Berner Workforce Studie 2020-2025
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Berner Workforce- Studie 2020–2025 Erstmals liegen für den Kanton Bern solide Daten zur medizinischen Grundversorgung und zum sich entwickelnden Mangel vor. Text: Dr. med. Zsofia Rozsnyai und Wir wählten einen anderen Ansatz (Figur 1): Prof. Dr. med. Dr. phil. Sven Streit im Namen der Projektgruppe 1) Medizinalberuferegister MedReg: Über das Abbildungen: zVg MedReg wurden die Daten aller mit einem eidgenössischen Weiterbildungstitel Allgemei- Der Mangel an GrundversorgerInnen ist bekannt. ne Innere Medizin AIM/Kinder- und Jugend- Der Espace-Mittelland scheint davon am meisten medizin KJM oder Praktischer Arzt mit einer betroffen: Ganze 72 % der GrundversorgerInnen Berufsausübungsbewilligung im Kanton Bern gaben in einer Studie des universitären Institutes abgefragt. für Hausarztmedizin beider Basel für ihre Region 2) Die ÄrztInnen wurden brieflich und online zur einen Mangel an1. Und im Kanton Bern? Wie viele Studie eingeladen und es wurden drei Erinne- GrundversorgerInnen gibt es überhaupt? Wie ist rungen verschickt. deren Workforce (Pensum, Orte, Dichte Grund- 3) Es folgten eine Internetrecherche sowie >400 versorgerInnen/Bewohner)? In welchen Gebieten Telefonate bei allen, die nicht schriftlich mit- gibt es bereits heute und wo absehbar in 5 Jahren machten. eine Unterversorgung? Dieser Ablauf erlaubte uns, die Anzahl Grundver- Um diese Fragen zu beantworten, entstand die sorgerInnen im Kanton Bern zu bestimmen; von Berner Workforce-Studie unter der Leitung diesen machten dann 95 % brieflich, online oder von Dr. med. Zsofia Rozsnyai und Prof. Dr. med. telefonisch an der Studie mit. Dr. phil. Sven Streit des Berner Instituts für Haus- arztmedizin BIHAM, finanziell getragen von der 972 aktive GrundversorgerInnen im Berner Stiftung zur Förderung der Hausarzt-Medi- Kanton Bern zin HaSt, der Aerztegesellschaft des Kantons Bern Wir identifizierten 972 in der Grundversorgung tä- BEKAG, dem Verein Berner Haus- und Kinder- tige ÄrztInnen im Kanton Bern (Tabelle 1). Davon ärztInnen VBHK, der Verbindung der Schweizer waren 851 (88 %) HausärztInnen, 121 (12 %) Pädia- Ärztinnen und Ärzte FMH, dem Universitären terInnen und 43 % Frauen. Das Durchschnittsalter Notfallzentrum am Inselspital und unterstützt vom lag bei ca. 53 Jahren. Aber bereits 2020 arbeiteten Schweizerischen Gesundheitsobservatorium Obsan. 129 (13 %) über 65-jährige GrundversorgerInnen, bei den HausärztInnen war sogar jede/r fünfte im Leider gibt es kein einheitliches und tagesaktuel- Pensionsalter. Knapp 20 % der GrundversorgerIn- les Register über die GrundversorgerInnen, auch nen hatten ihr Arztdiplom im Ausland erworben. sind diese nicht alle bei entsprechenden Verbän- Frauen arbeiteten im Schnitt 6.4 Halbtage / Woche den Mitglied oder aktualisieren regelmässig ihre (64 % Pensum, da 1 Halbtag einem Pensum von Daten. Und Studien dazu haben oft einen beschei- 10 % entspricht), Männer 8.3 (83 % Pensum) und denen Rücklauf von 30–40 %. beide zusammen 7.5 (75 % Pensum). Gefragt nach der Versorgungssituation beklagten 67 % einen Mangel an HausärztInnen, 61 % einen 4 doc.be 04/2021 Workforce-Studie
ÄrztInnen mit Berufsausübungsbewilligung (BAB) im Kanton Bern und eidg. Weiterbil- dungstitel Allgemeine Innere Medizin, Kinder- und Jugendmedizin oder Praktischer Arzt (n = 2220) Doppelt erfasst (n = 3) Einladungen zur Studienteilnahme per Brief versendet (n = 2217, 100 %) Ausgeschlossen: (n = 1245, 56 %) – Pensioniert n = 503 – Keine GrundversorgerIn (Spezialistin n = 343) – Kanton Bern verlassen n = 215 – BAB entzogen oder inaktiv n = 75 – Arbeiten nicht mehr als ÄrztIn n = 55 – Schweiz verlassen n = 37 – Verstorben n = 17 Doppelt geantwortet (n = 31, 1 %) Berufstätige GrundversorgerInnen im Kanton Bern (n = 972, 44 %) Figur 1: Flussdiagramm der Berner Workforce-Studie. Mangel an PädiaterInnen. 60 % hatten selber einen Bern aber mit einer Quote von 0.72 und fast zwei Aufnahmestopp für Patienten (13 % kompletter Dritteln, die zum Zeitpunkt der Befragung einen Aufnahmestopp, 47 % teilweiser Aufnahmestopp). Mangel beschrieben haben, bzw. nur noch 40 %, Für Patienten standen daher 2020 nur gerade 245 die uneingeschränkt neue Patienten aufgenommen GrundversorgerInnen ohne Aufnahmestopp zur haben, deutliche Zeichen eines akuten Mangels. Verfügung. Gleichzeitig wurde gut 13 % der Ar- beitslast durch Kolleginnen und Kollegen im Pen- Bis 2025 braucht es mindestens 270 neue sionsalter getragen. GrundversorgerInnen Um einen Blick in die Zukunft zu werfen, verwen- Dies impliziert, dass es bereits 2020 einen Mangel deten wir einerseits die Angaben der Grundversor- in gewissen Regionen hatte. gerInnen, wie ihr Pensum 2025 voraussichtlich aus- sehen wird (wie viele Halbtage mehr/weniger als Dichte an Vollzeit-GrundversorgerInnen aktuell oder Pensionierung). Andererseits erhiel- pro 1000 EinwohnerInnen ten wir von der Gesundheits-, Sozial- und Integra- Die Versorgungssituation haben wir auch in Bezug tionsdirektion GSI des Kantons Bern Prognosen auf die Bevölkerung analysiert, indem wir Vollzeit- der Bevölkerungsentwicklung bis 2025 (Annahme GrundversorgerInnen pro 1000 EinwohnerInnen mittleres Szenario) 5. Bis dahin wird, wenn es keine für den Kanton Bern und seine 10 Verwaltungs- neuen GrundversorgerInnen gibt, die Dichte von kreise errechneten. Für den gesamten Kanton 0.75 auf 0.56 (–25 %) sinken. Um die Dichte zu hal- Bern lag die Dichte bei 0.75/1000, d. h., auf 1333 ten, bräuchte es 270 neue GrundversorgerInnen Patienten kam 1 ÄrztIn. Gebiete mit tiefster Dich- (wenn sie denn alle 7.5 Halbtage, also mit einem te waren: Frutigen-Niedersimmental (0.59/1000), Pensum von 75 %, arbeiten würden). Besonders be- Biel/Bienne (0.59/1000), Obersimmental-Saanen troffen sind die Regionen Obersimmental-Saanen (0.67/1000) und der Berner Jura (0.68/1000). mit einem Verlust von 0.5/1000, Interlaken-Ober- hasli (0.33/1000), der Oberaargau (0.27/1000) und Aber was ist eigentlich eine genügende Dichte? das Seeland (0.26/1000). Die KollegInnen, die bis Das ist nicht einheitlich definiert. Die einen verste- 2025 aufhören wollen, sind zu 73 % Männer und zu hen darunter 1 Grundversorgerin/1000 Bewohner2, 43 % in Einzelpraxen tätig, womit eine Nachfolge- andere geben an, dass pro 0.1/1000 zusätzliche lösung eine zusätzliche Herausforderung darstellt. GrundversorgerInnen die Sterblichkeit abnimmt 3, und schliesslich vergleichen wieder andere die Modelle, wie sich die Situation Länder mit gutem Gesundheitssystem bzw. deren entwickeln könnte Quoten von GrundversorgerInnen wie z.B. Ka- Folgende Parameter gilt es zu beachten, wenn man nada (OECD 1.33/1000) 4. Wir sehen im Kanton mögliche Szenarien der Grundversorgungssituation doc.be 04/2021 Workforce-Studie 5
berechnen möchte: Wie viele Medizinstudierende Politik: Wir sind der Überzeugung, dass dies be- werden GrundversorgerInnen, in welchem Pensum reits wichtige Lösungsansätze sind, die in den wird die nächste Generation arbeiten und wie viel Händen von uns GrundversorgerInnen liegen – Unterstützung bekommen wir künftig aus dem dennoch sind die kantonalen politischen Rahmen- Ausland? In der Infografik beschreiben wir ein bedingungen und die Planungssicherheit für das nach unserer Ansicht realistisches Szenario: Wenn PA-Programm entscheidend. Auch der Kanton 20 % der Medizinstudierenden den Beruf ergreifen, Bern hat im Rahmen der Pandemie sehr hohe fi- 20 % aus dem Ausland stammen und alle 7.5 Halb- nanzielle Belastungen in Kauf nehmen müssen tage arbeiten würden, dann fehlen bis 2025 immer und wir sind uns bewusst, dass der Moment für noch jährlich 11 zusätzliche GrundversorgerInnen, einen Ruf nach mehr finanzieller Unterstützung um den Stand von 2020 halten zu können, noch nicht ideal ist. Trotzdem kann die Politik durch ohne, dass man den bereits bestehenden Mangel ihre Beschlüsse in der Regierung oder im Gros- 2020 verbessern würde. Gleichzeitig verzeichnen sen Rat dafür sorgen, dass das PA-Programm auch wir einen Trend zu tieferen Arbeitspensen der jün- weiter finanziell gestützt wird. Weiter braucht es geren Generation und es ist fraglich, ob die Unter- Massnahmen auf Ebene Bund und Kantone, um stützung aus dem Ausland auch künftig noch 20 % trotz des Mangels dafür Sorge zu tragen, dass die betragen wird. Entsprechende Szenarien lassen sich vielen Arbeiten der GrundversorgerInnen auch in der Infografik ablesen. (Datengrundlage für die geschultert werden können, der Beruf attraktiv Berechnungen der Szenarien stellen öffentlich zu- bleibt, administrativ entlastet wird und die finan- gängliche Zahlen von Unimedsuisse und der Medi- ziellen Rahmenbedingungen diesen grossen Auf- zinalberufekommission sowie Daten aus der aktu- gaben entsprechen. Denn eines ist klar: Bleiben ellen Studie dar.) wir passiv, dann nimmt der Mangel in der Grund- versorgung zu, der Nachwuchs bleibt aus und die Wo und welche Handlungsmöglichkeiten PatientInnen finden keine Praxis, die ihre Betreu- hat der Kanton Bern? ung übernehmen kann. Dies ist nicht im Sinn der Studium: Der Kanton Bern hat mit der Universität, Bevölkerung, der politischen Behörden und der wo die Hausarztmedizin bereits gut verankert ist, Ärzteschaft. Und wir wissen, dass eine gute medi- sicher einen Standortvorteil, aber mit nur einem zinische Grundversorgung ein wichtiges Argument halben Lehrstuhl für Hausarztmedizin besteht bei der Wohnort- und Standortwahl ist und somit noch deutlich Nachholbedarf. Denn: Gemäss Info- zur Attraktivität eines Kantons beiträgt. grafik müssten sich 40 % der Staatsexamensabgän- ger für die Grundversorgerkarriere entscheiden, Key Messages: um genügend GrundversorgerInnen auszubilden. 1. Die Berner Workforce-Studie 2020–2025 be- In einer Umfrage bei allen Medizinstudierenden deutet für den Kanton Bern einen Meilenstein, am Ende des Studiums im Jahr 2017 gaben 20 % indem erstmals alle GrundversorgerInnen mit die Hausarztmedizin als definitiven Berufswunsch hoher Sicherheit identifiziert werden konnten an und 40 % sahen sie als interessante Option6. Al- und 95 % davon an der Umfrage teilnahmen. lerdings wissen wir, dass sich zwischen Studiumen- 2. 2 020 arbeiteten im Kanton Bern 972 ÄrztIn- de und definitiver Berufstätigkeit noch viele um- nen in der Grundversorgung, im Schnitt an 7.5. entscheiden können. Halbtagen die Woche; die Workforce war zu 43 % weiblich. 129 (13 %) der ÄrztInnen waren Weiterbildung: Seit 2008 besteht in Bern das Kan- >65-jährig und 189 (19 %) waren ehemals aus- tonale Praxisassistenzprogramm (PA-Programm) ländische KollegInnen. als erfolgreiches Modell. 2019 wurde die Stellen- 3. Es gibt keine einheitliche Definition, ab wieviel anzahl der Praxisassistenzen auf 35 erhöht, trotz- GrundversorgerInnen pro 1000 Einwohner ein dem ist das Programm alljährlich ausgebucht und Mangel besteht, aber 2020 betrug im Kanton BewerberInnen müssen abgelehnt werden. Die Bern die Dichte 0.75 Vollzeitstellen/1000 Ein- Langzeitevaluation des Programms zeigte zuletzt, wohnerInnen. Die Mehrheit der Befragten be- dass 81 % der ehemaligen AbsolventInnen auch schrieb einen akuten Mangel und nahm auch tatsächlich als GrundversorgerInnen tätig wur- keine neuen oder nur noch teilweise neue Pati- den und dies in fast der Hälfte der Fälle dort, wo entInnen auf. Diese Dichte nimmt bis 2025 um die Praxisassistenz absolviert wurde7. Aber mög- weitere 25 % auf 0.56/1000 ab. licherweise genügt das PA-Programm alleine nicht, 4. Um nur schon die Dichte von 2020 zu halten, be- denn bis 2025 braucht der Kanton Bern 270 neue nötigt es bis 2025 270 neue ÄrztInnen, wenn sie GrundversorgerInnen. Im Zeitraum bis 2025 bie- dasselbe Pensum leisten (7.5 Halbtage/Woche). tet das PA-Programm aber «nur» 175 Stellen an, so Der Nachwuchs muss v. a. aus dem Inland gene- dass auch andere Wege zur Rekrutierung gefunden riert werden. Mindestens 40 % der Staatsabgän- werden müssen. Diesbezüglich ist das BIHAM mit ger müssten als GrundversorgerInnen arbeiten. ca. 180 Mentoringgesprächen (im Jahr 2020) und 5. Ä rztInnen und Politik können sich gegenseitig einem Curriculum aktiv, welches auch Rotations- darin unterstützen, diesen Mangel wirksam zu stellen anbietet, um das PA-Programm ergänzend bekämpfen. Die Mittel dazu kennen wir: Ver- zu stärken. stärkung der Motivation für die Grundversor- gung beim Nachwuchs in Studium und Weiter- bildung und durch gezielte Massnahmen wie 6 doc.be 04/2021 Workforce-Studie
Leitung: Finanzierung: WORKFORCE STUDIE KBEA NTRNO N Partner: Kinder- und Jugend- mediziner_innen 121 972 Arbeitspensum 851 Hausärzt_innen in Halbtagen: Im Kanton Bern gibt es 13.3% 19.4% Frauen 6.4 972 Grundversorger_innen (851 HA und 121 KJM). der Workforce sind Ärzt_innen der Workforce sind Ärzt_innen Männer 8.3 95% davon haben an der Befragung teilgenommen. im Pensionsalter mit ausländi- Total 7.5 (>65 Jahre). schem Diplom. Wurde Patienten- Aus Ihrer Sicht: Aus Ihrer Sicht: Anzahl Grundversorger_innen pro 1000 Einwohner. stop eingeführt? Gibt es einen Gibt es einen Differenz von 2020 zu 2025. HA-Mangel in KJM-Mangel in Szenario ohne Zuwachs aus dem In- und Ausland. der Region? der Region? 80 59 59 Verlust 2020 bis 2025 -0.07 245 120 -0.27 0.4 Ja, teilweise Nein Nein -0.18 Nein Unbekannt Unbekannt -0.19 -0.33 -0.16 Werden 40% der Studierenden Grundversorger_innen, kann der Mangel bis 2025 gedeckt werden. -0.5 Prozentualer Anteil Medizin- Lesebeispiel: studierender mit Berufsziel Unter Annahme, Grundversorgung: dass 20% der Studierenden in die 2020 2025 10% 20% 40% Lesebeispiel: Grundversorgung Bern-Mittelland 0.72 0.54 Prozentualer Anteil Grundver- sorger_innen aus dem Ausland: gehen + 10% Im Berner Mittelland Biel/Bienne 0.59 0.44 0% -38 -20 +14 Zuwachs aus dem arbeiten 2020 Emmental 0.81 0.67 Ausland, fehlen pro 0.72 Grundversor- ger_innen vollzeit- Frutigen-Niedersimmental 0.59 0.43 Jahr 16 zusätzliche Grundversorger_in- tätig pro 1000 Interlaken-Oberhasli 0.91 0.58 10% -36 -16 +22 Einwohner. Diese Jura bernois 0.68 0.61 nen, um den Stand von 2020 auch Workforce nimmt bis Oberaargau 0.75 0.48 2025 halten zu 2025 um 0.18 ab Obersimmental-Saanen 0.67 0.17 20% -34 -11 +31 können. (Arbeitspen- auf 0.54 pro 1000 Einwohner. Seeland 0.81 0.55 sum: 7.5 Halbtage) Thun 0.93 0.74 doc.be 04/2021 Workforce-Studie 7
Basischarakteristika Keine Antwort Alle Frauen Männer P-Wert N (%) n=972 n = 415 (42.7) n = 557 (57.3) Alter, Mittelwert 0 (0) 52.6 (10.4) 48 (9.2) 56 (9.8) =65, n (%) 0 (0)
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