Galler "Ostschweiz" herausgegeben worden.

                            Ähnliche Tendenzen in Richtung Konzentration liessen sich auch in der Westschweiz
                            feststellen. Die Printmedien verspürten den Inserateeinbruch noch stärker als in der
                            Deutschschweiz. Ausserdem sorgte die Ankündigung einer neuen überregionalen
                            Tageszeitung durch die Edipresse und Ringier für einen verstärkten Wettbewerb sowohl
                            um Leser- und Abonnentenzahlen als auch um Inserenten. Das "Journal de Genève"
                            fusionierte mit der "Gazette de Lausanne" und erschien noch vor der Erstausgabe des
                            "Nouveau Quotidien" in neuer Aufmachung; das neue gemeinsame Blatt erreicht eine
                            Auflagenzahl von über 30 000. Die Genfer Zeitung "La Suisse" schloss sich aus
                            finanziellen Überlegungen dem 1990 gegründeten Inseratepool "Swiss Combi" (TA, BZ
                            und LNN) an, der damit über 1,3 Mio potentielle Leser erreicht.

                            Edipressé lancierte mit einer Minderheitsbeteiligung von Ringier (20%) und der
                            französischen Tageszeitung "Libération" (10%) ihre neue, allseits mit Spannung
                            erwartete, überregionale Tageszeitung "Le Nouveau Quotidien" unter der Leitung des
                            ehemaligen "Hebdo"-Chefredaktors Jacques Pilet. Die neue Tageszeitung, welche von
                            Dienstag bis Sonntag erscheint, unterscheidet sich deutlich von den
                            Boulevardzeitungen "Le Matin" und "La Suisse", und wendet sich an ein eher jüngeres
                            und offenes Publikum mit Interesse für Europafragen.

                            Gegen Ende des Berichtsjahres gründeten Edipresse und Publicitas ein
                            Gemeinschaftsunternehmen, wobei Edipress 75% und Publicitas 25% an Kapital
                            einbrachten. Sämtliche Presseerzeugnisse der beiden Gesellschaften und das
                            Druckereizentrum Bussigny gingen in einen einzigen Pool ein, womit Edipresse die
                            "Tribune de Genève" und einen grösseren Anteil des "Nouvelliste" von Sion und des
                            "Démocrate" von Delémont zusätzlich zu "24 Heures", "Le Matin" und "Le Nouveau
                            Quotidien" kontrolliert. 47% der welschen Tagespresse befinden sich somit in den
                            Händen von Edipresse.

                            Der harte Konkurrenzkampf hatte auch seine Auswirkungen auf die Beziehungen
                            zwischen den Sozialpartnern. Die drei Grossunternehmen Ringier, Tages-Anzeiger und
                            die Druckerei Winterthur (im Besitze der Curti-Medien) traten aus dem Verband
                            graphischer Unternehmen aus und demonstrierten damit ihre Absicht, die
                            Anstellungsverhältnisse in Zukunft flexibler und individualistischer zu gestalten. Ringier
                            und die Tages-Anzeiger AG kündigten zudem an, auf Ende Jahr auch aus dem Verband
                            der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger auszutreten. Damit werden diese Unternehmen

                            ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                          2
nicht mehr an die Gesamtarbeitsverträge ihrer Branchen gebunden sein. Der Tages-
                            Anzeiger – mit einer Auflage von über 260 000 Exemplaren zweitgrösste Tageszeitung
                            der Schweiz – sorgte aber auch mit der Entlassung von Chefredaktor Viktor Schlumpf
                            für Aufsehen. Die Angestellten, Medienverbände und die Gewerkschaft GDP
                            protestierten gegen eine offensichtliche Verletzung des Kollektivvertrags, da bei der
                            Entlassung das Anhörungsrecht des Redaktionspersonals nicht gewährt worden war.
                            Bereits zuvor hatte die Geschäftsleitung das arbeitnehmerfreundliche Redaktionsstatut
                            aus dem Jahre 1973 revidiert und die Mitspracherechte des Redaktionspersonals
                            abgebaut. Die internen und externen Proteste gegen die Entlassung Schlumpfs, gegen
                            den Austritt aus den Kollektivverträgen und gegen eine marktgerechtere Ausrichtung
                            der Zeitung gestalteten sich heftiger als es das Unternehmen wohl erwartet hatte;
                            Direktionspräsident Heinrich Hächler gab auf Jahresende die operative Führung des
                            Unternehmens ab. 1

GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE   Die beiden grössten Verlagshäuser der Schweiz, Ringier AG und Tages-Anzeiger AG,
DATUM: 31.12.1992
MATTHIAS RINDERKNECHT
                            traten im Berichtsjahr dem Schweizerischen Verband der Zeitungs- und
                            Zeitschriftenverleger (SZV) wieder bei; der 1991 vollzogene Austritt konnte aufgrund der
                            an der Generalversammlung genehmigten, neuen Verbandsstrukturen, welche gemäss
                            den beiden Verlagshäusern die hauptsächlichen Differenzen zwischen ihnen und dem
                            Verband ausräumten, wieder rückgängig gemacht werden.

                            Ringier als grösstes Schweizer Medienunternehmen, das im Berichtsjahr mit der
                            Acquisition der "Zuger Nachrichten" und der Übernahme von 41% des Aktienkapitals am
                            Berner "Bund" expandierte, konnte seine Position auch im Ausland, insbesondere in
                            der ehemaligen Tschechoslowakei, verbessern. Mit 49% Anteil am Aktienkapital
                            beteiligte sie sich zusammen mit dem deutschen Medienunternehmen Leo Kirchs an
                            einer tschechischen Boulevardzeitung namens "Blesk" (Blitz). Medienunternehmer Kirch
                            ist übrigens auch Ringiers Partner beim Schweizer Abonnementsfernsehen Euroclub.

                            In der Region Basel stellten zwei traditionsreiche Blätter ihr Erscheinden ein: die
                            ursprünglich katholische "Nordschweiz" (NoZ) und die sozialdemokratische "Basler AZ".
                            Die NoZ (Auflage rund 11 000) wurde von der "Basellandschaftlichen Zeitung"
                            übernommen. Die "Basler AZ" hatte am Schluss nur noch eine Auflage von 3300
                            Exemplaren erreicht und stand schon seit längerer Zeit vor dem finanziellen Ruin; Ideen
                            überein Nachfolgeprodukt in der Form einer "Neuen Zeitung (NeZ)" konnten sich bis am
                            Ende des Berichtsjahres mangels des nötigen Aktienkapitals von rund 4 Mio Fr. nicht
                            konkretisieren.

                            Die Einstellung dieser Presseerzeugnisse in der Nordwestschweiz kann als
                            symptomatisch für die Situation der parteinahen Lokalzeitungen der Schweiz
                            angesehen werden; insbesondere die der CVP nahestehenden Blätter kämpften in
                            letzter Zeit an verschiedenen Orten ums Uberleben; neben der NoZ musste in Baden
                            auch das "Aargauer Volksblatt" (Auflage rund 7000) Ende Oktober sein
                            Erscheinen,einstellen.

                            Die christlichdemokratische Tageszeitung "Popolo e Libertà" musste ihr Erscheinen im
                            August einstellen, wobei aber schon Pläne für eine Neugestaltung in Form einer
                            Wochenzeitung bestanden. Auch das Organ der Tessiner FDP, die seit 1878
                            erscheinende Tageszeitung "Il Dovere" (Auflage 22 000), fusionierte aus
                            wirtschaftlichen Gründen mit dem "Eco di Locarno" (Auflage 12 000) zum neuen Titel
                            "La Regione". Praktisch gleichzeitig lancierte die FDP jedoch ein neues Parteiorgan
                            namens "Opinione liberale" als Wochenzeitung. Als Antwort auf die tiefgreifenden
                            Veränderungen und Fusionen, von welchen die früheren Parteipresseorgane betroffen
                            waren, lancierte das dem Bistum Lugano gehörende "Giornale del Popolo" eine neue
                            Tageszeitung mit dem Titel "Il Giornale di Locarno" (Auflage 17 000), welche teilweise
                            zusammen mit der Hauptausgabe des Giornale del Popolo (Auflage nach eigenen
                            Angaben 45 000) herausgegeben wird. Die verstärkte Konkurrenz sowie die
                            Herausforderung, einen Teil der bisherigen Leserschaft von "Dovere" einzubinden,
                            veranlasste den liberalen "Corriere del Ticino", welcher übrigens eine neue äussere
                            Aufmachung erhalten hat, eine massive Auflagenerhöhung auf über 60 000 Exemplare
                            vorzunehmen und wie das Giornale del Popolo eine breitgestreute Gratiszustellung zu
                            betreiben, um seine Spitzenposition im Tessiner Pressemarkt zu behaupten.

                            In der Tessiner Presselandschaft – das Tessin ist die Region mit der höchsten
                            Zeitungsdichte und einer bisher grossen inhaltlichen Presseausdifferenzierung – fand
                            eine tiefgehende Restrukturierung und Neuausrichtung der verschiedenen

                            ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                        3
Presseorgane statt, die zum Teil parallel zu den parteipolitischen Veränderungen
                            verliefen. Die seit den 60er Jahren in zwei verschiedene Lager gespaltenen Sozialisten
                            hatten bisher auch zwei Parteiorgane; das Organ für die offizielle Sektion der SPS, den
                            Partito socialista ticinese (PST), war die seit 1913 bestehende "Libera Stampa", während
                            der abgespaltene "Partito socialista unitario (PSU)" die Wochenzeitung "Politica nuova"
                            herausgab. Mit der Wiedervereinigung der Tessiner Linken wurde auch eine neue,
                            gemeinsame Tageszeitung, die "Nuova libera Stampa", geschaffen. Das neue Blatt
                            erhebt den Anspruch, ein von der Partei unabhängiges Medium für ein breites,
                            fortschrittliches Publikum zu sein.

                            Auch die Presselandschaft in der Romandie litt vermehrt an den Folgen der
                            Wirtschaftskrise und dem damit verbundenen Inseraterückgang; rund 80% der
                            welschen Tageszeitungen sind defizitär. Insbesondere auf dem hart umkämpften Platz
                            Genf, auf dem vier Tageszeitungen um die Gunst der Leserschaft kämpfen, machte sich
                            die Rezession durch Kurzarbeit und Restrukturierungen bemerkbar. Mittels einer
                            Verlängerung der Subventionen durch die katholische Kirche konnte die Einstellung der
                            kleinsten Genfer Tageszeitung, des "Courrier" (Auflage 5600), nochmals um mindestens
                            eineinhalb Jahre aufgeschoben werden. Nachdem die "Tribune de Genève" 1991 durch
                            Edipresse übernommen worden war, wechselte sie im Berichtsjahr erneut die äussere
                            Aufmachung, im Gegensatz zur letzten Erneuerung im Jahre 1990 änderte sie
                            gleichzeitig auch die redaktionelle Struktur, da fortan eine enge Zusammenarbeit im
                            Inlandteil mit der zur selben Pressegruppe gehörenden "24 Heures" in Lausanne
                            besteht. Die im September 1991 lancierte Tageszeitung "Nouveau Quotidien" konnte mit
                            der Eroberung von 13,3% Marktanteil in der Westschweiz, einer Auflage von 35 000
                            Exemplaren und 158 000 Leserinnen und Lesern einen Erfolg verbuchen.

                            In Zürich wandelte sich das seit 1898 bestehende sozialdemokratische "Volksrecht" zur
                            offenen links-grünen Tageszeitung "DAZ". Die Bedeutung des Kürzels — vorgeschlagen
                            wurde "Die andere Zeitung", "Die alternative Zeitung", "Das andere Zürich", "Die
                            Argumentations-Zeitung" und ähnliches mehr — wurde von der Redaktion bewusst
                            offen gehalten. Im übrigen haben alle dem sogenannten "Mantaz"-Ring
                            angeschlossenen sozialdemokratischen Zeitungen (ausser Solothurner AZ) ein neues,
                            einheitliches Layout erhalten.

                            Das Projekt einer rätoromanischen Tageszeitung namens "Quotidiana" wurde von der
                            romanischen Dachorganisation Lia Rumantscha (LR) gutgeheissen und an eine
                            Trägerorganisation zur Realisierung weitergegeben. Wie eine gesamtromanische
                            Tageszeitung nach den Vorstellungen der LR im Erscheinungsbild aussehen könnte,
                            illustrierte eine Nullnummer am 1. Mai in einer Auflage von 25 000 Exemplaren. Die
                            sprachpolitische Frage, wieviel Platz die künstliche Standardsprache Rumantsch
                            Grischun in der neuen Zeitung bekommen sollte, wurde allerdings noch nicht
                            beantwortet; Leserschaft und Redaktion sollten gemeinsam die Grundlinien eines
                            Modells ausarbeiten. Ebenso sind die Probleme der Finanzierung sowie die
                            Auswirkungen einer zukünftigen "Quotidiana" auf die bestehende romanische Presse
                            noch offen. 2

GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE   Aus wirtschaftlich-strategischen Gründen rückten das "Aargauer Tagblatt", das
DATUM: 31.12.1993
MATTHIAS RINDERKNECHT
                            "Zofinger Tagblatt" sowie das "Oltner Tagblatt" näher zusammen und beschlossen, auf
                            Anfang 1994 als "Mittelland-Zeitung" im überregionalen Bereich und im Inseratesektor
                            eng zusammenzuarbeiten. Innerhalb der Dreier-Gruppe erhält das Aargauer Tagblatt die
                            stärkste Stellung, da es in Zukunft den Mantel resp. den überregionalen Teil mit den
                            Rubriken Inland, Ausland, Wirtschaft und Sport produzieren wird. Die Synergieeffekte
                            sollen den drei Tageszeitungen, welche in Zukunft immer noch unter dem eigenen
                            Namen auftreten, zusammen aber eine Auflage von rund 100 000 Exemplaren erreichen
                            wollen, dazu verhelfen, langfristig die Eigenständigkeit zu sichern.

                            Unter argen Druck geriet erneut die rot-grüne Presse; die zürcherische "DAZ" und die
                            "Berner Tagwacht" konnten zwar genügend Neuabonnenten finden, um das Uberleben
                            zu sichern. Die "Solothurner AZ", welche schon 1991 vom bürgerlichen Verlagshaus
                            Dietschi übernommen worden war, überlebte jedoch nicht. Die im Mai lancierte
                            sozialdemokratische Wochenzeitung der Romandie, "Jet d'Encre", musste schon im
                            Dezember aus finanziellen Gründen wieder eingestellt werden.

                            Als Antwort auf die Mehrheitsbeteiligung Ringiers beim Berner "Bund" und die dadurch
                            entstandene Konkurrenzsituation unter Publicitaspartnern auf dem Inseratemarkt Bern
                            ergaben sich bei den Inseratekombis diverse Verschiebungen. Der bisherige

                            ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                        4
Inseratepool "Swiss Combi" (TA, BZ, LNN, La Suisse) wurde durch den neuen
                            Inserateverbund "Swiss Pool" (BaZ, LZ, SGT, 24 Heures, TG, TA, BZ) ersetzt, welcher
                            Anzeigen in einer Gesamtauflage von 820 000 Exemplaren ermöglicht und eine
                            Leserschaft von über 2 Mio erreicht. Zusätzlich entstand im westlichen Mittelland ein
                            Kleinverbund zwischen "Berner Zeitung", "Solothurner Zeitung" und "Bieler Tagblatt"
                            namens "Presse 99", der an den "Swiss Pool" angedockt werden kann. Ringier kündigte
                            daraufhin als Gegenmassnahme für 1994 einen eigenen Inserateverbund unter dem
                            Namen "Ringier Media Tools" an. Ebenso antworteten diverse Tageszeitungen der
                            Romandie (L'Express, L'Impartial, Le Nouvelliste, La Liberté, Le Quotidien jurassien, Le
                            Journal du Jura) mit der Gründung des "Romandie Combi" auf die neue
                            Herausforderung.

                            Bei der 1992 neu gegründeten, aus der Fusion des "Eco di Locarno" und "Il Dovere"
                            entstandenen Tageszeitung "La Regione" hatte die Berichterstattung über den
                            Mailänder Schmiergeldskandal sowie eine Stellungnahme Ständerat Salvionis (fdp, TI) zur
                            Stempelsteuer direkte Drohungen aus Bankenkreisen zur Folge; der verantwortliche
                            Redaktor wurde fristlos entlassen. Schon ein Jahr nach der Fusion "Politica nuova-
                            Libera Stampa" musste die einzige linke Tessiner Tageszeitung "Nuova libera Stampa"
                            ihr Erscheinen aus wirtschaftlichen Gründen wieder einstellen. Eine neue Konkurrenz
                            erhielten die bestehenden Tessiner Presseerzeugnisse durch die von Lega-Nationalrat
                            Maspoli lancierte Tageszeitung "L'altra notizia", die in einer Auflage von 35 000
                            Exemplaren gedruckt wird.

                            Die Curti Medien AG haben sich mit der National-Zeitung und Basler Nachrichten AG —
                            Herausgeberin der Basler Zeitung — zur drittgrössten Mediengruppe der Schweiz
                            zusammengeschlossen. Das Projekt für eine zweite Tageszeitung der Region Basel mit
                            dem Titel "Neue Zeitung (NeZ)" — geplant war die Herausgabe der neuen Zeitung ab
                            April in einer Auflage von 15 000 — kam mangels ausreichenden Kapitals nicht
                            zustande.

                            Auf dem hart umkämpften Pressemarkt Genf musste das Journal de Genève im
                            technischen Bereich Entlassungen vornehmen, um gegen seine Konkurrenten weiter
                            bestehen zu können. Mit ernsthaften Schwierigkeiten sah sich auch die "La Suisse"
                            konfrontiert. Bis Ende des Berichtsjahres konnte noch keine Lösung zur langfristigen
                            Sanierung der Gesellschaft gefunden werden.

                            Wie in der Innerschweiz ein Jahr zuvor, haben auch im Kanton Jura die zwei
                            parteipolitisch gefärbten Regionalblätter, der seit 116 Jahren erscheinende freisinnige
                            "Démocrate" und das 120 Jahre alte christlichdemokratische "Le Pays", fusioniert, um
                            ab Juni des Berichtsjahres in neuer Aufmachung als "Quotidien jurassien" in einer
                            Anfangsauflage von 35 000 (spätere Normalauflage soll ca. 26 000 sein) zu erscheinen. 3

GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE   Die schweizerische Presselandschaft blieb in Bewegung. Zwar zeigte die
DATUM: 31.12.1994
EVA MÜLLER
                            "Medienanalyse Schweiz 93/94" auf, dass Leserzahlen und Reichweiten der Schweizer
                            Presseerzeugnisse in den letzten zwei Jahren relativ konstant geblieben sind. Im
                            Rahmen von Restrukturierungen kam es aber zu diversen Zusammenschlüssen im
                            Inserate-, und vermehrt auch im redaktionellen, administrativen und technischen
                            Bereich.

                            Als neue Grösse hat sich mit einer Startauflage von 96 000 Exemplaren die "Mittelland-
                            Zeitung" im schweizerischen Zeitungsmarkt etabliert. Unter diesem Namen
                            kooperieren seit Anfang 1994 die Verlage von "Aargauer Tagblatt", "Oltner Tagblatt" und
                            "Zofinger Tagblatt" im Inserate- und überregionalen Bereich. Im Berner Oberland treten
                            das "Thuner Tagblatt", die "Berner Oberländer Nachrichten" und das "Oberländische
                            Volksblatt" nun mit dem Untertitel "Berner Oberland Zeitung" gemeinsam in
                            Erscheinung. Geplant sind neben einem gemeinsamen nationalen Inserateteil auch
                            administrative, redaktionelle und technische Kooperationen.

                            Synergieeffekte erhofft sich auch die "BauernZeitung", neues offizielles Wochenblatt
                            der bäuerlichen Organisationen der Schweiz. Unter diesem Namen haben sich der
                            "Landwirt", die "Innerschweizer Bauernzeitung" und das "Zentralblatt der Land-und
                            Milchwirtschaft" zusammengeschlossen. Die Startauflage betrug 76 000 Exemplare. Das
                            Blatt will eine verbesserte Information innerhalb der Landwirtschaft und eine grössere
                            Wirkung nach aussen erreichen. Ebenfalls fusionieren wollen 1995, quasi als Pendant
                            zur deutschschweizerischen Bauernzeitung, die beiden welschen Wochenzeitungen
                            "Agri-Hebdo" und "Le Producteur de Lait".

                            ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                        5
Aus wirtschaftlich-strategischen Gründen rückten mit dem Romandie-Combi auch
sechs Westschweizer Tageszeitungen zusammen: "L'Impartial", "Le Journal du Jura",
"Express", "Le Quotidien jurassien", "La Liberté" und "Le Nouvelliste et Feuille d'avis du
Valais" arbeiten seit diesem Jahr als Inserateverbund, aber auch redaktionell
zusammen. Die sechs Zeitungen wollen auch ein gemeinsames Korrespondentennetz im
In- und Ausland unterhalten. Zum ersten grenzüberschreitenden Inserateverbund
Europas ist es zwischen drei Tessiner und zwei italienischen Zeitungen gekommen: Im
Werbepool Ti-laghi in Lugano haben sich der "Corriere del Ticino", "La Regione" und
das "Giornale del popolo" mit zwei italienischen Zeitungen zusammengeschlossen.

Nach 96jährigem Bestehen musste die Genfer "La Suisse" im März ihr Erscheinen
einstellen, nachdem sich mehrere Sanierungsofferten von ausländischen Geldgebern
und Rettungsversuche von Verleger Jean-Claude Nicole, wie etwa der Vorschlag einer
Fusion von "La Suisse" und "Le Matin", als unrealistisch erwiesen hatten.
Nachfolgeprojekte, wie "Nouvelle Suisse" oder "Suisse dimanche" wurden diskutiert,
aber nicht lanciert. Mit dem Ende der einst führenden Tageszeitung der Romandie ist es
auf dem welschen Pressemarkt zu einer weiteren Konzentration gekommen, und die
Lausanner Edipresse konnte ihre Marktstellung mit dem Aufkauf der Abonnentenkartei
und des Titels der eingegangenen Zeitung nochmals ausbauen. Ausserdem entfachte
Edipresse in der Romandie einen Preiskampf, dem andere Zeitungen nicht folgen
konnten. Mit einer Startauflage von 15 000 Exemplaren erscheint seit November neu die
englischsprachige Tageszeitung "The Geneva Post", welche die internationale
Bevölkerung Genfs ansprechen will.

Auf dem Markt der Magazine orten Verleger noch Marktlücken. Auf den Frühling 1995
haben die beiden grossen Verlagshäuser Ringier und TA-Media AG je
ein*Nachrichtenmagazin angekündet.

Der Verleger Beat Curti ist, nach Verdächtigungen im Zusammenhang mit einer Zürcher
Bestechungsaffäre, innerhalb seiner Mediengruppe ins zweite Glied zurückgetreten.
Verwaltungspräsident der Curti Medien AG wurde Hans-Erich Fischer, an die Spitze des
Tochterunternehmens Jean Frey AG trat Hans-Rudolf Hagemann, Herausgeber der
"Basler Zeitung". Ab 1995 wird die "Basler Zeitung" ausserdem ein weiteres Aktienpaket
von 15% von der Curti-Medien-Gruppe übernehmen und somit 50% des Aktienkapitals
kontrollieren. Zu einer Aktienverschiebung ist es auch beim Berner "Der Bund"
gekommen: Ringier trat seine Mehrheitsbeteiligung ab und behält noch 45%. Die "Neue
Zürcher Zeitung" übernahm 45% und wird ab 1. April 1995 auch die operative Führung
und verlegerische Verantwortung bei der Traditionszeitung übernehmen. Damit ist es
nicht zu einer Kooperation mit der Berner Zeitung gekommen, welche wohl über kurz
oder lang zur Fusion geführt hätte.

Das Projekt einer rätoromanischen Tageszeitung, welches von der Arbeitsgruppe
Rätoromanische Tageszeitung (ART) während Jahren unter dem Titel "Quotidiana"
verfolgt wurde, musste redimensioniert werden. Nachdem das Bundesamt für Kultur im
Frühling schwere Bedenken angemeldet hatte, weil die Zeitung kantonal und von
Verlegerseite her zu wenig abgestützt und auch der Finanzbedarf nicht gedeckt sei,
wurde das Projekt überarbeitet. Das neue Modell sah als Ergänzung zu den bestehenden
romanischen Zeitungen eine zweimal wöchentlich erscheinende Zusatzzeitung mit dem
Titel "La Vusch" vor. Damit sollte gewährleistet werden, dass praktisch täglich ein
romanisches Presseprodukt in Graubünden erscheint. Ausserdem war der Aufbau einer
romanischen Medienagentur geplant; beide Projekte zusammen hätten von Bund und
Kanton mit 1,8 Mio Fr. unterstützt werden sollen. Ende Dezember ist das Projekt "La
Vusch" jedoch vom Kanton Graubünden abgelehnt worden, unter anderem mit der
Begründung, dass sich nicht alle Verleger von romanischen Presseprodukten für das
neue Blatt begeistern konnten. Weiterverfolgt wird indessen von der ART der Aufbau
einer romanischen Nachrichtenagentur.

Die 1976 gegründete rechtsextreme Zeitschrift "Eidgenoss" von Verleger Max Wahl hat
ihr Erscheinen auf Ende Jahr eingestellt. Die Zeitschrift hat unter anderem mehrfach
die Massenvernichtung von Juden in den Konzentrationslagern Nazi-Deutschlands
bestritten. Das am 1.1.1995 in Kraft tretende Antirassismus-Gesetz ist einer der
Hauptgründe für die Einstellung des Monatsblatts. 4

ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                          6
GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE   Die beglaubigten Auflagezahlen der Schweizer Presse, wie sie alljährlich von der AG für
DATUM: 31.12.1995
EVA MÜLLER
                            Werbemittelforschung (Wemf) eruiert werden, wiesen für 1995 eine stabile
                            Presselandschaft mit stagnierenden Zeitungauflagen aus. Eine Ausnahme bildete der
                            Westschweizer Zeitungsmarkt, wo vor allem die beiden Genfer Blätter "Tribune de
                            Genève" (+31,3%) und "Journal de Genève" (+25%) markant vom Untergang der
                            Traditionszeitung "La Suisse" profitierten.

                            Die Basler Zeitung stockte ihre Beteiligung an der Curti Medien AG auf 65% auf,
                            nachdem sie sich im letzten Jahr zunächst mit 50% beteiligt hatte. Damit sicherte sich
                            die Basler Zeitung hinter Ringier und TA Medien AG ihre Position unter den drei
                            grössten Schweizer Verlagen und etablierte sich mit der Kontrolle über
                            Medienerzeugnisse wie "Weltwoche" oder "Beobachter" auch auf dem Zürcher
                            Medienplatz.

                            Auf den 1. Mai traten bei der defizitären Berner Traditionszeitung "Der Bund" die im
                            Dezember 1994 ausgehandelten neuen Besitzverhältnisse in Kraft. Die Verlagshäuser
                            NZZ und Ringier halten künftig je 45% des Aktienkapitals, wobei die operative
                            Verantwortung für die Bund Verlag AG kommerziell und publizistisch bei der NZZ liegt.
                            Die NZZ lancierte eine Anzeigekombination NZZplus, die es NZZ-Inserenten erlaubt,
                            ihre Anzeige zum halben Preis auch im "Bund" erscheinen zu lassen.

                            Die "Luzerner Neuste Nachrichten" (LNN) und die "Luzerner Zeitung" (LZ) haben auf
                            den 1. Januar 1996 ihre Fusion angekündigt. Die LNN mit den zugehörigen "Zuger
                            Nachrichten" werden mit der LZ und deren fünf Regionalausgaben in Zug, Schwyz, Uri,
                            Nidwalden und Obwalden zur "Neue Luzerner Zeitung" (NLZ) zusammengelegt. Gemäss
                            den beiden an der neugegründeten Luzerner Medien AG beteiligten Verlagen, der
                            Ringier-Tochter C. J. Bucher (49%) und der Luzerner Zeitung (51%), ist der
                            Innerschweizer Pressemarkt zu klein für zwei Tageszeitungen. Damit wird dieser innert
                            nur vier Jahren von drei auf eine Tageszeitung schrumpfen; 1991 hatten das
                            christlichdemokratische "Vaterland" und das freisinnige "Luzerner Tagblatt" zur LZ
                            fusioniert. Die LNN-Redaktion, die von der Zusammenlegung stärker betroffen sein
                            wird als diejenige der LZ, zeigte sich in einer Pressemitteilung überzeugt, dass sie einen
                            Ringier-Fehlentscheid - den Kauf des defizitären Berner "Bund" vor zwei Jahren -
                            ausbaden müsse. Ein weiteres Opfer der Fusion LNN/LZ wird der im 117. Jahrgang
                            stehende "Luzerner Landbote", der von der neuen Luzerner Medien AG an die Surseer
                            Woche AG verkauft wurde. Diese stellte das Erscheinen der Lokalzeitung auf Ende 1995
                            ein. Die Auflage der NLZ und ihren fünf Regionalausgaben wird rund 125 000 Exemplare
                            betragen, womit sie zur viertgrössten abonnierten Schweizer Tageszeitung avanciert.
                            Auf dem Inserate-Markt wird sie sich dem "Swiss Pool" anschliessen. Die künftige
                            Pressemonopolsituation der Zentralschweiz wurde stark kritisiert. Die NLZ hat deshalb
                            als erste Schweizer Tageszeitung einen Leserrat als eine Art Ombudsstelle eingeführt.
                            Der neu gegründete Verein "Projekt Zeitung" liess die Chancen einer Alternativzeitung,
                            die das linksliberale Spektrum abdeckt, prüfen. Im November gründete er die "Pro
                            Zeitung Verlags AG", welche ab dem 26. Januar 1996 eine zweite Luzerner Tageszeitung
                            unter dem Titel "Luzern heute" herausgeben wird. Die Startauflage soll 2500 Exemplare
                            betragen. Auch im Kanton Zug wurde die Herausgabe einer zweiten Zeitung neben dem
                            Fusionsprodukt "Neue Zuger Zeitung" geprüft.

                            Mit einer Startauflage von rund 60 000 Exemplaren erschien ab April "Facts" aus dem
                            Hause der TA Media AG. Damit verfügt die Deutschschweiz erstmals seit 1982 wieder
                            über ein Nachrichtenmagazin. Der Verlag Ringier hatte sein als Konkurrenzprodukt
                            geplantes Projekt "Reflex" im Januar aufgrund von Marktüberlegungen zurückgezogen.

                            Die einzige englischsprachige Schweizer Tageszeitung, "The Geneva Post", die die
                            internationale Bevölkerung Genfs ansprechen wollte, musste ihr Erscheinen nach nur
                            sieben Monaten mangels genügend Interessenten einstellen.

                            Aus dem sozialistischen Magazin "Bresche" und dem gewerkschaftlichen Forum
                            "Diskussion", die eingestellt wurden, ging auf Beginn des Jahres 1995 das rot-grüne
                            Monatsmagazin für neue Politik "MOMA" hervor. In der Romandie ersetzte die der PdA
                            nahestehende Wochenzeitung "Gauchebdo" die seit 1944 bestehende Parteizeitung
                            "Voix ouvrière".

                            In Bern kam es zu einem eigentlichen "Anzeiger-Krieg" zwischen der Berner-Tagblatt-
                            Medien (BTM), welche die Berner Zeitung herausgeben, und dem Bund Verlag. Die
                            bisherigen Herausgeber des amtlichen Publikumsorgans "Stadtanzeiger Bern", die
                            Vereinsdruckerei Bern und die BTM, hatten den Vertrag mit der Stadt Bern per Ende

                            ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                          7
1995 gekündigt, da sie die jährliche Abgabe von 2,2 Mio Fr. als zu hoch empfanden. Die
                            Stadt betraute deshalb im September den Bund Verlag mit der Herausgabe des
                            "Stadtanzeigers". Anfang November warfen die Vereinsdruckerei und die BTM einen
                            eigenen, nicht-amtlichen Anzeiger "Tagblatt für die Stadt Bern" auf den Markt, der in
                            seiner Aufmachung dem "Stadtanzeiger" glich. Gleichzeitig gestalteten sie den
                            "Stadtanzeiger", den sie noch bis Ende Jahr herausgeben mussten, dünner und
                            unattraktiver, und im Impressum fehlten wichtige Inserateadressen. Der Berner
                            Gemeinderat warf der BTM unlauteren Wettbewerb und irreführende Werbung vor. Die
                            Vereinigung für kritische Mediennutzung Arbus verklagte die BTM auf Verletzung der
                            Impressumspflicht und rief zum Boykott auf. Nach einer superprovisorischen Verfügung
                            des Berner Richteramts mussten die "Tagblatt"-Herausgeber zumindest das
                            Erscheinungsbild ihres Gratisblatts so ändern, dass es nicht mit dem "Stadtanzeiger"
                            verwechselt werden kann. Ende November kündigte die Berner Stadtregierung den
                            Vertrag mit der Vereinsdruckerei fristlos und liess den "Stadtanzeiger" vorzeitig beim
                            Verlag des "Bund" herstellen. 5

GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE   Zu Beginn des Jahres erschien in der Zentralschweiz erstmals das Fusionsprodukt von
DATUM: 31.12.1996
EVA MÜLLER
                            "Luzerner Neuste Nachrichten" (LNN) und "Luzerner Zeitung" (LZ), die "Neue Luzerner
                            Zeitung" (NLZ) mit fünf Regionalausgaben für die Kantone Uri, Schwyz, Obwalden,
                            Nidwalden und Zug. Noch im Januar kam ausserdem die als Alternative zur NLZ
                            konzipierte Tageszeitung "Luzern heute", auf den Markt, die vor allem die Agglomeration
                            Luzern abdecken will und dreimal wöchentlich erscheint. Auch im Kanton Zug wurde ein
                            Konkurrenzblatt zur NLZ aus der Taufe gehoben: im August debutierte die "Zuger
                            Presse", die sich auf das Geschehen in der Region Zug beschränkt und ebenfalls
                            dreimal wöchentlich erscheint.

                            Im Aargau kam es ebenfalls zu einer Konzentration in der Presselandschaft. Die beiden
                            grössten aargauischen Tageszeitungen "Aargauer Tagblatt" und "Badener Tagblatt"
                            fusionierten zur "Aargauer Zeitung", die mit einer Startauflage von 120 000 Exemplaren
                            im November als sechstgrösste Schweizer Tageszeitung erstmals erschien. Am neuen
                            Unternehmen sind die Aargauer Tagblatt AG und die Badener Tagblatt Holding AG zu je
                            50% beteiligt. Anders als letztes Jahr in der Innerschweiz fielen die Reaktionen zur
                            Zeitungsfusion im Aargau moderat aus, da beide Tageszeitungen eine ähnliche,
                            bürgerlich-konservative Linie verfolgten. Opposition gegen die Fusion regte sich jedoch
                            anfänglich von Teilen der Aktionäre des "Aargauer Tagblatts" um die beiden SVP-
                            Parlamentarier Maximilian Reimann und Christian Speck, die eine Vormachtstellung der
                            Badener Tagblatt Holding und insbesondere von deren Besitzer Peter Wanner
                            befürchteten.

                            Die Aargauer Zeitungsfusion hatte auch Konsequenzen für die seit Anfang 1994
                            bestehende "Mittelland-Zeitung", der das "Aargauer Tagblatt", das "Oltner Tagblatt" und
                            das "Zofinger Tagblatt" angehörten. Der Verleger der neuen "Aargauer Zeitung" kündigte
                            die Kooperation des "Aargauer Tagblatt", das bis dahin den gemeinsamen Mantelteil der
                            "Mittelland-Zeitung" geliefert hatte. Nachdem die beiden verbliebenen Partner mit
                            rechtlichen Schritten wegen Vertragbruchs drohten, zog die Aargauer Zeitung AG die
                            Kündigung zwar zurück. Die in Zugzwang geratenen "Oltner Tagblatt" und "Zofinger
                            Tagblatt" fanden aber mit der "Solothurner Zeitung" eine neue Partnerin und schlossen
                            sich zu dritt zur "Neue Mittelland-Zeitung" zusammen. Damit entstand im Kanton
                            Aargau wieder eine zweite grössere Tageszeitung, dem Kanton Solothurn ging jedoch
                            seine zweite Pressestimme verloren. Neu liefert die "Solothurner Zeitung" den
                            überregionalen Mantelteil. Die vorerst auf fünf Jahre befristete, am 4. November
                            begonnene Kooperation soll den drei Zeitungen - Gesamtauflage 85 000 Exemplare -
                            den Zugang zum nationalen Inseratemarkt sichern. Die drei Verlage sind bereits
                            gemeinsam am Solothurner Lokalsender "Radio 32" beteiligt.

                            Zu einem Zweititelsystem unter einem Verlagsdach ab 1. November entschieden sich
                            das "Bündner Tagblatt" und die "Bündner Zeitung". Die Gasser Media AG, Herausgeberin
                            der "Bündner Zeitung", übernahm die operative Führung beider Tageszeitungen, die
                            neu einen gemeinsamen Inserateteil, aber weiterhin getrennte Redaktionen haben
                            werden. Ab 1997 werden sich die beiden Blätter inhaltlich stärker unterscheiden:
                            Während die "BZ" einen liberalen Kurs fährt und sich der vertieften Information
                            verschreibt, wird das "Bündner Tagblatt" einen pointiert konservativen Kurs fahren und
                            sich auf die kurze, schnelle Information konzentrieren. Das im 144. Jahrgang
                            erscheinende "Bündner Tagblatt" war vor zehn Jahren vom Zürcher SVP-Nationalrat
                            Christoph Blocher übernommen und von ihm seither jährlich mit Millionenbeträgen
                            über Wasser gehalten worden. Nun leitete Blocher seinen Rückzug aus dem

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Graubündner Zeitungsmarkt ein. Kritische Stimmen gaben dem Bündnerischen
                            "wirtschaftlichen Zeitungsmonopol mit Pressevielfalt" keine längerfristigen
                            Überlebenschancen.

                            Dem jahrelangen Feilschen um eine romanische Tageszeitung in Graubünden setzte die
                            Gasser Media AG Anfang November überraschend ein Ende und kündigte die Lancierung
                            von "La Quotidiana", der ersten romanischen Tageszeitung, auf Januar 1997 an. Im
                            Gegensatz zu früheren Projekten wird die Tageszeitung nicht in Zusammenarbeit mit
                            den romanischen Sprachorganisationen, sondern im Alleingang herausgegeben. Das
                            Zweititelsystem von "BZ" und "BT" mutiert damit zum Dreititelsystem. Der Lia
                            Rumantscha und der Pro Svizra Rumantscha warf der Gasser-Verlag vor, dass sie eine
                            "rätoromanische Staatszeitung" produzieren und diese zu einem Mittel der
                            Sprachenpolitik ausbauen wollten. Die Sprachorganisationen begrüssten die neue
                            Tageszeitung grundsätzlich. Mit der Realisierung von "La Quotidiana" verbunden ist ein
                            Kahlschlag in der romanischen Presselandschaft: Die "Gasetta Romontscha" aus
                            Disentis, bereits seit längerer Zeit in der Hand der Gasser AG, wird ebenso in der neuen
                            Tageszeitung aufgehen wie die kleineren romanischen Blätter "Casa Paterna/La Punt"
                            und "Fegl ufficial da Surselva". Auch das bisher zweimal wöchentlich erscheinende
                            Engadiner Lokalblatt "Fögl Ladin" wird in die "Quotidiana" integriert werden. Die
                            Engadin Press AG verkaufte der Gasser AG ihre Verlagsrechte, da sie neben der neuen
                            Konkurrenz keine Überlebenschancen mehr sah. "La Quotidiana", deren Auflage 10 000
                            Exemplare beträgt, soll unabhängig und politisch neutral sein und will grundsätzlich
                            jedem Idiom Platz einräumen.

                            Auch bei den beiden Neuenburger Tageszeitungen "L'Express" und "L'Impartial" kam es
                            ab November zu einer Konzentration der Kräfte. Die beiden Zeitungen beschlossen eine
                            enge Zusammenarbeit in Redaktion und Druck, neu werden lediglich noch die Regional-
                            und Lokalredaktionen selbständig bleiben. Den beiden Blättern wurde seit Jahren die
                            baldige Fusion prognostiziert. Die Option einer Fusion der beiden defizitären welschen
                            Blätter "Le Nouveau Quotidien" und "Journal de Genève" prüften auch die beiden
                            Verlagshäuser Edipresse und Journal de Genève. Das vom Journal de Genève initierte
                            Projekt scheiterte jedoch nicht zuletzt am Streit um die Meinungsführerschaft.

                            Die katholische Kirche entzog dem links-katholischen Genfer "Le Courrier" ihre
                            finanzielle Unterstützung von bisher jährlich 250 000 Fr., weil dieser sich weigerte,
                            seinen gemäss der Kirche zu wenig linientreuen Chefredaktor zu entlassen.
                            Unterstützung erhielt die kleinste Genfer Tageszeitung daraufhin von neuen
                            Abonnenten aus linken Kreisen sowie von Edipresse, die ihr 150 000 Fr. schenkte.

                            Die einzige noch verbliebene linksgrüne Tageszeitung in der Ostschweiz, die im 92.
                            Jahrgang stehende "Ostschweizer Arbeiterzeitung", musste ihren Betrieb einstellen.
                            Damit verschwand das fünftletzte Organ der einst 19 Titel zählenden
                            sozialdemokratischen Presse in der Schweiz. Dem AZ-Ring gehören nun noch die
                            Berner "Tagwacht", die Zürcher "DAZ", die "Winterthurer AZ" und die "Schaffhauser AZ"
                            an; neu dazu kam "Luzern heute".

                            Das älteste Presseerzeugnis der italienischen Schweiz, die "Gazzetta Ticinese", musste
                            sein Erscheinen ebenfalls einstellen.

                            Im Kanton Genf lehnten die Stimmberechtigten eine Volksinitiative für die
                            Pressevielfalt, die nach dem Untergang der "La Suisse" eingereicht worden war,
                            deutlich ab. Der Initiativtext hatte verlangt, dass der Staat Massnahmen zur Förderung
                            von Medien und zur Verhinderung von Medienmonopolen ergreife. 6

GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE   Die rätoromanische Nachrichtenagentur "Agentura da Novitads Rumantscha" (ANR)
DATUM: 31.12.1997
EVA MÜLLER
                            nahm Anfang Jahr ihren Betrieb auf. Weil die rätoromanische Tageszeitung "La
                            Quotidiana" ihre Meldungen wegen eines letztjährig vorausgegangenen Streits bei der
                            Nachrichtenagentur Associated Press (AP) bezog, stand die ANR zuerst aber ohne
                            eigentliche Aufgabe da. Ende Januar kam es zu einer Einigung zwischen "La Quotidiana"
                            und der ANR. "La Quotidiana" wie auch Radio Grischa äusserten danach jedoch Kritik
                            an der qualitativen Leistung der neuen Nachrichtenagentur. Viele Texte sind keine
                            redaktionellen Eigenleistungen, sondern Übersetzungen aus dem Deutschen.

                            Zu Beginn des Jahres erschien im Kanton Graubünden neu "La Quotidiana" aus dem
                            Churer Verlagshaus Gasser Media AG, womit die rätoromanische Sprachgemeinschaft
                            erstmals in ihrer Geschichte über eine Tageszeitung verfügt. Die neue Zeitung, der

                            ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                        9
mehrere Regionalblätter zum Opfer fielen, stiess aber in den einzelnen Sprachregionen
nicht nur auf Begeisterung; die Auflage sank im ersten Halbjahr von 10 000 auf rund
8000. Ab August liess Gasser deshalb unter dem Kopftitel "La Quotidiana" die alten
Regionalblätter wieder aufleben. Bei einem gemeinsamen Mantelteil mit kantonalen und
nationalen Themen berichtet die "Gasetta Romontscha/La Casa Paterna" zu lokalen
Themen im Dialekt Sursilvan, "Fögl Ladin" im Idiom Ladin und "La Punt" im Dialekt
Sutsilvan. Für Oberhalbstein, die Region bei Savognin, wurde neu der Titel "La Vousch
da Surmeir" geschaffen.

Im Berichtsjahr kam es nicht zuletzt aus Gründen eines sich verändernden Werbe- und
Inseratemarktes zu einem noch nie dagewesenen Konzentrationsprozess in der
Schweizer Presse. Insgesamt verschwanden 16 Tageszeitungstitel. Nach dem Vollzug der
angekündigten Fusionen und Kooperationen im April 1998 wird es in der Schweiz noch
82 Tageszeitungen geben, die sechsmal in der Woche erscheinen. 8 (Ende 1996: 9) von
insgesamt 228 (242) Zeitungstiteln werden vier- bis fünfmal pro Woche, 53 (53) zwei-
bis dreimal pro Woche und 85 (82) Titel noch einmal wöchentlich erscheinen. Nur noch
40 der 228 Zeitungen werden über eine vollausgebaute Redaktion verfügen. Ab April 98
werden acht Kantone (AR, AI, GL, NW, OW, SZ, UR, ZG) über keine eigenständige
Tageszeitung mehr verfügen.

Nur einen Tag nach der Ersterscheinung der "La Quotidiana" gab das Gasser
Verlagshaus den Schulterschluss - später sprach man offen von Übernahme - mit der
Glarner Tschudi Druck und Verlag AG bekannt und kündigte an, das neu geschaffene
Bündner Dreititelsystem ("Bündner Zeitung" samt Kopfblatt "Oberländer Tagblatt",
"Bündner Tagblatt" und "La Quotidiana") ab Juni um die "Glarner Nachrichten" sowie
die sankt-gallischen "Gasterländer" und "Seepresse" aus dem Hause Tschudi zu
ergänzen. Im April konnte Gasser diesen Titeln noch drei Schwyzer Zeitungen, der "Bote
der Urschweiz", das "Höfner Volksblatt" und der "March-Anzeiger" anfügen; diese
bleiben jedoch im Besitz ihrer Verleger. Im neuen Zeitungsverbund "Südostschweiz"
schlossen sich damit insgesamt zehn Tageszeitungen der Kantone Graubünden, Glarus,
St. Gallen und Schwyz zusammen. Ab 2. Juni trat die "Südostschweiz", die rund einen
Drittel der Fläche der Deutschschweiz abdeckt, mit einer Gesamtauflage von rund 110
000 Exemplaren neu auf dem nationalen Werbemarkt auf. Während fünf Kerntitel
("Bündner Zeitung", "Glarner Nachrichten", "Der Gasterländer", "Seepresse" und
"Oberländer") den neuen Haupttitel übernahmen und die alte Bezeichnung nur noch im
Untertitel tragen, fungieren der "March-Anzeiger", das "Höfner Volksblatt" und der
"Bote der Urschweiz" nur im Untertitel als "Südostschweiz". Das "Bündner Tagblatt" und
"La Quotidiana" treten mit einem eigenen Erscheinungsbild auf. Jedes Blatt produziert
einen eigenen Regionalteil, während die übergreifenden Teile von der Zentralredaktion
in Chur beigesteuert werden. Die Machtballung des Churer Verlagshauses Gasser, die
im letzten Jahr mit der Übernahme des "Bündner Tagblatt" von Christoph Blocher
begonnen hatte, stiess auf Kritik. Der Ostschweizer Verein der Journalistinnen und
Journalisten rief die Kartellkommission an, da für Medienschaffende insbesondere in
Graubünden und Schwyz kaum noch Wege an Gasser vorbeiführten. Die
Kartellkommission segnete den Zusammenschluss, der der erste seit Inkrafttreten des
neuen Kartellgesetzes ist, jedoch ab. Als elfter Regionaltitel reihte Gasser im Oktober
ausserdem noch das "Liechtensteiner Volksblatt" in die "Südostschweiz" ein.

In der Region St. Gallen/Appenzell konnten sich bisher noch verschiedene
Tageszeitungen eigenständig behaupten. Dem Vormarsch des Konkurrenten Gasser
Richtung Norden mochte die grösste Ostschweizer Zeitung, das "St. Galler Tagblatt" -
seinerseits im Besitz der NZZ - aber nicht tatenlos zusehen und blies zum Gegenangriff.
Im September vereinbarte es mit dem "Volksfreund", der "Wiler Zeitung" und der
"Gossauer Zeitung" ab Anfang 1998 eine enge Kooperation. Damit verlor die
"Appenzeller Zeitung", die diesen drei Zeitungen die überregionalen Seiten geliefert
hatte, wichtige Verbündete. Und die finanziell ohnehin serbelnde St. Galler
Zweitzeitung "Ostschweiz", die mit den drei Blättern und der "Appenzeller Zeitung" in
einem Inserateverbund liiert war, verlor wichtige Inseratepartner. Damit kam es zum
Dominoeffekt, der der bisherigen Pressevielfalt in der Ostschweiz ein jähes Ende
setzte: Die bald 125jährige "Ostschweiz" (Auflage 21 000) gab auf und verkaufte ihre
Abonnentenkartei auf Ende Jahr dem "St. Galler Tagblatt". Ihr Ende bedeutet zugleich
das Ende der katholisch geprägten Presse in der deutschen Schweiz. Gleichzeitig
gaben das "St. Galler Tagblatt" und die "Appenzeller Zeitung" (Auflage 15 000) ihre
Kooperation bekannt; ersteres wird der im 169. Jahrgang stehenden "Appenzeller
Zeitung" ab Frühjahr 1998 den überregionalen Teil liefern. Damit hat Appenzell
Ausserrhoden keine unabhängige Zeitung mehr. Das "Appenzeller Tagblatt", seit knapp
zwei Jahrzehnten Regionalausgabe des "St. Galler Tagblatt", wird eingestellt. Noch im

ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK                       10
November vereinbarte das "St. Galler Tagblatt" ausserdem mit dem "Rheintaler"
                            (Auflage 11 000) und dem "Toggenburger" (Auflage 6000) eine enge Zusammenarbeit auf
                            Frühjahr 1998. Beide Regionen hatten bisher eine eigene Ausgabe des "St. Galler
                            Tagblatt" erhalten. Für dieses ging die Rechnung auf: Wie die "Südostschweiz" wird es
                            neu mit einer Auflage von über 100 000 auf dem nationalen Werbemarkt auftreten
                            können. Seine Exemplarzahl wird insgesamt bei rund 120 000 liegen.

                            Im Raum Zürichsee/Sihltal/Linthgebiet kam es ab Oktober zum überkantonalen
                            Presseverbund "Zürichsee-Zeitung" von sechs Zeitungstiteln (Auflage rund 53 000).
                            Eingebunden sind um die bisherige "Zürichsee-Zeitung" der "Sihltaler", die "Grenzpost"
                            und die "Linth Zeitung". Während diese Titel ihre Namen behielten, gingen der
                            "Anzeiger des Bezirkes Horgen" und der "Allgemeine Anzeiger vom Zürichsee" in der
                            "Zürichsee-Zeitung" auf. Anlass zu Kritik gab, dass all jene, welche die bisherigen, nicht
                            täglich erscheinenden Lokalblätter mit teilweise Amtsblattcharakter nur als Ergänzung
                            genutzt hatten, plötzlich mit zwei Tageszeitungen zu entsprechend höheren Kosten
                            bedient wurden. Der neue Zeitungsverbund ist mehrheitlich im Besitz der Zürichsee
                            Medien AG und minderheitlich der Orell Füssli Werbe AG.

                            In der Westschweiz wird die Fusion zwischen "Le Journal de Genève" und "Le Nouveau
                            Quotidien", die im letzten Jahr scheiterte, ab Frühjahr 1998 doch noch Realität. Die
                            Aktionäre segneten die Fusion zu "Le Temps" im November ab. Mit dem über 170 Jahre
                            alten "Journal de Genève" (Auflage 32 000) geht dem Genferseeraum nicht nur ein
                            liberales Traditionsblatt verloren, sondern auch die letzte überregionale Tageszeitung,
                            die nicht vom Imperium des Lausanner Verlagshauses Edipresse kontrolliert wurde. "Le
                            Nouveau Quotidien" (Auflage 38 000), ein Produkt der Edipresse, war erst 1991
                            gegründet worden. Auch die angerufene Wettbewerbskommission gab im Dezember
                            grünes Licht für die Fusion, mit der Begründung, dass diese zwar die schon bestehende
                            marktbeherrschende Stellung von Edipresse noch verstärke, dass der Markt in der
                            Westschweiz aber zu klein sei für zwei überregionale Tageszeitungen. Immerhin machte
                            die Wettbewerbskommission die Auflage, dass alle Veränderungen der Kapitalstruktur
                            einer Bewilligung durch sie bedürfen, um eine ausgeglichene Verteilung der
                            Kräfteverhältnisse zwischen den Gruppen der neuen Gesellschaft (je 47% für JdG und
                            Edipresse, 6% für die Redaktion) sicherzustellen. Weiter muss der Verwaltungsrat der
                            neuen Zeitung von einer unabhängigen Person geleitet werden. Das Urteil der
                            Wettbewerbskommission stiess trotz diesen Auflagen auf breite Kritik.

                            Dem Spektrum der Arbeiterpresse gehörten einst 19 Tageszeitungen an. Im Berichtsjahr
                            ging auch den letzten vier Vertretern der linken Tagespresse der Schnauf aus: Die
                            Zürcher "DAZ", welche die Flucht nach vorne ergreifen und neu als einzige Schweizer
                            Abendzeitung erscheinen wollte, machte Konkurs, nachdem ein wichtiger Geldgeber
                            ausgestiegen war. Die in "Stadtblatt" umbenannte "Winterthurer AZ" und die
                            "Schaffhauser AZ" reduzierten ihre wöchentliche Ausgabenzahl auf drei. Am längsten
                            hielt sich die im 105. Jahrgang stehende "Berner Tagwacht" über Wasser. Als letzte linke
                            Tageszeitung wird aber auch sie ab 1998 den Neuanfang als Wochenzeitung unter dem
                            Titel "Die Hauptstadt" wagen. Das 1996 neu zur Linkspresse gestossene, dreimal
                            wöchentlich herausgegebene Alternativblatt "Luzern heute" erschien bereits ab August
                            nur noch als Wochenblatt. 7

GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE   Im Pressebereich schritten die Konzentrationsprozesse voran. Nach Erhebungen des
DATUM: 31.12.1998
ELISABETH EHRENSPERGER
                            Verbandes “Schweizer Presse” gab es Ende 1998 noch 232 Zeitungstitel (Ende 1997:
                            238). Davon waren 85 (93) Tageszeitungen und 147 (145) Nichttageszeitungen.

                            Im März gab die “Südostschweiz” (SO) aus dem Churer Verlagshaus Gasser AG ihre
                            Kooperation mit zwei neuen Partnern in St. Gallen und im Fürstentum Liechtenstein
                            bekannt. Neu erschienen die Tageszeitungen “Werdenberger + Obertoggenburger” in
                            Buchs und der “Sarganserländer” in Mels unter dem Titel “Südostschweiz”. Diese
                            beiden Blätter stellen den Regionalteil für ihr Gebiet nach wie vor selbständig her,
                            beziehen aber die überregionalen Seiten von der SO-Zentralredaktion. Alle SO-Titel
                            verfügen über einen gemeinsamen Inserateteil. Auch das “Liechtensteiner Vaterland”
                            arbeitete neu auf redaktioneller Ebene sowie im Inseratebereich eng mit der
                            “Südostschweiz” zusammen. Dagegen stellte Gasser die Herausgabe des "Oberländer
                            Tagblatts" ein. Somit wuchs seit dem Start der “Südostschweiz” im Juni 1997 und der
                            daraus hervorgegangenen, zum Teil heftig kritisierten Machtballung der Gasser AG die
                            Zahl der beteiligten Titel auf 13 an. Die "Südostschweiz" deckte den gesamten Kanton
                            Graubünden, den Kanton Glarus und das Fürstentum Liechtenstein sowie weite Teile
                            der Kantone St. Gallen und Schwyz ab. Die tägliche Gesamtauflage der SO wurde auf

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total 146 000 Exemplare gesteigert.

Das "St. Galler Tagblatt" unter Führung der ihrerseits wieder zur NZZ-Gruppe
gehörenden Zollikofer AG mochte dem Vormarsch Gassers nicht tatenlos zusehen. Zu
Beginn des Berichtsjahres erschien die 1874 gegründete "Ostschweiz" zum letzten Mal;
das "St. Galler Tagblatt", seine Regionalausgaben und zwei zuvor via
Inseratekombination mit der "Ostschweiz" verbundenen Blätter ("Der Rheintaler",
"Wiler Zeitung" / "Volksfreund") präsentierten sich daraufhin in neuem Kleid. Die über-
und gesamtregionalen Mantelseiten werden in St. Gallen, die Lokalseiten dezentral
produziert. Ende März kam mit der Aufgabe des "Appenzeller Tagblatts" und der
Integration der "Appenzeller Zeitung" samt ihrem bisherigen Partnerblatt "Der
Toggenburger" in den "Tagblatt"-Verbund eine Umbruchphase im Ostschweizer
Pressewesen zum Abschluss, wie es sie in vergleichbarer Weise noch nie gegeben hatte.
Die "Appenzeller Zeitung" – nunmehr einzige Tageszeitung für Ausserrhoden – trägt
unter dem angestammten Titel und mit weiterhin selbständig gestaltetem Appenzeller
Teil künftig den Mantel des "St. Galler Tagblatts". Seit April existierte damit in acht
Kantonen (AR, AI, GL, NW, OW, SZ, UR und ZG) keine eigenständige Tageszeitung mehr.
Die Auflage aller Zeitungen mit "Tagblatt"-Mantel erreichte total über 120 000
Exemplare.

Mit der Fusion der beiden Tageszeitungen "Journal des Genève" (JdG) und "Nouveau
Quotidien" (NQ) ging eine Zeitungsepoche und zugleich eine rund siebenjährige
Umbruchphase in der Westschweizer Presselandschaft zu Ende. “Le Temps”, die neue
Westschweizer Qualitätszeitung, erschien am 18. März zum ersten Mal. Die Redaktionen
der beiden Vorgängerzeitungen verschmolzen zu einer Hauptredaktion in Genf. Mit dem
Verschwinden des JdG ging die einzige überregionale, nicht vom Lausanner Verlagshaus
Edipresse kontrollierte Zeitung der Romandie verloren. Die Entwicklung des
Westschweizer Pressewesens blieb aber das ganze Jahr über von zahlreichen
Turbulenzen begleitet. In den Chefetagen der Edipresse setzte ein Sesselrücken ein.
Angesichts der Entlassung des Chefredaktors der "Tribune de Genève", Guy Mettan,
erreichten      im    Februar    Empörung      und     Verunsicherung  bezüglich der
Restrukturierungspolitik von Edipresse einen Höhepunkt. Mettan hatte sich kritisch
gegen die Fusion geäussert und sich vehement gegen eine Abwertung der "Tribune"
zum Lokalblatt zugunsten von "Le Temps" gewehrt. Im weiteren gelangte die
Vereinigung "Amis du Jounal de Genève et Gazette de Lausanne" bis an den
Europäischen        Gerichtshof     in   Strassburg,     um     den   Entscheid  der
Wettbewerbskommission rückgängig zu machen, mit welchem die Fusion im Dezember
1997 bewilligt worden war. Der Zeitungszusammenschluss gab schliesslich Anstoss zu
einer neuen Genfer Sonntagszeitung. Knapp zwei Monate nach dem Start von "Le
Temps" erschien die erste Ausgabe von "Info Dimanche". Das Blatt mit einer Auflage
von 50 000 stellte den ersten Versuch dar, das Monopol der Edipresse-Gruppe zu
brechen, deren "Le Matin Dimanche" bis anhin den sonntäglichen Pressemarkt der
Romandie beherrscht hatte. Angesichts fehlender Werbeeinnahmen und zu wenig
Abonnenten drohte "Info Dimanche" im Dezember der Untergang. Das zu 37% von
öffentlichen Geldern gespiesene Startkapital war aufgebraucht, doch konnten wider
Erwarten neue Mittel aufgetrieben werden. Unklar blieb bis Ende Jahr, woher die
finanzielle Hilfe zur Existenzsicherung des Blattes stammte.

Eine weitere Sonntagszeitung erhielt auch das Tessin: "Il Caffè della Domenica"
erschien erstmals Mitte November mit einer Auflage von 42 000 Exemplaren.
Herausgegeben wird sie von der "2R Media SA", an welcher der Locarneser Verleger
Rezzonico und der Ringier-Verlag zu je 45% und die Gastrosuisse zu 10% beteiligt sind.
Keine Freude an diesem Gemeinschaftsprodukt zeigten angesichts des befürchteten
Verlustes von Werbemarktanteilen die drei Tessiner Tageszeitungen "Corriere del
Ticino", "La Regione" und "Giornale del popolo" sowie das Gratisblatt "Mattino della
domenica" von Lega-Chef Giuliano Bignasca. Nach einer gehässigen Kampagne zu
angeblichen Konflikten zwischen öffentlichen und privaten Interessen, welche in der
Tessiner Presse rund um die angekündigte Zusammenarbeit zwischen Ringier und
Rezzonico geführt worden war, trat "Caffè"-Verwaltungsratsvorsitzender und Ringier-
Direktor Marco Solari von seinem Posten als Präsident des Tessiner Verkehrsvereins
zurück.

Auf dem Berner Medienmarkt lastete der Konkurrenzdruck besonders schwer. Zu
Jahresbeginn erwarb die Berner Tagblatt Medien AG (BTM), Herausgeberin der "Berner
Zeitung" (BZ), eine Zweidrittelmehrheit an der Schaer Thun AG, die das "Thuner
Tagblatt"   herausgibt.   Infolge   einer    Intervention   der   eidgenössischen
Wettbewerbskommission, die eine Wettbewerbsverfälschung in der Berner Oberländer

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