Beheizung eines Stadtquartiers mit Grubenwasser - magis ...
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PDF 7714 www.ehp-magazin.de 6/2020 Beheizung eines Stadtquartiers mit Grubenwasser Nach dem Ende des Steinkohlenbergbaus im Ruhrgebiet entstehen auf den freiwer- denden Flächen neue Möglichkeiten für Wohnquartiere oder Gewerbe. Gleichzeitig kann das dort anfallende Grubenwasser in Verbindung mit Wärmepumpen für die Beheizung der Liegenschaften genutzt werden. Zusammen mit vor Ort installierter Photovoltaik ist eine autarke Wärmeversorgung möglich. Mit der letzten Kohleförderung 2018 endete die Ära der Steinkohle im Ruhrgebiet. Der Bergbau hinterlässt einen Untergrund, der von einer Vielzahl an Stollen und Schächten durchzogen ist. Oberflächenwasser sickert in die entstandenen Hohl- räume und wird zu Grubenwasser. Es musste im aktiven Bergbaube- trieb abgepumpt werden, damit die untertägigen Arbeiten nicht gefähr- det wurden. Damit sich das Gruben- wasser nicht mit den darüber lie- genden grundwasserführenden Schichten vermischt, wird es weiter- hin gefördert. Das Abpumpen wird als Teil der Ewigkeitskosten von der RAG Stiftung getragen. An sechs aktiven Wasserhaltungsstandorten im Ruhrgebiet wird Grubenwasser zukünftig gehoben und in nahe ge- legene Flüsse geleitet. Bild 1. Im neuen Stadteil Essen 51 sollen Wohnhäuser, Bürogebäude und Mischgebäude mit Gewerbe, Gastronomie und Büros entstehen 6/2020 www.ehp-magazin.de
2 FACHTHEMA DEZENTRALE ERZEUGUNG Das Landesamt für Natur, Umwelt Neben den sechs aktiven Wasser- daraus eine Wärmeleistung von et- und Verbraucherschutz Nordrhein- haltungsstandorten gibt es über das wa 2 MW auf einem konstanten Westfalen (Lanuv) hat in einer Poten- Ruhrgebiet verteilt eine Vielzahl an Temperaturniveau von 20 °C bereit- zialstudie ermittelt, dass rd. 150 000 Sicherungsstandorten. Diese wer- stellen. Haushalte mit der im Gruben- den von der RAG so ausgebaut, dass wasser enthaltenen geothermische sie zu aktiven Pumpstandorten um- Energiesystem Wärme versorgt werden könnten [1]. gebaut werden können. Der Schacht Das Verbundvorhaben Gruben- Marie in Essen ist ein solcher zu- Derzeit wird ein Energiekonzept er- wasser-Ruhr [2], das vom Bundes- künftiger Sicherungsstandort. stellt und untersucht, wie das Quar- wirtschaftsministerium im 6. Ener- tier innovativ und effizient versorgt gieforschungsprogramm der Bun- Standort Marie: Essen 51 werden kann. Dazu werden Wärme desregierung gefördert wurde, hat aus Abwasser und Wärme aus Gru- Konzepte entwickelt, mit denen Rund um diesen Schacht entsteht benwasser in dem Netz verwendet. diese Potenziale in einer konkreten auf dem ehemaligen Kruppgürtel Primäre Wärmequelle ist ein Ab- Umsetzung genutzt werden können. ein neuer Stadtteil mit dem Namen wasserkanal, aus dem eine Leistung Essen 51. Auf 52 ha Entwicklungs- von rd. 8 MW erschlossen werden fläche entstehen Gewerbeflächen, kann. Abhängig von der Jahreszeit Bürogebäude, urbanes Wohnen und beträgt die Temperatur rd. 8 bis Gastronomiebetriebe. Standorteig- 12 °C. In Kombination mit der Wär- ner, Entwickler und zukünftiger me aus Grubenwasser können so im Energieversorger ist die Thelen Grup- jahreszeitlichen Verlauf Vorlauf- pe. Es sollen nach aktuellem Stand temperaturen zwischen 10 und 15 °C der Planungen 46 mehrgeschossige erreicht werden. Um die für eine Häuser entstehen. Sie lassen sich Flächenheizung notwendige Tem- hinsichtlich ihrer Nutzung in Wohn- peratur von etwa 35 °C zu erreichen, häuser, Bürogebäude und Mischge- müssen Wärmepumpen (WP) ein- bäude mit Gewerbe, Gastronomie gesetzt werden. Diese nutzen Strom und Büros unterteilen (Bild 1). als Hilfsenergie, um das Tempera- Aus dem Schacht Marie kann turniveau entsprechend der Bedarfe Wärme aus Grubenwasser über ei- anzuheben nen geschlossenen Wärmesonden- Untersuchungen im Projekt Gru- kreislauf gewonnen werden (Bild 2). benwasser-Ruhr haben gezeigt, Bild 2. Sondenkonzept: Eine Wärme- Aufgrund der untertägigen Gruben- dass Konzepte mit einer dezentra- sonde stellt aus dem Grubenwasser wasserströmung ist ein permanen- len Erwärmung die Niedertempera- eine Wärmeleistung von etwa 2 MW ter Wärmenachfluss von 25 °C ge- turwärmequellen unter 20 °C opti- bereit währleistet. Die Wärmesonde soll mal nutzen. Im Gegensatz zu einer zentralen Erwärmung können die WP bessere Leistungszahlen (COP) erreichen. Bereitschaftsverluste werden minimiert und das Wärme- netz kann ohne Isolierung verlegt werden. Aus dieser Kombination ergeben sich sehr niedrige Primär- energiefaktoren zur Gebäudebehei- zung. Darüber hinaus ermöglichen es die WP, mit dem Versorgungs- konzept in den Sommermonaten die Gebäude zu klimatisieren. Wärmebedarfe Bild 3. Erstellung der Lastgänge mit dem Online-Simulationswerkzeug „TDA Nach derzeitigen Berechnungen thermal demand analysis“ haben in dem Quartier alle Gebäude www.ehp-magazin.de 6/2020
3 Strom- Elektro- speicher mobilität Solarstrahlung Photovoltaik Brennstoff- Brennstoff- Power-to-Gas Brennstoff- tarif bedarf Einschalt- speicher reihenfolge Stromtarif DE Stadtwerk (Strom) source Heat Wärmeaufnahme Wärmepumpen Wohngebäude Wasser Wohnquartier Grubenwasser HT Wärmeabgabe Wärmenetz Wasser Abwasser source Heat Büro & Büro & Wärmepumpen Gastronomie Gewerbe Gewerbe Bild 4. Mit der Simulationssoftware TOP-Energy können verschiedene Versorgungsalternativen untersucht werden zusammen einen Wärmebedarf von Simulationssoftware TOP-Energy Strombedarf für die WP von etwa rd. 16 GWh/a mit einer Spitzen-leis- der Magis Consult GmbH verwendet 3,1 GWh(el)/a. tung von rd. 12 MW auf etwa (Bild 4) [4]. Die Software wird zur In einer Simulationsstudie, die 38 000 m 2 Geschossfläche. Um zu Optimierung von Energiesystemen über das konkret geplante Projekt untersuchen, wie die WP mit Strom, und zur Zeitreihenanalyse einge- hinausgeht, wurde untersucht, zu der in Photovoltaikanlagen erzeugt setzt. welchem Anteil der Strombedarf wird, versorgt werden können, ist Manche Aspekte werden im Sinne über Photovoltaik-(PV-)Anlagen ein stündlich aufgelöster Lastgang einer besseren Übersichtlichkeit gedeckt werden könnte. Dazu wer- notwendig. vereinfacht. So werden die einzel- den PV-Module in das Modell ein- Zur Erstellung des Lastgangs wird nen Gebäude zu Nutzungsgruppen gepflegt, die in etwa die Hälfte der das Online-Simulationswerkzeug mit ähnlichen Nutzungsmustern zur Verfügung stehenden Dachflä- „TDA thermal demand analysis“ der zusammengefasst. Es entstehen so che ausnutzen sollten. Es bleiben Aachener TLK Energy GmbH einge- Bedarfskomponenten für Büro und daher 39 900 m 2 , auf denen mit setzt (Bild 3) [3]. Das Simulations- Gewerbe (11,4 GWh(th)), Büro und heute marktüblichen 9 kWpeak /m 2 werkzeug berücksichtigt bei der Be- Gastronomie (4,5 GWh(th)) und Woh- also rd. 3,9 MWpeak installiert wer- rechnung von Wärme-, Kälte- und nen (2,5 GWh(th)). den. Mit der lokalen Globalstrah- Stromlastgängen typische Gebäude- Auch wenn im Konzept lokale, lung von max. 900 W/m 2 werden parameter wie Mauern und Fenster- dezentrale WP für jedes Gebäude damit insgesamt 3 700 MWh Strom flächen, Lage und Ausrichtung. vorgesehen sind, werden sie in der erzeugt. Die erzeugte Spitzenleis- Ebenso können das Nutzerverhal- Simulation zu zwei ausmodellier- tung beträgt bei einer angenomme- ten, wie eine Nachttemperaturab- ten Anlagen zusammengefasst. nen Performance Ratio von 0,8 et- senkung, und innere Lasten durch Die eingesetzten Flächenheizun- wa 3,1 MW. Beleuchtung, Geräte, Personen, gen in den Gebäuden benötigen Die jährlich erzeugte elektrische Luftwechselrate usw. berücksichtigt 35 °C Heizungsvorlauftemperatur. Energie reicht theoretisch aus, um werden. Mit diesen Parametern Bei einer Temperatur im Netz von den Strombedarf der WP in Höhe kann der stündlich aufgelöste Last- 8 bis 10 °C im Winter muss die WP von 3,1 MWh(el)/a zu decken. Ohne gang der Heizwärme mit einem einen Temperaturhub von etwa den Einsatz eines Speichers kön- Testreferenzjahr des Deutschen 25 K leisten. In diesem Tempera- nen allerdings nur 526 MWh(el)/a Wetterdienstes erzeugt werden. turbereich arbeiten die WP sehr direkt genutzt werden, da Wärme Zur Untersuchung verschiedener effizient mit einem COP-Wert von und Strom nicht gleichzeitig benö- Versorgungsalternativen wird die über sechs. Daraus ergibt sich ein tigt werden. Dies ergibt einen Autar- 6/2020 www.ehp-magazin.de
4 FACHTHEMA DEZENTRALE ERZEUGUNG PV-Erzeugung Strombedarfe Stromspeicherentladung Stromspeicherbeladung 2000 kW 1500 1250 1000 Leistung 750 500 250 0 0 Fr. 12.01.2018 So. 14.01.2018 Di. 16.01.2018 Bild 5. Stromspeichernutzung für Heizung im Winter kiegrad von rd. 17 % und entspricht mit kann ein Teil der in der Nacht 80 % Wirkungsgrad integriert. Im einer Eigenverbrauchsquote von notwendigen Heizlast bedient wer- Zusammenspiel mit dem 800-kWh- 14 %. den. In den Simulationen weist der Batteriespeicher können damit In einem nächsten Schritt wird Speicher in einem Jahr bis zu 200 32 % Autarkiegrad (1 170 MWh) er- untersucht, ob sich der Autarkie- Be- und Entladezyklen auf. reicht werden und 35 % Autarkie- grad zur Selbstversorgung des Mit der Implementierung eines grad (1 188 MWh) mit einem Quartiers über den Einsatz von Speichermanagements berechnet 1,6-MWh-Stromspeicher. Die Eigen- elektrischen Speichern erhöhen die Simulation einen Eigenver- verbrauchsquoten steigen entspre- lässt. Die Betrachtung von Wärme- brauch von 643 MWh(el)/a, was ei- chend auch auf rd. 31 % bzw. 35 %. speichern wird nicht durchgeführt, nem Autarkiegrad von 21 % ent- Die Ergebnisse sind in Tafel 1 dar- da für Niedertemperaturwärme- spricht. Die Eigenverbrauchsquote gestellt. quellen ein großes Volumen zur steigt entsprechend auf 17 %. Bei Speicherung relevanter Wärme- Verdopplung der Speicherkapazität Zusammenfassung: mengen notwendig wird. auf 1 600 kWh(el) lässt sich der Ei- Mit den Batteriespeichern soll in genverbrauch auf 784 MWh/a bzw. Für die Wärmeversorgung in Es- erster Linie eine Möglichkeit zur 20 % erhöhen, der Autarkiegrad sen 51 liegt der Fokus auf der Mög- tagesinternen Speicherung – also steigt auf 24 %. Somit ließe sich ein lichkeit, die Wärmepotenziale aus der Nutzung tagsüber zu viel er- Viertel des für die Wärmepumpen Abwasser und Grubenwasser zu zeugten Stroms in der Nacht – ge- benötigten Stroms lokal durch nutzen. Hier zeigen die Simulatio- schaffen werden. Für eine erste Photovoltaik erzeugen. nen, dass durch ein intelligentes Rechnung wird ein Stromspeicher Als Langzeitspeicher sind Batte- Energiekonzept, bei dem lokale mit einer nutzbaren Kapazität von rien nicht geeignet. Es sind zu hohe geothermische und solare Quellen 800 kWh gewählt. Durch den guten Speicherkapazitäten erforderlich, einbezogen werden, eine äußerst COP-Wert der WP von 6 können was zu sehr hohen Investitions emissionsarme Versorgung mit damit rd. 4,8 MWh thermisch je kosten führen würde. Der über- Heizwärme möglich ist. Da alleine Entladevorgang erzeugt werden. schüssige Strom könnte aber mit im Ruhrgebiet 99 weitere Siche- Das Speichermanagement wird in einer Power-to-Gas-(P2G-)Anlage in rungsstandorte für die Grubenwas- der Simulation über eine Priorisie- Wasserstoff verwandelt und somit serhaltung existieren, könnte Es- rung gestaltet. Bei Stromerzeugung gespeichert oder für andere An- sen 51 auch als Vorzeigeprojekt für aus der Photovoltaikanalage werden wendungen, z. B. in der Mobilität, weitere Konversionsflächen aus zuerst die Wärmepumpen betrie- verwendet werden. Der stromba- dem Bergbau stehen. ben. Steht mehr Leistung zur Ver- siert erzeugte Brennstoff kann zu- fügung wird der Speicher beladen, dem zurückverstromt und für Ausblick und erst dann wird ins Netz einge- Heizzwecke verwertet werden. speist. Der Speicher wird so täglich Als Beispiel sei hier eine Simula- Bisher wurde die Klimatisierung geladen und – sofern geheizt wird tion mit einer P2G-Anlage mit einer der großen Büro- und Gewerbeflä- – auch wieder entleert (Bild 5). Da- Maximalleistung von 500 kW bei chen auf dem Gelände in den Si- www.ehp-magazin.de 6/2020
5 Variante PV- Gesamt- Eigen- Eigenver- Autarkie- Erzeugung verbrauch verbrauch brauchsquote grad MWh MWh MWh % % Referenz 0 3 107,9 0,0 0 0 PV 3 738,1 3 108,0 526,1 14 17 PV – Batterie 3 738 3 107,8 643,0 17 21 PV – 2 x Batterie 3 738 3 107,8 748,6 20 24 PV – Batterie-P2G 3 738 3 691,8 1 169,4 31 32 PV – 2 x Batterie-P2G 3 738 3 749,9 1 302,3 35 35 Tafel 1. Auswertung der Simulationen mulationen noch nicht berücksich- doch tagsüber, z. B. an ihrem Ar- tigt. In einer Betrachtung des beitsplatz laden, könnte noch mehr Prof. Dr.-Ing. Hermann-Josef Wagner, Gesamtenergieverbrauchs des des lokal erzeugten Stroms genutzt bis Herbst 2019 Leiter des Lehrstuhls, Standorts spielt sie jedoch eine werden. Geeignete Tarifstrukturen jetzt Seniorprofessor wagner@lee.rub.de wichtige Rolle. Die Kombination könnten dies befördern. Lisa Altieri, Michel Gross, aus Niedertemperatur-Wärmenetz, Insgesamt ergibt sich so eine Viel- Tobias Reiners, zur Kühlung geeigneter Wärme- zahl von Chancen für eine emissi- wissenschaftliche Mitarbeiter, pumpen und dem Einsatz von So- onsarme, nachhaltige und sektor- Lehrstuhl für Energiesysteme und Energiewirtschaft, Ruhr-Universität larstrom scheint hier jedoch ein übergreifende Energieversorgung Bochum sehr vorteilhaftes Szenario zu sein. auf den ehemaligen Bergbaustand- altieri@lee.rub.de Schließlich überlappen sich Son- orten. Aus den Energieflächen der michel.gross@rub.de neneinstrahlung und Kältebedarf Vergangenheit werden so solche der tobias.reiners@rub.de www.lee.rub.de stark. Zukunft. www.gw-ruhr.rub.de Darüber hinaus gibt es Überle- gungen, auch Elektromobilität in Literatur Dr. Johannes Schliesser, das Quartierskonzept zu integrie- Gründer und Geschäftsführer, ren. Inwiefern dazu lokal erzeugter [1] Landesamt für Natur, Umwelt und johannes.schliesser@ Verbraucherschutz Nordrhein- magis-consult.com Strom genutzt werden kann, ist in Westfalen (Hrsg.): Potenzialstudie erster Linie abhängig von der Nut- Salah Dishneh, Warmes Grubenwasser. Lanuv- Vertriebsingenieur, zung bzw. dem Lademanagement. Fachbericht 90, 2018. Magis Consult GmbH, Berlin Aufladen über Nacht (wie es bei [2] www.gw-ruhr.rub.de salah.dishneh@magis-consult.com Anwohnern wohl üblich sein würde) [3] https://tda.tlk-energy.de www.magis-consult.com würde den Strombezug aus dem [4] www.magis-consult.com Netz erhöhen. Sollten die Nutzer je- 6/2020 www.ehp-magazin.de
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