Verlagshäuser 2020 Herausforderungen in einem sich wandelnden Medienmarkt - Oktober 2010 - goetzpartners

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Verlagshäuser 2020 Herausforderungen in einem sich wandelnden Medienmarkt - Oktober 2010 - goetzpartners
Verlagshäuser 2020
Herausforderungen in einem sich wandelnden Medienmarkt

Oktober 2010
Verlagshäuser 2020 Herausforderungen in einem sich wandelnden Medienmarkt - Oktober 2010 - goetzpartners
Die Autoren                                      Inhalt
                                                 Vorwort:
                    Dr. Alexander Henschel,      Digitale Schnellstraßen und klassische Pfade:
                    Managing Director            Wohin geht die Reise der Verlage?                3

                                                 1. These:
                                                 Digitale Evolution statt Revolution:
                                                 Trotz iPad und Co. wird das klassische Buch
                                                 überleben – Verlage müssen sich aber auf
                                                 die digitalen Formate einstellen und sie als
                                                 Chance begreifen                                4
                    Runar Friedrich,
                    Senior Consultant
                                                 2. These:
                                                 Das Geschäftsmodell der Verlage wird
                                                 sich entscheidend ändern:
                                                 Im Fokus steht die qualitative Wissens-
                                                 vermittlung und eine Ausdehnung des
                                                 Produktangebotes                                11

                                                 3. These:
                                                 Die neuen technischen Möglichkeiten bringen
                                                 die Verlage in die „Komplexitätsfalle“:
                                                 Die Einbindung von Bewegtbildern als die
                                                 nächste Herausforderung                         17

                                                 Die zehn wichtigsten Erkenntnisse
                                                 für Buchverlage                                 20

                                                 Studiendesign                                   22

                                                 Abbildungsverzeichnis                           22

                                                 Über goetzpartners                              23

Herzlicher Dank an Sara-Sumie Yang für die
tatkräftige Mitarbeit bei der Erstellung der
Studie sowie Manuela Nikui und Birgit Gelsdorf
für ihre Unterstützung.
Vorwort _ 3

Vorwort
Digitale Schnellstraßen und klassische Pfade: Wohin geht die Reise der Verlage?

Schon vor Jahren wurde ein radikaler Wandel im Medienmarkt und der Buch-
branche ausgerufen. Das Internet werde alles in sich „aufsaugen“ und das klas-
sische Buch ersetzen. Wie sich zeigte, leben Totgesagte länger. Mit dem Auftau-
chen von Smartphones und Tablet-Computern im Markt geht diese Diskussion
in eine neue Runde. Spätestens seit Apple mit dem iPhone und iPad und einer
riesigen Marketingmaschine im Hintergrund in den Markt drängt, fragen sich
viele Verlagshäuser, welche Risiken, aber auch welche Chancen sich durch diese
neuen Formate und Märkte ergeben. Wurden wichtige Entwicklungen verschla-
fen? Ist man bereits im Hintertreffen und auf die neuen Player Apple, Google und
Co. angewiesen?

Unbestritten ist, dass sich Medienmarkt und Mediennutzergewohnheiten stark
verändern. Die neuen Endgeräte und Applikationen verleihen diesem Wandel
eine neue Dynamik. Verlage konkurrieren nicht mehr nur untereinander, sondern
müssen sich auch gegen neue Wettbewerber wie Google, Amazon oder Apple
behaupten. Dadurch entstehen andererseits attraktive neue Möglichkeiten:
Die Wertschöpfungskette der Verlage wird in ihrer letzen Stufe erweitert und
diversifiziert. Außerdem erlauben neue Produkte, Vertriebsmöglichkeiten und
Umsatzquellen den Verlagen, in benachbarte Bereiche ihres Stammgeschäftes
vorzustoßen. So bieten bereits heute z. B. einige Fachverlage neben dem eigent-
lichen Inhalt auch Software und Schulungen an.

goetzpartners hat im Rahmen dieser Studie Geschäftsführer und Bereichslei-
ter (IT, Neue Medien, Produktentwicklung) von 25 der Top 50 Buchverlage in
Deutschland interviewt, darunter unter anderem Fachbuch- und Belletristik-
Verlage sowie Sach- und Schulbuchverlage. Aus den Ergebnissen und aufgrund
umfassender Projekterfahrung hat goetzpartners drei zentrale Thesen für das
zukünftige Geschäftsmodell und die aktuellen Herausforderungen der Verlage
abgeleitet. Im Grundsatz gelten diese für jede Art von Verlagshaus. Die Studie
weist aber auch auf die unterschiedliche Relevanz für die verschiedenen Verlags-
arten (Fachbuch, Belletristik etc.) hin.

These 1 analysiert die Umsatzseite der digitalen Medien. Darauf aufbauend zeigt
These 2 die Veränderungen der Geschäftsmodelle der Verlage auf. These 3 fasst
die aktuellen Herausforderungen rund um die Bewältigung der Komplexität der
neuen Medien zusammen.

Die Studie zeichnet ein realistisches Bild der Herausforderungen und Entwick-
lungen der Verlagshäuser für das aktuelle Jahrzehnt.
4 _ Verlagshäuser 2020

                                                                                      1. These: Digitale Evolution
                                                                                      statt Revolution
                                                                                      Trotz iPad und Co. wird das klassische Buch
                                                                                      überleben – Verlage müssen sich aber auf
                                                                                      die digitalen Formate einstellen und sie als
                                                                                      Chance begreifen

                                                                                      Obwohl iPad und Co. den E-Book-Hype ankurbeln und dem elektronischen
                                                                                      Buch eine großartige Zukunft eröffnen, führt das E-Book vor allem in der
                                                                                      Belletristik bislang eher ein Nischendasein. Die digitalen Umsätze werden
                                                                                      zwar in den kommenden Jahren ansteigen, das klassische Buch wird sich
                                                                                      aber langfristig nicht von elektronischen1 Formaten verdrängen lassen. In
                                                                                      den nächsten Jahren wird es weiterhin den Hauptumsatz der deutschen
                                                                                      Buchverlage ausmachen. Dennoch müssen sich die Verlage auf eine Zu-
                                                                                      kunft einstellen, die in allen Lebensbereichen von einer immer weiter zu-
                                                                                      nehmenden Digitalisierung bestimmt wird, und schon heute dafür Sorge
                                                                                      tragen, den Zug in die digitale Zukunft nicht zu verpassen.

  Abbildung 1: Umsatzentwicklung digitaler                                            Digitale Umsätze: Gegenwart und Zukunftsaussichten
  Medien je nach Verlagsart
  [in %-Punkten vom Umsatz]                                                           Betrachtet man aktuelle Verkaufszahlen, stellt man fest, dass – mit Aus-
                                 Status quo         Wachstum          Prognose 2015
                                                                                      nahme der Fachverlage – der bisher mit digitalen Medien erzielte Umsatz
                                                     +9–14%            +10–15%
                                                                                      eher marginal ist (Abbildung 1). Während sich der Anteil digitaler Medien
  Belletristik                      1%
                                                                                      am Gesamtumsatz2 im Bereich der Fachliteratur im zweistelligen Bereich
                                                      +25%              50–75%        bewegt und bei einigen Fachverlagen sogar schon zu einem bedeutenden
                                  25–50%                                              Umsatzmotor entwickelt hat, liegt dem Börsenverein des Deutschen Buch-
                                                                                      handels zufolge der Umsatzanteil von elektronischen Büchern in der Belle-
  Fachinformation/
  Wissenschaft                                                                        tristik noch unter einem Prozent. Die vorliegende Studie bestätigt diese
                                                                                      Einschätzung.
                                                      +10%              20–25%
                                  10–15%

  Andere Verlage*
                                                                                      Die unterschiedliche Ausgangssituation der verschiedenen Verlagsarten
  * Unter andere Verlage fallen Lehr- und Schülbücher, Kinderbücher
                                                                                      zeigt sich besonders deutlich in den Umsatzzahlen. Für Fachverlage sind
  		 und Tourismuspublikationen
                                                                                      die Umsatzzahlen der digitalen Medien bereits heute deutlich höher
  Grundwert               Schwankung                                                  (Schwankung zwischen 25%–50% laut Befragung). Sie haben in den letzten
(goetzpartners)
                                                                                      Jahren den Wandel bereits eingeleitet und mit spezifischen Angeboten für
                                                                                      ihre Zielgruppen Paid-Content-Angebote entwickelt sowie eine Diversifi-
                                                                                      zierung in neue Produktangebote angestoßen. Für alle Verlagsarten kris-
                                                                                      tallisiert sich heraus, dass Wachstum nur im digitalen Segment möglich ist
                                                                                      und dessen Bedeutung entweder noch zunimmt (Fachverlage) oder in den
                                                                                      nächsten Jahren zu einem neuen „Standbein“ werden wird.

                                                                                      1) Die Worte „elektronisch“ und „digital“ werden im Rahmen dieser Studie synonym verwendet
                                                                                      2) Digitale Medien umfassen E-Books, elektronische Zeitschriften, Hörbücher, DVDs sowie Software
1. These: Digitale Evolution statt Revolution _ 5

E-Book-Markt USA: Ein Blick über den großen Teich

Blickt man auf die andere Seite des Atlantiks, zeigt sich, dass die Vereinig-
                                                                                  Abbildung 2: E-Book-Umsätze in den USA
ten Staaten bereits einen Schritt weiter sind, was die Verbreitung von
elektronischen Büchern und digitalen Lesegeräten betrifft. Vor allem seit                 2006:                     Nov. 2007:            März 2010:
                                                                                     Die ersten Sony
der Einführung von Amazons E-Book-Reader Kindle sind die Umsätze in                    Reader sind
                                                                                                                  Kindle-Start in
                                                                                                                     den USA
                                                                                                                                       Verkaufsstart von
                                                                                                                                         Apples iPad
                                                                                        erhältlich
die Höhe geschnellt. Schätzungen zufolge macht der Umsatzanteil der
E-Books in den USA bereits etwa 5% aus. Laut dem Branchenverband                                                                                    1.200
                                                                                                                                            +887
Association of American Publishers belief sich der Umsatz mit E-Books             [Umsatz in Mio. EUR]

2009 auf 313 Millionen Dollar. Mit einem Umsatzplus von 177% ist das                                                                         600
                                                                                                                               +246
E-Book damit größter Wachstumsmotor in der Buchindustrie. Im ersten                                      +47                          313

Halbjahr wuchs der Markt um satte 200%. Bis 2015 wird sich dieses                       20       30      44     54      67     113

Wachstum fortsetzen und ein Marktvolumen von ca. 3 Mrd. US-Dollar                      2003     2004     2005   2006   2007    2008   2009 2010e 2015e

erreichen (Abbildung 2). Wir gehen davon aus, dass dieses Wachstum zu           (goetzpartners)
ca. zwei Drittel den klassischen Buchmarkt „kannibalisieren“ und das letzte
Drittel in realem Wachstum umgesetzt wird.

Auch in den USA profitieren vor allem die Fachverlage von dem starken
Wachstum, aber im Gegensatz zu Deutschland werden in den USA auch
immer mehr Belletristik-Titel in elektronischer Form verkauft. Allerdings
gehen die Experten davon aus, dass das klassische Buch weiterhin der
Hauptumsatzträger bleibt und die digitalen Formate der Wachstumsmo-
tor sind.

Neue Chancen in der digitalen Welt

Die multimedialen Möglichkeiten eröffnen den Verlagen eine aufregende,
neue Welt. Neben den Fachverlagen nehmen vor allem auf bestimmte Be-
reiche fokussierte Verlage, wie z. B. Ratgeber- oder Reiseverlage, digitale
Formate als Chance wahr, die dem Anwender attraktiven Zusatznutzen
und bei den Produkten Raum für Innovationen bieten.

 	Multimedialität: Texte lassen sich mit Audio- und Bild-Elementen er-
   gänzen. Videos und Animationen können Dinge veranschaulichen,
   die bisher mit Text beschrieben wurden. Das iPad sticht gegenüber
   seiner aktuellen Konkurrenz vor allem durch seine Vielfarbigkeit und
   den Touchscreen hervor, ein Feature, mit dem sich viel Neues gestalten
   lässt. Autoreninterviews, Audiokommentare oder Videoanleitungen
   z. B. für Kochbücher könnten das gedruckte Wort ergänzen und Inhalte
   veranschaulichen.

 	Interaktivität: Tablets ermöglichen auch die Miteinbeziehung des Le-
   sers durch interaktive Inhalte beispielsweise bei Ausbildungspubli-
   kationen. So können Lerninhalte direkt abgefragt oder vertiefende
   Informationen und Links direkt neben der Hauptinformation platziert
   werden. Der User hat auf der anderen Seite die Möglichkeit, ortsunab-
   hängig und zu jeder Zeit Informationen einzuspielen.
6 _ Verlagshäuser 2020

                                                               	Aktualität: Digitale Formate bieten die Möglichkeit, dass Inhalte stets
                                                                 auf dem neuesten Stand sind und leicht aktualisiert werden können.
                                                                 Ein Feature, das in einer schnelllebigen Welt von essenzieller Bedeu-
                                                                 tung ist.

                                                               	Mobilität: Tablets ermöglichen flexiblen Medienkonsum. Nutzer kön-
                                                                 nen überall auf Inhalte zugreifen. Zukünftig könnten Tablets nicht nur
                                                                 als Unterhaltungsgerät fungieren, sondern sich auch in der Arbeitswelt
                                                                 etablieren, z. B. als multifunktionaler Wegweiser bei Begehungen oder
                                                                 für digitale Krankenakten.

                                                               	Personalisierung: Inhalte könnten zukünftig stärker auf den jeweiligen
                                                                 Nutzer zugeschnitten werden, z. B. mit dem eigenen Wunschbuch oder
                                                                 der individuellen Zusammenstellung von Fachinformationen.

               „Vor allem in der Belletristik                 Digitale Zukunftsvisionen vs. greifbare Realität: Unterschiedliche
                                                              Zielgruppen haben unterschiedliche Präferenzen
         werden elektronische Produkte als
        eher flüchtig wahrgenommen auf-                       Entscheidend für die Zukunft klassischer Druckerzeugnisse bleibt letztlich
         grund der begrenzten Haltbarkeit                     die Einstellung der Leser. Fest steht, dass bestimmte Printprodukte, wie
        von Datenträgern, Endgeräten und                      z. B. Kinderbücher oder Bildbände, aufgrund der besonderen Ausgestal-
                                                              tung ihrer Haptik weiterhin für ihre Zielgruppe attraktiv bleiben. Aber auch
                  Software-Programmen.“
                                                              hier zeigen sich in den USA bereits neue Tendenzen und Trends, die nach
                    Dr. Hermann Riedel, Carl Hanser Verlag    Deutschland überschwappen könnten. Vor allem im Bereich Kinderbuch
                                                              nutzen Verlage die digitalen Formate, um Inhalte mit Animationen und
                                                              Geräuscheffekten zu versehen und um Interaktion und Partizipation zu er-
                                                              möglichen. Disney ist dabei ein früher Marktführer, was den Verkauf von
                                                              Kinder-E-Books betrifft. Aber auch die anderen Kinderbuchverlage tüfteln
                                                              an innovativen Ideen, wie z. B. einem Do-it-yourself-Programm, mit dem
                                                              Eltern, Großeltern oder Kinder selbst Geschichten in ihrer eigenen Stimme
                                                              aufnehmen können. Trotz dieser digitalen Tendenzen glauben auch die
  Abbildung 3: Anteil der Verlage mit digitalen
                                                              amerikanischen Verlage noch nicht daran, dass das klassische Kinderbuch
  Produkten im Markt
                                                              vom Aussterben bedroht ist.
                                                       100%
                                                              Anders als in der Belletristik verhält es sich im Fachbuchbereich. Hier ver-
                                                              langen Kunden vermehrt nach elektronischen Formaten. Während die
                                        67%
         82%               80%
                                                 Bereits
                                                 im Markt     Publikumsverlage weiterhin auf Printausgaben setzen, wird Fachliteratur
                                                              vor allem aus dem wissenschaftlichen, technischen und medizinischen Be-
                            0%
                                        11%      In Planung
                                                              reich bereits seit Jahren in elektronischer Form publiziert.
         9%                                      Nur Print-
                           20%          22%      produkte
         9%
         Fach-
     information/
                        Belletristik   Andere
                                       Verlage
                                                              Die Verbreitung mobiler Endgeräte: Entscheidend für die Verbreitung
     Wissenschaft
                                                              digitaler Formate

(goetzpartners)                                               Ob sich die elektronischen Formate gegenüber den klassischen Printaus-
                                                              gaben durchsetzen, hängt letztlich von der Verbreitung der Endgeräte, der
1. These: Digitale Evolution statt Revolution _ 7

Preispolitik für die digitalen Formate und dem direkten Zugang und der
einfachen Nutzung vielfältiger Applikationen für den Endkonsumenten ab.

Bislang bewegen sich die Endgeräte in einer Preiskategorie, welche eine
flächendeckende Verbreitung erschwert. Erst wenn Tablet-Computer und
die darauf abspielbaren digitalen Inhalte zu erschwinglichen Preisen er-
hältlich sind, wird es zu einem digitalen Durchbruch kommen. Ein in Indien
vorgestellter Tablet-Prototyp für 35 Euro zeigt, dass auch hier ein Wandel
im Gange ist.

Bis zum Start der IFA in Berlin 2010 hatten rund zwei Dutzend Hersteller               „Durch die Kombination der tech-
den Start eines eigenen Tablet-Computers angekündigt. Von dem rasant
                                                                                       nischen Möglichkeiten mobiler
wachsenden Markt wollen sich viele Anbieter eine Scheibe abschneiden.
Da viele aber lediglich ein Me-too-Produkt ohne echte Differenzierung an-
                                                                                       Computer mit einem für Printmedien
bieten, wird sich der Markt sehr schnell konsolidieren. Am Ende werden                 hochgradig kompatiblen Formfaktor
etwa vier bis fünf Endgeräte den Markt dominieren.                                     und Bedienkonzept bieten Tablets
                                                                                       ein enormes Potential für Verlage.
Für die Verlage bedeutet dies zum einen, ihre Inhalte unabhängig vom End-
gerät anzubieten (siehe These 3), und zum anderen aber auch, sich unabhän-             Neben der multimedialen Präsen-
gig von singulären Vertriebsstrategien und Partnern zu machen.                         tation der Inhalte, etwa durch die
                                                                                       Integration von Videos oder Podcasts,
Die Bedeutung des iPads
                                                                                       eröffnen sich gerade für Reiseverlage
Eine herausragende Stellung im Markt der Tablet-Computer hat das iPad                  vollkommen neuartige Anwendungs-
als Pionier. Von den meisten Verlagen wird das iPad als Beginn einer neu-              möglichkeiten - beispielsweise die
en Technologiegeneration gesehen, das die Entwicklung neuer Produkte
                                                                                       individuelle Steuerung medialer
ermöglicht. Ob sich das Apple-Produkt letztlich durchsetzen wird, bleibt
offen. Schon heute wird es aufgrund mangelnder Multitasking-Fähigkeit                  Inhalte unter Berücksichtigung von
und Schnittstellen vielfach kritisiert. Der begrenzte Nutzen und Mehrwert              aktuellem Standort oder persön-
des iPads für die spezifischen Kundengruppen der Fachverlage erklärt auch
                                                                                       lichen Präferenzen des Nutzers.“
die zurückhaltenden Angebote der Fachverlage für dieses Gerät (nur 18%
                                                                                       Carolin Hauber, MAIRDUMONT
sind im Markt bereits vertreten). Momentan werden Tablet-Computer vor
allem als ein Unterhaltungsgadget für private Haushalte gesehen. Daher
haben Belletristik-Verlage bei den iPad-Formaten die Nase vorn – bereits
50% der befragten Verlage bieten E-Books an, die auf dem iPad gelesen
werden können.

                                                          Abbildung 4: Angebote für das iPad
Für die meisten (Fach-)Verlage steht fest, dass Tablet-
Computern in Zukunft eine bedeutende Rolle zu-
                                                                                                                                               100%
kommen wird. Grundsätzlich zeigen die Verlagshäuser        Formate für iPad
                                                             auf dem Markt
                                                                               32%              18%
                                                                                                                 40%           44%
keine besonderen Präferenzen für einen spezifischen           Angebote für
                                                                                                36%
                                                                               36%
Gerätetyp. Die technische Umwandlung und umfas-               iPad geplant                                       40%           33%
                                                           Keine Angebote                       45%
sende Präsenz der Inhalte auf die gängigsten Endge-        für iPad geplant
                                                                               32%
                                                                                                                 20%           22%

räte (iPad oder WeTab, Kindle oder Sony Reader) blei-                         Gesamt       Fachinformation/
                                                                                             Wissenschaft
                                                                                                              Belletristik    Andere
                                                                                                                              Verlage
ben die zentrale Herausforderung.
                                                                                                                                        (goetzpartners)
8 _ Verlagshäuser 2020

                         Kontroversen um die Preisgestaltung bei E-Books oder
                         „Wer hat Angst vorm Elektrobuch?“3

                         Mit dieser Frage konstatiert „DIE ZEIT“, dass technische Neuerungen seit
                         jeher von Panik begleitet werden, und beschreibt das Unbehagen einiger
                         Verlagshäuser angesichts der neuen Formate. Die eher defensive Hal-
                         tung gegenüber elektronischen Büchern zeigt sich unter anderem bei der
                         Preisgestaltung für E-Books. Anstatt das digitale Geschäft in ihrem Sinne
                         zu steuern und durch ein attraktives Pricing das Wachstum im Segment
                         E-Books anzukurbeln, treten die Verlage auf die Bremse.

                         Die Hoffnung von technologiebegeisterten Lesern, dass Verlage mit Bü-
                         chern im digitalen Format Material-, Druck-, Lager- und Versandkosten
                         sparen und damit auch die Preise für E-Books senken, konnte sich bislang
                         nicht verwirklichen. Stattdessen führte die Mehrheit der Verlage eine
                         Pricing-Strategie ein, bei der das E-Book lediglich 10% bis 20% unter der
                         gedruckten Version erhältlich ist. E-Books zu Dumpingpreisen, wie sie
                         beispielsweise in den USA über das Internetkaufhaus Amazon angeboten
                         werden, soll es in Deutschland bis auf Weiteres nicht geben – das verhin-
                         dert die Buchpreisbindung, die auch für E-Books gilt und den Verlagen die
                         Hoheit über die Preisgestaltung zuspricht.

                         In den USA hat sich eine große Kontroverse um die Preise von E-Books
                         entwickelt. Zum Unmut der Verlagshäuser hat sich über Amazon bereits
                         der Standardpreis von $ 9,99 für E-Books etabliert. Mit seiner Dumping-
                         Strategie will Amazon Marktanteile gewinnen und den Kindle-Verkauf
                         vorantreiben. Nicht ohne Erfolg: 2009 liefen ca. 80% der E-Book-Umsätze
                         über Amazon. Während das Unternehmen E-Books unter dem Einkaufs-
                         preis verkauft, befürchten die amerikanischen Verlagshäuser, dass die
                         Preise für E-Books letztlich so niedrig werden, dass keine gebundenen
                         Ausgaben mehr gekauft werden und die Verlage damit ihre Geschäfts-
                         grundlage verlieren. Mit dem iPad und Apples Bookstore iBooks hat zur
                         Freude der US-Verlagshäuser ein neuer großer Player die Bühne betreten.
                         Bislang räumt Apple den Verlagshäusern bessere Preiskonditionen als
                         Amazon ein. Dadurch gewinnen die Verlage zwar an Verhandlungsmacht
                         gegenüber Amazon, laufen jedoch Gefahr, ihre Abhängigkeit von Amazon
                         zu Apple zu verlagern. Aber nicht nur Apple, auch der Suchmaschinen-
                         riese Google möchte mit seinem Bookstore Google Editions Amazon die
                         marktbeherrschende Stellung streitig machen und das E-Book-Business
                         aufmischen. Mit der Ankündigung des Verkaufs der US-Buchhandels-
                         kette Barnes & Noble im August 2010 wird erwartet, dass sich auch
                         der Buchhandelsriese mit seinem eigenen Lesegerät („Nook“) und dem
                         nach eigenen Aussagen größten E-Book-Shop der Welt künftig auf den
                         Absatz digitaler Leseprodukte konzentrieren wird.

                         3) DIE ZEIT, 22.10.2009, Nr. 44
1. These: Digitale Evolution statt Revolution _ 9

Der Preisstreit und die damit verbundene akute Sorge der Buchverlage
um den Absatz von gedruckten Ausgaben ist aufgrund der hiesigen Buch-
preisbindung nur bedingt auf Deutschland übertragbar. Jedoch müssen
sich auch hierzulande die Verlagshäuser Gedanken machen, wie sie den
Riesen Amazon, Apple und Google begegnen. Schwierig wird es außerdem
in Zeiten des digitalen, globalisierten Buchhandels, Regeln wie die Buch-
preisbindung aufrecht zu erhalten. Auch die nach wie vor schwächelnde
Musikbranche, welche sich lange Zeit gegenüber neuen Geschäftsmodel-
len verschlossen hat und für MP3-Alben denselben Preis verlangte wie für
CDs, zeigt den Buchverlagen auf, wie es nicht laufen sollte.

Digitale Formate als Chance für Innovationen und neue Geschäftsmodelle

Ohne eine klare Differenzierung des Produktes wird der Preis von E-Books
eine dominante Rolle spielen. Denn für eine Datei möchte keiner so viel
zahlen wie für das gedruckte und gebundene Äquivalent, das man in die
Hand nehmen, verschenken und signieren lassen kann und das zudem
ohne Lesegerät und Strom funktioniert.

Die Verlage müssen die neuen Formate daher als Chance sehen und sich
neuen Geschäftsmodellen öffnen. Ziel muss es sein, mit den digitalen For-
maten dem Kunden erweiterte Produkteigenschaften anzubieten, die für
die jeweilige Kundengruppe einen echten Mehrwert bedeuten. Mit der
Zeit werden sich die Endgeräte und die darauf erhältlichen Applikationen
in ihrer Funktionalität stark erweitern, sodass neue Anwendungsmög-
lichkeiten denkbar sind. Bereits heute schaffen iPad und Co. eine Reihe
von Möglichkeiten, die sowohl im Wissenschafts- und Fachbuchbereich
(z. B. digitale Krankenakten und Diagnostik) als auch in der Belletristik
(z. B. integrierte Audiokommentare oder Videos) oder bei anderen Verla-
gen (z. B. Kochbuchanimationen, Reisepublikationen mit GPS-Verbindung)
Mehrwert generieren können.

Paid-Content-Modelle: Mit echtem Mehrwert von „alles kostenlos“ Inter-
net Mentalität zur Zahlungebereitschaft

Die zentrale Herausforderung für Verlage wird zukünftig darin bestehen,         „Digitale Erlösmodelle frei von
mit ihren digitalen Produkten einen echten Mehrwert für die Kunden zu
                                                                                Abhängigkeiten großer Player
schaffen. Denn nur dann werden Kunden bereit sein, für diese Produkte
gleich viel oder sogar noch mehr zu bezahlen.
                                                                                werden am Markt hände-
                                                                                ringend gesucht.“
Die ersten Schritte bei der Einführung neuer Produkte im digitalen Bereich      David Obando, Egmont Ehapa
prägen das Nutzerverhalten. Im Internet hat sich der Kunde an die kosten-
lose Verfügbarkeit der Informationen gewöhnt. Eine spätere „Umerzie-
hung“ ist zum Scheitern verurteilt. Daher gilt es, von Beginn an die richtige
Preisstrategie zu wählen und eine Balance zwischen Preisakzeptanz der
Kunden und Erlösmaximierung der Verlage zu erzielen.
10 _ Verlagshäuser 2020

                  „Neue Produktformen, neue            Ob es in den nächsten Jahren zu einem Mentalitätswechsel bezüglich der
                                                       Zahlungsbereitschaft kommt, hängt daher im Wesentlichen davon ab, wie
                Geschäftsmodelle sowie neue
                                                       die Verlage sich verhalten und strategisch positionieren.
              Vertriebswege, die einen echten
               Mehrwert für den Kunden auf-            Trend zur Mitwirkung der Kunden bei der Content-Gestaltung
               zeigen, werden zukünftig noch
                                                       Um Mehrwert zu schaffen, muss man wissen, was die Kunden bewegt und
              mehr an Bedeutung gewinnen.“             einen Mehrwert bedeutet. Im nächsten Schritt gilt es herauszufinden, wo-
                           Michael Bruns, Weka Media   für der Kunde bereit ist zu bezahlen. Dementsprechend werden Verlage
                                                       darauf abzielen, die Kunden stärker in die Content-Gestaltung mit einzu-
                                                       beziehen. Um die Wünsche, Präferenzen und Bedürfnisse der Kunden zu
                                                       identifizieren, muss die Interaktion mit dem Kunden institutionalisiert und
                                                       gepflegt werden.

  Abbildung 5: Nutzung von Social-Media-                	Die neuen Medien bieten, z. B. über eigene Online-Shops, die Möglich-
  Aktivitäten der Verlage                                 keit, direkten Kundenkontakt herzustellen, mehr über das Medienver-
                                                          halten der Leser zu erfahren und dabei die großen Buchhandelsketten
           Accounts bei
   Facebook/Twitter/Xing                      36%         zu umgehen. Die meisten Verlage verfügen bereits über eigene Web-
       Eigene Online-
                                                          Shops. Während das webbasierte Geschäft bei Fach- und Wissen-
                           8%
   Community-Plattform
                                                          schaftsverlagen stark ausgeprägt ist und bereits einen bedeutenden
                  Beides                28%               Anteil am Gesamtumsatz ausmacht, spielt der stationäre Buchhandel
                                                          im Bereich Belletristik und bei anderen Verlagssegmenten nach wie vor
    Keine Social-Media-
                Präsenz
                                        28%
                                                          eine große Rolle. Online-Vertriebskanäle werden jedoch immer wich-
                                                          tiger und sollen in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden.
(goetzpartners)

                                                        	Auch über Social Media und Online Communities können Kundenkon-
                                                          takte etabliert, neu gestaltet und gepflegt werden. Jedoch zeigen sich
                                                          hier Grenzen auf. Aufbau und Pflege einer Community ist in der Regel
                                                          mit hohen Kosten verbunden, wenn es darum geht, einen geschützten
                                                          Raum mit Moderation und Management zu etablieren. Insgesamt be-
                                                          trachtet man in der Verlagsbranche die Bedeutung und Wirksamkeit
                                                          von Accounts bei Facebook & Co. als eher gering. Die bloße Präsenz in
                                                          den gängigen Social-Media-Foren bringt aus Sicht der Verlage wenig.
                                                          Da sich Social-Media-Nutzer jedoch gerne von Empfehlungen anderer
                                                          Nutzer beeinflussen lassen, können die Verlagshäuser mit innovativen
                                                          und pfiffigen Ideen versuchen, sie auf sich aufmerksam zu machen.
                                                          Fast alle Verlage haben im Rahmen der Befragung angegeben, dass sie
                                                          im Bereich Social Media präsent sein wollen. Sie testen die etablierten
                                                          Foren an, ohne sie jedoch überstrapazieren zu wollen. Teilweise wer-
                                                          den auch eigene Communities aufgebaut.
2. These: Das Geschäftsmodell der Verlage wird sich entscheidend ändern _ 11

Digitale Evolution statt Revolution

Während einige Enthusiasten bereits die größte Revolution seit der Er-
findung des Buchdrucks proklamieren, betrachten die meisten Verlage
in der Buchbranche die aktuellen Entwicklungen eher nüchtern. Dennoch
verfolgen sie mit großer Aufmerksamkeit, wie sich der Markt entwickelt.
Statt einer digitalen Revolution, welche radikale Veränderung und Wandel
impliziert, entspricht die zunehmende Digitalisierung in der Buchbranche
eher einer digitalen Evolution, einer Entwicklung, die graduell das Verlags-
wesen verändern wird.

Kritisch wird für die Verlage sein, sich bereits jetzt auf die kommenden
Änderungen einzustellen und den Markt und die Kunden zu kennen. Ziel
der Verlagshäuser muss es sein, die Veränderung in ihrem Geschäftsmo-
dell frühzeitig einzuleiten und aktiv das Marktumfeld mitzugestalten, um
nicht am Ende nur mit- oder gar hinterherzulaufen.

2. These: Das Geschäfts-
modell der Verlage wird
sich entscheidend ändern
Im Fokus steht die qualitative Wissens-
vermittlung und eine Ausdehnung des
Produktangebotes

Auf Basis der im vorigen Kapitel skizzierten digitalen Evolution ergeben
sich weitreichende Änderungen im Geschäftsmodell für jede Art von Ver-
lag. Auf der einen Seite steht die allgegenwärtige Bedrohung frei verfüg-
barer Informationen oder auch Raubkopien im Internet, auf der anderen
drängen neue Wettbewerber wie z. B. Amazon oder Google in die klassi-
schen Märkte der Verlage ein und überbrücken deren Wertschöpfungskette
(z. B. bietet Amazon zunehmend Verlagsaktivitäten für Autoren an).

Die digitale Entwicklung ermöglicht es den Verlagen aber auch, ihr An-
gebotsspektrum zu erweitern und in angrenzende Produktbereiche vor-
12 _ Verlagshäuser 2020

                                                          zudringen. Der Rückgang des klassischen Printgeschäftes soll über ein
                                                          Wachstum in Bereichen wie z. B. Erweiterung des Angebots durch Dienst-
                                                          leistungen, Ausbau des Online-Angebots oder neue Produkte mehr als
                                                          kompensiert werden. Mit diesem Schritt betreten viele Verlage allerdings
                                                          Neuland und müssen ihre Organisationsstrukturen und internen Prozesse
                                                          verändern.

               „Fachinformationen werden                  Printverlage werden zu Content-Providern mit erweitertem Aufgaben-
                                                          spektrum und müssen sich gegen den Konkurrenten Internet abgrenzen
              in der heutigen Zeit vermehrt
             von Nicht-Verlagen gemacht.“                 Heute befinden sich die Verlage nicht mehr nur in einem Konkurrenzver-
                                    Norbert Froitzheim,   hältnis untereinander. Vor allem gegenüber dem Informationslieferanten
                          Deutscher Ärzte-Verlag GmbH     Internet müssen sich die Verlage immer stärker behaupten und ihre Da-
                                                          seinsberechtigung erkämpfen. Das Internet bietet nicht nur eine Fülle kos-
                                                          tenloser Information, sondern ermöglicht auch jedem Einzelnen, als Autor
                                                          aufzutreten und seine Werke zu veröffentlichen, z. B. über Open-Access-
            „Größter Wettbewerber bleibt                  Plattformen. Die traditionelle Rolle der Verlage wird dadurch immer weiter
                                                          infrage gestellt.
           das Internet und das kostenlose
                Angebot von Information.“                 Um nicht durch das Internet marginalisiert zu werden, müssen Verlage
                            Michael Bruns, Weka Media     ihren Mehrwert deutlich herausarbeiten:

                                                           	Hierbei könnten Verlage als Qualitätsgaranten und Gatekeeper gesi-
                                                             cherten, unvoreingenommenen und geprüften Wissens auftreten und
                                                             dadurch dem ungefilterten und kostenfreien Informationsangebot des
                                                             Hauptkonkurrenten Internet entgegentreten. Auch gegenüber den
                                                             Autoren müssen Verlage ihren Mehrwert aufzeigen, um sie nicht an
                                                             Open-Access und Self-Publishing-Plattformen oder Amazon4 zu verlie-
                                                             ren. So könnten sich Verlage künftig als Ideenfabriken positionieren,
                                                             die sich um die Vermarktung und den Vertrieb der Inhalte auf allen
                                                             Kanälen bemühen.

                                                           	Auch der Auf- und Ausbau von Markenbildung um das Produkt Buch,
                                                             sei es nun in elektronischer Form oder als Printerzeugnis, könnte eine
                                                             erfolgversprechende Strategie darstellen, um sich in der Branche und
                                                             gegenüber dem Internet zu positionieren. In diesem Sinne könnten
                                                             „Welten um das Buch“ geschaffen werden, z. B. mit Events oder zu-
                                                             sätzlichen Merchandise-Artikeln. So könnten zu Kochbüchern entspre-
                                                             chende Veranstaltungen angeboten oder Kinderbücher mit Videospie-
                                                             len und Spielsachen ergänzt werden. Auch Online Communities und
                                                             virtuelle Foren, in denen sich Leser austauschen können, tragen zur
                                                             Markenbildung bei.

                                                          4)	Amazon wagt sich mit seinem Encore-Programm immer weiter auf das Gebiet klassischer Verlagsarbeit. Das
                                                              Programm wählt anhand von Kundenrezensionen erfolgversprechende Debutanten aus, die über Amazons
                                                              Self-Publishing-Service BookSurge veröffentlichen, und bietet ihnen die Möglichkeit, über den Amazon Store als
                                                              Hardcover, Kindle-Book oder Hörbuch zu publizieren. Damit schafft es Amazon, Verlage zu umgehen und direkt
                                                              mit den Autoren zu verhandeln.
2. These: Das Geschäftsmodell der Verlage wird sich entscheidend ändern _ 13

 	Das Angebot zusätzlicher Dienstleistungen eröffnet ebenfalls neue
   Möglichkeiten für Umsatz und Differenzierung gegenüber anderen
   Verlagen und dem Internet. In diesem Sinne bieten diverse Fachverlage
   schon heute Dienstleistungen wie Schulungen, Seminare, Beratungen
   oder Help-Desk-Services für Software und Inhalte an. Einige Verlage
   arbeiten hier auch vermehrt mit Start-up-Unternehmen zusammen,
   nicht nur um die entsprechenden Dienstleistungen anzubieten, son-
   dern auch um mit ihrer Zielgruppe noch enger in Kontakt zu treten.

 	Der Ausbau eines auf Mehrwert ausgerichteten Online-Angebots bie-
   tet den Verlagen die Möglichkeit, in die Offensive zu gehen. Die ge-
   schickte Verknüpfung von Print- und Online-Produkten kann sogar den
   Absatz von Printerzeugnissen fördern, wenn sich mit dem Kauf des
   Printprodukts zusätzliche Informationen abrufen lassen. Digitale Er-
   gänzungen, Kombi-Produkte und Online Tools müssen jedoch für den
   Kunden echten Mehrwert bedeuten.

 	Letztlich kann auch die Entwicklung neuer Produkte, welche auf Ta-
   blets zugeschnitten sind und die multimedialen Möglichkeiten aus-
   schöpfen, die Verlage davor bewahren, an Bedeutung zu verlieren.
   Technische Neuerungen werden die Schaffung neuer Produkte weiter-
   hin vorantreiben. Einige wenige experimentierfreudige Verlage haben
   sich bereits an die 3D-Technologie gewagt und testen hier neue Mög-
   lichkeiten aus.

Aufbruch in eine digitale Zukunft:
Welche Strategie verfolgen die Verlagshäuser?

Die Einstellung gegenüber digitalen Medien variiert entsprechend der je-
weiligen Ausrichtung des Verlags. Während man im Bereich Belletristik die
elektronischen Formate aus einer eher reservierten Perspektive betrachtet,
begegnet man im Fachbuchbereich und bei der Gruppe der „anderen Ver-
lage“ (Schwerpunkt Schul-/Lehrbuch, Kinder-/Jugendbuch, Ratgeber etc.)
bereits vorsichtiger Euphorie angesichts der neuen Möglichkeiten. Dabei
sind viele Belletristik-Verlage mit digitalen Angeboten vor allem für das
iPad am Markt vertreten – jedoch werden diese Themen nur vereinzelt an-
geboten und opportunistisch verfolgt. Eine konsequente Vorwärtsstrate-
gie zeichnet sich nicht ab.

Unabhängig davon, ob Fach-, Sach- oder Belletristik-Verlag, beobachten
alle Verlagshäuser sehr genau, wie sich der Markt für Tablets, Smartphones
und digitale Inhalte entwickelt. Betrachtet man die Strategie der Verlage
im Bereich digitaler Medien im Einzelnen, zeigt sich jedoch ein deutlich
14 _ Verlagshäuser 2020

                                                              differenziertes und uneinheitliches Bild. Die einzelnen Verlagshäuser sind
                                                              unterschiedlich weit, was den Aufbruch in die digitale Zukunft betrifft, und
                                                              lassen sich dementsprechend in die folgenden drei Kategorien einordnen.

                                                               	Als „First Mover“ werden diejenigen Verlagshäuser bezeichnet, die
                                                                 schon vor einiger Zeit begonnen haben, sich in verstärktem Maße auf
                                                                 digitale Medien auszurichten und ihre technischen Kapazitäten aus-
                                                                 zubauen, um alle Ausgabekanäle zu bedienen. Diese Verlage befinden
                                                                 sich bereits im Prozess der Umsetzung ihrer digitalen Strategie und
                                                                 bieten in größerem Umfang digitale Produkte an. Einerseits reagie-
                                                                 ren „First Mover“ proaktiv auf den Trend der Digitalisierung und sind
                                                                 investitions-, innovations- und experimentierfreudig, was die neu-
                                                                 en Medien betrifft. Auf der andern Seite laufen sie Gefahr, knappe
                                                                 Ressourcen falsch einzusetzen und jeden Trend mitzugehen.

                                                               	Die „Followers“ dagegen sind gerade noch dabei, sich strategisch neu
                                                                 zu positionieren, oder befinden sich bereits in den Startlöchern. Auch
                                                                 wenn das digitale Angebot momentan noch nicht sehr ausgeprägt
                                                                 ist, wurden bereits Vorkehrungen getroffen, um auf zunehmende Di-
                                                                 gitalisierung und verändertes Nutzerverhalten zu reagieren. Digitale
                                                                 Formate und Online-Angebote sind vorhanden, jedoch im Vergleich zu
                                                                 den „First Movern“ in deutlich beschränkterem Umfang. Insgesamt ist
                                                                 man abwartend, was die Erweiterung und den Ausbau im Bereich digi-
                                                                 tale Medien betrifft.

                                                               	Die „Conservatives“ setzen weiterhin auf das klassische Buch und
                                                                 Druckerzeugnisse. Vereinzelt werden Inhalte in digitalen Formaten an-
                                                                 geboten. Eine digitale Strategie existiert nicht oder wurde noch nicht
                                                                 konkretisiert. Trotz der Zurückhaltung gegenüber digitalen Medien
                                                                 beobachten diese Verlage sehr genau, wie sich der digitale Markt ent-
                                                                 wickelt.

  Abbildung 6: Strategie der befragten                        Betrachtet man die Strategie der befragten Verlagshäuser unter Berück-
  Verlagshäuser                                               sichtigung der unterschiedlichen Verlagstypen, zeigt sich, dass die Verlage
                                                              im Bereich Fachinformation/Wissenschaft mit knapp 64% die Vorreiter
         11             5           9
                                                  100%
                     20,0%
                                                              unter den Verlagshäusern sind. Über zwei Drittel der Verlage in diesem
                                            „First Movers/
                                  33,3%
                                            Pioneers“         Segment sind „First Mover“ und verfolgen eine proaktive Strategie, was
       63,6%
                                                              digitale Formate betrifft. Während sich 27% als „Followers“ auf die tech-
                     60,0%
                                  44,4%     „Followers“       nischen Neuerungen vorbereiten, verschließen sich lediglich 9% elektro-
                                                              nischen Formaten und setzen weiterhin einen starken Fokus auf Print.
       27,3%
                     20,0%        22,2%     „Conservatives“
        9,1%
        Fach-      Belletristik   Andere
                                                              Das Segment der „Conservatives“ macht im Bereich der Belletristik und bei
                                                              der Gruppe der anderen Verlage mit rund 20% einen größeren Anteil aus
    information/                  Verlage
    Wissenschaft

                                                              als bei den Fachbuch- und Wissenschaftsverlagen, bleibt aber doch verhält-
(goetzpartners)
2. These: Das Geschäftsmodell der Verlage wird sich entscheidend ändern _ 15

nismäßig klein. Dominierend sind hier die „Followers“. 60% der befragten
Belletristik-Verlage und 44% der anderen Verlage stellen sich auf die neu-
en, digitalen Formate ein und bieten bereits erste elektronische Produkte
an. An vorderster Front einer digitalen Offensive stehen in der Belletristik
ein Fünftel, bei den anderen Verlagen bereits ein Drittel der Verlagshäuser.
Hier zeigt sich, dass der Großteil der Verlage in der Belletristik und anderer
Verlage weniger experimentierfreudig sind und gerade erst beginnen, ihre
Strategie im Bereich digitale Welten zu definieren und umzusetzen.

Betrachtet man das Gesamtbild, wird noch einmal deutlich, inwieweit die           „Verlage werden ein anderes
jeweilige Zielgruppe die Strategie der Verlagshäuser beeinflusst. Während
                                                                                  Selbstbild entwickeln müssen.“
man im Bereich der Fachinformation und Wissenschaftsliteratur bereits
seit Jahren auf digitale Formate setzt, steht man bei den anderen Verlagen        Norbert Froitzheim,
                                                                                  Deutscher Ärzte-Verlag GmbH
und der Belletristik langsam unter Zugzwang.

Die Zukunft der Verlage liegt in der Diversifizierung des Angebotes rund
um die anvisierte Kundengruppe

Viele Verlagshäuser – allen voran die Fachverlage – haben sich aufgrund
                                                                                    Abbildung 7: Diversifizierung der Buchverlage
stagnierender Umsätze im Stammgeschäft schon vor Jahren in benachbar-
te Gebiete und Anwendungen begeben. Diese ringförmige Entwicklung
immer weiter vom ursprünglichen Stammgeschäft weg folgt einem Pa-                                           Zusatzservices/
                                                                                                            Dienstleistungen
radigmenwechsel (Abbildung 7). Nicht mehr das gedruckte Medium Buch                       Online-Angebote                      Neue Produkte

steht im Mittelpunkt – sondern die anvisierte Kundengruppe.                                                     E-Book             Markenbildung

                                                                                                                Hörbuch
Einige Beispiele verdeutlichen diese Entwicklung. So sind einige Verlage
dazu übergegangen, für ihre Kundengruppen ganze Markenwelten zu kre-                                             Buch

ieren, welche sie dann auf verschiedene Endprodukte ausrollen. Anfangs
noch auf das Buch beschränkt, geht diese Markenbildung bis hin zur Lizen-
                                                                                                                                        (goetzpartners)
zierung für Videospiele. Andere Verlage konzentrieren sich auf das Infor-
mationsbedürfnis ihrer Kundengruppe und versuchen, dies zu jeder Zeit
und vollumfassend zu bedienen. Dies beinhaltet die umfassende Präsenz
bei den digitalen Medien, aber auch z. B. die Entwicklung von Software und
Schulungen. Das Verlagshaus wird damit zum Informationslieferant, un-
abhängig vom gewählten Transportmedium.

Diese Erweiterung kann nur gelingen, wenn man die Wünsche und Vor-
stellungen der Kunden kennt. Den Kunden sollte nicht nur aktiv die Mög-
lichkeit für Feedback und Vorschläge zur Verbesserung gegeben werden.
Der nächste Schritt ist die Einbindung in die Produktgestaltung. Der Trans-
fer findet folglich nicht mehr nur von innen nach außen, sondern auch in
umgekehrter Richtung statt. Manch ein Verlag bekennt sich hierbei zum
„Crowdsourcing“ und möchte diesen Schritt der aktiven Einbindung der
Kunden in die Produktgestaltung bewusst gehen.
16 _ Verlagshäuser 2020

              „Digitale Produkte entstehen            Der Paradigmenwechsel hin zu den Informationsbedürfnissen der Kunden
                                                      und zur Ausdehnung in die digitale Welt bedeutet für die Verlage auch im-
               nicht in den herkömmlichen
                                                      mer eine Anpassung der internen Strukturen, Organisationsformen und
             Abläufen der Printproduktion.            Prozesse. Neben der Einbettung der neuen Produkte müssen alte Struk-
             Die Verlage müssen offen sein            turen aufgebrochen und Freiräume für Experimente und Ideen geschaffen
                   für neue Arbeitsweisen.“           werden, um in der digitalen Welt neue Anwendungen und Themen zu te-
                                                      sten und einzuführen.
           Reiner Blankenhorn, Langenscheidt Verlag

                                                      Unternehmensbeispiel – Die Pearson Verlagsgruppe als Media Innovator

                                                      Die Pearson Verlagsgruppe spiegelt den Wandel im Selbstverständnis,
                                                      welchen die Verlagshäuser vollziehen müssen, beispielhaft wider. Das
                                                      britische Verlagsunternehmen hat in den letzten Jahren auf die Heraus-
                                                      forderungen einer zunehmenden Digitalisierung reagiert und sein Ge-
                                                      schäftsmodell den neuen Realitäten angepasst. Als ein Vorreiter unter
                                                      den Verlagshäusern hat Pearson massiv in digitale Strategien investiert,
                                                      sukzessive neue Geschäftsfelder erschlossen und das Geschäftsmodell er-
                                                      weitert – mit Erfolg.

                                                      Die Pearson Verlagsgruppe hat sich in den vergangenen Jahren zum welt-
                                                      weit führenden Verlag im Bildungsbereich etabliert. Mit einem Umsatz
                                                      von £ 5,6 Milliarden wuchs das Unternehmen von 2004–2009 um durch-
                                                      schnittlich 11% p. a. und ist damit weltweit die Nr. 1 unter den Buchverlagen.5

                                                      Alle drei Hauptgeschäftsfelder von Pearson (Bildung, Literaturverlag / Pen-
                                                      guin Group, Business Information / Financial Times Group) wurden mit
                                                      Online-Angeboten, digitalen Produkten und Dienstleistungen strategisch
                                                      ausgebaut. So bietet Pearson im Bildungsbereich neben Schul- und Sach-
                                                      büchern, Nachschlagewerken und Lexika Bildungssoftware und Online-
                                                      Weiterbildungs- und -Studienkurse an. Technische Möglichkeiten schöpft
                                                      die Verlagsgruppe aus und ergänzt sein Produktportfolio mit innovativen
                                                      und zukunftsweisenden Produkten. So bietet Pearson mit dem von Apple
                                                      entwickelten Schul-Infosystem „PowerSchool“ Pädagogen, Schülern und
                                                      Eltern einen webbasierten Service an, der sie über Noten, Hausarbeiten
                                                      und Anwesenheit informiert. Darüber hinaus entwickelt Pearson iPod-
                                                      Lösungen für Pädagogen und Schüler, z. B. Podcasts zur Aufarbeitung von
                                                      Lerninhalten oder Vorbereitungshilfen für Prüfungen. Im Bildungsbereich
                                                      rundet Pearson sein Angebot mit Testcentern und Sprachschulen ab, wel-
                                                      che die Verlagsgruppe überall auf der Welt betreibt.

                                                      Auch der Literaturverlag Penguin investiert mit dem Ausbau des E-Book-
                                                      Angebots und Online Communities ins digitale Geschäft. Eine Online-
                                                      Initiative der besonderen Art stellt penguin.match.com dar – eine Partner-
                                                      börse für Leseratten, welche Pearson gemeinsam mit einem externen An-
                                                      bieter betreibt.

                                                      5) „Publishers TOP 50“, The Bookseller, 10. Juli 2009
3. These: Die neuen technischen Möglichkeiten bringen die Verlage in die „Komplexitätsfalle“ _ 17

Im Zeitungsbereich bietet die Financial Times Group mit ft.com ein Online-
Portal mit zahlungspflichtigen Beiträgen an. Mit knapp 110 000 tatsächlich
zahlenden Nutzern ist das Online-Angebot nur bedingt erfolgreich. Trotz-
dem möchte sich Pearson auch in diesem Segment künftig weiter in Rich-
tung digitale Geschäftsmodelle orientieren.

Die Entwicklung von Pearson ist ein gutes Beispiel für den Wandel im Ge-
schäftsmodell hin zu digitalen Produkten und einer Expansion des Pro-
duktangebotes. Ein Drittel des Gesamtumsatzes wird bereits mit digitalen
Umsätzen erwirtschaftet. Die Verlagsgruppe sucht bewusst den Umbruch
und die konstante Fortentwicklung durch Experimente und unkonventio-
nelle Ideen und nimmt dabei auch das Risiko des Scheiterns in einzelnen
Entwicklungen mit ins Kalkül.

3. These: Die neuen
technischen Möglichkeiten
bringen die Verlage in die
„Komplexitätsfalle“
Die Einbindung von Bewegtbildern als
die nächste Herausforderung

Im digitalen Zeitalter begegnen die Verlage einer stei-
                                                            Abbildung 8: Herausforderungen der Verlagshäuser
genden Komplexität, welche sowohl die Produkte als
auch die Prozesse betrifft. Während die traditionelle
                                                                         Suche nach neuen Erlösmodellen,
Hauptaufgabe eines Verlags darin bestand, Inhalte zu                     z. B. Paid Content, neue Produkte                                                    72%

generieren, muss er sich heute in verstärktem Maße                              Multi-Plattform-Problematik                                      44%

der Veredelung und Aufbereitung dieser Inhalte wid-                           Einbindung von multimedialen
                                                                                   Elementen/Bewegtbildern                                 28%

men und möglichst alle Ausgabekanäle von Print bis                             Digitales Rechtemanagement                                 24%
Online bedienen. Für viele Verlage bedeutet dies Zu-
                                                                          Zusatzkosten für digitale Produkte                        16%
satzkosten, denen im Gegenzug nicht immer auch
                                                                              Konkurrenz durch das Internet
Mehrerlöse gegenüberstehen. Um die Kosten zu kom-                                                                                   16%

                                                                                  Flexibilität und schnelle
pensieren und Investitionen zu schultern, suchen viele                     Anpassungsfähigkeit der Verlage                    12%

Verlage nach neuen Erlösmodellen. Eine Suche, die                          Miteinbeziehung der Leser in die
                                                                                        Content-Gestaltung                    12%

sich nicht unbedingt einfach gestaltet und von fast                 Neugestaltung eigener Vertriebskanäle              4%
drei Viertel der befragten Verlage als die drängendste
                                                             Ergebnis der Befragung der 25 Buchverlage; Mehrfachnennungen möglich
Herausforderung angesehen wird.
                                                                                                                                                       (goetzpartners)
18 _ Verlagshäuser 2020

                       „Die Einführung medien-                                  Nach der Multi-Plattform-Problematik wartet mit der Einbindung
                                                                                von Bewegtbildern schon die nächste Komplexitätsstufe
                      neutraler, automatisierter
                         Prozesse zur Datenauf-                                 Die Bedeutung, seine unterschiedlichen Zielgruppen auf allen Kanälen –
                     bereitung, um alle Formate                                 sei es nun als Buch, über das Internet, E-Reader oder Smartphones – zu
                         zu bedienen, glich einer                               erreichen, wurde bereits erläutert. Neben dem klassischen Buch eine elek-
                                                                                tronische Version bereitzustellen, die sich jederzeit abrufbar auf alle mo-
                              Herkulesaufgabe.“
                                                                                bilen Endgeräte übertragen lässt, bedeutet jedoch nicht nur zusätzliche
                                             Dr. Hermann Riedel,                Kosten, sondern ist auch mit großem technischem Aufwand verbunden.
                                              Carl Hanser Verlag                Einige Verlage betonen, dass die Produktionskosten für ein E-Book genau-
                                                                                so hoch seien wie für die Printausgabe. Inhalte neutral aufzubereiten und
                                                                                auf eine Plattform zu bringen, die alle Ausgabekanäle bedient, bleibt eine
                                                                                der größten Herausforderungen und rangiert unter den befragten Verla-
                                                                                gen an zweiter Stelle.

  Abbildung 9: Veränderung des Produktions-                                     Die Medienneutralität von Daten und das Multi-Channel-Publishing stellen
  prozesses durch digitalen Wandel                                              für die Verlage eine besonders anspruchsvolle Aufgabe dar. Um Daten auf
                                                                                verschiedene Medien zu übertragen und Inhalte crossmedial vermarkten
                                                                                zu können, müssen Konvertierungen in unterschiedliche Formate vor-
           Autor      Produktion        Marketing           Distribution
                                                                                genommen werden, die mit großer technischer Komplexität und hohen
                                                                                Kosten verbunden sind. Dazu zählt auch die Anpassung der Inhalte an die
                                                                                Anzeigefähigkeiten der unterschiedlichen Endgeräte. Mit immer neueren,
                                   Ausgabekanäle                                differenzierteren Lesegeräten und Tablet-Computern und einer Vielfalt
           Inhalt     Datenauf-
                      bereitung
                                       - Web
                                       - Mobile               Archivierung      von Dateiformaten wie epub, PDF, Mobipocket und Apps wird der Prozess
                                       - Print
                                       - E-Reader*
                                                                                der Datenaufbereitung weiter an Komplexität zunehmen. Die meisten
                                                     *iPad, Kindle, Sony etc.   Verlage streben eine medienneutrale und weitgehend automatisierte
                                                                                Aufbereitung auf Grundlage einer XML-Datenbasis an. Die Komplexitäts-
(goetzpartners)
                                                                                frage muss aber in der Folge noch um mehrere Aspekte erweitert werden,
                                                                                denn für die unterschiedlichen Formate müssen die jeweiligen Rechte an
                                                                                Inhalt, Bild und Ton vorgehalten und mit dem internen Provisionssystem
                                                                                verknüpft werden. Viele Verlage lösen dieses Problem bisher, in dem sie
                                                                                die gesamten Rechte einkaufen und pauschale Vergütungen anstreben.
                                                                                Im Hinblick auf ein zunehmendes Wachstum des digitalen Segmentes be-
                                                                                deutet das für die Verlage einen zunehmenden Kostenfaktor.

                    „Technische Veränderungen,                                  Darüber hinaus möchten einige Verlage künftig die multimedialen Mög-
                                                                                lichkeiten digitaler Formate voll ausschöpfen. Die Einbindung von multi-
                    die man noch nicht absehen
                                                                                medialen Elementen wie Bewegtbildern oder Animationen stellt die Ver-
                      kann, sind eine Chance, die                               lagshäuser vor neue, technische Herausforderungen.
                    man nutzen muss. Es gilt he-
                    rauszufinden, wie man diese                                 Um der „Komplexitätsfalle“ entgegenzutreten, holen sich die meisten Ver-
                                                                                lage kompetente Partner mit ins Boot. Gleichzeitig legen diese Wert darauf,
                       Chance am besten für sich
                                                                                das technische Know-how auch im Verlag aufzubauen. Das Wissen um tech-
                                   nutzen kann.“                                nologische Neuerungen und Prozesse verschafft den Verlagen Unabhän-
                             Dirk Wolters, Wolters Kluwer                       gigkeit und befähigt sie, die Transformation zu steuern. Der Bereich IT wird
                                                                                dadurch nicht nur zu einem strategisch wichtigen Ressort, sondern auch zu
                                                                                einem wesentlichen Innovationsmotor und Labor für Experimente.
3. These: Die neuen technischen Möglichkeiten bringen die Verlage in die „Komplexitätsfalle“ _ 19

Urheberrechtsschutz vs. Benutzerfreundlichkeit

Im August 2010 berichteten die Medien, dass Literaturnobelpreisträger
Günter Grass die Veröffentlichung seiner Werke im digitalen Format un-
tersagt, „bevor ein die Autoren schützendes Gesetz wirksam wird.“

Das Schicksal der Musikindustrie, die Angst vor dem massenhaften il-
legalen Download von Büchern aus dem Internet sowie der Schutz des
geistigen Eigentums der Autoren machen Dokumentensicherheit für die
meisten Verlage zu einem wichtigen und aktuellen Thema. Die Verwirk-
lichung von digitalem Rechtemanagement (DRM) bleibt jedoch bei den
meisten Verlagen umstritten bzw. wird heftig diskutiert. Einerseits ist
Kopierschutz wichtig, um die Urheberschaft der Autoren zu schützen. An-
dererseits bedeutet Kopierschutz eine unkomfortable und unpraktische
Nutzung für den Kunden. Einige Verlage haben sich daher entschieden,
Kopierschutz nur bei bestimmten Produkten anzuwenden, abhängig
vom jeweiligen Produkt und von der Zielgruppe. Andere Verlage wiede-
rum beharren auf DRM, obwohl es unpraktisch, umständlich und nicht
kundenfreundlich ist.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass das Thema DRM das Wachstum im
digitalen Segment effektiv bremst. Die Einschränkung der Nutzerfreund-
lichkeit und Gefahr, bei einem Systemabsturz alle Daten zu verlieren, be-
raubt die digitalen Bücher der Ubiquität als eines der wesentlichen Vor-
teile. Der User möchte nicht nur Sicherheitskopien für die erworbenen
Bücher und Texte machen, sondern auch das Produkt auf mehreren End-
geräten zugleich nutzen. Das Problem des Kopierschutzes ist daher eng
gekoppelt an die Preis- und Produktpolitik der Verlage. Zieht man den
Quervergleich zu der Musikindustrie, konnte erst ein einfaches und preis-
lich attraktives Angebot den „Sumpf“ der Musiktauschbörsen weitestge-
hend trockenlegen. Auch die Verlage werden ihr Preisangebot letztlich so
gestalten müssen, dass für die User die Einfachheit des Systems den Reiz
des illegalen Kopierens überwiegt.

Im Bereich der Produktpolitik – gerade für die Fachverlage – können Ser-
vice- und Abomodelle eine Verletzung des Urheberrechtes unterbinden.
Dies ergibt sich zum einen überall dort, wo zum Beispiel eine ständige
Aktualisierung der Daten vorgenommen wird. Der Kunde wird diesen
Service nur im Rahmen einer Zertifizierung erhalten. Auf der anderen
Seite können zusätzliche Produkteigenschaften wie z. B. eingebettete
Bewegtbilder, Links und Hinweise nur bei gültiger Zertifizierung und
Online-Verbindung angezeigt werden und damit einen wirkungsvollen
Kopierschutz entfalten.
20 _ Verlagshäuser 2020

                          Die zehn wichtigsten
                          Erkenntnisse für Buchverlage
                          Die folgenden zehn Aussagen fassen die wichtigsten Erkenntnisse der drei
                          skizzierten Thesen zusammen. Sie dienen den Verlagen zur Überprüfung
                          ihrer Strategie und zeigen attraktive neue Wege auf:

                          1. Digitale Entwicklung
                          Die digitale Entwicklung ist mehr konstante Evolution denn Revolution.
                          Für die Belletristik-Verlage wird das digitale Segment in der Zukunft ein
                          neues Standbein werden (10%–15% Umsatzanteil), für die Fachverlage bis
                          2015 das dominante Umsatzsegment (50%–70%) darstellen.

                          2. Digitale Produkte und Pricing
                          Um die Akzeptanz der Kunden zu gewinnen, muss das Pricing für das
                          E-Book radikal verändert und in eine intelligente Preis- und Produktpoli-
                          tik überführt werden. Beim reinen E-Book als Basisvariante muss ein si-
                          gnifikanter Preisabstand zur Printversion bestehen. Eine einzuführende
                          Premium-Variante unterscheidet sich durch das Angebot zusätzlicher
                          Produkt-Features (Audio-Kommentare, Einbettung des Hörbuches, Hinter-
                          grundinfos, Bewegtbilder etc.), welche dem Kunden einen echten Mehr-
                          wert bieten. Als Folge kann ein gleichwertiger oder sogar höherer Preis als
                          bei der Printversion für dieses Premium-Produkt verlangt werden.

                          3. Diversifikation
                          Verlage müssen sich diversifizieren. Der Rückgang im klassischen Printge-
                          schäft kann nur durch Wachstum im digitalen Bereich und den Vorstoß
                          in neue Produktsegmente kompensiert werden. Verlage sollten bei dieser
                          Strategie darauf achten, eine Diversifizierung um ihren angestammten
                          Kern zu vollziehen. Dies könnte zum Beispiel die Ausbreitung in angren-
                          zende Produktbereiche (Schulungen und Seminare für die Wissensvermitt-
                          lung) oder Ausweitung um die anvisierte Zielgruppe herum sein (Schaf-
                          fung von Markenwelten für Kinderbücher).

                          4. Mitbestimmung des Kunden
                          Verlage beziehen heute schon die Kunden in ihre Inhaltsgestaltung ein
                          oder bieten zumindest die Möglichkeit, aktiv Feedback zu geben. Dieser
                          Schritt kann durch Social Communities, das Einrichten von Foren und eine
                          offene Produktgestaltung noch intensiviert werden.
Die zehn wichtigsten Erkenntnisse für Buchverlage _ 21

5. Die Zielgruppe kennen
Verlage müssen ihre Kundengruppe besser kennenlernen. Unterschied-
liche Zielgruppen haben unterschiedliche Präferenzen. Die digitalen Pro-
dukte erlauben es den Verlagen, ihr Angebot kostengünstig auf die jewei-
lige Kundengruppe zuzuschneiden, um sich von der Konkurrenz und den
großen Playern wie Google und Amazon zu differenzieren.

6. Paid Content
Mit der Einführung der Tablet-Computer und Smartphones verbinden viele
Verlage die Hoffnung auf neue Erlösquellen. In der Tat gilt es, den Kunden
von Anfang an von der Werthaltigkeit des Produktes zu überzeugen und
ihn daran zu gewöhnen, für Inhalte zu bezahlen. Hat sich der Kunde erst
an eine Gratis-Verfügbarkeit gewöhnt, ist eine Umerziehung nur schwer
möglich.

7. Anpassung der Wertschöpfungskette
Dies bedingt auch immer eine Anpassung der internen Organisations-
struktur und Prozesse: Verlage müssen alte Strukturen aufbrechen und
ihre Prozesse verändern.

8. Freiräume schaffen Ideen
Verlage müssen den Mut haben, auch unkonventionelle Ideen zu entwi-
ckeln und Experimente zu wagen. Dafür müssen Freiräume geschaffen
und Innovationen bewusst gefördert werden.

9. Bewegtbilder
Die Einbindung von Bewegtbildern gilt als die nächste große Herausfor-
derung und bedeutet für die Verlage die nächste Komplexitätsstufe in der
technischen Entwicklung.

10. Strategische Partnerschaften
Aufgrund der Ressourcenknappheit können Verlage nicht mehr alle Ele-
mente der Wertschöpfungskette abdecken. Eine Konzentration auf das
Kerngeschäft und das Eingehen von Partnerschaften rückt immer mehr in
den Fokus.
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