Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister - Wie Hersteller ihr Geschäftsmodell für integrierte Mobilität richtig aufstellen Von Dr. Klaus ...

 
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Vom Automobilbauer zum
Mobilitätsdienstleister
Wie Hersteller ihr Geschäftsmodell für integrierte Mobilität richtig aufstellen
Von Dr. Klaus Stricker, Dr. Gregor Matthies und Raymond Tsang
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

    Die Autoren

    Dr. Klaus Stricker ist Partner bei Bain & Company in Frank-   foliounternehmen von Private Equity-Fonds. Diese berät er
    furt und Mitglied der Automobil-Praxisgruppe. Er berät Zu-    insbesondere in Strategieentwicklungs-, Organisations-
    lieferer, Automobilhersteller und Händlergruppen in Fra-      und Restrukturierungsfragen. Nach seinem Studium der
    gen der strategischen Neuausrichtung, Restrukturierung        Luft- und Raumfahrttechnik in München promovierte Gre-
    und Reorganisation. Darüber hinaus unterstützt er Unter-      gor Matthies an der Universität Duisburg in Elektrotechnik.
    nehmen bei der Entwicklung und Umsetzung von opera-
    tiven Verbesserungsprogrammen. Klaus Stricker studierte       Raymond Tsang ist Partner bei Bain & Company in Shang-
    Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität      hai und Leiter der Automobil- und Industrie-Praxisgruppe
    in Wien und promovierte im Fach Fertigungstechnik.            in China. Seine Kunden sind internationale und chine-
                                                                  sische Unternehmen, die er in Fragen der strategischen
    Dr. Gregor Matthies ist Partner bei Bain & Company in         Ausrichtung, der Kostenanalyse sowie der operativen Ver-
    München und leitet die europäische Automobilpraxis-           besserung und Prozessoptimierung berät. Raymond Tsang
    gruppe. Seine Kunden sind Unternehmen aus der Automo-         hat Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Technolo-
    bilindustrie, der Luft- und Raumfahrtbranche sowie Port-      giemanagement an der Stanford University studiert.

                                                                                      Impressum

                                                                                      Herausgeber:
                                                                                      Bain & Company
                                                                                      Germany/Switzerland, Inc.

                                                                                      Kontakt:
                                                                                      Pierre Deraëd
                                                                                      Marketing Director
                                                                                      Tel. +49 89 5123 1330

                                                                                      Leila Kunstmann-Seik
                                                                                      PR/Marketing Manager
                                                                                      Tel. +49 89 5123 1246

                                                                                      Gestaltung: ad Borsche GmbH, München
                                                                                      Druck: Druckhaus Kastner, Wolnzach

                                                                                      Copyright © 2011 Bain & Company, Inc.
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Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

Inhalt

Executive Summary                                       5

1 Wachstumstreiber der Automobilindustrie
    bleiben intakt                                      6

2 Trends verändern die Mobilitätslandschaft –
    vor allem in Metropolen                             7

3   Der Profit Pool wandert weiter „downstream“         11

4   Integrierte Mobilität schafft ein breites Spektrum
    neuer Geschäftsfelder                               13

5   Entwicklung eines maßgeschneiderten Mobilitäts-
    Geschäftsmodells für Automobilhersteller            17

6   Konkrete Handlungsempfehlungen für Hersteller       22

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Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

                     Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

                     Unübersehbar steht die Automobilbranche im Zeichen des Wandels. Neue Technologien
                     wie leistungsfähige Lithium-Ionen-Batterien für den Elektroantrieb, Karbonkarosserien und
                     die permanente Konnektivität der Autos werden marktfähig. Daneben beeinflussen auf-
                     kommende Megatrends die Rolle des Automobils in der Gesellschaft und ändern das bisher
                     bekannte Nachfrageverhalten. Dadurch entstehen neue Geschäftsfelder – insbesondere in der
                     urbanen Mobilitätslandschaft.

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Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

Executive Summary

Fast alle Hersteller werden in Kürze ihren Kunden Elek-       trie weiter nach hinten. Das ist für die Branche nichts
troautos anbieten, einige pilotieren bereits Mobilitätskon-   Neues, denn bereits vor über zehn Jahren sorgte das
zepte vom Car Sharing bis zum integrierten Reiseportal.       verstärkte Aufkommen von Finanzdienstleistungen für
Eines aber vorweg: Ein Umbruch in der Branche wird            einen massiven Schub in Richtung Downstream-Profite.
nicht über Nacht erfolgen wie zum Beispiel in der Fo-         Dieser Trend wird sich mit der Nachfrage nach neuen
tografie, wo der chemische Film innerhalb nur weni-           Mobilitätsdienstleistungen fortsetzen.
ger Jahre durch Digitalkameras substituiert wurde. Die
Wachstumstreiber der Automobilindustrie bleiben auch          Bain & Company hat die neu entstehenden Geschäfts-
in Zeiten großer Veränderungen intakt, da vor allem die       felder gesamthaft erfasst und bewertet. Dabei sind
Schwellenländer auch in der kommenden Dekade die              diese Mobilitätsformen kein Ersatz für das traditionelle
Nachfrage im traditionellen Fahrzeuggeschäft beflügeln        Verkaufsmodell. Es geht für die Autobauer vielmehr da-
werden.                                                       rum, eine sinnvolle Auswahl der neuen Möglichkeiten in
                                                              einem integrierten Geschäftsmodell zu verankern: Ver-
Parallel dazu entwickeln sich mit hoher Dynamik neue          trieb, Aftersales, Finanz- und Mobilitätsdienstleistungen.
Geschäftsfelder rund um die Bereitstellung individueller
Mobilität. Das führt dazu, dass neue Player in das bisher     Viele Hersteller haben dazu bereits Pilotprojekte gestar-
von den Automobilbauern dominierte Geschäft der in-           tet. Bislang fehlt jedoch ein integrierter Ansatz, der die
dividuellen Mobilität einsteigen. Und damit laufen die        gesamte Bandbreite der neuen Mobilitätsangebote erfasst
Hersteller Gefahr, ihre Schnittstellen zu ihren Kunden        und sie systematisch mit dem existierenden Kerngeschäft
zu verlieren. Die neue Dynamik eröffnet den traditio-         verbindet, um die „Mobilität der Zukunft“ zu gestalten.
nellen Herstellern aber auch Chancen. Damit sie aus           Bain hat dazu vier Normstrategien für die mögliche Rol-
den Entwicklungen Kapital schlagen können, müssen             le der Hersteller entwickelt: der „Integrierte Mobilitäts-
sie jedoch die Zeichen der Zeit erkennen, diese richtig       dienstleister“, der „Vermittler“, der „Selektierer“ und
interpretieren und ihr Geschäftsmodell rechtzeitig an-        der „Minimalist“. Diese helfen den Herstellern sich zu
passen. Und die Zeit drängt: Innerhalb der nächsten           entscheiden, in welchen Geschäftsfeldern sie sich in Zu-
zwölf bis 18 Monate müssen die Weichen gestellt werden,       kunft engagieren wollen und mit welcher Strategie sie
um beispielsweise die Elektromobilität in ein integriertes    diese erschließen wollen.
Geschäftsmodell einzubetten, welches auch Angebote für
Batterieleasing, Ladestrom, die so genannte intelligente      Bei der Bewertung der verschiedenen Mobilitätsgeschäfts-
„Wallbox“ und Ladeinfrastruktur beinhalten kann. Be-          felder müssen sowohl die Attraktivität als auch die Ent-
reits heute tummeln sich auf diesem Markt Newcomer,           fernung vom etablierten Kerngeschäft für den jeweiligen
wie zum Beispiel das „Mobility House“ in Salzburg, die        Automobilbauer und seine Marken evaluiert werden. Auf
sich den Herstellern als Partner mit schnellen, pragma-       dieser Basis kann ein Hersteller entscheiden, ob er ein
tischen Lösungen anbieten.                                    bestimmtes Geschäftsfeld selbständig, gemeinsam mit
                                                              einem Partner oder eventuell gar nicht erschließen möch-
Die neuen Geschäftsfelder entstehen im Wesentlichen           te. Nachdem die Entscheidung für die Eckpfeiler des Ge-
im „Downstream“-Segment der automobilen Wertschöp-            schäftsmodells gefallen ist, sind die einzelnen Elemente
fungskette und generieren dort neue Umsatz- und Er-           sukzessive aufzubauen und in lokalen Pilotprojekten zu
gebnispotenziale. Das „Upstream“-Geschäft der Fahr-           testen. Erst danach sollte das integrierte Geschäftsmodell
zeugentwicklung und -produktion bleibt dagegen durch          flächendeckend und eng verzahnt mit dem Kerngeschäft
fortbestehende Überkapazitäten weiterhin unter Druck;         ausgerollt werden.
damit verschiebt sich der Profit Pool der Automobilindus-

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Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

1 Wachstumstreiber der Automobilindustrie bleiben intakt

Die Automobilindustrie bleibt auch in der nächsten De-           In den Industrieländern stößt das Wachstum der Auto-
kade eine Wachstumsbranche. Sogar während der gerade             branche dagegen an Sättigungsgrenzen: In Europa und
überwundenen „Jahrhundertkrise“ ist der Absatz in den            Japan kommen bereits mehr als fünf Autos auf zehn
Schwellenländern weiter gestiegen. Und dieses Wachs-             Einwohner, in den USA sind es sogar mehr als sieben.
tum wird sich – wenn auch abgeschwächt – weiter fort-            Stagnierende oder gar rückläufige Bevölkerungszahlen
setzen.                                                          lassen auch für die Zukunft keine großen Wachstumsim-
                                                                 pulse erwarten – der Bedarf an Neufahrzeugen ersetzt in
In Asien (exkl. Japan), Lateinamerika und Mittel- und            diesen Märkten also weitgehend die bestehende Flotte.
Osteuropa sorgen eine stark wachsende Mittel- und Ober-
schicht sowie die insgesamt wachsende Bevölkerung                Dennoch ist weltweit bei stabiler Konjunktur ein Wachs-
für anhaltende Impulse für den weltweiten Automobil-             tum der jährlich verkauften Fahrzeuge auf 90 bis 100
markt (Abb. 1). Schon heute wird jeder dritte Neuwagen           Millionen bis zum Jahr 2020 zu erwarten, was einer
in den BRIC-Staaten verkauft. In diesen Ländern spielt           durchschnittlichen Wachstumsrate von rund drei Prozent
das Auto heute dieselbe Rolle, die es auch in den Indus-         pro Jahr entspricht (Abb. 2). Da die globale Wirtschaft
trienationen erfolgreich gemacht hat: Es befördert die wirt-     volatiler geworden ist, wird es auch in den kommenden
schaftliche Leistungsfähigkeit der Gesellschaft, schafft         Jahren immer wieder zu krisenbedingten und zyklischen
persönliche Bewegungsfreiheit und Unabhängigkeit und             Rückschlägen bei der weltweiten Automobilnachfrage
besitzt eine hohe Strahlkraft als Statussymbol.                  kommen – strukturell befindet sich die Branche aber wei-
                                                                 terhin auf einem gesunden Wachstumspfad.

Abb. 1: Wachstumsmärkte haben die stagnierenden Triade-Märkte 2009
        beim Absatz überholt

        Absatz in Triade-Märkten (in Mio. Einheiten)                  Absatz in Wachstumsmärkten (in Mio. Einheiten)

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                                                                                                                        Brasilien
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                                      20

                                            20

                                                  20

                                                                                                                     Quelle: J.D. Power

6
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

Abb. 2: Absatz in BRIC-Ländern wird weiter zunehmen

            Globaler Absatz (in Mio. Einheiten)

     100
                                                                90-100

                                                                andere
       80
                               72

                                                                Indien
                                                               Brasilien
       60
                                                                Japan

                                                                 USA

       40

                                                                China

       20

                                                              West-Europa
        0
                             2010                                2020

                                                                                     Quelle: J.D. Power, Bain-Analyse

2 Trends verändern die Mobilitätslandschaft – vor allem
  in Metropolen

Trotz der weltweit guten Wachstumsaussichten gibt es             und verlangen nach neuen oder erweiterten Angeboten
eine Reihe von Megatrends, die das künftige Mobilitäts-          und Lösungen für individuelle Mobilitätsanforderungen.
verhalten und die damit verbunden Kundenbedürfnisse
massiv beeinflussen und verändern werden – und damit             Steigender Bedarf an Mobilität einer wachsenden
auch die Rahmenbedingungen für den weltweiten Au-                Weltbevölkerung und fortschreitender Urbanisierung
tomobilabsatz. Am stärksten werden das die prosperie-
renden Metropolen der Industrie- und Schwellenländer             Bis 2020 wird die Weltbevölkerung um weitere 800 Mil-
spüren. Eine Reihe von weltweiten Entwicklungen, wie             lionen Menschen auf 7,7 Milliarden anwachsen. Fast 90
die zunehmende Bevölkerungsdichte und das Wachstum               Prozent dieses Zuwachses findet in Asien und Afrika
der Metropolen einerseits, Restriktionen und Alterna-            statt, wo zwei Drittel der Weltbevölkerung leben werden.
tiven für das eigene Automobil andererseits, aber auch           Die Internationale Energieagentur der OECD prognosti-
Veränderungen im generellen Nachfrageverhalten, kön-             ziert einen weltweiten Anstieg der zurückgelegten Kilo-
nen dabei identifiziert werden. Sie alle fordern die tradi-      meter pro Fahrzeug von heute rund 6.000 auf 9.000 im
tionellen Geschäftsmodelle der Automobilbauer heraus             Jahr 2015. Dieser Anstieg wird überwiegend von einer

                                                                                                                         7
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

Abb. 3: Im Jahr 2020 wird 55 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben

          Weltbevölkerung
                                                                       Bevölkerung in entwickelten Ländern
          (in Mrd./in %)                                                                                                  CAGR
                                                  CAGR                 (in Mrd./in %)
                                                  (95-20)                                                                 (95-20)
             5,7   6,1   6,5    6,9   7,3   7,7                           1,2   1,2   1,2    1,2      1,2      1,3
                                                  1,2%          100                                                       0,3%
    100
                                                                                                               22         -0,6%
                                                                 80       28    27    26      25       24
                                                                                                       76      78
                                                                          72    73    74      75
                                                                 60                                                       0,5%
     80                                           0,4%
                                                                 40

                                                                 20

                                                                  0
     60                                                                  1995 2000 2005 2010 2015 2020
                                            45
                                      47
                                49
                          51                55                         Bevölkerung in Entwicklungsländern
                   53                 53
             55                 51
                          49                                           (in Mrd./in %)                                     CAGR
                   47                                                                                                     (95-20)
             45
     40                                                                   4,5   4,9   5,3     5,7     6,1      6,4
                                                                 100                                                      1,4%
                                                  2,0%
                                                                  80

                                                                  60                                                      0,5%
     20                                                                                                52       50
                                                                                      57      55
                                                                           62   60                     48       50
                                                                  40                  43      45
                                                                           38   40
                                                                                                                          2,6%
                                                                  20

      0                                                            0
            1995 2000 2005 2010 2015 2020                                1995 2000 2005 2010 2015 2020

           Stadt         Land

                                                                                      Quelle: United Nations, World Population Prospects

Zunahme des Pkw-Verkehrs getragen und weitgehend            28 Megacities mit über zehn Millionen Einwohnern
außerhalb der OECD-Staaten stattfinden. In dieser zu-       befinden sich in Schwellen- oder Entwicklungsländern
nehmend globalisierten Welt gewinnt die Mobilität des       und kämpfen in der Regel mit erheblichen Platz-, In-
Individuums weiter an Bedeutung – trotz aller moderner      frastruktur- und Umweltproblemen. Durch die ungenü-
Kommunikationstechnologien.                                 gende Verkehrsinfrastruktur entstehen Staus, die den
                                                            Individualverkehr ineffektiv und den Besitz eines Autos
Zu dem steigenden Bedarf an Mobilität kommt eine stetig     unattraktiver machen. In Großstädten wie Mexico City,
wachsende Bevölkerungsdichte in den weltweiten Metro-       New Delhi, Beijing oder Moskau legen die Menschen
polen hinzu: Bis 2020 werden 55 Prozent der Weltbevöl-      durchschnittlich 21 Kilometer zwischen ihrem Wohn-
kerung in urbanen Ballungszentren leben, während es         und Arbeitsort zurück. Für diese Distanz müssen sie über
1995 nur 45 Prozent waren (Abb. 3). 22 der insgesamt        80 Minuten tägliche Fahrzeit aufwenden.

8
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

Zunahme von Einschränkungen und Alternativen                Transport“-Systeme (BRT), die deutlich kostengünstiger
für den traditionellen Individualverkehr                    sind als etwa U-Bahnen. Dafür werden eigene, oft mehr-
                                                            spurige Busfahrbahnen eingerichtet, die den Bussen eine
Gerade in Großstädten werden deshalb platzsparende          hindernisfreie Fahrt ermöglichen. Hat dieses System gut
Verkehrslösungen gesucht und umgesetzt. Es wird im-         ausgestattete Busse, attraktive Preise und ein ausgeklü-
mer mehr Maßnahmen zur Verkehrsbegrenzung geben,            geltes Haltestellennetz, findet es hohe Akzeptanz. In Gu-
wie beim Shanghaier System zur Versteigerung einer          angzhou (China) wird das BRT im Durchschnitt bereits
limitierten Anzahl an Autolizenzen oder beim Londoner       von mehr als 800.000 Fahrgästen pro Werktag genutzt.
System der City-Maut. In London wird für die Einfahrt in
die City eine Gebühr von rund elf Euro pro Tag erhoben;     Damit werden in den Schwellenländern nicht alle ein Au-
wer keinen Parkplatz besitzt, zahlt im Schnitt monatlich    to besitzen oder erwerben, die wirtschaftlich dazu in der
weitere 760 Euro für das Abstellen seines Fahrzeugs.        Lage wären. In den Megacities könnten potenzielle Käu-
Darüber hinaus könnten große Städte in Zukunft Um-          fer durch zusätzliche Restriktionen wie Umweltzonen
weltzonen zur Emissionssenkung definieren, in denen         oder beschränkte Einfahrtlizenzen vom Autokauf abse-
nur noch „Null-Emissions-Fahrzeuge“ wie zum Beispiel        hen oder sie nutzen die genannten alternativen Angebote,
Elektroautos als motorisierte Individualverkehrsmittel      die praktischer und kostengünstiger sind. In den Schwel-
zugelassen sind.                                            lenländern werden zudem die staatlichen Eingriffe und
                                                            Regulierungsmechanismen für die Entwicklung neuer
Damit wird es in Metropolen für immer mehr bisherige        Mobilitätskonzepte entscheidend sein.
Automobilkunden unumgänglich sein, zu Stoßzeiten in
öffentlichen Verkehrsmitteln zu pendeln. Dabei werden       Veränderung des Wertesystems und des
klassische öffentliche Nahverkehre auch künftig Kompro-     Nachfrageverhaltens
misslösungen bleiben. Gerade in den Ballungszentren
gehört die Zukunft deshalb zunehmend dem vernetzten,        Zu diesen externen Faktoren, die den Markt der Mobili-
öffentlich-individuellen Personentransport. Der intermo-    tätsdienstleister und traditionellen Automobilhersteller
dale Kombiverkehr – der verschiedene Verkehrsmittel zur     derzeit umwälzen, kommen intrinsisch bedingte Verän-
Erreichung eines Ziels nutzt – nimmt stetig zu (Abb. 4).    derungen des Konsumentenverhaltens hinzu. Begriffe
                                                            wie Nachhaltigkeit, Umweltverträglichkeit und End-
In den Metropolen der Industrieländer ist die Zahl der      lichkeit fossiler Ressourcen sind nicht nur im täglichen
traditionellen Autobesitzer also stagnierend bis rückläu-   Sprachgebrauch angekommen, sondern inzwischen
fig. Bestimmte Kundensegmente werden aber nicht nur         wichtige Kriterien für die Kaufentscheidung. Die Auto-
auf die genannten öffentlichen Verkehrsmittel zurück-       mobilindustrie reagiert bereits auf die sich ändernden
greifen wollen, sondern streben nach vernetzten Mobili-     Kundenbedürfnisse mit kleineren, verbrauchsärmeren
tätslösungen mit Shared Cars oder Mietwagen, Sammel-        Fahrzeugen sowie mit Hybrid- und Elektroautos.
taxis oder Kleinbussen, öffentlichen Elektromobilen oder
Leihfahrrädern. Die Mobilitätsentscheidungen der Nut-       Erst Technologien, wie die Herstellung leistungsstarker
zer werden unterschiedlich ausfallen, je nach den eige-     und sicherer Lithium-Ionen-Batterien als Herzstück des
nen Bedürfnissen, dem persönlichen Budget, den verfüg-      Elektroantriebs, die Verarbeitung von Karbon im indus-
baren Alternativen und den regulativen Beschränkungen,      triellen Produktionsprozess und die Konnektivität des
etwa durch Umweltzonen oder Einfahrtbeschränkungen.         Autos, ermöglichen die Umsetzung der nunmehr ge-
                                                            forderten Fahrzeugkonzepte, wie die innovative BMW
Auch in den Schwellenländern wird der Nahverkehr            i-Serie oder die in diesem Jahr auf der IAA in Frankfurt
massiv ausgebaut, zum Beispiel durch „Bus Rapid             vorgestellte Studie Smart „Forvision“: nachhaltige tech-

                                                                                                                   9
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

Abb. 4: Mobilität entwickelt sich in urbanen Gebieten zu integrierten Mobilitätslösungen

                                                               7

                                                                               1   Fußverkehr

                                                                                                                     Zurückzulegende Distanz
                                                                               2   Fahrrad
                              4
                                                                               3   E-Mobility on demand

                                                                               4   Car Sharing
                                                   3
                                                                               5   Öffentlicher Nahverkehr
                    5                   1
                                                                               6   Eigenes Fahrzeug/Miete
                                             2

                                                                               7   Bahn, Flugzeug

                        6

                                                                                                      Quelle: Bain & Company

nische Entwicklungen, die sich immer mehr als Standard     Reise. Die prinzipielle Einstellung der jungen Generation
etablieren werden.                                         zum Auto ändert sich somit nachhaltig – und damit das
                                                           Wertesystem sowie das Nachfrageverhalten potenziell zu-
Trotz dieser technischen Entwicklungen verliert das Auto   künftiger Automobilkunden.
als zentrales „Objekt der Begierde“ in der Gesellschaft
an Attraktivität, insbesondere bei den jungen Kunden.      Automobilhersteller in der Pole Position
Eine Umfrage der Fachhochschule der Wirtschaft in Ber-
gisch Gladbach unter 18- bis 25-Jährigen ergab, dass 22    Für die Automobilhersteller sind alle diese Verände-
Prozent der Befragten im Auto ausschließlich ein Fort-     rungen Bedrohung und Chance zugleich. Direkte Wett-
bewegungsmittel sehen und damit seinen funktionalen        bewerber und neue Spieler werden die aktuelle Marktdy-
Wert in den Mittelpunkt stellen. Die emotionale Bindung    namik nutzen und in den alternativen Mobilitätsmarkt
zum eigenen Auto ist für diese Kundengruppe nur noch       einsteigen: Klassische Vermieter und unabhängige Car
zweitrangig. Das Auto steht bei jungen Menschen immer      Sharing-Spezialisten werden eigene Angebote aufbau-
häufiger im Wettbewerb mit alternativen Investitionen      en. Auch die Deutsche Bahn ist zum Beispiel mit dem
wie der neuesten Konsumelektronik oder einer längeren      „Flinkster“ Car Sharing-Konzept bereits in diesem Ge-

10
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

schäft aktiv. Energieversorger könnten Angebote für die      Andererseits sind gerade die Automobilbauer in ihrer bis-
Elektromobilität auflegen, die über den reinen Stromver-     herigen Rolle als Bereitsteller von Mobilität prädestiniert,
trieb hinausgehen und die Batterie oder sogar das gesamte    auf die veränderten Nachfragemuster mit intelligenten
E-Auto umfassen. Technologiekonzerne wie Apple, Mi-          Lösungen zu antworten; schließlich kennt niemand die
crosoft oder Google könnten schon heute über innovative      Kunden und deren spezifische Mobilitätsbedürfnisse
Mobilitätsdienste und Apps weite Teile der Wertschöp-        besser. Die Schwierigkeit liegt darin, eingespielte Pfade
fungskette abdecken und den Kunden an sich binden.           zu verlassen und vorhandenes Know-how völlig neu ein-
Kurz gesagt: Es könnten sich Intermediäre herausbilden,      zusetzen.
die Mobilität als Produkt anbieten und die Autobauer von
ihrem direkten Kundenkontakt entkoppeln.

3 Der Profit Pool wandert weiter „downstream“

Dabei entstehen die neuen Geschäftsfelder vor allem          Ideal ist ein Geschäftsmodell mit fließenden Übergängen
„downstream“ in der automobilen Wertschöpfungskette,
sind also der Entwicklung und Produktion der Fahrzeuge       Teilweise kannibalisieren die neu entstehenden Ge-
nachgelagert. Das ist an sich nichts Neues für die Auto-     schäftsfelder das traditionelle Kerngeschäft der Autobau-
mobilhersteller. Bereits in den vergangenen Jahren ist der   er. Kunden, die mieten und „sharen“, fallen als Kunden
Profit Pool der Automobilindustrie in diesen Bereichen       im Neufahrzeuggeschäft zunächst aus. Auf der anderen
gewachsen: Von der Dominanz des Neuwagengeschäfts            Seite können die Hersteller auch neue Kundengruppen
in der Frühphase der Automobilisierung entwickelte sich      ansprechen und an die Marke heranführen, wenn sie
die Branche immer weiter hin zum heutigen Systemge-          sich in neuen Geschäftsfeldern wie dem Car Sharing
schäft. Dessen Erträge kommen vor allem aus Service,         engagieren. Die Herausforderung besteht also darin, die
Teilegeschäft und Finanzdienstleistungen (Abb. 5). Das       verschiedenen Geschäftsfelder zu vernetzen.
Neuwagengeschäft dient bei vielen Herstellern vor allem
dazu, eine tragfähige Basis für diese Downstream-Erträge     Modelle, wie eine solche Vernetzung aussehen könnte,
zu installieren.                                             sind bereits angedacht: Kunden, die ein Fahrzeug besit-
                                                             zen, erhalten damit beispielsweise auch Zugang zu Miet-
Mit der Zunahme von Full-Service-Leasing, Mietmodel-         oder Car Sharing-Autos des Herstellers, um spezifische
len, Car Sharing und weiteren alternativen Mobilitäts-       Mobilitätsbedürfnisse im Stadtverkehr abzudecken. In
angeboten entstehen Ertragspotenziale im Downstream-         allen Fahrzeugen der Marke steht dieselbe Kommunika-
Segment der automobilen Wertschöpfungskette. Gleich-         tionsplattform zur Verfügung, die universellen Zugriff
zeitig stehen die Upstream-Wertschöpfungsschritte            auf die Mobilitätsdienste der Marke bietet. Besitzer oder
der Fahrzeugentwicklung und -produktion infolge der          Leasingnehmer eines Elektroautos erhalten einen Mobili-
vorhandenen Überkapazitäten weiterhin unter hohem            tätspass, mit dem sie für den Wochenendausflug oder die
Druck – gerade in den stagnierenden Märkten der west-        Urlaubsreise auf Autos mit größerer Reichweite zurück-
lichen Welt. Upstream können deshalb auch in Zukunft         greifen können. Und potenzielle Kunden, die kein Fahr-
nur in Nischen, wie etwa Sportwagen und Luxus-SUVs,          zeug besitzen, können durch die Nutzung des hersteller-
signifikante Erträge über den Industriezyklus verdient       eigenen Car Sharing-Angebots für die Marke begeistert
werden.                                                      und später als Neufahrzeugkunden gewonnen werden.

                                                                                                                      11
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

Abb. 5: Automotive Profit Pool – Der Großteil der Profitabilität wird schon heute
        „downstream“ erwirtschaftet

           Profit Pool der europäischen Automobilindustrie (2010)

                                          Umsetzung GVO,             Reduktion
 Umsatzrendite                            verbesserte                Risikopositionen
 (EBIT als % des Umsatzes)                Transparenz                früherer Jahre

15
                                                           13,7

                                                                   12,4

                                                                              Zunehmender                                        Skalierung
10                                                                            Wettbewerb durch                                   von Geschäfts-
                                                                              Unabhängige                                        modellen

                                  Strukturelle                                                                                                     6,0
              5,1                 Überkapazität                                         4,9
 5
                                                                            4,0

                                        2,4
                                                                                                                           1,9

 0
     Umsatz
     (in Mrd. Euro)
                                 Fahrzeugproduktion      Teile                   Service und Teile               Gebrauchtwagen
                                     und -absatz      Großhandel          Versicherung                                     Mobilitätsservices
                    Zulieferer                          Finanzierung und Leasing

                                                              Potenzieller Entwicklungstrend                 steigend
                                                                                                             gleichbleibend/stagnierend
                                                                                                             fallend

                                                                                              Quelle: Bain & Company, Bain Automotive Profit Pool (2010)

12
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

4 Integrierte Mobilität schafft ein breites Spektrum neuer
  Geschäftsfelder

Auf Basis der beschriebenen Trends, veränderter Kun-           Die Zweitverwertung der Batterie nach Ende der Lebens-
denbedürfnisse und nicht zuletzt neuer technologischer         dauer im Auto hat ebenfalls Geschäftspotenzial. Die Bat-
Lösungen sowie alternativer Nutzungsmuster entstehen           terie kann als Stromspeicher für Anwendungen außer-
neue Mobilitätsbedürfnisse und -angebote. Rund um              halb des Fahrzeugs eingesetzt werden, zum Beispiel als
den traditionellen Kern jedes Herstellers – der Produk-        Zwischenspeicher bei der Verstromung von Windenergie
tion, Vermarktung und Finanzierung von Fahrzeugen              oder für Solaranlagen auf dem eigenen Hausdach.
– entwickeln sich neue Geschäftsfelder. Sie können nach
der in Abbildung 6 dargestellten Systematik von Bain &         Ein weiteres Geschäftsfeld entsteht aus der Bereitstellung
Company entlang von zehn Dimensionen charakterisiert           und Montage der so genannten „Wallbox“, die in der hei-
werden. Insgesamt hat Bain mit dieser Methodik mehr            mischen Garage für ein gesteuertes Laden der Batterie
als 30 Geschäftsfelder identifiziert, die sich in ihrer Grö-   sorgt. Weitere Betätigungsfelder im Rahmen der Elektro-
ße, ihrem Wachstumspotenzial und ihrer Profitabilität          mobilität sind der Betrieb von öffentlichen Ladestationen
erheblich unterscheiden. Beispielhaft werden einige der        oder die Bereitstellung von idealerweise zertifiziertem
wichtigsten neuen Geschäftsfelder vorgestellt.                 „grünen“ Strom für das Elektroauto oder gleich für den
                                                               gesamten Haushalt.
Beispiel Elektromobilität
                                                               Schließlich ergeben sich neue Möglichkeiten durch intel-
In Kürze bieten die meisten Hersteller ihre ersten E-          ligente Lösungen, wie „Vehicle-to-Grid“: Das Fahrzeug
Fahrzeuge an. Bei einem rein batteriebetriebenen E-Auto        wird an das Stromnetz angeschlossen, so dass bei höherer
macht die Batterie je nach ihrer Kapazität 30 bis 40 Pro-      Stromnachfrage im Netz (und damit höherem Preisni-
zent der gesamten Fahrzeugkosten aus. Einige Hersteller,       veau) eine Einspeisung von Strom aus der Batterie in das
wie zum Beispiel Renault, werden die Batterie deshalb          Netz erfolgt und dies dem Kunden gutgeschrieben wird.
separat vermarkten; der Kunde kauft das Auto und mie-          Damit der Autobesitzer steuern kann, zu welchen Zeiten
tet oder least eine Batterie dazu. Während die Einstiegs-      und Konditionen Strom in die Batterie eingespeist und
kosten für den Kunden dadurch geringer sind, entsteht          entnommen wird, sind aufwendige Lösungen („smart
ein neues Geschäftsfeld für Batterieleasing, das allein in     meters“) erforderlich. Deshalb wird sich „Vehicle-to-Grid“
Deutschland ein zusätzliches Finanzierungsvolumen von          frühestens in der zweiten Welle der Elektromobilität am
vier bis fünf Milliarden Euro bis 2020 erreichen wird.         Ende dieses Jahrzehnts etablieren, wenn auch eine ent-
Dieses Potenzial ist für die Hersteller und ihre Finanzie-     sprechend große Elektroflotte auf den Straßen unterwegs
rungstöchter, wie auch für unabhängige Leasinggesell-          ist.
schaften gleichermaßen interessant.
                                                               Beispiel Mobilitätsdienste
Für das Leasing der Batterie ist die Prognose des Restwerts
entscheidend. Zum heutigen Zeitpunkt gibt es dafür noch        Mit der zunehmenden Konnektivität können telemetrische
keine Erfahrungswerte. Und es ist noch völlig offen, ob        Daten aus dem Auto ausgelesen werden, um diese für die
und wie sich ein Markt für Gebrauchtbatterien entwickeln       präventive Wartung zu nutzen. Das Auto meldet sich bei
wird. Viele Hersteller werden die Batterie als integrierten    Verschleiß des Bremsbelags oder Verschmutzung von
Bestandteil des Fahrzeugs vermarkten und damit auch als        Filtern selbständig beim Hersteller. Dessen autorisiertes
Teil des Fahrzeugs verleasen. Das Potenzial für zusätz-        Servicenetz geht auf den Kunden zu, um einen Wartungs-
liches Leasingvolumen existiert natürlich auch in dieser       termin zu vereinbaren. Das verringert die Wartungskos-
Konstellation; der Unterschied zum Buy-Lease-Modell be-        ten für den Endkunden und hilft, die Abläufe und damit
steht vor allem in der Kundenwahrnehmung.                      die Auslastung des Servicenetzes zu verbessern.

                                                                                                                      13
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

Abb. 6: Neue Mobilität schafft neue Gechäftsfelder

                                                                              Mobilitäts-
                                                                               vehikel
                                                                                                                        Finanzdienst-
                                 Vertriebskanal                                                                           leistungen
                                                                                ...

                                                                          Schiff
                                                                                                                          ...
                                   ...
                                                                       Flugzeug                                       Investment Banking
                                  Andere
                                  Vertriebs-
                                    partner                                   Bahn                               Weitere Bankprodukte

                                            Internet                  Bus/ÖPNV                                Weitere Versicherungen

        Kern-                                                           Zweirad                            Online Banking
     kompetenzen                         Niederlassungen                                                                                                       Fahrzeug-
                                                                                                        Kreditkarte                                            bezogene
                                                                              LKW
                                                                                                                                                               Angebote
                ...                              Direktvertrieb                                    Kfz-Versicherung
                                                                          Trans-
      Flottenmanagement                                                   porter
                                                            Händler                             Leasing                                        ...
               Partnermanagement                                                                                                    Consulting/
                                                                              PKW
           Vertrags-/Rechnungsmaganement                                                    Finanzierung                  Garantie- Training
                              Kundenmaganement                                                                   Zubehör verlänge-
                                                                                                         Ersatz-            rung/
                                                Produktmaganement
                                                                                             Gebraucht- teile          Serviceverträge
          Abdeckung typischer                                                                  wagen & Service
           Automobilhersteller
                                                                                                          Privatkunden
                                          Barverkauf            Mobilitäts-                                       Kleine/mittlere Flottenkunden
                                                                                                  Werkstatt-
                                                                 garantie                          ersatzfahrzeug         Großkunden
                                  Zeitentgelt                                         E-Fahr-
                                                   Fahrzeug-Telematik                 zeug                                               Öffentlicher Dienst
                      Km-Abrechnung                                                                       Langzeitmiete
                                            (präventive Wartung, etc.)                                                                            ...
          Lizenz/Provision                                                            Wallbox
     Werbefinanziert                       Flottendienste (Fahrten-                                           Car Sharing
                                         buch, Routenplaner, etc.)                                                                                             Kunden-
          ...                                                                         Batterie Leasing                                                         segmente
                                                                                                                      Kurzzeitmiete
                             Dienste Elektromobilität (Batterie-
                          ladezustand, Suche Ladesäule, etc.)                         Betrieb öffentliche
Abrechnungs-                                                                          Ladestationen                        Mobilitätspass (übergreifend)
   modell                                    Logistikdienste
                                    (Frachtvermittlung, etc.)                         Stromproduktion/                          Chauffeurdienste
                                                                                      -handel
                                          Infotainment
                             (Wetter, Nachrichten, etc.)                              Zweitverwertung                                 Peer-to-Peer Sharing
                                                                                      Batterie
                                  Reisemanagement                                                                                         ...
                             (Flug/Bahn, Hotel, etc.)
                                                                                      Vehicle-to-Grid
                                                  ...
                                                                                                                                 Mobilitätslösungen
                                                                                      ...

                                   Mobilitätsdienste
                                                                        Elektromobilität

                                                                                                                                                       Quelle: Bain & Company

14
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

Sowohl für Flotten- als auch für Privatkunden können          land teilten sich 2010 rund 190.000 Car Sharing-Nutzer
Dienstleistungen wie die Übernahme eines Fahrten-             gerade einmal 5.000 Autos. Zipcar, der größte Car Sha-
buchs, individuelle Routenplanung und -optimierung,           ring-Anbieter der USA mit Geschäft auch in Kanada und
die Remote-Steuerung einzelner Fahrzeugfunktionen wie         Großbritannien, bringt es immerhin auf 576.000 Kunden
Heizung oder Klimaanlage und vieles mehr angeboten            und 8.200 Autos. Aufgrund seiner Anfänge hat Car Sha-
werden. Gerade in Verbindung mit der Elektromobilität         ring bisher ein eher alternatives Image. Typische Nutzer
ergeben sich weitere Möglichkeiten aus der Fernabfrage        waren bislang wenig autobegeistert und entweder spar-
des Batterieladestatus und der Suche nach freien Lade-        same Rechner oder ökologisch orientierte Kunden. In den
säulen. Diese Dienste können mit zusätzlichen Informa-        vergangenen zwei Jahren sind auch Automobilhersteller
tions- und Unterhaltungsangeboten verknüpft werden,           ins Car Sharing eingestiegen und haben dessen Image
wie zum Beispiel aktuellen Verkehrs- und Wetterinforma-       deutlich verändert.
tionen oder Nachrichten. Den Anfang werden zunächst
Dienste mit greifbarem Kundennutzen machen, wie die           Bei all dem darf man jedoch nicht übersehen, dass ein gro-
Routenoptimierung für Großflotten. Für diesen Service         ßer Teil des Automobilmarkts durch Car Sharing faktisch
sind die Kunden am ehesten bereit zu zahlen, denn er hilft    nicht erreicht werden kann. In ländlichen Gebieten wird
unmittelbar, die Betriebskosten zu senken.                    das Auto seine heutige Funktion weitgehend behalten,
                                                              denn einerseits gibt es kaum Alternativen zum eigenen
Ultimativ lässt sich das Angebot auf die gesamte Mobilität    Auto und andererseits stehen genügend Verkehrsflächen
eines Kunden ausweiten: Von der vollständigen Abde-           zur Verfügung. Zudem sind auf dem Land mittelfristig
ckung aller Mobilitätsbedürfnisse mit einer Mobilitätskar-    keine Regulierungsmaßnahmen wie zum Beispiel Um-
te über Komplettangebote für eine definierte Bandbreite       weltzonen zu erwarten. Und es wird auch in Zukunft
an benötigten Verkehrsmitteln, bis hin zu einem per-          Kundensegmente mit ausgeprägtem Differenzierungs-
sönlichen Mobilitätsmanagement mittels mobiler Geräte.        und Individualisierungswunsch geben. Gerade im Premi-
Der Kunde zahlt dann ausschließlich für die erbrachte         umsegment wird deshalb selbst in Ballungsgebieten das
Mobilitätsleistung.                                           eigene Auto auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen.

Bei dieser Vision der „Mobilität der Zukunft“ werden tradi-   Für die Automobilhersteller ist Car Sharing vor allem
tionelle Branchengrenzen weit überschritten. Dort, wo ein     ein ergänzendes Geschäftsfeld, das aus vielen Gründen
kombiniertes Angebot für Millionen von Kunden geschaf-        interessant ist:
fen wird – unter Einbindung von Fahrrädern, Mietwa-
gen, öffentlichen Elektromobilen, Bahn und Flugzeug –,        • Markengebundenes Car Sharing bietet herstellerei-
müssen enorme Datenströme bewältigt werden: Mobiler             gene Mobilitätsalternativen, zum Beispiel für junge
Kundenkontakt, individuelle Buchungen, laufende Dis-            Kunden in Großstädten.
position der vorhandenen Verkehrsmittel, Strommanage-         • Car Sharing-Angebote erschließen eine neue Ertrags-
ment, Stauinformationen und so weiter. Dabei gilt jedoch:       quelle.
Niemand kann alles allein, deshalb sind entsprechende         • Die herstellereigene Car Sharing-Flotte stützt das loka-
Partnerschaften und Allianzen erfolgskritisch.                  le Servicenetz sowie das Teilegeschäft.
                                                              • Car Sharing hat eine positive öffentliche Wahrneh-
Car Sharing gewinnt in den Großstädten rasant                   mung, von der die Hersteller profitieren. Es hilft au-
an Bedeutung                                                    ßerdem, die Marke zu positionieren und neue Pro-
                                                                dukte schnell und kostengünstig bekannt zu machen.
Auch Car Sharing ist ein Wachstumsmarkt, der sich in
den vergangenen fünf Jahren etwa verdoppelt hat – aus-
gehend von einem sehr niedrigen Niveau. In Deutsch-

                                                                                                                     15
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

  i  	Unterschiedliche Car Sharing-Modelle im Einsatz

     Car Sharing ist ein lokales Geschäft – die Kunden        vermietung deutliche Kostenvorteile, da geringere
     registrieren sich bei einem Anbieter, der ihnen lokal    Standortkosten anfallen und die Fahrzeuge häufiger
     stationierte Autos zur Verfügung stellt. Innerhalb des   genutzt werden.
     sich entwickelnden Car Sharing-Markts bilden sich
     derzeit zwei unterschiedliche Angebotstypen heraus:      Die von Daimler und BMW verfolgten Konzepte setzen
                                                              auf sofort verfügbare Autos, die ohne Reservierung
     Das traditionelle Car Sharing-Konzept ähnelt stark der   gemietet und nach Gebrauch irgendwo im Vermie-
     Kurzzeitmiete. Jedes Auto wird im Voraus für einen       tungsgebiet abgestellt werden können. Auch Fahrten
     festen Zeitraum gebucht und nach Gebrauch wieder         von wenigen Minuten sind möglich. Die Autos stehen
     dort abgestellt, wo es geliehen wurde. Die Mindest-      auf öffentlichen Parkplätzen und werden von den re-
     mietdauer beträgt eine Stunde; in der Autovermietung     gistrierten Kunden per Chip geöffnet. Der Schlüssel
     ist es ein Tag. Die Autos stehen auf fest gemieteten     befindet sich im Fahrzeug und die Fahrt kann sofort
     Stellplätzen im Stadtgebiet und können nach Eingabe      beginnen.
     eines Codes genutzt werden.
                                                              Der Vorteil dieses Konzepts liegt in der größeren
     Neben den unabhängigen Car Sharing-Unternehmen           Flexibilität für die Kunden, die ihre Autofahrten nicht
     wie „stattauto“ oder „Stadtmobil“ setzen auch die Au-    planen oder vorab buchen möchten. Daimler und BMW
     tohersteller VW und Peugeot auf ein vergleichbares       verfolgen mit ihren Sharing-Angeboten das Ziel, eine
     Konzept. Der Vorteil des traditionellen Car Sharings     neue Form der individuellen Mobilitätsmöglichkeiten
     liegt in der längerfristigen Reservierungsmöglichkeit    zu etablieren. Gegenüber dem traditionellen Car Sha-
     bestimmter Autotypen, so dass der Kunde fest mit dem     ring ist dieses Konzept jedoch kostenintensiver, da die
     gebuchten Auto rechnen kann. Die Autohersteller,         Fahrzeuge regelmäßig von einem Serviceteam aufge-
     die mit diesem Konzept arbeiten, können zudem ih-        sucht werden müssen, um betankt, gewartet – sowie
     re markeneigenen Vertriebs- und Servicestandorte in      bei Bedarf – umgeparkt zu werden. Zudem fallen zu-
     ihr Sharing-Angebot einbinden. Obwohl mietähnlich,       sätzliche Parkgebühren für öffentlichen Parkraum an.
     hat das traditionelle Car Sharing gegenüber der Auto-

Am Beispiel Car Sharing kann auch die mögliche Sub-           zwei Prozent des europäischen Neufahrzeugmarkts von
stitution des Kerngeschäfts verdeutlicht werden: Studien      möglicher Substitution betroffen.
der Berkeley Universität gehen davon aus, dass ein Car
Sharing-Fahrzeug bis zu 13 Autos im Privatbesitz ersetzen     Autobauer starten die ersten Pilotversuche
kann. Auch bei ambitionierten Wachstumsraten für Car
Sharing in Europa ist das Kannibalisierungsrisiko damit       Auf dem neuen Markt tummeln sich immer mehr tradi-
zunächst begrenzt. Frost & Sullivan prognostizieren einen     tionelle Automobilhersteller mit eignen Pilotprojekten.
Anstieg der Car Sharing-Nutzer in Europa von heute 0,4        Das Car Sharing-Angebot „car2go“ des Daimler-Konzerns
Millionen auf 5,5 Millionen im Jahr 2016. Das entspricht      unterhält beispielsweise in Ulm, Hamburg, Austin (USA)
einem jährlichen Wachstum von 55 Prozent. Da sich im          und Vancouver (Kanada) eine Flotte von jeweils mehreren
Durchschnitt etwa 50 Nutzer ein Auto teilen, wären auch       hundert Smarts zur Sofortmiete an zuvor registrierte Kun-
in einem solch aggressiven Wachstumsszenario nur rund         den. Ein ähnliches Konzept verfolgt seit kurzem BMW

16
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

mit einer Flotte aus Minis und Einsern in München und          Multicity. Hier kann der Kunde nicht nur Autos, sondern
Berlin – unter dem konzerneigenen Car Sharing-Label            auch Fahrräder, Flüge, Bahntickets und sogar Hotels bu-
„DriveNow“. Auch Volkswagen startet mit einem Sharing-         chen – per Internet, Telefon oder Smartphone-App. Das
Angebot namens „Quicar“ in Hannover. Zudem plant VW            über Citroën Multicity bestellte Mietauto muss nicht abge-
Presseberichten zufolge die Bereitstellung von „grünem“        holt werden, sondern wird in bisher 13 Städten dort bereit-
Strom für Elektrofahrzeuge mit eigenen Erzeugungskapa-         gestellt, wo der Kunde seine Fahrt antreten möchte – und
zitäten und Netzinfrastruktur.                                 auch dort wieder abgeholt, wo er die Fahrt beendet hat. Im
                                                               Großraum Paris umfasst das Multicity-Modell bereits das
„Mu by Peugeot“ setzt auf eine breite Palette von Miet-        Angebot der Miete des Elektromodells „C Zero“.
angeboten in einem umfassenden Car Sharing- und Ver-
mietungsangebot. Hier können mit einer Prepaid-Karte           Damit ist Citroën Multicity der erste Anbieter, der ein
Fahrräder, Roller, Cabrios, Elektrofahrzeuge, Vans, Trans-     vollständiges Mobilitätsangebot abdeckt. Was derzeit in
porter und selbst Camper gemietet werden. Die Idee da-         ausgewählten Ländern und Städten pilotiert wird, eignet
hinter ist, dem Kunden überall eine auf seine jeweiligen       sich jedoch nicht immer für einen flächendeckenden Roll-
Bedürfnisse maßgeschneiderte individuelle Mobilitäts-          out. Die Kernfragen dabei lauten: Wie funktioniert das
lösung anzubieten.                                             hinterlegte Geschäftsmodell? Wie verdient das Unterneh-
                                                               men mit seinem Angebot die gewünschten Renditen? Wie
Den nächsten Schritt zum umfassenden Mobilitätsange-           ist die Geschäftsidee mit dem traditionellen Kerngeschäft
bot ist PSA mit der Marke Citroën gegangen: die Vernet-        verzahnt? Und wie werden weitere Erträge im Neufahr-
zung mit anderen Verkehrsmitteln und die Anlieferung           zeuggeschäft, dem Teile- und Servicegeschäft oder der
beim Kunden. „Tür zu Tür“ heißt das Konzept von Citroën        Finanzierung generiert?

5	Entwicklung eines maßgeschneiderten Mobilitäts-Geschäfts-
  modells für Automobilhersteller

Viele Hersteller haben also die Zeichen der Zeit erkannt und   „Hardware“-Lieferanten degradiert zu werden und ihren
pilotieren einzelne Aktivitäten. Ganzheitliche Strategien      direkten Zugang zum Endkunden zu verlieren.
zur integrierten Mobilität, die in die Gesamtstrategie des
Herstellers eingebettet sind und der Mobilitätsvision des      Neues Wachstum und hohe Profitabilität: Daneben kön-
Unternehmens folgen, fehlen bisher jedoch weitgehend.          nen die neuen Geschäftsmodelle als Quelle für Wachstum
                                                               und Profitabilität dienen. Car Sharing und andere Ange-
Automobilhersteller müssen das Geschäft mit der neuen          bote können bei ausreichender Auslastung als eigenstän-
Mobilität in ihre bisherigen Aktivitäten und Prozesse in-      dige, profitable Geschäftseinheiten betrieben werden.
tegrieren:
                                                               Synergieeffekte mit dem Kerngeschäft: Schließlich können
Wettbewerbern zuvorkommen: Zunächst gilt es, mög-              Synergieeffekte mit dem traditionellen Kerngeschäft reali-
lichen neuen Wettbewerbern an kritischen Stellen der           siert werden, zum Beispiel durch den Verkauf von Ersatz-
Wertschöpfung zuvorzukommen – insbesondere dort, wo            teilen an die eigene Car Sharing-Flotte. Mit den zusätzlichen
die Kundenschnittstelle gefährdet ist. Gewinnen zum Bei-       Mobilitätsangeboten können die Hersteller neue Kunden-
spiel unabhängige Car Sharing-Unternehmen im großen            segmente für ihre Marken erschließen, wenn eine Verzah-
Stil an Bedeutung, müssten die Hersteller befürchten, zu       nung von Mobilitäts- und Automarke sichergestellt ist.

                                                                                                                         17
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

Angesichts des weiten Spektrums möglicher Aktivitäten
stehen die Hersteller vor der strategischen Frage, in wel-
chen Bereichen sie sich wie engagieren sollen. Einerseits
                                                              i
                                                              	Profit from the Core

                                                              Zahlreiche Studien und die langjährige Erfahrung von
laufen sie Gefahr, sich zu viel vorzunehmen, wenn sie         Bain & Company zeigen, dass die meisten Wachs-
alles alleine abdecken wollen und sich dabei zu verzetteln.   tumsstrategien daran scheitern, dass sich Unter-
Andererseits besteht das Risiko, Geschäftsfelder nicht aus-   nehmen zu weit von ihrem Kerngeschäft entfernen.
reichend aktiv und schnell genug zu besetzen und dadurch      Wachstumsstrategien, die sich auf das traditionelle
womöglich Wachstumschancen zu verpassen oder strate-          Kerngeschäft stützen, nutzen die gewachsene Unter-
gisch ins Hintertreffen zu geraten.                           nehmenskultur, die vorhandenen Kompetenzen und
                                                              Wechselwirkungen mit dem bestehenden Geschäft,
Bain & Company setzt einen strukturierten und systema-        um Wettbewerbsvorteile zu erzielen.
tischen Ansatz bei der Entwicklung von herstellerspezi-
fischen Geschäftsmodellen ein. Jedes Geschäftsfeld wird       Bain erfasst die Entfernung vom Kerngeschäft in den
im Wesentlichen entlang von zwei Dimensionen bewer-           Dimensionen Kunden, Kostenstrukturen, Vertriebs-
tet: der Wertgenerierung für das Unternehmen und der          kanäle und Fähigkeiten (Abb. A). Aus der Auswertung
Entfernung vom bisherigen Kerngeschäft (Abb. 7). Beide        von über 2.000 großen Unternehmen über einen Zeit-
Dimensionen hängen von der strategischen Ausrichtung          raum von zehn Jahren ergeben sich folgende statis-
des Autobauers sowie seinen besonderen Fähigkeiten ab.        tische Erfolgswahrscheinlichkeiten:

Der Mehrwert für den Autobauer kann sowohl finanzi-           Unternehmen, die in ihrem Kernbereich neue Pro-
eller als auch strategischer Natur sein. Für jedes mögliche   dukte und Services einführen und dabei auf existie-
neue Geschäftsfeld wird deshalb die Auswirkung auf das        rende Kunden und Kanäle aufbauen, für die sie einen
traditionelle Kerngeschäft bewertet: Synergiepotenziale       Großteil der Infrastruktur und erforderlichen Fähig-
und andere positive Effekte, aber auch Redundanzen und        keiten bereitstellen können, haben eine 35-prozentige
Kannibalisierungen müssen untersucht werden.                  Erfolgswahrscheinlichkeit. Müssen neue Vertriebska-
                                                              näle, Wertschöpfungsstufen oder Geschäftsfelder auf-
Entfernung zum traditionellen Kerngeschäft                    gebaut werden, sinkt die Erfolgswahrscheinlichkeit auf
                                                              unter 15 Prozent (Abb. B).
Einige Geschäftsfelder sind weit weg vom ursprünglichen
Kerngeschäft der Hersteller und erfordern den Aufbau          Für Automobilhersteller, die in neue Mobilitäts-
neuer Fähigkeiten, neuer Infrastruktur oder sogar die         dienstleistungen expandieren, ergibt sich daraus die
Ansprache völlig neuer Kundensegmente. So haben Auto-         Forderung, ihr zukünftiges Geschäftsmodell so eng
mobilbauer zum Beispiel in der für das Car Sharing wich-      wie möglich an die existierenden Kompetenzen für
tigen Steuerung und Optimierung der Flottenauslastung         Fahrzeuge und individuelle Mobilitätsangebote an-
kaum Erfahrung. Dienstleistungen, wie die Bereitstellung      zulehnen – und branchenfremde Kompetenzen des
des Wetterberichts oder der Nachrichten, liegen ebenfalls     geplanten Gesamtangebots weitgehend über Koopera-
weit außerhalb der Kernkompetenz eines Autobauers.            tionspartner bereitzustellen.

Aus der in Abbildung 7 dargestellten Matrix kann abge-
leitet werden, welche Geschäftsfelder in welcher Art und
Weise erschlossen werden können. Hersteller sollten sich
auf die Bereiche konzentrieren, bei denen der Mehrwert
hoch ist und die dem Kerngeschäft möglichst nahe sind.
In diese Kategorie fallen für die meisten Hersteller zum

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Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

Abb. A: Zunehmende Entfernung vom Kern verringert die Erfolgswahrscheinlichkeit

                              Gemeinsame Gemeinsame Gemeinsame Gemeinsame                                 Erfolgs-
                                Kunden   Kostenbasis  Kanäle   Fähigkeiten                            wahrscheinlichkeit

 Kern

 1 Schritt Entfernung                                                                                           35%

 2 Schritte Entfernung                                                                                          15%

 3 Schritte Entfernung                                                                                            8%

 Diversifikation                                                                                               < 5%

                                                                                        Quelle: Bain „Profit from the Core“ Analysen

Abb. B: Dem Kunden zu folgen zahlt sich am ehesten aus

                                                      27% durchschnittliche Erfolgsquote
                                                                                                                      in %

                                             Neue
                                    Geschäftsfelder

                                        Neue Wert-
                                   schöpfungsstufen
               Grad der                      Neue
             Veränderung                    Kanäle
           zum bestehenden           Neue Kunden-
            Geschäftsmodell              segmente

               und/oder                      Neue
                                          Regionen
            Entfernung von
             Kernkunden             Neue Produkte
                                                          Erfolg                 Misserfolg
                                       & Services

                                                      0            20       40           60               80              100

                                                                                                           Quelle: Bain & Company

                                                                                                                                       19
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

Abb. 7: Bain-Methodik bewertet Geschäftsfelder hinsichtlich des Werts für den OEM
        und der Entfernung zum Kerngeschäft

                                                 Typische* Positionen ausgewählter Geschäftsfelder der Automobilbauer
                                  hoch

 • Finanzieller Wert                              Selbst machen                                  Mit Partner machen
   (Geschäftsfeld
   direkt und Effekte                             • Langzeitmiete                                • Car Sharing
   auf Kerngeschäft)                              • Batterie-Leasing                             • Wallbox-Installation
                                  Wert für OEM

 • Strategischer Wert                             • ...                                          • ...

                                                  Opportunistisch machen                         Vermitteln/nicht machen

                                                  • Elektro-Fahrrad                              • Stromvertrieb
                                                  • Infotainment-Dienste                         • Betrieb öffentlicher Ladestationen
                                  niedrig

                                                  • ...                                          • ...

                                                  gering                       Entfernung zum Kerngeschäft                          groß

                                                 • Nutzung vorhandener Fähigkeiten bzw. Investitionen für Aufbau
                                                 • Nutzung Vertriebskanäle und existierender Kundenstamm
* Bewertung erfolgt individuell
  für jeden einzelnen OEM

                                                                                                                            Quelle: Bain & Company

Beispiel die Langzeitmiete, und für Hersteller mit ausge-                        attraktiven Angebots für die Elektromobilität stellen zer-
prägter Leasingkompetenz das Batterieleasing.                                    tifizierter „grüner“ Strom und gesteuertes, günstigeres
                                                                                 Laden die wesentlichen Komponenten dar. Wird der
In Betätigungsfeldern, die weiter weg vom Kerngeschäft                           Strom für das Fahren in das Angebotspaket für die Elek-
liegen, sollten Hersteller eine Zusammenarbeit mit Part-                         tromobilität aufgenommen, sollten die niedermargigen
nern erwägen. Zum Beispiel können sie den Aufbau von                             Leistungen des Stromvertriebs – die für den Kunden nicht
Car Sharing-Programmen beschleunigen, indem sie – wie                            sichtbar sind – im Hintergrund durch Energieversorger
Daimler mit Europcar (bei „car2go“) oder BMW mit Sixt                            als Kooperationspartner erbracht werden.
(bei „DriveNow“) – mit etablierten Vermietern zusam-
menarbeiten.                                                                     Prinzipiell ergeben sich aus diesen Überlegungen vier
                                                                                 Normstrategien für Automobilhersteller, wie sie sich im
Von anderen Geschäftsfeldern sollten die Autohersteller                          Feld der neuen Mobilität positionieren können (Abb. 8):
zunächst eher absehen oder nur als Vermittler auftreten –
der Autohersteller als universeller Mobilitätsdienstleister                      Integrierter Mobilitätsdienstleister
kann in solchen Fällen als Agentur fungieren. So ha-                             Er deckt gegenüber dem Kunden die volle Bandbreite an
ben Hersteller zum Beispiel keine Kompetenz im Strom-                            Produkten und Dienstleistungen für Mobilität ab und
handel. Bei der Entwicklung eines für den Endkunden                              generiert dabei den größten Teil der Wertschöpfung

20
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

selbst. Der Vorteil dieses Geschäftsmodells ist, dass der    Der Vorteil dieser Lösung ist, dass die Kooperationspart-
integrierte Mobilitätsdienstleister den vollen Durchgriff    ner ihre jeweiligen Kernkompetenzen einbringen kön-
auf die Herstellerorganisation besitzt und dadurch seine     nen und die Risiken überschaubar bleiben. Allerdings
Geschäftsbereiche optimal vernetzen und Synergien rea-       werden die Erlöse geteilt und das Mobilitätsangebot kann
lisieren kann.                                               schwerer gesteuert und zu einer nahtlosen Kundenerfah-
                                                             rung vernetzt werden. Zur Umsetzung dieser Strategie ist
Allerdings müssen dafür – teilweise massiv – neue Kom-       also eine Kompetenz entscheidend: die ineinandergrei-
petenzen aufgebaut oder zugekauft werden, vom Flotten-       fende Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern aus
management bis hin zum „Micro-Billing“ von Kleinst-          unterschiedlichen Branchen.
beträgen. Der Investitionsbedarf für den Aufbau eines
flächendeckenden Full-Services ist enorm, auch wenn er       Selektierer
auf die nächsten zehn Jahre verteilt werden kann. Herstel-   Er wählt ganz spezifische Geschäftsfelder aus, die im
ler mit diesem Konzept laufen Gefahr, sich zu verzetteln     Rahmen seiner Positionierung und mit Blick auf die
oder von Spezialisten überholt zu werden.                    Zielkunden das höchste strategische und finanzielle Po-
                                                             tenzial haben. Diese Geschäftsfelder bearbeitet er über-
Vermittler                                                   wiegend mit eigener Wertschöpfung, um ein exklusives,
Er bietet seinen Kunden ein fast ebenso breites Ange-        nahtloses Markenerlebnis bieten zu können, das er voll-
botsspektrum wie der integrierte Mobilitätsdienstleister.    ständig kontrolliert, und dessen Erträge größtenteils ihm
Statt die Wertschöpfung selbst zu erbringen, arbeitet er     gutgeschrieben werden.
jedoch überwiegend mit Partnern zusammen, die die
Leistungen im Hintergrund liefern: Reisebüros, Auto-         Minimalist
und Fahrradvermieter, Versicherungen, Mobilfunkun-           Er konzentriert sich weiter auf das traditionelle auto-
ternehmen, Tankstellenketten, Versorger, Eisenbahn-          mobile Kerngeschäft, muss aber mit Hinblick auf die
oder Fluggesellschaften.                                     sich wandelnden Kundenbedürfnisse ein Grundangebot
                                                             an Mobilitätsdienstleistungen bereitstellen. Dieses Mi-

Abb. 8: Vier Normstrategien für Automobilhersteller

                                                              Integrierter    Vermittler   Selektierer        Minimalist
                                                              Mobilitäts-
                                                              dienstleister

                            Umfang an
                            Aktivitäten in
                            integrierter Mobilität

                            Tiefe der eigenen
                            Wertschöpfung
                            in neuer Mobilität

                                                                                                         Quelle: Bain & Company

                                                                                                                            21
Vom Automobilbauer zum Mobilitätsdienstleister

nimalangebot realisiert er vorwiegend mit Partnern. So        Leasingrate für Fahrzeug und Batterie auch Versiche-
bleiben die Umsetzungsrisiken überschaubar, allerdings        rungen, den Fahrstrom, die Wallbox und Gebühren für
sind auch die Ertragschancen nur minimal. Daneben             ausgewählte Dienste enthalten.
birgt dieses Geschäftsmodell die Gefahr, dass andere,
aktivere Spieler die neuen Geschäftsfelder und damit die      Daneben können in einer weiteren Ausbaustufe des Pa-
Kundenschnittstelle belegen.                                  kets auch die planmäßigen Wartungsarbeiten, eine Mo-
                                                              bilitätsgarantie und sogar der Zugriff auf subventionierte
Beim Aufbau eines integrierten Geschäftsmodells ist also      Mietangebote für Fahrten am Wochenende oder in den
die enge Verzahnung mit dem traditionellen Kernge-            Urlaub enthalten sein. Was davon selbst umgesetzt und
schäft entscheidend. Nach der gleichen Logik ist auch die     was mit einem Partner angeboten wird, ergibt sich aus
Kommerzialisierung und Vermarktung der neuen Ange-            der systematischen, strukturierten und faktenbasierten
bote zu strukturieren. Für die Elektromobilität können        Bewertung der beschriebenen Parameter.
All-Inclusive-Pakete geschnürt werden, die neben einer

6 Konkrete Handlungsempfehlungen für Hersteller

Positionierung: Wichtig für die Automobilhersteller ist es,   Rollout-Planung: Zur Umsetzung des definierten Ge-
bei der Entwicklung der neuen Mobilitätsangebote vorne        schäftsmodells ist ein Phasenplan zu erstellen. Er defi-
mit dabei zu sein. Es gilt, das Unternehmen und die Marke     niert, welche Elemente wann implementiert und welche
rechtzeitig für Mobilitätsdienstleistungen zu positionieren   Regionen mit welcher Priorität erschlossen werden sollen.
und früh durch Pilotprojekte zu lernen. Diesen Schritt        Dabei müssen die verfügbaren Ressourcen des Herstellers
gehen bereits die meisten Hersteller und bauen so ihre        und der Partnerunternehmen realistisch eingeschätzt und
Startposition auf.                                            in der Planung berücksichtigt werden.

Vision: Parallel zu den praktischen Erfahrungen mit neuen     Für die Hersteller eröffnen sich Chancen, signifikante
Technologien und Dienstleistungen braucht jeder Her-          Wachstums- und Ertragspotenziale zu erschließen, wenn
steller eine Mobilitätsvision. Sie definiert, welche Rolle    sie sich die Welt der neuen Mobilität systematisch und
das Unternehmen und seine Marken im neuen Mobili-             faktenbasiert erarbeiten. Neue, innovative Player werden
tätsmarkt spielen wollen. Daneben wird definiert, wie das     in dieser neuen Welt sowohl als Partner der Automobilun-
Kerngeschäft organisatorisch, technologisch und marken-       ternehmen, als auch als Konkurrenten mit pragmatischen
strategisch mit dem neuen Mobilitätsgeschäft verzahnt         und schnellen Lösungen eine wichtige Rolle spielen.
werden soll.
                                                              Insgesamt wird sich der Profit Pool der Automobilindus-
Entwicklung eines integrierten Geschäftsmodells: Eine         trie weiter ausdehnen, so wie es auch beim Übergang von
strukturelle Analyse der Geschäftsfelder, die sich aus der    der analogen zur digitalen Fotografie der Fall war. Wer
neuen Mobilitätsvision ableiten lassen, zeigt, welchen Bei-   sich welchen Anteil langfristig und nachhaltig sichert, wird
trag das Unternehmen selbst leisten kann und welche           bereits heute entschieden.
Kompetenzen und Technologien zugekauft oder durch
Partner erbracht werden müssen.

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