Beitrag: Die Masche mit Blutproben - Ärzte kassieren und der Staat schaut zu

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Manuskript

Beitrag: Die Masche mit Blutproben –
             Ärzte kassieren und der Staat schaut zu

Sendung vom 30. September 2014

von Jörg Göbel, Steffen Judzikowski und Christian Rohde

Anmoderation:
Der Begriff „Bananenrepublik“ wurde mal für Länder erfunden, in
denen übermächtige Südfruchtexporteure die Politik
beeinflussten. Die Folgen: Korruption, Gesetzlosigkeit, Willkür.
Frontal21 hat gemeinsam mit dem Handelsblatt einen Fall
recherchiert, der nichts mit Bananen zu tun hat, dafür mit
Blutproben. Es geht um Laborunternehmer und tausende Ärzte,
die betrogen haben sollen. Geschätzter Schaden: eine halbe
Milliarde Euro. Und es geht um Vorwürfe, die weit nach oben
zielen. Schonte die Justiz die Tatverdächtigen? Behinderte die
Politik Ermittlungen? Der Fall klingt schwer nach
„Bananenrepublik“. Er spielt aber im Rechtsstaat Deutschland.

Text:
Die bayerischen Kommissare Robert Mahler und Stephan Sattler.
Mit ihrer SOKO Labor waren sie einem der größten Ärzteskandale
der vergangenen Jahre auf der Spur. Doch sie müssen
feststellen: Ihre Betrugsermittlungen werden behindert, sind
unerwünscht. Was die beiden erleben, weitet sich aus zu einer
bayerischen Staatsaffäre.

O-Ton Stephan Sattler, Kriminalhauptkommissar, ehemaliger
Leiter SOKO Labor:
Man hat uns verunglimpft als Spinner, als Wahnsinnige, als
Anpisser, als Verschwörer, als Verrückte.

O-TonRobert Mahler, Kriminalhauptkommissar:
Von einem Staatsanwalt wurde die SOKO gewarnt: Ihr wisst
gar nicht, an welcher Bombe ihr dort zündet.

Die Sprengkraft der Bombe liegt in dem 300 Milliarden schweren
deutschen Gesundheitssystem. Der Ärzte-Skandal, auf den die
Polizisten stoßen, beginnt schon in den 90er Jahren.

Seit Jahrzehnten explodieren die Kosten, die Versicherten
müssen immer mehr zahlen. Politiker geben sich kämpferisch –
wollen sparen, allen voran der damalige Bundesgesundheits-
minister.

O-Ton Horst Seehofer, CSU, ehemaliger Bundesgesundheits-
minister, am 4.6.1996:
Wenn wir dieses […] Unwirtschaftliche nicht abstellen,
werden wir in absehbarer Zeit nicht mehr die nötigen
Finanzmittel haben, um die medizinisch notwendige
Versorgung unserer Bevölkerung zu gewährleisten.

Ein großer Kostentreiber ist - damals wie heute - die
Labormedizin. Immer mehr und völlige unnötige Laborproben
kommen die Patienten teuer zu stehen. Das kritisiert der
Reutlinger Laborarzt Rudolf Seuffer schon seit 20 Jahren.

O-TonDr. Rudolf Seuffer, Laborarzt und Mikrobiologe:
Es werden medizinische Leistungen angefordert
beziehungsweise erbracht oder man lässt sie erbringen, die
medizinisch unsinnig sind, unnötig sind, unwirtschaftlich
sind und unter Umständen dem Patienten sogar schaden
können.

Je mehr Laborproben, desto mehr Gewinn. Seuffer schlägt schon
1993 Alarm: Die Labormedizin verkomme zum Selbstbedienungs-
laden. In einem Brief und in einem persönlichen Gespräch
informierte er damals Gesundheitsminister Seehofer über den
Missbrauch.

O-Ton Dr. Rudolf Seuffer, Laborarzt und Mikrobiologe:
Herr Seehofer hat sehr intensiv und konzentriert zugehört.
Ich war dort alleine, ein Mitarbeiter von ihm war noch dabei.
Und ich hatte den Eindruck, dass er das alles auch sehr gut
verstanden hat. Konsequenzen habe ich keine erlebt, bis
heute nicht.

Wir fragen Horst Seehofer. Der kann sich heute weder an einen
Brief, noch an ein Treffen mit dem Laborarzt Seuffer erinnern.

Was die einen für Missbrauch halten, ist für Bernd Schottdorf Teil
eines legalen Geschäfts. Er führt eines der größten
Laborunternehmen Europas, untersucht für tausende Ärzte Blut,
Urin und andere Proben.

Schottdorf ist Multimillionär, Schlossbewohner und CSU-Spender.

Wie viele Laborbetreiber reizt er das Abrechnungssystem aus.
Immer wieder gibt es Ermittlungen gegen Schottdorf und immer
wieder werden die Verfahren eingestellt oder der Millionär kommt
mit einer Geldbuße davon.

2006 wird Schottdorfs Unternehmen wieder durchsucht. Dabei
stoßen die Ermittler auf Brisantes: eine Kundenliste und Hinweise
auf möglicherweise betrügerische Abrechnungen.

O-TonStephan Sattler, Kriminalhauptkommissar, ehemaliger
Leiter SOKO Labor:
Es ging um circa 10.000 Ärzte, die hier in diesen
Datenbanken aufgetreten sind. Und dann ging es darum, den
einzelnen Ärzten einen möglichen Betrug eben nachweisen
zu können.

Dem Handelsblatt und Frontal21 liegen Ermittlungsunterlagen
vor, darunter die Auswertung der Kundenliste. Sie belegt: Ärzte
aus ganz Deutschland schicken regelmäßig Proben in Schottdorfs
Labor. Millionenschwere Umsätze. Der Verdacht der Ermittler:
Allein in diesem Fall könnten bis zu 9278 Ärzte betrogen haben.

O-TonRobert Mahler, Kriminalhauptkommissar:
Der Betrugsvorwurf bezog sich darauf, dass der
niedergelassene Arzt, der eine Laborleistung nicht selbst
erbracht hat, sie dennoch seinen Patienten in Rechnung
gestellt hat, obwohl die Rechnung hätte vom Labor kommen
müssen.

So wie Schottdorf haben auch andere Labore enge Netzwerke mit
Ärzten gesponnen. Und das funktionierte oft so – vor allem bei
Privatpatienten:

Ein Arzt nimmt Blut ab und bestellt Spezial-Analysen, sogenannte
MIII / MIV-Leistungen, bei einem Labor. Das untersucht die
Probe, schickt die Rechnung an den Arzt und nicht, wie gedacht,
an den Patienten - beispielsweise mit dem günstigen
Abrechnungs-Faktor 0,5 der Gebührenordnung. Der Arzt
berechnet dem Patienten dann aber den erhöhten Satz: Faktor
1,15. Die Differenz steckt sich der Arzt in die Tasche. Geld, auf
das er in der Regel keinen Anspruch hat.

O- Ton Rüdiger Pötsch, ehemaliger Vorstand Kassenärztliche
Vereinigung Bayern:
Ich denke, ein Laborarzt der kaufmännisch denkt, hat einen
Hintergedanken, wenn er einen Rabatt einräumt, nämlich in
der Gestalt, dass er umso mehr Aufträge bekommt, je mehr
Geld an den einsendenden Arzt zurückfließt.

O-Ton Frontal21:
Und was hatten die Ärzte davon?

O-Ton Rüdiger Pötsch, ehemaliger Vorstand Kassenärztliche
Vereinigung Bayern:
Der einsendende Arzt hat sich von seiner Einsendung
ebenfalls einen geldwerdenden Vorteil versprochen, obwohl
er gar nicht berechtigt ist, für diese Leistungen ein Honorar
zu bekommen.
O-Ton Frontal21:
Er hatte einen unberechtigten Zusatzverdienst?

O-Ton Rüdiger Pötsch, ehemaliger Vorstand Kassenärztliche
Vereinigung Bayern:
Es ist so - und man nennt es Korruption.

Bernd Schottdorf weist den Verdacht der Korruption von sich. Er
habe kein rechtswidriges Abrechnungssystem erfunden. Vielmehr
habe sein Unternehmen Ärzte über das Abrechnungsverbot für
bestimmte Laborparameter informiert. Ein Schaden sei nicht
entstanden. Schottdorfs Anwalt teilt mit,

Zitat:
„Die Behauptung einer Förderung oder Duldung unrichtigen
Abrechnungsverhaltens von … Ärzten durch Dr. Schottdorf
wird … entschieden zurückgewiesen.“

Dennoch fällt auf: Im Jahr 2004 lagen die Kosten für
Laboruntersuchungen für Privatversicherte pro Kopf bei rund 100
Euro. Bis 2008 stiegen sie auf satte 129. Zum Vergleich: Bei
gesetzlich Versicherten stiegen die Laborausgaben von nur 24
auf gerade 26 Euro.

Das Wissenschaftliche Institut der Privatversicherungen hat
errechnet: 2008 hat die Privatversicherung 890 Millionen Euro
mehr ausgeben als die Gesetzliche.

O- Ton Rüdiger Pötsch, ehemaliger Vorstand Kassenärztliche
Vereinigung Bayern:
Dieser Schaden führt, wenn man das langfristig betrachtet,
zu einem Ausbluten des Gesundheitswesens. Es gibt ja
einen saloppen Spruch: Bei der Mafia fließt Blut, wenn kein
Geld fließt, im Labor Bereich fließt Geld, wenn Blut fließt.

Die Ermittler der SOKO Labor waren einem gewaltigen
Betrugsfall auf der Spur. Doch als sich ihr Verdacht erhärtet,
geraten sie unter Druck. Personal wird abgezogen, Ermittlungen
behindert.

O- Ton Stephan Sattler, Kriminalhauptkommissar, ehemaliger
Leiter SOKO Labor:
Meine persönliche Vermutung war einfach die, dass die
Staatsanwaltschaft dieses Verfahren nicht wollte.

O-Ton Frontal21:
Man wollte die betrügenden Ärzte nicht überführen?

O-Ton Stephan Sattler, Kriminalhauptkommissar, ehemaliger
Leiter SOKO Labor:
Das war mein unmittelbarer Eindruck.
Im Juli 2009 wendet sich Stephan Sattler an seinen Präsidenten
des Bayerischen LKA, Peter Dathe. Der Chef der SOKO Labor
beschwert sich über Behinderung von Ermittlungen. Es hätte
„plötzlich und unverständlich massiven ‚Gegenwind‘ aus der
‚Hierarchieebene‘ von Polizei und Staatsanwaltschaft“
gegeben. Den Kriminalbeamten sei „polizeiintern (!) untersagt,
neue Ermittlungsergebnisse an die Staatsanwaltschaften
weiterzumelden“.

O-Ton Robert Mahler, Kriminalhauptkommissar:
Wenn ein Betrugssystem von der Polizei und Staatsanwalt,
die ja dafür zuständig sind, dass diese Systeme abgestellt
werden, wenn das mehr geschont wird als aufgeklärt, dann
ergibt sich daraus nach meinem Dafürhalten eben der
Verdacht der Korruption, dass da zumindest einiges im
Argen liegt.

Die Polizeiführung weist die Vorwürfe der Ermittler zurück. Die
Spitze der bayerischen Justiz war überzeugt: Was die SOKO
Labor ermittelt hat, sei gar nicht strafbar. Mehr noch: Die Ermittler
werden selbst attackiert - mit Strafermittlungen und
Disziplinarverfahren.

Die Ermittlungen werden von München an die Staatsanwaltschaft
Augsburg abgegeben. Und die stellt fast alle Verfahren ein.
Nur ein einziger Arzt wird in München noch angeklagt.

Und tatsächlich: Dieser eine Arzt wird verurteilt - zu mehr als drei
Jahren Gefängnis. Und der Bundesgerichtshof bestätigt das
Betrugsurteil gegen Stefan A. 2012 voll und ganz.

Das Urteil kommt zu spät. Denn mittlerweile sind die Ermittlungen
der SOKO Labor wertlos – fast alle Taten tausender Ärzte
verjährt. Genau davor hatten die Ermittler gewarnt.

Nur der Münchner Staatsanwalt, der eine erfolgreiche Anklage
führte, hatte das Problem erkannt. Er bittet um Listen der
Beschuldigten und kündigt an,

Zitat:
„Ich werde […] einen Serienbrief zur Information der
Beschuldigten und zur Verjährungsunterbrechung erstellen
und versenden.“

Doch die Briefe gehen niemals raus.

Die Ermittler sind fassungslos, suchen außerhalb Bayerns Hilfe –
bei Rechtsanwalt Gregor Gysi. Der schreibt 2010 an
Ministerpräsident Horst Seehofer – warnt vor der Verjährung und
einem Justizdebakel.

O- Ton Gregor Gysi, Rechtsanwalt, DIE LINKE, MdB,
Rechtsanwalt:
Ich habe den Ministerpräsidenten genau auf diesen Umstand
hingewiesen, dass man die Verjährung ja auch in Kauf
genommen hat. Da gab es sogar ein Vermerk, wo das drin
stand. Und ich habe ihm auch das Datum der Verjährung
genannt und habe gesagt, das ist natürlich ein Skandal,
wenn ich ein Pilotverfahren mache, um festzustellen, ob das
wirklich strafrechtlich relevant ist. Dann muss ich natürlich in
den anderen Verfahren Handlungen übernehmen, die eben
die Verjährung hemmen oder unterbrechen. Und solche
Handlungen hätte man ja unternehmen können, hat man aber
nicht getan.

Wir fragen nach bei Horst Seehofer. Er lässt mitteilen: Man habe
die Sache an die zuständigen Minister weitergegeben und der
Ministerpräsident sei über den Vorgang unterrichtet worden. Das
sei das übliche Verfahren.

Konsequenzen? Keine! Damit war die Affäre Labor für Horst
Seehofer offenbar erledigt.

Und auch der Laborunternehmer Schottdorf musste wegen seiner
Geschäfte mit den betrügerischen Ärzten nicht vor Gericht.

O-Ton Florian Streibl, Freie Wähler, MdL Bayern:
Es ist letztlich ein Skandal, ein ganz großer Justizskandal,
dass hier politisch auf die Strafjustiz, auf die Polizei, Einfluss
genommen wurde, um die Ermittlungen sozusagen letztlich
im Sand verlaufen zu lassen. Und das muss aufgeklärt
werden, denn hier steht die Glaubwürdigkeit letztlich der
Justiz, der Strafjustiz, aber auch des gesamten Staates auf
dem Spiel.

Ab Donnerstag will ein Untersuchungsausschuss im bayerischen
Landtag die Machenschaften der Ärzte und das Versagen der
bayerischen Justiz aufklären.

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