Beziehungsorientierter Umgang mit auffälligem Verhalten - Banking Time - Detlev Vogel Tagung "Brennpunkt Verhalten: Souverän agieren" FHNW ...
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22.06.2021 1 weiterdenken. Beziehungsorientierter Umgang mit auffälligem Verhalten – Banking Time Detlev Vogel Tagung «Brennpunkt Verhalten: Souverän agieren» FHNW – Campus Brugg-Windisch 19. Juni 2021
Detlev Vogel 22.06.2021 2 Inhalte des Referats 1. Haltung zu und systemische Sicht auf auffälliges Verhalten 2. Bindungspsychologie 3. Banking Time (BT) 4. Integrierte Beziehungsförderung (IBF) 5. Die Bedeutung der L-S-Beziehung für Lernen und Verhalten
Detlev Vogel 22.06.2021 4 Verbreitete Meinungen über Kinder/ Jugendliche mit auffälligem Verhalten • Er/ sie will bloss Aufmerksamkeit erregen • Er/ sie muss immer seinen/ ihren Kopf durchsetzen • Er/ sie will uns manipulieren • Er/ sie ist nicht motiviert • Sein/ ihr Bruder war schon genau so Kern ist jeweils die Annahme, dass das Kind sich willentlich so verhält. Wenn es nur wollte, könnte es schon … Konditionierende Massnahmen wie Bestrafung und Belohnung reduzieren auffälliges Verhalten nicht nachhaltig – sie haben langfristig sogar den gegenteiligen Effekt.
Detlev Vogel 22.06.2021 5 Haltung zu Kindern mit auffälligem Verhalten • Kinder verhalten sich nicht entgegen unseren Erwartungen weil sie nicht wollen, sondern weil sie nicht KÖNNEN! • Auffälliges Verhalten ist Problemlöseversuch und Hilferuf • Forschende Haltung der LP statt vorschnelle Schuldzuweisungen und Lösungen, d. h. mit viel Geduld: • Beziehung aufbauen und bewusst pflegen • Fehlende sozio-emotionale Kompetenzen aufbauen
Detlev Vogel 22.06.2021 6 Systemische Sicht • Beziehungen sind eine Folge von unzähligen Interaktionen beider/ aller Beteiligten • Beide Seiten nehmen gegenseitig aufeinander Einfluss • Erweiterte Perspektive hinsichtlich des störenden Verhaltens: Fokus nicht nur auf das Kind, auch auf die LP! • Die eigene Rolle reflektieren und kritisch hinterfragen: Inwiefern trage ich selbst zum Verhalten des Kindes bei?
Detlev Vogel 22.06.2021 7 Gute Beziehungen brauchen … • Bedingungsloses Da-Sein • Verlässlichkeit – gerade, wenn es schwierig ist – den «Goldenen Faden» halten • Offenheit • Echtes Interesse • Zeit • Geduld
Detlev Vogel 22.06.2021 9 Die Bindungspsychologie • Kleinkinder entwickeln eine spezielle Beziehung zu ihren Eltern oder anderen engen Bezugspersonen. Diese Bindungsperson erlebt das Kind im Falle von Bedrohung, Angst oder Schmerz, als Schutz und Quelle Beruhigung (sicherer Hafen). • Sichere Bindungen entwickeln sich nur, wenn die Bindungsperson zuverlässig, prompt und feinfühlig auf die Bedürfnisse des Kindes reagiert (Bowlby, 2014; Brisch, 2016, Rass, 2011).
Detlev Vogel 22.06.2021 10 Die Bindungsmuster • Sicheres Bindungsmuster (55%) • Unsicher-vermeidendes Bindungsmuster (20-25%) • Unsicher-ambivalentes Bindungsmuster (10-15%) • Desorganisiertes Bindungsmuster und pathologische Bindungsstörung (5-15%) (Bodemann, 2017; Brisch, 1999) Der Anteil unsicher gebundener Kinder steigt an, in der Schweiz geht man von 45% aller Kinder aus (Bodemann, 2017).
Detlev Vogel 22.06.2021 11 Auswirkungen unsicherer Bindungen • Unsicher gebundene Kinder weisen geringere Sozialkompetenzen auf und interpretieren Konfliktsituationen schnell als feindselig (Sroufe, 1983) • Unsicher gebundene Kinder zeigen hochsignifikant häufiger aggressives Verhalten (Sroufe & Fleesen, 1988) • Enger Zusammenhang zwischen desorganisierter Bindung und Verhaltensauffälligkeit im Schulalter (Brisch, 1999) • Signifikanter Zusammenhang zwischen sicherer Bindung und kognitivem Engagement und Leistungsmotivation im Schulalter (Zimmermann & Spangler, 2001)
Detlev Vogel 22.06.2021 12 Der Sicherheitskreis
Detlev Vogel 22.06.2021 13 Das sichere Bindungsmuster in der Schule • Diese Kinder haben keine oder wenig Probleme, zur Lehrperson eine unterstützende Beziehung aufzubauen • Sie können die Lehrperson als Ressource nutzen, wenn sie Hilfe benötigen • Sie fühlen sich unter normalen Umständen sicher und sind innerlich frei für das Spielen und Lernen • Voraussetzung ist eine behutsame Eingewöhnung im Kindergarten (Brisch, 2016)
Detlev Vogel 22.06.2021 14 Das unsicher-vermeidende Bindungsmuster in der Schule • Unsicher gebundene Kinder erwarten Zurückweisung und versuchen sich „vorauseilend“ davor zu schützen, indem sie ihre Bedürfnisse nicht zeigen • Sie entwickeln aggressives Verhalten, um die Nähe Anderer von vorneherein zu verhindern • Andere Kinder dieses Musters wirken äusserlich «cool», zeigen eine Art «Pseudo-Sicherheit», sind tatsächlich in grossem Stress • Sie wirken sehr selbstständig, beissen aber innerlich oft «die Zähne zusammen», sind im «Stress-Modus» • Diese Kinder erwarten keine Hilfe, sie sind es gewohnt, alleine zurecht zu kommen (Brisch, 2016)
Detlev Vogel 22.06.2021 15 Das unsicher-ambivalente Bindungsmuster in der Schule • Diese Kinder haben im Kindergarten u.U. große Schwierigkeiten, sich von den Eltern zu trennen • Die Bindungsperson sendet Doppelbotschaften • Diese Kinder fragen oft unnötig und «kleben» an der LP • Diese Kinder zeigen u. U. Symptome wie Bauchschmerzen, Übelkeit oder anderes (Brisch, 2016)
Detlev Vogel 22.06.2021 16 Das unsicher-desorganisierte und pathologische Bindungsmuster in der Schule • Diese Kinder sind impulsiv, hyperaktiv • Sie stehen unter grossem Stress und können sich oft nicht selbst steuern und beruhigen • Offene Situationen sind für diese Kinder schwierig • Sehr gehemmtes Bindungsverhalten: Vermeidung von Blickkontakt, mögen nicht die Hand geben, etc. • Diese Kinder suchen selbst keine Hilfe, auch wenn sie offensichtlich Hilfe benötigen • Z.T. auch extrem prosoziales Verhalten: kümmern sich ständig um andere, spielen „Hilfslehrerin“ (Brisch, 2016)
Detlev Vogel 22.06.2021 17 Unsichere Bindungen können kompensiert werden • Das Kind bleibt noch bis in die Primarschulzeit offen für neue Bindungserfahrungen • LP können durch verlässliche und sichere Beziehungen diesen Kindern neue Bindungs-/ Beziehungserfahrungen ermöglichen – sie werden so zu wichtigen «Bindungspersonen» für das Kind • Sichere Bindung/ Beziehung an Lehrpersonen fördert das Explorationsverhalten und das Lernen und reduziert das auffällige Verhalten!! (Brisch, 2016) • Bei Störungen und Konflikten klar reagieren, aber nicht „den goldenen Faden“ zum Kind trennen!
Detlev Vogel 22.06.2021 18 Liebe Lehrperson … Wenn ich mal wieder schwierig werde (wütend, fordernd, frustriert, ausser Kontrolle) … bedeutet das, dass ich nicht weiss was ich machen soll und dass ich dich brauche: • Auch wenn ich böse bin, geh nicht weg • Übernehme Verantwortung für mich und führe mich vorsichtig • Bleibe solange bei mir bis wir beide meine Angst verstanden haben, die ich alleine nicht aushalten kann • Hilf mir, zu einer Tätigkeit zurückzukehren (Cooper, Hoffman, Marvin & Powell, 2000)
Detlev Vogel 22.06.2021 19 Teil III Banking Time
Detlev Vogel 22.06.2021 20 Was ist Banking Time? • Zeitsequenzen, die ein bestimmtes Kind nur mit der LP verbringt, in der Regel mit der KLP • In dieser Zeit bestimmt allein das Kind die Aktivitäten (Kind- geführte Interaktion) • Die LP folgt dem Kind und begleitet es durch Zuhören, Zuschauen und ggf. Mitspielen • Sie antwortet und bringt dem Kind Feinfühligkeit, Akzeptanz und Verständnis entgegen • Das Kind erfährt dadurch uneingeschränkte Aufmerksamkeit und Akzeptanz – Voraussetzungen für Beziehungsaufbau. «Nur ein Kind dem gefolgt wird, kann folgen!»
Detlev Vogel 22.06.2021 21 Was ist Banking Time? • Eine dyadische Kurzzeitintervention für Kinder mit auffälligem Verhalten (Pianta & Hamre, 2001; Vogel, 2019; Vogel & Membrini, 2019) • Das Konzept ist theorie- und evidenzbasiert • Zielgruppe: Kinder in KG und US (Zyklus I) • Sie wurde von Bridget Hamre und Robert Pianta (Charlottesville, Virginia) entwickelt Ziele • Verbesserung der L-S-Beziehung • Reduzierung des auffälligen Verhaltens
Detlev Vogel 22.06.2021 22 Banking Time – die Rollenrt die Das Kind Die Lehrperson Wählt die Aktivität Folgt dem Kind Führt die Interaktion Beobachtet aufmerksam die Aktivitäten des Kindes «Leitet» das Gespräch Antwortet angemessen auf das Kind Ist nicht verantwortlich für einen „Lernerfolg“
Detlev Vogel 22.06.2021 23 Der Schlüssel für eine positive Beziehung liegt in der Veränderung des Rollenverhaltens der Lehrperson. Robert Pianta, 2001
Detlev Vogel 22.06.2021 24 Banking Time – Organisation • Jede Sequenz dauert 10-15 Minuten • Sie findet 2-3 mal pro Woche statt • Die Zeiten sind regelmässig und vorhersehbar von Woche zu Woche • Banking Time ist KEINE Belohnung für erwünschtes Verhalten und wird NICHT bei unerwünschtem Verhalten entzogen!!
Detlev Vogel 22.06.2021 25 Banking Time: Einführung mit dem Kind • Zur Einführung dem Kind erklären, dass man besorgt ist, wie es «mit uns beiden weiter geht» • Betone, dass du das Kind besser kennenlernen möchtest • Informiere, dass die Sequenzen: • Zu regelmässigen Zeiten an bestimmten Tagen stattfinden werden • Nicht vom (Wohl-) Verhalten des Kindes abhängen • Sich vom normalen Gruppen- bzw. Klassenalltag unterscheiden, weil man nur zu zweit ist • Frage nach der Meinung des Kindes zum Vorschlag
Detlev Vogel 22.06.2021 26 Banking Time : Geeignete Orte • Der Ort sollte für diese Zeit ungestört sein und möglichst wenig Ablenkung bieten. Ein kleiner Raum schafft mehr Nähe.
Detlev Vogel 22.06.2021 27 Banking Time : Geeignete Materialien und Aktivitäten Das Material wird altersangepasst und individuell zusammengestellt. Es geht um ein wirklich vielfältiges Spielangebot, z.B.: • Rollenspielfiguren, «Schleich-Tiere» • Baumaterial • Regelspiele, Kartenspiele • Farben, Buntstifte, Ton, Knete
Detlev Vogel 22.06.2021 28 Geeignete Materialien und Aktivitäten
Detlev Vogel 22.06.2021 29 Was tut die Lehrperson während der Banking Time? 1. Das Kind beobachten 2. Erzählen bzw. beschreiben, was man beobachtet 3. Vermutete Gefühle des Kindes benennen (labeln) 4. Beziehungsbotschaften vermitteln (z.B. «Ich akzeptiere dich, so wie du bist», «Bei mir bist du sicher», «Ich verstehe, deine Signale».
Detlev Vogel 22.06.2021 30 Beobachten Das Kind: • Ziel ist es, das Kind zu verstehen, zu lesen, zu erspüren • Innerlich zurücktreten und wertfrei Beobachten (mitfühlende Annahme) • Verhalten, Sprache, Gestik/ Mimik (vermutliche Gefühle) Mich selbst: • Meine Impulse beobachten (helfen, ermahnen, anregen, etc.) • Meine Gedanken und Gefühle Sitzen – Schauen – Hören!!
Detlev Vogel 22.06.2021 31 Beschreiben (Narrating) • Beschreiben, was das Kind tut (situativ angepasst, nicht fortwährend) • Eher neutrale Betonung • Interesse und Wohlwollen werden durch Lächeln,Mimik, Gestik u.ä. gezeigt • Äusserungen des Kindes leicht abgewandelt wiederholen • Tätigkeiten des Kindes imitieren NICHT bewerten, nicht loben, nicht lehren, nicht motivieren!
Detlev Vogel 22.06.2021 32 Gefühle benennen (Labeln) • Die Lehrperson formuliert vermutete Gefühle des Kindes, z.B. «Das ärgert dich, wenn du den Turm nicht so hinbekommst, wie du möchtest.» • Beim Rollenspiel des Kindes beachten, welche Gefühle das Kind mittels der Figuren ausdrückt und diese verbalisieren. • Die Reaktion des Kindes auf das Labeling beachten und sich anpassen • Labeling hilft den Kindern, eigene Gefühle zu verstehen und zu benennen Einfühlsamkeit und Wohlwollen als Grundlage!
Detlev Vogel 22.06.2021 33 Beziehungsbotschaften vermitteln • Ziel: dem Kind vermitteln, dass mir die Beziehung zu ihm wichtig ist • Mögliche Botschaften: «Ich interessiere mich für dich.» «Ich bin für dich da, auch wenn es schwierig wird.» «Ich lese deine Signale und reagiere auf sie.» • Ich zeige das durch die eben genannten Techniken: Beobachten, Beschreiben, Labeln. Aber vielleicht auch mal durch Nachfragen, durch einen Blick, eine Berührung, etc. Dieser Punkt kann nicht «rezepthaft» umgesetzt werden … immer wieder spüren, welche Themen für das Kind wichtig sind!
Detlev Vogel 22.06.2021 34 Zusammenfassung • Die Banking-Time baut Vertrauen zwischen Lehrperson und Kind auf. Sie zeigt dem Kind, dass es auf diese Zeit zählen kann – unabhängig davon, was in der Klasse passiert • Banking-Time-Sequenzen dienen nicht als Belohnung und werden auch nicht zur Strafe entzogen • Die Rolle der Lehrperson ist die einer interessierten Zuhörerin • Verhaltensstandards sind anders als im Klassenraum Banking Time ist der «sichere Hafen» für das Kind – vielleicht auch für die Lehrperson.
Detlev Vogel 22.06.2021 35 Zu beachten! • Es geht um Beziehungsaufbau: Die Lehrperson zeigt ihre Zugewandtheit, reflektiert dabei auch eigene Gefühle • Banking Time-Regeln bzw. Techniken sind zu beachten und doch spontan und authentisch reagieren! • Zum Beispiel darf die LP auch einmal nachfragen, statt immer nur zu wiederholen – in Massen! • Beide sollen sich in der Banking Time wohlfühlen!
Detlev Vogel 22.06.2021 36 Wirkungen von Banking Time • Verbesserung der L-S-Beziehung (Driscoll & Pianta, 2010; Driscoll et al., 2011) • Reduzierung Verhaltensprobleme (Driscoll & Pianta, 2010; Williford et al., 2017) • Höhere Frustrationstoleranz, stärkere Aufgabenorientierung des Kindes (Driscoll & Pianta, 2010) • Signifikant niederer Cortisolspiegel (Stress-Indikator) (Williford et al., 2017) • Die Effekte der BT sind von den Einstellungen der LP beeinflusst (Driscoll & Pianta, 2010) • Wirkung auf die durchführenden LP: Weniger Negativität in ihren Interaktionen mit Kindern (Williford et al., 2017)
Detlev Vogel 22.06.2021 37 Fallstudie I Masterarbeit (2018), Fallstudie mit 7-jährigem Jungen • Die Beziehung zwischen Schüler und LP hat sich verbessert (STRS) • Der Schüler stört seltener den Unterricht • Der Schüler wendet sich häufiger an die LP, wenn er Unterstützung braucht • Die LP ist motivierter im Umgang mit dem Jungen • Die LP setzt Regeln und Abmachungen konsequenter durch (Schmidli, 2018)
Detlev Vogel 22.06.2021 38 Fallstudie II Masterarbeit (2019), Fallstudie mit 5,7 Jahre altem Mädchen • Die Beziehung zwischen Kind und LP hat sich signifikant verbessert (STRS) • Das Mädchen lag vor der BT bei den Kriterien Kooperationsbereitschaft und Problemverhalten laut Test(BRIEF) deutlich im Risikobereich. Nach der Abschluss der BT war die Kooperationsbereitschaft deutlich über und beim Problemverhalten knapp unter dem Grenzwert • Auch andere Kriterien der sozio-emotionalen Kompetenz haben sich stark verbessert (Oehen Jurt, 2019)
Detlev Vogel 22.06.2021 39 Empirische Studie zu Banking Time und Integrierter Beziehungsförderung an der PH Luzern • Randomisiertes Kontrollgruppendesign • N = 90 Kinder zwischen 4 und 8 Jahren • Fragestellungen: • Verbessert sich durch eine Banking Time Intervention die Beziehungsqualität zu einem Kind mit auffällig eingeschätztem Verhalten aus Sicht der Lehrperson? • Wirkt sich eine Banking Time Intervention positiv auf die Häufigkeit/Intensität von auffälligem Verhalten eines Kindes mit auffällig eingeschätztem Verhalten aus? • Instrumente: STRS (Pianta, 2001), Biko 3-6 (Seeger, Holodynski & Souvignier, 2014), Analyse von videografierten BT-Sequenzen (Vogel & Aeppli, 2020) • Förderung durch Bund (EBGB) • Ergebnisse 2023/24
Detlev Vogel 22.06.2021 40 Herausforderungen • Die «Veränderung des Rollenverhaltens der Lehrperson» (Pianta) weckt bei vielen Lehrpersonen Unsicherheiten • Voraussetzung für eine wirksame Umsetzung ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Konzept und der eigenen Rollenvorstellung • Ideal ist eine Einführung durch eine Weiterbildung plus Online- Coaching während der Umsetzungsphase • Die Versuchung ist gross, «ein bisschen» Banking Time oder IBF zu machen …. Die Kraft dieser Interventionen liegt aber auch in der besonderen Intensität
Detlev Vogel 22.06.2021 41 Gruppenaustausch • Was hat mich angesprochen? • Welche Grundidee steht hinter dem Konzept? • Wie kann ich mir die Umsetzung konkret vorstellen? • Was wäre die grösste Herausforderung?
Detlev Vogel 22.06.2021 42 Teil IV: Integrierte Beziehungsförderung
Detlev Vogel 22.06.2021 43 Integrierte Beziehungsförderung • Alternative zur Banking Time, um eine positive, feinfühlige und unterstützende Beziehung zwischen LP und Kind zu fördern, welche durch schwieriges Verhalten des Kindes erschwert und belastet ist. • Wird in den regulären Ablauf des Unterrichts bzw. des Freispiels integriert. • Die LP schenkt dem betreffenden Kind über das normale Mass hinaus - aber auch ohne dies besonders hervorzuheben - durch etwa 3 - 5 Mini-Interventionen pro Tag besondere Aufmerksamkeit. • Ziel: das Kind fühlt sich bei der Lehrperson sicher und angenommen, auch wenn es sich unangemessen verhält. (Vogel, 2019)
Detlev Vogel 22.06.2021 44 IBF: Mini-Interventionen • Die Lehrperson nimmt die Haltung einer wohlwollenden Mentorin ein, die aufrichtig am Kind interessiert ist. • Gleichzeitig formuliert sie klare Erwartungen. • Der Kern: das Kind soll jederzeit spüren, dass es sich auf die Lehrperson verlassen kann. Wichtig ist dabei: • Die IBF-Mini-Interventionen werden unabhängig vom Verhalten des Kindes umgesetzt, sollten jedoch situativ passen. • Die IBF-Mini-Interventionen werden weder als Belohnung noch als Bestrafung eingesetzt. • Die Lehrperson sollte die Mini-Interventionen möglichst authentisch umsetzen.
Detlev Vogel 22.06.2021 45 Indikatoren Beziehungsförderung Über 6 Wochen sollen jeden Tag 3 - 5 Indikatoren der Beziehungsförderung im Kontakt mit dem Kind zur Anwendung kommen. Markieren Sie, was von Ihnen tatsächlich angewendet wurde. Heute habe ich über mein übliches Mass hinaus … Interaktionsbereiche Nr. Indikator Beziehungsförderung Mo Di Mi Do Fr Feinfühligkeit 1 ... aufmerksam auf Schwierigkeiten des Kindes reagiert und ggf. Unterstützung angeboten, ohne diese aufzudrängen. 2 ... zeitnahe Hilfe bei Fragen und Problemen gegeben u. mich später vergewissert, ob das Problem behoben ist. 3 ... Emotionen des Kindes gespiegelt: meine Mimik und Stimme der Situation angepasst. 4 ... dem Kind geholfen, seine Emotionen zu regulieren (z.B. durch Berührung, beruhigendes Sprechen, ...) und ihm anschließend geholfen, zu einer Tätigkeit zurückzufinden. Positive Kommunikation 5 ... mit warmer und ruhiger Stimme mit dem Kind gesprochen. 6 ... mit dem Kind gelächelt und gelacht; freundliche Gesten oder eine offene Körperhaltung gezeigt. 7 ... Blickkontakt mit dem Kind gesucht (aber nicht erzwungen) – z.B. bei Kontaktaufnahme, beim Helfen, Ermahnen, etc. 8 ... dem Kind bei jeder Frage, Bitte etc. (auch nonverbal) Zeit für eine Reaktion gegeben. Interesse zeigen 9 ... Interesse an Aktivitäten des Kindes außerhalb der Schule gezeigt. 10 ... auf Fragen, Bitte, Gesten, Aussagen etc. des Kindes geantwortet. 11 ... die Gefühle des Kindes wahrgenommen und mich auf sie eingelassen und/ oder Verständnis gezeigt. 12 ... das Tun des Kindes bestätigt und das eigene Zutrauen zum Kind zum Ausdruck gebracht – ggf. durch Blicke. Klare Erwartungen 13 ... Nähe hergestellt, um eine klare Botschaft zu geben. Proaktives Handeln 14 ... positives Verhalten bestätigt (z.B.: "Super Jan, du hast heute ganz ruhig an deiner Aufgabe gearbeitet!"). Umgang mit Störungen 15 ... nonverbale Hinweise für Verhaltensänderungen gegeben (z.B. Blick, Berührung, Präsenz). Selbstverantwortung 16 ... das Kind mithelfen lassen, auch wenn es länger gedauert hat. Mitsprache 17 ... Ideen des Kindes aufgegriffen und/oder weitergeführt. Ausdrucksmöglichkeiten 18 … dem Kind Raum für Kreativität, Spiel und Bewegung gegeben.
Detlev Vogel 22.06.2021 46 Was tun, wenn sich das Kind weiterhin störend verhält? • Vielleicht möchte das Kind schauen, ob die Lehrperson es wirklich ernst meint. Diese vermittelt dennoch die Botschaft: «Bei mir bist du sicher, ich akzeptiere dich und du bist mir wichtig, auch wenn ich dein Verhalten nicht dulde.» • Gleichzeitig formuliert sie klar ihre Erwartungen und/oder gibt – möglichst nonverbal – Hinweise zur Verhaltensänderung (s. Indikatoren 13 und 15). • Die Lehrperson achtet ganz bewusst darauf, dass mögliche Ermahnungen ohne negative Emotionalität, wie Ärger oder Wut kommuniziert werden. Ein sogenannter «Goldener Faden» zum Kind sollte auch in kritischen Situationen immer aufrechterhalten werden.
Detlev Vogel 22.06.2021 47 Teil V Die Bedeutung der Lehrpersonen- Schüler*innen- Beziehung auf Lernen und Verhalten
Detlev Vogel 22.06.2021 48 Wirkungen von Beziehungsqualität auf Schüler/innen • „It`s the teacher!“ Die Qualität der L-S-Beziehung ist eine der stärksten Prädiktoren in Bezug auf Schülerleistungen (d=0,72) (Hattie, 2013) • Lehrpersonen, deren Beziehungen zu Schüler*innen eine hohe Qualität aufweisen, haben 31% weniger auffälliges Verhalten in ihren Klassen. (Marzano et al, 2003) • Für Kinder mit Risikobedingungen sind positive LP- Schüler*innen-Beziehungen besonders wichtig (Wang et al., 2013) • Unterstützende Beziehungen mit Lehrpersonen und anderen Erwachsenen in der Schule haben einen grösseren Einfluss auf das Wohlbefinden von 4.-Klass-Schüler*innen als Beziehungen in der Familie (Oberle et al., 2015)
Detlev Vogel 22.06.2021 49 Nimmt die Bedeutung positiver LP-Schüler*in-Beziehungen mit dem Alter der Kinder ab? Es ist eine verbreitete Annahme, dass vor allem jüngere Kinder besonders auf gute Beziehungen angewiesen sind. ABER: • Die emotionale Qualität der Unterstützung ist einer der wichtigsten Prädiktoren für Schulleistungen bei Jugendlichen, evtl. wichtiger als die didaktische Qualität des Unterrichts (Allen et al., 2013) • Der Effekt der Qualität der LP-Schüler*in-Beziehung auf schulisches Engagement und Schulleistungen ist auf der Sekundarstufe stärker ausgeprägt als auf der der Primarstufe (Roorda et al., 2011). • Die Qualität der LP-Schüler*in-Beziehungen verschlechtert sich über die Schulzeit, insbesondere nach dem Übertritt in die Sekundarschule (Maldonado-Carreno & Votruba-Drzal, 2011).
Detlev Vogel 22.06.2021 50 Effekte der Lehrperson auf Peer-Beziehungen • Präferenzen der Lehrperson für bestimmte Schüler*Innen beeinflussen deren Akzeptanz in der Peer-Gruppe. Die Beziehungsqualität einer Lehrperson zu einem bestimmten Kind sagt dessen spätere Akzeptanz in der Gruppe voraus (Gazelle, 2006). • Kinder und Jugendliche sind gegenüber der differenziellen Behandlung der Lehrperson sehr sensitiv (Weinstein et al., 1987). • Sie nehmen folgende Verhaltensweisen genau wahr: • Ausmass von Lob und Kritik • Ausmass emotionaler Unterstützung • Wartezeit bei Fragen • Häufigkeit des Aufrufens/ «Drannehmens»
Detlev Vogel 22.06.2021 51 Jede lebendige Situation hat ein neues Gesicht, nie dagewesen, nie wiederkehrend. Sie verlangt eine Äußerung von Dir, die nicht schon bereitliegen kann. Sie verlangt nichts, was gewesen ist. Sie verlangt Gegenwart, Verantwortung, Dich. Martin Buber
Detlev Vogel 22.06.2021 52 Weiterbildungsangebote zu Banking Time und Achtsamkeit in der Schule • www.phlu.ch/weiterbildung/volksschule/ • www.achtsameschulen.ch • Sammelband zu Achtsamkeit in der Schule: Vogel, D. & Frischknecht-Tobler, U. (2019). Bern: hep-Verlag.
Detlev Vogel 22.06.2021 53 Quellen: Bodenmann, G. (2017). Ein Krippenbesuch ist erst im Alter von 2 bis 3 Jahren ideal. Tagesanzeiger, 25.10.2017. Bowlby, J. (2014). Bindung als sichere Basis. Grundlagen und Anwendung der Bindungstheorie. München: Reinhardt-Verlag. Brisch, K. H. (1999). Bindungsstörungen: Von der Bindungstheorie zur Therapie. Stuttgart: Klett-Cotta. Brisch, K. H. (2016). Grundschulalter. Bindungspsychotherapie: Bindungsbasierte Beratung und Therapie. Stuttgart: Klett-Cotta. Driscoll, K. C. & Pianta, R. C. (2010). Banking Time in Head Start: Early Efficacy of an Intervention Designed to Promote Supportive Teacher–Child Relationships. Early Education and Development, 21(1), S. 38-27. Driscoll, K. C., Wang, L., Mashburn, A. J. & Pianta, R. C. (2011). Fostering Supportive Teacher–Child Relationships: Intervention Implementation in a State-Funded Preschool Program. Early Education and Development, 22(4), S. 593-619. Gazelle, H. (2006). Class climate moderates peer relations and emotional adjustment in children with an early history of anxious solitude: A child × environment model. Developmental Psychology, 42(6), 1179–1192.
Detlev Vogel 22.06.2021 54 Gasteiger-Klicpera & Kisgen (Hrsg.). (2009). Bindung im Kindesalter. Diagnostik und Interventionen. Göttingen: Hogrefe-Verlag. Harris, A. R., Jennings, P. A., Katz, D. A., Abenavoli, R. M., & Greenberg, M. T. (2016). Promoting stress management an wellbeing in educators: outcomes oft he CALM intervention. Mindfulness, 7 (1) Hattie, J. (2013). Lernen sichtbar machen. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Oberle, E., Schonert-Reichl, K. A., Guhn, M., Zumbo, B. D. & Hertzman, C. (2015). The Role of Supportive Adults in Promoting Positive Development in Middle Childhood: A Population-Based Study. Canadian Journal of School Psychology, 29(4). Oehen Jurt, C. (2019). Banking Time im Kindergarten. PH Luzern: unveröffentlichte Masterarbeit. Maldonado‐Carreño, C. & Votruba‐Drzal, E. (2011). Teacher–Child Relationships and the Development of Academic and Behavioral Skills During Elementary School: A Within‐ and Between‐Child Analysis. Child Development, 82 (2), 601–616. Marzano, R. J., Marzano, J., & Pickering, D. (2003). Classroom Management that Works. Alexandria, VA: ASCD. Pianta, R. C. & Hamre; B. (2001). Banking Time. Preschool Relationship Enhancement Project: Pre-K Manual. Center for Advanced Study of Teaching and Learning. University of Virginia, Charlottesville, VA. Pianta, R. C. (2001). Student-Teacher Relationship Scale: Professional Manual. Odessa, FL: Psychological Assessment Resources, Inc.
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