"Barmherzigkeit ändert die Welt" Papst Franziskus - ein Hoffnungsträger

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„Barmherzigkeit ändert die Welt“
Papst Franziskus – ein Hoffnungsträger
Prof. Dr. Heino Sonnemans

1. Franziskus: der Name als Programm

Noch bevor der eben gewählte Papst die Loggia der Petersbasilika betritt, lässt die Wahl seines
Namens aufhorchen: Franziskus. Dieser Name ist sein Programm.
In der Basilika des hl. Franziskus zu Assisi gibt es einen Bilderzyklus von Giotto, der das Leben des
Heiligen darstellt. Darunter ist ein Fresko mit dem Traum von Papst Innozenz III. (1198–1216):
Der Papst auf seiner Bettstatt sieht einen mit einer braunen Kutte bekleideten Bettelmönch, der
mit seinen Schultern die Lateranbasilika, die Bischofskirche des Papstes, vor dem Einsturz rettet.
Dieses Bild fasst zwei Aspekte zusammen: einmal die Notwendigkeit einer Erneuerung der Kirche,
zum anderen, dass dies durch die Bestätigung der Regel geschehen werde, um welche Franziskus
in Rom nachsuchen wollte. Denn der Papst erkennt in Franziskus jenen Bettelmönch wieder, den
er im Traum erblickt hatte. Erneuerung der Kirche durch ein Lebens auf dem Weg des Evangeliums
und Verzicht auf Reichtum.
Erstmalig in der Geschichte von 265 Päpsten trägt einer den Namen des heiligen Franz von Assisi,
der auch „il Poverello“, der kleine Arme heißt. Nomen est omen! In den Tagen danach wird der
Papst die Wahl seines Namens erläutern als Option für die Armen und eine arme Kirche. An die
Medienvertreter gerichtet sagt er am 16. März: „Vergiss die Armen nicht!“ So habe ihm Kard.
Hummes, em. Erzbischof von Sao Paolo, gesagt, der beim Wahlakt neben ihm saß, als erkennbar
wurde, dass die Wahl auf ihn fiele. „Dann sofort habe ich in Bezug auf die Armen an Franz von Assisi
gedacht. […] Und Franziskus ist der Mann des Friedens. So ist mir der Name ins Herz gedrungen:
Franz von Assisi. Er ist für mich der Mann der Armut, der Mann des Friedens, der Mann, der die
Schöpfung liebt und bewahrt. [...] Ach, wie möchte ich eine arme Kirche für die Armen!“1

2. Der erste Auftritt: eine Visitenkarte

Auf dem Mittelbalkon der Peterskirche erscheint der Papst in weißem Gewand, aber ohne andere
Zeichen päpstlicher Würde: ohne Mozetta, den rotsamtenen Schulterumhang, der auch mit

1       Papst Franziskus, „Und jetzt beginnen wir diesen Weg“. Die ersten Botschaften des Pontifikats.
Freiburg 2013 (= Weg), alle Zitate S. 30f.

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kostbarem Hermelin eingefasst sein kann, ohne die kostbare Stola mit päpstlichen Insignien wie
Tiara oder gekreuzten Schlüsseln und ohne ein wertvolles Brustkreuz. Er trägt jenes silberfarbene
Kreuz, das er auch schon als Bischof benutzt hat. Darauf ist der gute Hirte mit seiner Herde
erkennbar, ein Lamm auf den Schultern. Der Bischof und das Volk sind geeint im Blick auf Jesus
Christus, den guten Hirten seiner Kirche. Deutliche Zeichen, noch ehe Worte gesprochen werden.

„Brüder und Schwestern! Guten Abend!“ Eine Begrüßung zuerst. Dann etwas ganz
Außergewöhnliches: Der Papst betet mit der auf dem Platz versammelten Menge für seinen
Vorgänger, „unseren emeritierten Bischof Benedikt XVI.“, ein Vaterunser und Ave Maria.
„Und jetzt beginnen wir diesen Weg – Bischof und Volk –, den Weg der Kirche von Rom, die den
Vorsitz in der Liebe führt gegenüber allen Kirchen; einen Weg der Brüderlichkeit, der Liebe, des
gegenseitigen Vertrauens.“
Auffallend bleibt die Betonung des Amtes als Bischof von Rom, ohne dass das Wort Papst an
diesem Abend gebraucht wird. Aufgabe des Konklaves sei es gewesen, „Rom einen Bischof zu
geben“, und dazu seien die „Mitbrüder, die Kardinäle fast bis an das Ende der Welt gegangen, um
ihn zu holen. […] Die Diözese Rom hat nun ihren Bischof. Danke.“
Doch wird zugleich der Vorsitz betont, den die Kirche von Rom gegenüber allen anderen Kirchen
führt, allerdings einen Vorsitz in der Liebe! Dieses Wort stammt von dem hl. Martyrerbischof
Ignatius von Antiochien (ca. 60–115), nach welchem der Ordensgründer der Jesuiten, der hl.
Ignatius von Loyola, benannt ist.
Bevor er dann den Segen „Urbi et Orbi“ spendet, bittet er um „einen Gefallen. Ehe der Bischof das
Volk segnet, bitte ich euch, den Herrn anzurufen, dass er mich segne: das Gebet des Volkes, das
um den Segen für seinen Bischof betet. In Stille wollen wir euer Gebet für mich halten.“
Auch die Geste des Papstes ist unvergesslich: Tief gebeugt vor dem Segen Gottes, den das Volk
für ihn erbittet, steht er da: einer, der zuerst Segen für seinen Dienst erbittet und dann selber den
Segen spendet.

Hier spürten wohl alle, die Menschen auf dem Petersplatz ebenso wie jene an den Fernsehern,
dass sie Zeugen eines einzigartigen Ereignisses wurden. Das alles war so ungewohnt und neu,
zugleich so authentisch und glaubwürdig, dass die Stille hörbar wurde.
 „In meiner Erinnerung hat sich jenes eindrucksvolle Bild des freudig betenden Volkes eingeprägt,
und ich möchte allen aufrichtig danken […] für ihre so berührende und begeisternde geistliche
Anteilnahme“, sagt er zwei Tage später in einer Audienz für die Kardinäle2 (Sala Clementina, 15.
März 2013).

Zum Segen für die Stadt Rom und den Erdkreis – „für die ganze Welt, damit ein großes Miteinander
herrsche“, war zuvor auch gebetet worden – ließ sich der Papst die kostbare Stola reichen, die er
danach sofort wieder ablegte. Die liturgische Stola nur für liturgische Handlungen, – so lautet die
Botschaft.
Zum Abschied sagt er: „Betet für mich und bis bald!“ Er will am nächsten Morgen die Basilika
Santa Maria Maggiore aufsuchen, um zu beten, und bringt einen Blumenstrauß mit, den er beim
2       Papst Franziskus, Weg, 20.

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von den Römern hochverehrten Bild der Maria, Heil des römischen Volkes, niederlegt. Dann noch:
„Gute Nacht und angenehme Ruhe!“

Es ist ein Abend voller Zeichen, die Botschaften enthielten, angefangen beim Namen Franziskus
über die Art und Weise seines schlichten und natürlichen Auftretens bis hin zu spirituellen wie
theologischen Komponenten eines Miteinander von Bischof und Volk, eines Bischofs von Rom, der
seinen Dienst auch als einen für die ganze Welt versteht.

3. „Und jetzt beginnen wir diesen Weg!“

Die Option für die Armen und für eine arme Kirche steht ganz am Anfang seiner Botschaften. Sie
ist ja schon in der Wahl des Namens enthalten – Franz von Assisi: „Er träumte von einer armen
Kirche, die sich um die anderen kümmern würde, ohne an sich selbst zu denken. Seither sind 800
Jahre vergangen, und die Zeiten haben sich sehr geändert, aber das Ideal einer missionarischen
und armen Kirche bleibt mehr als gültig. Dies ist ja die Kirche, die Jesus und seine Jünger gepredigt
haben. [...] Ich bin natürlich nicht Franz von Assisi, und ich habe weder seine Kraft noch seine
Heiligkeit. Aber ich bin der Bischof von Rom und der Papst der katholischen Welt.“3 Daraus spricht
bescheidene Entschlossenheit für den eingeschlagenen Weg der Erneuerung seit Beginn des
Pontifikates.

Eine missionarische und arme Kirche für die Armen

„Die materielle wie die geistliche Armut bekämpfen, Frieden schaffen und Brücken bauen – das
sind gleichsam die Bezugspunkte eines Weges, den mitzugehen ich jedes der Länder, die Sie
vertreten, einlade.“4 So vor dem Diplomatischen Korps am 22. März. Diese Einladung ergeht an
alle Menschen guten Willens.
Seine Wohnung nimmt er nicht im Apostolischen Palast, sondern er bleibt im Gästehaus Santa
Marta, wo er zusammen mit den anderen Kardinälen während des Konklaves wohnte. Der
Chefredakteur, der das Interview führte und ein Mitlied des Jesuitenordens ist, beschreibt des
Raum so: „Das Ambiente ist einfach, ja karg. Der Arbeitsplatz am Schreibtisch ist sehr schlicht.
Ich bin betroffen von der Schlichtheit der Ausstattung.“5 Der Papst erläutert seine Wahl so: „Das
päpstliche Appartement im Apostolischen Palast ist nicht luxuriös. Es ist alt, geschmackvoll
eingerichtet und groß, nicht luxuriös. Aber letztendlich gleicht es einem umgekehrten Trichter.
Es ist groß und geräumig, aber der Eingang ist wirklich schmal. Man tritt tropfenweise ein. Das
ist nichts für mich. Ohne Menschen kann ich nicht leben. Ich muss mein Leben zusammen mit
anderen leben.6“

3         Papst Franziskus – Interview mit Eugenio Scalfari, 24. September 2013, veröffentlicht in „La
Repubblica“ am 1. Oktober 2013, bei http://de.radiovaticana.va (Auszüge) in deren eigener Übersetzung
(= Interview Scalfari).
4        Papst Franziskus, Weg, 57.
5        Papst Franziskus – Interview mit Antonio Spadaro: Buchfassung, hrsg. von Andreas R. Batlogg SJ.
Freiburg 2013 (= Interview Spadaro), 24.
6        Interview Spadaro, 30f.

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Nähe zu den Menschen, Verbundenheit von Bischof und Volk erscheinen als das Lebenselixier des
Papstes, eines Lebens für eine missionarische und arme Kirche, „die neue Wege findet, die fähig
ist, aus sich heraus und zu denen zu gehen, die nicht zu ihr kommen, die ganz weggegangen oder
die gleichgültig sind.7“

Schon während der Beratungen vor dem Konklave hatte Kard. Bergoglio erklärt: „Es gibt zwei
Kirchenbilder: die verkündende Kirche, die aus sich hinausgeht, die das ‚Wort Gottes ehrfürchtig
vernimmt und getreu verkündet’; und die mondäne Kirche, die in sich, von sich und für sich lebt.
Dies muss ein Licht auf die möglichen Veränderungen und Reformen werfen, die nötig sind für
die Rettung der Seelen.“8 Das Wort von der mondänen Kirche stammt von Henri de Lubac SJ und
meint eine spirituelle Mondänität, eine Geisteshaltung, welche auch als Narzissmus geistlicher
Art angesehen werden kann. Dagegen steht jenes Kirchenverständnis, welches ein Herausgehen
fordert an die Randzonen der Gesellschaft. Dabei wird ganz klar ausgesprochen, dass die
wichtigste Reform die der inneren Einstellung, die des lebendigen Glaubens ist, und alle anderen
organisatorischen und strukturellen Reformen erst danach kommen: „Die erste Reform muss die
der Einstellung sein.“9
Eine Kirche, die nicht aus sich herausgehe, kreise um sich selbst und werde krank. Das bringt
auch Risiken mit sich. „Wenn ein Christ auf die Straßen hinausgeht, an die Peripherien, kann mit
ihm das geschehen, was manchem passiert, der auf der Straße unterwegs ist: ein Unfall […]. Aber
ich sage euch: Mir ist eine verunfallte Kirche tausendmal lieber und nicht eine kranke Kirche!“10
Herausgehen, missionarisch sein, den Weg des Evangeliums gehen, lautet das Programm.
So hat der Papst am Gründonnerstag in einem Jugendgefängnis zwölf inhaftierten jungen Leuten
die Füße gewaschen und die Bedeutung dieses Zeichens so erklärt: „Als Priester und Bischof muss
ich euch zu Diensten sein.“ Auch sie sollten darauf achten, wie sie anderen helfen und beistehen
könnten.

Wunden heilen und Herzen wärmen

Herausgehen zu denen, die am Rande leben, auch am Rande des eigenen Lebens in sozialer
und geistlicher Hinsicht! Das blieben nicht nur Worte, ihnen folgten auch Tat-Zeichen: so eine
kurzfristig arrangierte Reise nach Lampedusa am 8. Juli, um die Flüchtlinge zu trösten und auch für
die verunglückten Toten zu beten, zu deren Gedenken er einen Kranz Blumen ins Meer warf. Das
sind nicht nur Zeichen der Solidarität mit Flüchtlingen, sondern auch ein Appell an das Gewissen
der Staaten Europas. Bei der Audienz für den Präsidenten des Europäischen Parlamentes, Herrn
Martin Schulz, am 11. Oktober 2013, wird es sicher auch um diese Frage gegangen sein. Am 18.
Oktober veröffentlichte die deutsche Ausgabe des Osservatore Romano, dass Papst Franziskus
1600 Telefonkarten für die Flüchtlinge auf Lampedusa gespendet habe, damit sie in Kontakt mit
ihren Verwandten in der Heimat bleiben könnten. Ferner sei von Spendengeldern aus dem Vatikan
7       Interview Spadaro, 49.
8       Bei Michael Hesemann, Papst Franziskus. Das Vermächtnis Benedikts XVI. und die Zukunft der
Kirche. München 2013, 27.
9       Interview Spadaro, 48.
10      ORd, Nr. 41, 11. Oktober 2013, S. 10, Ansprache vor dem Internationalen Kongress der
Katechisten.

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ein Spielezelt für die Kinder im Flüchtlingslager übergeben worden (vgl. ORd, Nr. 42, S.4).

„Ich sehe ganz klar, dass das, was die Kirche heute braucht, die Fähigkeit ist, Wunden zu heilen
und die Herzen der Menschen zu wärmen – Nähe und Verbundenheit. Ich sehe die Kirche wie ein
Feldlazarett nach einer Schlacht. Man muss einen Schwerverwundeten nicht nach Cholesterin oder
nach hohem Zucker fragen. Man muss die Wunden heilen. Dann können wir von allem anderen
sprechen. Die Wunden heilen. Die Wunden heilen. Man muss ganz unten anfangen.“11
Das Eintreten für die Armen gehört hier zum Kirchenverständnis, es geht keineswegs „nur“ um
ein soziales Engagement. Kirche Jesu Christi soll vielmehr daran erkennbar werden, dass sie aus
sich herausgeht bis an die Randzonen der Gesellschaft, dass sie wie der barmherzige Samariter
handelt.

Geistliche Armut unserer Tage

Wenn der Papst von Armut spricht, geht es nicht alleine um soziale Armut, nicht weniger dringlich
ist die „geistliche Armut unserer Tage“: „Es ist das, was mein Vorgänger, der liebe und verehrte
Benedikt XVI., ‚Diktatur des Relativismus’ nennt und was jeden sein eigener Maßstab sein lässt
und so das Zusammenleben unter den Menschen gefährdet.“12
Es geht darum, in einer säkularen Welt „den Durst nach dem Absoluten lebendig zu halten“13,
die „Offenheit für die Transzendenz zu bezeugen, die dem Menschen ins Herz gelegt ist“. Auch
die geistliche Armut gehört zu den Peripherien, an die die Kirche gehen muss. „Gott geht uns
immer voraus. Wenn wir meinen, weit weg zu gehen, an die äußerste Peripherie, und uns ein
wenig fürchten, ist er in Wirklichkeit schon dort. Jesus erwartet uns im Herzen des Bruders, in
seinem verwundeten Leib, in seinem unterdrückten Leben, in seiner Seele ohne Glauben. Aber
wisst ihr, welche der Peripherien, die ich in meiner früheren Diözese gesehen habe, mir so sehr
weh tut, dass ich Schmerz darüber verspüre? Dies sind die Kinder, die nicht das Kreuzzeichen
machen können. In Buenos Aires gibt es viele Kinder, die nicht das Kreuzzeichen machen können.
Das ist eine Peripherie! Dorthin muss man gehen! Und Jesus ist dort, er erwartet dich, um dem
Kind dort zu helfen, das Kreuzzeichen zu machen. Er geht uns immer voraus.“14 Die Weitergabe
des Glaubens wird für die Zukunft der Kirche entscheidend. Aber die Neuevangelisierung bleibt
gebunden an konkrete soziale Forderungen. Das hier gezeigte Verständnis von Kirche sieht den
ganzen Menschen: den verwundeten Leib, das unterdrückte Leben und die Seele ohne Glauben.

Barmherzigkeit ändert die Welt

Für den Weg des Evangeliums empfiehlt Papst Franziskus seit den ersten Tagen des Pontifikates
immer wieder die Barmherzigkeit: „Und die Botschaft Jesu ist diese: Barmherzigkeit. Für mich –
ich sage das in aller Bescheidenheit – ist das die stärkste Botschaft des Herrn: die Barmherzigkeit.
[...] Der Herr wird niemals müde zu verzeihen: niemals! Wir sind es, die müde werden, ihn um
11      Interview Spadaro, 47f.
12      Papst Franziskus, Weg, 55, Ansprache an das Diplomatische Korps, 22. März 2013.
13      Papst Franziskus, Weg, 51, ebenda folgendes Zitat S. 52.
14      ORd, Nr. 41, 11. Oktober 2013, S. 10.

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Vergebung zu bitten!“15 Daraus folgt, wie er an Ostern sagt, dass wir selber „zu Werkzeugen
der Barmherzigkeit“ werden sollen, „dass die Macht seiner Liebe auch unser Leben umwandle;
und wir werden zu Werkzeugen dieser Barmherzigkeit, zu Kanälen, durch welche Gott die Erde
bewässern, die ganze Schöpfung behüten sowie Gerechtigkeit und Frieden erblühen lassen kann.“
Barmherzigkeit „ändert die Welt. Ein wenig Barmherzigkeit macht die Welt weniger kalt und viel
gerechter. […] Schön ist das, das mit der Barmherzigkeit.“16

Zeitdiagnose: Diese Welt hat keine Zukunft

„Die schlimmsten Übel, die die Welt in diesen Jahren heimsuchen, sind die Jugendarbeitslosigkeit
und die Einsamkeit, der man die Alten überlässt. Die alten Menschen brauchen Pflege und
Gesellschaft, die jungen brauchen Arbeit und Hoffnung, doch sie haben weder das eine noch das
andere und suchen deshalb noch nicht einmal mehr danach. [...] Kann man so weitermachen?
Das ist aus meiner Sicht das dringendste Problem, das die Kirche vor sich sieht. Diese Situation
verletzt nämlich nicht nur die Körper, sondern auch die Seelen. Und für beides muss sich die Kirche
verantwortlich fühlen.“17
Über die Gründe, die dazu führten, kann man leicht Aufschluss erhalten im Text einer freien Rede,
die Papst Franziskus – statt der vorbereiteten – in Cagliari am 22. September gehalten hat:
„Gott hat gewollt, dass im Mittelpunkt der Welt nicht ein Götze steht, sondern der Mensch, Mann
und Frau, die mit der eigenen Arbeit die Welt voranbringen. Aber jetzt, in diesem System ohne Ethik,
steht ein Götze im Zentrum, und die Welt ist zum Götzendiener dieses Gottes ‚Geld’ geworden. Das
Geld regiert! Das Geld regiert! Es regieren alle diese Dinge, die ihm dienen, diesem Götzen. Und
was geschieht? Um diesen Götzen zu verteidigen, drängen sich alle im Zentrum zusammen und die
an den äußeren Rändern fallen heraus, die Alten fallen, weil es in dieser Welt keinen Platz für sie
gibt! Einige sprechen von dieser Gewohnheit einer ‚versteckten Euthanasie’, sie nicht zu pflegen,
sich nicht um sie zu kümmern [...].
Und es fallen die jungen Menschen, die keine Arbeit finden und damit auch nicht ihre Würde.
Aber denkt einmal, in einer Welt, in der die jungen Menschen – zwei Generationen von jungen
Menschen – keine Arbeit haben. Diese Welt hat keine Zukunft. Warum? Weil sie keine Würde
haben. [...]“
„Arbeit, das heißt Würde, Arbeit, das heißt, Brot nach Hause bringen, Arbeit, das heißt lieben!
Um dieses götzendienerisches Wirtschaftssystem zu verteidigen, führt man die ‚Wegwerf-Kultur’,
die Kultur der Ausgrenzung ein: Die Großeltern und die Jugendlichen werden ausgegrenzt. Und
wir müssen ‚Nein’ sagen zu dieser Kultur des Ausgrenzung. Wir müssen sagen: ‚Wir wollen ein
gerechtes System! Ein System, das uns alle vorwärts gehen lässt.’ Wir müssen sagen: ‚Wir wollen
dieses globalisierte Wirtschaftssystem nicht, das uns sehr schadet!’“18
In der vorbereiteten Ansprache wird Bezug genommen auf den Besuch Benedikts XVI. im Jahr
2008, als er sagte, es sei notwendig, „die Welt der Arbeit, der Wirtschaft und der Politik zu

15       Papst Franziskus, Weg, 34f.
16       Papst Franziskus, Weg, 37.
17       Interview Scalfari.
18      ORd, Nr. 39, 27. September 2013, S. 7, Ansprache in Cagliari/Sardinien am 22. September
bei der Begegnung mit Vertretern aus der Welt der Arbeit.

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evangelisieren, die eine neue Generation von engagierten christlichen Laien braucht, die fähig
sind, mit Sachverstand und moralischer Strenge Lösungen für eine tragfähige Entwicklung zu
finden“19.

Bekehrung zu Gott

 „Wir alle wissen, dass die derzeitige Krise der Menschheit nicht nur oberflächlich ist, sondern sie geht
in die Tiefe. Aus diesem Grund muss sich die Neuevangelisierung der Sprache der Barmherzigkeit
bedienen, während sie dazu aufruft, den Mut zu haben, gegen den Strom zu schwimmen, sich von
den Götzen zum einzigen wahren Gott zu bekehren – einer Barmherzigkeit, die zuerst aus Gesten
und Haltungen besteht und erst dann aus Worten.“20

Zuerst Gesten und Haltungen, erst dann Worte!

Zur Bekehrung gehört auch Bekenntnis zu diesem einen und wahren Gott. Der Beginn seines
Pontifikates fällt in das Jahr, das Benedikt XVI. „mit einer wirklich geistgegebenen Intuition für
die katholische Kirche zum Jahr des Glaubens erklärt hat“21. Diese Initiative will er aufgreifen
in der Hoffnung, dass sie für den Glauben aller ein Ansporn sei und zu der von Benedikt XVI.
vorgeschlagenen Pilgerschaft auf das hinführe, „was für jeden Christen das Wesentliche darstellt:
zur persönlichen und verwandelnden Beziehung zu Jesus Christus, dem Sohn Gottes.“ Bekehrung zu
Gott und Begegnung mit Jesus Christus – das ist das Ziel der Evangelisierung im Jahr des Glaubens.
Dem dient auch die erste Enzyklika „Lumen fidei – Licht des Glaubens“, deren Entwurf Papst
Franziskus von seinem Vorgänger übernimmt. „Dafür bin ich ihm zutiefst dankbar. In der
Brüderlichkeit in Christus übernehme ich seine wertvolle Arbeit und ergänze den Text durch einige
weitere Beiträge.“ (Nr. 7) Das Konzil habe dargestellt, wie der Glaube das ganze menschliche
Leben bereichere und so den Vorrang Gottes in Christus wieder zum Zentrum des kirchlichen
und persönlichen Lebens machen wolle. Glaube, das ist Begegnung mit dem in Jesus Christus
geoffenbarten lebendigen Gott (vgl. LF 5f.).

„Lasst euch die Hoffnung nicht rauben!“

Hoffnung wecken, das bestimmt seine Botschaften an die Menschen, vor allem die Jugend, welche
die Zukunft der Kirche und der Menschheit darstellen. Schon am Palmsonntag ruft er ihnen zu:
„Und bitte lasst euch die Hoffnung nicht nehmen! Lasst nicht zu, dass die Hoffnung geraubt wird!
Jene, die Jesus uns schenkt.“22 Und in Rio ruft er den Millionen am Strand von Copacabana bei
der Vigilfeier am 27. Juli zu: „Durch euch tritt die Zukunft in die Welt ein. Ich bitte euch auch, die
Hauptdarsteller dieser Veränderung zu sein. Arbeitet weiter daran, die Apathie zu überwinden und
eine christliche Antwort auf die sozialen und politischen Unruhen zu geben, die sich in mehreren

19      ORd, Nr. 39, 27. September 2013, S. 8.
20      ORd, Nr. 43, 25. Oktober 2013, S. 7, Ansprache vom 14. Oktober 2013 an die Teilnehmer des
Päpstlichen Rats zur Förderung der Neuevangelisierung.
21      Papst Franziskus, Weg, 48, ebenso folgendes Zitat.
22       Papst Franziskus, Weg, 60.

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Teilen der Welt zeigen. Ich bitte euch, Konstrukteure der Welt zu sein und euch an die Arbeit für
eine bessere Welt zu machen. Liebe junge Freunde, bitte schaut euch das Leben nicht ‚vom Balkon
aus‘ an! Begebt euch in die Welt! Jesus ist nicht auf dem Balkon geblieben. Er hat sich mitten
hinein gestürzt. Betrachtet das Leben nicht ‚vom Balkon aus“. Taucht ein in das Leben, wie Jesus es
gemacht hat.“ Diese Botschaft wiederholt er bei seinem Besuch auf Sardinien und weitet sie aus:
„Die Hoffnung ist etwas, das euch angeht und das uns angeht. Sie geht alle an! Deshalb sage ich
euch: Lasst euch die Hoffnung nicht rauben!’“23
„Wir müssen den jungen Leuten Hoffnung wiedergeben, den Alten helfen, die Zukunft aufschließen,
die Liebe verbreiten. Arm unter den Armen. Wir müssen die Ausgeschlossenen aufnehmen und
den Frieden predigen.“24 Bei der Audienz für die Kardinäle nach seiner Wahl rief er ihnen zu - und
da waren dann auch die über 80-jährigen dabei –, was sicher auch uns allen gilt: „Nur Mut!“25

4. Quellenangaben

Papst Franziskus, „Und jetzt beginnen wir diesen Weg“. Die ersten Botschaften des Pontifikats.
Freiburg 2013 (= Weg).

Papst Franziskus – Interview mit Eugenio Scalfari, 24. September 2013, veröffentlicht in La
Repubblica am 1. Oktober 2013, bei http://de.radiovaticana.va (Auszüge) in deren eigener
Übersetzung (= Interview Scalfari).

Papst Franziskus – Interview mit Antonio Spadaro SJ am 19., 23. und 29. August 2013, bei www.
stimmen-der-zeit.de/zeitschrift/online_exklusiv/online_exklusiv.html.   Zitierte   Buchfassung:
Antonio Spadaro SJ, Das Interview mit Papst Franziskus, hrsg. von Andreas R. Batlogg SJ. Freiburg
2013 (= Interview Spadaro).

Michael Hesemann, Papst Franziskus. Das Vermächtnis Benedikts XVI. und die Zukunft der Kirche.
München 2013.

Osservatore Romano. Deutsche Wochenendausgabe (= ORd).

Zum Autor: Prof. Dr. Dr. Heino M. Sonnemans (geb.1940, Deutschland) wurde nach seinem Studium
der Philosophie und Theologie mit 26 Jahren zum Priester geweiht und schrieb seine Habilitation für
Fundamentaltheologie und Religionsphilosophie. Als Professor war er sieben Jahre lang an der Universität
Bonn tätig.

23      ORd, Nr. 39, 27. September 2013, S. 7, Ansprache in Cagliari/Sardinien am 22.09.2013.
24      Interview Scalfari.
25      Papst Franziskus, Weg, 20.

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