INKLUSIV COVER BEATE KOCH - ÖZIV

 
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                                                    mit und ohne
                                                    Behinderungen

               Ausgabe 03/2019    Heftnummer 231

COVER
BEATE KOCH

SCHWERPUNKT:
FRAUEN MIT BEHINDERUNGEN

EINE ÄRA
GEHT ZU ENDE

                                                                    Foto: Behindertenrat

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ÖZIV // Interview

KLAUS VOGET UND HEDI
SCHNITZER-VOGET IM GESPRÄCH                                      Fotos: Bernd Matschedolnig, Armin Binder

                                                    Versprechen verpflichtet und es kam zu
                                                    einer „Begutachtung“ durch den damaligen
                                                    Vorstand. Der leider auch schon verstorbene
                                                    Walter Hladschik ist dafür extra aus Vorarlberg
                                                    angereist. Und offensichtlich wurde ich für
                                                    würdig befunden, denn kurz darauf wurde ich
                                                    einstimmig zum neuen Präsidenten gewählt.

                                                    In dieser Zeit erfolgte die Weiterentwicklung
                                                    vom Österreichischen Zivilinvalidenverband
                                                    zum ÖZIV – Österreichs zukunftsorientierte
                                                    Interessenvertretung (für Menschen mit
                                                    Behinderungen). Wie unterscheiden sich
                                                    aus eurer Sicht die Herausforderungen in
                                                    der Interessenvertretung für Menschen
                                                    mit Behinderungen heute von euren
                                                    „Anfängen“?
Klaus Voget
                                                    Klaus Voget: In meinen Anfängen im ÖZIV
Klaus und Hedi, ihr habt beide über viele           ging es ums nackte Überleben. Es gab damals
Jahre, ja Jahrzehnte die Geschicke des              keinerlei Ressourcen, das Büro war in den
ÖZIV in Österreich gelenkt. Im Herbst 2019          Privaträumen von Dr. Marschall untergebracht.
nehmt ihr mit einer Gala Abschied vom               Mir war klar, dass vernünftige Arbeit auch
Verein. Könnt ihr bitte erzählen, wann              entsprechende Ressourcen braucht.
und wie ihr zum ÖZIV gekommen seid und
mit welcher Motivation ihr eure Tätigkeit           1993 gelang es mir nach langen
aufgenommen habt?                                   Gesprächen mit dem Sozialministerium eine
                                                    Basissubvention aufzustellen. Das war die
Klaus Voget: Im Jahr 1986 gab es einen ORF-         Geburtsstunde unseres Schulungsprojektes,
Bericht über mich, weil ich als erster „rollender   welches seither ein Standardangebot des
Richter“ zum Gerichtsvorsteher ernannt wurde.       Bundesverbandes ist. Und mit dessen Hilfe wir
Die damalige Sekretärin des ÖZIV, Annemarie         auch das Ziel vor Augen haben und hatten, die
Siegel, hat diesen Bericht gesehen und mir          österreichweite Zusammenarbeit zu stärken.
daraufhin einen Besuch abgestattet. Sie wollte
mich zur ehrenamtlichen Mitarbeit überreden         Einige Zeit später konnten wir mit Hilfe
und – sie war sehr beharrlich in ihrer Anfrage.     der Firma Novomatic und unseres
Meine als Ausflucht gedachte Aussage „Wenn,         Generalsekretärs, Dr. Franz Wohlfahrt, dem
dann nur als Präsident“ sollte sich schon bald      späteren Generaldirektor der Novomatic,
als Bumerang herausstellen ….                       die Strukturen im Bundesverband nachhaltig
                                                    festigen. So ist es auch gelungen, eine
Völlig unerwartet verstarb im Jahr 1987             Geschäftsführung zu installieren und ich
der damalige Präsident Dr. Marschall                bin sehr froh, dass ich dafür Hedi Schnitzer
und Frau Siegel stand wieder in meiner              gewinnen konnte.
Tür. Als Richter fühlte ich mich meinem

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ÖZIV // Interview

                                                     Klaus Voget: Der Ausgangspunkt für den
                                                     Kampf ums Pflegegeld war eine Petition, die
                                                     noch in Zeiten von Dr. Marschall eingebracht
                                                     worden war. Damals ging es um die Themen
                                                     Fahrpreisermäßigung, finanzielle Ausstattung
                                                     von Behindertenorganisationen und um das
                                                     Pflegegeld nach dem Muster der Kriegsopfer-
                                                     Versorgung.

                                                     Die weitere Verfolgung der Pflegegeld-
                                                     Forderung stellte sich als sehr zähe heraus.
                                                     Selbst in den eigenen Reihen tauchten viele
                                                     Widerstände auf, weil die Angst, dass etwas
                                                     Bestehendes verloren gehen könnte, sehr
                                                     groß war. Es musste viel Überzeugungsarbeit
                                                     geleistet werden, bis wir 1987 die Petition
      Hedi Schnitzer-Voget
                                                     mit 65.000 Unterschriften neu einbringen
                                                     konnten. Diese wurde von Helene Partik-
     Hedi Schnitzer-Voget: Für mich war dieses       Pable entgegengenommen und einer
     damalige Angebot von Klaus eine Möglichkeit,    Arbeitsgruppe zugewiesen. Und dann passierte
     meinen Wunsch nach einem Wechsel aus            das Erstaunliche: in dieser Arbeitsgruppe
     der Bankenwelt in den Sozialbereich zu          gab es große inhaltliche Fortschritte, was
     verwirklichen. Es war mir schon klar, dass es   zu neuen Widerständen auf vielen Seiten,
     eine gewisse Herausforderung sein würde;        wie beispielsweise den Sozialpartnern, den
     aber ehrlich gesagt, war es in den Anfängen     großen Dienstleistern, den Bundesländern
     eine ziemliche Berg- und Talfahrt.              und vor allem dem Finanzministerium führte.
                                                     Für uns ein Zeichen, dass die Idee ernst
     Auch die Arbeit als Interessenvertretung        genommen wurde und es Sinn machte dran
     hat sich natürlich verändert. Während es        zu bleiben. Einige Jahre, viele Gespräche und
     in den Anfängen eher um Existenzfragen          Verhandlungen und zwei Großdemonstrationen
     ging, landete das Thema „Behinderung“           später war es dann soweit: im Jahr 1993
     durch die langen Diskussionen rund ums          wurde das Pflegegeldgesetz – leider ohne
     Pflegegeld im politischen Bewusstsein. Eine     festgeschriebene Valorisierung – unterzeichnet.
     nochmalige große Veränderung haben              Viele Menschen haben diese Idee letztlich
     dann die Behindertengleichstellung und          unterstützt; allen voran sei hier der damalige
     die UN-Konvention über die Rechte von           SC Dr. Gerd Gruber, seine Mitarbeiterin
     Menschen mit Behinderungen gebracht.            Dr. Margarethe Grasser und der damalige
     So waren Menschen mit Behinderungen             Sozialminister „Jolly“ Hesoun erwähnt. Einen
     in den 80igern Fürsorgeobjekte, während         wesentlichen Beitrag leistete auch der damalige
     heute in unserer Arbeit der Rechtsanspruch      Soziallandesrat in Vorarlberg, Fredy Mayer, der
     auf ein selbstbestimmtes Leben in allen         einen erfolgreichen Probelauf in Vorarlberg
     Lebensbereichen im Vordergrund steht. Aber      initiierte.
     – es bleibt für unsere Nachfolger*innen noch
     viel zu tun bis man von einer befriedigenden    Anfang der 2000er Jahre wurde ÖZIV
     Umsetzung sprechen kann!                        SUPPORT Coaching entwickelt – wie
                                                     entstand diese Idee? Ungefähr zeitgleich
     Einer der größten Erfolge, den der ÖZIV         erfolgte auch die Übernahme des Angebots
     unter Klaus Voget verbuchen konnte, war         ARBEITSASSISTENZ NÖ – wie wichtig
     sicher die Einführung des Pflegegeldes          sind diese Angebote aus eurer Sicht für
     im Jahr 1993. Klaus, Könntest du kurz           Menschen mit Behinderungen?
     über diesen Prozess, die Widerstände, die
     Verbündeten erzählen?                           Hedi Schnitzer-Voget: Die Arbeit des ÖZIV war

4         INKLUSIV                                                                      www.oeziv.org
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ÖZIV // Interview

schon immer von den Grundsätzen „Hilfe zur         sehr intensiv mitgearbeitet und es war uns
Selbsthilfe“ und „Hilfe durch selbst Betroffene“   klar, dass es neuer Angebote bedurfte, um
geprägt. Gleichzeitig stießen wir mit der fast     diesen völlig neuen Zugang auf den Boden zu
rein ehrenamtlichen Arbeit – vor allem in den      bringen. So gelang es uns, ÖZIV ACCESS aus
Bundesländern – so oft an die Grenzen des          der Taufe zu heben. Und damit die Möglichkeit
Machbaren. Und so war es eigentlich wie ein        zu haben, Expert*innenwissen weiterzugeben
Geschenk des Himmels, als Sozialminister           und für die Forderungen von Menschen mit
Haupt im Jahr 2000 unter dem Titel                 Behinderungen zu sensibilisieren.
„Beschäftigungsoffensive der österreichischen
Bundesregierung“ die „Behindertenmilliarde“        Mit ÖZIV ACCESS wurde auch das Angebot des
ins Leben rief. Mit ÖZIV SUPPORT konnten           ÖZIV um einen wesentlichen Teil erweitert.
wir viele Anliegen aufgreifen bzw. unsere          Barrierefreiheit ist eine unabdingbare
Grundhaltung auf professionellere Beine            Notwendigkeit, um dieses Leben auch leben
stellen. Primär ging es darum, Menschen mit        zu können! Wir sehen es als unsere Aufgabe,
Behinderungen eine wirksame und individuelle       weiter an der Schaffung einer barrierefreien
Unterstützung anzubieten. Coaching, so wie         Welt zu arbeiten, in der sich Menschen mit und
wir es verstehen, hilft Menschen dabei, ihre       ohne Behinderungen vorurteilsfrei begegnen
Potenziale zu entdecken und Wege zu finden,        können.
wie sie diese für sich selber besser nutzen
können. Weg von der defizitorientierten            Mit eurem Abgang konstituiert sich sowohl
Betrachtungsweise und der Feststellung was         ein neues Präsidium als auch eine neue
(aufgrund der Behinderung) alles nicht geht,       Geschäftsführung im ÖZIV – was wünscht
hin zu einem Blick für das was möglich ist. Die    ihr euch für die Zukunft des ÖZIV?
von uns selbst, mit Unterstützung des Instituts
Gundl Kutschera ausgebildeten Coaches              Klaus Voget: Unsere Nachfolger*innen,
waren anfänglich ausschließlich Menschen mit       sowohl auf haupt- als auch auf ehrenamtlicher
Behinderung. Einige davon sind noch heute          Ebene sind keine Newcomer. Sie sind großteils
in SUPPORT tätig und alle werden bestätigen:       mit und im ÖZIV „groß“ geworden und wir
diese Ausbildung hat ihr Leben bereichert, ihre    hoffen, dass sie den eingeschlagenen Weg
Blickweisen und Haltungen verändert, sie zu        der Partizipation und Kooperation weiter
„freieren“ Menschen gemacht!                       erfolgreich fortsetzen werden. Wir hoffen, dass
                                                   der ÖZIV eine Interessenvertretung bleibt, in
Kurze Zeit danach konnten wir in                   der immer die Anliegen von Menschen mit
Niederösterreich das Angebot ÖZIV                  Behinderungen die Richtung bestimmen, die
ARBEITSASSISTENZ übernehmen und so ein             sich nicht scheut, Probleme aufzuzeigen und
wirklich gutes Basisangebot für Menschen mit       manchmal auch ein bisschen unangenehm zu
Behinderungen schaffen, die mit Problemen          sein. Um dies zu ermöglichen, wünschen wir
am Arbeitsmarkt konfrontiert sind.                 uns weiterhin engagierte Mitarbeiter*innen,
                                                   die gerne im ÖZIV sind und den Mut und den
Komplettiert wurde das ÖZIV Dienst-                Willen zur Mitgestaltung aufbringen.
leistungskonzept schließlich mit ÖZIV
ACCESS, wo Sensibilisierungstrainings              Zum Schluss noch eine private Frage: habt
und Bauberatung mit der Zielgruppe                 ihr schon Pläne, die ihr in eurer verdienten
Unternehmen angeboten werden. Wie                  Pension verwirklichen wollt?
passt das ins Portfolio des ÖZIV? Haben
die Kooperationen mit Unternehmen den              Hedi Schnitzer-Voget: Wir haben im Moment
ÖZIV verändert bzw. zur Weiterentwicklung          keine konkreten Pläne. Wir wollen unsere
beigetragen?                                       Freiheit genießen, mehr Zeit für Freunde,
                                                   Radfahren und Reisen haben. Und wir werden
Hedi Schnitzer Voget: Im Jahr 2007 wurde das       versuchen wachsam zu bleiben und auch als
Behindertengleichstellungs-Paket beschlossen.      Privatpersonen die gesellschaftspolitischen
Wir haben an der Entwicklung dieses Gesetzes       Entwicklungen gut beobachten.

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ÖZIV // Inklusiv Inhalt

ÖZIV Bundesverband                                             IMPRESSUM

                                                               Herausgeber und Verleger:

03                              32                             Dr. Klaus Voget – Präsident
                                                               ÖZIV Bundesverband,

INTERVIEW                       INKLUSION AM                   Interessenvertretung für
                                                               Menschen mit Behinderungen
mit Klaus Voget und             ARBEITSPLATZ                   1110 Wien, Hauffgasse 3-5, 3. OG
                                                               T: +43 (0)1/513 15 35
Hedi Schnitzer-Voget            Praxisberichte aus dem         buero@oeziv.org

09                              ÖZIV Bundesverband
                                                               Erscheinungsweise:
                                                               4-mal jährlich
BEATE KOCH:
„Alle sollten die gleichen                                     Vertrieb:
                                                               Österreichische Post AG,
Rechte, die gleichen Chancen                                   Lesezirkel
und bei gleicher Leistung die
gleiche Bezahlung haben!“                                      Chefredaktion:
                                                               Hansjörg Nagelschmidt

                                36                             Mitarbeiter*innen dieser Ausgabe:
                                                               Daniela Rammel, Elisabeth Weber,

                                KURZNACHRICHTEN                Birgit Büttner, Lisa Gittmaier,
                                                               Isabella Aigner, Angelika Parfuß,

                                38
                                                               Nicole Weidinger, Lukas Witwer,
                                                               Daniela Brauchard, Manfred Fischer,
                                                               Ursula Müller
                                RECHT                          Layout:
                                Pflege und Frauen mit          CK Medienverlag GmbH,
                                Behinderungen                  9020 Klagenfurt

12                              41                             Medieninhaber, Satz,
                                                               Anzeigen und Druck:
„DISKRIMINIE-                   ÖZIV TERMINE                   Die Medienmacher GmbH
                                                               8151 Hitzendorf, Oberberg 128
RUNGS-FAKTOREN                                                 Filiale: 4800 Attnang-Puchheim,

POTENZIEREN SICH“
Round-Table „Frauen mit
                                42                             Römerstraße 8
                                                               T: +43 (0)7674/62 900-0
                                                               office@diemedienmacher.co.at
Behinderungen“                  ARBEITSASSISTENZ NÖ
                                Vielfältige Dienstleistungen   Zulassungsnummer:

18
                                                               GZ15Z040585 N
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KOLUMNE
„Mit spitzer Feder“
                                46                             Bei bezahlten Anzeigen liegt die
                                                               inhaltliche Verantwortung beim
                                SUPPORT SALZBURG               Auftraggeber. Alle Rechte, auch die

22
                                                               Übernahme von Beiträgen nach §44
                                Kooperation wirkt              Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz,
                                                               sind vorbehalten. Für unverlangt
EINE ÄRA                                                       eingesandte Manuskripte und

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28                                                             erhalten wollen, so können sie das
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ERFOLGREICH, ENGA-              50                             Anregungen und Infos an:
GIERT, AUSGEZEICHNET            ÖZIV REGIONAL                  redaktion@oeziv.org

Porträt Katrin Neudolt          aus den Bundesländern

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ÖZIV // Coverstory

BEATE KOCH:
„Alle sollen die gleichen Rechte, die gleichen
Chancen und bei gleicher Leistung die gleiche
                                                                             Text: Hansjörg Nagelschmidt
Bezahlung haben!“                                                      Fotos: Behindertenrat, Lukas Ilgner

M
        an hört Beate Koch gerne zu, wenn sie        schlecht geeignet und die Regale zu hoch)
        aus ihrem abwechslungsreichen Leben          und wohl auch an der damaligen Inflexibilität
        erzählt. Von großen Plänen, aus denen        des Hochschul-Lehrpersonals. Aber Beate ließ
dann doch nichts geworden ist. Und wie sie           sich nicht wirklich aufhalten und suchte nach
sich mit den Wendungen, die das Leben so mit         Alternativen. Trotz einer vorherrschenden
sich bringt immer wieder arrangiert und etwas        Frauenfeindlichkeit zu dieser Zeit, begann sie
Neues daraus gemacht hat.                            ein Medizin-Studium und einer der Professoren
                                                     sagte ihr sogar seine Unterstützung zu.
Mittlerweile zwar offiziell in Pension, so ist sie
trotzdem stets in Bewegung und wendet sich           In der Zwischenzeit verheiratet verfolgte Beate
neuen Themen und Herausforderungen zu.               Koch weiter ihr Studium bis ein grausamer
Von Beginn an war sie (als Frauenbeauftragte         Schicksalsschlag das Leben veränderte. Ein
des ÖZIV Steiermark) beispielsweise Teil des         schwerer Unfall ihres Mannes stellte ihre
Kompetenzteams „Frauen mit Behinderungen“            Lebensplanung abermals auf den Kopf – er
beim Behindertenrat und auch am All-female-          konnte nämlich aufgrund seiner Verletzungen
Podium der Pressekonferenz zur Präsentation          (Lendenwirbel-Bruch, Kniescheibe zertrüm-
der Expertinnenliste vertreten. (siehe auch          mert, und in weiterer Folge Diabetes mellitus…)
Artikel ab Seite 12)                                 nur mehr sehr eingeschränkt berufstätig
                                                     sein. Jetzt hieß es „Geld verdienen“! Einfalls-
„Dabei habe ich mir das selbst anfangs gar           reich wie Beate nun mal war, setzte sie auf
nicht zugetraut“, meint Beate Koch bescheiden,       eine Zwei-Schienen-Strategie: sie inskribierte
aber das Thema Frauen mit Behinderungen              BWL, wo sie Wichtiges über Buchhaltung und
liegt ihr aus eigenem Erleben bzw. aus ihren         Kostenrechnung lernte und arbeitete in Steuer-
Erfahrungen bei Beratungsgesprächen, die             beratungskanzleien.
sie beim ÖZIV Steiermark führt, so sehr am
Herzen, dass sie schließlich doch am Presse-         Glücksfall und Karriere
konferenz-Podium sitzt. „Vor allem haben mich        Ein großer Glücksfall wollte es so, dass sie
auch alle Kolleginnen sehr bestärkt, Teil dieses     beim „Team Styria Werkstätten GmbH“ zu
wichtigen Projekts zu sein.“                         arbeiten begann, wo sie insgesamt 30 Jahre
                                                     lang tätig war. Die Firma hieß am Beginn (1982)
Abwechslungsreiche Studien- und                      noch „Geschützte Werkstätte Steiermark“ und
Ausbildungsjahre                                     diente dazu Menschen mit Behinderungen
Doch nun ein paar Schritte zurück: geboren           durch Beschäftigung und Qualifizierung in
wurde Beate Koch 1953 in Graz, wo sie auch           einem geschützten Rahmen für den 1. Arbeits-
ihre Schulausbildung planmäßig mit der               markt fit zu machen. Heute ist die „Team Styria
Matura abschloss. Ihr großer Traum vom Che-          Werkstätten GmbH“ ein Wirtschaftsunterneh-
mie-Studium zerplatzte jedoch – wegen man-           men.
gelnder Barrierefreiheit (die Laborplätze waren

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INKLUSIV COVER BEATE KOCH - ÖZIV
ÖZIV // Coverstory

      All Female Podium bei der Präsentation der Expertinnenliste

     Dort entwickelte sie sich – auch mit der Unter-      Vielfältiges Engagement für gleiche Rechte
     stützung des damaligen Direktors – stetig            Das Engagement im Kompetenzteam Frauen
     weiter, stieg auch die Karriereleiter empor und      mit Behinderungen stellt da einen folgerichti-
     verantwortete schließlich als Abteilungsleiterin     gen weiteren Schritt dar. Nach der Pressekon-
     ganze 3 Abteilungen.                                 ferenz im Frühling spürte sie durchaus, dass
                                                          sich etwas bewegt und das Thema den Stellen-
     Die Themen Ungleichbehandlung und schlech-           wert bekommt, den es ihrer Ansicht schon
     tere Bezahlung von Frauen im Arbeitsleben,           längst haben sollte. Schließlich sei eine der
     beschäftigten Beate im Prinzip so gut wie            Auswirkungen der schlechteren Chancen für
     immer. Insofern ist es durchaus logisch, dass        Frauen auch eine weitverbreitete Altersarmut
     sie sich nunmehr in ihren ehrenamtlichen             – und das geht Beate Koch naturgemäß gegen
     Tätigkeiten auch mit großem Engagement dem           den Strich. Nicht zuletzt dieser Missstand moti-
     Frauen-Thema widmet, um hier Sensibilisie-           viert Beate am Thema dranzubleiben und sich
     rung und Bewusstseinsbildung zu fördern.             persönlich einzubringen.

     Frauenbeauftragte im ÖZIV Steiermark                 Selbstredend wirkt sie auch bei der Frau-
     Besonders wichtig findet sie auch, junge Frauen      en-Konferenz im September mit und freut
     zu erreichen und zu unterstützen. Manches            sich darauf, dort gemeinsam mit Marina
     geht ihr eindeutig zu langsam, aber sie ist trotz-   Zugschwert (Leiterin der Frauenrunde von
     dem froh etwas bewegen zu können und an              „Selbstbestimmt Leben“) einen Thementisch
     Veränderungen mitzuwirken. Und sie ist glück-        zu betreuen. Insbesondere hofft sie auch auf
     lich, dass sie im ÖZIV Steiermark ihre Expertise     Besucher*innen, die politisch etwas bewegen
     einbringen kann und darf – und dabei selbst          können. Vor allem aber darauf, wieder etwas
     Unterstützung durch das Präsidium erlebt. Mit        zur Bewusstseinsbildung in einem größeren
     großem Engagement führt sie daher ihre Aufga-        Rahmen beitragen zu können.
     be als Frauenbeauftragte beim ÖZIV Steiermark
     aus, organisiert Veranstaltungen und Diskussio-      Langweilig wird es Beate Koch auch nach der
     nen, vernetzt sich mit Gleichstellungsbeauftrag-     Frauen-Konferenz nicht werden. Neben ihren
     ten und Migrantinnenbeirätinnen.                     bereits erwähnten Tätigkeiten beim ÖZIV
                                                          Steiermark und im Behindertenrat, engagiert
     Generell empfindet sie die Behinderten-Organi-       sie sich auch bei „Selbstbestimmt Leben“
     sationen durchwegs als zu männer-dominiert.          und ist zu dem als Laienrichterin am Bundes-
     Hier ist ein Umdenken und eine Weiterentwick-        verwaltungs-Gericht im Einsatz. Was ihr am
     lung dringend notwendig, findet Beate Koch.          wichtigsten ist: „Alle sollen die gleichen Rechte
     Gendergerechte Sprache ist ihr dabei ein wich-       haben – das bedeutet auch gleiche Chancen
     tiges Anliegen, obwohl sie anfangs durchaus          und gleiche Bezahlung.“ Und solange das nicht
     skeptisch war. „Aber Worte bewirken Bewusst-         erreicht ist, bleibt noch viel für Beate und ihre
     sein und Handlungen beginnen im Kopf“, ist           Mitstreiter*innen zu tun!
     Beate überzeugt.

10        INKLUSIV                                                                             www.oeziv.org
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                   gen zu präsentieren.
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ÖZIV // Bundesverband

     Die Sprecherinnen bei der Pressekonferenz zum internationalen Frauentag 2019

     „DISKRIMINIERUNGS-
     FAKTOREN POTENZIEREN SICH“
      Round-Table „Frauen mit Behinderungen“                        Fotos: Lukas Ilgner, Daniela Rammel

     I
        m März fand im Rahmen        mit Behinderungen“ geplant     Christine Steger, Vorsitzende
        einer Presse-Konferenz die   sind.                          des Unabhängigen Monito-
        Präsentation einer Exper-                                   ringausschusses
     tinnen-Liste von Frauen mit     Die Gesprächspartnerinnen:
     Behinderungen statt – mit       Julia Moser, Gründerin und     Isabell Naronnig, Projektlei-
     dem Ziel die Sichtbarkeit von   Vorsitzende des Forums         terin und Peer-Beraterin beim
     Frauen mit Behinderungen        für Usher Syndrom und          Projekt „Zeitlupe“ der Bera-
     zu erhöhen. (INKLUSIV           Taubblindheit und Unterneh-    tungsstelle Ninlil, außerdem
     berichtete) Nunmehr traf        mensberaterin sowie Mitglied   Sexual-Pädagogin
     INKLUSIV-Chefredakteur          des Leadership-Teams bei
     Hansjörg Nagelschmidt fast      myAbility                      Jasna Puskaric, geschäfts-
     alle Protagonistinnen der                                      führende Vorständin in der
     Presse-Konferenz wieder, um     Heidemarie Egger, Kommu-       WAG-Assistenzgenossen-
     ein wenig zurückzublicken,      nikation beim Österreichi-     schaft.
     zu besprechen, was sich seit    schen Behindertenrat und
     der Pressekonferenz getan       für das Thema „Frauen mit      Eingangs würde uns in-
     hat und welche Aktivitäten in   Behinderungen“ hauptverant-    teressieren: wie kam es
     Zukunft zum Thema „Frauen       wortlich                       eigentlich zur Idee der

12        INKLUSIV                                                                      www.oeziv.org
ÖZIV // Bundesverband

                                Idee von Anfang an gut fand        Behinderungen“ entschieden,
                                und das Gefühl hatte „Da           was sehr zu begrüßen ist.
                                will ich dabei sein“. Gleich in
                                einer der ersten Sitzungen         Isabell Naronnig: Für mich
                                des Kompetenz-Teams kristal-       ist das Kompetenz-Team
                                lisierte sich ein sehr wichtiges   auch deshalb eine so tolle
                                Thema heraus: die mangeln-         Initiative, weil ich tagtäglich
                                de Sichtbarkeit bzw. die Un-       in den Beratungsgesprächen
                                sichtbarkeit von Frauen mit        erlebe, mit welchen Themen
                                Behinderungen! So wurden           Frauen und Mädchen mit
                                dann Ideen für Maßnahmen           Behinderungen zu kämpfen
Julia Moser
                                gesammelt, um gegen diesen         haben. Für mich ist es ein
                                Missstand anzukämpfen. Im          gutes Gefühl, Teil einer
„Expertinnen-Liste“ und der     Prinzip ist so die Idee der        starken Gruppe zu sein, wo
Pressekonferenz, wo dies        Expertinnenliste entstanden        wir uns austauschen können
verkündet wurde?                und wurde dann auch rasch          und gemeinsam Pläne für die
                                umgesetzt!                         Zukunft entwerfen.
Heidemarie Egger: Zum
ersten Mal gesprochen haben     Christine Steger: Das Thema        Bei der Pressekonferenz im
wir von dieser Idee letztes     „Frauen mit Behinderungen“         März gab es ein All-fema-
Jahr im Behindertenrat als      ist im Prinzip ein sehr großes     le-Podium (und alle waren
Aktion für den 8. März. So      und wichtiges aber in der          Frauen mit Behinderungen!)
kurzfristig konnten wir das     öffentlichen Diskussion leider     – was war eure Motivation,
jedoch nicht umsetzen und       sehr unterrepräsentiert! Da-       die Anliegen von Frauen mit
haben uns für die Gründung      bei wäre das Thema beson-          Behinderungen öffentlich
des „Kompetenzteam Frau-        ders wichtig, da Frauen bzw.       zu vertreten?
en mit Behinderungen“ im        Mädchen mit Behinderungen
Behindertenrat entschieden.     oft schlechter ausgebildet         Jasna Puskaric: Frauen mit
In diesem Kompetenzteam         sind, was mit geringeren           Behinderungen erfahren im
wuchs die Idee weiter bis zur   Chancen am Arbeitsmarkt            Alltag immer noch Benach-
Veröffentlichung heuer am       und größerer Armutsgefähr-         teiligung und Unsichtbarkeit.
internationalen Frauentag.      dung einhergeht. Ein weiteres      Im Jahr 2019 darf das einfach
Wir haben uns natürlich auch    wichtiges Thema ist auch,          nicht sein. Deshalb bin ich
umgesehen, was es in diesem     dass Frauen mit Behinderun-        sehr dankbar, dass ich bei
Themenbereich in anderen        gen häufiger von Gewalt –          diesem Podium dabei sein
Ländern und zu anderen The-     und besonders sexualisierter       konnte um aufzuzeigen, dass
men möglicherweise schon        Gewalt – betroffen sind. Ich       es für jeden Bereich kompe-
gibt und haben uns auch         bin sehr froh, dass der Behin-     tente Frauen mit Behinderun-
davon inspirieren lassen. Mit   dertenrat dieses Thema der         gen gibt, die einfach auf die
der Expertinnenliste wollten    strukturellen Schlechterstel-      Bühne gehören.
wir unter anderem der geleb-    lung entsprechend aufgegrif-
ten Praxis entgegenwirken,      fen hat!                           Für mich war es überhaupt
dass immer nur die gleichen                                        erst durch Persönliche Assis-
männlichen Stimmen zum          Stimmen von Menschen mit           tenz möglich eine Arbeit zu
Thema Behinderung in der        Behinderungen in der Öffent-       haben, mich fortzubilden, in
Öffentlichkeit gehört werden.   lichkeit sind in erster Linie      der Öffentlichkeit unterwegs
                                noch immer männlich. Die Ini-      zu sein, meine Freizeit zu
Julia Moser: Der Einladung      tiatorinnen des Kompetenz-         gestalten oder menschliche
beim Kompetenz-Team             teams und der Expertinnenlis-      Beziehungen zu pflegen.
Frauen mit Behinderungen        te haben das erkannt und           Denn ich bin im Alltag stän-
teilzunehmen, bin ich sehr      sich für einen thematischen        dig auf die Unterstützung
gerne gefolgt, weil ich die     Schwerpunkt „Frauen mit            anderer angewiesen. Meine

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                                      ist ein positiver Zugang um       Julia Moser: Das Thema
                                      darauf hinzuweisen, dass Po-      „Frau in der Gesellschaft“
                                      dien relativ einfach diverser     war für mich schon immer
                                      gestaltet werden können,          eines von Bedeutung, ganz
                                      wenn der Wille bei den Veran-     unabhängig vom Aspekt „Be-
                                      stalter*innen vorhanden ist.      hinderung“, der für mich erst
                                                                        später durch meine berufliche
                                      Christine Steger: Da möchte       bzw. ehrenamtliche Tätigkeit
                                      ich noch etwas ergänzen:          an Bedeutung gewonnen hat.
                                      abgesehen von der Besetzung       Mir war sehr wichtig, dass
                                      von Podien ist es ja so, dass     ich am Podium sitze, weil ich
     Heidemarie Egger
                                      die wichtigsten Funktionen        etwas zu sagen habe – und
                                      innerhalb unserer Szene           nicht, weil ich eine Frau mit
     Persönlichen Assistentinnen      von Männern besetzt sind.         Behinderungen bin. Deshalb
     decken einen großen Teil         Schließlich werden diese          finde ich auch die Bezeich-
     dieses Bedarfs ab. Leider        Männer ja auch deswegen           nung „Expertinnen-Liste“ so
     nicht den gesamten Bedarf.       eingeladen, weil sie diese        wichtig, weil wir Frauen sind,
     Denn es gibt in Österreich       wichtigen Funktionen beklei-      die wissen, was wir wollen
     derzeit keine bedarfsgerechte    den! Damit sehen wir, dass        und können.
     Finanzierungsmöglichkeit für     das Patriarchat auch auf
     Persönliche Assistenz, wenn      unsere Szene einen starken        Sind durch eure Initiative
     man einen hohen Assistenz-       Einfluss hat. Klar ist: die Ge-   bzw. die Pressekonferenz
     bedarf hat.                      sellschaft ist nach wie vor für   aus eurer Sicht schon Dinge
                                      Männer gemacht!                   in Bewegung geraten? Gab
     Auch ich bin daher abhängig                                        es Reaktionen – positiv/
     von der Unterstützung mei-       Isabell Naronnig: Ein ganz        negativ? (vlt. auch aus
     nes Partners, meiner Familie     wichtiger Sinn der Liste ist      persönlicher Sicht…) Zeigt
     und Freund*innen. Wie schon      auch, die Veranstalter*innen      die Expertinnenliste schon
     gesagt, schafft das Abhän-       zu unterstützen und ihnen         konkrete Auswirkungen?
     gigkeitsverhältnisse. Und ich    die Angst zu nehmen, wenn
     denke, dass Frauen mit Be-       sie Frauen mit Behinderun-        Christine Steger: Die me-
     hinderungen noch mal mehr        gen für Veranstaltungen           diale Berichterstattung war
     abhängig sind von ihrem          einladen wollen. Damit bietet     erstaunlich gut und hat Auf-
     sozialen Umfeld. Durch eine      die Liste einen guten Einstieg    merksamkeit erzeugt.
     bundesweit einheitliche und      und bringt Sicherheit bei der
     bedarfsgerechte Finanzierung     Organisation, weil die Liste      Heidemarie Egger: Durch
     von Persönlicher Assistenz       Infos enthält zu Kompetenz-       die Pressekonferenz haben
     könnte Österreich hier stark     bereichen der Expertinnen         sich auch neue Vernetzungs-
     dagegen wirken. Das wollte       ebenso, wie beispielsweise,       möglichkeiten ergeben. Ich
     ich bei der Pressekonferenz      ob sie bereit sind über ihr       gehe auch aktiv auf Veranstal-
     aufzeigen. Das versuche ich      Leben mit Behinderungen zu        ter*innen zu und weise auf
     auch weiterhin, bei jeder Ge-    sprechen.                         die Expertinnen-Liste hin. Mit
     legenheit.                                                         durchaus unterschiedlichen
                                      Heidemarie Egger: Im End-         Reaktionen – was zeigt, dass
     Heidemarie Egger: Wenn im-       effekt ist die Liste auch ein     wir hier noch Einiges zu tun
     mer nur Männer über das Le-      Sensibilisierungsinstrument,      haben.
     ben mit Behinderungen spre-      denn selbst im Sozialbereich
     chen, dann fehlt automatisch     berücksichtigen Veranstal-        Christine Steger: In Wirklich-
     der Blick auf das Leben von      tungs-Organisator*innen oft       keit legen wir den Finger dort-
     Frauen mit Behinderungen         das Thema der Geschlech-          hin, wo es nötig ist. Und die
     – dem gilt es etwas entgegen-    ter-Parität zu selten.            Liste ist ein gutes Instrument,
     zusetzen. Die Expertinnenliste                                     sich bei Veranstaltungen mit

14        INKLUSIV                                                                        www.oeziv.org
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                                   Julia Moser: Meiner Meinung      tungsgesprächen äußert sich
                                   nach ist die Diskriminierung     das dann manchmal in „sozial
                                   in der Gesellschaft generell     erwünschten Antworten“.
                                   vorhanden. Wir sind nach wie     Hier gilt es Raum zu schaffen
                                   vor bei weitem nicht so weit,    für offene Gespräche über
                                   wie wir längst sein sollten –    die eigenen Bedürfnisse.
                                   alleine was das Frau-Mann-       Deshalb sind Vernetzung und
                                   Thema betrifft. Wenn Frauen      Role-Models mit Vorbild-Funk-
                                   eine Behinderung haben, ist      tion auch so wichtig, um nicht
                                   das nicht einfach ein zusätz-    alleine kämpfen zu müssen.
Christine Steger
                                   licher Diskriminierungs-Fak-
                                   tor, sondern in Wirklichkeit     Jasna Puskaric: Ich arbeite
männlich-dominiertem Podi-         potenzieren sich diese           in einer Genossenschaft, die
um konstruktiv einzubringen.       Faktoren. Mit Konsequenzen       Persönliche Assistenz für
Es gibt einfach keinen Grund       wie schlechter Ausbildung,       Menschen mit Behinderun-
mehr, Frauen bei diesen Ver-       schlechten Job-Chancen, Un-      gen organisiert. Wir beraten
anstaltungen nicht zu Wort         sicherheiten bezüglich einer     Frauen und Männer, die ihr
kommen zu lassen!                  möglichen Eltern-Rolle, feh-     Leben selbstbestimmt mit
                                   lender Unterstützung bei An-     Persönlicher Assistenz in die
Isabell Naronnig: Frauen           nehmen dieser Eltern-Rolle,      eigene Hand nehmen wollen.
wird oft vermittelt, dass sie      fehlenden Karriere-Möglich-      Dabei gibt es in Österreich
als Sprecherinnen weniger          keiten und das Thema Gehalt.     eine Teilung der Förderung
souverän sind und haben            Damit verbunden natürlich        für Persönliche Assistenz
dieses Verhalten oft verin-        die Frage, ob frau sich selbst   zwischen dem Bund und den
nerlicht. Die Liste ist ein Weg,   erhalten kann unabhängig         Ländern. Vom Bund finanziert
um zu zeigen: „wir können          von den Ursprungs-Familien       wird die Persönliche Assistenz
es!“. Und sich gegenseitig         oder Partnern - das Thema        am Arbeitsplatz (PAA). PAA
den Rücken zu stärken, ist         Abhängigkeit von Anderen,        bekommt man für die Suche,
auch ein wichtiger Aspekt der      das sich im Verbleiben in        Erhaltung oder Erlangung ei-
Kompetenz-Gruppe bzw. der          schlechten Beziehungen           nes Arbeitsplatzes, eine Aus-
Expertinnen-Liste.                 manifestieren kann. Die          bildung oder fürs Studium.
                                   wesentliche Frage ist einfach    Die Länder sind zuständig
Jasna Puskaric: Ich bin im-        „Kann ich mein Leben UNAB-       für alle anderen Bereiche
mer wieder darauf angespro-        HÄNGIG gestalten und welche      des täglichen Lebens. Uns ist
chen worden. Auch von alten        Rahmenbedingungen brauche        aufgefallen, dass wir in etwa
Bekannten, die ich schon           ich dafür?“                      gleich viele Frauen und Män-
einige Zeit nicht mehr gese-                                        ner beraten. Dass aber mehr
hen habe. Es sind durchwegs        Isabell Naronnig: Hier           Männer PAA in Anspruch
positive Rückmeldungen,            möchte ich anschließen           nehmen. Und da stellt sich
Dankbarkeit für die Teilnah-       mit unseren Erfahrungen          natürlich die Frage, ob Män-
me und Mut-Zusprechungen           aus der Praxis: Frauen mit       ner mit Behinderungen leich-
weiter zu machen.                  Behinderungen verharren          ter zu einem Job kommen als
                                   sehr oft auch in gewaltvollen    Frauen mit Behinderungen?
Wie stellt sich aus eurer          Beziehungen – einfach weil       Werden Frauen nicht nur
Sicht die Situation von            sie keine anderen Möglich-       aufgrund ihrer Behinderung
Frauen mit Behinderungen           keiten haben. Besonders          benachteiligt, sondern auch
– Stichwort Mehrfachdis-           stark betrifft dies Frauen mit   aufgrund ihres Frau-Seins?
kriminierung – derzeit dar?        Lernschwierigkeiten. Sehr oft
Wie sieht eure Vision dies-        wurden diese Frauen einer        Eine Antwort auf diese Fragen
bezüglich für die Zukunft          bestimmten Sozialisierung        haben wir nicht. Allerdings
aus?                               ausgesetzt – es galt „brav und   möchten wir dieser Erkennt-

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                                     Möglichkeit, sich Lebensreali-    einbringen können. In Sessi-
                                     täten und strukturelle Mecha-     ons wollen wir den Teilneh-
                                     nismen bewusst zu machen          mer*innen viel Raum geben,
                                     und reflektieren zu können.       um sich zu unterschiedlichen
                                     Und in diesem Peer-Aspekt         Themen auszutauschen. Auch
                                     sehe ich auch die Chance für      das gegenseitige Empower-
                                     die Zukunft, dass sich gewisse    ment sollte auf der Konferenz
                                     Dinge hier zum Positiven          Platz finden. Schön wäre,
                                     verändern.                        wenn sich Frauen nach dieser
                                                                       Konferenz genau so viel zu-
                                     Julia Moser: Ich möchte noch      trauen wie ihre männlichen
     Isabell Naronnig
                                     einmal den Aspekt der ökono-      Kollegen. Als ultimatives Ziel
                                     mischen Unabhängigkeit be-        erhoffen wir uns natürlich
     nis gegen wirken und in Zu-     tonen, der für alle Menschen      schon eine Veränderung der
     kunft gezielt Beratungen zum    essenziell ist. Hier sehen        Sichtweisen bei den Besu-
     Thema Persönliche Assistenz     wir zu wenig Veränderung –        cher*innen – und das nach-
     am Arbeitsplatz für Frauen      Bildung wird beispielsweise       haltig. Nicht, dass wir in ein,
     mit Behinderungen anbieten.     immer noch weitgehend             zwei oder fünf Jahren wieder
     Und Kooperationen in diesem     vererbt. Und Netzwerke            von vorne anfangen müssen.
     Bereich eingehen.               spielen eine starke Rolle, hier
                                     verwenden Männer mehr Zeit        Christine Steger: Wir wollen
     Christine Steger: Wir sehen     und Energie und können das        das Thema bei der Konferenz
     auch oft, dass insbesondere     auch, während Frauen sich         weiter vertiefen und die
     Personen, die institutiona-     schon wieder um Privates wie      unterschiedlichen Aspekte an-
     lisiert leben müssen, keine     Kinder kümmern. Somit sind        sprechen, die das Thema Frau
     Perspektive für ein anderes,    Frauen hier durchaus von          sein mit Behinderungen mit
     freieres Leben zugestanden      entscheidenden Mechanis-          sich bringt. Die Veranstaltung
     wird, weil davon ausgegangen    men ausgeschlossen.               ist sicher genauso für Män-
     wird, das sei der „normale“                                       ner, auch für jene, die sich
     Zustand und das natürliche      Im September wird es eine         mit dem Thema bislang noch
     Habitat vom Menschen mit        Konferenz zum Thema               nicht auseinandergesetzt ha-
     Behinderungen seien andere      „Frauen mit Behinderun-           ben, sehr bereichernd.
     Menschen mit Behinderun-        gen“ geben. Was ist dort
     gen. Im sozialstaatlichen       geplant und was wollt ihr         Jasna Puskaric: Die Gleich-
     System in Österreich gibt es    damit in Bewegung brin-           stellung von Frauen mit Be-
     so gut wie keine Optionen der   gen?                              hinderungen ist wichtig und
     Durchlässigkeit. Deswegen ist                                     darf nicht infrage gestellt wer-
     Peer-Beratung, die unabhän-     Heidemarie Egger: Die             den. Sie braucht noch mehr
     gig von Träger-Organisationen   Konferenz für Frauen mit          Aufmerksamkeit und diverse
     stattfindet, auch so wichtig!   Behinderungen verfolgt eine       Maßnahmen zur Umsetzung.
     Wir brauchen personen-zen-      Reihe von Zielen. Nicht zuletzt   Eine davon ist mit Sicherheit
     trierte Zukunftsplanung und     ist uns als Behindertenrat        die bedarfsgerechte bundes-
     umfassende Assistenz für alle   eine Sensibilisierung unserer     weit einheitliche Finanzierung
     Menschen mit Behinderungen      Mitglieds-Organisationen für      von Persönlicher Assistenz
     für eine selbstbestimmte        die Bedeutung des Themas          unabhängig vom Alter, Be-
     Lebensplanung. Das gilt         „Frauen mit Behinderungen“        hinderung, Einkommen oder
     natürlich ganz besonders für    sehr wichtig. Wir wollen dabei    Vermögen.
     Frauen mit Behinderungen.       auch mit Organisationen
                                     zusammenarbeiten, die             Isabell Naronnig: Wichtig
     Heidemarie Egger: Vernet-       aus dem genderpolitischen         ist, an den Themen auch in
     zung im Sinne von Erfah-        Kontext kommen, und hier          Zukunft dranzubleiben. Auch
     rungsaustausch fördert die      entsprechendes Know-How           wenn das manchmal anstren-

16        INKLUSIV                                                                        www.oeziv.org
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gend und ermüdend sein         zudem in Wirklichkeit öster-     auf andere (Frauen-)Orga-
kann. Nur durch stetige Sen-   reichweit Institutionen, die     nisationen zugehen um das
sibilisierungsarbeit können    sich des Themas annehmen         Thema „Frauen mit Behin-
wir Bewusstsein schaffen und   und Ansprechstellen sein         derungen aus dem „sozialen
Veränderungen erreichen.       können. Hier muss dringend       Eck“ zu holen und zu einem
                               etwas passieren, damit wir       gesellschaftspolitischen Anlie-
Unsere Vermutung: das          das Ziel der Geschlechterge-     gen zu machen.
Thema Frauen mit Behin-        rechtigkeit erreichen.
derungen und Mehrfach-                                          Julia Moser: Ich denke auch,
diskriminierung etc. lässt     Christine Steger: Schön          dass es einfach notwendig
sich nicht kurzfristig lösen   wäre, wenn eine solche Kon-      ist, unser Thema nachhaltig
– plant ihr auch über dieses   ferenz zum festen Bestandteil    und permanent im Diskurs zu
Jahr hinaus weitere Aktio-     des jährlichen Veranstaltungs-   verankern.
nen?                           kalenders wird und regelmä-
                               ßig stattfindet. So gesehen      Jasna Puskaric: Wir wer-
Heidemarie Egger: Das          sollte die heurige Konferenz     den uns diesem Thema
Kompetenz-Team wird je-        nur ein Start-Schuss für künf-   annehmen. Ein Projekt zur
denfalls weitergehen und die   tige Aktivitäten sein.           Förderung von Inklusion von
Expertinnenliste soll auch                                      Frauen ist in Arbeit.
weiter wachsen. Wir brauchen   Mittelfristig müssen wir auch

                                                                                                   Bezahlte Anzeige

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ÖZIV // Kolumne - Mit spitzer Feder

     WAS IST ZEIT?
      Widerspruch zu den Gesetzen Einsteins?                                  Gastautor: Manfred W.K. Fischer

     Z
          eit ist relativ. So lehrt es   Unsicherheiten und Unge-
          uns Einstein und seine         schicklichkeiten, wodurch ich
          Relativitätstheorie. Je        noch länger brauchte.
     schneller wir uns bewegen,
     desto langsamer vergeht             Wusste vorerst nicht, wie ich
     die Zeit im Vergleich zu sich       dem beikommen konnte. Zu-
     langsamer oder gar nicht            fällig fiel mir der Roman „Die
     bewegenden Menschen oder            Entdeckung der Langsamkeit“
     Objekten. Bin ich als mobili-       von Sten Nadolny in die
     tätseingeschränkter Mensch          Hände. Dieser basiert auf der
     ein physikalisches Paradox          Lebensgeschichte des eng-
     und widerspreche diesem             lischen Schiffskapitäns und
     Gesetz? Ja, das frage ich mich      Polarforschers John Franklin
     ... mit einem Augenzwinkern.        (1786-1847), der wegen seiner
                                         Langsamkeit immer wieder
     Warum? Durch meine Behin-           Schwierigkeiten hatte, mit der
     derung geht vieles langsamer        Schnelllebigkeit seiner Zeit      sich mit dieser vermeintlichen
     als früher. Aber subjektiv          Schritt zu halten. Er wollte      Behinderung und gewann
     vergeht mir die Zeit schneller.     bereits als kleiner Junge Kapi-   Stärke daraus. Seine Schiffs-
     Wollte es anfangs nicht wahr        tän werden. Aufgrund seiner       mannschaft respektierte
     haben. Wege, die einmal nur         Langsamkeit schien das            ihn, weil sich ungewöhnliche
     einige wenige Minuten gedau-        unmöglich. Aufgrund großer        Problemlösungen aus seinem
     ert hatten, verlängerten sich       Beharrlichkeit gelang es ihm      langen Nachdenken ergaben.
     auf 15 bis 20 Minuten. Das          doch zum Kapitän und einem        Diese aber aus schlussendlich
     stresste mich, weil ich meine       großen Entdecker zu werden.       doch aus schier ausweglosen
     Zeitplanung lange nicht um-         Schlussendlich kam er auf         Situationen führten.
     gestellt habe.                      einer waghalsigen Expediti-
                                         on bei der Suche nach der         Die Geschichte Franklins, der
     Musste mich langsam daran           Nordwestpassage ums Leben.        eine vermeintliche Schwäche
     gewöhnen, länger zu brau-           Die Nordwestpassage ist ein       in seine Stärke verwandelt
     chen. Einerseits für Wege,          nördlich an Kanada vorbei-        hatte, faszinierte mich. Fortan
     andererseits aber auch für          führender Seeweg durch das        beschloss ich, in Bezug auf
     Alltäglichkeiten wie Duschen,       Eis der Arktis.                   die Zeit „egoistisch“ zu sein
     WC gehen u.a. mehr. Nur                                               und MICH zum Maß der
     Kaffee oder ein Bier trinken        Der Roman ist bewusst nicht       Dinge zu erklären. Ich brauch-
     brauchte die gleiche Zeit wie       authentisch gehalten, denn        te eben so lange, wie ich
     früher.                             die darin beschriebene Figur      brauchte - ließ das schlechte
                                         ist im Gegensatz zum realen       Gewissen wegen dieser Lang-
     Irgendwie wollte ich es nicht       Vorbild ein der Langsamkeit       samkeit hinter mir. Wer damit
     wahr haben, kam so in Zeit-         verpflichteter Mensch mit mo-     nicht zurechtkommen wollte,
     not. Daraus ergaben sich            dernen Idealen. Er arrangierte    sollte es bleiben lassen.

18         INKLUSIV                                                                            www.oeziv.org
ÖZIV // Kolumne - Mit spitzer Feder

Nicht an den Rollstuhl           nie! Meine berufliche Tätigkeit          entsteht in meinem Denken
gefesselt                        als Journalist und Sensibilisie-         und meinem Fühlen. Seine
                                 rungstrainer nahm nun richtig            Behinderung anzunehmen,
Dass Wege für mich nicht         Fahrt auf, da ich selbständig            heißt auch, sich für länger
nur länger dauerten, sondern     alleine unterwegs sein konn-             dauernde Tätigkeiten die Zeit
auch anstrengender wurden,       te. Dies auch wegen eines an-            zu geben. Nicht dem nach-
belastete mich trotzdem.         gepassten Autos – Automatik              zuhängen, dass das „früher“
Durch Zufall lieh mir ein        mit Handgas und -bremse.                 alles schneller ging. Es ist
Bekannter seinen Zweit-Roll-                                              eben ein neuer, angepasster
stuhl. Mit ihm wurden für        Wieder passte meine Zeit-                Zeitplan zu erstellen. Es ist
mich Wege wieder leichter.       wahrnehmung nicht zu                     wie es ist und an der Zeit,
Schneller kam ich mit diesem     Einsteins Gedanken. Denn ob-             eben danach zu leben.
ebenfalls voran.                 wohl ich im Rollstuhl schnel-
Als ich erstmals mit meinem      ler unterwegs war als meine              Erstabdruck in der Zeitschrift
eigenen, genau angepassten       Umgebung, verging mir die                „RehaTreff“ 3/2018 (Leimers-
Aktiv-Rollstuhl durch das        Zeit nicht langsamer ... son-            heim, Deutschland).
weihnachtliche Einkaufs-         dern schneller. Zeit hatte ich
getümmel eines nahen             nun auch wieder weniger.
Shopping-Centers flitzte, war
das ein außergewöhnliches        Die Geschwindigkeitsunter-                Zum Autor:
Erlebnis. Lange Wege störten     schiede, ob man mit oder
mich nicht mehr. Lediglich da-   ohne Behinderung unterwegs                Manfred Fischer ist roll-
hinschlendernde Fußgänger        ist, sind wohl doch nicht so              stuhlfahrender Journalist
störten, aber ich war nach-      groß als dass sie nach der                und Sensibilisierungs-
sichtig mit ihnen – wich aus,    Relativitätstheorie relevant              trainer. Er lebt mit seiner
wenn es notwendig wurde.         wären. Wichtig war viel mehr,             Familie in Ostermiething
                                 was sich in meinem Kopf                   in Oberösterreich. 2018
Mit dem Rollstuhl gewann         abspielte.                                erhielt er den Medienpreis
ich ein Stück meiner Bewe-                                                 des ÖZIV Bundesverban-
gungsfreiheit zurück. An ihn     Was ist Zeit? Ja, es stimmt.              des.
„gefesselt“, fühlte ich mich     Sie ist relativ. Diese Relativität

                                                                                                               Bezahlte Anzeige

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ÖZIV // Gastbeitrag - arbeit plus

      EIN FAIRES SYSTEM DER
      ARBEITSLOSENVERSICHERUNG
                                                                          Text: Martina Könighofer (arbeit plus)

     E
          in explosives               jetzt zeigt sich etwa bei der       Titel „Arbeitslosengeld neu“
          Gesamtpaket                 Umsetzung in Niederöster-           die Notstandshilfe aufgelöst
          Die mittlerweile abge-      reich, dass die Neuregelung         werden. Bildlich gesprochen
      löste türkis-blaue Regierung    deutliche Nachteile für pfle-       wäre somit erst das unterste
      hatte im April ein Grund-       gende Angehörige, Kinder            soziale Netz löchrig gemacht
      satzgesetz zur Reform der       und prekär Beschäftigte mit         worden um danach das sozi-
      Mindestsicherung vorgelegt.     sich bringt.                        ale Netz der Notstandshilfe
      Die „Sozialhilfe neu“ bringt                                        gänzlich herauszureißen. In
      deutliche Verschlechterungen,   Die Ablöse der Bedarfsori-          Kombination mit der eben-
      insbesondere für Migrant*in-    entierten Mindestsicherung          falls geplanten Reduktion der
      nen, Alleinerziehende und       durch die Sozialhilfe war nur       Bezugszeit und -höhe des
      Langzeitarbeitslose. Somit      als erster Schritt einer umfas-     Arbeitslosengeldes wäre für
      erfüllt sie nicht mehr ihre     senden Reform des Systems           viele tausende Betroffene ein
      eigentliche Aufgabe - minima-   der sozialen Sicherung ge-          tiefer Fall vorprogrammiert.
      le Existenzsicherung für ein    plant. Als nächster Schritt soll-
      würdevolles Leben. Bereits      te im Herbst 2019 unter dem

20         INKLUSIV                                                                              www.oeziv.org
ÖZIV // Gastbeitrag - arbeit plus

Besonders trifft dies Men-         deren Reintegrationschancen       schaffung der Notstandshilfe
schen mit Behinderungen,           am Arbeitsmarkt mittels com-      zu erwarten, dennoch ist die
wie eine - unveröffentlichte       puterbasierter Berechnung         Gefahr längst nicht gebannt!
- Szenarioberechnung des           (AMS-Algorithmus) erleben
Wirtschaftsforschungsinsti-        die Sozialen Unternehmen          Nun gilt es, konkret Stellung
tuts WIFO zeigt. Rund 37.000       als zu kurz gegriffen für die     zu beziehen und die Vor-
Menschen mit Behinderung           Lebensrealitäten der Be-          stellungen einer gerechten
hätten keinen Anspruch mehr        troffenen. Eine ausführliche      Arbeitslosen-versicherung
auf Notstandshilfe und müss-       Stellungnahme zum Thema           gegenüber Entscheidungsträ-
ten Sozialhilfe mit allen Impli-   Algorithmus & Segmentierung       ger*innen zu formulieren. Die
kationen beantragen: Vermö-        findet sich auf der Website       Arbeiterkammer hat hierzu
genszugriff, eingeschränkte        von arbeit plus.                  unter dem Titel „Darf’s ein
Mittel für oft dringend            Alles in allem sehen wir          bisserl fair sein“ eine Befra-
notwendige Anschaffungen,          uns mit einem explosiven          gung lanciert, die individuelle
erhöhter Druck, am kompeti-        Gesamtpaket konfrontiert,         Bedürfnisse von Arbeitneh-
tiven Arbeitsmarkt einen Job       mit dem wir immer mehr            mer*innen und Arbeitsuchen-
zu finden.                         auf das Hartz IV Modell in        den erfragt. Es ist essentiell,
                                   Deutschland zusteuern. Dort       vor allem die Stimmen von
Arbeitsmarktexpertin Judith        wird allerdings bereits daran     Betroffenen einzubringen,
Pühringer warnt als Ge-            gearbeitet, die dadurch ent-      denn ein faires System der
schäftsführerin von arbeit         standenen massiven Schäden        Arbeitslosenversicherung
plus, dem Netzwerk Sozialer        wieder wettzumachen.              sieht aus Sicht von arbeit plus
Unternehmen in Österreich,                                           anders aus als die Pläne der
vor den möglichen Folgen:          Ein guter Zeitpunkt               letzten Regierung. Es muss
„Wir befürchten, dass lang-        Angesichts der politischen        ein Recht auf Weiterbildung
zeitarbeitslose Menschen in        Veränderungen in unserem          und ernstzunehmende Maß-
Zukunft weniger Angebote           Land, die neue Chancen ber-       nahmen zur Bekämpfung von
erhalten, dass Arbeitslosigkeit    gen, ist genau jetzt ein guter    Langzeitarbeitslosigkeit (bei-
immer häufiger als individu-       Zeitpunkt, ein faires System      spielsweise eine Jobgarantie)
eller Makel verstanden wird        der Arbeitslosenversicherung      beinhalten. Arbeitslosengeld
und benachteiligte Menschen        einzufordern. Im Rahmen der       muss existenzsichernd sein
durch zusätzlichen Druck und       Kampagne SOS-Notstands-           und auf Bedürfnisse eingehen
Existenzängste weiter an den       hilfe haben sich zahlreiche       - etwa berücksichtigen, dass
Rand des Arbeitsmarkts und         Organisationen österreichweit     Menschen mit Behinderung
der Gesellschaft gedrängt          zusammengeschlossen, um           oftmals länger brauchen, um
werden.“                           gegen die Abschaffung der         einen geeigneten Job zu fin-
                                   Notstandshilfe einzutre-          den. Aus der mehr als 30-jäh-
Die Rückschritte im System         ten. Hierbei wurde schnell        rigen Erfahrung von arbeit
der sozialen Absicherung           sichtbar, dass das Anliegen       plus wissen wir, dass nicht alle
müssen auch im Kontext             keineswegs ein Nischenthema       Menschen zu den Bedingun-
einer immer restriktiveren         ist und viele Organisationen      gen des ersten Arbeitsmarktes
und schlechter finanzierten        - angefangen bei Sozialen Un-     arbeiten können – gerade für
Arbeitsmarktpolitik verstan-       ternehmen über Sozial- und        sie braucht es daher Angebote
den werden. Neben den              Kulturplattformen, Vertre-        längerfristiger Beschäftigung,
Kürzungen des Budgets des          tungsorganisationen, Arbei-       Modelle, die arbeiten und
Arbeitsmarktservices (AMS)         terkammern, Gewerkschaften        lernen kombinieren und finan-
kommt es aktuell auch zu           bis hin zu Gemeinden (v.a.        zielle Absicherung, um soziale
Verschärfungen von Zu-             durch die Kostenverlagerung)      Teilhabe zu ermöglichen.
mutbarkeitsbestimmungen            - intensiv betrifft und hier
und der Segmentierung von          übergreifende Allianzen uner-     www.arbeitplus.at
Arbeitssuchenden. Die Eintei-      lässlich sind. Für Herbst 2019    www.arbeiterkammer.at
lung in drei Gruppen gemäß         ist zwar mittlerweile keine Ab-   www.sos-notstandshilfe.at

www.oeziv.org                                                                                INKLUSIV   21
ÖZIV // Special

      ZUM ABSCHIED
     K   laus Voget und Hedi Schnitzer-Voget haben
         sich im Laufe ihrer Tätigkeit für den ÖZIV
      viel Anerkennung erarbeitet. Die hier von
                                                        Statements von Weggefährt*innen unter-
                                                        streichen die enorme Wertschätzung, die den
                                                        beiden entgegengebracht wird.
      Hansjörg Nagelschmidt zusammengetragenen

                                        Klaus Voget, der rauchende Vordenker

                                       Ich habe 1985 im Sozial-
                                        ministerium zu arbeiten
                                       begonnen und war immer im
                                                                         des vor- und nachdenkenden
                                                                         Menschen Klaus Voget!

                                       Bereich der Politik für und mit   Eine wichtige Voraussetzung
                                       Menschen mit Behinderung          für das Vor- und Nachdenken
                                       tätig.                            scheint in meiner Erinnerung
                                                                         die Zigarette gespielt zu
                                       Es gab in den letzten mehr als    haben. Klaus Voget hatte das
                                       30 Jahren keine wesentliche       unschätzbare Privileg, sogar
                                       Verbesserung für Menschen         bei passionierten Nichtrau-
                                       mit Behinderung in Öster-         chern unter den Spitzenbe-
                                       reich, an der Klaus Voget nicht   amten rauchen zu dürfen.
                                       an vorderster Front maßgeb-
                                       lich beteiligt gewesen ist.       Es ist den Wenigsten bewusst,
                                                                         wie viele geniale, kreative und
                                       Seien es das Bundespflege-        innovative Ideen und Geset-
                                       geldgesetz, die Reformen          zesbestimmungen ihre Exis-
                                       des Behinderteneinstellungs-      tenz ein paar Zügen aus Klaus
                                       gesetzes, das Behinderten-        Vogets Zigaretten verdanken.
                                       gleichstellungspaket oder das
                                       Bundesbehindertengesetz,          Hansjörg Hofer
                                       überall finden sich die Spuren    Bundesbehindertenanwalt

      Liebe Hedi, lieber Klaus!

     I  hr wart mir immer eine
        großartige Unterstützung.
      Ich schätze sehr, dass Ihr
                                       verschafft hast. Mein VALID
                                       Team und ich wünschen Euch
                                       von Herzen eine erholsame
      mit mir durch dick und dünn      Pension! Ich freu mich sehr
      gegangen seid. Egal ob du        auf ein baldiges Wiedersehen!
      Klaus mir bei der ersten
      Pressekonferenz zu Seite ge-     Florian Dungl,
      standen bist, oder ob du liebe   Herausgeber VALID Magazin
      Hedi mir das tolle Coaching

22         INKLUSIV                                                                        www.oeziv.org
ÖZIV // Special

                                 Dr. Voget zum Abschied

                                 Z  wei Jahrzehnte und
                                    mehr sind seit meiner
                                 Hofburg-Zeit verblassen.
                                                                   zur Mitmenschlichkeit zu erin-
                                                                   nern. Gegen Diskriminierung
                                                                   und für Inklusion zu fördern
                                 Geblieben ist Hochachtung,        und Barrierefreiheit – auch in
                                 ja Bewunderung für diesen         den Köpfen.
                                 eindrucksvollen Mann im
                                 Rollstuhl. Unermüdlich als        Erst später habe ich bemerkt,
                                 Jurist, Richter und Gerichts-     was die Begegnungen mit
                                 vorsteher. Und unersetzlich       Dr. Voget im Umgang mit
                                 als Vorkämpfer für Menschen       Behinderungen auch in mir
                                 mit Behinderungen in unse-        verändert haben: den Wandel
                                 rem Land. Führend aktiv in        vom Mitleid hin zum Respekt
                                 unzähligen Vereinen, Verbän-      – und bei ihm selbst auch für
                                 den, Kommissionen… Rastlos,       die Kraft, so lange durchzu-
                                 ziel-orientiert - und doch        halten. Auf gute, entspannte
                                 umsichtig-besonnen.               Jahre!

                                 Es hat mich fasziniert, wie er    Heinz Nußbaumer
                                 es - ohne Rührseligkeit - im-     Autor und Herausgeber
                                 mer wieder geschafft hat, die     „Die FURCHE“,
                                 Politik bis hinauf zum Bun-       früher Sprecher von
                                 despräsidenten an ihre Pflicht    Bundespräsidenten

Würdigung Dr. Klaus VOGET und Frau Hedi SCHNITZER-VOGET

D  ie geschichtsträchtige
   Adresse „Herbststraße
6-10“ im Wiener 16. Bezirk, an
                                 inklusiven Arbeitsmarktes.
                                 „Dr. Voget“, „Hedi Schnit-
                                 zer-Voget“ mit dem ÖZIV
welcher sich das „Arbeitsamt     sind für mich untrennbar
Berufliche Rehabilitation“ be-   verbunden und waren immer
fand, war die Stätte unserer     ein Garant für Wertschätzung,
ersten Begegnung im Rahmen       Verlässlichkeit und Kritikfä-
der Sitzung ARGE-Reha. Seit      higkeit, kurz gesagt, die soge-
diesem Zeitpunkt vergingen       nannte „Handschlagqualität“
wie im Fluge 28 Jahre einer      war selbstverständlich.
gemeinsamen intensiven und       Es war eine schöne Zeit der
auch erfolgreichen Zusam-        Zusammenarbeit, daher
menarbeit für Menschen mit       wünsche ich beiden für Ihren
Behinderungen. Gemeinsam         neuen Lebensabschnitt alles
mit dem Arbeitsmarktservice      Gute, vor allem Gesundheit
Wien konnte das Maßnah-          sowie das entsprechende
menangebot des ÖZIV für          Zeitpotential um alle sicher-
arbeitslose Personen be-         lich schon geplanten „Ruhe-
darfsgerecht angeboten und       standsprojekte“ umzusetzen.
umgesetzt, Dienstverhältnisse
begründet bzw. aufrechter-       Herbert Fritz
halten werden im Sinne eines     AMS Geschäftsstellenleiter i.R.

www.oeziv.org                                                                              INKLUSIV   23
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