Beitrag: Doping im Westen - Vertuschung statt Aufklärung?

 
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Beitrag: Doping im Westen – Vertuschung statt
Aufklärung?

Sendung vom 6. August 2013

von Joachim Bartz

Anmoderation:
Mitwisser? Will heute kaum ein Sportfunktionär oder Politiker
gewesen sein. Doch die skandalöse Wahrheit ist jetzt in der Welt:
Auch in Westdeutschland wurden Leistungs-Sportler seit den
50er Jahren gedopt. Staatlich gewollt und gefördert. Wenn auch
nicht erzwungen, wie in der DDR. Doch in Ost und West wurden
gesundheitliche Risiken gleichermaßen verharmlost oder
verschwiegen. Eine wissenschaftliche Studie der Berliner
Humboldt-Uni enthüllt jetzt den Umgang mit Medikamenten und
Wachstumshormonen in der Bundesrepublik. Da kann es einen
schon gruseln. Joachim Bartz über Opfer, unterdrücktes Wissen
und die Moral im BRD-Sport.

Text:
Montreal 17. Juli 1976 – die Olympischen Sommerspiele
beginnen. Springreiter Hans Günter Winkler trägt die Fahne der
Bundesrepublik Deutschland.

Es herrscht Kalter Krieg, der Kampf um Medaillen ist mehr als nur
Sport - auch für die westdeutsche Mannschaft.

Den bundesdeutschen Athleten wird in Montreal 1.200 Mal eine
Spritze zur Leistungssteigerung verabreicht, bald „Kolbe-Spritze“
genannt - nach Peter-Michael Kolbe, einer Ruderlegende. Auch
ihm wurde das Mittel verabreicht. Fatal, denn beim Rennen führte
er zunächst deutlich, brach dann aber kurz vor Schluss ein. Der
Finne Karppinen gewann.

O-Ton von Peter-Michael Kolbe, Silbemedaillengewinner
Rudern 1976, Archiv:
Ich habe kurz vor dem Rennen eine Vitaminspritze
bekommen. Führe darauf meine Ermüdung, meine plötzliche
Ermüdung kurz vorm Ziel zurück.

O-Ton Prof. Werner Franke, Molekularbiologe und
Antidoping-Experte:
Da waren wahrscheinlich auch irgendwelche, wie man so
schön sagt, Aufputschmittel drin. Und die haben ’ne
bestimmte Wirkzeit. Und dann hört das auf und dann hört’s
aber schlagartig auf. Und so sah das aus bei Herr Kolbe
selber.

Die sogenannte Kolbe-Spritze mit den insgesamt 1.200
Injektionen und vieles andere mehr sind in einer Studie
dokumentiert. Angefertigt von Wissenschaftlern der Berliner
Humboldt-Universität. Fazit: Doping im Westen gab es viel früher
als bisher bekannt.

O-Ton Prof. Giselher Spitzer, Sporthistoriker, Humboldt-
Universität Berlin:
Bereits in den 50er Jahren gibt es ein Zusammenwirken
zwischen Sportmedizinern und der Nutzung von
Dopingmitteln. Das war also die erste Überraschung - in
Anführungszeichen. Die zweite Überraschung war, dass zum
Beispiel die Bundesrepublik oder der Dopingteil des Sports
der Bundesrepublik, dass der nicht unbedingt auf
Entwicklungen zum Beispiel in der DDR reagiert hat, sondern
die Anwendung und Erforschung von Anabolika beginnt
ebenfalls in den 50er Jahren, und auch die Anwendung
beginnt viel früher als gedacht.

Bei seinen Recherchen stellte Sportwissenschaftler Spitzer fest,
dass wichtige Akten zu Doping im Westen vernichtet wurden.

O-Ton Prof. Giselher Spitzer, Sporthistoriker, Humboldt-
Universität Berlin:
Die Bestände, um die es hier geht, die sind hoch brisant
gewesen. Die lagen 1991 vor. Wir haben sie aber im Original
nicht gesehen sondern nur Mitschriften, die ein Mitarbeiter
im Bundesinstitut angefertigt hat. Die Originale sind, wie
gesagt, vernichtet und das ist eine Katastrophe. Ich denke,
das muss auch auf der Ebene des Parlaments geklärt
werden. Es muss Rechenschaft abgelegt werden, wer hat
wann, warum diese Akten vernichtet.

Vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft wurde die Studie lange
unter Verschluss gehalten, angeblich aus Datenschutzgründen.
Viele Erkenntnisse über das westdeutsche Doping waren wohl zu
heikel. Denn bundesfinanzierte Dopingforschung hieß auch, dass
die Behörden genehmigten, mit Steuergeld menschliches
Wachstumshormon zu kaufen. Das wurde bis in die 80er Jahre
aus Leichenteilen gewonnen, aus Hirnanhangdrüsen.

O-Ton Prof. Werner Franke, Molekularbiologe und
Antidoping-Experte:
Das war einer der schlimmsten Flops – ist ein geringes
Wort - in der Medizingeschichte. Deshalb, weil sich dann
nach Jahren herausstellte, dass in diesen
Hirnanhangdrüsenpräparaten auch ein infektiöses Agens
drin war, etwas, das die Creutzfeldt-Jakob Krankheit
hervorrief. Die Creutzfeldt-Jakob Krankheit können Sie sich
so ähnlich vorstellen, wie BSE, also Rinderwahnsinn, beim
Menschen. Also eine stark psychotische Krankheit, die aber
letztlich dann sogar tödlich enden kann.

Gefährliche Wachstumshormone aus Leichenteilen?

Wir bitten das Bundesinnenministerium und das Bundesinstitut für
Sportwissenschaft um Stellungnahme. Kein Interview. Schriftlich
heißt es,

Zitat:
„Ob tatsächlich aus diesen Zuwendungen auch
Wachstumshormone angeschafft wurden, kann nicht
nachvollzogen werden, da die Unterlagen im BISp nicht mehr
vorliegen.“

Einer der führenden westdeutschen Dopingforscher war der
Sportarzt Joseph Keul. Er hatte offenbar mächtige Verbündete,
zum Beispiel NOK-Präsident Willi Daume. Keul fühlte sich
unantastbar.

Manfred von Richthofen, über Jahrzehnte einer der führenden
Sportfunktionäre, hat das erlebt.

O-Ton Manfred von Richthofen, NOK-Mitglied:
Wir sind sehr schnell dahinter gekommen, dass es eine
eigenartige Zentrale in der Verwendung von unerlaubten
Mitteln in Freiburg gibt. Aus diesem Grunde haben wir Herrn
Professor Keul angehört, zweimal. Und er hat uns gedroht,
dieser Kommission gedroht, er würde rechtlich gegen uns
vorgehen, wenn wir weiter so unangenehme Fragen stellen
würden, wie wir sie gestellt haben.

Willi Daume ignorierte die Forderung, Joseph Keul als Olympia-
Arzt abzulösen. Der hatte auch in der Politik Verbündete.

O-Ton Gerhard Groß, Staatssekretär
Bundesinnenministerium, am 21.10.1976:
Wenn keine Gefährdung oder Schädigung der Gesundheit
herbeigeführt wird, halten Sie, lieber Herr Prof. Keul,
leistungsfördernde Mittel für vertretbar. Der Bundesminister
des Innern teilt grundsätzlich diese Auffassung.

Werner Maihofer war der Innenminister zu jener Zeit. Er hatte
also offenbar nichts gegen Doping. Seine Nachfolger auch nicht.

O-Ton Hansjörg Kofink ehemaliger Frauen-Bundestrainer
Kugelstoßen:
Es ist anzunehmen und dafür gibt es einige wenige indirekte
Belege, dass Leute aus der Politik, gehört da unser heutiger
Finanzminister dazu, Schäuble, zu bestimmten Zeiten klar
gesagt haben: Wenn das nützt und wenn’s die anderen auch
machen, dann macht ihr es doch bitte auch. Originalton
Schäuble 1977.

Damals sagte der Abgeordnete Wolfgang Schäuble im
Bundestag,

Zitat:
"Wir wollen solche Mittel nur sehr eingeschränkt und (...)
unter ärztlicher Verantwortung einsetzen."

Dabei gab es Opfer: Siebenkämpferin Birgit Dressel starb 1987
an den Folgen des Dopings. Schwimmerin Christel Justen wurde
schon als Minderjährige gedopt. Litt später unter Herzrhythmus-
Störungen, starb in Alter von 47 Jahren.

Der frühere Frauen-Bundestrainer im Kugelstoßen Hansjörg
Kofink hat schon in den 70er Jahren erlebt, dass viel über Doping
gesprochen und dennoch weiter gedopt wurde.

O-Ton Hansjörg Kofink ehemaliger Frauen-Bundestrainer
Kugelstoßen:
Es sind Leute gestorben, es sind Leute verurteilt worden. Es
gab zwei deutsche Meister in der Leichtathletik, die positiv
getestet wurden, die ihre Teilnahme an deutschen
Meisterschaften per einstweiliger Verfügung durchgesetzt
haben. Es kann nicht sein.

O-Ton Manfred von Richthofen, NOK-Mitglied:
Es bewegt mich schon, dass das ein grauenhaftes Tun
gegenüber den Aktiven war, dass man eigentlich im Osten
und Westen nicht wusste, welche Mittel mit welchen Folgen
einem überreicht wurden und die Aktiven aufgefordert
wurden, diese Mittel einzunehmen. Es ist schon, es geht ins
Kriminelle.

Für Richthofen und andere muss endlich eine gründliche
Aufarbeitung des westdeutschen Dopings beginnen. Dann möge
auch der Gesetzgeber endlich Konsequenzen ziehen.

Abmoderation:
Schon sind Kommissionen gegründet und Sportausschuss-
Sitzungen anberaumt. Vielleicht bekommt wenigstens die
traditionell unterdrückte Debatte über ein Antidoping-Gesetz jetzt
ein bisschen Schwung.

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