Beitrag: Air-Berlin-Pleite-Manuskript - ZDF
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Manuskript Beitrag: Air-Berlin-Pleite – Steuerverschwendung mit Ansage Sendung vom 20. März 2018 von Ralph Goldmann und Andreas Halbach Anmoderation: Air Berlin ist Geschichte. Verkauft und abgehakt, könnte man meinen. Aber an der bislang größten Insolvenz in der deutschen Luftfahrt hängt noch eine offene Rechnung für die Steuerzahler. Rund 90 Millionen Euro vom Staatskredit für Air Berlin wurden bislang nicht zurückgezahlt. Die Bundesregierung wusste von den Risiken, doch das blieb intern. Öffentlich beteuerte die Kanzlerin, die Steuerzahler müssten mit, Zitat, „großer, großer Wahrscheinlichkeit" nicht für den Kredit geradestehen. Das war im Sommer vorigen Jahres, erinnern wir uns: Urlaubszeit - und kurz vor der Bundestagswahl. Ralph Goldmann und Andreas Halbach über die Gewinner und Verlierer einer Pleite mit Ansage. Text: 27. Oktober 2017. Flughafen Berlin-Tegel. Es die letzte Landung einer Air-Berlin-Maschine. Die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands ist am Ende. Tausende Beschäftigte werden arbeitslos. Zehntausende Kunden bleiben auf wertlosen Tickets sitzen - und die Bundesregierung hat 150 Millionen Euro Steuergeld in die Pleite gesteckt. Eine Pleite mit Ansage, meint der Luftfahrtexperte Professor Rudolf Juchelka: O-Ton Prof. Rudolf Juchelka, Luftfahrtexperte, Universität Duisburg-Essen: Hier ist ein Zusammenspiel von Politikversagen auf der ministeriellen Ebene und Behördenversagen zu attestieren. Ich glaube, hier hätte vorher viel genauer aufgepasst werden müssen. Und gerade die Aufsichtsbehörde hätte hier auch viel intensiver draufschauen müssen. Zu Besuch bei Ulrike Dölle mit Ehemann und Bruder. Sie buchte Air-Berlin-Tickets nach Florida. Wegen des behinderten Bruders
wollten sie Business Class fliegen, für 8.000 Euro. Mit der Insolvenz wurden ihre Flüge ersatzlos gestrichen. O-Ton Ulrike Dölle, Air-Berlin-Kundin: Also, ich wäre nicht auf die Idee gekommen, dass wirklich das gesamte Geld weg ist. Das so etwas in Deutschland möglich ist, das konnte ich mir nicht vorstellen. Mehr als 100.000 Air-Berlin-Kunden geht es ähnlich. Hätte es so weit kommen müssen? Das Luftfahrtbundesamt. Um Kunden zu schützen, kann die Aufsichtsbehörde solche Betriebsgenehmigungen entziehen, wenn Fluggesellschaften überschuldet sind. Bei Air Berlin bestand der Verdacht schon länger. 28. April 2017. Die arabische Airline Etihad, Hauptgesellschafter von Air Berlin, verspricht, anfallende Rechnungen der deutschen Airline zu bezahlen, 18 Monate lang. Zu dieser Zeit hat Air Berlin fast zwei Milliarden Euro Schulden. Das Luftfahrtbundesamt akzeptiert diese sieben wenig konkreten Zeilen als Sicherheit. Für Experten eine Fehlentscheidung: O-Ton Christoph Niering, Vorsitzender Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands: In dieser Patronatserklärung steht nicht drin, welches Recht anwendbar ist, vor welchem Gericht ich klagen muss, was genau Höhe ist und insbesondere, wann dieses Geld kommt. Das Luftfahrtbundesamt muss, glaube ich, schon sich fragen, ob man hier richtig gearbeitet hat oder man nicht hätte früher eingreifen können. Das Luftfahrtbundesamt teilt mit, es sei seiner Aufsichtspflicht nachgekommen, habe Air Berlin „sehr engmaschig überprüft“. 11. August 2017. Etihad dreht Air Berlin doch den Geldhahn zu. Die Araber ziehen ihr Versprechen gegenüber der deutschen Aufsichtsbehörde zurück. Warum greift die Behörde nicht ein? Nachfrageversuch beim damals verantwortlichen Bundesverkehrsminister: O-Ton Frontal 21: Herr Dobrindt, gestatten Sie zwei Fragen zu Air Berlin? O-Ton Alexander Dobrindt, CSU, ehemaliger Bundesverkehrsminister: Zu was? O-Ton Frontal 21: Zu Air Berlin. Entschuldigung, Herr Dobrindt!
15. August 2017. Vier Tage, nachdem Etihad die Zahlungen eingestellt hat, muss Air Berlin Insolvenz anmelden. Gleichzeitig gewährt die Bundesregierung der Airline diesen Kredit in Höhe von 150 Millionen Euro. Begründung: Gestrandete Urlauber müssten nach Hause geholt und möglichst viele Arbeitsplätze gerettet werden. Anja Barbian-Stiller und Kerstin Werner haben trotzdem ihre Jobs verloren. 30 Jahre sind sie für die Airline geflogen. Der Brief mit der Kündigung ist noch frisch. Sie müssen sich neue Jobs suchen. O-Ton Kerstin Werner, ehemalige Air-Berlin-Mitarbeiterin: Ich bin noch in der Findungsphase. Vielleicht mache ich auch was ganz anderes. Ich weiß es nicht. Ich muss erst mal diesen Brief verarbeiten, obwohl ich ja wusste, dass er kommt. Aber man ist, man wird sensibel mit der Zeit. Sehr sensibel. Geht mir auch nahe jetzt. Rund 4.000 Air Berliner sind nach wie vor arbeitslos. 16. August 2017. In einem Interview auf einem YouTube-Kanal rechtfertigt die Kanzlerin den Millionen-Kredit: O-Ton Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin, am 16.8.2017: Wir können mit großer, großer Wahrscheinlichkeit sagen, dass der Steuerzahler das nicht bezahlen muss. An diesem Versprechen bestehen von Anfang an Zweifel. Das legen vertrauliche Dokumente nahe, die dem ZDF vorliegen. Die Unternehmensberatung PwC soll für die Regierung bewerten, ob der 150-Millionen-Kredit überhaupt genehmigungsfähig ist. Daran zweifeln die PwC-Juristen. In einer E-Mail vom 12. August 2017 schreiben sie: „Kriegen wir keine Aussage zu möglichen Rückführungen, wird das dünn, etwas was aufzuschreiben…“, und die Anwälte von Air Berlin warnen: „Wir unterstellen, dass das Darlehen unbesichert gegeben werden muss...“ Unbesichert bedeutet: Rückzahlung ungewiss. Von den 150 Millionen sind bisher nur 61 zurückgezahlt worden. Dem Steuerzahler drohen hohe Verluste. Inzwischen prüft der Bundesrechnungshof, und die Opposition wirft der großen Koalition Verschwendung vor – und Lobbyismus für Lufthansa. O-Ton Gregor Gysi, DIE LINKE, MdB: Der Vorwand, dass man die 150 Millionen Air Berlin gibt, um
Air Berlin zu retten, nie gestimmt hat. Das wussten sie auch, dass sie Air Berlin nicht retten. Sondern Lufthansa brauchte noch etwas Zeit, um bestimmte Dinge ordnen zu können und Air Berlin so komplett wie möglich zu übernehmen. Im Kern war die Bundesregierung daran beteiligt, ein Monopol zu schaffen. Tatsächlich steigerte die Lufthansa-Gruppe ihren Marktanteil von 69 Prozent auf jetzt - nach der Air-Berlin-Pleite - 89 Prozent im innerdeutschen Flugverkehr. Der Kranich als Herrscher am Himmel. Daran hat die Regierung fleißig mitgewirkt. Die Millionen vom Staat hielten Air Berlin künstlich am Leben. Und solange die Airline nicht offiziell pleite war, konnte Lufthansa preiswert Teile des Konkurrenten übernehmen: Flugzeuge, Start- und Landerechte. Offenbar im Sinne des Wirtschaftsministeriums. In einer vertraulichen E-Mail heißt es: Gemeinsames Interesse sei die „Finalisierung der schon fast abgeschlossenen Verkaufsgespräche mit Dritten…“. Gemeint ist auch die Lufthansa. Nachfrage bei der damals verantwortlichen Wirtschaftsministerin: O-Ton Frontal 21: War es dann ein Fehler von Ihnen, sich zugunsten der Lufthansa auszusprechen? O-Ton Brigitte Zypries, SPD, ehemalige Bundeswirtschaftsministerin: Ich hab mich nie zugunsten der Lufthansa ausgesprochen. O-Ton Frontal 21: In Interviews? O-Ton Brigitte Zypries, SPD, ehemalige Bundeswirtschaftsministerin: Ich habe immer gesagt, und dazu stehe ich auch, dass ich gerne möchte, dass Deutschland eine starke nationale Airline hat. Was anderes erwarten Sie von einer Bundeswirtschaftsministerin, als dass sie sagt, wir wollen starke deutsche Unternehmen? Lufthansa bestimmt inzwischen den Markt. Die Ticketpreise sind seit der Air-Berlin-Pleite deutlich gestiegen. O-Ton Hans-Ingo Biehl, Hauptgeschäftsführer Verband Deutsches Reisemanagement: Wir hatten letztes Jahr bis zu 50 Prozent höhere Preise, wir stellen jetzt auch im aktuellen Flugbetrieb fest, dass auf den Lufthansa-Strecken ohne Wettbewerb hohe Preise existieren. Wir hoffen, dass die Kartellbehörden hier deutlich prüfen, ob
es sich um eine marktbeherrschende Stellung handelt bei der Lufthansa. Im Bundeskartellamt überlegen sie noch. Ob gegen Lufthansa ein Verfahren wegen Marktmissbrauchs eingeleitet wird, ist noch nicht entschieden. 7. Februar 2018. Party zum 100. Geburtstag der Lufthansa. Die Kartellwächter scheint hier niemand zu fürchten - auch nicht ihr Vorstandsvorsitzender. Der Börsenwert der Lufthansa stieg 2017 um rund 140 Prozent. O-Ton Frontal 21: Kritiker sagen, Sie, die Lufthansa, hat mit Hilfe der Bundesregierung das Monopol in Deutschland zementiert auf Kosten von Beschäftigten, Verbrauchern und Steuerzahlern. O-Ton Carsten Spohr, Vorstandsvorsitzender Lufthansa Group: Ja, die Wahrheit ist, glaube ich, eine gänzlich andere. Alle haben profitiert. Die Entscheidung der Bundesregierung damals, Geld bereit zu stellen, um ein Chaos in den Sommerferien zu verhindern, hat, glaube ich, vielen deutschen Urlaubern ermöglicht, ihren Urlaub vernünftig zu Ende zu bringen oder erst mal anzutreten. O-Ton Frontal 21: Die Lufthansa hat nicht profitiert von der Air-Berlin-Pleite? O-Ton Carsten Spohr, Vorstandsvorsitzender Lufthansa Group: Die Lufthansa war natürlich in der Lage, die Chance zu nutzen, dass hier ein nicht wettbewerbsfähiger Anbieter aus dem Markt ausgeschieden ist, und wir unsere Position in wichtigen Märkten steigern und stärken konnten. Lufthansa kann sich feiern – als Gewinner. Verlierer sind Tausende Air-Berlin-Mitarbeiter ohne Job, Kunden mit wertlosen Tickets und eine Regierung, die Millionen versenkt hat - in eine Pleite mit Ansage. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
Sie können auch lesen