Bildungsbrücken bauen - vhs-Bildungsangebote für rückkehrinteressierte Geflüchtete - Volkshochschule
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Deutscher Volkshochschul-Verband Bildungsbrücken bauen vhs-Bildungsangebote für rückkehrinteressierte Geflüchtete
Vorwort Vorwort von Prof. Dr. Rita Süssmuth Volkshochschule – das bedeutet Bildung für alle, unabhängig von sozialer Schicht, Geschlecht, Bildungsabschluss und Alter, Religion, Weltanschauung und Staatsangehörigkeit. Es gehört zum Grundverständnis der Volkshoch- schulen, dass niemand ausgeschlossen sein darf, der das Grundgesetz und die Menschenrechte respektiert. Denn Volkshochschulen trennen nicht, sondern verbinden. In diesem Sinne begleiten Volkshochschulen als zentrale Akteurinnen für die Arbeit Das Modellprojekt „Bildungsbrücken bauen. Weiterbildung für Rückkehrer*innen“ mit Geflüchteten in Deutschland Migrant*innen unabhängig von ihrem Aufenthalts- des Deutschen Volkshochschul-Verbandes hat uns gezeigt, dass die freiwillige titel und Status entlang des gesamten Migrationszyklus und verbinden damit den Rückkehr ein Bereich ist, in dem noch erhebliche Spielräume genutzt werden müs- Grundgedanken der Befähigung von Menschen und ihr entwicklungspolitisches Ver- sen. Auch die Verknüpfung von nationaler und internationaler Bildungsarbeit im Be- ständnis. Das bedeutet, auch das Thema „Rückkehr von Migrant*innen“ in den Blick reich der Rückkehr und Reintegration muss durch Kommunikation, Koordination und zu nehmen. Dabei gilt es, die Menschen mit ihren mitgebrachten Kompetenzen und Kooperation auf allen Ebenen weiter vorangebracht werden, wie dies beispielhaft den notwendig zu ergänzenden kognitiven und praktischen Fähigkeiten zu erfas- durch die Zusammenarbeit der Bundesgeschäftsstelle und dem internationalen Ins- sen. Das war ein Feld von Entdeckungsgeschichten. Zugleich integrativ und ent- titut im Deutschen Volkshochschul-Verband angestoßen wurde. wicklungsfördernd. Begreifen wir Zuwanderung als jede Form von Migration - auch diejenigen, die nur vorübergehenden Charakter haben - so ist es gleichsam wichtig, Die vorliegende Publikation erscheint im Zuge einer Phase bedeutender weltpoliti- auch Menschen, die sich aus unterschiedlichsten Gründen für eine freiwillige Rück- scher Veränderungen nach der ersten Fluchtbewegung in 2015/2016, die das Mig- kehr und Reintegration in den Heimatstaat oder die Heimatregion entschieden ha- rationsgeschehen in Deutschland und der Welt nachhaltig geprägt hat. Wir stehen ben, zu fördern und mit Bildungsangeboten zu versorgen. vor neuen Herausforderungen wechselseitigen Lernens. Aber damit haben wir die Chance, uns innovativ weiterzuentwickeln. Daher sind die präsentierten Ergebnisse Lernen in der Volkshochschule beruht weitgehend auf Freiwilligkeit: der Freiheit, das gewiss richtungsweisend in der zukünftigen Bildungsarbeit mit rückkehrinteressier- zu wählen, was dem individuellen Bildungsbedürfnis entspricht. Basierend auf die- ten Geflüchteten. sem Prinzip der Freiwilligkeit bieten Volkshochschulen Migrant*innen unabhängig von ihrer Aufenthaltsentscheidung Bildungschancen und Teilhabemöglichkeiten und stärken sie in ihrer Handlungsfähigkeit während der schwierigen Phase und großen Verletzlichkeit eines Rückkehrprozesses. Die freiwillige Ausreise hat stets Vorrang vor der Abschiebung und erscheint das wichtigere und erfolgreichere Modell der Rückkehr in das Herkunftsland zu sein. Rückkehrpolitik muss sich an den Menschenrechten orientieren und dazu gehört auch das Recht auf Bildung. Dementsprechend haben Volkshochschulen bundesweit mit Toleranz, Akzeptanz und wechselseitigem Respekt Weiterbildungsmöglichkeiten für rückkehrinteressier- te Geflüchtete geschaffen und somit vielen Menschen über das Lernen eine zweite Chance ermöglicht. An dieser Stelle möchte ich den Volkshochschulen, die sich an dieses schwierige Thema gewagt und bedarfsorientierte Weiterbildungskonzepte für die Zielgruppe rückkehrinteressierter Geflüchteter entwickelt und umgesetzt haben, meinen Dank und meine Anerkennung aussprechen. Prof. Dr. Rita Süssmuth Ehrenpräsidentin des Deutschen Volkshochschul- Verbandes e.V. 3
Verzeichnis Verzeichnis Verzeichnis 02 Vorwort von Prof. Dr. Rita Süssmuth 06 Einleitung des Teams „Bildungsbrücken bauen“ 08 Volkshochschulen und DVV International bauen Bildungsbrücken Auszug aus: weiter bilden. DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung 10 Kapitel 1: Bildungsbrücken bauen – Unser Weiterbildungskonzept 29 Bildungsbrücken bauen Kompetenzorientierte Weiterbildung im Kontext von Rückkehr und Reintegration Auszug aus: weiter bilden. DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung 30 Kapitel 2: Aller Anfang ist schwer – Lessons Learned der Volkshochschulen 56 Kapitel 3: Praxisbeispiele 62 Bildungsangebote für geflüchtete Frauen: Warum es auf die Rahmenbedingungen ankommt Auszug aus: dis.kurs. 70 Kapitel 4: Der Blick über den Tellerrand – Transnationale Begleitung 74 Perspektiven auf Migration und Re-Integration in Marokko Auszug aus: dis.kurs. 78 Zusammenfassung und Ausblick 82 Materialsammlung 87 Impressum © Nola Bunke 5
Einleitung Bildungsbrücken Bildungsbrücken für Geflüchtete für Geflüchtete Eine Einleitung durch das Projekt-Team des DVV Volkshochschule und freiwillige Rückkehr – passt das zusam- Natürlich arbeiten wir eng mit unseren Kolleg*innen aus dem men? Diese Frage stellten wir uns, als wir Anfang 2018 als Internationalen Institut des DVV (DVV International) zusam- neues Team „Bildungsbrücken bauen“ zusammen kamen, um men, die sozusagen auf der anderen Seite die zurückgekehr- die Projektumsetzung gemeinsam mit den ersten Pilot-Volks- ten Geflüchteten in Marokko und Afghanistan betreuen und hochschulen aus Mannheim, Stuttgart, Braunschweig und uns wertvolle Rückmeldungen zu unseren geplanten Inhalten Bad Segeberg zu planen. und Methoden geliefert haben. Vielen Dank hierfür! Bereits im Vorfeld war deutlich, dass der Themenkomplex der Wie die Umsetzung des Projekts gelungen ist, welche Heraus- (freiwilligen) Rückkehr von Geflüchteten in ihre Herkunftslän- forderungen es gab und welcher Mehrwert für die Kursteilneh- der ein politisch und gesellschaftlich sehr sensibles Thema menden entstanden ist, kann im Folgenden und insbesondere ist und auch bei den Volkshochschulen und ihren Verbänden unter den Praxisbeispielen nachgelesen werden. kontrovers diskutiert wird. Vor allem einige Akteur*innen aus der Flüchtlingsarbeit, mit denen die vhs eng zusammen ar- Über Instrumente wie den Stärkenatlas als Tool zur Kompe- beiten, sehen die Abgrenzung zum Thema Abschiebung als tenzfeststellung sowie durch partizipative und interkulturell- schwierig an. didaktische Lehr- und Lernmaterialien – beides entstand im Laufe des Projekts abgestimmt auf unsere Zielgruppe – schu- Gemeinsam haben Projektteam und Pilotvolkshochschulen len wir digital und in Präsenz nicht nur Kursteilnehmer*innen, die Herangehensweise an das Thema, die Umsetzung in sondern auch die Lehrkräfte und Coaches aus der Volkshoch- konkrete Bildungsarbeit vor Ort und die gemeinsame Positio- schulwelt und darüber hinaus Trainer*innen anderer reinteg- nierung gleich zu Beginn im Rahmen eines Auftaktworkshops rationsvorbereitender Bildungsträger in Deutschland. Die Ma- festgelegt. Gefördert durch die Gesellschaft für Internationale terialien werden mittlerweile mit großem Interesse auch von Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des Bundesminis- einer breiteren Zielgruppe in der Bildungsarbeit mit Geflüchte- teriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ten angefragt und genutzt. (BMZ) verfolgen wir eine entwicklungspolitische Zielsetzung. Bildungschancen für Rückkehrer*innen, die bereits vor der Wir möchten uns ganz herzlich bei den am Projekt beteiligten Ausreise genutzt werden, können im Sinne einer entwick- Volkshochschulen in Bad Segeberg, Hagen, Meppen, Braun- lungsorientierten Migration und einem Wissenstransfer einen schweig, Kusel, Mannheim, Stuttgart und Mainz-Bingen und wichtigen Beitrag zu einer verbesserten Lebensperspektive den entsprechenden Kolleginnen und Kollegen bedanken. des einzelnen Menschen erbringen. Wir wollen die Augen Eure Kreativität, Flexibilität und hohe Frustrationstoleranz so- nicht vor der politischen Realität verschließen und betrachten wie ein unermüdlicher Einsatz hat die erfolgreiche Umsetzung Migrationsprozesse ganzheitlich – also auch Rückkehr und erst möglich gemacht! Reintegration. Somit war das Ziel festgesteckt, rückkehrinte- ressierten Geflüchteten bei ihrer schwierigen Entscheidung Selbstverständlich danken wir auch unseren Ansprechpart- und während dieser oftmals von Ungewissheit geprägten Pha- ner*innen der GIZ, die uns mit Rat und Tat zur Seite standen. se unterstützend zur Seite zu stehen. Es war ein Prozess des gemeinsamen Lernens und Entwi- ckelns. Durch niedrigschwellige und bedarfsorientierte vier- bis acht- wöchige Bildungsangebote und psychosoziales Coaching ver- In dieser Broschüre haben wir unsere Erfahrungen und die Er- suchen wir die Bildungskette an allen Stationen der Wande- gebnisse des zweijährigen Projekts „Bildungsbrücken bauen. rungsbewegungen von Geflüchteten zu schließen. Wichtig ist Weiterbildung für Rückkehrer*innen“ zusammengetragen und uns hierbei, dass unsere Teilnehmer*innen unabhängig von hoffen, damit wertvolle Einblicke in die Bildungsarbeit mit rück- ihrem asylpolitischen Status und ihrer Bleibeperspektive einen kehrinteressierten Geflüchteten geben zu können und Anreize Bildungszugang erhalten und somit ein Stück ihrer Entschei- zu schaffen, eigene Bildungsangebote für diese Zielgruppe zu dungsfähigkeit und Handlungsmacht zurückbekommen und konzipieren. zu einer positiven Selbstwahrnehmung zurückfinden. Wir wünschen eine spannende Lektüre! Bonn, 2020 © Getty Image / ozgurdonmaz 7
Aus: weiter bilden. DIE Zeit- schrift für Erwach- senenbildung. Ausgabe 3/2018. Volkshochschulen und DVV International bauen Bildungsbrücken Stephanie Becker Sascha Rex Menschen, die sich auf der Flucht befinden, sind auch für die Hierbei ist wichtig, die Menschen auch nach der Ankunft im Da die Chancen auf Beschäftigung im Herkunftsland höher DVV International haben deshalb die gemeinsame Publikation Erwachsenenbildung eine Herausforderung. Die Frage da- Herkunftsland zu begleiten. sind, wenn die eigene Qualifikation den Bedürfnissen des dor- »Menschen auf der Flucht: Eine Herausforderung für die Er- nach, wie Integration gelingen kann, und nach den Aufgaben tigen Arbeitsmarktes angepasst ist, sind die Weiterbildungen wachsenenbildung« veröffentlicht (→ http://bit.do/dvv-flucht), der Erwachsenenbildung lenkt inzwischen den Blick verstärkt In diesem Sinne versteht der DVV Bildungsangebote auch für niedrigschwellig, praxisnah und arbeitsmarktorientiert. Sie die sowohl die nationalen Erfahrungen als auch die interna- auch auf die Herkunfts- und Transitländer und die dortige Ar- Menschen ohne Bleibeperspektive als eine lohnende Inves- sollen gezielt für einkommensschaffende Maßnahmen quali- tionale Bildungsarbeit mit Zuflucht suchenden Menschen er- beit. Für die Volkshochschulen besteht die Chance, vom inter- tition. Gut ausgebildete Rückkehrer / innen aus Deutschland fizieren. läutert. nationalen Wirken ihres Verbandes zu profitieren, denn DVV können nämlich die nachhaltige Entwicklung der Herkunftslän- International ist seit Jahren in den Aufnahmeländern Jorda- der fördern. Dementsprechend entwickelt DVV International Zu Beginn der Maßnahme haben die Teilnehmenden die Mög- Dieser Beitrag ist bereits erschienen in: nien und Türkei, in Afghanistan sowie in den Maghrebstaaten mit Fördermitteln der Gesellschaft für Internationale Zusam- lichkeit, mithilfe des »Stärkenatlas« ihre Stärken zu erforschen weiter bilden. DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung. mit Bildungspartnern aktiv. Erkenntnisse in Bezug auf Lern- menarbeit (GIZ) GmbH seit Januar 2018 in Afghanistan und und ihre – auch informell erworbenen – Kompetenzen zu do- Ausgabe 3/2018. gewohnheiten, Bildungssysteme vor Ort und vieles mehr kön- Marokko maßgeschneiderte Bildungsprogramme für Rück- kumentieren. Ergänzt wird die Qualifizierungsmaßnahme von nen durch gezielten Austausch für die Tätigkeit in Deutschland kehrende. Die Aktivitäten sind Teil der zivilgesellschaftlichen einer durchgängigen, individuellen psychosozialen Beglei- nutzbar gemacht werden. Komponente des Rückkehrer-Programms des Bundesminis- tung. Somit ist die Fortbildung nicht nur relevant für die wirt- teriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung schaftliche Reintegration im Herkunftsland, sondern sie stärkt In der Diskussion um die deutsche Flüchtlingspolitik rückt seit (BMZ). auch den Selbstwert der Rückkehrer/innen. 2017 zunehmend die freiwillige Rückkehr von Geflüchteten in ihre Herkunftsländer in den Fokus. Dabei stellt sich die Frage, Parallel führt die Bundesgeschäftsstelle des DVV im gleichen Die Teilnehmenden profitieren zudem von einem gezielten welchen Stellenwert Bildungsimpulse und berufsqualifizieren- BMZ-Programm das Projekt »Weiterbildung für Rückkeh- Erfahrungsaustausch zwischen den Volkshochschulen und de Weiterbildungen innerhalb der Reintegrationsvorbereitung rer / innen« an der Schnittstelle zwischen nationaler und inter- Partnereinrichtungen von DVV International. Hierüber sollen einnehmen. Denn zu den Herausforderungen nach der Rück- nationaler Arbeit durch. Zielgruppe sind alle Menschen, die Bildungsbrücken zwischen Deutschland und den Herkunfts- kehr gehört die Wiedereingliederung in die Gemeinschaft und an einer freiwilligen Rückkehr in ihr Herkunftsland interessiert regionen im Rahmen der lokalen Bildungssysteme gebaut das eigene sozioökonomische Umfeld. So komplex die Ent- sind. Das Fortbildungsangebot, bestehend aus persönlichen, werden, die eine Fortführung der Weiterbildung vor Ort be- scheidung zurückzukehren ist, so vielschichtig ist auch der allgemeinen und beruflichen Elementen, zeichnet sich durch günstigen. Prozess der Reintegration. Die Situation im Herkunftsland, die eine hohe Zielgruppenorientierung aus. Die Module werden in Dauer der Abwesenheit, die eigene Qualifikation und das vor- einem partizipativen Prozess mit potenziellen Teilnehmenden Ein wichtiger Schritt in Richtung einer besseren Verknüpfung handene soziale und finanzielle Kapital spielen eine wesentli- und lokalen Fachleuten wie zum Beispiel Rückkehrberater / in- der Erwachsenenbildung im In- und Ausland besteht darin, che Rolle. Je gründlicher jedoch die Rückkehrentscheidung nen konzipiert. Wissen und Netzwerke aus dem Ausland für die Inlandsarbeit geplant wird, desto positiver verläuft meist die Reintegration. nutzbar zu machen. Die Bundesgeschäftsstelle des DVV und 8 9
Kapitel 1 Kapitel 1 Bildungsbrücken bauen – Unser Weiterbildungskonzept Volkshochschulen als kommunale Weiterbildungszentren be- Freiwillige Rückkehr – was bedeutet das? reichern mit innovativen Projekten die kommunale Bildungs- Der Begriff Migration umspannt eine ganze Bandbreite an Be- landschaft und fördern somit das Potenzial ihrer jeweiligen wegungen und Situationen von Menschen. Die Integration in Region. Auch beim Projekt „Bildungsbrücken bauen – Wei- einem Aufnahmeland steht zwar oftmals im Fokus der Debat- terbildung für Rückkehrer*innen“ handelt es sich um ein neu- te, sie stellt aber nicht immer den Schlusspunkt der Wande- artiges Projekt für die Volkshochschulen und ihre Kommunen rungsbewegungen geflüchteter Menschen dar. Es sind ver- - nicht nur bei der Herangehensweise und Erarbeitung des schiedene Wanderungsbewegungen möglich, die sowohl die Curriculums und Unterrichts, sondern auch in Bezug auf die Integration in einem Aufnahmeland, als auch die Rückkehr Zielgruppe. Volkshochschulen setzen sich bereits seit Jahr- und die Reintegration in den Heimatstaat oder die Heimatregi- zehnten für die Bildungsteilhabe von Menschen mit Zuwande- on beinhalten können. Gemäß der Allgemeinen Erklärung der rungsgeschichte ein. Dabei wird die Bildungsarbeit der Volks- Menschenrechte der Vereinten Nationen haben Geflüchtete hochschulen und ihrer Verbände in der Migrationsgesellschaft ein Recht auf Rückkehr. Auf dieser Grundlage unterstützt die durch Vielfalt, Teilhabe und Chancengleichheit geprägt. Wäh- Internationale Organisation für Migration (IOM) der Vereinten rend es sich hierbei vorwiegend um die Integrationsarbeit und Nationen weltweit Migrant*innen bei ihrer Rückkehr. die sprachliche, soziale und berufliche Eingliederung in die deutsche Aufnahmegesellschaft handelt, nimmt das Projekt „Bildungsbrücken bauen. Weiterbildung für Rückkehrer*innen“ das Thema der (freiwilligen) Rückkehr und somit Menschen, die in ihre Herkunftsgesellschaft (re)integriert werden, in den Blick. Reintegration in Migrations- das Heimatland ursache Rückkehr in Wanderungs- das Heimatland bewegung Ankunft im Aufnahmeland Integration in das Aufnahmeland Stationen eines Migrationszyklus/Eigene Darstellung © Nola Bunke 11
Kapitel 1 Kapitel 1 Migrantinnen Migrantinnen und Migranten, und Migranten, die freiwillig die unfreiwillig zurückkehren zurückkehren müssen Rückkererinnen und Rückkehrer Diaspora- mitglieder der Migrantinnen 2. (und 3.) Generation, und Migranten, die das Herkunftsland deren Rückkehr ihrer Eltern mit- „freiwillig, aber gestalten wollen unvermeidbar“ ist Warum kehren Geflüchtete zurück? Rückkehr und Reintegration aus migrantischer Perspektive. Grafik: Eigene Darstellung/Meike Woller nach Haase/Hohnerath 2016 reaktivieren und vieles mehr. Hinzu kommt, dass sich das Her- früheren sozialen und wirtschaftlichen Rollen zu „verankern“ kunftsland, aber auch die Geflüchteten selbst, verändert ha- oder „zu verwurzeln“ (vgl. UNHCR 2008). Um Rückkehrerin- ben. Rückkehr ist keine einfache Umkehrung von Vertreibung, nen und Rückkehrern für diese Herausforderungen zu rüsten, sondern ein dynamischer Prozess. Reintegration besteht nicht müssen ihre persönlichen, beruflichen und sozialen Kompe- darin, Rückkehrende an ihren Herkunftsorten oder in ihren tenzen gestärkt werden. Rückkehr und Reintegration sind komplexe Prozesse, die für hat den Vorteil, dass sie planbar ist und den Betroffenen eine Geflüchtete in prekären Lebenssituationen mit Instabilität und relative Handlungsmacht einräumt. Deshalb hat die „Rück- Unsicherheit verbunden sind. Ebenso wie Geflüchtete keine homogene Gruppe darstellen, unterscheiden sich auch Rück- kehr in Würde“ im Asylrecht grundsätzlich Vorrang vor einer Abschiebung. Informationen zum Thema freiwillige Rückkehr kehrende in ihrer spezifischen Ausgangssituation und Motiva- tion. Die Entscheidung zurückzukehren kann auf sehr unter- Rückkehr endet jedoch nicht mit der Ausreise, sondern ist viel- Geflüchtete, die in Deutschland eine schlechte oder keine Bleibeperspektive haben, können sich für eine organisierte Rück- schiedlichen Gründen basieren, die mit unterschiedlichen mehr Ausgangspunkt eines längeren (Re)-Integrationsprozes- kehr ins Herkunftsland entscheiden. Im Jahr 2018 wurden 15.962 Personen über das von Bund und Ländern finanzierte REAG/ Freiwilligkeitsgraden verbunden sind: fehlende Perspektiven ses, der sich im Herkunftsland fortführt. Bei der Entscheidung, GARP-Programm bei ihrer Ausreise gefördert. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist zuständig für die Kon- für einen Verbleib in Deutschland (Duldung oder Abschie- Deutschland als Aufnahmeland unfreiwillig oder freiwillig zu zeption und Durchführung von Programmen zur Förderung der freiwilligen Rückkehr. Konkret gibt es die folgenden zentralen bung), schwieriger Zugang zum Arbeitsmarkt, langwierige Bil- verlassen, stehen Geflüchtete vor einer Vielzahl an Herausfor- Rückkehr- und Reintegrationsprogramme. dungswege, aber auch Heimweh nach Familie und Freund*in- derungen. Sie müssen ihre Rückkehr organisieren, sich über nen, Stabilisierung der Lebensbedingungen im Herkunftsland die Lebensbedingungen und aktuelle Lage in ihrem Heimat- REAG/GARP: „Reintegration and Emigration Programme for ERIN: „European Reintegration Network“, ist seit 2016 ein ge- oder der Wille, zum Wiederaufbau und der Entwicklung des land informieren, sich um eine Unterkunft, Einkommensquel- Asylum Seekers in Germany/ Government Assisted Repa- meinsames Reintegrationsprogramm von europäischen Part- Heimatlandes beitragen zu wollen. Die freiwillige Rückkehr len, Versorgung der Kinder kümmern, ihr soziales Netzwerk triation Programme”, bietet seit 1979 organisatorische und nerstaaten unter der Leitung der Niederlande. Das Programm finanzielle Hilfe bei der freiwilligen Rückkehr an. Seitdem wur- wird weitgehend durch die Europäische Union finanziert und den fast 700.000 freiwillige Ausreisen in mehr als 100 Länder leistet individuelle Unterstützung nach der Rückkehr in das unterstützt. Herkunftsland. Starthilfe Plus: Dieses Programm des Bundes wurde im Feb- URA: (albanisch für Brücke) Das Projekt richtet sich an ko- ruar 2017 in Ergänzung des Bund-Länder-Programms REAG/ sovarische Rückkehrerinnen und Rückkehrer und bietet um- GARP als zusätzliche finanzielle Unterstützung für freiwillige fassende Beratungsleistungen und zahlreiche Angebote zur Rückkehrer/innen eingeführt Reintegration und Unterstützung an. Ein umfassendes Informationsangebot zur freiwilligen Rückkehr ist auf den Seiten des BAMF sowie auf www.startfinder.de und auf www.returningfromgermany.de zu finden. 12
Kapitel 1 Kapitel 1 Das Konzept unserer „Bildungsbrücken“ Gefördert von der Gesellschaft für Internationale Zusammen- heim, dem Kreis Kusel, Stuttgart und dem Kreis Mainz-Bingen Zusätzlich, und entsprechend dem Leitbild der Volkshoch- Projektende und für die breitere Zielgruppe (rückkehrinteres- arbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für vier- bis achtwöchige niedrigschwellige Bildungsangebote für schulen mit einem Fokus auf Weiterbildung und ihrer päda- sierter) Geflüchteter zum Einsatz kommen können. Diese Ma- wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat rückkehrinteressierte Geflüchtete in dem Zeitraum von Januar gogischen Kompetenz, sind auch über die reinen Bildungs- terialsammlung ist für Interessierte am Ende dieser Broschüre der DVV gemeinsam mit insgesamt acht Volkshochschulen 2018 bis November 2020 umgesetzt. angebote für Geflüchtete hinaus Methoden, Schulungen und noch einmal im Detail und mit entsprechenden Verlinkungen in Bad Segeberg, Braunschweig, Meppen, Hagen, Mann- Materialien entstanden und es wurden Lehrkräfte, Multiplika- und Hinweisen aufgeführt. tor*innen sowie Ehrenamtliche geschult, die auch noch nach Anzahl der Teilnehmer*innen pro Jahr Hauptherkunftsländer der Teilnehmer*innen 400 352 350 300 269 250 200 2018 2019 150 2020 100 Gesamt 50 40 43 0 Teilnehmer*innen Das Ziel der niedrigschwelligen Weiterbildungsangebote ist zen, ihre Rückkehr zu erleichtern und die Ausgangssituation es, freiwillige Rückkehrer*innen hinsichtlich ihrer persönli- für die Reintegration in ihrer Heimat zu verbessern. chen, allgemeinen und beruflichen Kompetenzen zu unterstüt- Über 20 TN insgesamt 10 bis 20 TN insgesamt Bis 10 TN insgesamt Bildungsgrad der Teilneh- menden: niedrig, meist 40% weibliche Schulbildung bis 14 Jahre, Teilnehmerinnen vereinzelt nicht alphabetisiert Dominierende Altersgruppe 21-35 Jahre Mit den Lernangeboten in Deutschland soll eine „Weiterbil- kehrländern vermittelt werden. Diese Vermittlung basiert in- dungskette“ begonnen werden. Teilnehmer*innen sollen im nerhalb des DVV auf der Verbindung der nationalen Arbeit mit Anschluss und in Kontinuität an geeignete Weiterbildungsor- dem internationalen Bereich, der durch DVV International ge- ganisationen und –angeboten in ihren Herkunfts- und Rück- leistet und verantwortet wird. 14 15
Kapitel 1 Kapitel 1 Zweigliedriger Aufbau: Berufliche Kompetenz und persönliches Empowerment Entsprechend der Bedarfe der volatilen Zielgruppe, hat das Kompetenzen und zum anderen die persönliche Entwicklung Projektteam gemeinsam mit den Volkshochschulen ein grund- der Teilnehmenden durch den Fokus auf psychosozialem legendes Weiterbildungskonzept entwickelt, welches haupt- Coaching. Auf der Basis dieses Grundkonzepts entwickeln die sächlich zwei Stränge verfolgt: Zum einen die berufliche beteiligten Volkshochschulen individuell angepasste Curricula 8 beteiligte Weiterbildung durch die Vermittlung arbeitsmarktrelevanter für ihre Teilnehmer*innengruppen. Volkshochschulen aus 7 Bundes- ländern Teilnehmer*innen- Bedarfsfrage Entwicklung des Akquise Lernangebots Grundkonzept Fortführung der 46 Kurse (320 UE) Weiterbildung 352 in Deutschland im Herkunftsland Teilnehmer* innen Basismodul Aufbaumodul (160 UE) (weitere 160 UE) 2 1. „Kompetenzwoche“ 2. Praxisunterricht Verlängerung des Stärkenatlas- Praxisunterrichts • Übungen mit dem Stärkenatlas • niedrigschwellig durch Aufbaumodul Schulungen • Selbstreflexion • praxisorientiert möglich • Vergegenwärtigung der eigenen • handwerklich Stärken und Schwächen • Unterricht im Klassenzimmer, • Abfrage der Berufswünsche + der Werkstatt oder im Betrieb Kenntnisse (Hospitation) 5 Lehrkräfte- • Begleitung durch geschulten • Lehrkräftetandem qualifizierungen Coach • Abschluss durch Zertifikat Persönliches Empowerment Berufliche Kompetenz 50 Stärkenatlas- Lehrkräfte- schulung qualifizierung Teilnehmende Darstellung des Grundkonzepts von „Bildungsbrücken bauen“ Während das Grundkonzept des Lernangebots auf den bei- die Unterrichtsgestaltung und die angestrebten Lernergebnis- den Säulen Kompetenzfeststellung und Potentialanalyse mit se von weiteren Handlungsmaximen geleitet. dem Stärkenatlas sowie dem Praxisunterricht basiert, werden 16 17
Kapitel 1 Kapitel 1 Bildungsteilhabe für alle Es entspricht dem Leitbild der Volkshochschulen, dass selbst- Alle Menschen, unabhängig von ihrem Status im Asylverfah- verständlich auch die Menschen, die sich aus diversen Grün- ren, haben ein Recht auf Bildung. Rückkehrer*innen haben „Die VHS Meppen verfügt über eine umfangreiche Erfahrung den für eine freiwillige Rückkehr und Reintegration in den Hei- bereits Kompetenzen und Fertigkeiten in ihrem Herkunftsland in der Projektarbeit. Diese ermöglicht uns einen fundierten matstaat oder die Heimatregion entschieden haben, gefördert erworben und diese während ihrer Flucht oder in Deutschland Blick in die unterschiedlichen Fördergrundsätze. In der jüngs- und mit Bildungsangeboten versorgt werden. Insbesondere noch zusätzlich erweitert. Mit Hilfe von Bildungsmaßnahmen ten Vergangenheit waren wir immer wieder damit konfrontiert, Geflüchtete, die aus sogenannten „sicheren Herkunftslän- können sie sich dieser Fertigkeiten und Kompetenzen be- dass bestimmte Teilnehmenden Gruppen keine Förderung dern“ stammen und somit nur geringe bis keine Chance haben wusst werden, die aufgrund ihrer vulnerablen Situation oft- erhalten. Auch diese Teilnehmenden gehören zu unserem in Deutschland zu verbleiben, sind oftmals von Bildungsan- mals auch in ihrer eigenen Wahrnehmung in den Hintergrund Kundenkreis, dem wir eine Weiterbildungsmöglichkeit bieten geboten ausgeschlossen. Doch gerade diese Menschen sind getreten sind. Bildungsangebot im Rahmen des Rückkehr- möchten wie allen anderen unserer Teilnehmenden. Gleich- häufig gering qualifiziert und haben ein niedriges (formales) prozesses unterstützen beim Empowerment und ermöglichen zeitig ist unser Ziel, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Bildungsniveau und somit einen erhöhten Bildungsbedarf. Die eine Erweiterung und Nutzbarmachung im Rahmen der Rein- die Bildung sich immer lohnt, auch wenn sie angesichts der Volkshochschulen sehen somit auch Lernangebote für Men- tegration. Als Nebeneffekt tragen diese Bildungsmaßnahmen persönlichen Umstände unserer Teilnehmenden sehr kurz schen mit unsicherer Bleibeperspektive und einer potentiellen auch mittelbar zur Entwicklung und Demokratisierung der Her- andauert. Die Vorbereitung auf die Rückkehr und die eigene Rückkehrabsicht als eine lohnende Investition. Denn Bildung, kunftsländer bei. Perspektive nach der Rückkehr sind zentrale Punkte unserer da sind die Volkshochschulen sich sicher, lohnt sich immer. passgenauen individuellen Weiterbildungsangebote. Wir sind überzeugt, dass wir mit unserer Bildungsarbeit Anstoße schaf- fen, die eine im idealen Fall persönliche wie auch berufliche Bildung unserer Teilnehmenden umfassen und die sich auch in der Zeit nach der Rückkehr fortsetzen lassen.“ Radka Lemmen Bildungsmanagement vhs Meppen gGmbH „Wir nehmen am Projekt Weiterbildung für Rückkehrer*innen teil, weil wir ihnen damit eine Chance geben, im beruflichen aber auch im sozialen Umfeld in ihren Herkunftsländern wie- der Fuß zu fassen. Dank des Projekts können sie die ihnen verbleibende Zeit in Deutschland sinnvoll nutzen und sich gezielt auf ihre Rückkehr vorbereiten. Mit ihren Fähigkeiten bringen sie oft dringend benötigtes Wissen in ihre Heimatlän- der; so können sie vor Ort aktiv zu einer positiven Entwicklung beitragen Susanne Deß Leiterin, Mannheimer Abendakademie und Volkshochschule GmbH 18 19
Kapitel 1 Kapitel 1 Sicherer Lernort speziell auch für Frauen Empowerment und Handlungsmacht Insbesondere geflüchtete Frauen bedürfen häufig eines be- Zielgruppe geschaffen werden, in denen sie die Möglichkeit Da sich betroffene Geflüchtete beim Thema Rückkehr und Handlungsmacht wiederzuerlangen. Dazu kann der Stärke- sonderen Schutzes. Einige der beteiligten Volkshochschulen, haben, abseits der Fluchterfahrung und der eigenen familiären Reintegration immer in einem gewissen Spannungsfeld von natlas als Instrument der Kompetenzfeststellung genutzt wer- wie zum Beispiel die Kreisvolkshochschule Kusel, haben sich Verantwortungen oder kultureller Zwänge, Zeit für Selbstrefle- Fremd- und Selbstbestimmung bewegen, kommt Empower- den. Er dient der Vergegenwärtigung der eigenen Stärken und daher auf die Förderung von rückkehrinteressierten Frauen xion, den eigenen Stärken und dem Lernen und Ausprobieren ment eine wichtige Bedeutung zu. Ein Blick auf die eigene Le- bietet Orientierung für die persönliche und berufliche Zukunft konzentriert. Es sollen sichere Lernorte für diese vulnerable zu verbringen. benssituation und vorhandene Kompetenzen und Fähigkeiten in einer Zeit voller Umbrüche. kann dabei helfen, trotz der widrigen Umstände eine gewisse „Unsere Entscheidung zur Teilnahme am Projekt „Bildungs- brücken bauen“ beruhte darauf, dass wir uns als kommunale Bildungseinrichtung in der Pflicht sehen, auch Zielgruppen, „Das Modellprojekt soll Frauen darin unterstützen, sich in welche stark eingeschränkte Teilhabe- und Zugangsmög- ihrem Herkunftsland eine eigene Perspektive und damit die lichkeiten zu Förderprogrammen haben, mit nachhaltigen Grundlage für eine eigenständige Zukunft schaffen. Neben Bildungsangeboten zu versorgen. Ausweispflichtige und Per- dem Erwerb von handwerklichen Fähigkeiten liegt der Fokus sonen mit schlechter Bleibeperspektive erleben in Deutsch- des Kurses auf der Kompetenzerweiterung und der Hilfe zur land oftmals sehr schwierige Zeiten zwischen Hoffnung und Selbsthilfe. Darüber hinaus soll auch das Selbstvertrauen der Enttäuschung sowie Erfahrungen des Scheiterns. Im Rahmen Frauen gestärkt werden.“ unserer Qualifizierungsmaßnahme sollen formelle und infor- melle Kompetenzen der Teilnehmenden sichtbar gemachtund Alexandra Matern gestärkt werden. Somit vermitteln wir Zuversicht und Perspek- Leiterin, Kreisvolkshochschule Kusel tiven - auch in Hinblick auf die Rückkehr ins Heimatland.“ Anna Feder Studienleiterin vhs Hagen „Unser Angebot soll das Selbstvertrauen der Teilnehmenden stärken und ihnen bewusst machen, welche Stärken und Fä- higkeiten sie auch in schwierigen Situationen gezeigt und ent- wickelt haben.“ Monika Simikin Fachbereichsleiterin Mannheimer Abendakademie und Volkshochschule GmbH 20 21
Kapitel 1 Kapitel 1 Kompetent mit dem Stärkenatlas Die persönlichen, beruflichen und sozialen Kompeten- Dieser Prozess ist häufig neu und anstrengend für Geflüch- Kombination verschiedener bewährter Ansätze Biographie- und ressourcenorientiertes Material zen der Rückkehrer*innen können durch sogenannte re- tete, hilft ihnen aber dabei sich selbst und ihre Situation mit Keines der bislang vorliegenden Instrumente der Kompe- Biographie- und ressourcenorientiertes Material integrationsvorbereitende Maßnahmen in Deutschland anderen Augen zu sehen. Denn die schwierige Situation der tenzanalyse schien die besonderen Voraussetzungen der Der Stärkenatlas ist - im Gegenteil zu vielen anderen Kompe- verbessert werden und die Geflüchteten auf die Heraus- Rückkehr ist oftmals mit Gefühlen von Versagen oder Schei- Zielgruppe hinsichtlich ihrer Sprachkompetenzen und ihrer tenzfeststellungsinstrumenten - subjekt- und ressourcenorien- forderungen der Rückkehr und Reintegration vorbereiten. tern verbunden und die Vergegenwärtigung der eigenen Stär- Bildungsbedarfe zu berücksichtigen. Deshalb haben sich die tiert. Das bedeutet, die enthaltenen Übungen und Materialien ken und Ressourcen hilft dabei, diesen negativen Gefühlen Volkshochschulen mit dem Stärkenatlas für die Erstellung ei- schauen mit einem ganzheitlichen Blick auf das Individuum Dabei spielt die Potenzialanalyse eine sehr wichtige Rolle für entgegenzuwirken und verleiht den Betroffenen ein Gefühl nes „neuen“ speziellen Instruments für die sensible Zielgruppe und die eigene Entwicklung. Der Stärkenatlas lässt viel Raum die Betroffenen. Oftmals haben sich Rückkehrer*innen noch von Handlungsmacht, Zuversicht und Empowerment. Eben- aus Rückkehrer*innen entschieden. Im Entstehungsprozess für Selbstreflexion. Dieses subjektorientierte Verfahren kann nie systematisch mit ihren Kompetenzen und Fähigkeiten be- so hilft die Kompetenzfeststellung dabei, eine Perspektive des Stärkenatlas wurde in Fachgesprächen mit unterschied- auch als Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung gesehen wer- fasst. Eine präzise Dokumentation der einzelnen Stationen und Orientierung für die persönliche und berufliche Zukunft lichen zivilgesellschaftlichen Organisationen, Weiterbildungs- den und zielt auf die Entwicklung eines (beruflichen) Selbst- im Leben und die Übertragung von Ausbildung-, Berufs- und zu geben, sodass eine Rückkehr und Reintegration souverä- trägern und Beratungsstellen deutlich, dass die Akteur*innen konzepts ab. Insbesondere bei Geflüchteten und Rückkeh- Lebenserfahrung in „social skills“, wie dies in Deutschland üb- ner, zuversichtlicher und fokussiert angegangen werden kann. eine Kombination unterschiedlicher gängiger Instrumente für rer*innen ist dieses biografieorientierte Verfahren eine gute lich ist, ist für diese Personen meist ein ungewohnter Prozess. den Einsatz in der Arbeit mit Geflüchteten und Rückkehrer*in- Methode, um die Stärken der Teilnehmenden herauszustellen. Hinzu kommt, dass viele der Betroffenen kaum formale Bil- Der Stärkenatlas ist als Instrument zur Kompetenzfeststel- nen favorisieren. Somit setzt der Stärkenatlas einerseits auf Allerdings muss hierbei aufgrund von möglichen Traumata dungswege durchlaufen haben. Das heißt aber nicht, dass sie lung in Kooperation mit der „Mannheimer Abendakademie niedrigschwelligem Niveau an, um alle zu Beratenden errei- sehr vorsichtig vorgegangen werden. Wie Sie Traumatisierung somit über keinerlei Kompetenzen verfügen. Gerade hier ist und Volkshochschule“ und DVV International im Rahmen des chen zu können und kombiniert andererseits bewährte Ansät- erkennen und richtig reagieren können, können Sie in dem eine Potenzialanalyse extrem wichtig, um den Rückkehrer*in- Projekts „Bildungsbrücken bauen. Weiterbildung für Rückkeh- ze, Materialien und Konzepte aus bestehenden Instrumenten. Online-Selbstlernkurs „Umgang mit Trauma und psychosozia- nen dabei zu helfen ihre Stärken, Kenntnisse und Interessen rer*innen“ entstanden und in 9 Sprachen erhältlich. Abhängig von den Voraussetzungen des/der zu Beratenden len Belastungen im Unterricht“ nachlesen. sowie Berufswünsche und – ziele zu formulieren. können einzelne Teile der Kompetenzfeststellung bearbeitet werden. Eine Ergänzung durch Materialien anderer Instru- Erkundung beruflicher Interessen und Neigungen mente ist aufgrund der flexiblen Struktur gut möglich. Da die Teilnehmenden der vhs Weiterbildungsangebote oft- mals vor dem (erneuten) Übergang in den Arbeitsmarkt ihres Kultursensibilität des Instruments Herkunftslandes stehen, zielt der Stärkenatlas auch darauf ab, Die Kultursensibilität des Stärkenatlas - vor allem auch in der die beruflichen Interessen und Neigungen der zu Beratenden „Die Teilnehmer waren sehr begeistert von der für sie unbe- Verwendung bestimmter Begriffe - wurde im Entstehungspro- herauszufiltern. Dabei werden die zum Vorschein gekomme- kannten Kompetenzfeststellung. Sie fühlten sich ernstgenom- zess durch Vertreter*innen kooperierender Weiterbildungsein- nen Fähigkeiten, Kenntnisse, Ressourcen und Ziele hinsicht- men und freuten sich über das ihnen entgegengebrachte In- richtungen im Ausland überprüft und an den sensiblen Kontext lich einer möglichen Berufsausbildung oder Berufsausübung teresse.“ der Rückkehr und Reintegration angepasst. Natürlich wird das thematisiert und reflektiert. Radka Lemmen Instrument fortwährend evaluiert und auch auf landes- und Bildungsmanagement vhs Meppen gGmbH kulturspezifische Bedarfe überprüft. © vhs Meppen 22 23
Kapitel 1 Kapitel 1 Lehrkräfte als Change Agents Wie kann man eine wertschätzende, integrative Lernatmosphäre für Geflüchtete schaffen? Migrationsprozesse verändern und formen Gesellschaften bekommen, wie sie ihren Unterricht partizipativ und integrativ Ein internationaler Blick auf Flucht und Migration haltigen Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügt. Die Ausein- und wirken sich daher auch stark auf Bildungssysteme aus gestalten können. Sie erfahren mehr über den Einfluss kul- Die Fortbildung ist im Rahmen eines internationalen Erfah- andersetzung mit unterschiedlichen Sichtweisen auf Bildung – so auch auf die Teilnehmer*innen-Struktur von Erwachse- tureller Prägungen sowie dessen Grenzen, den Umgang mit rungsaustauschs in der Erwachsenenbildung im Kontext von nach Flucht und Vertreibung, auf interkulturelles Lernen und nenbildungskursen. In der Arbeit mit der sehr heterogenen ungleichen Machtverhältnissen, Stereotypen und Vorurteilen Flucht und Migration entstanden. Das Fortbildungskonzept den Umgang mit psychosozialem Stress soll dazu beitragen, und schutzbedürftigen Gruppe rückkehrinteressierter Ge- im Unterricht sowie der Bedeutung von Sprache und Sprach- wurde im Rahmen des Projekts „Bildungsbrücken bauen“ Herausforderungen in multikulturellen Lerngruppen und im flüchteter ergeben sich verschiedene Herausforderungen für gewohnheiten. Darüber hinaus wird diskutiert, wie man mit von DVV International, dem Institut für Internationale Zusam- Prozess der Rückkehr und Reintegration von Geflüchteten zu den Unterricht, wie die zunehmende Vielfalt im Klassenraum, Traumatisierungen und psychosozialen Problemen im Unter- menarbeit des Deutschen Volkshochschul-Verbandes, ge- bewältigen. Die Fortbildung vermittelt Impulse für eine Haltung Sprachbarrieren, Unterschiede im Bildungshintergrund und richt umgeht, die durch eine eventuelle Rückkehr ausgelöst meinsam mit einem internationalen Team von Expert*innen der wertschätzenden Neugier. Anstatt vorgefertigte Lösungen der Umgang mit psychosozialem Stress. Die Fortbildung „Bil- oder verstärkt werden können. Der Schwerpunkt liegt auf der aus Jordanien, Palästina, der Türkei und Deutschland entwi- für die Arbeit mit Lerngruppen aus bestimmten Herkunftslän- dungsbrücken bauen – interkulturellen und psychosozialen Schaffung einer gemeinsamen Unterrichtskultur und Grup- ckelt. Die Fortbildung stützt sich auf Best-Practice-Beispiele dern vorzugeben, unterstützt sie die Fähigkeit, Lern- und Lehr- Herausforderungen im Unterricht mit rückkehrinteressierten penidentität sowie auf der Stärkung der Lernenden, um diese aus Empowerment-Bildungsprogrammen mit Geflüchteten in strategien auszuwählen, die auf die individuelle Situation der Geflüchteten kompetent begegnen“ eröffnet einen Raum, in in der emotional schwierigen Phase der Rückkehr und Reinte- unterschiedlichen Ländern, wo DVV International über Regi- Lernenden eingehen. Damit wird die Gestaltung einer wert- dem Lehrkräfte und Coaches ihre Rolle als Erwachsenen- gration zu unterstützen. onalbüros und ein starkes Netzwerk von Partnern mit reich- schätzenden und sicheren Lernatmosphäre gefördert. bildner*innen reflektieren können und Methoden an die Hand © Stephanie Becker © Foto Prasch Vielfältige Materialien für den Unterricht mit Rückkehren- den Als Ergebnis dieses Prozesses des internationalen Wissens- Die Fortbildung umfasst vier Module mit den folgenden Themenstellungen: transfers – darunter eine Studienreise nach Marokko – ent- standen umfangreiche Lehr- und Lernmaterialien, auf deren Grundlage in einer ersten Pilotphase deutschlandweit rund 70 Modul 1: Was bedeutet Bildung im Kontext von Modul 3: Wie gehe ich mit psychosozialen Proble- Multiplikator*innen und Lehrkräfte von vhs und anderen Trä- Migration? Lebenslagen (rückkehrinteressierter) men und Stress im Unterricht um? Widerstandskraft gern rückkehrvorbereitender Maßnahmen fortgebildet wurden. Geflüchteter und das Potential von Bildung verstehen bei sich und Kursteilnehmenden aufbauen Die Lehr- und Lernmaterialien – bestehend aus Methoden, Modul 2: Wer bin ich und wer sind meine Kursteil- Modul 4: Wie können wir gemeinsam lernen? Mit Videos und Dossiers – behandeln folgende Themen: nehmenden? Meine Rolle als Lehrkraft und meinen interaktiven, partizipativen Methoden den Unterricht Blick auf Geflüchtete reflektieren gestalten Die Lehr- und Lernmaterialien zur Fortbildung von Lehrkräften sowie eine Toolbox mit Methoden für den Unterricht mit Geflüch- teten finden sich hier: https://www.dvv-international.de/materialien/lehr-und-lernmaterialien/bildungsbruecken-bauen 24
Kapitel 1 Kapitel 1 Zweistufiges Fortbildungskonzept Coaches, Trainerinnen und Trainer von rückkehrvorbereiten- Lernen durch Perspektivwechsel und Ausprobieren menden erfahren. Es ist anwendungsorientiert und basiert auf Die Fortbildung richtet sich an verschiedene Zielgruppen. den Maßnahmen sowie weitere Interessentinnen und Inter- Die Teilnahme an der Fortbildung soll zu einem Perspektiv- der Idee des „Learning by doing“ (Lernen durch unmittelbares Innerhalb der ersten Stufe schulen die internationalen Trai- essenten aus der Erwachsenenbildung mit Geflüchteten an. wechsel bei Lehrkräften hinsichtlich des von ihnen durchge- Anwenden) oder des „Walk the talk“ (Gesagtes in der Praxis nerinnen und Trainer, die die Fortbildung entwickelt haben, Die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren führen, wie auch die führten Bildungsangebots und ihrer beruflichen Rolle in die- umzusetzen). Durch eigenes Erleben und Reflektieren lernen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Rahmen eines internationalen Trainerinnen und Trainer, ihre Schulungen in sem Kontext führen. Das Training eröffnet einen Raum, in dem die Lehrkräfte, ihren Unterricht partizipativ und integrativ zu Train-the-Trainer-Workshops. In der zweiten Stufe bieten die Tandem-Teams durch. Das in der Fortbildung Erlernte setzen sie mehr über den Prozess der Rückkehr sowie die Bedürfnis- gestalten, damit sich alle Lernenden unabhängig von ihrem auf diesem Wege qualifizierten Multiplikatorinnen und Multi- die Lehrkräfte und Coaches dann in der Durchführung der se, Lebenslagen und den emotionalen Zustand ihrer Teilneh- (kulturellen) Hintergrund beteiligen können. plikatoren zweitägige Wochenend-Workshops für Lehrkräfte, Kurse für rückkehrinteressierte Geflüchtete ein. Stufe 1: Qualifizierung der Multiplikatoren und Multiplikatoren Stufe 2: internationale Trainerinner und Fortbildung von Lehrkräften und Coaches © Meike Woller Trainer schulen Multiplikatorin- nen und Multiplikatoren Stufe 3: Multiplikatorinnen und Multi- vhs-Kurse für rückkehr- plikatoren bilden Lehrkräfte und interessierte Geflüchtete ein Wochenende (zwei Tage) Coaches fort Die Fortbildung richtet sich an folgenden vier Kernkompetenzen aus. Lehrkräfte und Coaches führen Nach der Teilnahme an der Fortbildung sind die Lehrkräfte und Coaches in der Lage… Gruppen von ca. ein Wochenende (zwei Tage) Kurse für rückkehrinteressierte zwölf Teilnehmenden und zwei Geflüchtete durch • den Kontext von Vertreibung, Rückkehr und Reintegration • Anzeichen von psychosozialem Stress zu erkennen und internationalen Trainerinnen und dessen Auswirkungen auf die Lernenden zu verstehen grundlegende Strategien für die Unterstützung der Lernenden und Trainern Gruppen von ca. und zu erklären; bereitzustellen; zwölf Teilnehmenden und bis zu vier Wochen zwei Seminarleitenden • ihre eigene Rolle als Lehrkraft und die Erfahrungen und Hin- • eine sichere und wertschätzende, gemeinsame Unterrichts- tergründe der Lernenden in einer multikulturellen Lernumge- kultur zu schaffen, die die Selbstbestimmung und Handlungs- Gruppen von ca. bung zu reflektieren; kompetenz der Teilnehmenden fördert. 6-16 Teilnehmenden und Teams aus Lehrkräften und Coaches Lehrkräfte können durch eine reflektierte Grundhaltung und die Schaffung einer wertschätzenden, gemeinsamen Grup- penatmosphäre einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die Selbstbestimmung und Handlungskompetenz Geflüchteter zu fördern. Das Lernumfeld soll ein sicherer Ort sein, an dem die Lernenden das Gefühl haben, dass ihnen zugehört wird und ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden. Es sollte die Ler- nenden in ihrem Lern- und Anpassungsprozess an ihre neue Realität unterstützen, die möglicherweise keine Zukunftspers- pektive in Deutschland beinhaltet. Die sichere Lernatmosphä- © Meike Woller re wird durch die Kontinuität der Kurse, wiederkehrende Rou- tinen im Ablauf, die Verfügbarkeit eines eigenen Freiraumes, der für Frauen besonders wichtig ist, sowie durch die persön- liche Verbindung zu anderen Teilnehmenden gewährleistet. Durch den Einsatz partizipativer Methoden und den Aufbau Diese Erfahrungen aus dem Klassenraum ermutigen sie einer wertschätzenden, sicheren Unterrichtskultur werden Ge- dazu, ihr Leben, auch im schwierigen Feld des Rückkehr- und flüchtete von passiv Abwartenden zu aktiv Handelnden. Reintegrationsprozesses, mitzugestalten und zu lenken. 26 27
Kapitel 1 Kapitel 1 Aus: weiter bilden. DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung. Stimmen von Bildungsbrücken bauen Ausgabe 2/2020. Teilnehmer*innen Kompetenzorientierte Weiterbildung im Kontext von Rückkehr und Reintegration „Die Veranstaltung war in allen „Insgesamt hat mir die Teilen sehr informativ, bestens Fortbildung gut gefallen. Jil Carmen Holtbernd vorbereitet und sehr gut mode- Methodisch war sie hervorragend Meike Woller riert. Ein besonderer Dank für das gestaltet, auch habe ich viel umfangreiche Begleitmaterial, das dazugelernt und der Austausch „Die Trainer*innen ich sehr gut in meinem Berufsall- mit den Kolleg*innen war Nicht immer ist Integration der Schlusspunkt von Wan- • den Kontext von Vertreibung, Rückkehr und Reintegration haben eine sehr angenehme tag nutzen kann.“ sehr bereichernd.“ derungsbewegungen. Rückkehr und Reintegration in das und dessen Auswirkungen auf die Lernenden zu verstehen Lernatmosphäre geschaffen, Heimatland oder ein erneuter Aufbruch sind ebenfalls und zu erklären; sodass stets ein inhaltlicher möglich. Seit 2018 bietet das DVV-Pilotprojekt »Bildungs- Austausch auf Augenhöhe.“ brücken bauen – Weiterbildung für Rückkehrer*innen« • ihre eigene Rolle als Lehrkraft und die Erfahrungen und für die Zielgruppe rückkehrinteressierter Geflüchteter an Hintergründe der Lernenden in einer multikulturellen Lernum- verschiedenen deutschen Volkshochschulen (vhs) Kur- gebung zu reflektieren; se an, in denen grundlegende allgemeine und berufliche Bildungskompetenzen für einen Neustart im Heimatland • Anzeichen von psychosozialem Stress zu erkennen und vermittelt und die Teilnehmenden bei dieser schwierigen grundlegende Strategien für die Unterstützung der Lernen- Entscheidung begleitet werden. Doch auch für die Lehren den bereitzustellen; den ergeben sich in der Arbeit mit der sehr heterogenen und schutzbedürftigen Gruppe rückkehrinteressierter • eine sichere und wertschätzende, gemeinsame Unter- Geflüchteter verschiedene Herausforderungen: Wie re- richtskultur zu schaffen, die die Selbstbestimmung und Hand- agiere ich als Lehrkraft auf kulturell bedingte Missver- lungskompetenz der Teilnehmenden fördert. ständnisse? Was bedeuten psychosozialer Stress und Traumatisierung im Hinblick auf eine unsichere Bleibe- Im Rahmen eines interaktiven Lernprozesses wird Fachwis- Mit welchen Ansätzen arbeitet die Fortbildung? mehr Teilnehmende mit Traumatisierungen und psychosozia- perspektive oder eine mögliche freiwillige Rückkehr? Und sen zu Rückkehr und Reintegration mit Methoden- und So- Die Fortbildung basiert in ihrem Konzept und den ausgewähl- len Belastungen widerfinden. Dies hat Einfluss auf den Kurs- wie kann es mir als Lehrkraft trotzdem gelingen, eine si- zialkompetenzen aus der Erwachsenenbildung verknüpft. ten Methoden auf folgenden Ansätzen, die das Ziel haben, die verlauf und die Lernatmosphäre und verändert auch die Anfor- chere und wertschätzende Lernatmosphäre zu schaffen? Im Vordergrund der Fortbildung steht nicht die reine Wis- Handlungs- und Entscheidungsmacht sowie Teilhabe Geflüch- derungen, die sich an Lehrkräfte stellen. Die Vermittlung einer sensvermittlung als theoretische Voraussetzung für prakti- teter zu stärken – im Unterricht wie auch darüber hinaus: traumasensiblen Haltung sowie der Einsatz traumasensibler Diese Fragen waren der Ausgangspunkt für die Konzep- sches Handeln, sondern vielmehr der konkrete Umgang mit Methoden und Prinzipen im Unterricht kann Widerstandskraft tion der Fortbildung »Bildungsbrücken bauen – interkultu- erworbenen Kenntnissen. Lehrkräfte und Coaches sollen, (1) der Ansatz der partizipativen Bildung, bei Lernenden wie auch Lehrkräften aufbauen. rellen und psychosozialen Herausforderungen im Unter- durch die praktische Anwendung einer Vielzahl von Metho- (2) der Ansatz der Diversität und Multikollektivität und richt mit rückkehrinteressierten Geflüchteten kompetent den und Techniken, ihre Fähigkeit verbessern, die Lernpro- (3) der Ansatz des traumasensiblen Klassenzimmers. begegnen«*. In einem Prozess des internationalen Wis- zesse ihrer Kursteilnehmenden zu steuern. Die Fortbildung senstransfers entwickelte das Projektteam mit Unterstüt- ist somit anwendungsorientiert und basiert auf der Idee des Die Ansätze stammen aus verschiedenen Teilen der Welt. zung des Netzwerks von DVV International gemeinsam Learning by Doing (Lernen durch unmittelbares Anwenden) Sie wurden jeweils entwickelt, um unterschiedlichen Reali- mit Expertinnen und Experten aus Jordanien, Palästina, und des Walk the Talk (Gesagtes in der Praxis umzusetzen). täten gerecht zu werden und stellen verschiedene Aspekte Türkei und Deutschland umfangreiche, kompetenzorien- Die Lehr- und Lernmaterialien leisten damit einen aktiven menschlicher Lebensrealitäten in den Vordergrund. Der par- tierte Lehr- und Lernmaterialien, auf deren Grundlage in Beitrag zu konkreten Problemlösungsprozessen in der Er- tizipative Bildungsansatz wurde in Lateinamerika von dem einer ersten Pilotphase deutschlandweit rund 50 Multipli- wachsenenbildung mit rückkehrinteressierten Geflüchteten. brasilianischen Pädagogen Paulo Freire als Werkzeug zum katorinnen und Multiplikatoren sowie vhs-Lehrkräfte fort- Empowerment von nicht alphabetisierten Bäuerinnen und gebildet wurden. Informationen zum Projekt und zu den Lehr- und Lernma- Bauern entwickelt, die unter Unterdrückung und Marginalisie- terialien zur Fortbildung »Bildungsbrücken bauen« unter: rung litten. Er befähigte sie, ihre Realität zu verändern und Der Fortbildung liegen vier zentrale Kernkompetenzen an Entscheidungen mitzuwirken, die ihr Leben beeinflussten. sowie dazugehörige Lernziele zugrunde. Diese sind Er- www.vhs-return.de Dieser Ansatz stellt die Lernenden als kompetente, aktive und gebnis eines Diskussionsprozesses innerhalb des Ex- www.dvv-international.de/materialien/bildungsbruecken- respektierte Menschen in den Mittelpunkt des Lernprozes- pert*innen-Teams, in den internationale Perspektiven und bauen ses. Diversität und Multikollektivität untersuchen den Begriff Ansätze aus der Bildungsarbeit mit Geflüchteten einge- der Identität in immer vielfältigeren Gesellschaften, in denen flossen sind. Die Fortbildung zielt darauf ab, dass Lehr- Dieser Beitrag ist bereits erschienen in: wachsende globale Migration zu erheblichen Spannungen kräfte nach der Teilnahme in der Lage sind, weiter bilden. DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung. zwischen verschiedenen kulturellen Gruppen führt. Der Ansatz Ausgabe 2/2020. © Meike Woller der Multikollektivität bietet eine Alternative zu alten kulturellen Paradigmen. Das traumasensible Klassenzimmer trägt der Entwicklung Rechnung, dass sich in Bildungskursen immer * Gefördert wird das Projekt durch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammen- arbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). 28 29
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