Manuskript Beitrag: Streit um deutsche IS-Kämpfer - Gefährliche Rückkehrer - ZDF
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Manuskript Beitrag: Streit um deutsche IS-Kämpfer – Gefährliche Rückkehrer Sendung vom 5. März 2019 von Armin Coerper und Syara Kareb Anmoderation: Der Mann hinter mir ist ein Deutscher, der in den Dschihad zog zur Terrorbande des IS. Martin Lemke soll gefoltert und gemordet haben. Ende Januar wurde er verhaftet. Was geschieht mit ihm und den vielen anderen IS Kämpfern mit deutschem Pass, die in Syrien und im Irak im Gefängnis sitzen? Seit US-Präsident Trump forderte, sie in ihren Heimatländern vor Gericht zu stellen, ist in Deutschland Streit entbrannt. Und jetzt plant die Bundesregierung, Terrorkämpfer auszubürgern, wenn sie eine doppelte Staatsangehörigkeit besitzen. Geht aber nicht rückwirkend. Und bei Martin Lemke so und so nicht. Armin Coerper und Syara Kareb haben ihn im Gefängnis in Syrien gesprochen. Text: Interview mit einem mutmaßlichen Terroristen. Martin Lemke, 28, gelernter Schweißer aus Sachsen-Anhalt, ging 2014 zum IS. Jetzt sitzt er in kurdischer Haft. Er wirkt krank. Während des gesamten Gesprächs wird er unruhig vor und zurück wippen, das kann Folge der Einzelhaft sein, oder gespielt. Doch wenn es um seine Rolle in der Terrormiliz geht, ist Lemke ganz klar und weist alle Vorwürfe zurück. O-Ton Martin Lemke, deutscher IS-Dschihadist: Nein, ich habe weder jemanden gefoltert, noch getötet. Ich habe niemandem den Kopf abgehackt. Es wurde den Leuten der Kopf abgehackt, das stimmt. Aber ich selber habe das nicht gemacht, das stimmt nicht. Es gibt keinen Beweis dafür. In Deutschland liegt ein Haftbefehl vor. Doch Lemke glaubt, dass die Justiz nichts oder wenig gegen ihn in der Hand hat. Er soll einer der ranghöchsten Deutschen im Kalifat gewesen sein. Er soll zum Kader des Geheimdienstes gehört haben, laut Zeugenaussage hat er gefoltert und gemordet.
O-Ton Martin Lemke, deutscher IS-Dschihadist: Diese Zeugenaussage in Deutschland von diesem Anil O.: Ich habe gesagt, ich werde rechtlich dagegen vorgehen. Das ist eine Lüge. Ich habe in einem Technischen Büro gearbeitet. Und der Geheimdienst hat viele Abteilungen und meine war das Technische Büro. Das war’s – nichts anderes. Ich habe zum Beispiel Laptops vorbereitet, repariert. Ich habe Handys - dasselbe. Ich habe Verschlüsselungen gemacht für Festplatten oder für USB-Sticks, solche Sachen. Was kann man einem wie Lemke wirklich nachweisen, was hat vor einem deutschen Gericht Bestand? Selbst Propagandavideos und Fotos belegen oft nicht, dass der Gezeigte nicht nur posiert, sondern Straftaten begangen hat. O-Ton Jens Gnisa, Vorsitzender Deutscher Richterbund: Die Beweisführung wird ganz erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Wir müssen uns vorstellen: Wir befinden uns in einem Kriegsgebiet, in dem die Zeugen versprengt sind, in dem es viele Tote gibt, in dem es Wirren gab. Hier gerichtsfeste Beweise zu erheben, ist sehr schwierig. Wir sind im Norden Syriens, ein Niemandsland, das mehrheitlich von kurdischen Kämpfern kontrolliert wird. Mit Hilfe und mit Waffen aus den USA und Europa haben sie den IS hier weitestgehend in die Flucht geschlagen, und dafür einen hohen Preis gezahlt. Der Friedhof, auf dem sie ihre Helden begraben, wächst noch immer weiter. Die kurdische Führung fühlt sich vom Westen verraten: Mehrere Hundert ausländische Kämpfer haben ihre Leute festgenommen, darunter fast 40 Deutsche. Nur will die ihnen jetzt kaum eins der Herkunftsländer abnehmen. O-Ton Abdel Karim Omar, Außenbeauftragter der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF): Die internationale Gemeinschaft, auch unsere Partner in Europa entziehen sich ihrer Verantwortung. Sie geben zwar zu, dass sie höchst gefährliche Menschen aus ihren Ländern zu uns haben ausreisen lassen, jetzt wollen sie sie aber nicht zurückhaben. Die Frauen und Kinder würden sie am liebsten auch bei uns lassen. Frauen und Kinder haben die Kurden in Camps untergebracht, unklar, was mit ihnen passieren soll. Frauen, wie Leonora Lemke, eine der drei Ehefrauen des deutschen IS-Kämpfers. Mit 15 ins Kalifat gereist, hat sie dort mehrere Kinder zur Welt gebracht, auch sie behauptet im kurdischen Fernsehen, gar nicht gewusst zu haben, was der Islamische Staat überhaupt ist. O-Ton Leonora Lemke, Ehefrau:
Mit einer einzigen Reise nach Syrien glaubte ich alles zu haben, was in Deutschland so schwierig für mich war. Ich konnte heiraten, beten, Kinder kriegen, mein Gesicht verschleiern! Ich hatte nur übersehen, dass ich hier nicht nur leben, sondern auch kämpfen muss. Auch Martin Lemke gibt sich geläutert. Es ist der Versuch, kurdischen Knast gegen ein rechtstaatliches Verfahren einzutauschen - in Deutschland. O-Ton Martin Lemke, deutscher IS-Dschihadist: Ich möchte deutschen Behörden helfen, im Anti-Terror- Kampf. Das ist mein Ziel. Und ich hoffe, dass ich in der Lage bin zu helfen. O-Ton Frontal 21: Das heißt, Sie distanzieren sich vom Islamischen Staat? O-Ton Martin Lemke, deutscher IS-Dschihadist: Natürlich. 100 Prozent. O-Ton Frontal 21: Seit wann? O-Ton Martin Lemke, deutscher IS-Dschihadist: Seit langer Zeit. Wir haben seit Längerem versucht rauszugehen, aber es war sehr schwer. Hinter den Berliner Regierungsmauern geht die Angst um, was tun mit den IS-Rückkehrern? Denn einfach wegschließen, ist nicht so einfach. O-Ton Jens Gnisa, Vorsitzender Deutscher Richterbund: Wir können auch nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass jeder in Untersuchungshaft wird kommen können, der sich derzeit dort in der Gefangenschaft der Kurden oder Amerikaner befindet. Diese Leute werden wir dann nahezu rund um die Uhr in Deutschland beobachten müssen. Dafür ist weder Geld noch Personal da. Umso schwieriger, dem Volk zu vermitteln, dass Terroristen zurückkehren. Deshalb spielt Berlin auf Zeit und manch einer in der Union gebiert dabei mitunter juristisch skurrile Ideen. O-Ton Joachim Herrmann, CSU, Innenminister Bayern: Wenn zum Beispiel der Irak, der ja nun durchaus wieder ein besseres, funktionierendes Staatsleben hat, zum Beispiel jemand wegen mehrfachen Mordes vor Gericht stellen will, den im Irak aburteilen will, den im Irak ins Gefängnis stecken will, dann kann das durchaus auch eine vernünftige Lösung sein.
O-Ton Patrick Sensburg, CDU, MdB, Mitglied Innenausschuss: Es gibt aber auch Personen, die auch einen deutschen Pass gehabt haben, die dort gekämpft haben, die gesagt haben: Wir wollen Bürger des IS sein. Die jetzt in den kurdischen Gebieten sind. Da muss man, glaube ich, nicht zurückholen, da ist die Staatsangehörigkeit entfallen. Rechtlich geht das beides nicht: Im Irak droht Lemke die Todesstrafe, vor der Deutschland auch ihn zu schützen hat, das Grundgesetz gilt auch für Terroristen. Auch hat Berlin keine gesetzliche Handhabe, ihm oder Tätern mit Doppelpass, rückwirkend die Staatsbürgerschaft zu entziehen. O-Ton Herbert Reul, CDU, Innenminister Nordrhein- Westfalen: Ich find‘s unehrlich, wenn wir einerseits von allen möglichen Staaten erwarten, dass sie ihre Mitbürger zurücknehmen, aber wenn wir deutsche Staatsbürger haben, die irgendwo in Gefängnissen sitzen, dann sagen wir, wir nehmen sie nicht zurück. Das geht nicht. O-Ton Stefan Liebich, DIE LINKE, MdB, außenpolitischer Sprecher: Ich wundere mich schon, dass ausgerechnet diejenigen von der rechten Seite der politischen Landschaft hier in Deutschland, die sonst sehr schnell dabei sind, ausländische Straftäter in deren Heimatländer abzuschieben, plötzlich ganz still werden, wenn es sich um deutsche Straftäter handelt, die im Ausland Verbrechen verüben. Die Verbrechen des IS in Syrien. Wir fahren in das Dorf Tal Tamir. Hier waren auch ausländische Krieger, hier kann man sich noch gut erinnern, wie die Schergen der Terrormiliz gewütet haben, bis kurdische Kämpfer sie vertrieben. Hussain handelt wieder mit Geflügel, zwei Jahre ist es her, dass hier nur Terror herrschte. O-Ton Hussain Haj Omar, Geflügelhändler: Es waren auch Ausländer hier, wir haben sie gesehen. Sie hatten rote Bärte. Sie haben schlimme Sachen gemacht. Sie haben unser Eigentum geraubt und unsere Töchter vergewaltigt. Es war furchtbar. Auch Dlojan ist froh, dass hier jetzt so was wie Frieden herrscht. O-Ton Dlojan, Einwohner: Die Situation mit dem IS war sehr schwierig. Viele Menschen von hier geflohen, es war kaum noch jemand hier. Alles war zerstört, es war auch kein Laden mehr geöffnet. Man traute sich ja gar nicht raus. Es gab keine Sicherheit, alles war
kaputt. Martin Lemke will für nichts, was passiert ist, verantwortlich sein. Wenn man ihm keine Verbrechen nachweisen kann, bleibt vor Gericht nur die Mitgliedschaft im IS - maximal fünf Jahre Gefängnis. Auch weil er sagt, dass er kooperieren will. O-Ton Martin Lemke, deutscher IS-Dschihadist: Und an die Bundesregierung kann ich nur einen Ratschlag geben: Sie müssen lernen von den ehemaligen IS- Mitgliedern. Sie müssen lernen, auch wenn sie Angst haben. Mehr als 1.000 Kämpfer sind aus Deutschland in den Krieg ins Kalifat des IS gezogen. Der Bundesregierung war das seit Jahren bekannt - vorbereitet auf die Rückkehr der Krieger hat sie sich nicht. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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