Case Management im Krankenhaus Projektionen und Chancen

 
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Case Management im Krankenhaus
                     Projektionen und Chancen

             Vortrag gehalten am 12.10.2011 im Rahmen des
          3. Regensburger Case Management Symposiums von

                                   Ludwig Thiry M.A.
                     Case Management Ausbilder (DGCC)
    Leiter der Case Management Weiterbildung der Uniklinik Köln

Case Management im Krankenhaus – Projektionen und Chancen
12.10.2011 Ludwig Thiry
Wie sieht Case Management heute in deutschen Krankenhäusern aus? Wie erleben es
Patienten und Patientinnen? Was machen Case Managerinnen eigentlich den ganzen Tag?
Fangen wir mal mit einer Geschichte an, wie sie so oder ähnlich von einer Teilnehmerin
unserer Weiterbildung stammen könnte: Frau Pfeifer wurde von ihrem Frauenarzt wegen
eines verdächtigen Knotens in der Brust zum Brustzentrum eines mittelgroßen
Krankenhauses in kommunaler Trägerschaft überwiesen. Dort wurde sie weiter untersucht
und leider sprechen alle Befunde für einen möglicherweise bösartigen Tumor der operativ
entfernt werden muss. Der Arzt des Brustzentrums klärt Frau Pfeifer über den Eingriff auf,
der brusterhaltend sein soll und legt in Absprache mit dem Oberarzt einen OP-Termin fest.
Zum Schluss sagt er zu Frau Pfeifer: Wir nehmen Sie am 04. Oktober auf und können dann
auch am selben Tag operieren. Die freundliche Breast Care Nurse sorgt dann noch für
Termine für die Voruntersuchungen und die Anästhesieaufklärung, auch Adressen einer
Selbsthilfegruppe und für eine psychologische Unterstützung erhält Frau Pfeifer.
Am 04. Oktober erscheint sie im Krankenhaus zur Aufnahme, nüchtern versteht sich, fragt
sich durch wo sie hin muss und landet schließlich auf Station A7. Dort wissen die
Pflegerinnen zwar, dass sie aufgenommen und auch heute noch operiert werden soll, aber
nicht in welches Zimmer sie kommt. Da müssen Sie leider auf unsere Case Managerin
warten. Die ist gerade in der Ärztebesprechung, um das zu klären.
Zur gleichen Zeit muss sich Gudrun Schmidt-Franke, die Case Managerin der Gynäkologie,
in besagter Ärztebesprechung vom Chefarzt folgendes anhören: Tja Schwester Gudrun, wir
haben doch dieses Case Management nicht gewollt. Jetzt sehen Sie mal schön zu, wie Sie
die Patientinnen für heute unterkriegen. Wir sagen jedenfalls keine OP ab, das kommt
überhaupt nicht in Frage.
Den Rest des Tages wird Frau Schmidt-Franke damit beschäftigt sein, die
aufzunehmenden Patientinnen unterzubringen. Sie wird dabei auf das Wohlwollen und die
Kooperationsbereitschaft der Stationsärzte und der Kollegin von der Urologie angewiesen
sein, mit der sie sich gut versteht und bei der sie ab und zu Patientinnen „parken“ kann.
Ihre Patientin Frau Pfeifer geht am Aufnahmetag jedenfalls in den OP, ohne zu wissen in
welchem Zimmer und in welchem Bett sie wieder wach werden wird. Immerhin geht es ihr
nach wenigen Tagen schon wieder ganz gut. Bis sie Frau Weber kennen lernt, die auch an
Brustkrebs erkrankt ist und die ihr erzählt: Bei mir wurde die die Brust ganz entfernt. Das ist
doch viel sicherer und eine Bestrahlung brauche ich auch nicht.
Frau Pfeifer ist jetzt sehr verunsichert.
Wie gesagt könnte diese Situation aus der Supervision unserer Weiterbildung stammen. Ich
möchte heute die Einblicke und Erfahrungen mit Ihnen teilen, die ich in den fünf Jahren des
Bestehens unserer Weiterbildung sammeln konnte. Ich möchte beschreiben, welche zum
Teil ganz unterschiedlichen Vorstellungen darüber bestehen, was Case Management ist
und welche ganz unterschiedlichen Organisationsformen in Krankenhäusern als Case
Management bezeichnet werden.

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12.10.2011 Ludwig Thiry
Innerhalb unserer Weiterbildung sind wir mit der ganzen Bandbreite des real existierenden
Case Managements in deutschen Krankenhäusern konfrontiert. Das bezieht sich sowohl
auf die Struktur der Häuser, von der kleinen privaten Klinik mit nur wenigen Betten, über
mittlere Häuser in öffentlicher oder privater Trägerschaft bis hin zu Häusern der
Maximalversorgung in der Größe und Komplexität von Universitätsklinika.
Genauso groß ist die Bandbreite des Standes der Implementierung in den Kliniken unserer
Teilnehmer. Einige haben bereits klare Strukturen entwickelt und die Implementierung ist
mehr oder weniger weit gediehen. In einem bedeutenden Teil der Kliniken gibt es jedoch
weder ein Projekt zur Implementierung von Case Management noch klare Vorstellungen
darüber, was Case Management ist, wie es funktioniert und welche Rahmenbedingungen
gegeben sein müssen, damit es funktioniert.
Eine große Zahl von Führungskräften hält CM offenbar für einen fahrenden Zug, auf den
man aufspringen muss, wenn man mithalten und up to date sein will. Case Management
wird in diesen Fällen zur Projektionsfläche für alle nur möglichen Heilserwartungen. Wenn
Führungskräfte nicht wissen, was sie mit Case Management eigentlich wollen, lassen sie
es auch zu, dass die Mitarbeiter Case Management ihrerseits zur Projektionsfläche aller
möglichen Erwartungen machen, auch negativer.
Aus meiner Sicht lassen sich an zwei der Projektionen die Probleme des Einsatzes von
Case Management in Krankenhäusern besonders deutlich darstellen:
   1. Case Management saniert uns wirtschaftlich
   2. Case Management bedroht uns im Sozialdienst, die soziale Arbeit im Sozialdienst
Ich will anhand dieser Beispiele herausarbeiten, welche Bandbreite von Einsatzformen es
unter der Bezeichnung Case Management gibt und inwieweit Erwartungen auf das Case
Management projeziert werden. Zum Schluss möchte ich eine ganz neue Fragestellung in
die Diskussion einbringen, die m. E. im bisherigen Streit darum, was denn nun das richtige
Case Management in Krankenhäusern sei, vernachlässigt wurde.
1. Case Management saniert uns wirtschaftlich – Case Management als
     Prozessmanagement?
Dieser Satz wird am ehesten von einem Geschäftsführer zu hören sein. Ohne Frage hat die
Einführung von Case Management in Krankenhäusern mit dem wirtschaftlichen Druck zu
tun, der infolge der Einführung der DRG erzeugt wurde. Die Logik der DRG zwingt
Krankenhäuser dazu die Kosten für die stationäre Behandlung einer Erkrankung einem
statistischen Mittel anzugleichen. Dieses Mittel wird durch Daten aus vielen
Krankenhäusern errechnet. Die Steuerungsgrößen der Krankenhäuser sind die Fallzahlen,
die Komplexität der Erkrankungen, die sie behandeln wollen, und die Verweildauern. Viele
Krankenhäuser haben sich vor allem auf die Senkung der Verweildauern und die Erhöhung
der Fallzahlen konzentriert und sehen Case Management als ein Instrument zu Erreichung
dieser Ziele.

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Dabei wird in vielen Fällen der Fehler begangen, die Funktion „Case Manager“ und die
Methode „Case Management“ gleich zu setzen. Das hat zur Folge, dass eine Person
meistens aus der Pflege zur Case Managerin gemacht wird. Diese soll dann die eingangs
beschriebenen Erwartungen erfüllen. Alles andere bleibt beim Alten. Bei einer solchen
Konstruktion wird die Case Managerin lediglich als Ausputzerin missbraucht. Um die
gewünschten wirtschaftlichen Effekte zu erzielen bedarf es jedoch einer Verbesserung der
Abläufe und des Zusammenspiels der Berufsgruppen und Abteilungen,
betriebswirtschaftlich ausgedrückt: einer Prozessoptimierung.
Jürgen Ribbert-Elias schlug auf der DGCC Tagung im Juli, und ich halte das für
richtungweisend, vor, dass vor Einführung von Case Management die Prozesse CM-
kompatibel gemacht werden müssen. Für ein Krankenhaus bedeutet das, dass der Case
Manager nicht einfach eine zusätzliche Schnittstelle sein darf, sondern dass durch
Einführung von Case Management die Zahl der Schnittstellen tendenziell verringert werden
muss.
Nehmen wir als Beispiel den Aufnahmeprozess. Wie das Beispiel vom Anfang zeigt, gibt es
tatsächlich Krankenhäuser, die ihre Case Managerin zwar mit der Bettendisposition
betrauen, die Zahl der zuständigen Stellen für die Terminierung von Aufnahmen aber
unverändert lassen. Eine Überbuchung der Betten ist dann nach wie vor die Regel.
Aber man weiß ja jetzt wenigstens, wer es am Aufnahmetag ausbadet.
Diese Art von Case Management ließe sich an Beispielen über den gesamten
Versorgungsprozess hinweg beschreiben. Es dient bestenfalls der Psychohygiene der
beteiligten Akteure, die das Unvermögen einer mangelhaften Prozesssteuerung beim Case
Manager abladen können.
Was heißt es nun wenn Ribbert-Elias fordert, die Prozesse CM-kompatibel zu machen am
Beispiel des Aufnahmeprozesses? Ausgangspunkt im Prozessmanagement ist immer die
Kundenanforderung. Die DIN ISO 9001/2008 verlangt die Ermittlung der
Kundenanforderung vor der Leistungserbringung. In Bezug auf die Aufnahme bedeutet das:
   Eine Patientin wartet nicht ungebührlich lange auf ihre Aufnahme,
   sie weiß, bei wem sie sich bei der Aufnahme melden kann,
   sie hat ein freies Bett in einem freien Zimmer,
   die Behandlung setzt unverzüglich ein.
Prozesse CM-kompatibel zu machen bedeutet auch, zwischen der Organisation von
Leistungen und der Erbringung von Leistungen zu unterscheiden. Der Case Manager erhält
mindestens die Zuständigkeit für die Planung und Organisation. Die beteiligten Akteure
behalten die fachliche Zuständigkeit für die Durchführung.
Für die Aufnahmeplanung als Beispiel muss das bedeuten: Alle Anfragen zur Aufnahme,
außer den unmittelbar lebensbedrohlichen, laufen über das Case Management. Es hat eine
alleinige Zuständigkeit für Terminplanung und Bettendisposition, je nach Struktur des

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Hauses auch für die Disposition von Diagnostik, OP- und Intensivkapazitäten. Das
bedeutet, dass es klare Regelungen für Aufnahmen geben muss, dass z.B. festgelegt ist,
mit welcher Priorität Patienten aufgenommen werden, sprich wer sofort aufgenommen wird
und wer warten muss. Case Manager, wenn sie aus der Pflege kommen, brauchen einen
zuständigen Oberarzt, mit dem sie unklare Fälle regeln können.
Um Prozesse CM-kompatibel zu machen, genügt es nicht, einfach eine erfahrene Person
aus der Pflege zur Case Managerin zu machen, die dann nur aufgrund persönlicher
Autorität und einer guten Vernetzung irgendwelche Besserungen im Betreib erreicht. Die
Implementierung von Case Management muss immer Projektstatus haben.
Krankenhausleitungen, die sich scheuen, die Implementierung von Case Management als
Projekt zu betreiben, in dem alle wichtigen Fragen für den gesamten Prozess der
Krankenhausversorgung geklärt werden, sollten auf Case Management besser ganz
verzichten. Inzwischen haben sich für die Implementierung von Case Management
bestimmte Projektschritte etabliert.
Dazu gehört wesentlich eine Vorphase, bei der es um Überlegungen geht, welche
Probleme eine Klinikleitung mit Case Management eigentlich angehen will und welche Ziele
sie damit verfolgt.
Es folgt ein Projektauftrag mit Initiierung einer Projektgruppe, deren Zusammensetzung gut
überlegt sein muss, und in der Beteiligte der betroffenen Bereiche ebenso vertreten sein
sollten wie die mittlerweile dann doch vorhandenen Experten für Case Management, die ein
Krankenhaus ggf. im Rahmen einer externen Beratung hinzuziehen kann.
Die Projektgruppe nimmt eine Ist-Analyse vor, bei der die Abläufe der Versorgung unter die
Lupe genommen werden. Diese Ist-Analyse ist Grundlage der Konzeptarbeit, in der die
neuen Prozesse und ihnen folgend die neuen Strukturen beschrieben werden.
Unverzichtbar ist in dieser Phase eine genaue Beschreibung der Zuständigkeiten und
Kompetenzen der Case Manager.
Es hat sich inzwischen bewährt, das Konzept zunächst in einem Probelauf umzusetzen und
erst nach einer vorher festgelegten Zeit im Echtbetrieb mit anschließender kontinuierlicher
Verbesserung zu verstetigen.
Parallel zum und als Teil des Projekts erfolgen Qualifizierungsmaßnahmen, bei denen nicht
nur die Case Managerinnen ihre Case Management Ausbildung erhalten, sondern
differenziert auch den beteiligten Berufsgruppen und Abteilungen Kenntnisse über die
Methode Case Management in unterschiedlicher Tiefe vermittelt werden.
Bei den meisten als Case Management bezeichneten Konzepten in Krankenhäusern haben
die Case Manager vor allem eine koordinierende und steuernde Funktion. Eine verkürzte
betriebswirtschaftliche Perspektive sieht die Case Manager oft in einer assistierenden
Funktion für ärztliche Organisations- und Dokumentationspflichten. Case Managerinnen
werden dann eher als Codierfachkräfte und als Verweildauerkontrolleure eingesetzt und
setzen diagnostische und therapeutische Entscheidungen von Ärzten organisatorisch um.

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Entlastung der Ärzte von organisatorischer Arbeit ist in vielen Krankenhäusern ein
wesentliches Argument für die Implementierung von Case Management.
Ich nenne das verkürzte betriebswirtschaftliche Perspektive, weil vorschnell gute Fallzahlen
und gute Verweildauern als alleinige Anforderungen an Prozesse und damit an die Case
Managerinnen betrachtet werden. Fallzahlen und Verweildauern können dauerhaft und
nachhaltig nur optimiert werden, wenn tatsächlich vorher die individuellen
Kundenanforderungen ermittelt wurden. Die Fixierung auf Fallzahlen und Verweildauern
allein führt zu einer Verdichtung der Arbeit, ohne die Ergebnisqualität ausreichend zu
berücksichtigen.
Mittel- und langfristig werden sich Häuser schaden, wenn sie allein mit diesen beiden
Indikatoren steuern. Patienten werden abwandern – und Beschäftigte. Der allseits
grassierende Fachkräftemangel wird in dieser Hinsicht schon bald eine ausgleichende
Wirkung auf gewisse Übertreibungen der letzten Jahre haben.
Innerhalb der hier beschriebenen steuerungsorientierten Konzepte wird eine Frage
meistens gar nicht erst diskutiert, die mir heute besonders wichtig ist: Inwieweit können,
sollen oder dürfen Case Managerinnen in Entscheidungen eingreifen, die das „Ob“ einer
Behandlung betreffen, also Entscheidungen darüber, ob ein Patient eine
krankenhausspezifische Behandlung durchführen lässt oder nicht, gleich ob Operation,
Chemotherapie oder wie im Eingangsbeispiel ob Frau Pfeifer eine brusterhaltende oder
brustentfernende Operation vornehmen lässt.
Aus fachlicher Sicht müsste in einem vollständigen Case Management die Case Managerin
als Anwältin der Klientin und unter Berücksichtigung des Empowermentansatzes die
Beteiligung der Patientin an der Entscheidungsfindung über das „Ob“ ihrer Behandlung und
Versorgung unterstützen. Diese Frage enthält einiges an Sprengstoff, denn sie berührt den
Kernbereich heutiger ärztlicher Befugnisse. Der Einsatz von Case Management in diesem
Sinne kann nur als Teil der Diskussion um die Einbeziehung von Patienten und
Patientinnen in medizinische und pflegerische Entscheidungen und um veränderte Formen
der Interaktion zwischen Patient und Arzt gesehen werden. Ich komme später darauf
zurück.
Bis hierhin haben wir uns mit einer Form des Case Managements beschäftigt, das vor
allem steuerungsorientiert arbeitet und bei dem beratungsorientierte Aspekte des Case
Managements oder gar der Kontakt zum Klienten wenig bis gar nicht ausgeprägt sind.
Diese dennoch als Case Management bezeichneten Organisationsformen stehen in der
Kritik einer großen Fraktion innerhalb der DGCC und der Sozialen Arbeit, die ja die
Urheberschaft für das Case Management für sich beansprucht.
Argument: die Beziehungsarbeit fehlt.
Allerdings gibt es bei Sozialarbeitern durchaus auch Tendenzen aus berufspolitischen
Gründen gerade diese Form des Case Managements in Krankenhäusern zu unterstützen
und der Pflege zu überlassen, um die Kernbereiche der eigenen Profession abzusichern.

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Das führt uns zu der anderen Projektion, die ich gemeinsam mit Ihnen genauer betrachten
möchte.
2. Case Management bedroht uns, die Soziale Arbeit im Sozialdienst – Case Management
     als Entlassmanagement?
SozialarbeiterInnen sehen sich in vielen Sozialdiensten der Krankenhäuser bedroht.
Sowohl was die Sicherheit der Stellen als auch was die Fachlichkeit der Profession angeht.
Grund ist der Einsatz von immer mehr ursprünglich pflegerisch qualifizierten Beschäftigten,
die im Entlass- bzw. Überleitungsmanagement eingesetzt werden.
Wenn Krankenhäuser die Einführung von Case Management planen, richtet sich die
negative Projektion „Case Management bedroht uns Sozialarbeiter“ in vielen Fällen auf den
Begriff, die Methode oder die Case Managerin als Person bzw. Rolle. Zu beobachten sind
vonseiten der klinischen Sozialen Arbeit verschiedene Formen des Umgangs mit diesem
Phänomen:
             grundsätzliche Abwertung des Case Managements als Methode (CM ist ein
              sozialtechnologischer Ansatz zur Verringerung der Kosten, der Einsatz von
              Pflegenden führt zur Nivellierung der Sozialarbeit) oder
             Reduktion des Case Managements auf reines Prozessmanagement (das
              Case Management ist für die Steuerung der Abläufe zuständig, wir machen
              die Beziehungsarbeit mit den Patienten und kümmern uns um die
              psychosozialen Auswirkungen der Erkrankung nach dem
              Krankenhausaufenthalt).
             Friedliche Koexistenz, (Zusammenarbeit von CM und Sozialarbeitern in einer
              Abteilung unter Aufteilung von Tätigkeiten oder Fällen.)
Bei den Varianten 2 und 3 wird das Case Management meistens mit dem Entlass- oder
Überleitungsmanagement gleichgesetzt. Bezugsrahmen ist dann in der Regel der Nationale
Expertenstandard Entlassmanagement in der Pflege, der gewisse Analogien zum Case
Management Prozess enthält.
Er schreibt analog zum Case Management-Prozess ein Screening zur Erfassung des
poststationären Versorgungsbedarfs vor. Ähnlich dem Case Management erfolgt die
Planung des poststationären Versorgungsbedarfs mit Durchführung eines Assessments
und der Organisation der Versorgung im Netzwerk und über die Grenzen des
Krankenhauses hinweg.
Bei genauer Betrachtung kann aber nur von einem eingeschränkten Case Management die
Rede sein. Das Entlassmanagement endet 48 Stunden nach der Entlassung durch eine
meist einmalige Kontrolle der poststationären Versorgung.
Für viele Patienten vor allem mit chronischen Erkrankungen ist die kontinuierliche
Fallbegleitung über ambulante und stationäre Phasen hinweg damit keineswegs gesichert.

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Außerdem ist der Expertenstandard schon qua Definition auf den Bereich der Pflege
beschränkt, die ärztliche Übergabe und die Kontinuität der medizinischen Behandlung
werden oft vernachlässigt. Der Standard ist also thematisch eingeschränkt, während das
Case Management ja gerade Wert auf die berufs- und sektorenübergreifende Fallführung
legt.
Die Reduktion des Case Managements auf das Entlassungsmanagement ist oft auch eine
Reduktion auf die psychosozialen Auswirkungen von Krankheit oder Alter. Mir scheint es
so, dass in der berufspolitisch motivierten Auseinandersetzung darüber, ob Pflegende
überhaupt Case Management betreiben können oder ob dies aus fachlicher Sicht nur
Sozialarbeiter in vollem Umfang können ein blinder Fleck entstanden ist: medizinische
Komplexität eines Falles als Ausgangspunkt und Begründung für den Einsatz von Case
Management ist noch nicht entdeckt, weder von Medizin noch von Pflege noch von Sozialer
Arbeit.
3. Integration medizinischer Entscheidungen in das Case Management.
Die Diskussion um das Case Management im Krankenhaus besteht vor allem in einer
Auseinandersetzung darum, ob die Übernahme der Prozesssteuerung durch zumeist
pflegerisch ausgebildete Beschäftigte überhaupt als Case Management bezeichnet werden
kann oder ob Case Management nicht doch eine Domäne der Sozialen Arbeit bleiben soll
und sich somit vor allem um die Auswirkungen von Krankheit auf die Lebenswelt der
Patienten konzentrieren muss. Dann ist das Case Management vor allem eine Methode,
die in der Überleitung und dem Entlassmanagement zur Anwendung kommt.
Der Streit um diese Frage wird überdeckt von berufspolitischen Interessen. Während die
Pflege neue Aufgabenfelder und vermehrten Einfluss für sich zu sichern sucht, fürchtet die
Soziale Arbeit eine Verdrängung aus den Sozialdiensten der Krankenhäuser.
Dieses berufspolitische Gerangel verstellt die fachliche Diskussion auf die aus meiner Sicht
eigentlich zentrale Frage an das Case Management in Krankenhäusern und im
Gesundheitswesen überhaupt. Die Bedeutung medizinischer Entscheidungen wird für das
Case Management in Krankenhäusern kaum diskutiert. Die Tätigkeit von Ärzten und
Ärztinnen wird kaum als Teil des Case Managements begriffen.
Das Case Management als Prozesssteuerung vollzieht und organisiert, was von Ärzten
angeordnet oder angefordert wurde. Wenn es gut gelingt unter Einbeziehung der
Interessen der Patienten. Es bleibt vor allem steuerungsorientiert.
Das Entlassmanagement fügt zwar die Beratungskomponente hinzu und arbeitet an und in
der Lebenswelt der Patienten und mit ihnen. Aber auch das Entlassmanagement bleibt
reduziert auf die Folgen von Erkrankung und Therapie und ist angewiesen auf ärztliche
Entscheidungen.
Die eigentliche Kernleistung eines Krankenhauses, nämlich die ärztliche Leistung, liegt
sozusagen im toten Winkel des bisherigen Diskurses. Dabei müsste doch die zentrale
Frage an das klinisches Case Management sein, wie es den Einfluss von Patienten und

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Patientinnen auf medizinische Entscheidungen ermöglichen oder ausweiten kann. Dieser
Auftrag ergibt sich aus der Funktion des Case Managers als Anwalt seiner Klienten und aus
dem Empowermentansatz.
Empowerment erhöht den Grad der Autonomie und Selbstbestimmung von Klienten. Dieser
Ansatz gehört also in die Diskussion um ein verändertes Arzt-Patienten-Verhältnis und um
eine Beteiligung von Patienten an medizinischen Entscheidungen auf Augenhöhe.
Nun könnte man die Diskussion darum schließen, bevor sie richtig begonnen hat und
sagen: Das ist eine Angelegenheit zwischen Arzt und Patient, hier braucht man keinen
Dritten. Für mich ist aber eher die Frage, wann braucht man diesen Dritten eben doch und
was soll er dann leisten?
Ulrike Thielhorn hat in einer bemerkenswerten Dissertation über das Konzept des Shared
Decision Making oder zu deutsch geteilte Entscheidungsfindung interessante
Feststellungen zum Entscheidungsverhalten krebskranker Menschen herausgearbeitet, die
ich in unserem Zusammenhang für wichtig halte.
   1. Entscheidungsverhalten von krebskranken Menschen ist in großem Umfang eben
      nicht nur von der Dyade Arzt-Patient abhängig, sondern wesentlich von Dritten
      mitbestimmt, z.B. den Angehörigen.
   2. Die Art der Beziehung zwischen Behandler und Patient hat einen größeren Einfluss
      auf das Entscheidungsverhalten als z.B. der Umfang von Informationen.
   3. Fühlen sich Patienten zu bestimmten Entscheidungen gedrängt, kann es im
      Therapieverlauf zu einem massiven Vertrauensverlust und zur Ablehnung eigentlich
      sinnvoller Therapien kommen.
   4. Während zu Beginn der Therapie der Arzt als Hauptbezugsperson gesehen wird,
      kann diese Rolle in späteren Stadien, insbesondere in der palliativen Phase ganz
      oder teilweise an Pflegende übergehen.
Was folgt daraus? Offenbar ist eine stabile, vertrauensvolle und offene Beziehung zwischen
Arzt und Patient wichtig für die Entscheidungsfähigkeit und die Entscheidungstreue (von
manchen auch auf Therapietreue reduziert). Und wahrscheinlich können wir diesen Befund
z.B. auf chronische Erkrankungen übertragen.
Bei medizinischen Behandlungen, bei denen mehrere Fachgebiete beteiligt sind oder bei
denen mehrere Krankenhäuser gemeinsam behandeln oder bei denen es wechselnde
ambulante und stationäre Phasen gibt, ist die kontinuierliche Beziehung zwischen einem
einzelnen Arzt und einem Patienten innerhalb der heutigen Strukturen kaum zu
gewährleisten. Genau hier sind die Aufgaben eines Case Managers zu sehen, der von der
Ursprungsprofession nicht nur Pflegeperson oder Sozialarbeiter, sondern eben auch Arzt
sein kann. Bei diesem Case Manager als Beziehungsperson geht es nicht ums
vordergründige Händchen halten oder darum mal ein tröstendes Gespräch führen. Es geht
darum in allen Phasen der Erkrankung und über die Grenzen der verschiedenen Sektoren
hinweg die anstehenden medizinischen Entscheidungen auf die Lebenswelt, die Werte und

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Einstellungen des Patienten auszurichten. Dazu ist ein wissenschaftlich fundiertes
methodisches Instrumentarium erforderlich.
Hätte Frau Pfeifer, unsere Patientin vom Anfang, in einem Krankenhaus mit einem solchem
Case Management gelegen, wäre vielleicht die Breast Care Nurse aus dem ambulanten
Brustzentrum auch auf der Station für sie zuständig geblieben. Diese hätte nach einer
ausführlichen Information durch einen Arzt, die Entscheidung von Frau Pfeifer für eine
brusterhaltende oder brustentfernende Operation begleitet. Dabei hätte sie deren Werte
und Einstellungen zu dieser Frage bearbeitet. Frau Pfeifer hätte keine Zweifel gehabt, dass
ihre individuelle Entscheidung für die brusterhaltende Therapie die richtige war, aber auch
gewusst, dass eine andere Frau sich vielleicht anders entscheidet. Sie hätte genau
gewusst, wie es nach der OP weitergeht und sie hätte und das sollten wir hier nicht zu
gering einschätzen am Tag ihrer Aufnahme ein freies Bett vorgefunden.
Ich freue mich auf die Diskussion.

Literatur:
Dettmers, Stephan (2010): Case Management im Akutkrankenhaus – gegenwärtige
Konsequenzen für die soziale Arbeit und die Pflegeprofession. In: Brinkmann, Volker
(Hrsg.) (2010): Case Management. Organisationsentwicklung und Change Management in
Gesundheits- und Sozialunternehmen. Wiesbaden. S. 277-286.
Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hrsg.): Expertenstandard
Entlassungsmanagement in der Pflege - 1. Aktualisierung (Juli 2009)
Neuffer, Manfred (2010): Case Management – Das ungeliebte Kind der Sozialen Arbeit. In:
Case Management 1/2010, 45-47.
Pape, R./ Bostelaar, R.A. (2008): Implementierung von Case Management. In: Bostelaar,
R.A. (Hrsg.) / Pape, R. et al.: Case Management im Krankenhaus. Aufsätze zum Kölner
Modell in Theorie und Praxis. Hannover. S. 32.36.
Ribbert-Elias, J. (2011): Die Implementierung von Case Management als
Organisationsaufgabe. Vortrag gehalten am 01.07.2011. URL:
http://dgcc.de/download/tagung110701/ribbert_elias_vortrag.pdf Zugriff 10.10.2011
Thielhorn, U. (2008): Shared decision-making: Entscheidungserleben von Patienten im
Verlauf einer Krebserkrankung. Bielefeld
Thiry, Ludwig (2011): Case Management im Krankenhaus – Zwischen Euphorie und
Verdammung. In Case Management 2/2011, 99-104.

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