Besondere Apfel- und Birnensorten in Nordschwaben - Eine Bestandsaufnahme der Jahre 2016-2019

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Besondere Apfel- und Birnensorten in Nordschwaben - Eine Bestandsaufnahme der Jahre 2016-2019
Besondere
Apfel- und Birnensorten
in Nordschwaben
Eine Bestandsaufnahme der Jahre 2016 – 2019

Hans-Thomas Bosch

                                              1
Besondere Apfel- und Birnensorten in Nordschwaben - Eine Bestandsaufnahme der Jahre 2016-2019
INHALT

Impressum
Autor: Hans-Thomas Bosch
Layout/Grafik: Brigitte Theisen, gestaltung.zone
Druck: Druckhaus Gössler                                          Resümees                            4
Erscheinungsjahr: 2020                                            Projektziele                        5
Bildquellen: Autor, sofern nicht anders vermerkt

                                                                  DIE ERFASSUNG
Internetadressen zu den Ergebnissen:                              Anzahl Sorten – früher und heute    6
Projektträger LAG Monheimer Alb-Altmühljura:
https://lag-monheimeralb-altmuehljura.de
                                                                  Die Verschollene                   10
(sowie alle Websites der beteiligten Landkreise)                  Sortenbestimmung                   12

Kartenlink:
https://schlaraffenburger.de/cms/index.php/                       DIE ERGEBNISSE
sortenkartierung-nordschwaben-2019-map
                                                                  Die besonderen Apfel- und
                                                                  Birnensorten Nordschwabens         16
Infos zur Sortenerhaltung bundesweit:                             Häufigkeit                         18
www.pomologen-verein.de
                                                                  Verbreitung                        33
                                                                  Gefährdung                         47
Projektpartner                                                    Unbekannte Sorten                  68
LAG Monheimer Alb-Altmühljura
Landkreis Donau-Ries
                                                                  AUSBLICK
                                                                  Sortenerhaltung                    78
LAG Regionalentwicklung Landkreis Neu-Ulm

LAG ReAL West e.V.
Landkreis Augsburg

LAG Wittelsbacher Land
Landkreis Aichach-Friedberg

Gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten und den Europäischen Landwirt-
schaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER)

                                                                                                              3
Besondere Apfel- und Birnensorten in Nordschwaben - Eine Bestandsaufnahme der Jahre 2016-2019
RESÜMEES                                                                                                                                                                                                            PROJEKTZIELE

                                                                                                                           Projektziele und ihre Umsetzung
       „Die interessierte Aufgeschlossenheit und ambitio-       „Die zahlreichen Gespräche mit den stolzen                 Der Nutzen alter Obstsorten für den praktischen      Bearbeitung (Büro Fraxinus mit den Aufgaben
       nierte Teilnahmebereitschaft, die unserem Projekt        Baumbesitzern und ihren Geschichten rund um                Anbau, als Genpool für Forschung und züchteri-       Kartografie, Dokumentation und Auswertung und
       von breiten Teilen der Bürgerschaft unseres Land-        ihre Obstbäume waren sehr spannend. Auch                   sche Entwicklungen sowie als landschaftsprägen-      Büro BelleFleur mit Erfassung, Sortenbestim-
       kreises entgegengebracht wurde, hat mich sehr            die Begeisterung und enge Zusammenarbeit aller             der Bestandteil von Kulturlandschaften ist           mung, Dokumentation und Auswertung).
       beindruckt. Den größten Nutzen erkenne ich in der        Beteiligten an diesem Projekt war einfach schön            unbestritten. Es war der dringende Wunsch der
       gerade noch rechtzeitigen Bewahrung alter regio-         mitzuerleben. Die zahlreichen Baumpflanzaktionen           Projektpartner, sich auf regionaler Ebene für den    Projektgebiet
       nalspezifischer Sorten vor dem Aussterben. Die           und die Vermehrungen der alten Sorten im Nach-             Erhalt der Obstsortenvielfalt einzusetzen, der zu    Das Projektgebiet umfasste die Kreise Augsburg,
       durch unser Projekt in der Öffentlichkeit erzeugte       gang zeigt, wie schnell das Projekt Früchte trägt.“        diesem Erfassungsprojekt führte. Die bedeutends-     Aichach-Friedberg, Donauries und Neu-Ulm.
       Bewusstseinsbildung und die daraus resultierende         Sebastian Storch (Kreisfachberater Donau-Ries)             ten Obstarten der Region Nordschwaben sind
       künftige Anpflanzung dieser Sorten auf unseren                                                                      Apfel und Birne. Entsprechend war es das Ziel
       Fluren und in unseren Gärten stellt für mich einen       „Mit großartigem Engagement haben unsere                   dieses Vorhabens, die in Nordschwaben noch
       weiteren bedeutsamen Nutzen unseres Projekts dar.“       36 Obst- und Gartenbauvereine die Suche nach               vorhandenen Apfel- und Birnensorten als Teil
       Bernhard Frey (Kreisfachberater Augsburg)                vergessenen Obstraritäten unterstützt und die              einer vielfältigen, regionalen Obstkultur zu er-
                                                                Sortensuche in die entlegensten Orte geleitet. Die         fassen, zu dokumentieren und zu erhalten. Vor-
       „Die tollste Erfahrung für mich persönlich war die       Pionierarbeit war Tag für Tag spannend, mit vielen         aussetzung einer wirksamen, regional basierten
       Offenheit der zahlreichen Teilnehmer hier bei uns        erlebnisreichen und fruchtbaren Gesprächen mit             Erhaltungsarbeit ist eine umfassende Sichtung
       im Wittelsbacher Land, die uns ohne Zögern und           den stolzen BaumbesitzerInnen. Eine wahre Schatz-          und Bestimmung der Bestände.
       manchmal auch ganz spontan ihre Aufmerksamkeit           suche nach dem kulturellen Erbe der Region, mit
       und Zeit gewidmet haben. Besonders hat mich das          bedeutenden Funden von wiederentdeckten ver-               Projektpartner
       ehrliche Herzblut begeistert, das die Obstbaumbe-        schollenen Obstsorten. Es wird mir eine Freude sein,       Die Aufgabe als Projektträger übernahm die
       sitzer für ihre Bäume haben. Ich freue mich auf          die angepflanzten Sortenraritäten im neuen Obstsor-        LAG Monheimer Alb-AltmühlJura. Ihr oblag die
       nächstes Jahr, wenn wir mit der Ausbildung unserer       tenerhaltungsgarten beim Wachsen und Gedeihen              Fördergelderverwaltung, die Partnerkoordination
       zukünftigen Obstbaumpfleger beginnen können              zu fördern und zur Erntezeit deren meist sortentypi-       und die Erfolgskontrolle. Die anderen Projektpart-
       und bin absolut positiv überrascht, wie viele junge      schen einzigartigen Geschmack zu genießen.                 ner waren die Leader-Aktionsgruppen des Erfas-
       Leute wir mit dem Thema erreichen.“                      Rudolf Siehler, (Kreisfachberater Neu-Ulm)                 sungsraums: LAG Neu-Ulm mit dem Landkreis
       Manuela Riepold (Kreisfachberaterin Aichach-Friedberg)                                                              Neu-Ulm, LAG Wittelsbacher Land mit dem Land-
                                                                „Vieles war bemerkenswert an diesem Projekt:               kreis Aichach-Friedberg, LAG Begegnungsland
       „Wir waren erstaunt, wie viele Sorten im Allgemei-       die zahlreichen, teils erstmaligen Nachweise               Lech-Wertach mit dem Landkreis Augsburg und
       nen und wie viele seltene Sorten im Besonderen,          regionaltypischer Apfel- und Birnensorten; die             LAG REAL West (neu hinzugekommene Kommu-
       noch im Landkreis zu finden waren. Viele der selte-      verschiedenen seltensten historischen Sorten; das          nen sowie Landkreis Augsburg außerhalb LAG-Ge-       Das Projektgebiet mit den symbolisch dargestellten erfassten
       nen, regionalen Sorten haben durchaus Potential          Engagement aller Beteiligten, angefangen bei den           bieten)                                              Beständen/Bäumen
       das etablierte Standardsortiment zu ergänzen. Neben      einzelnen Baumbesitzern, über die Vereine, die
       der reinen Sortenerhaltung und der Sicherung der         Fachberater bis hin zu den Leader-Aktionsgruppen;          Projektumsetzung
       genetischen Vielfalt ist auch das ein großer Nutzen      die freundliche Atmosphäre bei der täglichen Arbeit;       Die fachliche Umsetzung des Projektes erfolgte       Die Ergebnisse dieses Projektes zeigen Zusam-
       des Projekts.“                                           die reibungslose Organisation; die konsequente             über die Zusammenarbeit mit den jeweiligen           mensetzung und Gefährdung der Sortenvielfalt für
       Paul Buß (Kreisfachberater Donau-Ries)                   Fortführung des Projektes in Form einer umfassen-          Kreisfachberatern, den Obst- und Gartenbauver-       die Region Nordschwaben. Sie geben Antworten
                                                                den Erhaltung dieser bedeutenden Sortenvielfalt.           einen der Kreise, Privatpersonen, Verbänden oder     auf die Fragen, welche und wie viele Sorten dort
                                                                Land, Leute und Sorten hinterlassen bei mir einen          weiteren Vereinen, die sich mit Obst beschäftigen    überdauert haben, wie gefährdet und wie regio-
                                                                bleibenden Eindruck.                                       (Bewirtschafter, Besitzer, Vereinsaktive, weitere    naltypisch sie sind.
                                                                Hans-Thomas Bosch, Sortenkundler und Autor der Broschüre   Engagierte) und zwei Büros zur fachlichen
4                                                                                                                                                                                                                                              5
Besondere Apfel- und Birnensorten in Nordschwaben - Eine Bestandsaufnahme der Jahre 2016-2019
ANZAHL SORTEN –
    FRÜHER UND HEUTE

        Wie viele Sorten gibt es noch …                                                                                          Bekannte und Unbekannte Sorten
        Insgesamt standen wir auf unserer pomologischen                    sie vor Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden
        Reise durch das Nordschwaben vor 6354 Apfel-                       sind, einzelne sind schon für das 18. Jahrhundert
        und Birnbäumen. Wir fanden heraus, dass alle                       dokumentiert, z. B. auch die regionaltypische
        diese Bäume zusammen die stattliche Zahl von                       Sorte Pfahlinger.
                                                                                                                                  Apfel und Birne   Apfel und Birne
        insgesamt 281 Sorten trugen, die wir sicher                                                                               (bekannt)         (unbekannt)
        bestimmen konnten. 76 weitere Sorten blieben                       Weiterhin fanden wir in beträchtlichen 275 Fällen      281               351
        unbestimmt und gehen als unbekannte Sorten in                      Früchte, die jeweils nur an einem einzigen Baum        44%               56%
        die Statistik ein.                                                 wuchsen. Keiner dieser Bäume ließ eine Verede-
                                                                           lungsstelle erkennen. Bei solchen Einzelvorkom-
        Fassen wir die bekannten mit den unbekannten                       men wissen wir nicht, ob es sich überhaupt um
        Sorten zusammen, finden wir in der Region                          eine Sorte handelt oder um einen nur einmalig
        Nordschwaben 261 Apfel- und 96 Birnensorten,                       entstandenen Sämling, der nicht weitervermehrt
        also erstaunliche 357 Sorten.                                      und auch nicht benannt wurde. Wir müssen da-          Erfahrungsgemäß können von diesen Sorten
                                                                           von ausgehen, dass ein Teil dieser unbekannten        über die Jahre hinweg zwar immer nur einzelne
        Bekannte Sorten mit Bäumen in den Landkreisen                      Einzelvorkommen Sämlinge sind. Wir haben in           nachbestimmt werden, aus Sicht der geneti-
                                                                           den letzten Kartierjahren aber auch festgestellt,     schen Vielfalt sind jedoch auch unbekannte
                                                                           dass immer wieder Früchte, die zunächst nur an        Sorten bedeutend. Die etwa 300 alten Apfel-
                            Anzahl Sorten       Anzahl Bäume               einem Baum erfasst wurden, in den Folgejahren         und Birnensorten, die nach 1900 empfohlen und
                                                                           an weiteren Bäumen zu finden sind und damit           verbreitet wurden, sind den Sortenbestimmern
                     2565
                                                                           sicher eine Sorte bilden. Wir wissen noch nicht,      bis auf wenige Ausnahmen bekannt. Wir können
        3000
                                      1650            1618
                                                                           auf wie viele das zutrifft. Aber wir können sicher    also davon ausgehen, dass viele der unbekann-
        2000
        1000                                                         521
                                                                           sein, dass es einige sind, so dass wir für Nord-      ten Sorten zu den Sortimenten des 19. Jahrhun-
               193              162             155            118
        0                                                                  schwaben von deutlich über 400 noch vorhande-         derts gehören. Wir können weiter annehmen,         Auch die Früchte dieses mächtigen alten
               Neu- Ulm        Aich-Friedberg   Donau-Ries     Augsburg    nen Apfel- und Birnensorten ausgehen können.          dass einige davon bereits im 18. Jahrhundert       Birnbaums blieben unbekannt. Sie tragen
                                                                                                                                 entstanden sind – so wie es auch bei verschiede-   den Arbeitsnamen „Ronheim 11404“. Sie
                                                                                                                                                                                    fanden sich an zwei Bäumen in Ronheim im
        Wir wissen, dass nur der kleinere Teil der einst-                                                                        nen namentlich bekannten Sorten der Fall ist.      Kreis Donau-Ries. Einer davon war der 11404.
        maligen Sortenvielfalt überdauert hat und dass                     Setzt man die Anzahl sicher bestimmter Sorten                                                            von über 12000 im bayerischen Schwaben
                                                                                                                                                                                    kartierten Bäumen insgesamt. Damit Birn-
        mit den verlorenen Sorten auch einige besondere                    mit der Anzahl aller unbekannter Vorkommen, also      Einige unbekannte Sorten fanden wir an sehr        bäume einen solchen Stammumfang von drei
        Eigenschaften verlorengegangen sind. Daher ist                     auch aller Einzelvorkommen, ins Verhältnis, beträgt   alten Bäumen. Hier wissen wir sicher, dass auch    Metern oder mehr aufweisen, müssen sie
        die Sicherung der noch vorhandenen Sorten für                      der Anteil unbekannter Vorkommen 56% (281             ihre Ursprünge in das historische Sortiment des    sehr lange stehen – mindesten 150 Jahre,
                                                                                                                                                                                    vermutlich mehr.
        den Erhalt der genetischen Vielfalt grundlegend.                   bekannte Apfel- und Birnensorten gegenüber 76         beginnenden 19. Jahrhunderts und davor zurück-
        Von einigen wissen wir durch die Literatur, dass                   unbekannten Sorten und 275 Einzelvorkommen).          reichen.

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Besondere Apfel- und Birnensorten in Nordschwaben - Eine Bestandsaufnahme der Jahre 2016-2019
Oberregierungsrat Löhe:
                                                                                                                               Bekanntmachung über Obstsortimente
                                                                                                                               für das Ries. Nördlingen 1926.

    … und wieviele gab es?
    Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wieviel         Schon ab Ende des 19. Jahrhunderts aber setzen                      Der spätere Landesobstbauinspektor für Bayern,                     Sortenzusammensetzung. Diese Freude an den
    Obstsorten es früher gab, kann man sich auf            Bestrebungen ein, die Zahl an Sorten im Sinne eines                 Rudolf Trenkle, gibt 1950 sein Obstsortenwerk                      unterschiedlichsten Formen, Farben, Geschmacks-
    historische Quellen stützen. Das können sorten-        rationelleren Anbaus erheblich einzuschränken. Sie                  heraus. Darin empfiehlt er 47 Apfel- und 30                        richtungen und Verwendungsmöglichkeiten
    kundliche Werke sein oder Sortimentslisten von         waren die Konsequenz einer zunehmend auf die                        Birnensorten, darunter z.B. Schöner aus Wiltshire                  brachte viele Obstbauern und einen großen Kreis
    Baumschulen. Dabei können uns Werke, die um            Vermarktung ihrer Produkte in den aufkommenden                      oder Feuchtwanger Butterbirne.                                     an weiteren Obstbauinteressierten dazu, dem
    die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden sind,        Städten orientierten Landwirtschaft. Beleg dafür ist                                                                                   eingeschränkten Sortiment immer wieder Sorten
    besonders hilfreich sein. Zum einen war um diese       z.B. das Werk von R. Mertens, des um 1900 für                       Diese Entwicklung ging einher mit der Zurückdrän-                  aus den unterschiedlichsten Regionen – auch von
    Zeit die Sortenvielfalt und ihre systematische         Bayern zuständigen Landesobstbauinspektors. 1902                    gung lokal oder regional verbreiteter Sorten. Sie                  weit außerhalb das damaligen deutschsprachigen
    Darstellung bereits auf einem hohen Niveau             empfiehlt er insgesamt 60 Apfel- und 52 Birnensor-                  galten oft als minderwertig. Allerdings wurde das                  Raumes – hinzuzufügen oder an regionalen Sorten
    angelangt. Zum anderen kann man davon ausge-           ten für ganz Bayern, darunter allerdings auch noch                  damals auch kontrovers diskutiert und vereinzelt                   festzuhalten, die in den Empfehlungen der
    hen, dass die in dieser Zeit beschriebenen Sorten      die heute seltenen Sorten Gestreifter Bachapfel und                 behielten Obstbaufachleute solche „Landsorten“                     Fachkreise nicht mehr berücksichtigt wurden.
    auch vermehrt und gepflanzt wurden und dass sie        Schwäbische Wasserbirne.                                            neben dem überregional empfohlenen Standard-
    – aufgrund der Langlebigkeit hochstämmiger                                                                                 sortiment im Anbau, ebenso tat das ein Teil der                    Außerdem ist ein alter Baum häufig noch
    Obstbäume – mit etwas Glück in Einzelfällen auch                                                                           erzeugenden Landwirte und Obstgärtner selbst.                      ertragreich. Schlechte Zeiten aber gab es bis
    heute noch auffindbar sind. Unsere Apfelhoch-                                      Buchtitel des Werkes von Mertens,       Auch Trenkle hielt noch längere Zeit an regional-                  nach 1950 und alte Obstbäume waren dann
                                                                                       R. (Landesobstbauinspektor Bayern):
    stämme können unter günstigen Bedingungen                                          Die Obstsorten für Bayern, erschienen
                                                                                                                               typischen Sorten für Bayern fest, beschränkte sich                 entsprechend wertvoll. Und trotz steigenden
    100 bis 120 Jahre alt werden, einzelne Apfelbäu-                                   1902. Bildquelle: Wikipedia             in seinen letzten Empfehlungen aber weitgehend                     Wohlstands fiel es doch dem ein oder anderen
    me sind nachweislich 150 Jahre alt. Birnbäume                                                                              auf ein überregional ausgerichtetes Hauptsorti-                    schwer, einen schon seit Generationen stehenden
    erreichen nicht selten ein Alter von zweihundert                                                                           ment.                                                              Obstbaum zu fällen. So hat die Verbundenheit
    Jahren, teils auch deutlich mehr.                                                                                                                                                             einiger weniger Menschen dafür gesorgt, dass alte
                                                                                                                                                     Dr. Rudolf Trenkle,
                                                                                                                                                                                                  Bäume mit ihren Sorten nicht nur nicht gefällt
    Für Bayern bietet sich als Nachweis historischer                                                                                                 * 9. September 1881 – † 11. Dezember 1968.   wurden, sondern entgegen den fachbehördlichen
    Sortenvielfalt die Baumschule von Johannes                                                                                                       Bildquelle: Wikipedia                        Anstrengungen immer wieder nachgezogen
    Evangelist Fürst an, die er um 1820 in Frauendorf                                                                                                                                             wurden. Engagierte Sortenliebhaber gab es in
    in Niederbayern gründete und in der er 1841                                                                                                                                                   Form von Baumschulbetreibern oder Baumwarten
    beträchtliche 1429 Apfel- und 841 Birnensorten                                                                                                                                                erfreulicherweise genug, die die eng gefassten
    vermehrte.                                                                                                                                                                                    Sortimente deutlich weiter gestalteten als es der
                                                                                                                                                                                                  Zeitgeist nahelegte. So haben doch noch erfreu-
                            Johann Evangelist Fürst        Oberregierungsrat Löhe beispielsweise empfiehlt                     Betrachtet man diese Entwicklung so ist es                         lich viele historische und regionaltypische Sorten
                            (1784–1846), gründet 1823
                            die Praktische Gartenbau-
                                                           1926 in einer Bekanntmachung des Bezirksamtes                       zunächst erstaunlich, dass dennoch eine so hohe                    die einschneidenden Veränderungen der Obstkul-
                            Gesellschaft in Frauendorf,    Nördlingen für den Obstbau des Rieses ca.                           Anzahl an Sorten überdauert hat.                                   tur und ihrer Sortimente überdauert.
                            gibt die Allgemeine deutsche   20 Apfel- und Birnensorten.“ … um später dem
                            Garten-Zeitung heraus und
                            betreibt die Baumschule zu     Handel größere Mengen einheitlichen geeigneten                      Denn trotz aller Bemühungen um eine produk-
                            Frauendorf. 1841 wurden        Obstes anbieten zu können und so den Absatz                         tive Ausrichtung des Obstanbaus auf den
                            darin 1.429 Apfelsorten und
                            841 Birnensorten vermehrt.
                                                           zu fördern.“ (Löhe: Bekanntmachung über                             Bauernhöfen, hatte die sogenannte „gärtnerische
                            (Bildquelle: Wikipedia)        Obstsortimente für das Ries. Nördlingen 1926.)                      Freude“ einen bedeutenden Einfluss auf die

8                                                                                                                                                                                                                                                      9
Besondere Apfel- und Birnensorten in Nordschwaben - Eine Bestandsaufnahme der Jahre 2016-2019
DIE VERSCHOLLENE

         Wie wichtig Erfassungen vor Ort für die Erhaltung    Sorten kennen sie noch den Namen, bei vielen                        Als der Name Henzens Parmäne fiel, war uns zwar        Skizze der Frucht im Längsschnitt              Der Züchter: Oberpfarrer Conrad Henzen aus
                                                              nicht mehr. Der Fachberater ist über die Struktur                   bewusst, dass die Sorte selten, nicht aber, dass sie   Abb. aus Lucas et al: Illustrirte              Wasserberg bei Aachen. Abb. aus Lucas et al:
         stark gefährdeter oder gar verschollen geglaubter
                                                                                                                                                                                         Monatshefte für Wein- und Obstbau.             Pomologische Monatshefte. Jahrgang 22,
         Sorten sind, konnten wir bereits beim ersten         des Obstbaus in seinem Kreis informiert, er                         verschollen ist. Ihre Verbreitung ist historisch vor   1872, S. 194.                                  Bd. 5, S. 161–167. Stuttgart 1876.
         Erfassungstag erleben. Kaum hatten wir mit           pflegt und entwickelt sie mit. Er weiß, wo die alten                allem für das Rheinland belegt, wo sie bisher nicht
         unserer Arbeit begonnen, führte uns ein Baum-        Bestände stehen und er kennt deren Besitzer.                        mehr nachgewiesen werden konnte. Dank der Hilfe
         besitzer im Kreis Neu-Ulm über seine Streuobst-      Ihm sind durch seine Arbeit die aufgefallen, die                    des Baumbesitzers gibt es nun wieder einen
         wiese. An einem kleinkronigen Baum blieb er kurz     eventuell noch mehr über ihre Sorten wissen. Zu                     sicheren Nachweis. Anhand der Literatur konnte
         stehen und meinte, dies sei eine Henzens Parmä-      ihnen führt er den Sortenkenner. Der weiß, bei                      die Echtheit der Sorte bestätigt werden.               Dazu schreibt Hans-Joachim Bannier, der Autor
         ne. Dem unscheinbaren Baum hätten wir vermut-        welchen Sortennamen er aufmerksam werden                                                                                   des genannten Buches: „Im Rheinland selbst
         lich keine große Bedeutung beigemessen und ohne      muss, weil sie nicht mehr gängig oder bekannt                       Zur Sicherung der Sorte wurden unmittelbar im          scheinen die Züchtungen Henzens keine große
         den Hinweis des Landwirts auch kaum eine             sind. Er trennt die Spreu vom Weizen. Selbst dem                    darauffolgenden Winter Reiser geschnitten, die         Bekanntheit erlangt zu haben und sind später ver-
         Verbindung zu der verschollen geglaubten Sorte       erfahrensten Baumbesitzer kann es passieren,                        zunächst im Erhaltungsgarten am Kompetenzzent-         loren gegangen. Heute müssen sie nach derzeiti-
         herstellen können. Sie wäre wohl eine der vielen     dass er Sorten verwechselt. Hier sind die Sorten-                   rum für Obstbau Bodensee (KOB) aufveredelt             gem Wissensstand als verschollen gelten. Auch
         Unbekannten geblieben.                               kundler mit ihrem speziellen Wissen gefordert.                      wurden. Ein Bündel Reiser ging ins Rheinland,          von der hier vorgestellten Henzens Parmäne ist im
                                                                                                                                  dem Entstehungsgebiet der Sorte, wo sie nun in         Rheinland derzeit kein Baum mehr bekannt. Durch
                                                                                                                                  zwei Erhaltungsgärten gesichert ist.                   einen glücklichen Zufall konnte die Sorte dennoch
                                                                                                                                                                                         wiederentdeckt werden. Im Rahmen einer Obst-
                                                                                                                                  Über den spektakulären Fund wurde in der               sortenkartierung im Raum Neu-Ulm fand sich
                                                                                                                                  Südwestpresse vom 26.5.2016 berichtet.                 2016 ein Baumbesitzer, der seine Apfelsorte aus
                                                                                                                                  Titel: „Allein unter 24 000 Bäumen: Henzens            familiärer Überlieferung noch als Henzens Parmä-
                                                                                                                                  Parmäne“.                                              ne benennen konnte.“

                                                                                                                                  Zudem wurde die Apfelsorte sofort mit einer
                                                                                                                                  ausführlichen Beschreibung in dem zu der Zeit
         Der Baum der Henzens Parmäne                                                                                             kurz vor der Neuauflage stehenden Buch von
         durch die Jahreszeiten hindurch.                                                                                         Hans-Joachim Bannier “Lokale und regionale Obst-
                                                                                                                                  sorten im Rheinland – neu entdeckt!“ (2.erwei-
                                                                                                                                  terte Auflage. Köln 2017. S.82/83) veröffentlicht.
         Während der Erfassung fand sich
                                                                                                                                  Dort wird neben der Sorte auch deren Züchter er-
         ein weiterer Baum der Sorte.
                                                                                                                                  wähnt: Oberpfarrer Conrad Henzen (1801–1888),
                                                                                                                                  der eine eigene Baumschule unterhielt und aus
         Ein Nachweis verschollen geglaubter oder sehr                     „Die eher kleinen Früchte der Henzens Parmäne sind     Sämlingsaussaaten insgesamt 16 neue Sorten
                                                                           wohlschmeckend (…).“ Laut Baumeigentümer – sowie
         seltener Sorten ist nicht nur Zufall. Der Besitzer                                                                       selektierte. Bei einem bedeutenden Pomologen der
                                                                           nach Angaben der „Illustrirten Monatshefte für Wein-
         der Henzens Parmäne steht für viele, die Obst                     und Obstbau“ 1872 (S. 194–196) – trägt die Sorte       Zeit – Eduard Lucas – stießen die Neuzüchtungen        Typische Fruchtmerkmale: kleinfrüchtig; breit kegelförmig; Stielgrube
                                                                                                                                                                                         mit feiner, olivfarbener Berostung; Kelchgrube weit, höckrig; Kelch groß,
         nutzen, die Bestände pflegen und so dafür sorgen,                 reich und regelmäßig.                                  auf großes Interesse und wurden so auch über die       teils weit offen; Kelchblätter breit, länglich, aufrecht zurückgeschlagen;
         dass auch alte Bäume erhalten bleiben. Sie                                                                               Grenzen des Rheinlandes hinaus bekannt gemacht.        Kelchhöhle klein; Kerne eiförmig, klein.
         kennen sich aus mit ihren Sorten, wissen wann sie
         zu ernten und wie zu verwerten sind. Bei einigen

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Besondere Apfel- und Birnensorten in Nordschwaben - Eine Bestandsaufnahme der Jahre 2016-2019
SORTENBESTIMMUNG

        Mit dem Sortennamen verbinden wir bestimmte         wählt hat. Es passiert häufiger bei seltenen,                                                                          bestimmte, dominierende Eigentümlichkeiten im
        Frucht- und Verwertungseigenschaften. Jede          kommt aber auch bei verbreiteten Sorten vor.                                                                           Umriss, in der Gestaltung von Stiel- und Kelchein-
        Obstsorte ist durch das Zusammenspiel von Form,     Sorten können verwechselt werden – in Samm-                                                                            senkung, in der Beschaffenheit und Färbung der
        Farbe, Geschmack, Reifezeit, Lagerfähigkeit,        lungen, in Baumschulen, in Reisergärten, in                                                                            Schale, in Geruch und Geschmack erkennen. Es ist
        Wuchsstärke, Blühzeitpunkt und anderer Eigen-       Lehrgärten. Und das hat seine Gründe. Die sind                                                                         zunächst der Gesamtkomplex der Merkmale, der
        schaften gekennzeichnet und unterscheidet sich      nicht so sehr in einem nachlässigen Umgang mit                                                                         bei ihm die Erinnerung an eine früher untersuchte
        dadurch von anderen.                                den Sortennamen zu suchen oder gar darin, dass                                                                         Sorte wachruft.“ (Krümmel, H. et al: Deutsche
                                                            bewusst getäuscht wird – auch wenn das für die                                                                         Obstsorten, Band 1 Äpfel, S. 9. Berlin 1956.)
        Der Nutzer der Sorte, egal ob Anbauer oder          Praxis nicht vollständig ausgeschlossen werden
        Konsument, möchte nicht nur irgendeinen Apfel,      kann – viel mehr liegen die Gründe in der Natur                                                                        Hat der Sortenbestimmer nun tatsächlich eine
        sondern “den Boskoop” oder “den Berlepsch”.         der Sache selbst. Es gibt einfach sehr viele Sorten,             Die Vielzahl der Sorten und die Veränderlichkeit      Vermutung, um welche Sorte es sich handeln
        Er sucht sich die Sorte aus, weil er bestimmte      die auch der einzelne Spezialist unmöglich alle                  der Fruchtmerkmale lässt eine Bestimmung zu           könnte, beginnt die Detailarbeit. Welche Merkmale
        Eigenschaften von ihr nutzen will. Er möchte        überblicken kann, und viele Sorten wiederum sind                 einer komplexen Angelegenheit werden. Sorten          sind charakteristisch für die vermutete Sorte: die
        keinen Apfel, der zwar mehr oder weniger gleich     einander sehr ähnlich, können also tatsächlich                   sind durch menschliches Zutun entstandene             tiefe Kelchgrube, die stark berostete Stielgrube,
        aussieht, aber ganz anders schmeckt, viel später    leicht verwechselt werden.                                       vielfältige Ausprägungen einer Art. Ein natürliches   eine auffällige Kelchhöhle, der Kern?
        reift oder nicht das feine Apfelmus ergibt, das                                                                      System, auf dessen Grundlage ein Bestimmungs-
        er erwartet. Er sollte sich also darauf verlassen   Eine Sorte ist in sich schon vielgestaltig. Größe,               schlüssel entwickelt werden kann, gibt es nicht.      Der Kern ist tatsächlich ein wichtiges Unter-
        können, dass der Sortenname stimmt und er das       Farbe, auch die Form oder der Geschmack der                      Daher gibt es auch keine Bestimmungsbücher            scheidungsmerkmal – bei Birnensorten noch
        bekommt, wofür der Name steht. Allerdings           Früchte können sich unterschiedlich ausbilden                    vergleichbar denen der Botanik. Eine Abgrenzung       mehr als bei Apfelsorten. Dazu ein Beispiel aus
        weiß jeder, der sich eingehender mit Obstsorten     – abhängig von Einflüssen wie Wärme, Behang                      von Sorten gelingt nur selten über die Literatur      unserer Erfassung. Hier wird deutlich, wie leicht
        beschäftigt, dass das nicht so ohne weiteres        oder Sonneneinstrahlung, die in einem Jahr mal                   allein, es müssen verschiedene Bestimmungshilfen      es zu Verwechslungen zwischen ähnlichen Sorten
        möglich ist. Immer wieder kommt es vor, dass        stärker und mal schwächer einwirken und das                      angewendet werden.                                    kommen kann. Es geht um zwei „Calebassen“:
        ein Baum nicht die Sorte trägt, die man ausge-      Aussehen der Sorten entsprechend verändern.                                                                            die Calebasse de Bosc – besser als Boscs Fla-
                                                                                                                             Dazu gehören das detaillierte Merkmalsstudium,        schenbirne bekannt – und die Calebasse à la
                                                                                                                             der Vergleich mit eigenen Sortenbeschreibungen        Reine (Französische Weinbirne).
                                                                                                                             und Bildern, die Vorlage der Proben bei weiteren
                                                                                                                             Pomologen (Sortenkundlern) und der Vergleich von      Beim Sichten eines interessanten Altbestandes
                                                                                                                             Referenzfrüchten von Ausstellungen oder aus           stoßen wir auf einen jungen Birnbaum, den der
                                                                                                                             Erhaltungsgärten.                                     Besitzer als Boscs Flaschenbirne bezogen hat.
                                                                                                                                                                                   Die „Boscs“ ist eine gängige Sorte, sie ist beliebt
                                                                                                                             „Wenn ein erfahrener Sortenkenner eine Probe          bei den Anbauern und wird noch häufig in Baum-
                                                                                                                             zum Bestimmen vor sich hat, beginnt er nicht mit      schulen vermehrt. Allerdings werde ich seit dem
                                                            Veränderlichkeit innerhalb der Sorte: Schöner aus Wiltshire      der Untersuchung von Einzelfrüchten und nicht         vorangegangenen Herbst aufmerksam, wenn ich
                                                            kann potentiell diese unterschiedlichen Früchte hervorbringen.
                                                            Die sehr großen und sehr kleinen, sowie die nicht ausgefärb-
                                                                                                                             mit dem Suchen nach Einzelmerkmalen, sondern          auf einen Jungbaum der Sorte treffe. Ich habe
                                                            ten Früchte sind allerdings untypische Ausprägungen unter        er lässt zunächst einmal den Gesamteindruck der       erfahren, dass es eine Verwechslersorte zu Boscs
                                                            ungünstigen Bedingungen. Nur bei ausgeglichenem Wachstum         Probe auf sich wirken. Trotz der stets vorhandenen    Flaschenbirne gibt, die Calebasse à la Reine. Eine
                                                            entwickeln sich sortentypische Früchte. Sie prägen sich
                                                            einheitlicher aus (s. Bild auf der folgenden Seite). Eine        Schwankungen bei den Einzelfrüchten wird er           bisher bei uns wenig bekannte Sorte, die aber
                                                            Veränderlichkeit in Form und Farbe ist dann immer noch
                                                            gegeben. Das ist generell bei allen Sorten festzustellen und
                                                            bei der Sortenbestimmung zu berücksichtigen.

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Besondere Apfel- und Birnensorten in Nordschwaben - Eine Bestandsaufnahme der Jahre 2016-2019
CALEBASSE
                                                                                                                                                                                                                                                    À LA REINE
                                                                                                                                                                                                                                                          Französische Weinbirne

     neuerdings irrtümlich unter dem Namen Boscs                               mit und vergleiche die Kerne von Boscs aus
     Flaschenbirne vermehrt wird und ihr auch äußer-                           meiner Kernsammlung und anhand von Fotos
     lich ähnlich ist. Also schaue ich mir die Früchte                         mit den Kernen der mitgebrachten Früchte.                                                                                                                 Fruchteigenschaften
     genauer an. Die Calebasse à la Reine kenne ich                            Die Kernmerkmale von Boscs hatte ich richtig                                                                                                              Tafelbirne; schmelzend,
     noch nicht gut, die Boscs schon besser, da sie                            in Erinnerung. Allein anhand der Kerne                                                                                                                    süß, mittel aromatisch;
     zum Standardsortiment der Birnen gehört.                                  kann ich Boscs Flaschenbirne ausschließen.                                                                                                                frühe Herbstbirne; laut
                                                                                                                                               Baumeigenschaften                                                                         Literatur gering anfällig.
                                                                                                                    Pomologisches Detail:      Wächst laut Literatur mittelstark; ertragreich; insgesamt robust.
                                                                                                                    Der Kern der Calebasse
                                                                                                                    à la Reine (Bild links)
                                                                                                                    ist wesentlich schmaler
                                                                                                                    und länger als der von
                                                                                                                    Boscs Flaschenbirne.

                                                                                                                                               Häufigkeit
                                                                                                                    Der Unterschied
                                                                                                                    bei den Kernen wird        An zwei Jungbäumen im Kreis Neu-Ulm aufgefunden.
                                                                                                                    detailgetreu in der
                                                                                                                    historischen Literatur
                                                                                                                                               Verbreitung
                                                                                                                    abgebildet (linkes Bild:
                                                                                                                    Calebasse à la Reine).     Die Früchte sind der Boscs Flaschenbirne zum Verwechseln
                                                                                                                                               ähnlich; in Sammlungen und Baumschulen häufiger fälschlich
                                                                                                                                               als Boscs vermehrt und verbreitet; daher vor allem an
                                                                                                                                               Jungbäumen zu finden.
     Zum Vergleich: Frucht der Calebasse à la Reine (Französische Weinbirne,
     Bild links) und Früchte von Boscs Flaschenbirne.
                                                                                                                                               Geschichte
                                                                                                                                               Es liegen keine Angaben zur Herkunft vor.

     Ich betrachte zunächst die äußeren Merkmale                               Aber ist es nun tatsächlich die Calebasse à la
     wie Stielansatz, Kelch oder Fruchtform. Insgesamt                         Reine? Zu der Sorte habe ich noch zu wenig
     scheinen die Früchte zwar etwas feiner berostet                           Aufzeichnungen. Ich schicke Fotos an einen
     und weisen auch nicht die mir von Boscs bekann-                           Birnenspezialisten, der mir die Calebasse à la
     ten feinen Unebenheiten unter der Schale auf.                             Reine bestätigt.                                                                                                                                                          Typische Fruchtmerkmale
     Aber das sind Abweichungen, die auch mal                                                                                                                                                                                                             Länglich flaschenförmig;
     innerhalb einer Sorte auftreten können. Dann                              Weitere Unterschiede gibt es bei der Haltbarkeit.                                                                                                                großfrüchtig; fein berostete, gold-
     schneide ich die Früchte. Besonders bei Birnen-                           Die Calebasse à la Reine reift Anfang September                                                                                                                        braune Schale; langer Stiel,
     sorten sind die Kerne ein wichtiges Unterschei-                           und muss schnell verwertet werden, Boscs da-                                                                                                                 aufsitzend, mit fleischigem Übergang
     dungsmerkmal. Ich finde lange, schmale Kerne in                           gegen ist 14 Tage später reif und dann etwa                                                                                                                       in Frucht; Kelch teils aufsitzend;
     den Kammern. Ich meine, Boscs hätte auffällig                             4 Wochen haltbar.                                                                                                                                                    länglich schmale, zugespitzte,
     kleine und eiförmige Kerne. Ich nehme mir Früchte                                                                                                                                                                                                     kastanienbraune Kerne.

                                                                                                                                               Literatur
                                                                                                                                               Abbildungen aus: Lijsten, R.; Beeftink, A.: Nederlandsche Fruitsoorten.
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Besondere Apfel- und Birnensorten in Nordschwaben - Eine Bestandsaufnahme der Jahre 2016-2019
DIE BESONDEREN APFEL- UND
     BIRNENSORTEN NORDSCHWABENS

        Nach den allgemeinen Erläuterungen der vor-        punktmäßig Altbäume kartiert wurden (Apfel-             besonders prägt, auch wenn sie noch in
        hergehenden Abschnitte stellen wir nun eine        bäume ca. 60 – 80 Jahre alt, Birnbäume ca. 80–          anderen Teilen der Bundesrepublik vorkommt,
        Auswahl Apfel- und Birnensorten vor, die sich      120 Jahre alt, Einzelbäume jeweils auch erheb-          wie z. B. die Birnensorte Remele (Schwäbische
        besonders hervorheben. Darunter sind die für       lich älter), lässt sie Rückschlüsse auf die traditio-   Wasserbirne) oder die Apfelsorte Kesseltaler
        jeden Kreis häufigsten, ebenso die vorgefundenen   nelle Zusammensetzung der Sortimente der                Streifling.
        Regionalsorten, die hier zum Teil erstmals         Region Nordschwaben zu.
        ausführlicher beschrieben und abgebildet werden.                                                           Einordnung nach Verbreitung                          Gefährdung
        Abschließend beschreiben wir eine Auswahl          Einordnung nach Häufigkeit
        besonders gefährdeter Äpfel und Birnen.                                                                    Überregional: überregional verbreitet, ohne          Nicht gefährdet: überregional oder regional
                                                           Sehr häufig: >=50                                       besonderen Bezug zum Untersuchungsgebiet;            häufig bis sehr häufig, auch Jungbäume häufiger,
        Wir haben bereits erwähnt, dass eine umfang-       sehr viele Standorte bekannt                            findet sich traditionell in verschiedensten Regio-   mehrfach in Sammlungen gesichert und/oder
        reiche Erfassung die Grundlage einer wirksamen                                                             nen Deutschlands (z.B. Köstliche aus Charneu)        in Baumschulen vermehrt
        Erhaltungsarbeit ist. Es macht Sinn, bevorzugt     Häufig: 20–49
        Sorten zu sichern, die in ihrem Fortbestand        viele Standorte bekannt                                 Regionaltypisch: überregional verbreitet, jedoch     Bedingt/regional gefährdet: überregional
        gefährdet sind. Um eine mögliche Gefährdung                                                                im Untersuchungsgebiet ungewöhnlich häufig;          oder regional nur vereinzelt häufiger, überwiegend
        einschätzen zu können, müssen wir wissen, wie      Zerstreut: 6–19                                         häufiger als in anderen Regionen (z.B. Schöner       Altbäume, kaum in Sammlungen gesichert,
        häufig eine Sorte in der Region vorkommt, wo       einige Standorte bekannt                                aus Wiltshire)                                       kaum oder nicht in Baumschulen vermehrt
        sie eventuell noch vorkommt und ob sie bereits
        in Sammlungen steht oder sogar noch in Baum-       Selten: 1–5                                             Regionalsorte: kommt nach derzeitigem Kenntnis-      Gefährdet: Überregional und regional selten,
        schulen vermehrt wird.                             wenige Standorte bekannt                                stand und nach historischen Quellen zum größten      fast nur Altbäume, kaum oder nicht in Samm-
                                                                                                                   Teil nur im aktuellen Untersuchungsgebiet vor;       lungen gesichert und nicht in Baumschulen
        Eine Sorte kann auch aus anderen Gründen                                                                   jüngere Einzelvorkommen aus anderen Regionen         vermehrt
        erhalten werden, z.B. weil sie in der Region                                                               bleiben unberücksichtigt; hier handelt es sich um
        entstanden ist (Regionalsorte) oder weil sie       Verbreitung                                             die eigentlichen Regionalsorten bzw. entsprechend
        schon lange und häufig dort angebaut wurde         Unter diesem Gesichtspunkt wird die regionale           der früheren Bezeichnung um „Lokalsorten“ (z.B.
        (regionaltypische Sorte).                          Bedeutung einer Sorte eingeordnet. Wir unter-           Schöner aus Gebenhofen oder Weißenhorner
                                                           scheiden dabei in überregional verbreitete,             Birne)
        Häufigkeit                                         in regionaltypische Sorten und in Regionalsorten.
        Die Anbauhäufigkeit zeigt, wie oft eine Sorte
        erfasst wurde. Die Zahlen beziehen sich aus-       Wir unterscheiden regionaltypische Sorten               Gefährdung
        schließlich auf das Projektgebiet. Sie sagen       von den eigentlichen Regionalsorten, weil               Die Einstufung der Gefährdung beruht
        nichts über die Häufigkeit des Vorkommens in       auch überregional verbreitete Sorten das                auf Untersuchungen, stützt sich aber auch
        anderen Regionen aus.                              Obstsortiment einer Region prägen können.               auf Einschätzungen aus der Praxis. Grund-
                                                           Eine Sorte ist regionaltypisch, wenn sie im             sätzlich geben Einschätzungen einen persön-
        Unterschiede bei der Häufigkeit zeigen, ob         Vergleich zu anderen Regionen in der Projekt-           lichen Kenntnisstand wieder, sind also nicht
        bestimmte Sorten vor anderen bevorzugt wurden      region so häufig angepflanzt wurde, dass sie            objektiv und nicht abgesichert. Sie können
        und wie sie das Sortiment prägen. Da schwer-       das Sortiment des Untersuchungsgebietes                 aber begleitend herangezogen werden.

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Besondere Apfel- und Birnensorten in Nordschwaben - Eine Bestandsaufnahme der Jahre 2016-2019
HÄUFIGKEIT

                                                                                                                 1
                                                                                                                 Jakob Fischer
                                                                                                                                  2 Schöner aus Boskoop
                                                                                                                                                           3Brettacher
                                                                                                                                                                                       1
                                                                                                                                                                                       Rheinischer Bohnapfel
                                                                                                                                                                                                               2Kesseltaler Streifling
                                                                                                                                                                                                                                           3Schöner aus Boskoop

         Es wurde bereits erwähnt, dass schon im aus-        regionaltypischer Sorten ebenso unstrittig und                      Kreis Augsburg                                        Kreis Donau-Ries
         gehenden 19. Jahrhundert die Fachstellen be-        sie können als wichtiger Bestandteil angepasster                    Die Beliebtheit von Jakob Fischer und Schöner         Der Kreis Donau-Ries hat mit Kesseltaler
         müht waren, nur eine eng begrenzte Anzahl von       Sortimente berücksichtigt werden.                                   aus Boskoop teilt sich der Kreis Augsburg mit         Streifling eine regionaltypische Besonderheit
         „allgemein anbauwürdigen Sorten“ zu etablieren.                                                                         seinem Nachbarkreis Aichach-Friedberg.                zu bieten. Er ist zwar keine Regionalsorte, dazu
         Es bildete sich das klassische Standardsortiment    Hier werden zunächst die drei in den jeweiligen                     Boskoop ist eine „Universalsorte“ und findet          findet man ihn in zu vielen anderen Gebieten.
         heraus. Dennoch pflanzten die Leute auf dem         Kreisen häufigsten Apfel- und Birnensorten kurz                     sich nahezu immer unter den häufigsten, auch          Für eine nicht zum früheren Standardsortiment
         Land und in den Gärten weiterhin auch ihre          vorgestellt. Dem folgt ein ergänzender Überblick                    überregional. Für Jakob Fischer gilt das zumin-       zählende Sorte ist er allerdings ungewöhnlich
         regional angestammten, von der Fachwelt häufig      mit einer kurzen Beschreibung der weiteren am                       dest für den süddeutschen Raum, ebenso für            häufig. Auch im Kreis Dillingen ist die Sorte sehr
         als nicht anbauwürdig angesehenen oder von          häufigsten im Erfassungsgebiet anzutreffenden                       Brettacher.                                           beliebt, stand dort aber in einer zurückliegenden
         ihnen erst gar nicht beachteten Sorten. Oder es     Apfel- und Birnensorten. Dann wird eine jeweils                                                                           Erfassung „nur“ an 6. Stelle der häufigsten
         gab Fachleute in einzelnen Regionen, die das        in einem Kreis häufig vorkommende, aber bisher                                                                            Sorten.
         Hauptsortiment um regional angepasste Sorten        noch kaum dokumentierte Sorte ausführlicher
         erweiterten. Diese Einflüsse prägen auch das        beschrieben.
         Sortiment Nordschwabens.

         Die häufigsten Sorten sind meist die, über die      Die häufigsten Apfelsorten
         viele Erfahrungen und Untersuchungen vorliegen
         und über die schon reichlich zu Papier gebracht     Die beliebtesten drei für jeden Landkreis
         wurde. Wir stellen jedoch immer wieder fest, dass
         nicht alle häufig vorkommenden Sorten allgemein
                                                             Die häufigsten drei Apfelsorten repräsentieren
                                                             sozusagen das Kernsortiment der einzelnen Kreise.
                                                                                                                 1
                                                                                                                 Jakob Fischer
                                                                                                                                  2 Schöner aus Boskoop
                                                                                                                                                           3Rheinischer Winterrambur
                                                                                                                                                                                       1
                                                                                                                                                                                       Brettacher
                                                                                                                                                                                                               2Schöner aus Boskoop
                                                                                                                                                                                                                                           3Rheinischer Bohnapfel
         bekannt sind. Es lohnt sich, diese regionalen       Bezieht man ihren Anteil auf die etwa 6500 ins-
         Besonderheiten näher zu beschreiben. Lohnend        gesamt kartierten Apfelbäume, so trägt etwa jeder
         insofern, als eine Beschreibung dazu beiträgt,      6. Baum, der in den Streuobstwiesen und Obst-                       Kreis Aichach-Friedberg                               Kreis Neu-Ulm
         solche Sorten in das Blickfeld des Obstfreundes     gärten der Region steht, eine dieser Sorten. Sie                    Im Kreis Aichach-Friedberg ist Rheinischer            Im Kreis Neu-Ulm ist Brettacher die häufigste
         zu rücken, der sie dann bei der Sortenwahl be-      wurden auch überregional sehr häufig gepflanzt                      Winterrambur die dritthäufigste Sorte. Auch           Sorte. Er verbreitete sich wohl von Baden-Würt-
         rücksichtigen kann. Vor allem dann, wenn eine       und zählen auch heute noch – berücksichtigt man                     er gehörte zwischen 1900 und 1950 zum                 temberg aus (Neu-Ulm grenzt an das württem-
         Sorte traditionell zwar häufig angebaut wurde,      das allgemeine Sortenangebot der Baumschulen –                      überregionalen Standardsortiment. Bemerkens-          bergische Schwaben). Auch Rheinischer Bohn-
         ihre Vorzüge aber später nicht mehr erkannt         zu den am häufigsten angebotenen.                                   wert ist, dass Brettacher nicht unter den             apfel gehörte zum alten Standardsortiment –
         wurden. Wobei nichts dagegen spricht, auch                                                                              häufigsten zehn Sorten zu finden ist – im             er zählt eigentlich allerorten zu den häufigsten.
         heute noch die verbreitetsten Sorten wie z.B.       Allerdings gibt es auch hier schon Unterschiede                     Gegensatz zu allen anderen Landkreisen.               Bemerkenswert ist, dass Rheinischer Winter-
         Schöner aus Boskoop oder Köstliche aus Charneu      zwischen den Landkreisen, wie in der Zusammen-                                                                            rambur im Kreis Neu-Ulm so wenig empfohlen
         zu pflanzen. Ihr Anbauwert ist nach wie vor         stellung der drei am häufigsten vorkommenden                                                                              wurde. Dort rangiert er erst an 20. Stelle der
         unbestritten. Inzwischen aber ist der Wert          Apfelsorten zu sehen ist.                                                                                                 Häufigkeit.

18                                                                                                                                                                                                                                                                  19
RIESENBOIKEN
                                                                                                                                                                                                                                          Kreis Augsburg

                   Je mehr Sorten man in den Vergleich einbezieht,        Neu-Ulm der Pfaffenhofer Schmelzling, ebenfalls
                   desto deutlicher werden auch Unterschiede              eine dortige Regionalsorte. Sie alle sind mit
                   zwischen den einzelnen Landkreisen erkennbar. So       Ausnahme von Schöner aus Herrnhut und Riesen-
                   finden sich neben den allgemein häufigen Haupt-        boiken nur in den erwähnten Kreisen sehr häufig.
                   sorten auch Sorten, die innerhalb des Erfassungs-      Außerhalb des Projektgebiets sind sie mit deutlich                                                                                    Fruchteigenschaften
                   gebiets nur in einem Kreis sehr häufig sind.           geringeren Baumzahlen oder nur vereinzelt                                                                                             Wirtschaftsapfel; mittlere
                                                                          anzutreffen.                                                                                                                          Saftigkeit, mäßig süß-säuerlich,
                   Für den Kreis Augsburg sind das Schöner aus                                                                                                                                                  mäßig aromatisch; früher
                   Herrnhut und Riesenboiken. Im Kreis Aichach-           Vier davon – Riesenboiken, Hügelsharter Graven-                     Baumeigenschaften                                                 Winterapfel (verwertbar bis
                   Friedberg dagegen finden wir sogar zwei Regional-      steiner, Kesseltaler Streifling und Pfaffenhofer                    Starkwüchsig; ertragreich; allgemein robust, auch gegen Obst-     Januar/Februar); gering anfällig.
                   sorten unter den häufigsten: Hügelsharter Graven-      Schmelzling – werden hier exemplarisch beschrie-                    baumkrebs und Fröste.
                   steiner und Schöner aus Gebenhofen. Im Kreis           ben. Die Beschreibung der Regionalsorte Schöner
                   Donau-Ries ist es der zuvor erwähnte regional-         aus Gebenhofen findet sich im Kapitel Verbreitung.
                   typische Kesseltaler Streifling und im Kreis
                                                                                                                                              Häufigkeit
                                                                                                                                              Sehr häufig; elf der 44 erfassten Bäume stehen im Kreis
                   Die 10 häufigsten Apfelsorten in den verschie-                                                                             Augsburg; die Sorte ist dort somit unter den Häufigsten;
                   denen Kreisen mit der Anzahl erfasster Bäume                                                                               ähnliche Baumzahlen weisen die anderen Kreise auf – bei
                                                                                                                                              allerdings jeweils deutlich mehr erfassten Bäumen insgesamt.

Augsburg                         Aichach Friedberg                     Donau-Ries                          Neu-Ulm                            Verbreitung
                                                                                                                                              Überregional verbreitet; er ist gebietsweise stark vertreten,
Jakob Fischer                46 Jakob Fischer                   113 Großer Rheinischer Bohnapfel 151 Brettacher                        180    u.a. im Saarland oder in Hessen; innerhalb Schwabens ist er
                                                                                                                                              noch sehr häufig im Unterallgäu; dort kommt es immer wieder
Schöner aus Boskoop          26 Schöner aus Boskoop             100 Kesseltaler Streifling           115 Schöner aus Boskoop           151    zu Verwechslungen mit der Sorte Horneburger Pfannkuchenapfel,
                                                                                                                                              die über einen längeren Zeitraum fälschlich als Riesenboiken
Brettacher                   21 Rheinischer Winterrambur        56     Schöner aus Boskoop           76    Großer Rheinischer Bohnapfel 132   vermehrt wurde.                                                                   Typische Fruchtmerkmale
                                                                                                                                                                                                                         Große bis sehr große Früchte;
Großer Rheinischer Bohnapfel 19 Kaiser Wilhelm                  54     Jakob Fischer                 75    Schöner aus Wiltshire       102    Gefährdung                                                                Form variabel flachkegelförmig
                                                                                                                                              Inzwischen selten, aber nicht gefährdet; sie wird in einigen                      bis rundlich-kegelförmig;
Transparent aus Croncels     19 Großer Rheinischer Bohnapfel 53        Rheinischer Winterrambur      73    Jakob Fischer               81     Sammlungen erhalten, auch einzelne Baumschulen vermehren                      wenig Deckfarbe; Stielgrube
                                                                                                                                              sie noch.                                                                         teils tief und (sehr) weit,
Kaiser Wilhelm               19 Hügelsharter Gravensteiner      49     Kaiser Wilhelm                52    Transparent aus Croncels    79                                                                                   unregelmäßig, fein berostet;
                                                                                                                                              Geschichte                                                                     Kelchgrube meist mit deut-
Rheinischer Winterrambur     14 Brettacher                      40     Transparent aus Croncels      47    Pfaffenhofer Schmelzling    60     1911 erstmals beschrieben; traditionell stark verbreitet an                 lichen Wülsten und Höckern;
                                                                                                                                              der Niederelbe; historisch ist die Sorte schwierig einzuordnen,          Kelchhöhle klein, trichterförmig,
Schöner aus Herrnhut         13 Jakob Lebel                     33     Welschisner                   37    Maunzenapfel                58     da es mindestens zwei voneinander unterscheidbare Sorten                     teils mit feiner kurzer Röhre;
                                                                                                                                              mit dem Namen Riesenboiken gibt.                                               rundlich zugespitzte Kerne.
Schöner aus Wiltshire        12 Schöner aus Gebenhofen          30     Roter Trierer Weinapfel       36    Wettringer Taubenapfel      50

Riesenboiken                 11 Transparent aus Croncels        29     Jakob Lebel                   33    Odenwälder                  50
                                                                                                                                              Literatur
20                                                                                                                                            Dahlem et al: Äpfel und Birnen aus Luxemburg. Luxemburg 2016.                                                   21
HÜGELSHARTER                                                                                                                                                                                          KESSELTALER
     GRAVENSTEINER                                                                                                                                                                                           STREIFLING
     Kreis Aichach-Friedberg                                                                                                                                                                                                 Kreis Donau-Ries

                          Fruchteigenschaften                                                                                                                                                         Fruchteigenschaften
              Wirtschaftsapfel (Saft, Most);                                                                                                                                                          Wirtschaftsapfel (Saft);
            mittel saftig, mild süß-säuerlich,                                                                                                                                                        mild süß-säuerlich; mäßig aromatisch;
                      etwas blumiges Aroma;                                                                                                                                                           Frühherbstapfel; gering anfällig.
                            Spätsommerapfel.     Baumeigenschaften                                                        Baumeigenschaften
                                                 Sehr starkwüchsig, bildet mächtige Kronen; reichtragend; robust;         Starkwüchsig, ertragreich, frosthart und allgemein robust.
                                                 sortentypisch ist die starke Leistenbildung am Stamm bei Altbäumen.

                                                 Häufigkeit                                                               Häufigkeit
                                                 Sehr häufig; 49 Bäume im Kreis Aichach-Friedberg, weitere                Sehr häufig; 115 von 127 erfassten Bäumen stehen im Kreis
                                                 sechs Bäume im angrenzenden Kreis Augsburg; kein Nachweis                Donau-Ries.
                                                 in den Kreisen Donau-Ries und Neu-Ulm.
                                                                                                                          Verbreitung
                                                 Verbreitung                                                              Regionaltypisch; Nachweise der Sorte kommen aus vielen
                                                 Regionalsorte; weitere Standorte sind aus dem ganzen Allgäu bekannt      Regionen, auch aus Luxemburg und Vorarlberg beispielsweise;
                                                 (besonders Unterallgäu), allerdings nimmt die Häufigkeit nach Süden      im Kreis Dillingen ist sie ebenfalls sehr häufig; dort wie hier im
                                                 beständig ab; die frühere Beliebtheit in der Region Aichach-Friedberg    Donau-Ries prägt sie das Sortiment und ist daher eine typische
                                                 geht auf die Baumschule Ketzer zurück, die sie als „äußerst wertvolle    Sorte der Region.
                                                 Lokalsorte“ anbot.
                                                                                                                          Gefährdung
                                                 Gefährdung                                                               Bedingt gefährdet; wir finden zwar überwiegend Altbäume in der
                                                 Bedingt gefährdet; überwiegend nur noch als sehr alte Bäume              Region, aber auch einige jüngere; in wenigen Baumschulen wird
                                                 anzutreffen, wird aber noch in einer Baumschule im Kreis vermehrt.       sie vermehrt und in Sammlungen findet sie sich zumindest in
                                                                                                                          Süddeutschland recht häufig.
                                                 Geschichte
     Typische Fruchtmerkmale                     Kein literarischer Nachweis oder sonstige Überlieferung zu ihrer         Geschichte                                                                                 Typische Fruchtmerkmale
     Mittelgroß; unregelmäßig                    Entstehung; als früheste Quelle haben wir den Eintrag auf einem          Wir können aufgrund des augenscheinlich hohen Alters einiger                            Mittelgroß; kegelförmig bis
     eiförmig; Deckfarbe rötlich                 Pflanzplan von 1946 mit dem Namen „Grafensteiner-Type Hg“ – also         Bäume mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass sie schon vor                       hochgebaut kegelförmig; Schale
     geflammt; Kelchhöhle mit                    eventuell ein Sämling des Gravensteiners – und die Nennung in einer      1900 stärker verbreitet wurde; auch ist anzunehmen, dass Kessel-                  lebaft gestreift; Kelchgrube weit,
     schmaler Röhre; Kernhaus                    Preis- und Sortenliste der Baumschule Ketzer von 1953/1954.              taler Streifling nicht ihr ursprünglicher Name war, da sie in einigen                     mitteltief; Kernhauswände
     klein; Kerne klein, rundlich,                                                                                        anderen Regionen unter verschiedenen Namen vorkommt (z.B.                                 glatt; teils mit Kelchröhre,
     zugespitzt, kastanienbraun.                                                                                          Schopflocher Streifling, Erfurter Streifling)                                            länglich zugespitzter Kern.

                                                 Literatur                                                                  Literatur
                                                 Ketzer, Stefan: Baumschulen Friedberg. Preis- und Sortenliste 1953/54.     Löhe: Bekanntmachung über Obstsortimente für das Ries. Nördlingen 1926.
22                                                                                                                          Ketzer, Stefan: Baumschulen Friedberg. Preis- und Sortenliste 1953/54.                                                 23
PFAFFENHOFER
     SCHMELZLING
     Kreis Neu-Ulm

                                                                                                                      Die weiteren häufigsten Apfelsorten aller Kreise kurz portraitiert
                                                                                                                      (alle überregional verbreitet und nicht gefährdet)

                        Fruchteigenschaften
                       Saft- und Mostapfel;
                   süßlich, wenig säuerlich,
                  saftig, Fleisch etwas zäh;
                Herbstapfel; gering anfällig.   Baumeigenschaften
                                                Starkwüchsig; ertragreich; robust, sehr frosthart; traditionell
                                                als Stammbildner für Raulagen; überhängendes Kronenbild.
                                                                                                                      Transparent aus Croncels             Kaiser Wilhelm                          Schöner aus Wiltshire
                                                                                                                      Wirtschafts- und Tafelapfel          Tafel- und Wirtschaftsapfel             Tafel- und Wirtschaftsapfel
                                                                                                                      guter Küchenapfel                    starkwüchsige Bäume                     sehr vielseitig verwertbar

                                                Häufigkeit
                                                Sehr häufig; 60 von 73 erfassten Bäumen stehen im Kreis Neu-Ulm,
                                                weitere neun noch im Kreis Aichach-Friedberg.

                                                Verbreitung
                                                Regionalsorte; in der Region Neu-Ulm entstanden, dort finden sich
                                                auch mit Abstand die meisten Altbäume; weitgehend auf Bayern,
                                                insbesondere den südwestlichen Teil begrenzt (Regierungsbezirk        Jakob Lebel                          Wettringer Taubenapfel                  Welschisner
                                                Schwaben); dort nur vereinzelt; noch um 1950 von der bayerischen      Wirtschaftsapfel                     Tafelapfel                              Wirtschafts- und Tafelapfel
                                                                                                                      guter Kuchenapfel                    sortentypisch aromatisch (parfümiert)   lange lagerfähig
                                                Fachberatung empfohlen, auch als Stammbildner.

                                                Gefährdung
                                                Bedingt gefährdet; inzwischen in wenigen Sammlungen gesichert und
                                                in einer Baumschule im Kreis Neu-Ulm vermehrt.

                                                Geschichte
                                                Ende 19. Jahrhundert in Pfaffenhofen a. d. Roth, Landkreis Neu-Ulm,
                                                von Benedikt Beyer aus Sämlingsaussaaten ausgelesen.
     Typische Fruchtmerkmale                                                                                          Maunzenapfel                         Roter Trierer Weinapfel                 Odenwälder
     Mittelgroße Früchte; kugelig                                                                                     Wirtschaftsapfel                     Wirtschaftsapfel                        Wirtschafts- und Tafelapfel
                                                                                                                      guter Mostapfel; krebsfest           guter Mostapfel                         guter Küchenapfel
     und sehr regelmäßig geformt;
     lebhaft geflammt; Kernhaus
     kelchnah; weißfleischig.

                                                Literatur
24                                              Trenkle, R.: Obstsortenwerk. München 1950.                                                                                                                                       25
Die sehr häufigen Birnen
                          Die Obstart Birne hat eine untergeordnete Bedeutung      beim Apfel mehr als Tendenz zu verstehen. Viele
                          in der Region. Daher wurden im Vergleich zum Apfel       Sorten sind innerhalb der Kreise ähnlich häufig und                                 Die 10 häufigsten Birnensorten in den verschiedenen
                          auch deutlich weniger Sorten und Bäume erfasst.          der Schwerpunkt im Sortiment tritt noch nicht so                                    Kreisen mit Anzahl erfasster Bäume
                          Die Aussagen zur Häufigkeit sind daher auch nicht so     deutlich hervor. Zwischen den Kreisen deuten sich
                          gut abgesichert und im Vergleich zu den Ergebnissen      allerdings auch hier Unterschiede an.
                                                                                                                                                         Augsburg                                Aichach-Friedberg                        Donau-Ries                   Neu-Ulm

                                                                                                                                                         Remele   (Schwäbische Wasserbirne)   6 Köstliche aus Charneu                22 Gräfin von Paris           22 Weißenhorner Birne           40

                                                                                                                                                         Williams Christbirne                 6 Doppelte Philippsbirne               18   Gellerts Butterbirne     13 Schweizer Wasserbirne        32

1                           2                         3                            1                       2                         3
                                                                                                                                                         Alexander Lucas                      4 Neue Poiteau                         15   Schweizer Wasserbirne    13 Ulmer Butterbirne            29

Schwäbische Wasserbirne        Williams Christ         Alexander Lucas             Köstliche aus Charneu    Doppelte Philippsbirne   Neue Poiteau        Köstliche aus Charneu                3 Alexander Lucas                      14   Köstliche aus Charneu    11 Oberösterreichische Weinbirne 20

                                                                                                                                                         Gräfin von Paris                     3 Gräfin von Paris                     12   Alexander Lucas          10 Luxemburger Mostbirne        17
                          Kreis Augsburg                                           Kreis Aichach-Friedberg
                          Es ist bemerkenswert, dass die Schwäbische               In Aichach-Friedberg wurden Köstliche aus Charneu
                                                                                                                                                         Doppelte Philippsbirne               3 Gellerts Butterbirne                 11   Prinzessin Marianne      10 Köstliche aus Charneu        16
                          Wasserbirne im Kreis Augsburg noch ebenso häufig         und Doppelte Philippsbirne bevorzugt, etwas
                          ist, wie die allerorten sehr beliebten Sorten Williams   häufiger als in den anderen Kreisen Nordschwabens.
                                                                                                                                                         Gellerts Butterbirne                 3 Prinzessin Marianne                  11   Pastorenbirne            9   Gräfin von Paris            11
                          Christ und Alexander Lucas. Das liegt vor allem am       Nicht so Neue Poiteau: sie ist nur im Kreis Aichach-
                          hohen Alter der Bäume, denn nach 1950 wurde sie          Friedberg unter den ersten drei, in den übrigen
                                                                                                                                                         Prinzessin Marianne                  3 Remele   (Schwäbische Wasserbirne)   10   Grüne Jagdbirne          8   Doppelte Philippsbirne      10
                          bei weitem nicht mehr so oft gepflanzt wie die           Kreisen zählt sie nicht mal zu den zehn häufigsten.
                          beiden anderen Spitzenreiter.
                                                                                                                                                         Gute Luise                           3 Oberösterreichische Weinbirne 9           Mollebusch               8   St. Remy                    8

                                                                                                                                                         Konferenzbirne                       3 Konferenzbirne                       9    Doppelte Philippsbirne   7   Alexander Lucas             7

1
Gräfin von Paris
                            2  Gellerts Butterbirne
                                                      3Schweizer Wasserbirne
                                                                                   1
                                                                                   Weißenhorner Birne
                                                                                                           2Schweizer Wasserbirne
                                                                                                                                     3
                                                                                                                                     Ulmer Butterbirne

                      Kreis Donau-Ries                                             Kreis Neu-Ulm
                      Für Gräfin von Paris hatte man im Kreis Donau-Ries           Der Kreis Neu-Ulm unterscheidet sich bei den häufigs-
                      offensichtlich eine Vorliebe.Sie ist deutlich häufiger       ten Birnensorten deutlich von den anderen Kreisen. Mit
                      anzutreffen als Gellerts Butterbirne und Schweizer           Weißenhorner Birne und Ulmer Butterbirne sind gleich
                      Wasserbirne. Alle drei Birnensorten gehörten zum             zwei Sorten unter den häufigsten drei, deren Geschichte
                      früher allgemein bevorzugten Standardsortiment.              eng mit der Region verbunden ist. Weißenhorner Birne
                                                                                   ist als Regionalsorte anzusprechen, Ulmer Butterbirne
                                                                                   als regionaltypisch.
26                                                                                                                                                                                                                                                                                                     27
REMELE                                                                                                                                                                                                                  KÖSTLICHE
     (Schwäbische Wasserbirne)
     Kreis Augsburg
                                                                                                                                                                                                                          AUS CHARNEU
                                                                                                                                                                                                                                       Kreis Aichach-Friedberg

                          Fruchteigenschaften                                                                                                                                                                           Fruchteigenschaften
                    Sehr frühe bis frühe Dörr-                                                                                                                                                                          Tafel- und Kompottbirne;
                  birne; süßlich, würzig, auch                                                                                                                                                                          saftig schmelzend, mäßig süß
                 frisch genießbar; nur wenige                                                                                                                                                                           und aromatisch; Herbstbirne;
                     Tage haltbar, wird schnell   Baumeigenschaften                                                                                 Baumeigenschaften                                                   kaum anfällig.
                                teigig; robust.   Starkwüchsig; ertragreich, allgemein robust, auch frosthart.                                      (Mittel-) starkwüchsig; mit typisch ausgeprägter Dominanz des
                                                                                                                                                    Mitteltriebs; ertragssicher; allgemein robust; mäßig frosthart.

                                                  Häufigkeit                                                                                        Häufigkeit
                                                  Zerstreut; sicher lassen die insgesamt geringen Zahlen an erfassten                               Sehr häufig; 22 von 52 erfassten Bäumen stehen im Kreis Aich-
                                                  Birnbäumen im Kreis Augsburg nicht so verbindliche Aussagen zu. Da                                ach-Friedberg. Das sind anteilig etwa doppelt so viele wie in den
                                                  aber auch im Nachbarkreis Aichach-Friedberg noch häufig Altbäume                                  anderen Kreisen – gemessen an den jeweils erfassten Bäumen.
                                                  der Schwäbischen Wasserbirne anzutreffen sind, kann man davon
                                                  ausgehen, dass die erfassten Zahlen für den Kreis Augsburg kein                                   Verbreitung
                                                  Zufall sind und sie dort sehr bedeutend war.                                                      Überregional; zusammen mit Schweizer Wasserbirne ist sie die
                                                                                                                                                    häufigste Birnensorte im ganzen Projektgebiet; sie zählte zum
                                                  Verbreitung                                                                                       früheren Standardsortiment und daher wurde sie auch in vielen
                                                  Regionaltypisch; die Sorte ist sicher prägend für das Sortiment der                               anderen Regionen häufig gepflanzt.
                                                  Region, aber sie kommt auch außerhalb Schwabens vor, u.a. in weiten
                                                  Teilen von Baden-Württemberg.                                                                     Gefährdung
                                                                                                                                                    Da sie in einigen Sammlungen steht und auch noch in Baum-
                                                  Gefährdung                                                                                        schulen vermehrt wird, ist sie nicht gefährdet.
                                                  Gefährdet; Jungbäume der Sorte wird man heute kaum noch außer-
                                                  halb der wenigen Sammlungen finden, in denen sie erhalten wird; als                               Geschichte
                                                  Teil einer vergangenen ländlichen Dörrbirnenkultur ist sie fast ein                               Um 1800 als Zufallssämling in Charneux bei Lüttich/Belgien
     Typische Fruchtmerkmale                      lebendes Fossil.                                                                                  gefunden und bereits ab 1836 für Bayern empfohlen.
     Kleinfrüchtig; kreisel-
     bis kegelförmig; breite                      Geschichte                                                                                                                                                                         Typische Fruchtmerkmale
     Kelchseite; grünliche                        Überregional als „Remele“ verbreitet; 1854 erstmals unter dem                                                                                                                        Großfrüchtig, länglich,
     Fruchtschale, kaum Deck-                     Namen beschrieben; Entstehungsort und tatsächliches Alter sind                                                                                                                    etwas schief; grasig grüne
     farbe; fleischiger Stiel;                    nicht überliefert; im Raum Aichach-Friedberg kennt man sie auch als                                                                                                                 Grundfarbe; langstielig;
     wird sofort teigig oder fällt                Gugulere-Birn oder Kukulärerbirn.                                                                                                                                                 großer, länglich-schmaler,
     bereits teigig vom Baum.                                                                                                                                                                                                                 rehbrauner Kern.

                                                  Literatur
                                                  „Für unsere rauhesten Obstlagen sehr schätzbare Birn… .“ Lucas, E.: Die Kernobstsorten Württem-
28                                                bergs. Stuttgart 1854.                                                                                                                                                                                         29
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