Zürcher Wirtschaftsmonitoring - Herausforderung Demografie: Der Zürcher Wirtschaft fehlen bald die Arbeitskräfte Dezember 2021 - Kanton Zürich
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Kanton Zürich Volkswirtschaftsdirektion Amt für Wirtschaft und Arbeit Zürcher Wirtschaftsmonitoring Herausforderung Demografie: Der Zürcher Wirtschaft fehlen bald die Arbeitskräfte Dezember 2021
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 3 Die Übersicht zur Erholung dürfte Höhepunkt erreicht haben Wirtschaftslage 5 Kanton Zürich Vorsichtig optimistisch: Die meisten Zürcher Unternehmen verzeichnen auch im vierten Quartal positive Geschäftszahlen, doch die Erwartungen haben sich abgekühlt. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt bleibt erfreulich und die Arbeitslosenquote dürfte bald ihr Vorkrisenniveau erreicht haben. 7 Schweiz und Aufschwung verlangsamt sich: Die Erholung der Weltwirt Ausland schaft hat sich über die Sommermonate fortgesetzt. Liefereng pässe, steigende Preise und die epidemiologische Lage bremsen den Aufschwung jedoch in vielen Regionen. 9 Spezialthema Herausforderung Demografie: Der Zürcher Wirtschaft fehlen bald die Arbeitskräfte 10 Ausgangslage: Die Zürcher Bevölkerung wird älter 11 Arbeitsmarkt: Benötigte versus vorhandene Arbeitskräfte 14 Wirtschaftswachstum: Potenzielles versus erzielbares BIP 17 Zusatzanalyse: In welchen Berufen zeichnet sich bereits heute ein Engpass ab? 20 Handlungsmöglichkeiten: Fünf Stellschrauben 23 Anhang 24 Autoren und An- sprechpersonen 25 Wirtschaftsdaten & Prognosen Impressum Herausgeber Volkswirtschaftliche Analysen Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) Fachstelle Volkswirtschaft AWA Walchestrasse 19 Postfach Gestaltung 8090 Zürich Works Graphic Design, Zürich www.zh.ch/wirtschaftsmonitoring Redaktionsschluss Redaktion Redaktionsschluss dieser Ausgabe: Kommunikation AWA 1. Dezember 2021 Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 2
Die Übersicht zur Wirtschaftslage Erholung dürfte Höhepunkt erreicht haben Die Zürcher Wirtschaft brummt und die Arbeitslosigkeit sinkt. Allerdings dürften internationale Engpässe und steigende Fallzahlen die Erholung abbremsen. Aktuelle Geschäftslage auf Vorkrisenniveau Konsumausgaben steigen wieder Die Geschäftslage der Zürcher Unternehmen hat sich zum Jahresende Die Ausgaben im stationären Handel sind im Kanton Zürich Mitte hin noch einmal leicht verbessert und das Vorkrisenniveau von 2019 des vierten Quartals deutlich höher als vor der Krise (2019). Der Unter- überschritten. schied gegenüber dem Schweizer Durchschnitt bleibt aber bestehen. Kartenzahlungen im Detailhandel und Bargeldtransaktionen an Aktuelle Geschäftslage in der Gesamtwirtschaft Geldautomaten, Index 100 = Durchschnitt 2019 50 «gut» 2. Lockdown 18.01.2021 150 40 30 20 100 10 0 50 –10 –20 «schlecht» –30 0 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 37 39 41 43 Sep 21 Mär 21 Jan 21 Mai 21 Jul 21 Sep 18 Sep 19 Nov 18 Sep 20 Nov 19 Nov 20 Mär 18 Mär 19 Mär 20 Jan 18 Jan 19 Jan 20 Mai 18 Mai 19 Mai 20 Jul 18 Jul 19 Jul 20 Kalenderwoche 2021 Index Zürich Index Schweiz Kanton Zürich Schweiz Quelle: KOF Quelle: Monitoring Consumption Switzerland Aufwärtstrend im Gastgewerbe hält an Arbeitslosigkeit sinkt weiter Die Geschäftslage im Gastgewerbe hat sich im vierten Quartal 2021 Seit März 2021 hat die Arbeitslosenquote kontinuierlich abgenommen. weiter verbessert, liegt aber immer noch im negativen Bereich. Im November lag sie nur noch 0,2 Prozentpunkte über dem Vorkrisen niveau von 2019. Aktuelle Geschäftslage im Gastgewerbe Arbeitslosenquote 40 «gut» 5% 20 4% 0 3% 2,5 % –20 2% 2,3 % –40 1% –60 0% Jan 21 Mär 21 Mai 21 Jul 21 Sep 21 Nov 21 –80 Jan 19 Mär 19 Mai 19 Jul 19 Sep 19 Nov 19 Jan 20 Mär 20 Mai 20 Jul 20 Sep 20 Nov 20 «schlecht» –100 Kanton Zürich Schweiz Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 2018 2018 2018 2018 2019 2019 2019 2019 2020 2020 2020 2020 2021 2021 2021 2021 Kanton Zürich Schweiz Quelle: KOF Quellen: SECO, AWA Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 3
Die Übersicht zur Wirtschaftslage BIP-Vorkrisenniveau dürfte Ende Jahr erreicht sein Geschäftserwartungen gehen leicht zurück Das reale BIP dürfte im Kanton Zürich 2020 neuesten Schätzungen Die Erwartungen für die kommenden sechs Monate haben sich im nach um 2,7 % gesunken sein. Für 2021 wird ein Wachstum von 3,0 % vierten Quartal 2021 auf hohem Niveau stabilisiert. Die Mehrheit der erwartet, womit das Vorkrisenniveau dieses Jahr wieder erreicht werden Unternehmen geht von einer unveränderten Geschäftslage bis Jahres dürfte. ende aus. Wachstumsrate reales BIP (im Vergleich zum Vorjahr) Erwartete Geschäftslage in den nächsten 6 Monaten 5% 40 «verbessert» 3,5 % 4% 30 3% 3,0 % 20 2% 1% 10 0% 0 –1 % –10 –2 % –20 –3 % –30 –4 % 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 –40 «verschlechtert» Kanton Zürich Schweiz –50 Sep 21 Mär 21 Jan 21 Mai 21 Jul 21 Sep 18 Sep 19 Nov 18 Sep 20 Nov 19 Nov 20 Mär 18 Mär 19 Mär 20 Jan 18 Jan 19 Jan 20 Mai 18 Mai 19 Mai 20 Jul 18 Jul 19 Jul 20 Kanton Zürich Schweiz Quelle: BAK Economics Quelle: KOF Voranmeldungen zur Kurzarbeit sinken weiter Wirtschaft der Zürcher Handelspartner wächst weiter Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise im Frühjahr 2020 waren über Die wichtigsten Zürcher Handelspartner konnten im dritten Quartal 30 000 Unternehmen zur Kurzarbeit vorangemeldet. Im Oktober 2021 ihren Wachstumskurs fortsetzen. In den USA und in China nahmen die lag dieser Wert bei rund 6000. Wachstumsraten allerdings deutlich ab. Abrechnungspotenziale aus genehmigten Voranmeldungen Bruttoinlandprodukt im 1. Quartal 2021 bis 3. Quartal 2021 zur Kurzarbeit gegenüber dem Vorquartal EU Deutschland USA China 30 000 2,0% 2,1% 2,0% 1,7% 1,5% 1,6% 20 000 1,2% 0,5% 0,2% 0,2% –0,1% 10 000 –1,9% 0 Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 21 21 21 21 21 21 21 21 21 21 Q1 2021 Q2 2021 Q3 2021 Quellen: SECO, AWA Quellen: Destatis, BEA, NBSC, Eurostat Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 4
Kanton Zürich Zürcher Wirtschaft bleibt vorsichtig optimistisch Ein Grossteil der Zürcher Unternehmen verzeichnet auch im vierten Quartal 2021 positive Geschäftszahlen. Allerdings haben sich die Geschäftserwar- tungen leicht abgekühlt, nicht zuletzt aufgrund der internationalen Engpässe und Inflationstendenzen. Weiterhin erfreulich präsentiert sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote nimmt seit dem Frühjahr kontinu- ierlich ab und dürfte bald ihr Vorkrisenniveau erreicht haben. Trotz Aufschwung hat die Wirtschaft vielerorts mit Herausfor zumindest im Finanzsektor und im Grosshandel. Keine Ver derungen zu kämpfen. Zum einen gibt es internationale Eng besserung gegenüber dem Vorquartal ist im Detailhandel zu pässe in den Lieferketten und eine steigende Inflation, allen verzeichnen. In den übrigen Branchen hat sich die Geschäfts voran in den USA. Zum anderen nehmen mit dem Winterein lage hingegen leicht verbessert. bruch die Corona-Fallzahlen wieder zu, was teilweise zu neuen Einschränkungsmassnahmen geführt hat. Etwas einheitlicher präsentiert sich die Lage bei den Ge schäftserwartungen für die nächsten sechs Monate. Sie blei Leichte Abkühlung bei den Geschäftserwartungen ben in allen Branchen weiterhin positiv, haben jedoch im Ver Im Kanton Zürich sind die Auswirkungen dieser Entwicklungen gleich zum letzten Quartal fast überall abgenommen, was jedoch erst geringfügig zu spüren. Wie Abbildung 1 zeigt, ist grösstenteils auf die eingangs erwähnten Herausforderungen die Geschäftslage Mitte des vierten Quartals 2021 in den zurückzuführen sein dürfte. Die beiden Ausnahmen bilden die meisten Zürcher Branchen weiterhin gut. Einzige Ausnahme Bauwirtschaft und der Detailhandel, die beide vor allem bin bildet das Gastgewerbe, das immer noch stark von der Corona- nenorientierte Branchen sind und daher weniger von den inter Krise und den damit zusammenhängenden Einschränkungs nationalen Entwicklungen betroffen sind. Insgesamt dürfte der massnahmen gezeichnet ist und sich noch nicht vollständig Zürcher Wirtschaftsaufschwung damit leicht ins Stocken ge erholen konnte. Allerdings hat sich die Lage im Gastgewerbe raten – mit einer Trendumkehr ist jedoch nicht zu rechnen. Die gegenüber dem Vorquartal noch einmal stark verbessert. neusten Schätzungen von BAK Economics gehen davon aus, dass das BIP im Kanton Zürich nächstes Jahr real um 3,8 % Auch wenn die Geschäftslage in allen anderen Branchen gut wachsen wird. Vorbei ist der Aufschwung also nicht, er hat sich ist, hat sie sich gegenüber dem Vorquartal leicht abgekühlt, nur verlangsamt. 1 Geschäftslage im Q4 2021 nach Branchen im Kanton Zürich, saisonbereinigt Verbesserung zum Vorquartal Veränderung der Geschäftslage gegenüber dem Vorquartal 40 Gastgewerbe 20 Verschiedene Dienstleistungen Industrie Baugewerbe 0 Schlechte Geschäftslage Gute Geschäftslage Detailhandel Grosshandel Finanzsektor –20 Anmerkung: Verschlechterung zum Vorquartal Die Grösse der Kreise zeigt den Anteil der Beschäf –80 –60 –40 –20 0 20 40 60 80 100 tigten. Dabei gilt: Je grösser der Kreis, desto mehr Beschäftigte sind in dieser Branche tätig. Aktuelle Geschäftslage Quelle: KOF, Daten von Ende Oktober Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 5
Kanton Zürich Arbeitsmarkt erholt sich schneller als gedacht kämpfung, dürfte das Vorkrisenniveau bei der Arbeitslosen Weiterhin erfreulich zeigt sich die Lage auf dem Zürcher Ar quote in den nächsten Monaten erreicht werden – die Ge beitsmarkt. Seit März 2021 ist die Arbeitslosenquote kontinu schwindigkeit, mit der sich der Arbeitsmarkt erholt hätte, wäre ierlich gesunken und hat mit 2,3 % im November ein neues Tief dann wohl rekordverdächtig. erreicht. Selbst der Herbst- und der Wintereinbruch konnten den Abwärtstrend bei der Arbeitslosenquote bisher nicht stop pen. Das Vorkrisenniveau ist mittlerweile nur noch 0,2 Prozent punkte entfernt. KOF-Umfragen Anfang dieses Jahres hat noch kaum jemand mit einer solch Die Umfragen der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich schnellen Erholung auf dem Arbeitsmarkt gerechnet. Das zeigt basieren auf monatlichen und vierteljährlichen Erhebungen bei leiten der Blick auf die vom Forschungsinstitut BSS erstellten Prog den Persönlichkeiten von Unternehmen in verschiedenen Branchen. nosen, die das AWA im Februar 2021 in Auftrag gab. Neben Die Branche Verschiedene Dienstleistungen besteht aus folgenden einer Punktschätzung wurden auch ein tiefes und ein hohes Unterkategorien: Verkehr, Information, Kommunikation, persönliche Szenario berechnet. Wie die Abbildung 2 zeigt, ist die effekti und freiberufliche, technische und wissenschaftliche Dienstleistungen, ve Arbeitslosenquote im Kanton Zürich mittlerweile sogar un Dienstleistungen des Grundstücks- und Wohnungswesens, Gesund ter die Werte des tiefen Szenarios gefallen. Das heisst: Der Ar heits- und Sozialwesen, sonstige Dienstleistungen. beitsmarkt hat sich sogar schneller erholt, als das optimisti Die Antworten aus einem Unternehmen werden mit dessen Beschäfti sche Szenario vorausgesagt hat. gungszahl gewichtet. Die Antworten aller Unternehmen werden zu Produktegruppen und Branchen zusammengefasst. Zur Abschwä Wie die Beschäftigungserwartungen der Zürcher Unternehmen chung der Zufallsschwankungen werden in den Grafiken in der Regel zeigen, dürfte diese Erholung weitergehen. In allen Branchen saisonbereinigte Daten mit regressionsanalytisch ermittelten Randwer sind die Werte aus den Unternehmensbefragungen positiv. Mit ten dargestellt. Die geglätteten Zeitreihen werden zusätzlich noch um anderen Worten: Die Zahl der Unternehmen, die in den nächs Extremwerte bereinigt. ten drei Monaten mit einem Stellenaufbau rechnen, übersteigt Für detaillierte Informationen zu den KOF-Umfragen siehe die Zahl jener, die von einem Stellenabbau ausgehen. Kommt www.kof.ethz.ch/umfragen/konjunkturumfragen es zu keinen grösseren Rückschlägen in der Pandemiebe 2 Entwicklung der Arbeitslosenquote – Prognose vs. Realität 4,0 % 3,5 % 3,0 % 2,5 % 2,0 % 1,5 % 1,0 % 0,5 % 0,0 % 01.01.19 01.04.19 01.07.19 01.10.19 01.01.20 01.04.20 01.07.20 01.10.20 01.01.21 01.04.21 01.07.21 01.10.21 01.01.22 ALG Punktschätzung ALQ tiefes Szenario ALQ hohes Szenario ALQ ist Quellen: BSS, eigene Berechnungen Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 6
Schweiz und Ausland Weltwirtschaft: Aufschwung verlangsamt sich zum Jahresende Die Schweizer Handelspartner konnten ihre Wirtschaftsleistung über die Sommermonate weiter steigern. Besonders dynamisch zeigten sich die wirtschaftlichen Aktivitäten in Europa. In den USA und in China fielen die Wachstumsraten hingegen verhaltener aus. Die Industrieproduktion wurde weltweit durch Lieferengpässe ausgebremst und die Verbraucherpreise sind vor allem aufgrund hoher Energiekosten gestiegen. Die Schweiz ist von den Preissteigerungen weniger stark betroffen. Ihre Wirtschaftsleistung lag im Sommer sogar wieder über dem Vorkrisenniveau. Die Erholung der Weltwirtschaft hat sich über die Sommer genüber dem Vorquartal. Auch hier stiegen die Corona-Fall monate fortgesetzt. Anhaltende Lieferengpässe, steigende zahlen in einigen Landesteilen, was vor allem Einschränkungen Preise und das zunehmende Infektionsgeschehen bremsen im Dienstleistungsbereich nach sich zog. Die chinesische In den Aufschwung in vielen Regionen jedoch ab. Der Internatio dustrieproduktion wurde hingegen durch Stromausfälle, Roh nale Währungsfonds (IWF) hat seine Prognose für das Welt materialengpässe und die daraus resultierenden Preissteige wirtschaftswachstum 2021 deshalb um 0,1 Prozentpunkte auf rungen eingeschränkt. 5,9 % gesenkt. Für 2022 hält er an seiner Prognose von 4,9 % fest. Industrie und Handel können Wachstumspotenzial nicht ausschöpfen Zürcher Handelspartner befinden sich in unterschiedli- Schwierig ist die Lage in der Industrie auch auf globaler Ebene. chen Wachstumsphasen Sie hat sich den Sommer über weiterhin schwergetan, die In der Europäischen Union (EU) erholten sich die Wirtschafts hohe Nachfrage nach Industriegütern zu bedienen. Unterbre leistung und die Erwerbslosigkeit schneller als erwartet. Sie er chungen bei den Rohstofflieferungen und daraus resultierende reichten bereits im dritten Quartal 2021 wieder das Vorkrisen Engpässe bei Vorprodukten sowie steigende Herstellungskos niveau. Das Tempo der Erholung unterscheidet sich aber je ten haben dazu geführt, dass die Produktionskapazitäten nach Land stark. Besonders auf dem Arbeitsmarkt zeigt sich nicht voll ausgelastet werden konnten. Dies hat sich wiederum ein hohes Gefälle: Während die durchschnittliche Erwerbslo negativ auf den Warenhandel ausgewirkt. Zu Beginn des vier senquote der EU im September 2021 6,6 % betrug, lag sie in ten Quartals haben sich die Lieferzeiten nochmals verlängert – Spanien noch bei 14,5 %, in Tschechien hingegen bei 2,5 %. davon besonders betroffen ist die globale Automobilindustrie. Insgesamt wuchs das Bruttoinlandprodukt (BIP) der EU zwi Sie verzeichnete im Oktober 2021 bereits den dritten Monat in schen Juli und September um 2,1 % und im Euroraum um Folge eine gesunkene Produktion. Das Wirtschaftswachstum 2,2 %. Mit Blick auf die Schweizer Nachbarländer zeigte sich wurde im Sommer somit vor allem vom Dienstleistungssektor ein besonders starkes Wirtschaftswachstum in Österreich getragen. (+3,3 %), knapp gefolgt von Frankreich (+3,0 %). Italien (+2,6 %) und Deutschland (+1,7 %) setzten das Wirtschafts Die Engpässe in der Industrie haben in vielen OECD-Ländern wachstum des Vorquartals in fast unveränderter Höhe fort. dazu geführt, dass die Verbraucherpreise im dritten Quartal Zum Jahresende dürfte die europäische Wirtschaft zwar noch 2021 um durchschnittlich 4,4 % gegenüber dem Vorjahres etwas weiterwachsen. Die Wachstumsraten dürften jedoch quartal gestiegen sind. Noch preistreibender waren nur die wesentlich tiefer liegen, wie die Echtzeitdaten des KOF Now Energiepreise. Sie lagen fast einen Fünftel höher als vor einem casting Lab zeigen (siehe Abbildung 1). Jahr. Zu Beginn des vierten Quartals scheinen sich die Rohöl- und Erdgaspreise jedoch zu stabilisieren, was eine Reaktion In den USA und in China hat sich das Wirtschaftswachstum auf freigegebene Notreserven verschiedener Länder sein dürf bereits im dritten Quartal deutlich abgeschwächt. Nachdem te. Sowohl im Industrie- als auch im Dienstleistungssektor die Corona-Fallzahlen in den USA wieder zugenommen hatten, dürften die Preissteigerungen hingegen noch bis ins Jahr 2022 kam es zu erneuten Einschränkungsmassnahmen in Teilen des hinein anhalten. Um den Inflationsdruck zu reduzieren, haben Landes. Entsprechend verlangsamten sich die privaten Konsum erste Notenbanken in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften ausgaben über die Sommermonate. Hinzu kam, dass zur glei deshalb damit begonnen, die expansive Geldpolitik zurückzu chen Zeit staatliche Unterstützungs- und Transferzahlungen fahren. ausgelaufen sind, was ebenfalls auf die Konjunktur drückte. Dies trug dazu bei, dass das US-amerikanische BIP zwischen Juli und September um nur mehr 0,5 % wuchs und damit eini ges an Wachstumsdynamik gegenüber den Vorquartalen ein gebüsst hat. Noch schwächer fiel das Wirtschaftswachstum in China aus und betrug im dritten Quartal gerade noch 0,2 % ge Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 7
Schweiz und Ausland Schweizer Wirtschaft über dem Vorkrisenniveau gen. Während auch hier die höheren Energiepreise mit einem Die Schweizer Wirtschaft konnte im dritten Quartal 2021 wie Anstieg um 11,0 % zu Buche schlugen, sind die Lebensmittel der expandieren. Das Wirtschaftswachstum betrug 1,7 %. Da preise sogar um 1,6 % gesunken. Dass die Energiepreise nicht mit lag die Wirtschaftsleistung 1,4 % höher als vor der Krise im stärker zur Inflation beitragen, liegt unter anderem daran, dass vierten Quartal 2019. Insbesondere der Dienstleistungssektor diese einen kleineren Anteil im Schweizer «Warenkorb» aus trug zum Wachstum im dritten Quartal bei. Das Gasgewerbe machen als in anderen Ländern. Zudem schwächt der hoch konnte seine Wertschöpfung um 110,6 % steigern. Dabei han bewertete Schweizer Franken Preissteigerungen bei Importen delt es sich jedoch noch um Aufholeffekte. Die Geschäftslage in ausländischer Währung ab. der Schweizer Unternehmen ist Mitte des vierten Quartals ge mäss Umfrageergebnissen sogar weiter gestiegen. Die Erwar Abwärtsrisiken nehmen über den Winter zu tungen für die kommenden Wintermonate haben sich zwar Die Stimmung bei den Unternehmen in der Schweiz und im nicht weiter verbessert, befinden sich aber ebenfalls auf ho Ausland ist zu Beginn des vierten Quartals weiterhin gut – die hem Niveau. Es darf also davon ausgegangen werden, dass Auftragsbücher der Industrieunternehmen sind gefüllt und der die Schweizer Wirtschaft im Schlussquartal dieses Jahres ihre Dienstleistungssektor befindet sich weiter im Aufwind. Die Leistung nochmals steigern kann. kurzfristigen Wachstumsaussichten haben sich jedoch einge trübt. Besonders in den Wintermonaten besteht das Risiko, Indessen sind auch die Schweizer Unternehmen mit steigen dass sich das Pandemiegeschehen weiter verschärft. Einige den Einkaufspreisen konfrontiert. Umfragen bei den Einkaufs Länder haben bereits wieder Einschränkungsmassnahmen managern zeigen jedoch, dass die höheren Kosten nicht voll umgesetzt. Darüber hinaus bleibt die Knappheit von Rohstof ständig an die Kunden weitergegeben, sondern über die fen und Vorprodukten ein Abwärtsrisiko für die Konjunktur. Margen abgefangen werden dürften. So liegt die Inflation in Falls die globalen Lieferengpässe länger anhalten als erwartet der Schweiz weiterhin deutlich niedriger als im internationalen und eine Lohn-Preis-Spirale ausgelöst wird, könnte die Inflati Vergleich. Im dritten Quartal ist der Schweizer Verbraucher on weiter steigen und den weiteren Aufschwung gefährden. preisindex um 0,8 % gegenüber dem Vorjahresquartal gestie 1 Wirtschaftsentwicklung 2021 in verschiedenen europäischen Ländern 6 KOF Nowcast 4 BIP-Quartalswachstum in % 2 0 –2 –4 Q1 2021 Q2 2021 Q3 2021 Q4 2021 Deutschland Frankreich Italien Österreich Vereinigtes Königreich Schweiz Quellen: KOF Nowcast (Stand 22.11.21), SECO, Eurostat, ONS Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 8
Spezialthema Herausforderung Demografie: Der Zürcher Wirtschaft fehlen bald die Arbeitskräfte Die wichtigsten Ergebnisse: –– Infolge der demografischen Entwicklung werden in den nächsten Jahren immer mehr Beschäftigte den Zürcher Arbeitsmarkt verlassen und in den Ruhestand tre ten. Das hat Folgen für die Beschäftigung und das Wirtschaftswachstum. –– Soll die Zürcher Wirtschaft ihr BIP-Wachstum der letzten 20 Jahre fortsetzen, braucht sie bei gleichbleibendem Produktivitätswachstum 380 000 zusätzliche Er werbstätige bis im Jahr 2050. Aufgrund der Demografie lassen sich bis 2050 je doch voraussichtlich nur 170 000 zusätzliche Arbeitskräfte mobilisieren. Dadurch würden der Zürcher Wirtschaft 210 000 Arbeitskräfte fehlen. –– Soll die Zürcher Wirtschaft ihr BIP-pro-Kopf-Wachstum der letzten 20 Jahre fort setzen, braucht sie 55 000 Arbeitskräfte mehr, als voraussichtlich mobili siert werden können. Weil das BIP-pro-Kopf-Wachstum der letzten Jahre moderat ausgefallen ist, braucht es bis 2050 auch weniger zusätzliche Arbeitskräfte als bei einer Fortsetzung des BIP-Wachstums der Gesamtwirtschaft. Volkswirtschaftlich erstrebenswert wäre aber nicht nur die Beibehaltung des bisherigen BIP-pro- Kopf-Wachstums, sondern dessen Steigerung. –– Kann die Zürcher Wirtschaft diese zusätzlich benötigten Arbeitskräfte nicht mobi lisieren, wird das BIP-Wachstum in den nächsten Jahren geringer ausfallen. Da durch würde das kumulierte BIP bis 2050 insgesamt 400 Mrd. CHF tiefer liegen als bei einer Fortsetzung des bisherigen Wachstumspfades. Bezogen auf das BIP-pro-Kopf-Wachstum würde dieser Betrag 55 000 CHF pro Einwohner im Kanton Zürich betragen. –– Im Vergleich zur Schweiz fallen sowohl die Zahl der fehlenden Arbeitskräfte als auch die BIP-Lücke im Kanton Zürich verhältnismässig geringer aus. Anders ge sagt, sind die negativen Auswirkungen der Demografie in der Schweiz noch stär ker spürbar als im Kanton Zürich. –– Die Politik hat verschiedene Handlungsmöglichkeiten, um die drohende Arbeits kräftelücke und die daraus folgenden BIP-Lücke abzuwenden. Dazu gehören un ter anderem eine Steigerung der Arbeitsproduktivität, die bessere Ausschöpfung des Inländerpotenzials und Anpassungen beim Rentenalter. Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 9
Spezialthema Ausgangslage: Die Zürcher Bevölkerung wird älter In den Jahren 1963–1965 kamen im Kanton Zürich jährlich über der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15–64) 18 000 Kinder zur Welt. Obwohl die Bevölkerung seither um sinkt und somit das Beschäftigungswachstum der Zürcher über die Hälfte gewachsen ist, wurden diese Werte nie mehr er Wirtschaft bremsen wird. reicht. Nicht von ungefähr spricht man deshalb von der Baby boomer-Generation. Sie hat mitunter dazu geführt, dass die Für die Wirtschaft des Kantons Zürich sind das keine guten heutige Alterspyramide längst nicht mehr die Form einer Pyra Nachrichten, denn Beschäftigung und Wirtschaftswachstum mide, sondern die einer Tanne hat. hängen zusammen. Nimmt aufgrund der Demografie das Be schäftigungswachstum ab, sinkt bei gleichbleibendem Produk Demografie bremst Wirtschaftswachstum tivitätswachstum auch das BIP-Wachstum (siehe Anhang). Em In den nächsten Jahren werden die meisten aus diesen gebur pirische Untersuchungen zeigen, dass viele westliche Länder tenstarken Jahrgängen das Rentenalter erreichen. Wie Abbil davon betroffen sind.1 Wie stark die Demografie die Beschäfti dung 1 zeigt, wird der Anteil der Über-64-Jährigen an der Zür gung und das Wirtschaftswachstum im Kanton Zürich in den cher Wohnbevölkerung immer grösser, während der Anteil der nächsten Jahren bremsen könnte, lässt sich anhand einer ein 0–14-Jährigen etwa konstant bleibt. Das hat zur Folge, dass fachen Szenario-Analyse quantifizieren.2 1 Entwicklung und Prognosen der Zürcher Bevölkerung nach Altersklassen 2 000000 23% 1600000 17% 1200000 15% 63% 800000 68% 69% 400000 15% 14% 16% 0 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 0–14 15–64 > 64 Quelle: Statistisches Amt Kanton Zürich Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 10
Spezialthema Arbeitsmarkt: Benötigte versus vorhandene Arbeitskräfte Ausgangspunkt der Szenario-Analyse sind der Arbeitsmarkt 2000). Wächst dieses BIP so weiter wie in den letzten 20 Jah und seine beiden Seiten, die Nachfrage und das Angebot. Die ren, wird es im Jahr 2050 rund 213 Mrd. CHF betragen. Bei Nachfrage bildet den Arbeitskräftebedarf der Unternehmen ab gleichbleibendem Produktivitätswachstum bräuchte die Wirt (wie viele Beschäftigte benötigt die Wirtschaft?), das Angebot schaft dann 1,37 Millionen Erwerbstätige, um dieses BIP zu er das vorhandene Arbeitskräftepotenzial (wie viele Beschäftigte wirtschaften. Das heisst: Bis 2050 benötigt die Zürcher Wirt sind überhaupt vorhanden?). Für beide Seiten werden Szenari schaft 380 000 zusätzliche Arbeitskräfte. en bis 2050 entwickelt. Das BIP ist zwar ein wichtiger Indikator und entscheidend, Wie viele Arbeitskräfte werden bis 2050 benötigt? wenn es etwa um die Steuereinnahmen geht. Will man hinge Das Szenario zum Arbeitskräftebedarf basiert auf den durch gen den Wohlstand einer Volkswirtschaft messen, bietet sich schnittlichen Wachstumsraten des BIP und der Arbeitsproduk die Verwendung des BIP pro Kopf an. Wird anstelle des histori tivität der vergangenen 20 Jahre. Wenn der Kanton Zürich diese schen BIP das historische BIP pro Kopf herangezogen, ergibt sich folgendes Szenario: Heute erwirtschaften die 990 000 Er beibehalten will, lässt sich ermitteln, wie viele Arbeitskräfte für dieses Wachstum benötigt werden (siehe Anhang). Seit dem werbstätigen pro Kopf rund 87 000 CHF (real, zu Preisen von Jahr 2000 wächst die Wirtschaft des Kantons Zürich jährlich 2000). Wird das jährliche Wachstum der letzten 20 Jahre fortge um durchschnittlich 1,5 %. Das Wachstum der Arbeitsprodukti führt (0,3 %), wird das BIP 2050 pro Kopf 95 000 CHF betragen. vität betrug im selben Zeitraum durchschnittlich 0,4 %. Bei gleichbleibendem Produktivitätswachstum werden dazu 1,215 Mio. Erwerbstätige benötigt. In diesem Modell braucht Wie Abbildung 2 zeigt, erwirtschaften heute rund 990 000 Er die Zürcher Wirtschaft 225 000 zusätzliche Arbeitskräfte. Dass werbstätige (in Voll- und Teilzeit) Produkte und Dienstleistungen dieser Wert tiefer ausfällt als im BIP-Modell, liegt am tieferen mit einem Mehrwert von 137 Mrd. CHF (real, zu Preisen von BIP-pro-Kopf-Wachstum in den letzten 20 Jahren. 2 Arbeitskräftebedarf bis 2050 im Kanton Zürich Reales BIP (in Mio. CHF) Erwerbstätige 300 000 1500000 1370000 Erwerbstätige 990000 Erwerbstätige 213 Mrd. CHF 200 000 1000000 137 Mrd. CHF Bis 2050 braucht es 380000 zusätzliche Erwerbstätige 100 000 500 000 0 0 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Quellen: BFS, BAK Economics, eigene Berechnungen Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 11
Spezialthema Wie viele Arbeitskräfte werden bis 2050 vorhanden sein? Um das Arbeitskräfteangebot bis 2050 zu ermitteln, geht unser Um abschätzen zu können, wie viele Arbeitskräfte 2050 über Szenario davon aus, dass die drei beschriebenen Quellen haupt verfügbar sein werden, muss in einem ersten Schritt das gleich gut ausgeschöpft werden können wie heute. Das heisst, heutige Arbeitskräfteangebot etwas genauer betrachtet wer dass sowohl die Erwerbsquote der Zürcher Wohnbevölkerung den. Dabei können die 990 000 Personen, die heute im Kanton als auch der Anteil der Pendler beibehalten werden können. Die Zürich arbeiten, in drei unterschiedliche Gruppen eingeteilt Entwicklung der Wohnbevölkerung – im Kanton Zürich und in werden: die hiesige Wohnbevölkerung, die Wohnbevölkerung der restlichen Schweiz – basiert auf dem Referenzszenario des aus anderen Kantonen und das Ausland. Wie Abbildung 3 zeigt, BFS, das mit einer jährlichen Zuwanderung in die Schweiz von wohnen 76 % der Erwerbstätigen im Kanton Zürich und 24 % in rund 40 000–50 000 Personen bis 2050 rechnet.3 anderen Kantonen – Pendler aus anderen Kantonen machen also fast einen Viertel aller Arbeitskräfte aus. Hinzu kommt, Unter diesen Annahmen wird das Arbeitskräfteangebot im Kan dass – unabhängig vom Wohnort – 27 % aller im Kanton Zürich ton Zürich von 990 000 auf 1,16 Mio. Personen steigen, wie Ab arbeitenden Personen aus den EU-/EFTA-Ländern oder Dritt bildung 4 zeigt. Aufgrund der demografischen Entwicklung staaten stammen. Der grösste Teil davon hat sich im Kanton flacht die Kurve deutlich ab – das jährliche durchschnittliche Zürich niedergelassen. Von den 990 000 Erwerbstätigen sind Beschäftigungswachstum fällt von 1,6 % (2000–2021) auf also nur etwas mehr als die Hälfte im Kanton Zürich wohnhafte 0,6 % (2022–2050). Mit anderen Worten, der sinkende Anteil Schweizer. Damit der Kanton überhaupt die heutige Wirt der Personen im erwerbsfähigen Alter drückt auf das Angebot schaftsleistung erbringen kann, ist er auf eine beachtliche Zahl auf dem Arbeitsmarkt. an Arbeitskräften aus anderen Kantonen und aus dem Ausland angewiesen. 3 Erwerbstätige im Kanton Zürich (2021) 990 000 im Kanton Zürich Zupendler (in anderen wohnhaft Kantonen wohnhaft) 54 % 15 % 7% 19 % 3%2% 76 % 24 % Schweiz: 73 % EU/EFTA: 18 % Drittstaaten: 9 % Quellen: BFS, eigene Berechnungen Anmerkung: Es handelt sich hier um alle Erwerbstätigen über 15 Jahre, ohne Grenzgänger, gerundet. Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 12
Spezialthema Es fehlen bis zu 210 000 Arbeitskräfte Auf gesamtschweizerischer Ebene ist die Problematik noch Stellt man das Arbeitskräfteangebot-Szenario dem Arbeitskräf akuter. Wendet man dieselben Szenario-Analysen an, fehlt es tebedarf-Szenario gegenüber, ergibt sich eine Differenz von 2050 an 1,3 Mio. Erwerbstätigen (BIP-Modell) resp. 680 000 Er 210 000 Erwerbstätigen, wie Abbildung 4 zeigt. Die Zahl der be werbstätigen (BIP-pro-Kopf-Modell). Diese Werte sind nicht nur nötigten Arbeitskräfte (1,37 Mio.) übersteigt folglich die Zahl der absolut betrachtet höher als im Kanton Zürich, sondern auch in vorhandenen Arbeitskräfte (1,16 Mio.) deutlich. Das heisst: Die Relation zur Gesamtzahl der Erwerbstätigen. Die stärkere Be Zürcher Wirtschaft kann ihren Wachstumskurs der letzten troffenheit rührt vor allem daher, dass die Bevölkerung in der 20 Jahre aufgrund der demografischen Gegebenheiten nicht Schweiz schneller altert als im Kanton Zürich und somit der An fortführen. Das gilt nicht nur für das BIP-Modell, sondern auch teil der Rentner in den nächsten Jahren noch stärker steigen für das BIP-pro-Kopf-Modell. In letzterem beträgt der Arbeits wird. Zudem hat die Schweiz in den letzten 20 Jahren leicht hö kräftebedarf 2050 zwar 1,215 Mio. Personen und liegt somit tie here Wachstumsraten beim BIP und beim BIP pro Kopf erzielt. fer als jener im BIP-Modell. Gleichwohl entsteht auch hier eine Differenz von 55 000 Erwerbstätigen. Somit lässt sich aufgrund der demografischen Entwicklung nicht einmal das wesentlich tiefere BIP-pro-Kopf-Wachstum der letzten Jahre fortführen. 4 Arbeitskräfteangebot bis 2050 im Kanton Zürich 1370000 Bis 2050 fehlen 210000 zusätzliche Erwerbstätige 990000 Erwerbstätige 1160000 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Quellen: BFS, eigene Berechnungen Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 13
Spezialthema Wirtschaftswachstum: Potenzielles versus erzielbares BIP Die bisherige Analyse hat gezeigt, dass sich der Wachstums Verfügung stehen wird und somit auch nicht besteuert werden kurs der letzten 20 Jahre aufgrund der demografischen Ent kann. wicklung in keinem unserer Szenarien fortführen lässt. Dazu müsste entweder das Beschäftigungswachstum oder das Pro Im BIP-pro-Kopf-Modell fällt die BIP-Lücke geringer aus. Im duktivitätswachstum erhöht werden. Trifft dieser Fall nicht ein, Jahr 2050 entsteht pro Kopf eine Lücke von 4000 CHF. Sum wird sich das Wachstum deutlich abschwächen. miert man die jährlichen Lücken bis 2050, sind es 55 000 CHF, die jede im Kanton Zürich wohnhafte Person weniger hat, als Bis 2050 entsteht eine BIP-Lücke von 400 Mrd. CHF wenn man das bisherige BIP-pro-Kopf-Wachstum aufrechter Mit den vorhandenen 1,16 Mio. Erwerbstätigen lässt sich 2050 halten könnte. Die geringere BIP-Lücke beim BIP-pro-Kopf- nur ein BIP von 182 Mrd. CHF erwirtschaften, wie Abbildung 5 Modell ist auf das relativ tiefe BIP-pro-Kopf-Wachstum der letz verdeutlicht. Das sind 30 Mrd. CHF weniger als die 213 Mrd. CHF, ten Jahre zurückzuführen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht wäre die bei einer Fortführung des bisherigen Wachstumspfades er es wünschenswert, wenn dieses Wachstum in den nächsten zielt werden könnten. Kumuliert man die Differenzbeträge zwi Jahren nicht nur beibehalten, sondern sogar gesteigert werden schen den beiden BIP-Linien, summiert sich die BIP-Lücke bis könnte. Das würde allerdings bedeuten, dass es bei gleichblei 2050 auf 400 Mrd. CHF. Dieser Wert entspricht fast dreimal dem bendem Produktivitätswachstum noch mehr zusätzliche Ar heutigen BIP. Dies ist viel Geld, das als Einkommen weniger zur beitskräfte bräuchte. 5 BIP-Lücke bis 2050 im Kanton Zürich 1160000 Erwerbstätige 990000 Erwerbstätige 182 Mrd. CHF 137 Mrd. CHF BIP-Lücke: 400 Mrd. CHF 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Quellen: BFS, BAK Economics, eigene Berechnungen Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 14
Spezialthema Wachstumsraten sinken deutlich Rechts in der Abbildung sind die Wachstumsraten für das BIP- Abbildung 6 fasst die Ergebnisse der Szenarien-Analyse an pro-Kopf-Modell abgebildet. Pro Kopf wuchs die Zürcher Wirt hand der Wachstumsraten zusammen. Links abgebildet ist das schaft seit dem Jahr 2000 um durchschnittlich 0,3 % jährlich. BIP-Modell. Seit dem Jahr 2000 wuchs die Zürcher Wirtschaft Durch die demografisch bedingte Abnahme des Beschäfti durchschnittlich um 1,5 % pro Jahr. Das Produktivitätswachs gungswachstums wird das BIP-pro-Kopf-Wachstum auf 0,1% tum betrug in derselben Zeitspanne 0,4 %, das Beschäfti sinken. Bei gleichbleibendem Produktivitätswachstum resul gungswachstum 1,6 %. Infolge der demografischen Entwick tiert bis 2050 insgesamt eine BIP-Lücke von 55 000 CHF pro lung wird das jährliche Beschäftigungswachstum bis 2050 von Kopf. In diesem Szenario verliert die Zürcher Bevölkerung aber 1,6 % auf 0,6 % sinken, vorausgesetzt, das Arbeitskräftepoten nicht nur 55 000 CHF gegenüber einem Szenario mit gleichblei zial kann gleich gut ausgeschöpft werden wie heute – sowohl bendem BIP-pro-Kopf-Wachstum. Mehr noch: Mit einer jährli im Kanton selber als auch bei den Pendlern und Zuwanderern. chen Wachstumsrate von 0,1 % kann sie ihren Wohlstand kaum Das hat Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum: Bei noch steigern. gleichbleibendem Produktivitätswachstum sinkt das BIP in den nächsten Jahren von jährlich 1,5 % auf 1,0 %. Bis 2050 entsteht dadurch eine BIP-Lücke von insgesamt 400 Mrd. CHF. 6 Wachstumsraten der Szenarien-Analyse im Kanton Zürich Historische Zukünftige Historische Zukünftige Wachstumsraten Wachstumsraten Wachstumsraten Wachstumsraten 2000–2021 2022–2050 2000–2021 2022–2050 BIP-pro-Kopf- BIP-Wachstum 1,5 % 1,0 % Wachstum 0,3 % 0,1 % Produktivitäts- Produktivitäts- wachstum 0,4 % 0,4 % wachstum 0,4 % 0,4 % Demografische Demografische Beschäftigungs- Entwicklung Beschäftigungs- Entwicklung wachstum 1,6 % 0,6 % wachstum 1,6 % 0,6 % Quellen: BFS, BAK Economics, eigene Berechnungen Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 15
Spezialthema Schweiz noch stärker betroffen Dasselbe gilt für das BIP-pro-Kopf-Modell – auch hier sind die Auch in der Schweiz lässt sich der Wachstumskurs der letzten Auswirkungen auf gesamtschweizerischer Ebene gravierender. 20 Jahre aufgrund der demografischen Entwicklung in keinem Bis 2050 fehlen gemäss Szenario 680 000 Arbeitskräfte. Kön unserer Szenarien fortführen. Die BIP-Lücken fallen sogar ver nen diese nicht mobilisiert werden, entsteht bis 2050 eine Lü hältnismässig höher aus als im Kanton Zürich, wenn das Be cke von 144 000 CHF pro Kopf. Dieser Betrag ist etwa 2,5 mal schäftigungswachstum oder das Produktivitätswachstum nicht so gross wie im Kanton Zürich. zusätzlich gesteigert werden kann. Der Vergleich mit der Schweiz macht deutlich, dass der Kan Wie Abbildung 7 zeigt, fehlen der Schweiz bis 2050 im BIP-Mo ton Zürich relativ betrachtet in einer besseren Lage ist als die dell 1,3 Mio. Arbeitskräfte. Können diese nicht zusätzlich rekru meisten umliegenden Kantone. Aufgrund der eher jungen Be tiert werden, entsteht bis 2050 eine BIP-Lücke von 2,7 Billionen völkerung und der hohen Attraktivität für Erwerbstätige fallen CHF – das entspricht fast viermal dem heutigen BIP. Zum Ver die demografischen Verschiebungen nicht so stark – oder erst gleich: Die BIP-Lücke im Kanton Zürich von 400 Mrd. CHF ent später – ins Gewicht. Gleichzeitig muss aber auch betont wer spricht etwa dreimal dem heutigen BIP. Die Auswirkungen der den, dass der Kanton Zürich in den letzten Jahren weniger Demografie auf das Wirtschaftswachstum sind in der Schweiz stark gewachsen ist, insbesondere pro Kopf – auch deshalb ist folglich stärker spürbar. die BIP-pro-Kopf-Lücke kleiner als auf gesamtschweizeri scher Ebene. Anders gesagt: Der Kanton Zürich muss weniger erwirtschaften, wenn er bis 2050 gleich weiterwachsen will wie in den letzten 20 Jahren. Fortsetzung auf Seite 20 7 Ergebnisse für Zürich und die Schweiz Arbeitskräftelücke BIP-Lücke 2050 kumuliert bis 2050 BIP-Modell 210 000 Personen 400 Mrd. CHF BIP-pro-Kopf-Modell 55 000 Personen 55 000 CHF pro Kopf BIP-Modell 1 300 000 Personen 2700 Mrd. CHF BIP-pro-Kopf-Modell 680 000 Personen 144 000 CHF pro Kopf Quellen: BFS, BAK Economics, eigene Berechnungen Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 16
Spezialthema Zusatzanalyse: In welchen Berufen zeichnet sich bereits heute ein Engpass ab? Die vorherigen Analysen haben gezeigt: Aufgrund der demo deln sind, aber einen hohen demografischen Ersatzbedarf auf grafischen Entwicklung werden dem Kanton Zürich im Jahr weisen. Rücken für die altersbedingt ausscheidenden Arbeits 2050 bis zu 210 000 Arbeitskräfte fehlen. Doch nicht alle Beru kräfte nicht genügend jüngere nach, kann dies zu einem fe sind im selben Ausmass betroffen. In vielen fehlt es bereits künftigen Fachkräftemangel führen. Der Blick in die Daten heute am nötigen Fachpersonal. Wie sich die Qualifikations zeigt: Bei den Berufen mit einem hohen demografischen Er struktur und die Berufslandschaft im Kanton Zürich bis 2050 satzbedarf handelt es sich häufig um Führungskräfte oder Ge entwickeln werden, ist kaum abschätzbar. Mithilfe des neuen schäftsführer aus verschiedenen Branchen und Bereichen. In Zürcher Fachkräftemangelindikators und des demografischen diesen Berufen ist der demografische Ersatzbedarf wenig aus Ersatzbedarfs lassen sich jedoch erste Hinweise ableiten, in sagekräftig, da naturgemäss sehr selten Führungspositionen welchen Berufen sich die Fachkräftesituation künftig beson direkt von jungen Berufseinsteigerinnen und -einsteigern be ders verschärfen könnte. setzt werden. Auf einen künftigen Mangel könnte jedoch bei spielsweise der hohe demografische Ersatzbedarf bei den Fachkräftemangel und demografischer Ersatzbedarf – Bus- und Lastwagenfahrern hindeuten. In Anbetracht der glo ein komplexer Zusammenhang balen Lieferkettenkrise scheint eine erhöhte Achtsamkeit in Um die Fachkräftesituation in den Berufen zu analysieren, hat diesem Bereich angezeigt. das AWA seinen Indikator zur Beurteilung von Fachkräfteman gel aktualisiert. Entstanden ist ein breit gefächertes Indikato Demografische Entwicklung als Verstärker rensystem (siehe Textbox auf S. 19), das neben direkten Indi des Fachkräftemangels katoren zur Abschätzung des Fachkräftebedarfs in den In vielen anderen Berufen deuten die Indikatoren hingegen Berufen auch Kontextfaktoren – wie die demografische Ent schon heute auf einen mehr oder minder starken Fachkräfte wicklung – mitberücksichtigt. Mit Blick in die Zukunft scheint mangel hin. Problematisch ist die Situation vor allem bei Beru klar: Steigen mehr Erwerbspersonen altersbedingt aus dem fen, die aufgrund ihrer Altersstruktur einen erhöhten demogra Arbeitsmarkt aus, als junge Berufseinsteiger nachkommen, fischen Ersatzbedarf aufweisen. Zusätzlich verstärkt wird kann der künftige Ersatzbedarf möglicherweise nicht gedeckt diese Problematik in Berufen, die infolge des Strukturwandels werden und bestehende Mängel könnten sich weiter akzentu oder des erwarteten Wirtschaftswachstums in den kommen ieren – insbesondere wenn die Fachkräftenachfrage in einem den Jahren einen erheblichen zusätzlichen Bedarf aufweisen. bestimmten Bereich sogar noch zunimmt. Der Zusammen Um die zukünftige Lücke zu füllen, müssten mehr junge Be hang zwischen Fachkräftemangel und dem demografischen rufsleute in den Beruf einsteigen. Während sich beispielsweise Ersatzbedarf ist allerdings komplexer, als es scheint. In Abbil bei den Ärztinnen und Ärzten ältere und jüngere Erwerbsper dung 8 sind die beiden Grössen für verschiedene Berufe auf sonen in etwa die Waage halten, zeigt sich insbesondere bei geschlüsselt. den akademischen Krankenpflegeberufen ein erhöhter Ersatz bedarf. Gerade im Gesundheitsbereich dürfte sich die Nach Wenig problematisch erscheint die Situation in Berufen, die fragedynamik durch die Corona-Pandemie noch einmal zu nur wenige Anzeichen für einen aktuellen Mangel aufweisen sätzlich verstärkt haben. und die auch aufgrund ihrer Altersstruktur keinen besonders hohen Ersatzbedarf aufweisen. Im Gegenteil: In Berufen, in In Berufen, in denen schon seit längerer Zeit ein ungedeckter denen die Indikatoren eher auf einen Überschuss an Arbeits Fachkräftebedarf besteht, zielen oft bereits heute politische kräften hindeuten – z.B. in diversen Hilfsarbeitsberufen – kann Förderprogramme oder Imagekampagnen darauf ab, das be ein erhöhter demografischer Ersatzbedarf einen natürlichen stehende Arbeitskräftepotenzial besser auszuschöpfen, Quer Ausgleich zwischen Arbeitskräftenachfrage und -angebot be einstiege zu erleichtern oder mehr Ausbildungsplätze für Be günstigen. Arbeitskräfte, die altersbedingt aus dem Arbeits rufseinsteigende bereitzustellen. Die Pflegeinitiative, über die markt ausscheiden, müssen schlicht nicht mehr alle ersetzt das Volk am 28. November 2021 abgestimmt hat, ist das werden. Auch in den Verkaufsberufen oder beim Serviceper jüngste Beispiel. Die politischen Anstrengungen können dazu sonal deuten die Indikatoren sowie die Altersstruktur nicht auf führen, dass besonders junge Personen von Berufen mit guten einen besonderen Mangel hin. Aktuell vermelden allerdings Zukunftsaussichten stärker angezogen werden. Tatsächlich viele Gastronomiebetriebe einen erhöhten Fachkräftebedarf, scheinen die politischen Bestrebungen zum Beispiel im Be was jedoch vor allem auf temporäre Aufholeffekte zurückge reich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Tech führt werden dürfte. nik (MINT) erste Früchte zu tragen: So zeigt sich in den Daten zum Kanton Zürich, dass viele Berufe mit Anzeichen für Fach Ein besonderes Augenmerk verdienen Berufe, die in Bezug auf kräftemangel, wie Elektroinstallateure und Mechaniker, Ingeni den aktuellen Fachkräftemangel eher im Mittelfeld anzusie eure und ingenieurstechnische Fachkräfte oder Software Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 17
Spezialthema entwickler und -analytiker, einen überdurchschnittlich hohen Eine wichtige Rolle spielt natürlich auch die Entwicklung der Anteil an jungen Erwerbspersonen aufweisen (vgl. Abbildung Nachfrage nach Arbeitskräften vonseiten der Unternehmen. 8). Der demografische Ersatzbedarf wird daher zumindest in So muss etwa eine Abnahme von jüngeren Erwerbstätigen in diesen Berufen voraussichtlich keine weitere Verschärfung einem Beruf mit rückläufiger Arbeitskräftenachfrage nicht als des Mangels bewirken. Anzeichen für einen drohenden Engpass gewertet werden. Auf der anderen Seite wird die Nachfrage nach Berufen im ICT-Be Insgesamt zeigt die Gegenüberstellung von Fachkräftemangel reich infolge der fortschreitenden Digitalisierung wohl auch indikator und Ersatzbedarf, dass die Folgen des demografi künftig weiter ansteigen. Dadurch dürfte sich der Mangel an schen Wandels in verschiedenen Berufen und Branchen un Arbeitskräften trotz vielen jungen Berufsleuten und tiefem Er terschiedlich stark spürbar sein werden. Problematisch satzbedarf weiter verstärken. erscheint die Situation vor allem in Berufen, die bereits heute sowohl einen Mangel als auch einen hohen Ersatzbedarf auf Dr. Katharina Degen, Leiterin AMOSA weisen. Dazu gehören vor allem Berufe im Gesundheitswesen. Miriam Hofstetter, Wissenschaftliche Mitarbeiterin 8 Fachkräftemangel und demografischer Ersatzbedarf Hoher demografischer Ersatzbedarf 2,6 2,4 Geschäftsführer u. Vorstände 2,2 Führungskräfte in Warenherstellung, Bau Bus- u. Lastwagenfahrer 2 u. Logistik Führungskräfte 1,8 spez. DL 1,6 Hilfsarbeiter im Krankenpflege- u. Bau/Bergbau 1,4 Geburtshilfefachkräfte Allgemeine Hilfskräfte Nahrungs- Bürokräfte mittelzubereitung 1,2 Ärzte Fachkräfte- 1 Fachkräfte- überschuss –9 –8 –7 –6 –5 –4 –3 –2 –1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 mangel 0,8 Hilfsarbeiter für Ingenieurtechnische Warenherstellung Fachkräfte 0,6 Verkaufskräfte in Elektroinstallateure Handelsgeschäften u. -mechaniker 0,4 Kellner u. Barkeeper Ingenieure Softwareentwickler u. 0,2 -analytiker Anmerkung: Kreisgrösse = Beschäftigungsanteil 0 Der demografische Ersatzbedarf wird gemessen als Verhältnis der Tiefer demografischer Ersatzbedarf 50- bis 59-jährigen zu den 25- bis 34-jährigen Erwerbstätigen in Quellen: BFS/Strukturerhebung, x28 und SECO/AVAM einem Beruf. Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 18
Spezialthema Zürcher Fachkräftemangelindikator In den letzten Jahren wurden verschiedene Indikatorensysteme Der Fachkräftemangelindikator ist zudem verknüpfbar mit ver zur Messung von Fachkräftemangel entwickelt. 2015 wurde in schiedenen Kontextinformationen wie beispielsweise der demo Zusammenarbeit mit der Arbeitsmarktbeobachtung AMOSA auch grafischen Entwicklung, der Beschäftigungsdynamik oder auch im AWA Zürich ein Fachkräftemangelindikator entwickelt. Dieser dem ausländischen Fachkräfteangebot. Analysen zur beruflichen wurde nun aktualisiert und optimiert. Mobilität in und aus Mangel- respektive Überschussberufen er möglichen zudem, zukunftsträchtige Transitionen und Möglich Fachkräftemangel ist nicht direkt messbar. Es gibt jedoch ver keiten für Quereinstiege zu identifizieren (vgl. Abbildung 9). Diese schiedene Indikatoren, die auf eine verschärfte Fachkräftesituati Informationen helfen, die Ergebnisse aus dem Fachkräftemangel on hinweisen können. Dazu gehören das Verhältnis von Stellen indikator einzubetten und in einen breiteren Kontext zu setzen. suchenden zu den offenen Stellen, die Dauer der Stellensuche sowie die Dauer der Stellenausschreibung. Diese bilden zusam men mit den Qualifikationsanforderungen in einem Beruf den Kern des neuen Zürcher Fachkräftemangelindikators. Über die Aggregation dieser vier Teilindikatoren zu einem Gesamtindex kann ein robustes Gesamtbild zur relativen Fachkräftesituation in einem Beruf gewonnen werden. 9 Aufbau des neuen Zürcher Fachkräftemangelindikators Mobilitätsanalysen FKM-Index Zusatzindikatoren Verhältnis: offene Stellen / Stellensuchende + Demografischer Zuwanderung Ersatzbedarf Dauer der Stellensuche + Dauer der Stellenausschreibung Beschäftigungs- + ... entwicklung Qualifikationsanforderungen Quelle: AMOSA/AWA Zürich, 2021 Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 19
Spezialthema Handlungsmöglichkeiten: Fünf Stellschrauben Die aus unseren Szenarien resultierenden fehlenden Arbeits Auch wenn sich das Produktivitätswachstum nicht direkt be kräfte und die dadurch drohenden BIP-Lücken sind natürlich einflussen lässt, kann der Kanton Zürich dieses also mit ge nicht in Stein gemeisselt. Die Politik hat verschiedene Möglich zielten Massnahmen begünstigen und dadurch die drohende keiten, darauf zu reagieren. Grundsätzlich gibt es fünf ver BIP-Lücke senken. Allerdings wird auch das Produktivitäts schiedene Stellschrauben, die die Zahl der benötigten Arbeits wachstum selber vom demografischen Wandel beeinflusst, kräfte und die Wirtschaftsleistung beeinflussen können. etwa über die Spar- und Investitionsentscheidungen, die Inno vationsfähigkeit oder Nachfrageverschiebungen. In der Ten 1. Steigerung der Arbeitsproduktivität denz wirken diese Einflüsse durch die alternde Bevölkerung Erste Stellschraube ist das Wachstum der Arbeitsproduktivi eher negativ als positiv, wie eine Untersuchung des SECO tät. Kann diese gesteigert werden, braucht es automatisch zeigt. Den drohenden Arbeitskräftemangel alleine durch eine weniger Arbeitskräfte als in den beiden Szenarien vorgesehen, Steigerung des Produktivitätswachstums zu kompensieren, um den bisherigen Wachstumspfad weiterzuführen. Möchte dürfte folglich schwierig werden.6 man das angestrebte BIP in Höhe von 213 Mrd. CHF bis 2050 mit dem vorhandenen Arbeitskräfteangebot erreichen, müsste 2. Erhöhung der Standortattraktivität das jährliche Produktivitätswachstum mehr als verdoppelt Zweite Stellschraube ist die Standortattraktivität des Kantons werden. Zürich. Wird sie erhöht, kann das zum einen innovative Unter nehmen anziehen, die das Produktivitätswachstum steigern Die Steigerung des Produktivitätswachstums ist aber alles an (siehe Punkt 1). Zum anderen kann auch die Standortattraktivi dere als einfach. In den letzten Jahrzehnten ist in vielen westli tät für Arbeitskräfte erhöht werden. Dadurch könnten zusätzli chen Ländern eher das Gegenteil zu beobachten: Das Produk che Arbeitskräfte mobilisiert werden, die nach Zürich ziehen tivitätswachstum hat sich verlangsamt. Das gilt insbesondere oder pendeln, was die Zahl der vorhandenen Arbeitskräfte er auch für die Schweiz und den Kanton Zürich. Dazu beigetra höhen würde. Mögliche Massnahmen zur Verbesserung der gen haben dürfte die wachsende Bedeutung der binnenorien Standortattraktivität für Unternehmen wurden bereits bei der tierten Branchen, die eine tiefere Produktivität als die export ersten Stellschraube andiskutiert. Es gibt jedoch noch andere orientierten Branchen aufweisen. Massnahmen, die stärker auf natürliche Personen zielen. Letztlich hängt das Produktivitätswachstum entscheidend Zum einen spielt die Lebensqualität eine wichtige Rolle, wenn vom technologischen Fortschritt ab. Die Politik kann diesen es darum geht, Arbeitskräfte anzuziehen. Sie kann einerseits zwar nicht direkt beeinflussen, sie kann aber mit guten Rah anhand «weicher» oder subjektiver Faktoren gemessen wer menbedingungen dafür sorgen, dass sich neue Ideen und den, wie Gesundheit, Bildung, Qualität der Umwelt, persönlicher Technologien entfalten können. Gemäss Studie des SECO Sicherheit, Bürgerbeteiligung, Work-Life-Balance, Infrastruktur sind vor allem folgende Rahmenbedingungen entscheidend und Dienstleistungen, Mobilität und Kultur. Andererseits spielen für das Produktivitätswachstum: die Bildungsqualität, gesun auch «harte» oder materielle Faktoren wie Einkommen, Erwerb de öffentliche Finanzen, ein effizientes Steuersystem, offene sowie die Wohnsituation einen wichtigen Einfluss. Mehrere Fak Märkte sowie eine hohe Wettbewerbsdynamik und tiefe Markt toren spielen dabei zusammen, so kann eine gute Ausbildung eintrittshürden.4 Insbesondere bei den letzten beiden Punkten zu höherem Einkommen führen, was wiederum die Wohnsitua gäbe es Spielraum für die Schweizer Politik – man denke etwa tion verbessern kann.7 an die generell zunehmende Regulierungsdichte oder das Ar beitsgesetz, das der heutigen Arbeitsrealität nicht mehr Rech Zum anderen spielen auch Steuer- und Sozialabgaben eine nung trägt. Das SECO kommt daher auch zum Schluss, dass Rolle. Besonders gut ausgebildetes Personal ist oft sehr mobil, ein Grund für die schwache Produktivitätsentwicklung der sodass bereits kleine Unterschiede bei den Steuern darüber letzten Jahre die zunehmende Regulierungsdichte und Kom entscheiden können, wo sich die Arbeitskräfte ansiedeln. Dabei plexität von Regulierungen sein könnte. kann es auch zu sogenannten Agglomerationseffekten kom men: Fachkräfte siedeln sich bevorzugt dort an, wo es bereits Auch der Kanton Zürich könnte gewisse Rahmenbedingungen ein Netzwerk anderer Fachkräfte und innovativer Unternehmen verbessern, um das Produktivitätswachstum zu begünstigen. gibt. Ein attraktives Steuerumfeld kann die Agglomerationsbil Wie der kantonale Wettbewerbsindikator der UBS zeigt, weist dung fördern. Gleichzeitig können niedrige Einkommenssteu Zürich vor allem bei den Staatsfinanzen, der Innovation und ern die Motivation und Leistung der Arbeitskräfte beeinflussen. der Steuerbelastung Verbesserungspotenzial auf.5 Positiv auf So zeigt eine Studie für die USA, dass höhere Einkommens das Produktivitätswachstum auswirken dürfte sich jedoch die steuern einen negativen Einfluss auf die Anzahl von Patent stärkere Positionierung des Kantons als Technologie-Hub. anmeldungen und die Qualität von angemeldeten Patenten haben.8 Auch wenn die Erhöhung der Standortattraktivität Po Zürcher Wirtschaftsmonitoring / Dezember 2021 20
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