Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister - Wie Hersteller ihr Geschäftsmodell für integrierte Mobilität richtig aufstellen Von Dr. Klaus ...
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Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister Wie Hersteller ihr Geschäftsmodell für integrierte Mobilität richtig aufstellen Von Dr. Klaus Stricker, Dr. Gregor Matthies und Raymond Tsang
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister Die Autoren Dr. Klaus Stricker ist Partner bei Bain & Company in Frank- foliounternehmen von Private Equity-Fonds. Diese berät er furt und Mitglied der Automobil-Praxisgruppe. Er berät Zu- insbesondere in Strategieentwicklungs-, Organisations- lieferer, Automobilhersteller und Händlergruppen in Fra- und Restrukturierungsfragen. Nach seinem Studium der gen der strategischen Neuausrichtung, Restrukturierung Luft- und Raumfahrttechnik in München promovierte Gre- und Reorganisation. Darüber hinaus unterstützt er Unter- gor Matthies an der Universität Duisburg in Elektrotechnik. nehmen bei der Entwicklung und Umsetzung von opera- tiven Verbesserungsprogrammen. Klaus Stricker studierte Raymond Tsang ist Partner bei Bain & Company in Shang- Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität hai und Leiter der Automobil- und Industrie-Praxisgruppe in Wien und promovierte im Fach Fertigungstechnik. in China. Seine Kunden sind internationale und chine- sische Unternehmen, die er in Fragen der strategischen Dr. Gregor Matthies ist Partner bei Bain & Company in Ausrichtung, der Kostenanalyse sowie der operativen Ver- München und leitet die europäische Automobilpraxis- besserung und Prozessoptimierung berät. Raymond Tsang gruppe. Seine Kunden sind Unternehmen aus der Automo- hat Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Technolo- bilindustrie, der Luft- und Raumfahrtbranche sowie Port- giemanagement an der Stanford University studiert. Impressum Herausgeber: Bain & Company Germany/Switzerland, Inc. Kontakt: Pierre Deraëd Marketing Director Tel. +49 89 5123 1330 Leila Kunstmann-Seik PR/Marketing Manager Tel. +49 89 5123 1246 Gestaltung: ad Borsche GmbH, München Druck: Druckhaus Kastner, Wolnzach Copyright © 2011 Bain & Company, Inc. All rights reserved. 2
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister Inhalt Executive Summary 5 1 Wachstumstreiber der Automobilindustrie bleiben intakt 6 2 Trends verändern die Mobilitätslandschaft – vor allem in Metropolen 7 3 Der Profit Pool wandert weiter „downstream“ 11 4 Integrierte Mobilität schafft ein breites Spektrum neuer Geschäftsfelder 13 5 Entwicklung eines maßgeschneiderten Mobilitäts- Geschäftsmodells für Automobilhersteller 17 6 Konkrete Handlungsempfehlungen für Hersteller 22 3
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister Unübersehbar steht die Automobilbranche im Zeichen des Wandels. Neue Technologien wie leistungsfähige Lithium-Ionen-Batterien für den Elektroantrieb, Karbonkarosserien und die permanente Konnektivität der Autos werden marktfähig. Daneben beeinflussen auf- kommende Megatrends die Rolle des Automobils in der Gesellschaft und ändern das bisher bekannte Nachfrageverhalten. Dadurch entstehen neue Geschäftsfelder – insbesondere in der urbanen Mobilitätslandschaft. 4
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister Executive Summary Fast alle Hersteller werden in Kürze ihren Kunden Elek- trie weiter nach hinten. Das ist für die Branche nichts troautos anbieten, einige pilotieren bereits Mobilitätskon- Neues, denn bereits vor über zehn Jahren sorgte das zepte vom Car Sharing bis zum integrierten Reiseportal. verstärkte Aufkommen von Finanzdienstleistungen für Eines aber vorweg: Ein Umbruch in der Branche wird einen massiven Schub in Richtung Downstream-Profite. nicht über Nacht erfolgen wie zum Beispiel in der Fo- Dieser Trend wird sich mit der Nachfrage nach neuen tografie, wo der chemische Film innerhalb nur weni- Mobilitätsdienstleistungen fortsetzen. ger Jahre durch Digitalkameras substituiert wurde. Die Wachstumstreiber der Automobilindustrie bleiben auch Bain & Company hat die neu entstehenden Geschäfts- in Zeiten großer Veränderungen intakt, da vor allem die felder gesamthaft erfasst und bewertet. Dabei sind Schwellenländer auch in der kommenden Dekade die diese Mobilitätsformen kein Ersatz für das traditionelle Nachfrage im traditionellen Fahrzeuggeschäft beflügeln Verkaufsmodell. Es geht für die Autobauer vielmehr da- werden. rum, eine sinnvolle Auswahl der neuen Möglichkeiten in einem integrierten Geschäftsmodell zu verankern: Ver- Parallel dazu entwickeln sich mit hoher Dynamik neue trieb, Aftersales, Finanz- und Mobilitätsdienstleistungen. Geschäftsfelder rund um die Bereitstellung individueller Mobilität. Das führt dazu, dass neue Player in das bisher Viele Hersteller haben dazu bereits Pilotprojekte gestar- von den Automobilbauern dominierte Geschäft der in- tet. Bislang fehlt jedoch ein integrierter Ansatz, der die dividuellen Mobilität einsteigen. Und damit laufen die gesamte Bandbreite der neuen Mobilitätsangebote erfasst Hersteller Gefahr, ihre Schnittstellen zu ihren Kunden und sie systematisch mit dem existierenden Kerngeschäft zu verlieren. Die neue Dynamik eröffnet den traditio- verbindet, um die „Mobilität der Zukunft“ zu gestalten. nellen Herstellern aber auch Chancen. Damit sie aus Bain hat dazu vier Normstrategien für die mögliche Rol- den Entwicklungen Kapital schlagen können, müssen le der Hersteller entwickelt: der „Integrierte Mobilitäts- sie jedoch die Zeichen der Zeit erkennen, diese richtig dienstleister“, der „Vermittler“, der „Selektierer“ und interpretieren und ihr Geschäftsmodell rechtzeitig an- der „Minimalist“. Diese helfen den Herstellern sich zu passen. Und die Zeit drängt: Innerhalb der nächsten entscheiden, in welchen Geschäftsfeldern sie sich in Zu- zwölf bis 18 Monate müssen die Weichen gestellt werden, kunft engagieren wollen und mit welcher Strategie sie um beispielsweise die Elektromobilität in ein integriertes diese erschließen wollen. Geschäftsmodell einzubetten, welches auch Angebote für Batterieleasing, Ladestrom, die so genannte intelligente Bei der Bewertung der verschiedenen Mobilitätsgeschäfts- „Wallbox“ und Ladeinfrastruktur beinhalten kann. Be- felder müssen sowohl die Attraktivität als auch die Ent- reits heute tummeln sich auf diesem Markt Newcomer, fernung vom etablierten Kerngeschäft für den jeweiligen wie zum Beispiel das „Mobility House“ in Salzburg, die Automobilbauer und seine Marken evaluiert werden. Auf sich den Herstellern als Partner mit schnellen, pragma- dieser Basis kann ein Hersteller entscheiden, ob er ein tischen Lösungen anbieten. bestimmtes Geschäftsfeld selbständig, gemeinsam mit einem Partner oder eventuell gar nicht erschließen möch- Die neuen Geschäftsfelder entstehen im Wesentlichen te. Nachdem die Entscheidung für die Eckpfeiler des Ge- im „Downstream“-Segment der automobilen Wertschöp- schäftsmodells gefallen ist, sind die einzelnen Elemente fungskette und generieren dort neue Umsatz- und Er- sukzessive aufzubauen und in lokalen Pilotprojekten zu gebnispotenziale. Das „Upstream“-Geschäft der Fahr- testen. Erst danach sollte das integrierte Geschäftsmodell zeugentwicklung und -produktion bleibt dagegen durch flächendeckend und eng verzahnt mit dem Kerngeschäft fortbestehende Überkapazitäten weiterhin unter Druck; ausgerollt werden. damit verschiebt sich der Profit Pool der Automobilindus- 5
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister 1 Wachstumstreiber der Automobilindustrie bleiben intakt Die Automobilindustrie bleibt auch in der nächsten De- In den Industrieländern stößt das Wachstum der Auto- kade eine Wachstumsbranche. Sogar während der gerade branche dagegen an Sättigungsgrenzen: In Europa und überwundenen „Jahrhundertkrise“ ist der Absatz in den Japan kommen bereits mehr als fünf Autos auf zehn Schwellenländern weiter gestiegen. Und dieses Wachs- Einwohner, in den USA sind es sogar mehr als sieben. tum wird sich – wenn auch abgeschwächt – weiter fort- Stagnierende oder gar rückläufige Bevölkerungszahlen setzen. lassen auch für die Zukunft keine großen Wachstumsim- pulse erwarten – der Bedarf an Neufahrzeugen ersetzt in In Asien (exkl. Japan), Lateinamerika und Mittel- und diesen Märkten also weitgehend die bestehende Flotte. Osteuropa sorgen eine stark wachsende Mittel- und Ober- schicht sowie die insgesamt wachsende Bevölkerung Dennoch ist weltweit bei stabiler Konjunktur ein Wachs- für anhaltende Impulse für den weltweiten Automobil- tum der jährlich verkauften Fahrzeuge auf 90 bis 100 markt (Abb. 1). Schon heute wird jeder dritte Neuwagen Millionen bis zum Jahr 2020 zu erwarten, was einer in den BRIC-Staaten verkauft. In diesen Ländern spielt durchschnittlichen Wachstumsrate von rund drei Prozent das Auto heute dieselbe Rolle, die es auch in den Indus- pro Jahr entspricht (Abb. 2). Da die globale Wirtschaft trienationen erfolgreich gemacht hat: Es befördert die wirt- volatiler geworden ist, wird es auch in den kommenden schaftliche Leistungsfähigkeit der Gesellschaft, schafft Jahren immer wieder zu krisenbedingten und zyklischen persönliche Bewegungsfreiheit und Unabhängigkeit und Rückschlägen bei der weltweiten Automobilnachfrage besitzt eine hohe Strahlkraft als Statussymbol. kommen – strukturell befindet sich die Branche aber wei- terhin auf einem gesunden Wachstumspfad. Abb. 1: Wachstumsmärkte haben die stagnierenden Triade-Märkte 2009 beim Absatz überholt Absatz in Triade-Märkten (in Mio. Einheiten) Absatz in Wachstumsmärkten (in Mio. Einheiten) 50 50 40 40 andere 30 Japan 30 Russland Brasilien 20 USA 20 Indien 10 10 West- China Europa 0 0 96 98 00 02 04 06 08 10 96 98 00 02 04 06 08 10 19 19 20 20 20 20 20 20 19 19 20 20 20 20 20 20 Quelle: J.D. Power 6
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister Abb. 2: Absatz in BRIC-Ländern wird weiter zunehmen Globaler Absatz (in Mio. Einheiten) 100 90-100 andere 80 72 Indien Brasilien 60 Japan USA 40 China 20 West-Europa 0 2010 2020 Quelle: J.D. Power, Bain-Analyse 2 Trends verändern die Mobilitätslandschaft – vor allem in Metropolen Trotz der weltweit guten Wachstumsaussichten gibt es und verlangen nach neuen oder erweiterten Angeboten eine Reihe von Megatrends, die das künftige Mobilitäts- und Lösungen für individuelle Mobilitätsanforderungen. verhalten und die damit verbunden Kundenbedürfnisse massiv beeinflussen und verändern werden – und damit Steigender Bedarf an Mobilität einer wachsenden auch die Rahmenbedingungen für den weltweiten Au- Weltbevölkerung und fortschreitender Urbanisierung tomobilabsatz. Am stärksten werden das die prosperie- renden Metropolen der Industrie- und Schwellenländer Bis 2020 wird die Weltbevölkerung um weitere 800 Mil- spüren. Eine Reihe von weltweiten Entwicklungen, wie lionen Menschen auf 7,7 Milliarden anwachsen. Fast 90 die zunehmende Bevölkerungsdichte und das Wachstum Prozent dieses Zuwachses findet in Asien und Afrika der Metropolen einerseits, Restriktionen und Alterna- statt, wo zwei Drittel der Weltbevölkerung leben werden. tiven für das eigene Automobil andererseits, aber auch Die Internationale Energieagentur der OECD prognosti- Veränderungen im generellen Nachfrageverhalten, kön- ziert einen weltweiten Anstieg der zurückgelegten Kilo- nen dabei identifiziert werden. Sie alle fordern die tradi- meter pro Fahrzeug von heute rund 6.000 auf 9.000 im tionellen Geschäftsmodelle der Automobilbauer heraus Jahr 2015. Dieser Anstieg wird überwiegend von einer 7
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister Abb. 3: Im Jahr 2020 wird 55 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben Weltbevölkerung Bevölkerung in entwickelten Ländern (in Mrd./in %) CAGR CAGR (in Mrd./in %) (95-20) (95-20) 5,7 6,1 6,5 6,9 7,3 7,7 1,2 1,2 1,2 1,2 1,2 1,3 1,2% 100 0,3% 100 22 -0,6% 80 28 27 26 25 24 76 78 72 73 74 75 60 0,5% 80 0,4% 40 20 0 60 1995 2000 2005 2010 2015 2020 45 47 49 51 55 Bevölkerung in Entwicklungsländern 53 53 55 51 49 (in Mrd./in %) CAGR 47 (95-20) 45 40 4,5 4,9 5,3 5,7 6,1 6,4 100 1,4% 2,0% 80 60 0,5% 20 52 50 57 55 62 60 48 50 40 43 45 38 40 2,6% 20 0 0 1995 2000 2005 2010 2015 2020 1995 2000 2005 2010 2015 2020 Stadt Land Quelle: United Nations, World Population Prospects Zunahme des Pkw-Verkehrs getragen und weitgehend 28 Megacities mit über zehn Millionen Einwohnern außerhalb der OECD-Staaten stattfinden. In dieser zu- befinden sich in Schwellen- oder Entwicklungsländern nehmend globalisierten Welt gewinnt die Mobilität des und kämpfen in der Regel mit erheblichen Platz-, In- Individuums weiter an Bedeutung – trotz aller moderner frastruktur- und Umweltproblemen. Durch die ungenü- Kommunikationstechnologien. gende Verkehrsinfrastruktur entstehen Staus, die den Individualverkehr ineffektiv und den Besitz eines Autos Zu dem steigenden Bedarf an Mobilität kommt eine stetig unattraktiver machen. In Großstädten wie Mexico City, wachsende Bevölkerungsdichte in den weltweiten Metro- New Delhi, Beijing oder Moskau legen die Menschen polen hinzu: Bis 2020 werden 55 Prozent der Weltbevöl- durchschnittlich 21 Kilometer zwischen ihrem Wohn- kerung in urbanen Ballungszentren leben, während es und Arbeitsort zurück. Für diese Distanz müssen sie über 1995 nur 45 Prozent waren (Abb. 3). 22 der insgesamt 80 Minuten tägliche Fahrzeit aufwenden. 8
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister Zunahme von Einschränkungen und Alternativen Transport“-Systeme (BRT), die deutlich kostengünstiger für den traditionellen Individualverkehr sind als etwa U-Bahnen. Dafür werden eigene, oft mehr- spurige Busfahrbahnen eingerichtet, die den Bussen eine Gerade in Großstädten werden deshalb platzsparende hindernisfreie Fahrt ermöglichen. Hat dieses System gut Verkehrslösungen gesucht und umgesetzt. Es wird im- ausgestattete Busse, attraktive Preise und ein ausgeklü- mer mehr Maßnahmen zur Verkehrsbegrenzung geben, geltes Haltestellennetz, findet es hohe Akzeptanz. In Gu- wie beim Shanghaier System zur Versteigerung einer angzhou (China) wird das BRT im Durchschnitt bereits limitierten Anzahl an Autolizenzen oder beim Londoner von mehr als 800.000 Fahrgästen pro Werktag genutzt. System der City-Maut. In London wird für die Einfahrt in die City eine Gebühr von rund elf Euro pro Tag erhoben; Damit werden in den Schwellenländern nicht alle ein Au- wer keinen Parkplatz besitzt, zahlt im Schnitt monatlich to besitzen oder erwerben, die wirtschaftlich dazu in der weitere 760 Euro für das Abstellen seines Fahrzeugs. Lage wären. In den Megacities könnten potenzielle Käu- Darüber hinaus könnten große Städte in Zukunft Um- fer durch zusätzliche Restriktionen wie Umweltzonen weltzonen zur Emissionssenkung definieren, in denen oder beschränkte Einfahrtlizenzen vom Autokauf abse- nur noch „Null-Emissions-Fahrzeuge“ wie zum Beispiel hen oder sie nutzen die genannten alternativen Angebote, Elektroautos als motorisierte Individualverkehrsmittel die praktischer und kostengünstiger sind. In den Schwel- zugelassen sind. lenländern werden zudem die staatlichen Eingriffe und Regulierungsmechanismen für die Entwicklung neuer Damit wird es in Metropolen für immer mehr bisherige Mobilitätskonzepte entscheidend sein. Automobilkunden unumgänglich sein, zu Stoßzeiten in öffentlichen Verkehrsmitteln zu pendeln. Dabei werden Veränderung des Wertesystems und des klassische öffentliche Nahverkehre auch künftig Kompro- Nachfrageverhaltens misslösungen bleiben. Gerade in den Ballungszentren gehört die Zukunft deshalb zunehmend dem vernetzten, Zu diesen externen Faktoren, die den Markt der Mobili- öffentlich-individuellen Personentransport. Der intermo- tätsdienstleister und traditionellen Automobilhersteller dale Kombiverkehr – der verschiedene Verkehrsmittel zur derzeit umwälzen, kommen intrinsisch bedingte Verän- Erreichung eines Ziels nutzt – nimmt stetig zu (Abb. 4). derungen des Konsumentenverhaltens hinzu. Begriffe wie Nachhaltigkeit, Umweltverträglichkeit und End- In den Metropolen der Industrieländer ist die Zahl der lichkeit fossiler Ressourcen sind nicht nur im täglichen traditionellen Autobesitzer also stagnierend bis rückläu- Sprachgebrauch angekommen, sondern inzwischen fig. Bestimmte Kundensegmente werden aber nicht nur wichtige Kriterien für die Kaufentscheidung. Die Auto- auf die genannten öffentlichen Verkehrsmittel zurück- mobilindustrie reagiert bereits auf die sich ändernden greifen wollen, sondern streben nach vernetzten Mobili- Kundenbedürfnisse mit kleineren, verbrauchsärmeren tätslösungen mit Shared Cars oder Mietwagen, Sammel- Fahrzeugen sowie mit Hybrid- und Elektroautos. taxis oder Kleinbussen, öffentlichen Elektromobilen oder Leihfahrrädern. Die Mobilitätsentscheidungen der Nut- Erst Technologien, wie die Herstellung leistungsstarker zer werden unterschiedlich ausfallen, je nach den eige- und sicherer Lithium-Ionen-Batterien als Herzstück des nen Bedürfnissen, dem persönlichen Budget, den verfüg- Elektroantriebs, die Verarbeitung von Karbon im indus- baren Alternativen und den regulativen Beschränkungen, triellen Produktionsprozess und die Konnektivität des etwa durch Umweltzonen oder Einfahrtbeschränkungen. Autos, ermöglichen die Umsetzung der nunmehr ge- forderten Fahrzeugkonzepte, wie die innovative BMW Auch in den Schwellenländern wird der Nahverkehr i-Serie oder die in diesem Jahr auf der IAA in Frankfurt massiv ausgebaut, zum Beispiel durch „Bus Rapid vorgestellte Studie Smart „Forvision“: nachhaltige tech- 9
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister Abb. 4: Mobilität entwickelt sich in urbanen Gebieten zu integrierten Mobilitätslösungen 7 1 Fußverkehr Zurückzulegende Distanz 2 Fahrrad 4 3 E-Mobility on demand 4 Car Sharing 3 5 Öffentlicher Nahverkehr 5 1 6 Eigenes Fahrzeug/Miete 2 7 Bahn, Flugzeug 6 Quelle: Bain & Company nische Entwicklungen, die sich immer mehr als Standard Reise. Die prinzipielle Einstellung der jungen Generation etablieren werden. zum Auto ändert sich somit nachhaltig – und damit das Wertesystem sowie das Nachfrageverhalten potenziell zu- Trotz dieser technischen Entwicklungen verliert das Auto künftiger Automobilkunden. als zentrales „Objekt der Begierde“ in der Gesellschaft an Attraktivität, insbesondere bei den jungen Kunden. Automobilhersteller in der Pole Position Eine Umfrage der Fachhochschule der Wirtschaft in Ber- gisch Gladbach unter 18- bis 25-Jährigen ergab, dass 22 Für die Automobilhersteller sind alle diese Verände- Prozent der Befragten im Auto ausschließlich ein Fort- rungen Bedrohung und Chance zugleich. Direkte Wett- bewegungsmittel sehen und damit seinen funktionalen bewerber und neue Spieler werden die aktuelle Marktdy- Wert in den Mittelpunkt stellen. Die emotionale Bindung namik nutzen und in den alternativen Mobilitätsmarkt zum eigenen Auto ist für diese Kundengruppe nur noch einsteigen: Klassische Vermieter und unabhängige Car zweitrangig. Das Auto steht bei jungen Menschen immer Sharing-Spezialisten werden eigene Angebote aufbau- häufiger im Wettbewerb mit alternativen Investitionen en. Auch die Deutsche Bahn ist zum Beispiel mit dem wie der neuesten Konsumelektronik oder einer längeren „Flinkster“ Car Sharing-Konzept bereits in diesem Ge- 10
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister schäft aktiv. Energieversorger könnten Angebote für die Andererseits sind gerade die Automobilbauer in ihrer bis- Elektromobilität auflegen, die über den reinen Stromver- herigen Rolle als Bereitsteller von Mobilität prädestiniert, trieb hinausgehen und die Batterie oder sogar das gesamte auf die veränderten Nachfragemuster mit intelligenten E-Auto umfassen. Technologiekonzerne wie Apple, Mi- Lösungen zu antworten; schließlich kennt niemand die crosoft oder Google könnten schon heute über innovative Kunden und deren spezifische Mobilitätsbedürfnisse Mobilitätsdienste und Apps weite Teile der Wertschöp- besser. Die Schwierigkeit liegt darin, eingespielte Pfade fungskette abdecken und den Kunden an sich binden. zu verlassen und vorhandenes Know-how völlig neu ein- Kurz gesagt: Es könnten sich Intermediäre herausbilden, zusetzen. die Mobilität als Produkt anbieten und die Autobauer von ihrem direkten Kundenkontakt entkoppeln. 3 Der Profit Pool wandert weiter „downstream“ Dabei entstehen die neuen Geschäftsfelder vor allem Ideal ist ein Geschäftsmodell mit fließenden Übergängen „downstream“ in der automobilen Wertschöpfungskette, sind also der Entwicklung und Produktion der Fahrzeuge Teilweise kannibalisieren die neu entstehenden Ge- nachgelagert. Das ist an sich nichts Neues für die Auto- schäftsfelder das traditionelle Kerngeschäft der Autobau- mobilhersteller. Bereits in den vergangenen Jahren ist der er. Kunden, die mieten und „sharen“, fallen als Kunden Profit Pool der Automobilindustrie in diesen Bereichen im Neufahrzeuggeschäft zunächst aus. Auf der anderen gewachsen: Von der Dominanz des Neuwagengeschäfts Seite können die Hersteller auch neue Kundengruppen in der Frühphase der Automobilisierung entwickelte sich ansprechen und an die Marke heranführen, wenn sie die Branche immer weiter hin zum heutigen Systemge- sich in neuen Geschäftsfeldern wie dem Car Sharing schäft. Dessen Erträge kommen vor allem aus Service, engagieren. Die Herausforderung besteht also darin, die Teilegeschäft und Finanzdienstleistungen (Abb. 5). Das verschiedenen Geschäftsfelder zu vernetzen. Neuwagengeschäft dient bei vielen Herstellern vor allem dazu, eine tragfähige Basis für diese Downstream-Erträge Modelle, wie eine solche Vernetzung aussehen könnte, zu installieren. sind bereits angedacht: Kunden, die ein Fahrzeug besit- zen, erhalten damit beispielsweise auch Zugang zu Miet- Mit der Zunahme von Full-Service-Leasing, Mietmodel- oder Car Sharing-Autos des Herstellers, um spezifische len, Car Sharing und weiteren alternativen Mobilitäts- Mobilitätsbedürfnisse im Stadtverkehr abzudecken. In angeboten entstehen Ertragspotenziale im Downstream- allen Fahrzeugen der Marke steht dieselbe Kommunika- Segment der automobilen Wertschöpfungskette. Gleich- tionsplattform zur Verfügung, die universellen Zugriff zeitig stehen die Upstream-Wertschöpfungsschritte auf die Mobilitätsdienste der Marke bietet. Besitzer oder der Fahrzeugentwicklung und -produktion infolge der Leasingnehmer eines Elektroautos erhalten einen Mobili- vorhandenen Überkapazitäten weiterhin unter hohem tätspass, mit dem sie für den Wochenendausflug oder die Druck – gerade in den stagnierenden Märkten der west- Urlaubsreise auf Autos mit größerer Reichweite zurück- lichen Welt. Upstream können deshalb auch in Zukunft greifen können. Und potenzielle Kunden, die kein Fahr- nur in Nischen, wie etwa Sportwagen und Luxus-SUVs, zeug besitzen, können durch die Nutzung des hersteller- signifikante Erträge über den Industriezyklus verdient eigenen Car Sharing-Angebots für die Marke begeistert werden. und später als Neufahrzeugkunden gewonnen werden. 11
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister Abb. 5: Automotive Profit Pool – Der Großteil der Profitabilität wird schon heute „downstream“ erwirtschaftet Profit Pool der europäischen Automobilindustrie (2010) Umsetzung GVO, Reduktion Umsatzrendite verbesserte Risikopositionen (EBIT als % des Umsatzes) Transparenz früherer Jahre 15 13,7 12,4 Zunehmender Skalierung 10 Wettbewerb durch von Geschäfts- Unabhängige modellen Strukturelle 6,0 5,1 Überkapazität 4,9 5 4,0 2,4 1,9 0 Umsatz (in Mrd. Euro) Fahrzeugproduktion Teile Service und Teile Gebrauchtwagen und -absatz Großhandel Versicherung Mobilitätsservices Zulieferer Finanzierung und Leasing Potenzieller Entwicklungstrend steigend gleichbleibend/stagnierend fallend Quelle: Bain & Company, Bain Automotive Profit Pool (2010) 12
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister 4 Integrierte Mobilität schafft ein breites Spektrum neuer Geschäftsfelder Auf Basis der beschriebenen Trends, veränderter Kun- Die Zweitverwertung der Batterie nach Ende der Lebens- denbedürfnisse und nicht zuletzt neuer technologischer dauer im Auto hat ebenfalls Geschäftspotenzial. Die Bat- Lösungen sowie alternativer Nutzungsmuster entstehen terie kann als Stromspeicher für Anwendungen außer- neue Mobilitätsbedürfnisse und -angebote. Rund um halb des Fahrzeugs eingesetzt werden, zum Beispiel als den traditionellen Kern jedes Herstellers – der Produk- Zwischenspeicher bei der Verstromung von Windenergie tion, Vermarktung und Finanzierung von Fahrzeugen oder für Solaranlagen auf dem eigenen Hausdach. – entwickeln sich neue Geschäftsfelder. Sie können nach der in Abbildung 6 dargestellten Systematik von Bain & Ein weiteres Geschäftsfeld entsteht aus der Bereitstellung Company entlang von zehn Dimensionen charakterisiert und Montage der so genannten „Wallbox“, die in der hei- werden. Insgesamt hat Bain mit dieser Methodik mehr mischen Garage für ein gesteuertes Laden der Batterie als 30 Geschäftsfelder identifiziert, die sich in ihrer Grö- sorgt. Weitere Betätigungsfelder im Rahmen der Elektro- ße, ihrem Wachstumspotenzial und ihrer Profitabilität mobilität sind der Betrieb von öffentlichen Ladestationen erheblich unterscheiden. Beispielhaft werden einige der oder die Bereitstellung von idealerweise zertifiziertem wichtigsten neuen Geschäftsfelder vorgestellt. „grünen“ Strom für das Elektroauto oder gleich für den gesamten Haushalt. Beispiel Elektromobilität Schließlich ergeben sich neue Möglichkeiten durch intel- In Kürze bieten die meisten Hersteller ihre ersten E- ligente Lösungen, wie „Vehicle-to-Grid“: Das Fahrzeug Fahrzeuge an. Bei einem rein batteriebetriebenen E-Auto wird an das Stromnetz angeschlossen, so dass bei höherer macht die Batterie je nach ihrer Kapazität 30 bis 40 Pro- Stromnachfrage im Netz (und damit höherem Preisni- zent der gesamten Fahrzeugkosten aus. Einige Hersteller, veau) eine Einspeisung von Strom aus der Batterie in das wie zum Beispiel Renault, werden die Batterie deshalb Netz erfolgt und dies dem Kunden gutgeschrieben wird. separat vermarkten; der Kunde kauft das Auto und mie- Damit der Autobesitzer steuern kann, zu welchen Zeiten tet oder least eine Batterie dazu. Während die Einstiegs- und Konditionen Strom in die Batterie eingespeist und kosten für den Kunden dadurch geringer sind, entsteht entnommen wird, sind aufwendige Lösungen („smart ein neues Geschäftsfeld für Batterieleasing, das allein in meters“) erforderlich. Deshalb wird sich „Vehicle-to-Grid“ Deutschland ein zusätzliches Finanzierungsvolumen von frühestens in der zweiten Welle der Elektromobilität am vier bis fünf Milliarden Euro bis 2020 erreichen wird. Ende dieses Jahrzehnts etablieren, wenn auch eine ent- Dieses Potenzial ist für die Hersteller und ihre Finanzie- sprechend große Elektroflotte auf den Straßen unterwegs rungstöchter, wie auch für unabhängige Leasinggesell- ist. schaften gleichermaßen interessant. Beispiel Mobilitätsdienste Für das Leasing der Batterie ist die Prognose des Restwerts entscheidend. Zum heutigen Zeitpunkt gibt es dafür noch Mit der zunehmenden Konnektivität können telemetrische keine Erfahrungswerte. Und es ist noch völlig offen, ob Daten aus dem Auto ausgelesen werden, um diese für die und wie sich ein Markt für Gebrauchtbatterien entwickeln präventive Wartung zu nutzen. Das Auto meldet sich bei wird. Viele Hersteller werden die Batterie als integrierten Verschleiß des Bremsbelags oder Verschmutzung von Bestandteil des Fahrzeugs vermarkten und damit auch als Filtern selbständig beim Hersteller. Dessen autorisiertes Teil des Fahrzeugs verleasen. Das Potenzial für zusätz- Servicenetz geht auf den Kunden zu, um einen Wartungs- liches Leasingvolumen existiert natürlich auch in dieser termin zu vereinbaren. Das verringert die Wartungskos- Konstellation; der Unterschied zum Buy-Lease-Modell be- ten für den Endkunden und hilft, die Abläufe und damit steht vor allem in der Kundenwahrnehmung. die Auslastung des Servicenetzes zu verbessern. 13
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister Abb. 6: Neue Mobilität schafft neue Gechäftsfelder Mobilitäts- vehikel Finanzdienst- Vertriebskanal leistungen ... Schiff ... ... Flugzeug Investment Banking Andere Vertriebs- partner Bahn Weitere Bankprodukte Internet Bus/ÖPNV Weitere Versicherungen Kern- Zweirad Online Banking kompetenzen Niederlassungen Fahrzeug- Kreditkarte bezogene LKW Angebote ... Direktvertrieb Kfz-Versicherung Trans- Flottenmanagement porter Händler Leasing ... Partnermanagement Consulting/ PKW Vertrags-/Rechnungsmaganement Finanzierung Garantie- Training Kundenmaganement Zubehör verlänge- Ersatz- rung/ Produktmaganement Gebraucht- teile Serviceverträge Abdeckung typischer wagen & Service Automobilhersteller Privatkunden Barverkauf Mobilitäts- Kleine/mittlere Flottenkunden Werkstatt- garantie ersatzfahrzeug Großkunden Zeitentgelt E-Fahr- Fahrzeug-Telematik zeug Öffentlicher Dienst Km-Abrechnung Langzeitmiete (präventive Wartung, etc.) ... Lizenz/Provision Wallbox Werbefinanziert Flottendienste (Fahrten- Car Sharing buch, Routenplaner, etc.) Kunden- ... Batterie Leasing segmente Kurzzeitmiete Dienste Elektromobilität (Batterie- ladezustand, Suche Ladesäule, etc.) Betrieb öffentliche Abrechnungs- Ladestationen Mobilitätspass (übergreifend) modell Logistikdienste (Frachtvermittlung, etc.) Stromproduktion/ Chauffeurdienste -handel Infotainment (Wetter, Nachrichten, etc.) Zweitverwertung Peer-to-Peer Sharing Batterie Reisemanagement ... (Flug/Bahn, Hotel, etc.) Vehicle-to-Grid ... Mobilitätslösungen ... Mobilitätsdienste Elektromobilität Quelle: Bain & Company 14
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister Sowohl für Flotten- als auch für Privatkunden können land teilten sich 2010 rund 190.000 Car Sharing-Nutzer Dienstleistungen wie die Übernahme eines Fahrten- gerade einmal 5.000 Autos. Zipcar, der größte Car Sha- buchs, individuelle Routenplanung und -optimierung, ring-Anbieter der USA mit Geschäft auch in Kanada und die Remote-Steuerung einzelner Fahrzeugfunktionen wie Großbritannien, bringt es immerhin auf 576.000 Kunden Heizung oder Klimaanlage und vieles mehr angeboten und 8.200 Autos. Aufgrund seiner Anfänge hat Car Sha- werden. Gerade in Verbindung mit der Elektromobilität ring bisher ein eher alternatives Image. Typische Nutzer ergeben sich weitere Möglichkeiten aus der Fernabfrage waren bislang wenig autobegeistert und entweder spar- des Batterieladestatus und der Suche nach freien Lade- same Rechner oder ökologisch orientierte Kunden. In den säulen. Diese Dienste können mit zusätzlichen Informa- vergangenen zwei Jahren sind auch Automobilhersteller tions- und Unterhaltungsangeboten verknüpft werden, ins Car Sharing eingestiegen und haben dessen Image wie zum Beispiel aktuellen Verkehrs- und Wetterinforma- deutlich verändert. tionen oder Nachrichten. Den Anfang werden zunächst Dienste mit greifbarem Kundennutzen machen, wie die Bei all dem darf man jedoch nicht übersehen, dass ein gro- Routenoptimierung für Großflotten. Für diesen Service ßer Teil des Automobilmarkts durch Car Sharing faktisch sind die Kunden am ehesten bereit zu zahlen, denn er hilft nicht erreicht werden kann. In ländlichen Gebieten wird unmittelbar, die Betriebskosten zu senken. das Auto seine heutige Funktion weitgehend behalten, denn einerseits gibt es kaum Alternativen zum eigenen Ultimativ lässt sich das Angebot auf die gesamte Mobilität Auto und andererseits stehen genügend Verkehrsflächen eines Kunden ausweiten: Von der vollständigen Abde- zur Verfügung. Zudem sind auf dem Land mittelfristig ckung aller Mobilitätsbedürfnisse mit einer Mobilitätskar- keine Regulierungsmaßnahmen wie zum Beispiel Um- te über Komplettangebote für eine definierte Bandbreite weltzonen zu erwarten. Und es wird auch in Zukunft an benötigten Verkehrsmitteln, bis hin zu einem per- Kundensegmente mit ausgeprägtem Differenzierungs- sönlichen Mobilitätsmanagement mittels mobiler Geräte. und Individualisierungswunsch geben. Gerade im Premi- Der Kunde zahlt dann ausschließlich für die erbrachte umsegment wird deshalb selbst in Ballungsgebieten das Mobilitätsleistung. eigene Auto auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Bei dieser Vision der „Mobilität der Zukunft“ werden tradi- Für die Automobilhersteller ist Car Sharing vor allem tionelle Branchengrenzen weit überschritten. Dort, wo ein ein ergänzendes Geschäftsfeld, das aus vielen Gründen kombiniertes Angebot für Millionen von Kunden geschaf- interessant ist: fen wird – unter Einbindung von Fahrrädern, Mietwa- gen, öffentlichen Elektromobilen, Bahn und Flugzeug –, • Markengebundenes Car Sharing bietet herstellerei- müssen enorme Datenströme bewältigt werden: Mobiler gene Mobilitätsalternativen, zum Beispiel für junge Kundenkontakt, individuelle Buchungen, laufende Dis- Kunden in Großstädten. position der vorhandenen Verkehrsmittel, Strommanage- • Car Sharing-Angebote erschließen eine neue Ertrags- ment, Stauinformationen und so weiter. Dabei gilt jedoch: quelle. Niemand kann alles allein, deshalb sind entsprechende • Die herstellereigene Car Sharing-Flotte stützt das loka- Partnerschaften und Allianzen erfolgskritisch. le Servicenetz sowie das Teilegeschäft. • Car Sharing hat eine positive öffentliche Wahrneh- Car Sharing gewinnt in den Großstädten rasant mung, von der die Hersteller profitieren. Es hilft au- an Bedeutung ßerdem, die Marke zu positionieren und neue Pro- dukte schnell und kostengünstig bekannt zu machen. Auch Car Sharing ist ein Wachstumsmarkt, der sich in den vergangenen fünf Jahren etwa verdoppelt hat – aus- gehend von einem sehr niedrigen Niveau. In Deutsch- 15
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister i Unterschiedliche Car Sharing-Modelle im Einsatz Car Sharing ist ein lokales Geschäft – die Kunden vermietung deutliche Kostenvorteile, da geringere registrieren sich bei einem Anbieter, der ihnen lokal Standortkosten anfallen und die Fahrzeuge häufiger stationierte Autos zur Verfügung stellt. Innerhalb des genutzt werden. sich entwickelnden Car Sharing-Markts bilden sich derzeit zwei unterschiedliche Angebotstypen heraus: Die von Daimler und BMW verfolgten Konzepte setzen auf sofort verfügbare Autos, die ohne Reservierung Das traditionelle Car Sharing-Konzept ähnelt stark der gemietet und nach Gebrauch irgendwo im Vermie- Kurzzeitmiete. Jedes Auto wird im Voraus für einen tungsgebiet abgestellt werden können. Auch Fahrten festen Zeitraum gebucht und nach Gebrauch wieder von wenigen Minuten sind möglich. Die Autos stehen dort abgestellt, wo es geliehen wurde. Die Mindest- auf öffentlichen Parkplätzen und werden von den re- mietdauer beträgt eine Stunde; in der Autovermietung gistrierten Kunden per Chip geöffnet. Der Schlüssel ist es ein Tag. Die Autos stehen auf fest gemieteten befindet sich im Fahrzeug und die Fahrt kann sofort Stellplätzen im Stadtgebiet und können nach Eingabe beginnen. eines Codes genutzt werden. Der Vorteil dieses Konzepts liegt in der größeren Neben den unabhängigen Car Sharing-Unternehmen Flexibilität für die Kunden, die ihre Autofahrten nicht wie „stattauto“ oder „Stadtmobil“ setzen auch die Au- planen oder vorab buchen möchten. Daimler und BMW tohersteller VW und Peugeot auf ein vergleichbares verfolgen mit ihren Sharing-Angeboten das Ziel, eine Konzept. Der Vorteil des traditionellen Car Sharings neue Form der individuellen Mobilitätsmöglichkeiten liegt in der längerfristigen Reservierungsmöglichkeit zu etablieren. Gegenüber dem traditionellen Car Sha- bestimmter Autotypen, so dass der Kunde fest mit dem ring ist dieses Konzept jedoch kostenintensiver, da die gebuchten Auto rechnen kann. Die Autohersteller, Fahrzeuge regelmäßig von einem Serviceteam aufge- die mit diesem Konzept arbeiten, können zudem ih- sucht werden müssen, um betankt, gewartet – sowie re markeneigenen Vertriebs- und Servicestandorte in bei Bedarf – umgeparkt zu werden. Zudem fallen zu- ihr Sharing-Angebot einbinden. Obwohl mietähnlich, sätzliche Parkgebühren für öffentlichen Parkraum an. hat das traditionelle Car Sharing gegenüber der Auto- Am Beispiel Car Sharing kann auch die mögliche Sub- zwei Prozent des europäischen Neufahrzeugmarkts von stitution des Kerngeschäfts verdeutlicht werden: Studien möglicher Substitution betroffen. der Berkeley Universität gehen davon aus, dass ein Car Sharing-Fahrzeug bis zu 13 Autos im Privatbesitz ersetzen Autobauer starten die ersten Pilotversuche kann. Auch bei ambitionierten Wachstumsraten für Car Sharing in Europa ist das Kannibalisierungsrisiko damit Auf dem neuen Markt tummeln sich immer mehr tradi- zunächst begrenzt. Frost & Sullivan prognostizieren einen tionelle Automobilhersteller mit eignen Pilotprojekten. Anstieg der Car Sharing-Nutzer in Europa von heute 0,4 Das Car Sharing-Angebot „car2go“ des Daimler-Konzerns Millionen auf 5,5 Millionen im Jahr 2016. Das entspricht unterhält beispielsweise in Ulm, Hamburg, Austin (USA) einem jährlichen Wachstum von 55 Prozent. Da sich im und Vancouver (Kanada) eine Flotte von jeweils mehreren Durchschnitt etwa 50 Nutzer ein Auto teilen, wären auch hundert Smarts zur Sofortmiete an zuvor registrierte Kun- in einem solch aggressiven Wachstumsszenario nur rund den. Ein ähnliches Konzept verfolgt seit kurzem BMW 16
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister mit einer Flotte aus Minis und Einsern in München und Multicity. Hier kann der Kunde nicht nur Autos, sondern Berlin – unter dem konzerneigenen Car Sharing-Label auch Fahrräder, Flüge, Bahntickets und sogar Hotels bu- „DriveNow“. Auch Volkswagen startet mit einem Sharing- chen – per Internet, Telefon oder Smartphone-App. Das Angebot namens „Quicar“ in Hannover. Zudem plant VW über Citroën Multicity bestellte Mietauto muss nicht abge- Presseberichten zufolge die Bereitstellung von „grünem“ holt werden, sondern wird in bisher 13 Städten dort bereit- Strom für Elektrofahrzeuge mit eigenen Erzeugungskapa- gestellt, wo der Kunde seine Fahrt antreten möchte – und zitäten und Netzinfrastruktur. auch dort wieder abgeholt, wo er die Fahrt beendet hat. Im Großraum Paris umfasst das Multicity-Modell bereits das „Mu by Peugeot“ setzt auf eine breite Palette von Miet- Angebot der Miete des Elektromodells „C Zero“. angeboten in einem umfassenden Car Sharing- und Ver- mietungsangebot. Hier können mit einer Prepaid-Karte Damit ist Citroën Multicity der erste Anbieter, der ein Fahrräder, Roller, Cabrios, Elektrofahrzeuge, Vans, Trans- vollständiges Mobilitätsangebot abdeckt. Was derzeit in porter und selbst Camper gemietet werden. Die Idee da- ausgewählten Ländern und Städten pilotiert wird, eignet hinter ist, dem Kunden überall eine auf seine jeweiligen sich jedoch nicht immer für einen flächendeckenden Roll- Bedürfnisse maßgeschneiderte individuelle Mobilitäts- out. Die Kernfragen dabei lauten: Wie funktioniert das lösung anzubieten. hinterlegte Geschäftsmodell? Wie verdient das Unterneh- men mit seinem Angebot die gewünschten Renditen? Wie Den nächsten Schritt zum umfassenden Mobilitätsange- ist die Geschäftsidee mit dem traditionellen Kerngeschäft bot ist PSA mit der Marke Citroën gegangen: die Vernet- verzahnt? Und wie werden weitere Erträge im Neufahr- zung mit anderen Verkehrsmitteln und die Anlieferung zeuggeschäft, dem Teile- und Servicegeschäft oder der beim Kunden. „Tür zu Tür“ heißt das Konzept von Citroën Finanzierung generiert? 5 Entwicklung eines maßgeschneiderten Mobilitäts-Geschäfts- modells für Automobilhersteller Viele Hersteller haben also die Zeichen der Zeit erkannt und „Hardware“-Lieferanten degradiert zu werden und ihren pilotieren einzelne Aktivitäten. Ganzheitliche Strategien direkten Zugang zum Endkunden zu verlieren. zur integrierten Mobilität, die in die Gesamtstrategie des Herstellers eingebettet sind und der Mobilitätsvision des Neues Wachstum und hohe Profitabilität: Daneben kön- Unternehmens folgen, fehlen bisher jedoch weitgehend. nen die neuen Geschäftsmodelle als Quelle für Wachstum und Profitabilität dienen. Car Sharing und andere Ange- Automobilhersteller müssen das Geschäft mit der neuen bote können bei ausreichender Auslastung als eigenstän- Mobilität in ihre bisherigen Aktivitäten und Prozesse in- dige, profitable Geschäftseinheiten betrieben werden. tegrieren: Synergieeffekte mit dem Kerngeschäft: Schließlich können Wettbewerbern zuvorkommen: Zunächst gilt es, mög- Synergieeffekte mit dem traditionellen Kerngeschäft reali- lichen neuen Wettbewerbern an kritischen Stellen der siert werden, zum Beispiel durch den Verkauf von Ersatz- Wertschöpfung zuvorzukommen – insbesondere dort, wo teilen an die eigene Car Sharing-Flotte. Mit den zusätzlichen die Kundenschnittstelle gefährdet ist. Gewinnen zum Bei- Mobilitätsangeboten können die Hersteller neue Kunden- spiel unabhängige Car Sharing-Unternehmen im großen segmente für ihre Marken erschließen, wenn eine Verzah- Stil an Bedeutung, müssten die Hersteller befürchten, zu nung von Mobilitäts- und Automarke sichergestellt ist. 17
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister Angesichts des weiten Spektrums möglicher Aktivitäten stehen die Hersteller vor der strategischen Frage, in wel- chen Bereichen sie sich wie engagieren sollen. Einerseits i Profit from the Core Zahlreiche Studien und die langjährige Erfahrung von laufen sie Gefahr, sich zu viel vorzunehmen, wenn sie Bain & Company zeigen, dass die meisten Wachs- alles alleine abdecken wollen und sich dabei zu verzetteln. tumsstrategien daran scheitern, dass sich Unter- Andererseits besteht das Risiko, Geschäftsfelder nicht aus- nehmen zu weit von ihrem Kerngeschäft entfernen. reichend aktiv und schnell genug zu besetzen und dadurch Wachstumsstrategien, die sich auf das traditionelle womöglich Wachstumschancen zu verpassen oder strate- Kerngeschäft stützen, nutzen die gewachsene Unter- gisch ins Hintertreffen zu geraten. nehmenskultur, die vorhandenen Kompetenzen und Wechselwirkungen mit dem bestehenden Geschäft, Bain & Company setzt einen strukturierten und systema- um Wettbewerbsvorteile zu erzielen. tischen Ansatz bei der Entwicklung von herstellerspezi- fischen Geschäftsmodellen ein. Jedes Geschäftsfeld wird Bain erfasst die Entfernung vom Kerngeschäft in den im Wesentlichen entlang von zwei Dimensionen bewer- Dimensionen Kunden, Kostenstrukturen, Vertriebs- tet: der Wertgenerierung für das Unternehmen und der kanäle und Fähigkeiten (Abb. A). Aus der Auswertung Entfernung vom bisherigen Kerngeschäft (Abb. 7). Beide von über 2.000 großen Unternehmen über einen Zeit- Dimensionen hängen von der strategischen Ausrichtung raum von zehn Jahren ergeben sich folgende statis- des Autobauers sowie seinen besonderen Fähigkeiten ab. tische Erfolgswahrscheinlichkeiten: Der Mehrwert für den Autobauer kann sowohl finanzi- Unternehmen, die in ihrem Kernbereich neue Pro- eller als auch strategischer Natur sein. Für jedes mögliche dukte und Services einführen und dabei auf existie- neue Geschäftsfeld wird deshalb die Auswirkung auf das rende Kunden und Kanäle aufbauen, für die sie einen traditionelle Kerngeschäft bewertet: Synergiepotenziale Großteil der Infrastruktur und erforderlichen Fähig- und andere positive Effekte, aber auch Redundanzen und keiten bereitstellen können, haben eine 35-prozentige Kannibalisierungen müssen untersucht werden. Erfolgswahrscheinlichkeit. Müssen neue Vertriebska- näle, Wertschöpfungsstufen oder Geschäftsfelder auf- Entfernung zum traditionellen Kerngeschäft gebaut werden, sinkt die Erfolgswahrscheinlichkeit auf unter 15 Prozent (Abb. B). Einige Geschäftsfelder sind weit weg vom ursprünglichen Kerngeschäft der Hersteller und erfordern den Aufbau Für Automobilhersteller, die in neue Mobilitäts- neuer Fähigkeiten, neuer Infrastruktur oder sogar die dienstleistungen expandieren, ergibt sich daraus die Ansprache völlig neuer Kundensegmente. So haben Auto- Forderung, ihr zukünftiges Geschäftsmodell so eng mobilbauer zum Beispiel in der für das Car Sharing wich- wie möglich an die existierenden Kompetenzen für tigen Steuerung und Optimierung der Flottenauslastung Fahrzeuge und individuelle Mobilitätsangebote an- kaum Erfahrung. Dienstleistungen, wie die Bereitstellung zulehnen – und branchenfremde Kompetenzen des des Wetterberichts oder der Nachrichten, liegen ebenfalls geplanten Gesamtangebots weitgehend über Koopera- weit außerhalb der Kernkompetenz eines Autobauers. tionspartner bereitzustellen. Aus der in Abbildung 7 dargestellten Matrix kann abge- leitet werden, welche Geschäftsfelder in welcher Art und Weise erschlossen werden können. Hersteller sollten sich auf die Bereiche konzentrieren, bei denen der Mehrwert hoch ist und die dem Kerngeschäft möglichst nahe sind. In diese Kategorie fallen für die meisten Hersteller zum 18
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister Abb. A: Zunehmende Entfernung vom Kern verringert die Erfolgswahrscheinlichkeit Gemeinsame Gemeinsame Gemeinsame Gemeinsame Erfolgs- Kunden Kostenbasis Kanäle Fähigkeiten wahrscheinlichkeit Kern 1 Schritt Entfernung 35% 2 Schritte Entfernung 15% 3 Schritte Entfernung 8% Diversifikation < 5% Quelle: Bain „Profit from the Core“ Analysen Abb. B: Dem Kunden zu folgen zahlt sich am ehesten aus 27% durchschnittliche Erfolgsquote in % Neue Geschäftsfelder Neue Wert- schöpfungsstufen Grad der Neue Veränderung Kanäle zum bestehenden Neue Kunden- Geschäftsmodell segmente und/oder Neue Regionen Entfernung von Kernkunden Neue Produkte Erfolg Misserfolg & Services 0 20 40 60 80 100 Quelle: Bain & Company 19
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister Abb. 7: Bain-Methodik bewertet Geschäftsfelder hinsichtlich des Werts für den OEM und der Entfernung zum Kerngeschäft Typische* Positionen ausgewählter Geschäftsfelder der Automobilbauer hoch • Finanzieller Wert Selbst machen Mit Partner machen (Geschäftsfeld direkt und Effekte • Langzeitmiete • Car Sharing auf Kerngeschäft) • Batterie-Leasing • Wallbox-Installation Wert für OEM • Strategischer Wert • ... • ... Opportunistisch machen Vermitteln/nicht machen • Elektro-Fahrrad • Stromvertrieb • Infotainment-Dienste • Betrieb öffentlicher Ladestationen niedrig • ... • ... gering Entfernung zum Kerngeschäft groß • Nutzung vorhandener Fähigkeiten bzw. Investitionen für Aufbau • Nutzung Vertriebskanäle und existierender Kundenstamm * Bewertung erfolgt individuell für jeden einzelnen OEM Quelle: Bain & Company Beispiel die Langzeitmiete, und für Hersteller mit ausge- attraktiven Angebots für die Elektromobilität stellen zer- prägter Leasingkompetenz das Batterieleasing. tifizierter „grüner“ Strom und gesteuertes, günstigeres Laden die wesentlichen Komponenten dar. Wird der In Betätigungsfeldern, die weiter weg vom Kerngeschäft Strom für das Fahren in das Angebotspaket für die Elek- liegen, sollten Hersteller eine Zusammenarbeit mit Part- tromobilität aufgenommen, sollten die niedermargigen nern erwägen. Zum Beispiel können sie den Aufbau von Leistungen des Stromvertriebs – die für den Kunden nicht Car Sharing-Programmen beschleunigen, indem sie – wie sichtbar sind – im Hintergrund durch Energieversorger Daimler mit Europcar (bei „car2go“) oder BMW mit Sixt als Kooperationspartner erbracht werden. (bei „DriveNow“) – mit etablierten Vermietern zusam- menarbeiten. Prinzipiell ergeben sich aus diesen Überlegungen vier Normstrategien für Automobilhersteller, wie sie sich im Von anderen Geschäftsfeldern sollten die Autohersteller Feld der neuen Mobilität positionieren können (Abb. 8): zunächst eher absehen oder nur als Vermittler auftreten – der Autohersteller als universeller Mobilitätsdienstleister Integrierter Mobilitätsdienstleister kann in solchen Fällen als Agentur fungieren. So ha- Er deckt gegenüber dem Kunden die volle Bandbreite an ben Hersteller zum Beispiel keine Kompetenz im Strom- Produkten und Dienstleistungen für Mobilität ab und handel. Bei der Entwicklung eines für den Endkunden generiert dabei den größten Teil der Wertschöpfung 20
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister selbst. Der Vorteil dieses Geschäftsmodells ist, dass der Der Vorteil dieser Lösung ist, dass die Kooperationspart- integrierte Mobilitätsdienstleister den vollen Durchgriff ner ihre jeweiligen Kernkompetenzen einbringen kön- auf die Herstellerorganisation besitzt und dadurch seine nen und die Risiken überschaubar bleiben. Allerdings Geschäftsbereiche optimal vernetzen und Synergien rea- werden die Erlöse geteilt und das Mobilitätsangebot kann lisieren kann. schwerer gesteuert und zu einer nahtlosen Kundenerfah- rung vernetzt werden. Zur Umsetzung dieser Strategie ist Allerdings müssen dafür – teilweise massiv – neue Kom- also eine Kompetenz entscheidend: die ineinandergrei- petenzen aufgebaut oder zugekauft werden, vom Flotten- fende Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern aus management bis hin zum „Micro-Billing“ von Kleinst- unterschiedlichen Branchen. beträgen. Der Investitionsbedarf für den Aufbau eines flächendeckenden Full-Services ist enorm, auch wenn er Selektierer auf die nächsten zehn Jahre verteilt werden kann. Herstel- Er wählt ganz spezifische Geschäftsfelder aus, die im ler mit diesem Konzept laufen Gefahr, sich zu verzetteln Rahmen seiner Positionierung und mit Blick auf die oder von Spezialisten überholt zu werden. Zielkunden das höchste strategische und finanzielle Po- tenzial haben. Diese Geschäftsfelder bearbeitet er über- Vermittler wiegend mit eigener Wertschöpfung, um ein exklusives, Er bietet seinen Kunden ein fast ebenso breites Ange- nahtloses Markenerlebnis bieten zu können, das er voll- botsspektrum wie der integrierte Mobilitätsdienstleister. ständig kontrolliert, und dessen Erträge größtenteils ihm Statt die Wertschöpfung selbst zu erbringen, arbeitet er gutgeschrieben werden. jedoch überwiegend mit Partnern zusammen, die die Leistungen im Hintergrund liefern: Reisebüros, Auto- Minimalist und Fahrradvermieter, Versicherungen, Mobilfunkun- Er konzentriert sich weiter auf das traditionelle auto- ternehmen, Tankstellenketten, Versorger, Eisenbahn- mobile Kerngeschäft, muss aber mit Hinblick auf die oder Fluggesellschaften. sich wandelnden Kundenbedürfnisse ein Grundangebot an Mobilitätsdienstleistungen bereitstellen. Dieses Mi- Abb. 8: Vier Normstrategien für Automobilhersteller Integrierter Vermittler Selektierer Minimalist Mobilitäts- dienstleister Umfang an Aktivitäten in integrierter Mobilität Tiefe der eigenen Wertschöpfung in neuer Mobilität Quelle: Bain & Company 21
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister nimalangebot realisiert er vorwiegend mit Partnern. So Leasingrate für Fahrzeug und Batterie auch Versiche- bleiben die Umsetzungsrisiken überschaubar, allerdings rungen, den Fahrstrom, die Wallbox und Gebühren für sind auch die Ertragschancen nur minimal. Daneben ausgewählte Dienste enthalten. birgt dieses Geschäftsmodell die Gefahr, dass andere, aktivere Spieler die neuen Geschäftsfelder und damit die Daneben können in einer weiteren Ausbaustufe des Pa- Kundenschnittstelle belegen. kets auch die planmäßigen Wartungsarbeiten, eine Mo- bilitätsgarantie und sogar der Zugriff auf subventionierte Beim Aufbau eines integrierten Geschäftsmodells ist also Mietangebote für Fahrten am Wochenende oder in den die enge Verzahnung mit dem traditionellen Kernge- Urlaub enthalten sein. Was davon selbst umgesetzt und schäft entscheidend. Nach der gleichen Logik ist auch die was mit einem Partner angeboten wird, ergibt sich aus Kommerzialisierung und Vermarktung der neuen Ange- der systematischen, strukturierten und faktenbasierten bote zu strukturieren. Für die Elektromobilität können Bewertung der beschriebenen Parameter. All-Inclusive-Pakete geschnürt werden, die neben einer 6 Konkrete Handlungsempfehlungen für Hersteller Positionierung: Wichtig für die Automobilhersteller ist es, Rollout-Planung: Zur Umsetzung des definierten Ge- bei der Entwicklung der neuen Mobilitätsangebote vorne schäftsmodells ist ein Phasenplan zu erstellen. Er defi- mit dabei zu sein. Es gilt, das Unternehmen und die Marke niert, welche Elemente wann implementiert und welche rechtzeitig für Mobilitätsdienstleistungen zu positionieren Regionen mit welcher Priorität erschlossen werden sollen. und früh durch Pilotprojekte zu lernen. Diesen Schritt Dabei müssen die verfügbaren Ressourcen des Herstellers gehen bereits die meisten Hersteller und bauen so ihre und der Partnerunternehmen realistisch eingeschätzt und Startposition auf. in der Planung berücksichtigt werden. Vision: Parallel zu den praktischen Erfahrungen mit neuen Für die Hersteller eröffnen sich Chancen, signifikante Technologien und Dienstleistungen braucht jeder Her- Wachstums- und Ertragspotenziale zu erschließen, wenn steller eine Mobilitätsvision. Sie definiert, welche Rolle sie sich die Welt der neuen Mobilität systematisch und das Unternehmen und seine Marken im neuen Mobili- faktenbasiert erarbeiten. Neue, innovative Player werden tätsmarkt spielen wollen. Daneben wird definiert, wie das in dieser neuen Welt sowohl als Partner der Automobilun- Kerngeschäft organisatorisch, technologisch und marken- ternehmen, als auch als Konkurrenten mit pragmatischen strategisch mit dem neuen Mobilitätsgeschäft verzahnt und schnellen Lösungen eine wichtige Rolle spielen. werden soll. Insgesamt wird sich der Profit Pool der Automobilindus- Entwicklung eines integrierten Geschäftsmodells: Eine trie weiter ausdehnen, so wie es auch beim Übergang von strukturelle Analyse der Geschäftsfelder, die sich aus der der analogen zur digitalen Fotografie der Fall war. Wer neuen Mobilitätsvision ableiten lassen, zeigt, welchen Bei- sich welchen Anteil langfristig und nachhaltig sichert, wird trag das Unternehmen selbst leisten kann und welche bereits heute entschieden. Kompetenzen und Technologien zugekauft oder durch Partner erbracht werden müssen. 22
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