AUSSEN WIRTSCHAFT WIRTSCHAFTSBERICHT ESTLAND
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2 Eine Information des AußenwirtschaftsCenters Riga Wirtschaftsdelegierte Dr. Ingrid Valentini-Wanka T+371 67 35 81 00 E riga@wko.at W wko.at/aussenwirtschaft/ee HEAD OFFICE Dr. Franz Schröder T 05 90 900 4450 E aussenwirtschaft.westeuropa@wko.at fb.com/aussenwirtschaft twitter.com/wko_aw linkedIn.com/company/aussenwirtschaft-austria youtube.com/aussenwirtschaft flickr.com/aussenwirtschaftaustria www.austria-ist-ueberall.at Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die Rechte der Verbreitung, der Vervielfälti- gung, der Übersetzung, des Nachdrucks und die Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere elektronische Verfahren sowie der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, der Wirtschaftskammer Österreich – AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA vorbehalten. Die Wiedergabe mit Quellenangabe ist vorbehaltlich anders lautender Bestimmungen gestattet. Es wird darauf hingewiesen, dass alle Angaben trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung der Wirtschaftskammer Österreich – AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA ausgeschlossen ist. Darüber hinaus ist jede gewerbliche Nutzung dieses Werkes der Wirtschaftskammer Österreich – AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA vorbehalten. © AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA DER WKÖ Offenlegung nach § 25 Mediengesetz i.d.g.F. Herausgeber, Medieninhaber (Verleger) und Hersteller: WIRTSCHAFTSKAMMER ÖSTERREICH / AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA Wiedner Hauptstraße 63, 1045 Wien Redaktion: AUSSENWIRTSCHAFTSCENTER RIGA , T +371 67 35 81 00 E riga@wko.at, W wko.at/aussenwirtschaft/lv Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
3 WIRTSCHAFTSBERICHT Estland (1.Halbjahr 2021) • Starkes BIP-Wachstum im 1. Halbjahr 2021 • Vorkrisenniveau dank Resilienz der estnischen Wirtschaft bereits überschritten • Privatkonsum als Wachstumsmotor wieder in Fahrt • e-Estonia begrüßt Chancen aus „digitaler“ und „grüner“ Recovery-Agenda • Warenhandel mit Österreich trotzt der Pandemie; Dienstleistungsverkehr rückläufig Wirtschaftskennzahlen 2019 2020 Prognose Prognose für 2021 für 2022 Nominales Bruttoinlandsprodukt in Mrd. Euro1 28,112 27,166 29,336 31,351 Bruttoinlandsprodukt/Kopf zu Kaufkraftparität in US-Dollar2 38.878 38.362 41.063 43.820 Bevölkerung in Mio.3 1,3 1,3 1,3 1,3 Reales Wirtschaftswachstum in % 4 4,8 -2,6 5,5 4,2 Inflationsrate in %5 2,3 -0,4 2,4 2,6 Arbeitslosenrate in %6 4,5 6,8 6,6 5,2 Warenexporte des Landes in Mrd. US-Dollar7 14,910 15,161 17,634 18,168 Warenimporte des Landes in Mrd. US-Dollar 15,904 15,293 18,686 19,304 Wirtschaftsleistung des Landes, Weltwertung:8 Rang 100 (Stand 2020) Wirtschaftsbeziehungen mit Österreich 2020 Veränderung 1. Quartal 2021 zum Vorjahr (2019) in % Österreichische Warenexporte in Mio. Euro 186,1 +13,6% 86,6 (+7,3%) Österreichische Warenimporte in Mio. Euro 85,3 +40,2% 34,3 (-13,0%) Österreichische Dienstleistungsexporte in Mio. Euro9 46 -23,3% 10 (-37,5%) Österreichische Dienstleistungsimporte in Mio. Euro10 99 -24,4% 14 (-39,1%) Österreichische Direktinvestitionen11, Stand 2020 (in Euro): 160 Mio. Beschäftigte bei österr. Direktinvestitionen12, Stand 2018: 1.356 Direktinvestitionen aus Estland in Ö13, Stand 2019: k.A. Beschäftigte in Österreich bei Direktinvestitionen aus Estland14 k.A. Stand 2017: Wichtigster Warenexportmarkt für Österreich: 55. Rang (Stand 2020) 1-7 Quelle: Economist Intelligence Unit (Juli 2021) 8Quelle: Weltbank 9-14 Quelle: Österreichische Nationalbank Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
4 • 1. Wirtschaftslage Nur leichtes Minus im Laut estnischer Statistik ging das Bruttoinlandsprodukt Estlands 2020 nach etli- Wirtschaftsjahr 2020 chen starken Wachstumsjahren um -2,6% zurück, während der EU-Durchschnitt bei -6,4% lag. Damit gelang es dem kleinen, krisenerprobten Land, die Folgen der globalen Pandemie mithilfe staatlicher Fördermaßnahmen und dem guten Abschneiden der IT und Finanzbranche, sowie der vergleichsweise schwachen Rezession in den wichtigsten Handelspartner wesentlich besser im Griff zu be- halten als zunächst prognostiziert. Estlands Wirtschaft ist inzwischen auch viel breiter und stabiler aufgestellt als 2009, als der Einbruch des BIP nach der inter- nationalen Finanzkrise 14,1% betrug. Starkes Wachstum im Nachdem das BIP-Wachstum mit -1,2% im 1.Quartal 2021 noch leicht negativ 1. Halbjahr 2021 war, wuchs die estnische Wirtschaft in der ersten Jahreshälfte laut Economist Intelligence Unit (EIU) um 8%. Für das Gesamtjahr 2021 wird ein Wachstum von 5,5% und für 2022 von 4% erwartet. Damit liegt Estland, wie schon vor der Covid- Pandemie im EU-Spitzenfeld. Hohe Dynamik bei In- Auch bei den Investitionen werden starke Zuwächse gemeldet. Im Gegensatz zur vestitionen Wirtschaftsentwicklung stieg das Investitionsvolumen in Forschung und Entwick- lung im Jahr 2020 um 18,4%. Für das Jahr 2021 werden ebenfalls starke Steige- rungen erwartet. Dafür sind vor allem Großinvestitionen der Volkswagen Gruppe in KFZ-Software und IPR-Produktentwicklung bei ihrer 2020 gegründeten Tochter Car Software Estonia AS verantwortlich. Industrieproduktion Die Industrieproduktion war 2020 – insbesondere wegen Fertigungsausfällen in der ersten Pandemiewelle im April/Mai 2020 – um 3% rückläufig. Die Energieer- zeugung war mit -19% besonders stark betroffen. Bei der verarbeitenden Indust- rie konnten nur die Bereiche Holz, Chemie und Pharma Zuwächse erzielen. Für das Gesamtjahr 2021 wird nach einer deutlichen Steigerung im 1. Halbjahr mit ei- nem Zuwachs von 9,4% bei der Industrieproduktion gerechnet. Bauindustrie kehrt auf Das Bauvolumen estnischer Firmen im In- und Ausland sank 2020 um -6%. In Wachstumspfad zu- den ersten beiden Quartalen 2021 konnte, angetrieben durch das starke Wirt- rück schaftswachstum sowie die staatlichen und europäischen Subventionen auch im Bausektor laut estnischem Statistikamt ein deutlicher Zuwachs von 17% erreicht werden. Rückkehr zu höheren Aufgrund des starken Wirtschaftswachstums wird erwartet, dass die Lohnstei- Lohnsteigerungsraten gerung nach der Abschwächung in den Jahren 2020 und 2021 auf unter 3% im nächsten Jahr wieder auf 5% zunimmt. Damit erfolgt eine Rückkehr zu den Lohnsteigerungsraten wie in allen Jahren seit der Finanzkrise. Im Juni 2021 be- trug der estnische Durchschnittsbruttolohn 1.538,- und ist damit weiterhin höher als in den baltischen Nachbarländern Lettland und Litauen. Sinkende Arbeitslosig- Die Erholung der Wirtschaft wird im Jahr 2021 zu einem Rückgang der Arbeitslo- keit 2021 senrate führen, nachdem sie 2020 aufgrund des Covid-bedingten Wirtschaftsein- bruchs auf fast 7% angestiegen ist. Jedoch fiel der Anstieg im Vergleich zur Fi- nanzkrise aufgrund der staatlichen Hilfsmaßnahmen deutlich geringer aus. Estland verzeichnet weiterhin eine niedrigere Arbeitslosenquote als der europäi- sche Durchschnitt. Starke Aufholeffekte Angetrieben von den angehäuften Ersparnissen während der Lockdowns im Jahr beim Privatkonsum im 2020, stieg im ersten Halbjahr 2021 der private Konsum um +12,5% deutlich an 1. Halbjahr 2021 und war neben den Produktions-, Transport- und Technologiesektoren einer der Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
5 größten Wachstumstreiber der estnischen Wirtschaft. Außerdem wird die Re- form des Pensionssystems im 2. Halbjahr 2021 den Privathaushalten zusätzlich eine Milliarde Euro bringen, die die Konsumausgaben zusätzlich fördern werden. Gestiegene Inflation Nach einer Covid-bedingten leichten Deflation von -0,45% im Jahr 2020 soll das im europäischen Preisniveau 2021 um 2,4% ansteigen. Damit korrigierten die Wirtschaftsforscher Trend die Inflationsprognose aus dem ersten Quartal (+1,8%) aufgrund des starken Wirtschaftsaufschwunges deutlich nach oben. Dies folgt auch dem europäischen Trend und hat vor allem mit der gestiegenen Nachfrage von Firmen und Privat- haushalten zu tun. Bedeutung des Außen- Estland ist als kleine Volkswirtschaft extrem stark exportorientiert und -abhän- handels gig: Die Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen erreichen zusammen über 75% des BIP. Transithandel und Transportdienstleistungen spielen dabei eine große Rolle. Daher wirkt sich die Konjunkturlage bei den wichtigsten Partnern in der EU – Finnland, Schweden, Deutschland sowie die baltischen Brüderländer - unmittelbar auf die Wirtschaftsentwicklung Estlands aus. Ergebnis 2020 Das zeigte sich im Pandemiejahr 2020, als laut estnischem Statistikamt die Wa- renexporte um -1% und die Importe um -6% fielen. Im ersten Halbjahr 2021 stie- gen Exporte (+41%) und Importe (49%) deutlich an und beliefen sich alleine im Juni auf einen Wert von 1,5 bzw. 1,7 Milliarden Euro. Damit erhöhte sich auch das Handelsbilanzdefizit um 224 Millionen Euro im Vergleich zu Juni 2020. Orientierung des est- In den letzten Jahren richtete sich der Großteil der estnischen Importe und Ex- nischen Außenhandels porte in die EU-27 (2020: 76% bzw. 66%). Vor allem wegen des Brexit entwickelte sich der Handel mit EU-27 leicht rückläufig (-4%), während er mit Nicht-EU & UK um 7% stieg. Trotz des angespannten politischen Verhältnisses und EU- Sanktionen bleibt Russland ein bedeutender Handelspartner: 2020 lag Russland als Importeur estnischer Waren an 7. Stelle, als Lieferant an 5. Stelle. Wichtige Abnehmer- Die wichtigsten Abnehmerländer für Estlands Exporte waren 2020 laut estni- und Lieferländer scher Statistik Finnland (16 %), Schweden (10 %), Lettland (9%), USA (8%) und Deutschland (6%). Die bedeutendsten Herkunftsländer der estnischen Importe waren Finnland (14%), Deutschland (10%), Lettland (10%), Litauen (9 %), und Russland (8%). Bedeutende Export- Wichtigste Exportprodukte waren laut Statistik Estland 2020 elektrische Ausrüs- und Importwaren- tungen (14,5%), mineralische Produkte (11,7%) sowie Holz- u. Holzwaren gruppen Estlands (10,5%). Bei den Importprodukten lagen ebenfalls elektrische Ausrüstungen (11,5%) und mineralische Produkte (11,2%) an der Spitze, gefolgt von Trans- portausrüstungen (9,4%). Wichtigste Investoren: Ausländische Direktinvestitionen bleiben sehr bedeutender stabilisierender Fak- Schweden und Finn- tor für die estnische Wirtschaft. Der FDI-Bestand 2020 lag mit 28 Mrd. Euro über land dem BIP. Diese Entwicklung wird auch als Erfolg des Steuersystems gewertet (seit 1.1.2000 werden reinvestierte Gewinne nicht besteuert). Die beschränkte Verfügbarkeit von qualifizierten Fachkräften könnte jedoch eine bremsende Wir- kung entfalten. 80% des Bestandes ausländischer Direktinvestitionen in Estland mit Ende 2020 stammen aus den EU-27: Führend sind Schweden und Finnland mit jeweils 21%, danach folgen Luxemburg (10%) und die Niederlande (6%). Die wichtigsten Investitionen wurden im IT-Bereich, dem Banken- und Versiche- rungssektor, in Immobilien, im Groß- und Einzelhandel sowie in der erzeugen- den Industrie getätigt. Angesichts des Trends zur Neustrukturierung von Lieferketten als Folge der Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
6 Corona-Pandemie hofft Estland im Zusammenhang mit „Near-Shoring“ auf zu- sätzliches Investitionsinteresse. Staatsverschuldung Nach einer Staatsverschuldung 2019 von nur 8,4% des Bruttoinlandsproduktes verdoppelt, aber Est- schnellte der Wert im Pandemiejahr 2020 auf 18,2% hinauf. Denn die Regierung land bleibt EU-Klas- reagierte mit weitreichenden Unterstützungs- und Konjunkturförderungspake- senbester ten auf die Covid-Krise und akzeptierte ein Budgetdefizit von knapp 5%. Laut Economist Intelligence Unit (EIU) wird Estland diese Abkehr von seiner traditio- nell vorsichtigen Fiskalpolitik noch ein paar Jahre in Kauf nehmen, aber trotz- dem mit einem maximal erwarteten Schuldenanteil von 25% des BIP die Spitzen- position in der EU behalten. Ausgezeichnetes Ra- Ein wichtiger Indikator dafür, dass sich Estlands Wirtschaft durch Covid nicht vom ting mit guten Aus- richtigen Weg abbringen lässt, ist die Einschätzung der größten Ratingagenturen. sichten Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch bewerten die Staatsfinanzen allesamt mit ausgezeichneten Noten und positivem (Standard & Poor’s) oder stabilem (Moody’s und Fitch) Ausblick. Begründet wird dies mit der stabilen Entwicklung und der hohen Resilienz gegenüber externen Schocks, dem geringen Rückgang des BIP während der Covid-Pandemie, dem starken Wachstum im Jahr 2021 und den er- warteten Impulsen aus dem EU-Recovery-Fonds. • 2. Besondere Entwicklungen Neue Koalition mit Durch das Krisenjahr 2020 führte Regierungschef Jüri Ratas von der mitte-links- weiblicher Premier- stehenden Zentrumspartei in einer Koalition mit der konservativen Partei Isamaa ministerin und der rechtspopulistischen Estnischen Konservativen Volkspartei (EKRE) das Land. Im Jänner 2021 trat Jüri Ratas wegen eines Korruptionsskandals in seiner Partei zurück. Das brachte die Reformpartei, die bei den Wahlen 2019 die meisten Stimmen erzielt hatte, zurück in die Regierung. Die erste weibliche Premierminis- terin Estlands, Kaja Kallas, leitet nun eine Koalition mit der Zentrumspartei. We- gen unterschiedlicher Grundsatzpositionen konzentriert man sich auf gesund- heits- und wirtschaftspolitisches Management der Covid-Pandemie. Politische Beobachter meinen, dass die ideologischen Differenzen in der neuen Koalition stärker zutage treten könnten, sobald die Covid-Krise vorbei ist. Gute Erfahrung mit Estland hat Erfahrung in erfolgreicher Krisenbewältigung: Es konnte die massiven Krisenbewältigung Einbrüche durch die Finanzkrise 2008/2009 gut überwinden und für eine Stärkung seiner wirtschaftlichen Position nutzen. Durch einen rigorosen Sparkurs konnte das Land nicht nur die Staatsverschuldung sehr niedrig halten. Es erreichte auch eine Verbesserung im internationalen Wettbewerb durch Produktivitätssteigerun- gen in den meisten Leitbetrieben, eine Diversifizierung der Produktion und eine Flurbereinigung durch Verschwinden nicht kompetitiver Unternehmen. Aktuelle COVID-Krise: Diese Erfahrung kann Estland beim Überwinden der wirtschaftlichen Folgen der Auswirkungen und Covid-Krise gut brauchen. Denn obwohl die Wirtschaftsindikatoren heute wesent- Maßnahmen lich ausgewogener sind als vor der Finanzkrise, litt die Wirtschaft des kleinen, in- ternational ausgerichteten Landes dennoch stark unter den harten Lockdowns. Auch in Estland sind insbesondere Fremdenverkehr und Transportsektor hart ge- troffen. Wie in Österreich und anderen europäischen Ländern unterstützte die Re- gierung die betroffenen Branchen mit staatlichen Hilfsprogrammen. Situationsangepasster In der Regierungszeit von Jüri Ratas seit 2016 wurde eine schrittweise Abkehr wirtschaftspolitischer vom streng neoliberalen wirtschaftspolitischen Kurs eingeleitet: Ziele waren der Kurs Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
7 Abbau der hohen Einkommensunterschiede, die Stimulation des Wirtschafts- wachstums und das Stoppen der Bevölkerungsabwanderung. Aufgrund der au- ßergewöhnlichen Umstände, die wirtschaftsbelebende Maßnahmen erfordern, dürfte es daran auch nach Rückkehr der mitte-rechtsstehenden Zentrumspartei in die Regierung vorerst keine deutlichen Kurskorrekturen geben. Außerdem be- steht ein breiter Konsens unter den wichtigsten Akteuren in der estnischen Par- teienlandschaft, dass die unternehmerfreundliche und prowestliche NATO und EU-Linie beibehalten wird. Steigerung der Pro- Estland hat vor allem im Bereich der Produktivitätszuwächse noch einige Ent- duktivität und F&E- wicklungsschritte vor sich. Die Arbeitsproduktivität liegt in den wichtigsten ex- Quote als aktuelle portorientierten Industrien deutlich unter den Vorbildländern Schweden und Finn- Herausforderungen land. Ein Ziel der Regierung ist es deshalb die F&E Quote weiter zu erhöhen. Diese lag im Jahr 2019 bei 1,6% des BIP und damit noch deutlich unter dem euro- päischen Durchschnitt von 2,2% und weit hinter den EU-Spitzenreitern, Öster- reich, Schweden und Deutschland, die über 3% des BIPs für Forschung und Ent- wicklung aufwendeten. Erste Erfolge bei Auch Estland hatte stark mit der im Baltikum typischen Abwanderung zu kämp- demographischen fen: Die Bevölkerung ging seit 1990 um rund 15% zurück. Obwohl Estland als ers- Trends tes Baltenland ab 2016 eine Trendumkehr erreichte, bleiben demographische Fragen weiterhin ein Thema. Eine höhere Zahl von Einwanderern im Vergleich zu Auswanderern ist ein wichtiges Signal für den Arbeitsmarkt und das Wachstum. Um in diesem Zusammenhang Anreize zu schaffen sowie gleichzeitig die Produk- tivität des weiterhin begrenzten Arbeitskräfteangebotes zu stärken und damit die Konkurrenzfähigkeit zu erhalten, sind Investitionen in Ausbildung und Humanka- pital wichtig. Wirtschaftsstandort Daher ist es ein wichtiges Ziel der Regierung, Rahmenbedingungen dafür zu Estland mit Fokus schaffen, dass Estland attraktiv für hochqualifizierte Arbeitskräfte im Produkti- auf „e-Estonia“ ons-, Dienstleistungs- und IT-Bereich ist und sich damit von der ohnehin zuneh- mend geringer werdenden Billiglohnproduktion weiter distanziert. Dabei punktet das hochvernetzte Land mit dem geschickt vermarkteten Eigennamen „e-Esto- nia“: Mittlerweile hat das kleine Land 7 Unicorns hervorgebracht, allen voran Skype (der Internettelefondienstleister stammt aus Estland). Rund um solche Leitbetriebe hat sich ein dynamisches Netzwerk von Start-ups und Spin-offs ent- wickelt. Die hohe digitale Kompetenz des Landes hat auch die Umstellung auf e- school und home-office während der Pandemie wesentlich erleichtert. Estland ist dabei seinem Ruf als Hochburg des e-government gerecht geworden. Gute Positionen in Bei der Positionierung als wettbewerbsfähiges, innovatives Land ist Estland durch- internationalen Ran- aus erfolgreich unterwegs – nicht nur im Vergleich zu seinen baltischen Nachbarn. kings Beim Global Competitiveness Index 2021 Ranking des World Economic Forum lan- dete Estland unter 140 Staaten an 26. Stelle und machte damit weitere Plätze gut. Im Global Innovation Index 2020 Ranking von Cornell/Insead/WIPO rangiert Estland auf Platz 25 von 131 bewerteten Staaten. Auf europäischer Ebene schafft Estland es im Digital Economy & Society Index 2020 auf den 7. Rang: während beim Digitali- sierungsgrad der Wirtschaft mit Platz 14 noch Aufholbedarf besteht, liegt Estland im Bereich „digitale öffentliche Services“ EU-weit in Führung. Im EU Innovation Scoreboard 2020 rangiert Estland mit Platz 11 wie Österreich in der Gruppe der „Strong Innovators“. Komplexes Verhältnis Das Verhältnis zum russischen Nachbarn ist in den letzten Jahren angespannt. zu Russland Der russischsprachige Bevölkerungsanteil von ca. 25% erhöht die Komplexität. Estland hat die EU-Sanktionen gegenüber Russland unterstützt. Da estnische Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
8 Unternehmen jedoch häufig nicht als Produzenten, sondern als Transithändler in- volviert sind, blieb die volkswirtschaftliche Auswirkung der Maßnahmen relativ gering. In der Energiepolitik trachtet Estland nach einer Verminderung der Ab- hängigkeit von Russland. Das Exportvolumen betrug im Jahr 2020 mit rund 1,2 Mrd. Euro lediglich 8% der gesamten estnischen Exporte von ca. 15 Mrd. Euro. Nutzung der EU- Wie in allen baltischen Republiken ist die Nutzung der Mittel aus den EU-Struk- Strukturfonds 2021- tur- und Investitionsfonds weiterhin entscheidend für die positive wirtschaftliche 2027 und des Next Ge- Entwicklung. In der Förderperiode 2021-2027 stehen Estland alleine aus den Teil- neration-EU Fonds… bereichen Kohäsion und Entwicklung des ländlichen Raumes 5,3 Mrd. Euro zur Verfügung. Hinzu kommen noch rund 1,6 Mrd. Euro an Zuschüssen aus den ein- zelnen Teilfonds des NextGenerationEU-Fonds plus Kredite in derselben Höhe, die im Zuge des europäischen Wiederaufbauprogrammes ausbezahlt werden. In Abstimmung mit den EU-Zielsetzungen werden diese Gelder vor allem für nach- haltige Energieerzeugung und Infrastruktur, Ausbildung und Digitalisierung ver- wendet. … zur Erreichung der Die finanziellen Mittel aus den Kohäsions-, Aufbau- und Entwicklungsfonds der Entwicklungsziele EU sollen auch zum Erreichen der nationalen Strategie „Estonia 2035“ beitragen. Darin schrieb die estnische Regierung im Herbst 2020 die Ziele für die nächsten 15 Jahre fest. Diese sollen eine Anleitung für den Umgang mit den wichtigsten Herausforderungen der nächsten Jahre – Klimawandel, Abwanderung, etc. – sein. Finanzierung von Eines der größten Infrastrukturvorhaben, das in den baltischen Staaten jemals Großprojekten umgesetzt wurde ist das Rail Baltica-Eisenbahnprojekt mit einem Volumen von 5,8 Mrd. Euro. Dieses soll ab 2026 Tallinn und Warschau mit einer Hochgeschwin- digkeitsstrecke verbinden und das Baltikum in das europäische Eisenbahnnetz in- tegrieren. Bei diesem Bauvorhaben liegt der EU-Förderanteil bei 85%. Auch die geplante Synchronisierung der Stromnetze der baltischen Staaten mit dem kontinentaleuropäischen System, das die angestrebte Abkopplung vom rus- sischen Netz ermöglichen soll, bedarf europäischer Fördermittel. Ein neues weiteres Großvorhaben ist der geplante Bau eines Zentralkrankenhau- ses in Tallinn mit Projektvolumen von 520 Mio. Euro. Selbstbewusster Blick Estland orientiert sich bei seinen Zukunftsplänen stark an seinen skandinavischen Richtung Norden Nachbarn Finnland und Schweden. Seit 2000 konnte es schrittweise zu den nördli- chen Nachbarn aufschließen. Während Estland damals nur 40% des durchschnittli- chen BIP pro Kopfs in der EU erreichte, waren es 2019 bereits 80%. Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
9 • 3. Wirtschaftsbeziehungen mit Österreich Warenaustausch Das österreichische Handelsvolumen mit Estland konnte 2020 ungeachtet der wächst trotz Covid- Auswirkungen der Pandemie auf die globalen Handelsströme ausgebaut werden. Krise Es erreichte laut Zahlen der Statistik Austria 186,1 Mio. Euro (+13,6%) bei den Ex- porten und 85,2 Mio. Euro (+40,2%) bei den Importen. Im ersten Halbjahr 2021 gin- gen die Importe aus Estland zwar um -13,0% auf 43,5 Mio. Euro zurück, die öster- reichischen Exporte nach Estland legten jedoch um 11,8% auf 104,4 Mio. Euro zu. Dank der starken Entwicklung der letzten Jahre rangiert Estland als Handels- partner in beiden Richtungen vor seinem größeren Nachbarn Lettland. Statistischer Einfluss Die Zahlen schwanken allerdings immer wieder stark. Dies ist auf das An- und größerer Einzelliefe- Auslaufen einzelner Großaufträge zurückzuführen, die angesichts des überschau- rungen baren Handelsvolumens unmittelbare statistische Auswirkungen haben. So sind die Importe von Mineralölprodukten aus Estland von unter 1 Mio. Euro im Jahr 2019 auf 18,5 Mio. Euro im Jahr 2020 angestiegen, im ersten Halbjahr 2021 fielen sie wieder auf 380 Mio. Euro zurück. Exportseitig wirken sich vor allem die star- ken Schwankungen bei den bedeutenden Lieferungen von estnischen Eurocent- Münzen, die von der Münze Austria geprägt werden, aus. Langfristig Erfolgs- Längerfristig betrachtet hat sich der bilaterale Warenhandel zwischen Estland bilanz in beiden Rich- und Österreich sehr dynamisch entwickelt. Seit 1995 hat sich das Handelsvolu- tungen men vervielfacht, wobei vor allem der estnische EU-Beitritt im Jahr 2004 zur In- tensivierung des Warenaustausches beitrug. Nach einem Einbruch durch die Fi- nanzkrise 2008 ist das Handelsvolumen in den vergangenen Jahren das Handels- volumen wieder stark gewachsen. Das starke österreichische Handelsbilanzakti- vum ist dabei erhalten geblieben, aber das Ungleichgewicht wurde gesenkt Wichtigste Handels- Die bedeutendsten Exportprodukte im ersten Halbjahr 2021 waren Münzen (19 Mio. waren Euro), Kessel und mechanische Geräte (14 Mio. Euro), Pharmazeutische Erzeug- nisse (13 Mio. Euro), Kraftfahrzeuge (11 Mio. Euro) und elektrische Maschinen (11 Mio. Euro). Holz und Holzwaren (8 Mio. Euro), Möbel und andere Einrichtungsge- genstände (6 Mio. Euro) und Kraftfahrzeuge (5 Mio. Euro) gehörten im 1. Halbjahr 2021 zu den wichtigsten Importprodukten. ( Rückgang des Dienst- Im Gegensatz zum Warenverkehr erzielt Estland einen deutlichen Dienstleis- leistungsverkehrs tungsüberschuss mit Österreich. Nach einem Boomjahr 2019 in beiden Richtun- aufgrund Covid gen (+46,2% und +69,7%) war der Dienstleistungsverkehr 2020 allerdings, groß- teils Covid-bedingt, stark rückläufig: Laut Statistik Austria verringerten sich die österreichischen Dienstleistungsexporte um -23,3% auf 46 Mio. Euro und die ös- terreichischen Dienstleistungsimporte um -24,4% auf 99 Mio. Euro. Dieser Trend setzte sich im ersten Quartal 2021 zunächst noch fort. Ausfuhrseitig liegen nun- mehr unternehmensbezogene Dienstleistungen an der Spitze, gefolgt von Reise- verkehr. Importseitig dominiert der Transportbereich. Interessanter Stand- Bei den österreichischen Direktinvestitionen gilt Estland weiterhin als das attrak- ort für Direktinvestiti- tivste Zielland im Baltikum. In den letzten Jahren standen vor allem Aufrüstungen onen in bestehende Werke im Vordergrund. Sie konzentrieren sich auf Zellstoffproduk- tion, Kunststoffindustrie, Baumaterialien und Milchwirtschaft. In der Versiche- rungsbranche haben österreichische FDIs Marktführerschaft erreicht. Die offiziellen Zahlen der österreichischen Nationalbank zeigen allerdings seit Än- derung ihrer Bewertungsmethoden stark verminderte Bestandswerte: Für 2016 Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
10 wurden die Zahlen z.B. von 369 Mio. Euro rückwirkend auf 234 Mio. Euro redu- ziert. In der jüngsten Auswertung für 2020 wird nur mehr ein Investitionsbestand von 160 Mio. Euro genannt. Unsere Schätzungen liegen jedoch weit höher. Das wird auch durch die estni- schen Statistiken bestätigt, die Ende 2020 von einem österreichischen FDI-Be- stand in Estland in Höhe von 378 Mio. Euro ausgehen. Marktchancen in zahl- Besonders interessant sind die Sektoren (Transport-)Infrastruktur, Gesundheit, reichen Sektoren innovative/smarte/urbane Technologien, IT & Telekommunikation, Umwelttechno- logie, Erneuerbare Energie und „Green Building“. Investitionen in Industrieauto- mation und Smart Factories zur Produktivitätssteigerung bieten sehr gute Liefer- chancen. Bei vielen Projekten besteht die Möglichkeit einer Finanzierung mit Hilfe von EU-Förderungen und Geldern aus dem Next Generation EU-Fonds. Daneben eröffnen sich dank der rasch gestiegenen Kaufkraft auch gute Absatz- möglichkeiten im Konsumgüterbereich. Nach einem Covid-geschwächten Jahr 2020 stieg der private Konsum im 1. Halbjahr 2021 wieder kräftig an. Die junge und dynamische Start-up-Szene in Estland mit ihrem hohen Niveau bei der Digitalisierung bietet sich für die Suche nach „Open Innovation“-Kooperati- ons- und Entwicklungspartnern an. Umgekehrt ist die Durchdringung mit digita- len Lösungen in einigen traditionellen Sektoren nur durchschnittlich, was zu Lie- ferchancen für österreichische Unternehmen führen kann. AußenwirtschaftsCen- Zusammen mit unserem Außenwirtschaftsbüro Tallinn unterstützen wir Sie bei der ter Riga/AB Tallinn für Verfolgung Ihrer Geschäftsziele in Estland – egal ob bei der Marktanalyse/-infor- Sie da mation, der Partnersuche oder der Intervention in Sonderfällen. An die individuel- len Bedürfnisse angepasst beraten wir Sie bei Ihren Projekten und Geschäftsrei- sen. Daneben organisieren wir regelmäßig Fachveranstaltungen in den baltischen Wachstumsmärkten. Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
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