Beitrag: Staatsfeinde in Uniform-Manuskript - ZDF

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Manuskript

Beitrag: Staatsfeinde in Uniform –
             Rechte Umtriebe bei der Polizei

Sendung vom 18. Juni 2019

von Dirk Laabs

Anmoderation:
Das Verbrechen ist unfassbar. Immer noch, obwohl am
Wochenende ein Tatverdächtiger in Untersuchungshaft
genommen wurde. Oder gerade deshalb. Denn wenn sich der
Verdacht bestätigt, war es ein rechtsextremistisch motivierter
Mord eines Politikers.
In der Nacht zum 2. Juni wurde der CDU-Politiker Walter Lübcke
vor seinem Haus heimtückisch getötet – mit einem Schuss in den
Kopf aus nächster Nähe. War sein Einsatz für Geflüchtete das
Mordmotiv?
Dringend tatverdächtig: Stefan E. Der 45 -jährige hatte
Verbindungen zur NPD und offenbar auch zur Dortmunder Einheit
von „Combat 18“, einer Organisation von Neonazis. Wegen des
rechtsextremistischen Hintergrundes hat der Generalbundes-
anwalt die Ermittlungen an sich gezogen.
Heute Mittag räumte der Verfassungsschutz auf einer
Pressekonferenz ein, dass der Tatverdächtige ihnen wegen
seiner rechten Umtriebe bereits bekannt gewesen sei.

O-Ton Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für
Verfassungsschutz:
Wir haben allerdings auch wahrnehmen müssen, dass er in
den vergangenen Jahren nicht mehr so deutlich in
Erscheinung getreten ist, wie eben in seinen Anfangsjahren
in den 80er- und 90er-Jahren, sodass er in den Hintergrund
der Beobachtungen getreten ist.

Ob der Tatverdächtige alleine gehandelt hat oder in ein
rechtsextremes Netzwerk eingebunden war, ist Teil der laufenden
Ermittlungen.
Rechtsextreme. Die beschäftigen die Polizei auch in den eigenen
Reihen. In der vergangenen Woche wurden in Mecklenburg-
Vorpommern drei Polizisten und ein ehemaliger festgenommen,
offenbar gibt es Verbindungen zum einem radikalen Netzwerk.
Dirk Laabs über rechte Umtriebe innerhalb der Polizei, die
Ermittlungen gegen rechte Täter draußen durchaus erschweren
können - und bereits erschwerten, zum Beispiel beim NSU.

Text:
Böblingen. Die Kaserne der Bereitschaftspolizei. Michèle
Kiesewetter wird hier zur Polizistin ausgebildet. Sie ist 22 Jahre
alt.

Am 25. April 2007 wird sie zu einem Einsatz nach Heilbronn
geschickt. Es ist kurz vor 14 Uhr. Kiesewetter und ein Kollege
machen in ihrem Streifenwagen auf einem Parkplatz eine Pause.
Dann geschieht das bis heute kaum Fassbare: Mord aus dem
Hinterhalt.

Michèle Kiesewetters Kollege überlebt knapp, die junge Polizistin
ist tot. Ihre Mörder werden vorerst nicht gefunden. Erst vier Jahre
später werden zwei Männer tot in einem ausgebrannten
Wohnmobil entdeckt: Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.

Neben den Leichen der Männer: die Dienstpistolen von
Kiesewetter und ihrem Kollegen - und DVDs, auf denen sich der
NSU zum Mord an Kiesewetter bekennt.

O-Ton NSU-Bekennervideo:
Heute ist nicht alle Tage, ich komme wieder, keine Frage.

Nach dem Mord wurde Kiesewetters Einheit intensiv
durchleuchtet. Es stellte sich heraus: Mehrere Kollegen hörten
regelmäßig Nazi-Rock, einer war sogar im rassistischen Ku-Klux-
Klan. Doch Konsequenzen gab es keine: Der Beamte ist bis
heute im Dienst. Eine Verbindung zwischen rechten Polizisten
und dem NSU wurde nicht entdeckt.

O-Ton Achim Schuster, CDU, MdB, Mitglied im
Innenausschuss des Bundestages:
Ich glaube, dass wir zu schnell damals - nicht nur in Baden-
Württemberg - das haben wir ja im NSU-
Untersuchungsausschuss in ganz Deutschland festgestellt,
zu schnell zur Tagesordnung übergegangen sind.

Das Ergebnis kann man heute an vielen Orten in Deutschland
beobachten, so in Frankfurt am Main. Im 1. Polizeirevier werden
Mitte 2018 geschützte Daten einer gefährdeten Person abgefragt:
Seda Basay-Yildiz, Anwältin im NSU-Prozess. Kurz darauf erhält
sie Drohungen per Fax. Ihre Tochter werde „geschlachtet“.
Unterschrieben: NSU 2.0.

Wer steckt hinter den Drohungen? Eine Spur führt zu einer
Polizistin. Als die Daten abgefragt wurden, war die Beamtin im
Computer auf dem Revier eingeloggt.

Interne Ermittler stellen fest: Die Polizistin gehörte zu einer
ganzen Gruppe rassistischer Polizisten. Aber wer die Droh-Faxe
geschickt hat, ist bis heute unklar - vor allem, weil die Polizisten
eisern schweigen. Korpsgeist. Experten kennen das:

O-Ton Prof. Rafael Behr, Polizeiwissenschaftler, Akademie
der Polizei Hamburg:
Kameradenverrat ist nach wie vor die Todsünde und
Whistleblowing ist keine Kultur, wird in der Polizei nicht
kultiviert. Das ist einfach so. Whistleblowing also anzeigen,
dahinterstehen, ist riskant.

Und im Zweifel passiert ohnehin wenig - zum Beispiel in Sachsen,
beim Sondereinsatzkommando. Zwei Polizisten hatten einen
Kollegen als „Uwe Böhnhardt“ in eine Dienstliste eingetragen - bei
einem Staatsbesuch des türkischen Präsidenten. Spezialkräfte
beziehen sich auf einen rechten Terroristen. Trotzdem ist einer
der beiden SEK-Beamten wieder im Dienst. Das beschäftigt auch
Sicherheitspolitiker im Bundestag:

O-Ton Achim Schuster, CDU, MdB, Mitglied im
Innenausschuss des Bundestages:
Ich glaube, dass es wichtig ist - und das haben wir vielleicht
noch nicht ausreichend getan - klipp und klar festzustellen,
was wir in deutschen Behörden nicht dulden.

Wie dringend das wäre, zeigt ein Fall aus Berlin. Noch immer
versuchen Berliner Abgeordnete staatliches Versagen in der
NSU-Mordserie aufzuklären. Eine Top-Quelle in der Naziszene
wurde vom LKA-Berlin geführt. Der Mann verriet wichtige
Informationen über die gesuchten NSU-Mörder.

O-Ton Benedikt Lux, B‘90/ DIE GRÜNEN, MdL:
Das war im Jahr 2002, da ging die Terrorserie noch weiter.
Also, es war eine sehr brisante Meldung.

Die Akten zeigen: Der Berliner LKA-Mann wusste, dass ein NSU–
Unterstützer zurzeit Kontakt zu den untergetauchten Neonazis
hat - möglicherweise die Chance, das gesuchte Mord-Trio zu
finden.

O-Ton Benedikt Lux, B‘90/ DIE GRÜNEN, MdL:
Und dieser Hinweis, der wurde nicht weitergegeben, der
versickerte irgendwo. Und das ist natürlich schon ein harter
Fakt.

Und so gingen die Attentate des NSU weiter: Explosion einer
Nagelbombe in Köln, Hinrichtungen in Nürnberg, der Mord an
Michèle Kiesewetter in Heilbronn.

Ein Dokument, das uns nun zugespielt wurde, wirft weitere
Fragen auf. Im Zuge anderer Ermittlungen wurde das Handy des
Berliner LKA-Manns beschlagnahmt. Zufällig finden interne
Ermittler darauf brisante Nachrichten - SMS des Polizisten an
seinen Vorgesetzten:

Zitat SMS-Protokoll:
„So, Leute das war‘s mal wieder, kommt jut rinn. Haltet euch
von Merkel & Co. und ihren scheiß Gut-Menschen fern. Ich
erwarte euch im nächsten Jahr. Bis denne…“

O-Ton Benedikt Lux, B‘90/ DIE GRÜNEN, MdL:
Schwierig, ja.

Und der Polizist unterschreibt eine Nachricht mit einem Code.

O-Ton Benedikt Lux, B‘90/ DIE GRÜNEN, MdL:
Ja. Das geht gar nicht. Das ist der...

O-Ton Frontal 21:
88 – also, Code für „Heil Hitler“.

Ein LKA-Beamter unterschreibt eine SMS mit dem Code für „Heil
Hitler“. Seine ehemalige Top-Quelle aus der Nazi-Szene trug
passend dazu auch das Kürzel 88 offen zur Schau.

O-Ton Sebastian Scharmer, NSU-Opferanwalt:
Nach und nach stellt sich die Frage, ob es nicht auch in den
Verfassungsschutzämtern und bei der Polizei einzelne
möglicherweise gab, die vielleicht Bescheid wussten oder
jedenfalls glauben konnten, was da passiert, und es nicht
gestoppt haben - vielleicht auch aus einer unverhohlenen
Sympathie für die rechte Szene. Das aufzuklären wäre
wichtig. Schon allein um zu schauen: Ist da möglicherweise
auch bewusst was vertuscht worden.

Der LKA-Mann ist zwar versetzt worden, aber weiter Beamter.
Dazu kommt: Das Land Berlin hält gegenüber dem Bundestag
seit Monaten Akten zurück. Wieder wird geschwiegen, verzögert,
taktiert.

O-Ton Achim Schuster, CDU, MdB, Mitglied im
Innenausschuss des Bundestages:
In Deutschland hat sich etwas verschoben. Der NSU konnte
sich in einer gesellschaftlichen Stimmung entwickeln, die
aus meiner Sicht nicht so aufgeheizt war wie heute. Ist es
nicht leichter, dass ein NSU 2.0 entsteht als damals? Und ich
mache mir Sorgen!

Was unter der Marke NSU 2.0 lauern könnte, zeigte sich
vergangene Woche in Mecklenburg-Vorpommern. Zwei Polizisten
mussten in Untersuchungshaft, darunter Mitglieder des
Sondereinsatzkommandos, Elitepolizisten.

O-Ton Claudia Lange, Oberstaatsanwältin,
Staatsanwaltschaft Schwerin:
Im Wesentlichen wird drei der Beschuldigten zur Last gelegt,
sich Munition widerrechtlich aus den Beständen des
Landeskriminalamtes Mecklenburg-Vorpommern beschafft
zu haben und diese Munition an den weiteren Beschuldigten
weitergereicht zu haben.

Einer der Beschuldigten ist LKA-Beamter aus der Nähe von
Schwerin. Einst diente er in einer Spezialeinheit der Bundeswehr,
danach beim SEK.

Sein Haus wurde schon zweimal durchsucht. In seinem Umfeld
fanden Ermittler 30.000 Schuss Munition. Trotzdem blieb der
ausgezeichnete Sportschütze auf freiem Fuß. Mit uns reden,
wollte er nicht.

Vergangene Woche wurde sein Haus erneut durchsucht. Die
Kripo fand Tausende Schuss Munition, zudem eine Uzi-
Maschinenpistole. Diesmal kam der Mann in Haft.

Ihm wurde zum Verhängnis, dass er zu einer Gruppe gehörte, die
die Bundesanwaltschaft 2017 dursuchen ließ. Terrorverdacht. Die
Männer hatten verschlüsselte Nachrichten ausgetauscht, in
denen sie Aktionen für einen Tag X besprachen. Zur Gruppe
gehörten ein weiterer Polizist und ein Anwalt. Der wurde von
einem Mitglied der Gruppe schwer belastet:

„Der [Anwalt] hat einen Ordner mit Namen, Adressen und
Lichtbildern von Personen, die aus seiner Sicht ‚schädlich’
für den jetzigen Staat sind, und die seiner Meinung nach
‚weg’ müssen. Die Personen sollten gesammelt und
umgebracht werden.“

Der Anwalt dementiert das. Auch der jetzt verhaftete LKA-Mann
widersprach angeblichen Mordplänen, bestätigte aber
Schießübungen.

Wir bekommen einen Hinweis auf einen Schießplatz. An diesem
Vormittag läuft hier gerade eine Übungseinheit. Auf dem Platz
trainieren regelmäßig Spezialeinheiten von Bund und Ländern.

Auch der Schießplatz wurde vergangene Woche durchsucht. Die
Staatsanwaltschaft fragt sich, wo die Elitepolizisten die vielen
Tausend Schuss Munition unbemerkt beiseite geschafft haben
könnten. Ein Verdacht: auf der Schießanlage in Güstrow – dort
wo Terrorverdächtige und Polizisten trainiert hatten.

O-Ton Claudia Lange, Oberstaatsanwältin,
Staatsanwaltschaft Schwerin:
Das was ich Ihnen sagen kann: Dass Gegenstand der Durch-
suchungsmaßnahmen auch ein Objekt in Güstrow gewesen
ist. Dabei handelt es sich um einen Schießstand.
Ausgerechnet dort war Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister,
Lorenz Caffier, regelmäßig zu Gast, auch als Schirmheer eines
Schießwettbewerbs deutscher Spezialkräfte.

Am Tag nach der Durchsuchung erwähnt er das nicht:

O-Ton Lorenz Caffier, CDU, Innenminister Mecklenburg-
Vorpommern, am 12.6.2019:
Ich bin über das, was hier im Raum steht, zutiefst erschüttert
und fassungslos.

Nachfragen sind nicht erlaubt. Dabei müsste sich nicht nur dieser
Minister erklären - zu Todeslisten, Morddrohungen und
bewaffneten Staatsfeinden in Uniform.

Abmoderation:
Polizisten, die mit ihrem Diensteid auf die Verfassung und die
geltenden Gesetze schwören – und die sich zugleich
rechtsextrem verhalten und verschwören. Mehr zum Thema
können Sie bei ZDFzoom erfahren, in der Dokumentation mit dem
Titel „Staatsfeinde in Uniform“.
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