Übersicht über die Rechtsprechung zum Gewerbemietrecht während der Corona-Pandemie

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Übersicht über die Rechtsprechung zum Gewerbemietrecht während der Corona-Pandemie
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Tochtergesellschaften sowohl bei der Gestaltung wie auch der Verhandlung von Verträgen
und vertritt sie in allen Streitfällen, die mit Geschäftspartnern entstehen können.

News | Corona | Vertragsrecht | Frankreich

Übersicht über die Rechtsprechung zum
Gewerbemietrecht während der Corona-Pandemie

22. Februar 2021

Vor dem aktuellen Hintergrund der Corona-Pandemie bewegt seit fast einem                         Jörg Luft
                                                                                                  Rechtsanwalt
Jahr eine Frage die französische Rechtslehre und Rechtsprechung: Inwieweit                    luft@rechtsanwalt.fr
sind Unternehmen, denen aufgrund behördlichen Maßnahmen jeglicher                           T + 49 (0) 7221 30 23 70
Publikumsverkehr untersagt ist, verpflichtet, die Mietzinsen für ihre
gewerblichen Mieträume zu zahlen?

Der französische Gesetzgeber hat versucht, diese Frage teilweise zu
beantworten, indem er hintereinander zwei Gesetze verabschiedet hat, deren
wichtigste Maßnahmen in Bezug auf gewerbliche Mietverträge bereits in zwei
früheren Beiträge unserer Kanzlei dargelegt wurden:
   • Französisches Gesetz vom 23. März 2020 Nr. 2020-290
   • Französisches Gesetz vom 14. November 2020 Nr. 2020-1379 (Artikel 14)               Clémentine Paquet LL.M.
                                                                                                     Avocat

                                                                                            paquet@rechtsanwalt.fr
Trotz dieser Versuche des Gesetzgebers, Streitigkeiten vorzubeugen, kann er
                                                                                            T + 33 (0) 3 88 45 65 45
nicht direkt in den Vertrag eingreifen und die Vertragspflichten ändern. Diese
Gesetze sehen daher nur das Verbot der Verhängung von Sanktionen gegen
                                                                                            www.rechtsanwalt.fr
den Mieter vor, nicht aber die Aussetzung der Mietzahlungspflicht selbst.

Der Forderungsverzicht von Vermietern wird zwar durch die Zusage einer
Steuergutschrift gefördert, ist aber nicht verpflichtend, so dass es immer
wieder zu Rechtsstreitigkeiten über die Zahlung von gewerblichen
Mietzahlungen kommt.

Mieter von Gewerberäumen berufen sich alternativ und mit unterschiedlichem
Erfolg auf folgende Institute des Rechts: höhere Gewalt, Störung der
Geschäftsgrundlage, Grundsatz von Treu und Glauben oder Verlust der
Mietsache.
Übersicht über die Rechtsprechung zum Gewerbemietrecht während der Corona-Pandemie
1. Höhere Gewalt

Zum Argument der höheren Gewalt gibt es auf Berufungsebene zwei wesentliche Urteile.

In einem Fall, der vor dem Berufungsgericht Paris verhandelt wurde (Entscheidung Nr. 20/05041
vom 9. Dezember 2020), hatte der gewerbliche Mieter aufgrund der Gelbwestenkrise und der
Streiks im öffentlichen Transportwesen seine Miete seit 2019 nicht mehr gezahlt. Der Vermieter
hatte ihn daraufhin im Eilverfahren auf Zahlung der rückständigen Miete und Zwangsräumung der
Räumlichkeiten verklagt.

Am 5. Februar 2020 begründete der Richter für einstweiligen Rechtsschutz in ersten Instanz seine
Entscheidung damit, dass kein ernsthafter Einwand gegen die Verpflichtung zur Mietzahlung
vorliege, und verurteilte den Mieter zur Zahlung der Miete, während er jedoch die
Zwangsräumungsmaßnahme aussetzte und ihm eine 12-monatige Frist zur Begleichung seiner
Schulden einräumte.

Der Mieter legte daraufhin Berufung ein und beantragte beim Berufungsgericht Paris unter
Geltendmachung von höherer Gewalt (Artikel 1218 des französischen Zivilgesetzbuchs), dass der
Mietzins für den Zeitraum vom 17. März bis zum 11. Mai 2020 um 100 % und ab Mai 2020 bis zum
Ende der Pandemie um 30 % reduziert werden solle.

In seiner Entscheidung weist das Berufungsgericht Paris zunächst darauf hin, dass unter
Zugrundelegung von Artikel 1218 des französischen Zivilgesetzbuchs die Zahlungspflicht nur
ausgesetzt, nicht aber der geschuldete Betrag reduziert werden könne.

Was die Einstufung der Pandemie als höhere Gewalt angeht, vertritt das Berufungsgericht die
Auffassung, dass „die vollständige Schließung des Betriebs des Mieters vor dem Hintergrund des
gesundheitlichen Notstands und des Lockdowns als höhere Gewalt ausgelegt werden kann, so dass
hinsichtlich der Fälligkeit der ab dem 11. März 2020 zu zahlenden Mieten ein ernsthafter Einwand
besteht.“

Das Berufungsgericht entschied hingegen, dass weder die Gelbwestenkrise noch die Streiks im
öffentlichen Transportwesen von ihrem Umfang her als höhere Gewalt anzusehen seien und dass
der Mieter zur Zahlung der gesamten Miete bis zum 11. März 2020 sowie zur Zwangsräumung
wegen fehlender Regularisierung seiner Situation (ausgebliebene Mietzahlungen „außerhalb des
Lockdowns“) zu verurteilen sei.

In diesem Fall, in dem das Berufungsgericht betreffend eine einstweilige Verfügung angerufen
wurde, erkannte es zwar an, dass eine Geschäftsschließung als ein Fall höherer Gewalt angesehen
werden könnte und daher einen ernsthaften Einwand der Verpflichtung zur Mietzahlung begründen
könnte, doch ist es nicht für zuständig, um über die Stichhaltigkeit dieser Argumentation definitiv zu
urteilen. Dies stünde den Richter im Hauptsacheverfahren zu.

In einem Hauptsacheverfahren hat das Berufungsgericht Grenoble eine restriktivere Auffassung zur
Qualifizierung eines Sachverhalts als höhere Gewalt vertreten (Berufungsgericht Grenoble, 11.
November 2020, Nr. 16/04533).

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In dem betreffenden Fall betrieb der Mieter eine Ferienresidenz. Er hielt der Klage des Vermieters
auf seine Verurteilung zur Zahlung der Miete entgegen, dass er aufgrund des pandemiebedingten
Öffnungsverbots die Einrede der Nichterfüllung sowie höhere Gewalt geltend machen könne.

In seiner Entscheidung wies das Berufungsgericht den Antrag des Mieters aus den folgenden
Gründen ab:
   •     Zur Einrede der Nichterfüllung: Der Mietvertrag hatte die Zahlung der Mieten nicht von einer
         bestimmten Belegung der Räumlichkeiten oder von einer Belegungsrate abhängig gemacht,
         und der Vermieter hatte keine seiner vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Mieter
         verletzt.
   •     Bezüglich höherer Gewalt: Der Mieter hat keine finanziellen Schwierigkeiten nachgewiesen,
         welche die Erfüllung der Mietzahlungsverpflichtung unmöglich machten, so dass die
         Pandemie keinen unabwendbaren Charakter aufwies. Darüber hinaus stellte das
         Berufungsgericht fest, dass dem Mieter nicht alle Aktivitäten untersagt waren, da eine
         Vermietung auf Dauer und zu Wohnzwecken möglich war.

       2. Störung der Geschäftsgrundlage (Unvorhersehbarkeitstheorie)

Was die Anwendung des Artikels 1195 des französischen Zivilgesetzbuchs im Hinblick auf die
Änderung     der     Miethöhe        wegen        einer     Störung     der Geschäftsgrundlage
(Unvorhersehbarkeitstheorie) betrifft, sind die Gerichte geteilter Meinung.

In seinem Urteil Nr. 2020/035120 vom 11. Dezember 2020 hat das Handelsgericht Paris
entschieden, dass dem Antrag des Mieters auf Herabsetzung des Mietzinses aufgrund der in Artikel
1195 des französischen Zivilgesetzbuchs vorgesehenen Störung der Geschäftsgrundlage nicht
stattgegeben werden könne, da der vertraglich vereinbarte Mietzins während der Ereignisse gleich
geblieben sei und daher nicht, wie vom Gesetz vorgesehen, „übermäßig angestiegen“ sei.

Im Gegensatz dazu vertritt das Pariser Gericht in seinem Urteil Nr. 20/55750 vom 21. Januar 2021
die Auffassung, dass der gewerbliche Mieter berechtigt ist, eine Störung der Geschäftsgrundlage
geltend zu machen, um eine Neufestsetzung des Mietzinses zu erwirken, aber es präzisiert, dass
dies nicht in den Zuständigkeitsbereich des Richters im Eilverfahren, sondern in diejenige des
Richters im Hauptsacheverfahren fällt.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 1195 des französischen Zivilgesetzbuchs es den
Parteien eines nach dem 1. Oktober 2016 abgeschlossenen Mietvertrags ermöglicht, die
Vertragsbedingungen neu zu verhandeln und im Fall des Scheiterns die Angelegenheit vor Gericht
zu bringen. Er erlaubt jedoch keine Befreiung von der Zahlungspflicht; die Parteien müssen
während der Neuverhandlung weiterhin ihre Verpflichtungen erfüllen.

EPP Rechtsanwälte Avocats | Übersicht über die Rechtsprechung zum Gewerbemietrecht während der Corona-Pandemie | 22. Februar 2021   3/5
3. Grundsatz von Treu und Glauben

Der Grundsatz von Treu und Glauben hat sich in den letzten Monaten auch in der Rechtsprechung
im Rahmen von zwei Angelegenheiten herauskristallisiert, in denen der gewerbliche Vermieter
versuchte, in einem Eilverfahren einen Beschluss zu erwirken, der seinen Mieter zur Zahlung der
Miete für das zweite Quartal 2020 verpflichtete (Gericht Paris, 26. Oktober 2020, Urteile Nr.
20/53713 und Nr. 22/55901).

Der Richter im einstweiligen Rechtschutzverfahren hat in diesen beiden Fällen festgestellt, dass die
gesetzlichen und verordnungsrechtlichen Bestimmungen über die Verlängerung der Fristen, die
während des Zeitraums des gesundheitlichen Notstands ablaufen und die darauf abzielen, dem
Vermieter während dieses Zeitraums Sanktions- und Vollstreckungsmaßnahmen im Hinblick auf die
Eintreibung der Miete zu untersagen, nicht bewirken, die Pflicht zur Mietzahlung auszusetzen.

Außerdem weist er darauf hin, dass in Bezug auf die Verpflichtung zur Zahlung eines Geldbetrags
das Argument der höheren Gewalt unwirksam sei und dass nicht nachgewiesen worden sei, dass
der Vermieter seine Verpflichtung zur Übergabe der Räumlichkeiten verletzt habe; die
Gesundheitskrise sei nicht ihm anzulasten.

Der Richter im einstweiligen Rechtschutzverfahren ist jedoch der Auffassung, dass die Parteien
angesichts des Grundsatzes von Treu und Glauben bei der Erfüllung von Verträgen verpflichtet sind,
in Ausnahmefällen zu prüfen, ob diese Umstände nicht eine Anpassung der Modalitäten der
Erfüllung ihrer jeweiligen Verpflichtungen erforderlich machen.

In den Fällen, die dem Richter im einstweiligen Rechtschutzverfahren vorgelegt wurden, waren die
jeweiligen Tätigkeitsbereiche der Mieter durch den Lockdown stark beeinträchtigt worden und
rechtfertigten Verhandlungen mit ihrem Vermieter, um eine einvernehmliche Lösung zu erreichen.

Der Richter im einstweiligen Rechtschutzverfahren leitet daraus ab, dass dem Antrag auf Zahlung
der Miete für das 2. Quartal 2020 (Zeitraum der behördlichen Schließung bestimmter Geschäfte mit
Publikumsverkehr) daher ein ernsthafter Einwand entgegenstehe, und weist ihn zurück.

     4. Verlust der Mietsache

Ein neues Argument wurde kürzlich von gewerblichen Mietern unter Zugrundelegung von Artikel
1722 des französischen Zivilgesetzbuchs geltend gemacht.

In diesem Artikel heißt es: „Wird die Mietsache während der Laufzeit des Mietvertrags durch Zufall
ganz zerstört, so wird der Mietvertrag von Rechts wegen beendet; wird sie teilweise zerstört, so
kann der Mieter je nach den Umständen entweder eine Minderung des Preises oder die Beendigung
des Mietvertrags fordern.“

In der französischen Rechtsprechung wird seit langem anerkannt, dass ein Schaden im Sinne dieses
Artikels immaterieller Natur sein kann und darin bestehen kann, dass es dem Mieter unmöglich ist,
die gemieteten Räumlichkeiten zu nutzen.

EPP Rechtsanwälte Avocats | Übersicht über die Rechtsprechung zum Gewerbemietrecht während der Corona-Pandemie | 22. Februar 2021   4/5
Diese Lösung wurde in einer Entscheidung des Vollstreckungsrichters des Gerichts Paris vom 20.
Januar 2021 (Nr. 20/80923) bekräftigt, in der er sie auf Fälle anwandte, in denen das Geschäft des
betroffenen Mieters geschlossen worden war. Er hat somit eine auf Antrag des Vermieters
durchgeführte Pfändung zur Eintreibung nicht gezahlter Mieten für unwirksam erklärt.

Der Vollstreckungsrichter ist folgender Ansicht: „Die während der Laufzeit des Mietvertrags
aufgrund einer behördlichen Entscheidung entstandene rechtliche Unmöglichkeit, die gemieteten
Räumlichkeiten zu nutzen, ist mit der Situation vergleichbar, die in dem oben genannten Text
vorgesehen ist (und die zur Folge hat, dass der Mieter von der Verpflichtung zur Zahlung des
Mietzinses befreit wird, solange er die gemietete Sache nicht nutzen kann), und zwar unabhängig
von der von [dem Vermieter] geltend gemachten Haftungsklausel.“

Gegen diese Entscheidung wird höchstwahrscheinlich Berufung eingelegt werden.

Sollte diese Entscheidung in der Berufung bestätigt werden, könnten sich die Vermieter veranlasst
sehen, auf fällige Mieten während Zeiten der behördlichen Schließung von Geschäftsräumen zu
verzichten.

Hierbei handelt es sich jedoch um erste Entscheidungen und nicht um die ständige
höchstrichterliche Rechtsprechung. Es ist daher nicht auszuschließen, dass andere Gerichte, wie
bereits bezüglich der Störung der Geschäftsgrundlage, eine abweichende Auslegung vornehmen
werden.

In jedem Fall geht aus der jüngeren Rechtsprechung hervor, dass der Grundsatz von Treu und
Glauben bei der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen für die Beurteilung der den Gerichten
vorgelegten Streitigkeiten im Einzelfall entscheidend ist.

Für weitere Informationen stehen                                 Ihnen        unsere         deutsch-französischen                  Rechtsanwälte
selbstverständlich gerne zur Verfügung.
welcome@rechtsanwalt.fr

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