BGH Facebook KVR 69/19 - Beschluss vom 23.06.2020 - D'Kart
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„Es bestehen keine ernsthaLen Zweifel, dass Facebook durch die vom Bundeskartellamt untersagten Nutzungsbedingungen seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzt.“ „Die beanstandete Datenverarbeitung durch Facebook - BGH, KVR 69/19 lässt keinen relevanten We8bewerbsschaden und auch keine we8bewerbliche Fehlentwicklung besorgen.“ - OLG Düsseldorf, VI-Kart 1/19(V)
Marktmachtmissbrauch § 19 GWB I. Unternehmen II. Marktbeherrschende Stellung, § 18 GWB 1. Relevanter Markt 2. Beherrschende Stellung III. Missbräuchliche Ausnutzung, § 19 GWB 1. Missbrauchsbegriff 2. Fallgruppen (§ 19 II) 3. Kausalität zwischen Stellung und Missbrauch? 4. Abwägung
Marktabgrenzung SACHLICH = NACHFRAGEMARKT RÄUMLICH = FÜR SOZIALE NETZWERKE DEUTSCHLANDWEITER MARKT
Beherrschende Stellung • Anteil von Facebook an den täglich akWven Nutzern von sozialen Netzwerken (2012 bei 90-95 %; 2013 bei 92-97 %; 2017 > 96 %, 2018 > 97 %) • Indirekte (asymmetrische) Netzwerkeffekte • Direkte Netzwerkeffekte -> Lock-in-Effekt • Zugang zu we8bewerbsrelevanten Daten (§ 18 IIIa Nr. 4 GWB) • Kaum/Kein innovaWonsgetriebener We8bewerbsdruck
Missbrauch – Verhaltensweise Missbräuchliche Verhaltensweise: Es „[…] bestehen keine ernstha1en Zweifel, dass Facebook mit den vom Bundeskartellamt untersagten Nutzungsbedingungen seine marktbeherrschende Stellung dadurch missbräuchlich ausnutzt, dass die private Nutzung des Netzwerks von der Befugnis Facebooks abhängig gemacht wird, ohne weitere Einwilligung der Nutzer außerhalb von facebook.com generierte nutzer- und nutzergerätebezogene Daten (im Folgenden: "Off- Facebook"-Daten) mit den personenbezogenen Daten zu verknüpfen, die aus der Facebook-Nutzung selbst entstehen, und solche verknüp1en Daten zu verarbeiten.“ (Rn. 53) Ø sog. aufgedrängte Leistungserweiterung
Missbrauch – Verhaltensweise Aufgedrängte Leistungserweiterung? Den Plahormnutzern wird ein Leistungsinhalt aufgedrängt, den sie möglicherweise nicht wünschen und für den sie jedenfalls nicht den Zugriff von Facebook auf personenbezogene Daten in Kauf nehmen möchten, die sie Facebook nicht zur Verfügung gestellt haben. Ø KondiWonenmissbrauch iSd. § 19 I
Missbrauch – Wettbewerbsschädlichkeit Ist diese aufgedrängte Leistungserweiterung we5bewerbsschädlich? Die aufgedrängte Leistungserweiterung als solche indiziert noch keine Gefährdung der Schutzgüter des GWBs aber (+), wenn sie sich als Ausbeutung der Abnehmer oder als Behinderung des We8bewerbs erweist Laut BGH: Ausbeutung der Abnehmer (+) und we8bewerbsbehindernde Wirkung (+)
1. Ausbeutungsmissbrauch – OLG Düsseldorf Ausbeutungsmissbrauch (-), weil: 1. Kein Kontrollverlust des Nutzers über seine Daten 2. Keine Zwangslage des Nutzers 3. Kartellrechtliche Bedenken enmallen aufgrund von Unentgeltlichkeit
2. Behinderungsmissbrauch – OLG Düsseldorf Behinderungsmissbrauch (-), weil: 1. Daten erschöpfen sich nicht und stehen (theoreWsch) auch anderen Unternehmen zur Verfügung 2. Andere Unternehmen (Google +) verfügen über größere Datensätze 3. Der Markt der Online-Werbung sei vom Markt sozialer Netzwerke zu trennen
1. Ausbeutungsmissbrauch - BGH Ausbeutungsmissbrauch (+), weil: 1. Nutzer haben keine Wahlfreiheit über Personalisierung 2. Für Teilhabe an sozialem Leben können Nutzer gezwungen sein 3. Daten stellen sehr wohl eine ökonomische Gegenleistung auf anderer Marktseite dar (à Mehrseitige Märkte)
2. Behinderungsmissbrauch - BGH Behinderungsmissbrauch (+), weil: 1. Erhebliche Netzwerkeffekte führen zu Marktzutri8sbarrieren 2. We8bewerbsfähigkeit aktueller/potenWeller We8bewerber 3. BeeinträchWgung des Marktes für Online-Werbung ist nicht auszuschließen Ø Ausbeutungsmissbrauch mit Behinderungswirkung
Missbrauch – Kausalität Kausalität zwischen Marktbeherrschung und Vertragskonditionen (Konditionenmissbrauch iSd. § 19) OLG Düsseldorf: instrumentelle Kausalität (Verhaltenskausalität): die Voraussetzung dieser Kausalität wird unterschiedlich beurteilt BGH: normative Kausalität (Ergebniskausalität): die Verhaltensweise ist zwar grundsätzlich jedem Unternehmen möglich ist, aber nur bei marktbeherrschenden Unternehmen stellen sich schädliche Auswirkungen auf den Wettbewerb ein
Missbrauch – Abwägung Würdigung und Abwägung der betroffenen Interessen unter BerücksichCgung der auf die Freiheit des We5bewerbs gerichteten Zielsetzung des GWBs • RWK der verwendeten VertragskondiWonen • Schutzwürdigkeit der Nutzer in ihrer autonomen Entscheidungshoheit • Facebook als InsWtuWon, die Teilhabe der Menschen am gesellschaLlichen Leben sichert; keine Zumutung darauf zu verzichten • Verfassungsrechtlich garanWertes Recht auf informaWonelle SelbstbesWmmung = Ausstrahlungswirkung auf private Rechtsbeziehungen iVm. DSGVO
Wahlfreiheit des Verbrauchers Anknüpfungspunkt für Marktmachtmissbrauch: • BKartA Ø Verstoß gegen DSGVO = Verstoß gegen Missbrauchsverbot, wenn Marktbeherrschung • BGH Ø Marktmachtmissbrauch durch mangelnde Wahlfreiheit der Nutzer zwischen unterschiedlich datenintensiven Arten des Netzwerkzugangs
Fehlende Wahlfreiheit der Nutzer Nutzer haben keine Wahlmöglichkeit zwischen • intensiv personalisiertem Nutzererlebnis • weniger personalisiertem Erlebnis auf und Basis nur ihrer On-Facebook Daten, mit entsprechendem Zugriff Facebooks auch auf Off-Facebook Daten welche sie selbst auf Facebook preisgeben Ø Aufgedrängte Leistungserweiterung
Fehlende Wahlfreiheit der Nutzer Warum stellt die fehlende Wahlfreiheit ein Problem dar?
Der Verbraucher im Zentrum des we3bewerblichen Prozesses • Ordoliberalismus: Sicherung der individuellen Freiheit vor der wirtschaLlichen Macht • Später: Entwicklung eher weg vom Verbraucher als zentralem Marktakteur und Entscheider • Aktuell: Tendenz wieder hin zu mehr Nutzerautonomie und Wahlrecht, auch durch die Entscheidung des BGH • Verbraucher als „Schiedsrichter“ • Verbraucher als entscheidender Marktakteur • „consumer choice“
Wahlfreiheit des Verbrauchers - Fazit • das „take it or leave it”-Modell von Facebook steht im Konflikt mit einer informierten, bewussten Auswahlentscheidung durch den Nutzer • Wie wird sich die Rolle des Verbrauchers im Kartellrecht weiterentwickeln?
Konkurrenz zum Datenschutzrecht AusgangsproblemaBk: Unterfällt ein Verstoß gegen Datenschutzrecht der Zuständigkeit des BKartA? BKartA: (+) Ansicht Facebooks: (-)
Lösung des BGH • Nutzer haben grds. eine substanWelle Entscheidungsbefugnis über die Verwendung ihrer personenbezogenen Daten Ø Rechtsgedanke des Art. 6 I DSGVO • Art 6 I DSGVO macht die Zulässigkeit der Datenverarbeitung von der vertraglichen Grundlage der Rechtsbeziehung abhängig Ø gibt aber keinen besSmmten Inhalt der Vertragsbeziehung vor = Keine Anwendung des DSGVO • ABER: datenschutzrechtliche Wertungen können bei einer Interessensabwägung an Bedeutung gewinnen
Konkurrenz zum Datenschutzrecht • Es besteht kein Zweifel an der Zuständigkeit des BKartA • §32 GWB (+) • Datenschutzrechtliche Erwägungen sind bei der Anwendung des Kartellrechts zu beachten • Verstoß gegen DSGVO ist nicht ausschlaggebend
Grundrechtsbindung
Wie der BGH Facebooks Geschäftsmodell sieht FB bietet gesellschaftlich relevantes Kommunikationsforum „Das soziale Netzwerk ist eine wichtige gesellschaftliche Kommunikationsform. Die Nutzung des zum Zweck desgegenseitigen Austauschs und der Meinungsäußerung eröffneten Forums ist wegen der hohen Anzahl der Nutzer und der Netzwerkeffekte (Rn. 44) von besonderer Bedeutung“ Rn. 102 Ø Anwendung eines verschärften Maßstabs
Grundrechtsbindung • Bindung an Recht auf informaWonelle SelbstbesWmmung (Art. 2 I iVm. Art. 1 I GG) „Je nach den Umständen, insbesondere wenn private Unternehmen – wie hier – in eine dominante PosiRon rücken und die Bereitstellung schon der Rahmenbedingungen öffentlicher KommunikaRon selbst übernehmen, kann die Grundrechtsbindung Privater einer Grundrechtsbindung des Staats im Ergebnis vielmehr nahe- oder auch gleichkommen“ Rn. 105 • Recht auf unternehmerische Sorgfalt zu Gunsten FB außer Acht gelassen
Das Recht auf informa:onelle Selbstbes:mmung • Gewährleistung einer substantiellen Entscheidungsbefugnis des Einzelnen über Verwendung der personenbezogenen Daten • Kein allumfassendes Selbstbestimmungsrecht • auch durch Art. 6 I DSGVO umgesetzt • System der „aufgedrängten Leistungserweiterung“ wird dem nicht gerecht Ø Abwägung im Ergebnis zu Lasten Facebooks
Zusammenfassung • Missbrauchsfall (-), der auf einem Verstoß gegen die DSGVO beruht (Arg. des BKartA) • Sondern KondiWonenmissbrauch durch „aufgedrängte Leistungserweiterung“ -> Behinderung von We8bewerbern und fehlende verfassungsrechtlich garanWerte Wahlmöglichkeit der Nutzer • Kompetenzüberschreitung?
Forschungsfrage Wird das Datenschutzrecht in der digitalen Zukunft auch kartellrechtlich durchgesetzt werden können?
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