Beitrag: Das Auto als Spion-Manuskript - ZDF

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Manuskript

Beitrag: Das Auto als Spion –
            Datenkrake Tesla

Sendung vom 24. August 2021

von Joe Sperling

Anmoderation:
Bilder von einem spektakulären Verkehrsunfall. Aber sie
wären nicht beim investigativen Magazin „frontal", wenn es
nur um spektakuläre Unfallbilder ginge. Es geht uns darum,
wer- oder vielmehr was! - diese Bilder aufgenommen hat. Die
Antwort: Es war das Auto selbst, ein Tesla. Ein smartes
Fahrzeug, das viele Kameraaugen, Sensoren, Prozessoren hat.
Und das viel mehr über seine Fahrer weiß, als denen bewusst
ist. In der schönen neuen Autowelt nutzen wir
Parkassistenten, sprechen mit dem Navi, finden das
automatisierte Fahren total bequem - und geben bei alldem
auch unsere Daten preis. Was aber ist mit dem Datenschutz?
Joe Sperling über das Auto als Spion - am Beispiel Tesla und
spektakulären Unfallbildern.

Text:
Berlin, Juni 2019. Eine Kreuzung in Tempelhof - ein Tesla und
dieses Motorrad: Es kommt mit 140 Stundenkilometern von
rechts, schlägt in die Seite des Tesla ein. Der filmt das mit
seiner Seitenkamera. Der Motorradfahrer überschlägt sich in
der Luft. Er wird schwer verletzt. Das filmt der Tesla mit
seiner Frontkamera. Beide Aufnahmen, hier in Zeitlupe,
sendet der Wagen an den Server der Tesla-Verwaltung in
Amsterdam.

Hier ist das alles passiert. Andreas Winkelmann ist
Amtsanwalt und damals beteiligt an der Unfallermittlung. Er
fragt nach Fahrdaten bei Tesla, mit Einwilligung des
Teslafahrers, und bekommt die Videos.

O-Ton Andreas Winkelmann, Amtsanwaltschaft Berlin:
Was dann kam, hat uns extrem überrascht. Am 2. August
übersandte uns die Firma Tesla einen Zugang in deren Cloud,
eine Art Link kann man sagen. Und über diesen Link konnten
wir dann zwei Videos ziehen, von der Front- und der
Seitenkamera, die das Unfallgeschehen en detail offenbaren,
die die Schuld des eigentlichen Beschuldigten, dieses
Teslafahrers wesentlich herabgesenkt haben.

Was Tesla aufnimmt und wo speichert, das versuchen Fred
Blüthner und sein Chef Jürgen Bönninger von der Firma
'Fahrzeugsystemdaten' in Radeberg herauszufinden. Die
Firma recherchiert unter anderem für TÜV oder DEKRA, wie
die moderne Autoelektronik geprüft werden kann. Blüthner
zeigt uns die Tesla-Kameras.

O-Ton Fred Blüthner, FSD Fahrzeugsystemdaten:
Die Kameras sitzen hier oben, ja, hinter diesem Bereich, der
auch beheizt ist. Die Seitenkameras sitzen einerseits in der B-
Säule, und dann haben wir hier vorne am Kotflügel noch eine
Kamera, genauso auch auf der anderen Seite, die den
rückwärtigen Bereich abdecken. Und die letzte Kamera sitzt
im Heck, das ist die Nahbereichskamera, die sitzt hier unterm
Tesla-Logo, das ist hier dieser kleine Bubbel hier unten.

Ein USB-Stick in der Mittelkonsole eingesteckt - jetzt kann
der sogenannte Dashcam-Modus aktiviert werden: Er zeichnet
die Fahrt auf, aber auch Bilder von unbeteiligten Passanten.
Anlassloses, dauerhaftes Aufzeichnen ist in Deutschland aber
nicht erlaubt, erklärt der bayerische Datenschutzbeauftragte
Michael Will, zuständig für Beschwerden über Tesla.

O-Ton Michael Will, Bayerisches Landesamt für
Datenschutzaufsicht:
Wir haben im Datenschutzrecht alltäglich Fallgestaltungen zu
behandeln, wo Menschen in ihren Autos Kameras mit sich
führen, fortlaufende Aufnahmen des Verkehrsgeschehens
machen. Das führt bei uns immer wieder zu
Bußgeldverfahren, wenn die Polizei solche Vorgänge
entdeckt.

Tesla reicht die Verantwortung an seine Käufer weiter. In der
Bedienungsanleitung heißt es:

„Sie sind für die Einhaltung aller örtlich geltenden Gesetze,
Vorschriften und Urheberrechtsschutzbeschränkungen in
Bezug auf Videoaufzeichnungen verantwortlich.“
(Quelle: Bedienungsanleitung Tesla Model 3)
Doch in diesem Fall waren die Bilder nicht im Auto
gespeichert, sondern auf dem Server.

O-Ton frontal:
Der Tesla kann die Bilder, die er filmt, auch theoretisch auf
den Server senden?

O-Ton Fred Blüthner, FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH:
Der kann die nicht nur theoretisch auf den Server senden.
Wenn man als Nutzer zustimmt, dann werden die sogar mit
Absicht zum Server gesendet.

O-Ton frontal:
Und wie sendet der Tesla die Daten?

O-Ton Fred Blüthner, FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH:
Der sendet die einfach über eine SIM-Karte, über eine
Mobilfunkverbindung, die im Auto fest verbaut ist und die zu
einem Tesla auch dazu gehört.

Die Videos vom Server haben den Tesla-Fahrer bei diesem
Unfall entlastet. Es kann kann aber auch ganz anders
kommen.

Berlin, Januar 2020. Prenzlauer Allee, Ecke Grellstraße. Ein
Tesla rast kurz nach Mitternacht mit über 160
Stundenkilometern auf diese Kreuzung zu, kriegt die Kurve
nicht, knallt auf die Ampel. Als die Polizei eintrifft, ist der
Fahrer weg: Fahrerflucht. Doch das Tesla-Wrack sendet
unterdessen das Unfallvideo zum Server, dazu die
sekundengenauen Details der Irrsinnsfahrt - über vier
Minuten: Geschwindigkeit, Gaspedalstellung,
Beschleunigung, Bremsmanöver, Unfallereignis.

frontal legt die übermittelte Datei den Radeberger Experten
vor. Die sehen diese Protokolle zum ersten Mal - und sind
überrascht:

O-Ton Jürgen Bönninger, FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH:
Das verwundert tatsächlich, dass es über vier Minuten hier
eine Datenaufzeichnung gab, weil normalerweise man
ungefähr 15 Sekunden vor dem Unfallereignis und noch mal
zehn Sekunden nach dem Unfallereignis etwas aufzeichnet.
Und das deutet daraufhin, dass auch ohne Unfall Daten
weitergegeben werden, und das sehen wir natürlich kritisch.

Das Tesla-Wrack filmt unterdessen weiter, auch die Bergung,
und speichert sie auf der Festplatte im Fahrzeug.
Auf dieser Festplatte finden die Ermittler später auch noch
die Bilder des geflohenen Fahrers und seiner Beifahrerin kurz
vor Antritt der Unfallfahrt.

O-Ton Andreas Winkelmann, Amtsanwaltschaft Berlin:
Wir haben eine Videoaufzeichnung vom Fahrverhalten des
Angeklagten, wir haben genaue Auskunft darüber, wie tief ins
Gaspedal getreten worden ist, wie schnell das Fahrzeug war.

O-Ton frontal:
Jetzt hat der Tesla seinen Fahrer überführt, ne?

O-Ton Andreas Winkelmann, Amtsanwaltschaft Berlin:
Der Tesla hat sozusagen seinen eigenen Fahrer verpfiffen, er
hat ihn verraten, ansonsten wäre die Aufklärung dieser Tat in
dieser Breite, in dieser Tiefe nicht möglich gewesen.

Aus den Tesla-Daten geht hervor, dass der Fahrer auch nach
dem Crash immer wieder Vollgas gab.

Nachfrage der Ermittler bei Tesla. Ergebnis: Der Mann hatte
wohl erfolglos versucht weiterzufahren. Die Fahrertür öffnete
erst 48 Sekunden nach dem Crash. Die Beifahrertür mehr als
eine Minute danach. Tesla wusste das auch Monate später
auf die Sekunde genau - und lieferte die Daten.

O-Ton frontal:
Das bedeutet aber, das Tesla sogar weiß, wann ich meine
Türen aufmache?

O-Ton Andreas Winkelmann, Amtsanwaltschaft Berlin:
Das ist absolut anzunehmen, denn Tesla hat uns ganz genau
den Sekundenzeitpunkt geliefert, wann die rechte
Fahrzeugtür und wann die linke Fahrzeugtür nach diesem
Crash Detection, nach der Crashmeldung gemeldet worden
sind.

Teslas Kameras können nicht nur zum Filmen der Fahrt
genutzt werden, sondern auch im geparkten Zustand im
sogenannten Wächtermodus. Dann nehmen sie jeden auf, der
sich dem Fahrzeug nähert - in diesem Fall uns während des
Interviews.

O-Ton Fred Blüthner, FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH:
Hier sehen wir erst mal den Wächtermodus an sich, der
verwendet vier Kameras, zwei zur Seite, eine vorne, eine
hinten. Die sind auch relativ hochauflösend. Das heißt, wenn
Personen drauf zu sehen sind, sind auch auf jeden Fall die
Gesichter zu erkennen. Wir sehen das jetzt auch auf den
verschiedenen Kameras, dass wir uns jetzt sehr nah am
Fahrzeug aufgehalten haben. Und hier hat das Fahrzeug also
entschieden, das speichern wir jetzt ab.

Landen auch unsere Bilder auf dem Tesla-Server? Wenn sich
der Käufer einverstanden erklärt, so die
Datenschutzerklärung von Tesla,

„(…) sendet das Fahrzeug im Wächtermodus die mit Ihrer
Fahrgestellnummer (…) verknüpften Videoaufnahmen zu r
vorübergehenden Speicherung an Tesla.“ (Quelle:
Datenschutzerklärung Tesla)

Informationen, die Rückschlüsse auf die Identität des Käufers
zulassen, kann Tesla an Dritte übertragen und offenlegen, so
die Datenschutzerklärung:
„(…) Wenn wir in gutem Glauben der Ansicht sind, dass dies
rechtlich vorgeschrieben ist; in Beantwortung einer
rechtmäßigen Anfrage von Staatlichen Behörden.“ (Quelle:
Datenschutzerklärung Tesla)

Oder, um die Rechte und das Eigentum von Tesla und Dritten,
zu schützen,

„(…) was wir ausschließlich nach unserem eigenen Ermessen
bestimmen.“ (Quelle: Datenschutzerklärung Tesla)

O-Ton Michael Will, Landesamt für Datenschutz Bayern:
Es genügt schon alleine, dass Teslas in der Lage sind, jeden
der ihnen nahekommt zu überwachen - und zwar unabhängig
davon, ob danach mit dem Auto etwas geschieht oder nicht.
Es genügt, um datenschutzrechtliche Fragen aufzuwerfen,
dass diese Daten dann an ein Unternehmen weitergeleitet
werden, das damit Dinge tut, die nicht wirklich klar sind und
über die der Gefilmte keinerlei Entscheidungen trifft.

Der Fahrzeugkäufer kann der Datenerfassung widersprechen -
allerdings mit schwerwiegenden Folgen:

„Dies kann dazu führen, dass bei Ihrem Fahrzeug eine
lediglich eingeschränkte Funktionalität, ernsthafte Schäden
oder Funktionsunfähigkeit eintreten.“ (Quelle: Tesla
Datenschutzerklärung)

Unter diesen Umständen werden die meisten Teslakäufer die
Daten wohl freigeben.

O-Ton Michael Will, Bayerisches Landesamt für
Datenschutzaufsicht:
Es ist deshalb nicht richtig, wenn alleine einer – das ist meist
der Fahrzeughalter - überall diese Datenströme entscheidet.
Denn er verfügt damit genauso über die Daten von
irgendeinem späteren Fahrzeugführer, wie über die Daten von
Passanten. Das alles ist nicht seine Verfügungsbefugnis und
insoweit überschreitet er seine datenschutzrechtlichen
Befugnisse. Sie gehören in keinem Fall Tesla. Tesla erlangt
überhaupt erst Zugang und Nutzungsmöglichkeiten zu den
Daten auf Grundlage der jetzt unter verschiedenen
Gesichtspunkten sehr, sehr angreifbaren
Nutzungsbestimmungen.

Ein Interview will Tesla nicht geben. Schriftlich erklärt die
Firma kategorisch,

Zitat:
„Aufnahmen durch die Dashcam und den Wächtermodus
werden (…) unter keinen Umständen an Tesla übertragen.“

Allerdings würden 30-sekündige Sequenzen bei
sicherheitskritischen Ereignissen oder nach ausdrücklicher
Zustimmung des Kunden automatisch gespeichert und
könnten abgerufen werden.

Weiter erklärt Tesla,

Zitat:
„Zum Schutz der Privatsphäre liegen (…) Fahrzeugdaten
standardmäßig anonymisiert vor“

- außer in einer Reihe von Sonderfällen. Personenbezogene
Daten speichere Tesla nur so lange wie erforderlich.

O-Ton Jürgen Bönninger, FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH:
Wenn Tesla kein vertrauenswürdiges Unternehmen ist, dann
ist fast alles möglich, dann können sie die komplette
Umgebung, alle Personen, alle Verkehrsteilnehmer, alle
Fahrzeuge, alle Objekte hier klar identifizieren und könnten
das auch in einem Land, in dem keine Rechtsstaatlichkeit
vorherrscht, können sie das auch zur Überwachung der
Menschen und der Bevölkerung mit einsetzen.

O-Ton frontal:
Das heißt, man kann im Grunde nur auf die Integrität dieses
Unternehmens setzen?

O-Ton Jürgen Bönninger, FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH:
Ich hoffe das, dass wir daraufsetzen können und dass die
Fahrzeuge nicht in einer Diktatur dazu genutzt werden, ja.
Ermittler Winkelmann hat allerdings auch Daten von Tesla
bekommen, ohne dass es überhaupt einen Unfall gab.

Berliner Stadtautobahn A100 (Höchstgeschwindigkeit 80
Stundenkilometer oder weniger). Ein Tesla und ein Motorrad
werden gleichzeitig geblitzt.

O-Ton Andreas Winkelmann, Amtsanwaltschaft Berlin:
Das Teslafahrzeug wurde mit einer Geschwindigkeit von etwa
206 Stundenkilometern geblitzt. Und auch da bestand dann
der Verdacht eines Kraftfahrzeugrennens, dass wir bei der
Firma Tesla nachgehakt haben, ob auch zu diesem Fahrzeug
digitale Fahrzeugdaten vorhanden sind. Dem war auch so.

Der Tesla-Firmencomputer liefert die Belege für das Rennen.
Folge: Strafverfahren für den Teslafahrer. Der Prozess läuft
noch.

O-Ton frontal:
In diesem Fall gab es nicht mal ein Unfallereignis?

O-Ton Andreas Winkelmann, Amtsanwaltschaft Berlin:
Es gab in diesem Fall keine Crashmeldung an Tesla, es gab
kein Unfallereignis. Die Daten waren auf dem Server von der
Firma Tesla, obwohl es keinen Unfall gab.

Fazit. Tesla-Autos können Menschen filmen, denen sie
begegnen: Menschen, die den geparkten Autos nahe kommen
- möglicherweise in kompromittierenden Situationen -,
Menschen, die mit Tesla nie einen Vertrag abgeschlossen
haben, können auf den Servern von Tesla landen, ohne es je
zu wissen.

Abmoderation:
In einem Punkt kann ich Sie etwas beruhigen: Der
Motorradfahrer aus dem Unfallvideo hat den Crash überlebt,
allerdings mit Knochenbrüchen.

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