Beitrag: Das globalisierte Päckchen-Manuskript

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Manuskript

Beitrag: Das globalisierte Päckchen –
           Was der Amazon-Erfolg wirklich kostet

Sendung vom 19. Oktober 2021

von Reinhard Laska und Magdalena Schwabe

Anmoderation:
Deutsche Amazon-Kundinnen und Kunden könnten glauben,
der Onlinekonzern liefere die bestellte Ware vom Hersteller
direkt zu ihnen. Es läuft aber ganz anders: nämlich hin und
her, quer durch Europa, und meistens über Polen. Selbst
Produkte "Made in Germany" werden von Amazon zuerst
nach Polen gekarrt, dort gelagert, umgepackt und wiederum
zurückgeschickt nach Deutschland. Dieser scheinbar
widersinnige Aufwand lohnt sich offenbar für Amazon. Der
Versandriese profitiert von niedrigen Lagerkosten in Polen
und von billigen Arbeitskräften wie dem Lastwagenfahrer
Antek. Reinhard Laska und Magdalena Schwabe haben ihn
begleitet.

Text:
Am Morgen ist er losgefahren, in Polen, in Wroclaw. Jetzt ist
er kurz vor Berlin, mehr als 300 Kilometer ist der junge Pole
schon gefahren. Sein Spitzname ist Antek, er ist unterwegs
für Amazon. Ohne osteuropäische Fahrer wie ihn würde das
Geschäft nicht laufen.

O-Ton Antek, polnischer Lkw-Fahrer:
Arbeit, nichts als Arbeit, rund um die Uhr! Jetzt bin ich in
Deutschland. Wo ich morgen hinfahre, weiß ich heute noch
nicht. Für die Schufterei bekommen wir gerade mal den
Mindestlohn, knapp über 700 Euro im Monat, dazu noch ein
paar Spesen oder einen Umschlag auf die Hand.

Ein deutscher Fahrer in einem vergleichbaren Job verdient
das Drei- bis Vierfache.
Von Berlin geht es weiter: erst gegen 22 Uhr Schichtende.
Irgendwo zwischen Dresden und Leipzig streckt sich Antek in
seiner Koje aus.

Am nächsten Morgen geht es weiter, Richtung Norditalien. An
Anteks Reise lässt sich zeigen, wie das System Amazon
funktioniert.

Das Logistikzentrum in Bologna. Hier lädt Antek Waren ab, die
er aus Deutschland mitgebracht hat. Dann macht er sich auf
den Weg nach Frankreich, sein Ziel: Clermont-Ferrand, knapp
700 Kilometer entfernt. Dort packt Antek Ware aus China
ein – auch für Kunden in Deutschland. Doch statt direkt zu
liefern, fährt er die ganze Fracht noch einmal 1.460 Kilometer
weiter – nach Wroclaw in Polen. Erst von hier aus wird später
an Kunden in Westeuropa geliefert.

Zigtausende Lkw durchqueren so jeden Tag den europäischen
Kontinent – im Auftrag von Amazon.

O-Ton Antek, polnischer Lkw-Fahrer:
Die Transportstrecken werden immer länger, weil sich das
durch niedrige Löhne für Amazon lohnt. Es ist billiger die
Ware etwa aus Frankreich nach Polen zu transportieren und
dann wieder zurück, meistens nach Deutschland - zumindest
solange die Löhne in Polen auf einem niedrigen Niveau
bleiben. Und so fahren wir manchmal fast leer, kaum beladen,
mit nur wenigen Paketen, verbrauchen dabei allerdings viel
Sprit.

Mit halbleerem Lkw quer durch Europa? Amazon selbst sieht
sich als nachhaltiges Unternehmen. Wie passt das
zusammen?

Auf Nachfrage erklärt der Konzern,

Zitat:
„Die Zustellung einer typischen Amazon-Bestellung zu einem
Kunden verursacht weniger CO2, als wenn der Kunde selbst
zu einem Geschäft fahren würde.“

Zu kurz gedacht, sagt das Umweltbundesamt.

O-Ton Katrin Dziekan, Umweltbundesamt:
Aus Klimaschutzgründen ist es ganz notwendig, dass wir
effizienten Verkehr haben, das heißt also, eine möglichst
optimale, 100-prozentige Auslastung von Fahrzeugen, die
durch die Gegend fahren – sei es der Zug oder sei es der Lkw.
Aber halbleere Lkws durch die Gegend zu fahren, ist auf
jeden Fall kontraproduktiv.

Wer bei Amazon bestellt, könnte glauben, der Onlinekonzern
verschicke die angebotene Ware vom Hersteller direkt zum
Kunden. Das aber ist ein Trugschluss: Tatsächlich gehen in
Deutschland bestellte Waren zunächst in polnische
Großlager, von dort wird die Ware wieder zurückgeschickt.

Insider zeigen uns Bilder, die dieses Hin und Her belegen: ein
Gartengrill, hergestellt in Deutschland, ein Schaschlik-Set
und eine Wäscheleine auch aus Deutschland oder diese
Gewürze: produziert in Berlin und dem Teutoburger Wald.

All diese Waren von Amazon werden zuerst nach Polen
transportiert, dort gelagert, umverpackt und zurück nach
Deutschland geliefert.

Der Aufwand lohnt sich offenbar. Der Versandriese profitiert
von niedrigen Lagerkosten und billigen polnischen
Arbeitskräften wie Antek.

Der ist inzwischen auf einem Autobahnrastplatz bei Nürnberg
gelandet - und hat die Nase voll.

O-Ton Antek, polnischer Lkw-Fahrer:
Typisch deutscher Parkplatz: Die Lkws stehen dicht an dicht -
so ein Gedrängel, damit der Amazon-Chef Bezos in das
Weltall fliegen kann.

Fast 8.000 Kilometer hat Antek schon zurückgelegt. Doch bis
er wieder nach Hause kommt, wird es noch dauern.

Rund eine Autostunde entfernt von der deutschen Grenze: In
der polnischen Kleinstadt Swiebodzin eröffnete Amazon vor
wenigen Tagen eine der weltweit größten Lagerhallen, obwohl
polnische Kunden für Amazon bisher kaum eine Rolle
spielten.

Verabredung mit Tomasz Sielicki. Der Bürgermeister weiß,
warum Amazon hierherkommt:

O-Ton Tomasz Sielicki, Bürgermeister von Świebodzin:
Die Vorteile sind enorm, und wir sind froh, dass wir so einen
Rieseninvestor gewinnen konnten. Unsere Stadt liegt an
einem Autobahnkreuz, und wir profitieren vom
Standortvorteil. Diese Investition macht das Angebot an
Arbeitsplätzen in unserer Stadt attraktiver.
Zehn riesige Logistikzentren betreibt der Konzern in Polen,
51.000 Arbeitsplätze seien so entstanden.

Wir sind in Poznań (Posen). Schichtwechsel im
Logistikzentrum - viele Arbeiter kommen von weit her. Auf
dem Betriebsgelände protestiert die Gewerkschaft. Zwei
Drittel der Beschäftigten hätten nur befristete Verträge, viele
nur für einen Monat. Die Schichten seien bis zu zwölf Stunden
lang, das Gehalt betrage gerade mal fünf Euro die Stunde.

O-Ton Agnieszka Mróz, Amazon Workers International:
Amazon ist kein Arbeitgeber, der sich mit den
Gewerkschaften an einen Tisch setzt. Wir müssen genau
hingucken, was sie hier anstellen.

Die Gewerkschafterin kritisiert, dass Amazon vor allem eins
wolle: Kosten sparen.

O-Ton Agnieszka Mróz, Amazon Workers International:
Die polnischen Lagerhallen wurden nach der großen
Streikwelle in Deutschland gebaut. So werden die deutschen
Mitarbeiter unter Druck gesetzt, nicht zu hohe Forderungen
zu stellen, weil auch wir hier in Polen ihre Pakete bedienen
können. Das ist eine strategische Erpressung.

Fest steht: In der Coronakrise hat der Versandriese den
Umsatz verdoppelt, auf 44 Milliarden Euro im vergangenen
Jahr. Erstaunlicherweise zahlt der Konzern kaum Steuern,
macht sogar Verluste geltend. Wie geht das?

Ronen Palan hat Amazon unter die Lupe genommen -
auffällig: Die weltweiten Geschäfte des Konzerns werden im
kleinen Luxemburg abgewickelt.

O-Ton Prof. Ronen Palan, Politikwissenschaftler, City
University of London:
Luxemburg ist ein echtes Geheimnis. Über
Tochterunternehmen laufen die Amazon-Geschäfte außerhalb
der USA, insbesondere aus Indien oder China. Dort werden
gezielt Verluste eingefahren. Diese Verluste werden wiederum
zu den Luxemburger Tochterunternehmen transferiert. So
wird Luxemburg zum Instrument, um Verluste in
Steuergutschriften umzuwandeln. Diese Gutschriften macht
der Konzern dann in den Vereinigten Staaten geltend.

So werde Luxemburg, sagt Professor Palan, zu einer Art
schwarzem Loch, wo Gewinne verschwinden und Verluste
entstehen.
O-Ton Prof. Ronen Palan, Politikwissenschaftler, City
University of London:
Das ist eine sehr raffinierte Organisation mit einem
ganzheitlichen Blick auf die Welt. Der Konzern weiß, von den
unterschiedlichen Regulierungen in unterschiedlichen
Ländern Gebrauch zu machen, um schließlich kaum Steuern
zu zahlen.

Nach acht Stunden am Steuer gibt es für Antek wieder Essen
aus der Dose. Für seine harte Arbeit erwartet er mehr, als
Amazon ihm geben will.

O-Ton Antek, polnischer Lkw-Fahrer:
Wir, die Fahrer und die Lagerarbeiter, erarbeiten doch den
Gewinn von Amazon. Der ist so wahnsinnig hoch, weil wir Tag
und Nacht, wochenlang außer Haus sind. Ich glaube, wir
verdienen mehr Lohn und mehr Wertschätzung für unsere
Leistung.

Am nächsten Morgen geht die Reise weiter. Noch zwei
Wochen wird er am Steuer sitzen, damit die Kunden in
Deutschland und Europa ihre Päckchen bekommen.

Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck
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