Weiße Flecken in der Erinnerungskultur - GEW Hamburg

 
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Weiße Flecken in der Erinnerungskultur - GEW Hamburg
DECOLONIZE 1

                     Weiße Flecken in der
                     Erinnerungskultur
                     Das Bundeskulturprojekt zur Demokratiegeschichte Deutschlands
                     grenzt große Teile der deutschen Gesellschaft aus
                        Mit einem Offenen Brief for-       mehr von einer deutschzentris-          land, ISD Bund.
                     dern zivilgesellschaftliche Initia-   tischen Erinnerungspolitik und             Die Darstellung der „Orte der
                     tiven im bundesweiten Decoloni-       von (post)kolonialer Amnesie            Demokratiegeschichte“,       ins-
                     ze-Bündnis eine grundsätzliche        unter Politiker_innen, Wissen-          besondere mit dem Fokus auf
                     Überarbeitung des Projektes           schaftler_innen und Entschei-           die Frankfurter Paulskirche bei
                     „Orte der Demokratiegeschich-         dungsträger_innen,      gekenn-         gleichzeitiger Ausblendung ihrer
                     te“/ „100 Köpfe der Demokra-          zeichnet durch ein (unbewusstes         Funktion als Bühne imperialer
                     tie“ und die maßgebliche Betei-       und bewusstes) Verdrängen des           Ambitionen, ist ebenso ein ekla-
                     ligung von BIPoC-Expert_innen         deutschen Kolonialismus. „Das           tantes Zeichen des historischen
                     in der Ausarbeitung.                  von der Bundesregierung un-             Verdrängens wie die unkritische
                        Mit großem Befremden neh-          terstützte, der Staatsministerin        Darstellung der vorgestellten
                     men die Unterzeichnenden das          Monika Grütters eingeleiteten           Personen, in deren Biographien
                                                                                                   rassistische Aspekte ausgeblen-
Foto: Fink Hamburg

                                                                                                   det werden. Sich mit der Demo-
                                                                                                   kratiegeschichte zu beschäfti-
                                                                                                   gen, heißt immer auch, sich mit
                                                                                                   Licht- und Schattenseiten, Wi-
                                                                                                   dersprüchen, Verfehlungen und
                                                                                                   unbequemen Wahrheiten ausein-
                                                                                                   andersetzen zu müssen.
                                                                                                      Die Arbeitsgemeinschaft (AG)
                                                                                                   „Orte der Demokratiegeschich-
                                                                                                   te“ ist ein offensichtlich weißes
                                                                                                   Gremium. Wir fordern, dass die
                                                                                                   AG proportional zur demografi-
                                                                                                   schen Entwicklung in Deutsch-
                                                                                                   land zu einem Drittel mit BI-
                                                                                                   PoC-Expert_innen besetzt wird.
                                                                                                   „Nicht nur müssen die ‚Orte der
                                                                                                   Demokratiegeschichteʼ und die
                     Im Michel (St. Michaelis-Kirche) hängt eine Gedenktafel zu Ehren der in       ‚Köpfe der Demokratieʼ unsere
                     Kolonialkriegen gefallenen deutschen Soldaten aus Hamburg. Anfragen           (post)migrantische Gesellschaft,
                     an den Kirchenvorstand, auch für die gefallenen Askari-Soldaten und die       ihren Widerstand gegen das ko-
                     getötete afrikanische Zivilbevölkerung ein Gedenkschild anzubringen,          loniale Unrecht und ihren posi-
                     blieben bis heute unbeantwortet.                                              tiven Beitrag zur deutschen Ge-
                                                                                                   schichte abbilden. Ebenso muss
                     Projekt „Orte der Demokratie-         und der Arbeitsgemeinschaft             sich die Teilhabe der (post)mig-
                     geschichte“/ „Köpfe der De-           ‚Orte der Demokratiegeschichteʼ         rantischen Communities in den
                     mokratiegeschichte“      (www.        umgesetzte Projekt ist in seiner        Projektstrukturen und -gremien
                     demokratie-geschichte.de) zur         jetzigen Ausgestaltung und Um-          widerspiegeln“, betont Tahir
                     Kenntnis. Wir kritisieren die         setzung inakzeptabel und stellt         Della.
                     unreflektierte und unsensible         einen weiteren Beleg dar, wie              Die Unterzeichnenden fordern
                     Darstellung von Erinnerungsor-        ausschließend die aktuelle Ge-          die Mitglieder der AG des Bun-
                     ten und Akteur_innen aus einer        schichtsschreibung ist“, sagt Ta-       desprojektes auf, ihre selbstge-
                     de- und postkolonialen Perspek-       hir Della, Sprecher der Initiative      setzten Ziele – „Zivilcourage“
                     tive. Das Projekt zeugt einmal        Schwarze Menschen in Deutsch-           und „Bündelung des Wissens“

                 52                                                                            hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 3-4/2021
Weiße Flecken in der Erinnerungskultur - GEW Hamburg
– sowie ihre Mission und Vision         CAkteur_innen, ihr Wissen, ihre      schweig Postkolonial, Initiative
von „Teilhabe am Prozess der            (Selbst)Organisationen, kulturel-    Cottbus postkolonial und post-
politischen und gesellschaftli-         len und historischen Orte zeitnah    sozialistisch, Initiative Schwar-
chen Willensbildung“, vom „Re-          zurTeilnahme einzuladen.             ze Menschen in Deutschland/
spekt gegenüber demokratischen            Kontakt_ info@afrika-ham-          ISD Bund, Initiative Schwarze
Einrichtungen“ und von der „Be-         burg.de                              Menschen in Deutschland/ISD
reitschaft, sich gesellschaftlich                                            Gießen, Initiative Schwarze
zu engagieren“, bedingungslos           Unterzeichnende                      Menschen in Deutschland/ISD
umzusetzen, sonst bleiben diese           Arbeitskreis Hamburg Post-         Frankfurt, Initiative Schwarze
leere Worthülsen. In diesem Sin-        kolonial, Arca – Afrikanisches       Menschen in Deutschland/ISD
ne erlauben wir uns, den Leitsatz       Bildungszentrum e. V., Dr. Ma-       Hamburg, Initiative Schwarze
der AG zu zitieren: „Demokra-           nuela Bauche, Berlin Postko-         Menschen in Deutschland/ISD
tie, Grund- und Menschenrech-           lonial, Bielefeld Postkolonial,      Stuttgart, Intervention Bismarck-
te sind nicht selbstverständlich.       Bismarckʼs Critical Neighbours,      denkmal Hamburg, KARFI –
Sie müssen immer wieder aufs            Bonn Postkolonial, Decolonize        Schwarzes Kollektiv für Empo-
Neue erkämpft und verteidigt            Bismarck, Decolonize Erfurt,         werment und rassismuskritische
werden.“                                Farafina Berlin, Forum der Kul-      Bildung, Leipzig Postkolonial,
   Die unterzeichnenden Initia-         turen Stuttgart e. V., frankfurt     Pädagogisches Zentrum Aachen
tiven fordern nun Prof. Monika          postkolonial, gießen postkolo-
Grütters und die AG auf, BIPo-          nial, Initiative Amo – Braun-

DECOLONIZE 2

Denk mal!
Der Vorgang um die Verlegung des Askari-Monuments offenbart,
dass wir erst am Anfang einer würdigen Erinnerungskultur stehen
   Als angeblichen ‚Beitrag zur         gestaltung.                          wohl kolonialrevisionistische als
Völkerverständigung‘ hat 2003             Die Terrakotta-Reliefs stellen     auch nationalsozialistische Auf-
der Kulturkreis Jenfeld ein ko-         fünf afrikanische Askarisoldaten     fassungen von ‚Treue‘ und ‚Ge-
lonialrevisionistisches Denkmal         und vier Träger im Dienst der        horsam‘ der Schwarzen Soldaten
aus der NS-Zeit restaurieren und        deutschen Kolonialtruppen dar,       zum weißen ‚Führer‘ zum Aus-
wiedererrichten lassen. Auf dem         geführt von einem deutschen          druck – einer der hartnäckigsten
Gelände der ehemaligen Lettow-          Unteroffizier. Sie bringen so-       Mythen vom ‚Kolonialidyll‘ und
Vorbeck-Kaserne (benannt nach
dem General und Oberbefehls-
haber in ‚Deutsch-Ostafrika‘)
wurde in einem sog. ‚Tansania-
Park‘ neben einem kolonia-
len ‚Schutztruppen-Ehrenmal‘
und in Nachbarschaft zu einem
‚Trotha-Haus‘ das ‚Deutsch-Ost-
afrika-Kriegerdenkmal‘     (jetzt
umbenannt in ‚Askarireliefs‘)
aufgestellt. Vor der Errichtung
waren die Reliefs in der Samm-
lung Peter Tamm (ehemaliger
Generalbevollmächtigter      der
Axel Springer AG und Grün-
der des mit Kriegsdevotionalien
glänzenden Schifffahrtsmuse-            Der ‚Tansania-Park‘ befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen
ums in der Hafencity) zwischen-         ‚Lettow-Vorbeck-Kaserne‘, von der Bundeswehr in ungebrochener Tradition
gelagert gewesen. Die Baube-            nach demjenigen Kommandeur der ‚Schutztruppe‘ genannt, der die
hörde übernahm die Kosten für           Kolonie ‚Deutsch- Ostafrika‘ noch im Ersten Weltkrieg ‚bis zum letzten
Denkmalrestaurierung und Park-          Mann‘ verteidigen wollte: Lettow-Vorbeck.

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 3-4/2021                                                                   53
Weiße Flecken in der Erinnerungskultur - GEW Hamburg
Hannover im Park aufzustellen
                                                                                                                     und dort Projekte mit Hamburgs
                                                                                                                     Partnerstadt Dar es Salaam vor-
                                                                                                                     zustellen. Damit würden in un-
                                                                                                                     zulässiger Weise der Name des
                                                                                                                     heutigen, unabhängigen Staates
                                                                                                                     Tansania und dessen Symbol in
                                                                                                                     Verbindung mit kolonialverherr-
                                                                                                                     lichenden Insignien gebracht.
                                                                                                                        Um den ‚Tansania-Park‘ ist
                                                                                                                     seit 2003 in der Öffentlichkeit
                                                                                                                     und den Medien eine kontrover-
                                                                                                                     se Diskussion entbrannt. Proteste
                                                                                                                     begleiten das Projekt. Zahlreiche
                                                                                                                     Menschen in dieser Stadt sind
                                                                                                                     entschieden gegen die derzeitige
                                                                                                                     Planung, die in mehrfacher Hin-
                                                                                                                     sicht ein Affront gegen tansani-
                                                                                                                     sche Staatsbürger_innen sowie
                                                                                                                     hier lebende Afrodeutsche und
                                                                                                                     Migrant_innen ist.
                                                                                                                        Die von der Stadt aufge-
                                                                                                                     stellten Infotafeln sind nicht
                                                                                                                     in der Lage, den notwendigen
Das ‚Deutsch-Ostafrikaner-Ehrenmal‘, eine safari-romantische Darstellung
                                                                                                                     Denkraum gegenüber den NS-
der Kolonialzeit, steht heute versteckt im Park des Restaurants Waldesruh                                            Kolonialmonumenten zu öff-
in Hamburg- Aumühle. Ursprünglich sollte das Denkmal in den1930ern                                                   nen. Ein Nutzungskonzept und
in Potsdam errichtet werden, wo es wegen der geringen künstlerischen                                                 eine Zielgruppenbeschreibung
Qualität jedoch abgelehnt wurde. Dann wurde ein Standort in Düsseldorf                                               liegen nicht vor. Mit dem Argu-
in Erwägung gezogen. Im Zweiten Weltkrieg unterblieb die Aufstellung an                                              ment, dass Finanzmittel für eine
einem öffentlichen Platz. Paul v. Lettow-Vorbeck hatte sich persönlich für                                           geschichtsdidaktische Parkge-
den jetzigen Standort stark gemacht.                                                                                 staltung und -nutzung fehlten,
zugleich eine vermeintliche Le-           Geplant ist nun vom Kul-                                                   wurden Alternativvorschläge gar
gitimation, die Kolonien zurück-       turkreis Jenfeld, auch den tan-                                               nicht erst diskutiert.
zuerobern.                             sanischen EXPO-Pavillon aus                                                      Stadt und Bezirk sollten das
                                                      © Chou yi for Amnesty International Taiwan

                                                                                                   wendige medizinische Behandlung nur gewähren,
                                                                                                   wenn sie im Fernsehen „Geständnisse“ ablegt.
                                                                                                     Zeynab Jalalian wurde im Januar 2009 vom
                                                                                                   Revolutionsgericht in Kermanshah wegen „Feind-
                                                                                                   schaft zu Gott“ (moharebeh) zum Tode verurteilt.
                                                                                                   Ihr wird Mitgliedschaft in einer bewaffneten kur-
                                                                                                   dischen Oppositionsgruppe vorgeworfen. In ihrem
                                                                                                   Gerichtsverfahren, das offenbar nur wenige Mi-
                                                                                                   nuten dauerte, hatte sie keinen Zugang zu einem
                                                                                                   Rechtsbeistand. Ihr Todesurteil wurde 2011 in eine
                                                                                                   lebenslange Haftstrafe umgewandelt.
Freiheit für Zeynab Jalalian!                                                                        Bitte schreiben Sie Briefe an die Oberste Justiz-
   Die iranischen Behörden verweigern der ira-                                                     autorität des Iran, in denen Sie darum bitten, dass
nisch-kurdischen Gefangenen Zeynab Jalalian                                                        Zeynab Jalalian vor Folter und anderen Misshand-
vorsätzlich eine fachärztliche Behandlung, obwohl                                                  lungen geschützt wird und medizinische Behand-
sich ihr Gesundheitszustand immer weiter ver-                                                      lung erhält, falls nötig auch in einer Klinik außer-
schlechtert. Dieses Vorgehen kommt Folter gleich.                                                  halb des Gefängnisses. Bitten Sie außerdem darum,
Amnesty International hat sich seit 2014 mehrfach                                                  dass ein Wiederaufnahmeverfahren für Zeynab
mit Eilaktionen für Zeynab Jalalian eingesetzt. Die                                                Jalalian eingeleitet wird, das den internationalen
iranischen Behörden wollen ihr die dringend not-                                                   Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht.

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Weiße Flecken in der Erinnerungskultur - GEW Hamburg
Konzept überdenken, die Chance
einer demokratischen Bürgerbe-
teiligung nutzen, einen Runden
Tisch für alle Interessierten ein-
richten und die inhaltliche und
räumliche Gestaltung des Areals
öffentlich ausschreiben.
   Bezirk und Stadtentwick-
lungsausschuss der Bürger-
schaft planen nun im Rahmen
des Senatsleitkonzeptes ‚Wach-
sende Stadt‘ ‚familiengerechtes
Wohneigentum mit Flexibilität‘
auf dem Gelände der ehemali-
gen Lettow-Vorbeck-Kaserne.
Leider wird in der Politik nicht
diskutiert, inwieweit das Kaser-
nengelände denkmalgeschützt,
erforscht, kommentiert und als
Erinnerungsort zugänglich ge-
macht werden könnte. Wird hier,
wie in der Hafencity, tabula rasa
gemacht, verschwinden auch
hier historische Strukturen, Bil-
der und Zeichen, anhand derer
wir uns erinnern könnten?
   Das Konzept „Park Postkolo-
nial“ schlägt vor, die Denkmäler        Das Kriegerdenkmal ‚Deutsch-Ostafrika/Schutztruppe‘ aus der NS-Zeit
zu erhalten und einen kritischen        wurde 2003 im sog. ‚Tansania-Park‘ in Hamburg-Jenfeld wieder aufgestellt,
                                        nachdem es nach Protesten in Wandsbek entfernt worden war.
Lernort hier oder an einem ande-
ren geeigneten Ort zu initiieren.

  ‚Tansania-Park‘, Wilsonstraße 64-68 in Hamburg-Jenfeld. Besuch nur möglich über den Kulturkreis
Jenfeld, der Schlüssel hat. Beim Bezirksamt nachfragen.           Quelle: http://afrika-hamburg.de

  Anfang Juni 2020 teilte Ali Jalalian, der Vater          worden sei.
von Zeynab Jalalian, dem Kurdistan Human Rights               Schreiben Sie in Persisch, Englisch oder auf
Network mit, dass sie seit dem 29. April 2020 im           Deutsch an: His Excellency Ayatollah Sadegh La-
Gharchak-Frauengefängnis in Varamin in Qua-                rijani, Head of the Judiciary, c/o Permanent Mis-
rantäne gehalten wird und bei ihr COVID-19 dia-            sion of the Islamic Republic of Iran to the United
gnostiziert wurde.Im Gharchak-Gefängnis werden             Nations, 622 Third Avenue, 34th Floor, New York,
die Gesundheits- und Ernährungsstandards nicht             NY 10017, USA (Anrede: Your Excellency / Exzel-
eingehalten. Das Geheimdienstministerium hat ihr           lenz), (Standardbrief Luftpost: 0,90 Euro)
nicht erlaubt, in ein Krankenhaus außerhalb des               Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an:
Gefängnisses gebracht zu werden.                           Botschaft der Islamischen Republik Iran, S.E.
  Ende Juli 2020 teilte Human Rights in Iran mit,          Herrn Ali Majedi, Podbielskiallee 65-67, 14195
dass Jalalian in das Gefängnis von Kerman verlegt          Berlin, Fax: 030 – 84 35 31 33, E-Mail: info@iran-
wurde. Sie befindet sich in einem schlechten Ge-           botschaft.de, (Standardbrief: 0,70 Euro)
sundheitszustand.
  Am 24. September 2020 wurde sie in das Dizel-
Abad-Gefängnis in Kermanshah verlegt. Am 10.
November 2020 teilte Jalalian ihrer Familie in ei-
nem zweiminütigen Telefonat mit, dass sie in das
Yazd-Gefängnis verlegt worden sei und dass sie
auf dem Weg dorthin geschlagen und beschimpft

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 3-4/2021                                                                     55
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