Bayerische Ortschaften im Wandel - CC Buchner Verlag
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Bayerische Ortschaften im Wandel Hof in den 50er-Jahren Die Hofer Altstadt 2005 © C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2010 Aus: Politik aktuell 10 (BN 6861)
P R O J E K T 2 B AY E R I S C H E O R T S C H A F T E N I M W A N D E L Tipps zum „Projektmanagement“ Auf den folgenden Seiten wird am Beispiel der Stadt Hof Präsentation die Entwicklung einer bayerischen Stadt nach dem Ende Präsentieren Sie Ihre Ergebnisse schließlich in Form des Zweiten Weltkrieges dargestellt. Wenn Sie die Ver- einer Wandzeitung, als Ausstellung im Klassenzimmer änderungen in Ihrer Heimatregion nach 1945 erforschen oder bereiten Sie eine Stadtführung vor, in deren Verlauf wollen, empfiehlt sich, wie bei jeder Projektarbeit, eine wesentliche Veränderungen in Ihrer Heimatstadt aufge- genaue Planung. Vergleichen Sie dazu die Tipps zum zeigt werden. Verfassen Sie einen Artikel für die Schü- Projektmanagement auf S. 56! Hier noch einige spezielle lerzeitung, in dem Sie beispielsweise Veränderungen in Hinweise: Ihrer unmittelbaren Nachbarschaft oder in der Schule aufzeigen und erläutern. Arbeitsplanung Sie können auch ein Werbeplakat oder eine Website zu Mögliche Leitfragen können sein: dem Thema „Meine Stadt 2050“ entwerfen, eine Zeitung • Wie haben sich in Ihrer Heimat seit 1945 die Ein- aus dem Jahr 2050 mit Nachrichten aus der Zukunft erfin- wohnerzahlen verändert? den oder eine futuristische Nachrichtensendung drehen. • Hat sich die konfessionelle Zusammensetzung in Ihren Möglichkeiten sind dabei keine Grenzen gesetzt! diesem Zeitraum verändert? Wenn ja, wodurch? • Wie verlief die Entwicklung der Beschäftigungs- zahlen? Ein Link zur Sache > de, den/die/das Sie in den Mittelpunkt Ihrer Unter- über Bayern. suchung stellen wollen? Durchführung Bilden Sie Arbeitsgruppen zu verschiedenen Entwick- lungsschwerpunkten, z.B. Geschichte, Demografie, Wirtschaft, Städtebau … Ziehen Sie Erkundigungen bei der Gemeinde, der Stadtverwaltung oder dem Landratsamt ein, befragen Sie Kommunalpolitiker und alteingesessene Bewohner. Forschen Sie im Stadtarchiv, in Bibliotheken und in alten Zeitungsbeständen nach und suchen Sie auch nach aussagefähigen Fotografien (ggf. selbst fotografieren!), Textquellen und Statistiken! Halten Sie Ihre Ergebnisse schriftlich und übersichtlich gegliedert fest. 128 © C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2010 Aus: Politik aktuell 10 (BN 6861)
P R O J E K T: B AY E R I S C H E O R T S C H A F T E N I M W A N D E L 1. Veränderungen einer bayerischen Ortschaft seit dem Zweiten Weltkrieg in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft am Beispiel Hof / Saale Hof in Bayern ganz oben Aufgaben Bereiten Sie anhand einer von Ihrer Klasse erstellten Wandzeitung eine Führung für Besucher vor. 1. Erläutern Sie anhand der Karte die Lage Hofs bis 1989 vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Ziehen Sie zur Vorbereitung u.U. einen Geschichtsatlas heran. 2. Eine Informationsbroschüre der Stadt Hof aus dem Jahr 2007 wirbt mit dem Slogan „Im Herzen Europas und gut verbunden“. Erläutern Sie mit Blick auf die Karte diese Aussagen für den Wirtschaftsstandort Hof. 129 © C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2010 Aus: Politik aktuell 10 (BN 6861)
P R O J E K T: B AY E R I S C H E O R T S C H A F T E N I M W A N D E L Die Zeit nach 1945 Daa Flüch Das D FFlüchtlingslager Fllüch chtli ch httli tl ings ings ngslag gssla lag aagg err Mos M Mo Moschendorf os o che chh ndo nd rf nd r bei bbee H Ho Hof of ZZerstörte Ze Zer eersstö sttörte törte rtte te Hä H Häuser äuse äuse uusssee r iinn dder eerr Inn In Innenstadt nnnens ennstad nsstadt tad a dt nnach ad aach chh ei eeinem innem em em Bo BBombenangriff om mbe mbb enan nangri na a nggrii ffff am m lisierung litten vor allem Flüchtlingsbetriebe; viele 8. April 1945 produzierten noch mit alten Maschinen und in gemieteten Räumen. Wer das Kapital zur Moder- nisierung aufbrachte, verband diesen Neuanfang nicht selten mit einem Standortwechsel in Ge- Wirtschaftliche Entwicklung in genden mit billigeren Arbeitskräften oder güns- Hof nach 1945 tigerer Marktlage. … Behauptete Hof 1950 noch unangefochten den Spitzenplatz innerhalb der Trotz aller Standortnachteile und Verkehrsschwie- oberfränkischen Industriestädte und lag die Stadt rigkeiten [nach der hermetischen Abriegelung der beim Gewerbesteueraufkommen je Einwohner Zonengrenze] entwickelte sich die Hofer Industrie 1951 an dritter Stelle in Bayern, so wurde sie bis nach dem Kriege zunächst durchaus günstig. … 1961 von Bamberg und Bayreuth überrundet. … Allein die Gewerbeproduktion war 1951 gegen- Als einzige größere Stadt Oberfrankens verzeich- über 1948 um 330 % gestiegen. Für den gleichen nete Hof zudem einen leichten Rückgang seiner Zeitraum meldete der Arbeitsamtsbezirk Hof ein Industriebeschäftigten. … Anwachsen der Beschäftigtenzahl von 62.000 auf Langfristig musste sich die Stadt darauf einstellen, 72.000 Personen. Vorteilhaft wirkte sich in be- eine Randlage innerhalb der EG einzunehmen. stimmter Hinsicht auch der Zustrom an Flüchtlin- Zwar konnte der Einwohnerrückgang verlang- gen und Heimatvertriebenen aus. So zählte man samt werden, doch nur deswegen, weil sich der 1950 in Hof mehr als 400 Flüchtlingsunternehmen. Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung seit Obwohl es sich dabei überwiegend um Kleinbe- Mitte der sechziger Jahre kräftig erhöhte. Auch triebe handelte, stellten sie doch eine wertvolle in Hof schien vor allem die im Schichtbetrieb ar- Bereicherung der Wirtschaftsstruktur dar. … Mit beitende Industrie nicht mehr ohne ausländische dem Abflauen des Koreabooms1 offenbarte sich Arbeitnehmer auszukommen. die schwierige Wirtschaftslage der Hofer Spinne- Friedrich Ebert/Axel Herrmann: Kleine Geschichte der Stadt Hof, reien und Webereien, die im Mai 1952 vorüber- Hof 1988, S. 186 ff., 218 gehend bis zu einem Fünftel ihrer Belegschaften 1 Wirtschaftsaufschwung in Westdeutschland aufgrund des seit entlassen mussten. Unter dem Zwang der Rationa 1950 herrschenden Koreakrieges 130 © C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2010 Aus: Politik aktuell 10 (BN 6861)
P R O J E K T: B AY E R I S C H E O R T S C H A F T E N I M W A N D E L Die 70er- Jahre Die Freiheitshalle. Es gibt kaum einen Moderator, keine Größe im Show-Business, die hier noch nicht aufgetreten wäre. Hochschulstadt Hof Für die kreisfreie Stadt Hof war es eine kommu- nale Sternstunde, als im Juli 1975 die Bayerische Staatsregierung ihr den Zuschlag gab und dem mit Abstand größten Fachbereich der … Bayerischen Beamtenfachhochschule – Abteilung Allgemeine Innere Verwaltung – seinen Sitz „auf einer grünen Wiese in Bayern ganz oben“ zuwies. Das war ein politisches Bekenntnis zum Grenzland in beson- ders eindrucksvoller und wirksamer Weise! … Die Entscheidung der Bayerischen Staatsre- gierung, Hof zur Hochschulstadt zu machen, hat sich im Laufe der Zeit als richtig erwiesen. … Alle Beteiligten vertreten übereinstimmend Die Hofer Filmtage, eigentlich schon 1967 ins Leben gerufen, eta- die Auffassung, dass eine so großzügige bauli- blierten sich in den 70er-Jahren zum „Schaufenster des deutschen che Gestaltung, aber auch eine derart günstige Films“ und zur „riesigen Wundertüte für Kinofreaks“ (Süddeutsche Finanzierung wie in Hof anderswo kaum zu Zeitung). verwirklichen gewesen wären. Die Hochschule ist zudem auch als Bauwerk ein Schmuckstück der Stadt Hof geworden. Georg Schwarz: Hof/Saale. Episoden aus seiner Geschichte, Bay- reuth 1987, S. 47 Aufgabe Stellen Sie die wirtschaftlichen Folgen der politischen Situation nach 1945 für die Stadt Hof zusammen und vollziehen Sie die weitere kommunale Entwicklung bis in die 70er-Jahre nach. 131 © C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2010 Aus: Politik aktuell 10 (BN 6861)
P R O J E K T: B AY E R I S C H E O R T S C H A F T E N I M W A N D E L Die Wende und ihre Folgen der Handel. „Wir wurden zur Haupteinkaufsstadt für das gesamte südliche Ostdeutschland.“ Mit Der Anstrum der Trabis nach der Grenzöffnung einem Augenzwinkern fügt er hinzu: „Besonders die Autohändler machten damals das Geschäft ihres Lebens und verkauften all ihre Gebraucht- wagen. Selbst die Rostmühlen wurden noch an Hof und die Wiedervereinigung den Mann aus der DDR gebracht.“ Euphorie 1989. Hof, in den Jahrzehnten zuvor nicht gerade Diesen Anruf wird Dieter Döhla wohl nie ver- der Nabel der Welt, sah sich über Nacht zentral gessen. Um vier Uhr nachts wurde der Oberbür- gelegen im vereinten Deutschland. In der „Neuen germeister der fränkischen Stadt Hof aus dem Mitte Europas“ rechneten die Stadtvorderen mit Schlaf gerissen. Es war der 11.11.1989 – etwa 33 verdoppelten Einwohnerzahlen und einem bald Stunden nachdem SED-Pressesprecher Günter einsetzenden und dann nicht enden wollenden Schabowski den Mauerfall verkündet hatte. Wirtschaftsboom. Während andernorts schon am Vortag auf den Doch dem Stimmungshoch folgte der Absturz Straßen getanzt wurde und DDR-Bürger mit in die Tristesse normale. … Statt einer Stärkung ihrem Begrüßungsgeld die Obstgeschäfte stürm- der Wirtschaft kam es zu einer Verschärfung des ten, war es in Hof, nur fünf Kilometer von der Wettbewerbs. Während die Europäische Union, deutsch-deutschen Grenze entfernt, bislang ruhig der Bund und die Länder wenige Kilometer jen- geblieben. Aber nun waren sie da: „Ein Bürger seits der ehemaligen Grenze Höchstfördersätze rief mich an und sagte: ,Kommen Sie schnell, zahlten, wurden die Subventionen im Westen der ganze Rathausplatz steht voller Menschen’“, zusammengekürzt. Seit 1951 hatten die Regionen erinnert sich der Chef der Kleinstadt. Als er im westlich des Eisernen Vorhangs die so genannte Morgengrauen vor dem Rathaus ankam, warteten Zonenrandförderung erhalten. Sie sollte die dort tausende von Ostdeutschen auf ihn und ihr Gebiete für ihre ungünstige Lage am äußersten Begrüßungsgeld. Auf den Westen. Chaostage in Rand von Westeuropa entschädigen. Mit der Wie- der 50.000-Einwohner-Stadt folgten. Innerhalb dervereinigung wurde die Förderung obsolet und der Woche kamen täglich 50.000 DDR-Bürger, am lief 1994 ganz aus. Viele Firmen nutzten nach der Wochenende drängten Massen von nicht unter Wende das Fördergefälle und investierten jenseits 100.000 in das Städtchen. Die sonst verschlafen des ehemaligen Todesstreifens. wirkende Kleinstadt platzte aus allen Nähten, „aber Tina Kaiser, Zonenrand ist abgebrannt, in: Die Welt, 2. 11. 2003 die Stimmung war fantastisch“, schwärmt Döhla (http://www.welt.de/print-wams/article102119/Zonenrand_ist_ab- noch heute. Grund zur Freude hatte damals auch gebrannt.html) 132 © C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2010 Aus: Politik aktuell 10 (BN 6861)
P R O J E K T: B AY E R I S C H E O R T S C H A F T E N I M W A N D E L Info innerdeutschen Grenze, Unterstützung in Form von regionaler Wirtschaftsförderung, staatlichen Vergün- stigungen, Maßnahmen zur Verkehrserschließung, zum Wohnungsbau und zur Schaffung sozialer Einrich- tungen u.a. Berlin- und Zonenrandförderung wurden Zonenrandförderung nenr ne nran nr a dff öörr de deru ru ung auch nach der deutschen Einigung in Teilen noch bis Alss Au usg s le leic Ausgleichichh fü ic ür di für diee Fo FFolgen olg l enn ddererr ddeu eu ts eu deutschen Teilung 1994 weitergeführt. hiel hi elte el t n se te erhielten seit i 11971 it 9711 We 97 W s be st be rlin Westberlin rlin rl in uund ndd ddas aass sog. Zonen- Friedemann Bedürftig, Lexikon Deutschland nach 1945, randgebiet, ein 40 km breiter Streifen westlich der Hamburg 1996, S. 449 f. „Zonenrand ist abgebrannt“ Textil- und der Porzellanbranche. Das hat weit über 10.000 Arbeitsplätze in den Landkreisen Die Region um Hof gilt als Sorgenkind von Bayern. Wunsiedel und Hof gekostet.“ Während die durchschnittliche Arbeitslosenquote In den letzten Jahren wurde die Region von in Stoibers Vorzeigefreistaat Bayern 2002 bei sechs Negativschlagzeilen beherrscht: 2001 entging Prozent lag, waren im Arbeitsamtsbezirk Hof im die Hofer Schmidt-Bank nur knapp der Pleite, letzten Jahr [2002] 12,1 Prozent der Erwerbsper- im Februar 2002 stellte der bis dahin größte sonen ohne Arbeit, in der Stadt Hof sogar 15,1 Hofer Bauunternehmer Augsten & Scheuerlein Prozent. Ein Teil der Probleme ist hausgemacht. Insolvenzantrag, im Mai 2002 folgte der Regio- Hof war geprägt von der klassischen Textilin- nalfernsehsender Oberfranken TV. Nicht nur die dustrie, der benachbarte Landkreis Wunsiedel Unternehmen, auch die Gemeinden stehen vor hatte sich auf Porzellan spezialisiert. Wegen der dem Konkurs. Im Landkreis Hof müssen nach Zonenrandförderung mussten sich die Branchen Angaben des Selbitzer Bürgermeisters Klaus Adelt nicht anpassen. „Im Schutz des Eisernen Vorhangs zwölf der 27 Gemeinden einen Kredit aufnehmen, ließ sich’s gut leben. Keiner hat an Innovationen um die laufenden Gehaltsrechnungen zu bezah- gedacht. Ein nötiger Strukturwandel wurde len, in Wunsiedel sogar 15 von 17. Besonders schlicht verpennt“, gibt Bürgermeister Döhla zu. hart traf die Region im Jahr 2001 die Absage von Die Nähe zum Osten erwies sich nach der Wende BMW. Im Rennen um einen neuen Werksstandort keineswegs als Vorteil. Handwerker bekamen verlor Hof gegen Leipzig. Döhla: „Das hat Frust neue Wettbewerber aus Thüringen und Sachsen, und Depression ausgelöst.“ die niedrigere Tariflöhne zahlen durften, Pendler Tina Kaiser, Zonenrand ist abgebrannt, in: Die Welt, 2. 11. 2003 aus dem Osten erhöhten den Druck auf dem Ar- (http://www.welt.de/print-wams/article102119/Zonenrand_ist_ab- beitsmarkt, Billigimporte machten die klassischen gebrannt.html) Industriezweige unrentabel. Döhla: „Mitte der 90er-Jahre kam es zum großen Einbruch in der Aufgabe Die Öffnung der innerdeutschen Grenze zeigte für Hof überraschende Folgen. - Stellen Sie dar, was in den Tagen des Mauerfalls in und um Hof herum geschah. - Welche Entwicklung schien sich Ende 1989 anzubahnen und was wurde tatsächlich daraus? 133 © C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2010 Aus: Politik aktuell 10 (BN 6861)
P R O J E K T: B AY E R I S C H E O R T S C H A F T E N I M W A N D E L Eine Zukunft für Hof? Eine Zukunft für Hof? Wenn der Hofer Oberbürgermeister Harald Ficht- Automobilzulieferpark „Pole Position“ ner (CSU) über die Zukunftschancen seiner Stadt redet, dann kommt er rasch auf den Automobil- zulieferpark im Stadtteil Haidt zu sprechen. Dort, te Einkauf in der Hofer Innenstadt von Kunden wo 1989 ganz in der Nähe der Eiserne Vorhang von außerhalb getätigt wird. sich öffnete, wurde in den vergangenen vier … Mit diesem Argument versuchte die Stadt vor Jahren gewaltig viel Erde bewegt und befestigt, zwei Jahren den Mitarbeitern des neu angesie- um Werkhallen und Laborgebäude errichten delten Landesamts für Umwelt den Umzug von zu können. Hier entstehen Druckgussteile für München nach Oberfranken schmackhaft zu deutsche Markenautomobile, Vliesmatten, die zur machen. Verbunden mit dem Hinweis auf das Herstellung schusssicherer Westen für Polizisten eigene Drei-Sparten-Theater und die Leistungen und als Dämmschichten zum Schutz von Politi- der Hofer Symphoniker. Fast drei Millionen kerlimousinen vor Bombenanschlägen dienen. In Euro gibt die hoch verschuldete Stadt jährlich den Klimakammern des Automobiltechnikums, zusätzlich zum Erhalt der Spielstätten für das The- das sich in der Nachbarschaft angesiedelt hat, aterensemble aus. Die stetige Abwanderung von können mittelständische Unternehmen in Mietla- Bürgern konnten aber auch diese Angebote nicht bors ihre Innovationen testen. Deshalb hat einer stoppen. Seit einem Höchststand von fast 53.000 der größten Elektroteilehändler dort ein Versand- Einwohnern in den Jahren nach der Wende ging lager errichtet. … die Zahl auf zuletzt fast 48.000 zurück. Gestoppt Seit Oberbürgermeister Fichtner vor einem Jahr wurde jedoch die Abwärtsbewegung auf dem zum Chef im Rathaus gewählt wurde, sorgte die Arbeitsmarkt. „Ich merke das an den Stellenan- Stadt vor allem mit ihrem Festhalten an einem zeigen“, sagt Fichtner. Selbst die gelegentlich als Ausbau des Regionalflughafens Hof-Plauen für Altindustrie geschmähte Hofer Textilgruppe zähle Schlagzeilen. Das zuständige Luftamt in Nürnberg mit mehr als 800 Arbeitsplätzen im Stadtgebiet sah keine wirtschaftliche Notwendigkeit für das zu den sicheren Bereichen. Der Eindruck wird 54 Millionen Euro verschlingende Projekt und ver- von der Hofer Außenstelle der Bundesagentur für sagte … die Baugenehmigung. … Rathauschef Arbeit bestätigt. Die Arbeitslosenquote ging seit Fichtner schwärmt deshalb lieber von der „le- Februar 2006 von 12,4 Prozent auf 9,8 Prozent bendigen Hofer Innenstadt“, die an Samstagen zurück. Anziehungspunkt für viele Menschen sei, aus Für Visionen liefern diese Entwicklungen dem einem Umfeld, das bis nach Zwickau in Sachsen Rathauschef … noch keine tragfähige Basis. Die und Eger in Tschechien reiche. „Die schönste Ein- Finanzlage ist nach wie vor trostlos. … Hof gehört kaufsstadt zwischen Nürnberg und Leipzig“, sagt zu den drei kreisfreien Städten in Bayern, deren Fichtner. Tatsächlich rangiert die Stadt mit einer Steuerkraft 2006 abnahm. Zentralitätskennziffer von über 200 bundesweit Peter Schmitt, Mutmacher gesucht, in: Süddeutsche Zeitung, 27. im Spitzenfeld. Die Ziffer besagt, dass jeder zwei- März 2007 134 © C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2010 Aus: Politik aktuell 10 (BN 6861)
P R O J E K T: B AY E R I S C H E O R T S C H A F T E N I M W A N D E L Hof als Teil der Metropolregion Nürnberg Die Stadt Hof (ohne den Landkreis) gehört zur Metropolregion Nürnberg, die 2005 von der Mi- nisterkonferenz für Raumordnung (MKRO) ins Leben gerufen wurde. Seit 1995 werden von der MKRO starke Wirtschaftsregionen in Deutschland zu Metropolregionen ernannt, um „als Motoren der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit Deutschlands und Europas (zu) erhalten“ . Tatsache ist, dass im europäischen und globa- len Standortwettbewerb zunehmend nicht die Staaten, sondern die Regionen miteinander konkurrieren. Immer häufiger stehen Städte und Landkreise vor Aufgaben, die sich besser im Ver- 2003 wurde der Bürgerpark Theresienstein in Hof zum schönsten bund lösen lassen. Bei der Interessenvertretung Park in Deutschland gekürt. gegenüber Land, Bund und EU bringt daher eine Kooperation viele Vorteile. Die fränkischen Rathaus-Chefs und Wirtschaftsverbände erhof- fen sich von der Einstufung als Metropolregion jedenfalls bessere Chancen bei potenziellen Investoren. „Im internationalen Standortmarke- ting wird man stärker wahrgenommen“, betont der Nürnberger IHK-Experte für Standortpolitik, Hans-Joachim Lindstadt. Die Metropolregion Nürnberg zählt dabei zu den wirtschaftsstärksten Räumen in Deutsch- land und erzielt eine höhere Wirtschaftsleistung als Tschechien oder Ungarn. Bei einer Bevöl- kerung von rund 3,5 Millionen Menschen wird zwischen Würzburg, Hof und Weißenburg ein Bruttoinlandsprodukt von über 100 Mrd. Euro erwirtschaftet. Autorentext Aufgaben 1. Erarbeiten Sie die aktuellen Standortvorteile und –nachteile Hofs und fassen Sie die Maßnahmen zusammen, durch die die Stadt einen wirtschaftlichen Aufschwung erfahren soll. 2. Stellen Sie zusammen, welche Vorteile sich eine Region, hier speziell die fränkische, vom Titel „Metropolregion“ erwartet. Überlegen Sie, was gerade der Stadt Hof zugute kommen könnte. 3. Bei Ihrer Besuchergruppe handelt es sich um Mitarbeiter einer Firma, die eine Niederlassung in Hof aufbauen möchte. - Schildern Sie der Gruppe die Vorzüge des Lebens in Ihrer Stadt! - Gehen Sie dabei auch auf die kulturellen Einrichtungen und Freizeitmöglichkeiten in Hof ein. 135 © C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2010 Aus: Politik aktuell 10 (BN 6861)
P R O J E K T: B AY E R I S C H E O R T S C H A F T E N I M W A N D E L Methode Zum Umgang mit Zahlen, Statistiken und Diagrammen Bevölkerungsentwicklung und -prognose der Stadt Hof a) Die Bevölkerung Hofs 1945 bis heute Seit 1945 65.000 60.000 55.000 50.000 2006 45.000 40.000 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 Quelle: Jahrbuch der Stadt Hof b) Zum Vergleich: die Bevölkerungsentwicklung in München Einwohnerentwicklung in München (Wohnberechtigte) 1.600.000 1.400.000 1.400.000 1.200.000 1.000.000 800.000 600.000 400.000 200.000 0 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 insgesamt Deutsche Ausländer Statistisches Amt, bis 1990 MIDAS, ab 1993 ZIMAS, Wohnberechtigte; Entwurf: LHM PLAN I/22, Daten/Bestand/Gesamt-MIDZIM-Teitreihe 136 © C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2010 Aus: Politik aktuell 10 (BN 6861)
P R O J E K T: B AY E R I S C H E O R T S C H A F T E N I M W A N D E L c) Einwohnerprognose für die Stadt Hof bis 2020 nach Szenarien Einwohnerentwicklung 2005 – 2020 51.000 50.000 49.000 48.000 47.000 R- SE H NE NO D G 46.000 WO AN RO EINBEST P 45.000 44.000 positives Szenario: - 9 % 43.000 negatives Szenario: - 11,6 % 42.000 2000 2005 2010 2015 2020 Stadt Hof; www.hof.de/hof_deu/80_stadtentwicklung/files/Fachgutachten-Demographie-und-Wohnungswirtschaft.pdf d) Zum Vergleich: Bevölkerungsprognose für die Stadt München bis 2020 nach Szenarien 1.600.000 Szenario Zuwanderung: anhal- tender Zuzug von Deutschen 1.550.000 und Ausländern 1.500.000 Baby-Boom: eine mittelfristige oder sogar längerfristige Erhö- hung der Geburtenzahlen 1.450.000 Planungsprognose: aus heu- 1.400.000 tiger Sicht wahrscheinlichste Entwicklung 1.350.000 ab 2006, Register- Szenario Stagnation: Abbruch - E ER bereinigung; Neben- OS des gegenwärtigen Wachstums 1.300.000 O HN D wohnsitzsteuer N W AN OG EINBEST PR Biometrische Modellrechnung: 1.250.000 Fortschreibung aktueller Gebur- ten- und Sterbefall-Verhältnisse 1.200.000 ohne Wanderungsbewegungen 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 LH München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung I/22, Bevölkerungsprognose 2007 der Landeshauptstadt München, München 2007, S. 27 137 © C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2010 Aus: Politik aktuell 10 (BN 6861)
P R O J E K T: B AY E R I S C H E O R T S C H A F T E N I M W A N D E L 1. Erläutern Sie unter Bezugnahme auf Ihre bisherigen Arbeitsergebnisse die Bevöl- Aufgaben kerungsentwicklung der Stadt Hof seit 1945 (9a) und vergleichen Sie sie mit denen des Wirtschaftsraums München, der wirtschaftlich erfolgreichsten deutschen Stadt (9b). 2. Vergleichen Sie die Prognosen für die Bevölkerungsentwicklung Hofs (9c) und Münchens (9d) bis 2020 und versuchen Sie, diese zu erklären. 3. Überlegen Sie sich, wie man die Einwohnerprognose für Hof statistisch korrekt, aber dennoch beschönigend darstellen könnte. Hinweise zur Analyse Eine der wichtigsten Voraussetzungen, um gesellschaft- Manche Diagramme enthalten auch Prognosen, d.h. die liche Strukturen und Entwicklungen zu erforschen und Darstellung zeigt mögliche künftige Entwicklungen auf, zu analysieren, ist die Erhebung und Interpretation von die so eintreten können oder auch nicht. Daten. Anhand der Ergebnisse können etwa soziale Beim Entwurf von Zukunftsszenarien z.B. werden Daten Zusammenhänge oder Ursachen und Auswirkungen von und Informationen mithilfe von Einschätzungen und Veränderungen erschlossen werden. Statistische Daten Meinungen zu Bildern und Modellen der Zukunft ausge- sind vor allem durch die Darstellung in Diagrammen für staltet. In der Regel werden vor allem drei Grundtypen den Leser rasch erfassbar. von Szenarien entwickelt: Um solche Abbildungen richtig zu lesen und verstehen • ein positives Extremszenario, das die bestmögliche zu können, sollte man einige Regeln kennen und beher- Zukunftsentwicklung darstellt, zigen: • ein Trendszenario, das auf der Basis gegenwärtiger 1. Klären Sie zunächst, worum es in der Abbildung Daten und Trends die weitere Entwicklung berech- geht! Achten Sie also vor allem auf die Überschrift net sowie den Umfang! • und ein negatives Extremszenario, das den 2. Lesen Sie beigefügte Legenden, Fußnoten und schlechtest möglichen Verlauf annimmt. andere Ergänzungen zur Abbildung und achten Sie auf angegebene Maßeinheiten! Szenarien sind für Wissenschaft, Politik und Wirtschaft 3. Versuchen Sie dann, den Inhalt in eigene Worte ein Mittel, um Strategien für die Zukunft erarbeiten zu zu fassen. Gehen Sie dabei vom Allgemeinen zum können. Besonderen! 4. Weil mithilfe von Zahlenmaterial Tatsachen stets auch verfälscht oder manipulativ dargestellt werden können, um bestimmte Interessen zu verfolgen, sollten Sie auch auf folgende Kriterien achten: • die Quelle der Daten (seriös, wissenschaftlich, unbekannt, zweifelhaft, interessengeleitet?) • die Aktualität • den Zeitraum der Erhebung (Könnte es außerge- wöhnliche Einflüsse gegeben haben? Beziehen sich Beginn oder Ende des Zeitraums auf solch eher untypische Daten?) • den Maßstab der Darstellung (Durch unter- schiedliche Maßstäbe oder durch Auslassungen auf Längs- und Querachse kann eine Kurve in die Länge gezogen und abgeflacht oder gestaucht und so steiler und dynamischer oder dramatischer dargestellt werden.) 138 © C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2010 Aus: Politik aktuell 10 (BN 6861)
P R O J E K T: B AY E R I S C H E O R T S C H A F T E N I M W A N D E L 2 Soziokultureller Wandel in Städten und im ländlichen Raum Bevölkerungsprognose für Bayern bis 2024: Altersstruktur M1 2004 Bayern 2024 95 oder mehr männlich 90 weiblich 85 80 75 70 65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 120 100 80 60 40 20 0 0 20 40 60 80 100 120 Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung Personen in Tsd. Personen in Tsd. www.bay-bezirke.de/pages/aktuell/rs2006/rs%20172%20anlage%20 bauer%20Pr%E4sentation_Erlangen.pdf Bevölkerungsprognose für Bayern bis 2024 nach Regionen M2 Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverar- beitung www.bay-bezirke.de/pages/ aktuell/rs2006/rs%20172%20 anlage%20bauer%20 Pr%E4sentation_Erlangen.pdf 139 © C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2010 Aus: Politik aktuell 10 (BN 6861)
P R O J E K T: B AY E R I S C H E O R T S C H A F T E N I M W A N D E L M3 Konsequenzen für die Kommunen aus dem demografischen Wandel Die Bundesrepublik Deutschland insgesamt ist, durch ein Betreuungsangebot, das quantitativ aus- wie alle anderen alten Industrienationen auch, eine reichend, qualitativ hochwertig und flexibel genug Transformationsgesellschaft, eine Gesellschaft im ist, um den veränderten Lebens- und Arbeitsverhält- Übergang, in der die alten Institutionen nicht mehr nissen der heutigen Zeit zu entsprechen. Darüber 5 tragen und neue noch nicht gefunden sind. … Es hinaus können lokale Politiker ein Klima schaffen, 35 ist die fehlende Passung (Mismatch) zwischen Men- in dem Unternehmen eine Philosophie und Praxis schen und Institutionen, genauer: zwischen den entwickeln, die aktiv Rücksicht nehmen auf die alten Institutionen und den neuen Realitäten .… Tatsache, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Nicht nur die Verhältnisse haben sich verändert, Kinder oder (zu pflegende) Eltern haben. 10 auch die Menschen sind andere geworden. Sie Warum entwickeln sich manche Städte, andere 40 leben künftig ein anderes Leben. Den Unterschied nicht und warum fallen wieder andere zurück? erkennt man rasch, wenn man sich die „normalen“ Eine verbreitete Antwort auf diese Frage kann man Lebensverläufe früherer Generationen anschaut. in folgender These zusammenfassen: Unternehmen Vor allem die zwischen 1930 und 1950 Geborenen schaffen Arbeitsplätze. Die Leute gehen dorthin, 15 haben ihr Leben nach dem Modell der Lebenstrep- wo es Arbeitsplätze gibt. Also muss sich eine 45 pe gelebt: Jugend – Erwachsene – Alter. Es waren Stadt, eine Region vor allem um die Ansiedlung drei Phasen, die sich aufeinander bezogen und von Unternehmen kümmern. … Wenn es für die klare Normalitäts-Erwartungen ausgestrahlt hatten. Entwicklung einer Stadt darauf ankommt, kreatives In der Jugend hatte man sich auf den Ernst des Potenzial zu halten und neues anzuziehen, es zu 20 Lebens vorbereitet. Als Erwachsener hatte man ei- pflegen und zu mobilisieren, dann sind jene Städte 50 nen Beruf und/oder man war verheiratet. Im Alter im Vorteil, die offen und tolerant, vielfältig und ruhte man sich von den Mühen des Lebens aus. … aufregend sind. Es ist das kulturelle Klima einer Wer heute jung ist, hat ein anderes Leben vor sich: Stadt, das kreative Leute anzieht oder abstößt. ... ein Leben mit riskanten Freiheiten und normalen Ein offenes Stadtklima, überhaupt kulturell moder- 25 Risiken; ein Leben, in dem er oder sie immer ne Verhältnisse sind gute Bedingungen für mehr 55 wieder neu anfangen können und auch müssen. Kinder und für mehr Arbeitsplätze, für eine soziale Übergänge werden zu den kritischen Punkten im und für eine wirtschaftliche Entwicklung. Leben. … Die Folgen für die Städte sind bekannt: Es ist eine Warnfried Dettling, „Stadtpolitik im Umbruch. Globale Trends und 30 kommunale Aufgabe, die Familien zu unterstützen gesellschaftlicher Wandel“, in: vorgänge 165, Heft 1/2004, S. 3-8 1. Erläutern Sie die prognostizierte Entwicklung der Altersstruktur in Bayern und Aufgaben überlegen Sie sich deren konkrete Folgen. (M 1) 2. Untersuchen Sie die vorausgesagten Wanderungsbewegungen in Bayern und ver- suchen Sie, Tendenzen und Ursachen zu erkennen! Analysieren Sie dabei auch die Entwicklung Ihrer Heimatregion. (M 2) 3. Welche Probleme kommen durch die in M 1 – M 3 dargestellten Entwicklungen auf die Kommunen zu? 4. Wie soll die Politik darauf reagieren, um zukunftsfähige Kommunen zu schaffen? Stellen Sie einen Maßnahmenkatalog zusammen. 140 © C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2010 Aus: Politik aktuell 10 (BN 6861)
P R O J E K T: B AY E R I S C H E O R T S C H A F T E N I M W A N D E L Werden die ländlichen Regionen aufgegeben? M4 Die Experten setzen in Zukunft offenbar mehr auf Ein Weiteres: Schon heute gibt es Gemeinden ohne 35 die Metropolregionen als auf das flache Land. Inves- eine eigene Verwaltung, weil die nicht wirtschaftlich tiert wird nur noch dort, wo es sich wirtschaftlich genug arbeiten kann. Die Überlegung einer privat- rechnet. wirtschaftlich organisierten Verwaltung der Gemein- 5 Leben die Deutschen in 150 Jahren alle in Städten den bedrohe die kommunale Selbstverwaltung als und in riesigen Metropolen? Schafft die Globali- einen tragenden Pfeiler des bisherigen Systems. 40 sierung Megastädte und verkommt darüber unsere Die raumplanerische Bevorzugung städtischer Regi- ländlich geprägte fränkische Kulturlandschaft? Ei- onen werde auch an den im Landesentwicklungs- gentlich ist der Gedanke, dass sich in einigen Gene- plan festgeschriebenen Größen der Verkaufsflächen 10 rationen unsere Lebensräume zusehends auf große für Supermärkte deutlich. Oft genug würden die für Zentren reduzieren sollen, schlicht unvorstellbar. ein wirtschaftliches Betreiben notwendigen Grö- 45 Dennoch gibt es Experten, die gewisse Anzeichen ßenordnungen nicht genehmigt, zum Nachteil der dafür erkennen wollen, dass die Entwicklung genau zu versorgenden Bevölkerung auf dem Land. „Wir in diese Richtung geht. müssen uns ernsthaft die Frage stellen, was uns in 15 So klagt der Präsident des Bayerischen Landkreis- Zukunft vernünftige gesellschaftliche Strukturen auf tags, Theo Zellner (CSU), darüber, dass eine ein- dem flachen Land noch wert sind“, meint Butten- 50 seitige europäische und deutsche Raumordnungs- heims Bürgermeister. Nichts verdeutliche den Trend politik zu stark die Metropolregionen bevorzuge. Richtung Metropolisierung mehr als die Abschaffung Strukturschwache ländliche Gebiete drohten so für der Pendlerpauschale. Die Überlegungen der Raum- 20 Raumplanung und Wirtschaftsförderung zu einer planer gingen offenbar davon aus, eine Siedlungs- Restgröße zu verkommen. Die Folge: Das Gefälle politik zu betreiben, die es erlaubt, den Menschen 55 zwischen starken und schwachen Regionen wird in Zukunft die benötigte Infrastruktur möglichst immer größer. Diese Sorge im Großen korrespon- preiswert zur Verfügung zu stellen. Während man diert mit den Erfahrungen auf kommunaler Ebene. in Städten mit drei Kilometern Abwasserkanal 25 So weiß zum Beispiel Johann Kalb (CSU), Bürger- 30.000 Menschen versorgen könne, benötige man meister der Marktgemeinde Buttenheim im Land- auf dem Land ein Vielfaches an Kilometerzahl für 60 kreis Bamberg, einige Mosaiksteine zu benennen, die gleiche Bevölkerungszahl. … Von der Präambel die die Befürchtungen des Chefs des Bayerischen im Landesentwicklungsprogramm – sie sieht unter Landkreistags nur unterstreichen. Das fängt bei anderem die Schaffung gleichartiger Arbeits- und 30 den Schulen an. Dem Sterben der Teilhauptschulen Lebensbedingungen im Land vor – hält Kalb nicht werden die Grundschulen und Kindergärten folgen, sonderlich viel. Die Präambel stehe schließlich unter 65 befürchtet Kalb. Mit unabsehbaren Folgen für die einem Finanzierungsvorbehalt. Das Ganze dürfe Gemeinden auf dem flachen Land. Schulen hätten man deshalb nicht so ernst nehmen. Der Bürger- einen Mehrwert für die Kommunen, sie seien das meister hat aktuell ganz andere Sorgen. Die Schule 35 Herz, das „sine qua non“1. Ihr Fehlen beschneide in seiner Gemeinde steht vor dem Aus. das infrastrukturelle Angebot der Gemeinden ent- scheidend. Junge Familien würden wegziehen, das bislang blühende Vereinsleben auf dem Land wäre Klaus Angerstein, Fränkischer Tag, 14. April 2007 in seinem Bestand gefährdet. 1 notwendige, absolute, unerlässliche Bedingung 141 © C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2010 Aus: Politik aktuell 10 (BN 6861)
P R O J E K T: B AY E R I S C H E O R T S C H A F T E N I M W A N D E L M5 Die Positionen der politischen Parteien zur Entwicklung des ländlichen Raums CSU will Stärkung der Kommunen schule müsse weiterentwickelt und eventuell als Die Wirtschaftspolitik steht im Mittelpunkt des weiterführende Schule ausgestaltet werden. Da- CSU-Papiers zum ländlichen Raum. Genügend Ar- nach müsse mit den Kommunen die Trägerschaft 15 beitsplätze seien die Voraussetzung für den Erhalt geklärt werden, denn für weiterführende Schulen 5 gewachsener Strukturen. Eine Regionalförderung seien die Landkreise zuständig. Die CSU will die für schwächere Gebiete sei ebenso unabdingbar Kommunen im ländlichen Raum stärken, Ziel ist wie die Schaffung leistungsfähiger Verkehrswege. eine Zusammenarbeit über Gemeindegrenzen Zu einer modernen Infrastruktur gehöre auch hinweg. Der Staat solle nur Hilfe zur Selbsthilfe 20 die flächendeckende Versorgung mit Breitband- leisten und sich als Impulsgeber verstehen. Dafür 10 zugängen. Trotz rückläufiger Schülerzahlen will sei ressortübergreifendes1 Handeln nötig. die CSU am dreigliedrigen Schulsystem festhalten 1 über die Fachbereiche der einzelnen Ministerien (z.B. Wirtschaft, und möglichst viele Schulen erhalten. Die Haupt- Finanzen) hinausgehend SPD sieht Zukunft für die Landwirtschaft könnten ein zweites Standbein für Landwirte Die Landwirtschaft sieht die SPD als zentrales werden. Unerlässlich sei außerdem der Anschluss Kennzeichen des ländlichen Raums und deshalb der ländlichen Räume an die Datenautobahn. 15 solle sie gestärkt und gefördert werden. Jeder Um die Bildung in bevölkerungsarmen Gebieten 5 achte Arbeitsplatz hänge in Bayern indirekt mit zu sichern, setzt die SPD auf eine wohnortnahe der Landwirtschaft zusammen. Der Erhalt einer Regionalschule. Außerdem müsse die Ganztagsbe- flächendeckenden Landbewirtschaftung sei not- treuung ausgebaut werden. Um die Infrastruktur wendig. Dies soll auch zur Erschließung neuer zu verbessern, soll der ÖPNV [Öffentlicher Perso- 20 Einnahmequellen genutzt werden, beispielsweise nennahverkehr] gestärkt werden. Im Straßenbau 10 mithilfe des Tourismus. Auch die Einführung müssten Bund und Land verstärkt ihren Pflichten erneuerbarer Energien sei eine Option auf die nachkommen. Zukunft. Sonnenenergie, Windkraft und Biomasse c) Grüne für Öffnung des Schulsystems auf neue Straßen fordere die regionale Wirtschaft, Die Grünen wollen gleichwertige Chancen für während der Anschluss an das Autobahnnetz Menschen auf dem Land wie in der Stadt schaffen, Abwanderungstendenzen verstärke. Stattdessen 15 dafür müsse der Staat Impulsgeber sein. Selbstbe- müssten die Internet-Zugänge verbessert werden. 5 stimmung und Eigenverantwortung der Kommu- In der Landwirtschaft setzen die Grünen verstärkt nen dürften nicht angetastet werden. Das setze auf extensive Bewirtschaftung und Öko-Landbau, aber voraus, dass man die Regionen mit Geld und dadurch blieben auch Naturschönheiten und die Kompetenzen ausstatten müsse. Die Kommunen Kulturlandschaft erhalten, was dem Tourismus 20 sollen für Bildung selbst verantwortlich sein, zugute komme. Bei alldem sei außerdem der 10 bei Bedarf müsse das gegliederte Schulsystem Klimawandel zu beachten. geöffnet werden. Weitere Investitionen in den Katja Auer, Die Entdeckung des ländlichen Raums, in: Süddeutsche Straßenbau lehnen die Grünen ab. Der Verzicht Zeitung, 12. April 2007, S. 47 1. Stellen Sie die Bedeutung des ländlichen Raums für Bayern dar. (M 4) Aufgaben 2. Vor welchen Problemen stehen die Kommunen in strukturschwachen Regionen? Unterscheiden Sie zwischen Ursachen und Folgen. (M 4) 3. Fassen Sie die unterschiedlichen Vorschläge der politischen Parteien, diese Regio- nen zu fördern, zusammen und diskutieren Sie diese. (M 5) 142 © C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2010 Aus: Politik aktuell 10 (BN 6861)
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