Bilingualer Unterricht: Lernen - Lehren - Forschen - Bilingualer Unterricht : Grundlagen ...
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Bilingualer Unterricht: Lernen – Lehren – Forschen Gerhard Bach 1. Bili-Konjunktur und die Tradition von Innovation "Bilinguales" Lernen im schulischen Unterricht ist nicht neu, auch wenn der konjunk- turelle Aufschwung seit Mitte der 1990er Jahre dies suggeriert. Was heute in curricu- laren Konzepten und in schulischer Praxis als Umbruchsituation gekennzeichnet wird, hat Geschichte. Diese reicht zurück bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Forderungen nach einem frühzeitigeren Einsatz von Fremdsprachen, also in der Primar- stufe oder auch schon im Kindergarten, wurden seinerzeit als Begegnungssprachen- konzept formuliert und in den siebziger Jahren praktisch im "Frühbeginn Englisch- unterricht" – so der Titel des damals vielbeachteten niedersächsischen Schulversuchs von Doyé und Lüttge (1975) – umgesetzt. Andere Bundesländer blicken auf ähnliche Entwicklungen zurück (vgl. Käpernick 1970a; Bach / Käpernick 1985). Auch Lehr- materialien für Englisch in der Primarstufe wurden damals bereits erarbeitet; sie bezeugen nicht nur die fachdidaktischen und unterrichtspraktischen Innovations- impulse jener Zeit, sondern auch das bereits ausgeprägte Interesse der Schulbuch- verlage an diesen Entwicklungen (Käpernick 1970b). Aber nicht allein im Bereich "Frühbeginn" war Innovation angesagt, auch im weiterführenden Fremdsprachenunter- richt wurden curriculare Grenzüberschreitungen durch fächerübergreifenden oder fächerverbindenden Unterricht – "Projektarbeit" – gefordert und realisiert. Zahlreiche Projektbeschreibungen dokumentieren die Zusammenhänge jener Curriculumsdiskus- sion und ihren weit mehr als modischen Charakter ebenso wie ihre unterrichts- methodischen und fachpraktischen Ergebnisse (Buttjes 1981). Gemeinsam für die damalige und die heutige Situation ist der sprachenpolitische Hintergrund, vor dem die bildungsspezifischen Ziele profilbildend entwickelt werden. Es geht damals wie heute um das "europäische Haus", d. h. um die Ausbildung von Mehrsprachigkeit als einer Kulturkompetenz im Kontext sowohl der Einheit als auch der Vielfalt Europas. Welche neuen Anforderungen der europäische Einigungsprozess an die Schulentwicklung im Kontext des Wechselspiels von Diversität und Integration in einem zusammenwachsenden Europa generell stellt, hat Dethloff (1993) in einem synoptischen Abriss bereits Anfang der neunziger Jahre festgehalten. Heute ist "Europakompetenz" in nahezu allen Rahmenrichtlinien und Lehrplänen in der Bundes- republik als Richtziel verankert, wobei der bilinguale Unterricht als zentraler Auf- gabenbereich für die Erschließung dieses Ziels genannt wird (Bach / Breidbach 2009, Breidbach 2007). Wie sich der Weg vom frühen Fremdsprachenlernen zum Lernen in zwei Sprachen entwickelt hat und welche Konzepte und Erfahrungen daraus gewonnen wurden, zeigen verschiedene europaweite Vergleichsstudien (z. B. Marsh und Wolff 2007, European Commission 2006). Gerhard Bach and Susanne Niemeier - 9783653011111 Downloaded from PubFactory at 09/21/2020 06:08:34AM via free access
10 Gerhard Bach Die in diesem Buch zu Worte kommenden Autoren stellen sich dem Anspruch nach Mehrsprachigkeit als bildungspolitischem Richtziel in Europa mit konkreten innova- tiven Realisierungsvorschlägen. Dabei steht einerseits die fremdsprachendidaktische Perspektive im Vordergrund, aber zugleich wird auch deutlich, dass der fächerüber- greifende Dialog zwischen den einzelnen Unterrichtsfächern ergebnisorientiert geführt wird – sowohl in der Unterrichtspraxis als auch im interdisziplinären Diskurs der Wissenschaften. Beide Dialogkontexte, zwischen den Fremdsprachen und Sachfächern einerseits und zwischen den Sachfächern untereinander andererseits, machen den Mehrwert aus, der für den bilingualen Unterricht festgestellt worden ist (Bonnet / Breidbach 2004, Zydatiß 2007). Dieser Mehrwert bereichert nicht nur die unterricht- lichen Lehr- und Lernkontexte im schulischen Umfeld, auch im Aus- und Fortbildungs- sektor der Lehrämter findet er seinen Niederschlag. Der bilinguale Unterricht ist, ebenso wie die Unterrichtsforschung auf diesem Sektor sowie die Mehrsprachigkeitsdidaktik generell, wesentlich an der Professionalisierung von interdisziplinär denkenden und handelnden Lehrkräften beteiligt (Breidbach / Bach / Wolff 2002, Viebrock 2007). Solche Lehrkompetenzen sind umso dringlicher, als die außerschulische Lern- und Lebenswelt junger Menschen in Europa die Forderungen nach Mehrsprachigkeit, Interkulturalität und Europakompetenz teilweise schon eingeholt bzw. überholt hat. 2. Junge Menschen in Europa als players in the continental game Zwei Aspekte dieser kurzen einführenden Bestandsaufnahme liefern für die gegenwär- tige Diskussion wichtige Denkanstöße: (1) Die Impulse für kontextintegriertes, am Sachfach orientiertes anwendungsbezogenes Sprachenlernen im schulischen Unterricht gehen traditionell von der Fremdsprachendidaktik aus; das Motiv – anwendungsbezo- genes Lernen mit dem Ziel, Sachkenntnisse und Fertigkeiten auszubilden – steht nach wie vor im Zentrum des fachlichen Diskurses, in der Wissenschaft ebenso wie in der Praxis. Auch die in diesem Band versammelten Autoren verorten sich in dieser Tradi- tion. Die Frage nach einer fachdidaktischen Positionierung des fremdsprachlich durchgeführten Sachfachunterrichts und damit einhergehend die Frage nach der Not- wendigkeit einer eigenständigen Methodik bezeugen dies, wie Eike Thürmann und Stephan Breidbach in ihren Beiträgen aufzeigen. (2) Die Lebenswirklichkeit hat die schulische Wirklichkeit in ihrem Bemühen um curriculare Anpassung an gesellschaft- liche Erfordernisse in verschiedener Hinsicht bereits überholt. Junge Menschen in Europa wissen, welche Kompetenzen in der Wissensgesellschaft an vorderster Stelle stehen und ihnen ist klar, welche dieser Kompetenzen für ihre berufliche Perspektiven, aber auch für ihre soziale Integration von besonderer Bedeutung sind. Fremdsprachliche Handlungskompetenz spielt dabei eine vorrangige Rolle, aber als ebenso wichtig werden Mobilität, Offenheit und Teamfähigkeit genannt. Jugendliche sehen sich als players in the continental game, nicht nur idealiter, wenn es um ihre (berufliche) Zukunft geht, sondern konkret in der Teilhabe am internationalen Kulturangebot in Freizeit, Sport und Musik, so wie es die Pet Shop Boys mit dem selbstverständlichen Duktus einer konsumorientierten Generation formuliert haben: Gerhard Bach and Susanne Niemeier - 9783653011111 Downloaded from PubFactory at 09/21/2020 06:08:34AM via free access
Bilingualer Unterricht: Lernen – Lehren – Forschen 11 In Brussels Bonn and Barcelona I'm in demand and quite at home there 'Adelante' through the door 'Un momento, por favor' This is what I get paid for 'Muchas gracias señor' I'm a player in the continental game With unlimited expenses to reclaim Information's easy Tapping at my PC That is the frame of the game I'm single bilingual Single bilingual ¿Hay una discoteca por aquí? (Pet Shop Boys: "Bilingual", Text von CD) Sprache verkörpert und funktionalisiert Kultur in gesellschaftlichen Kontexten. Kultur ist nicht mehr primär ein tradiertes, national geprägtes außerindividuelles Gut, sondern äußert sich in kontextadäquatem individuellem Verhalten. Kulturkompetenz bedeutet, sich durch das Bauen von Sprachbrücken mit anderen zu verbinden – eine vordring- liche Aufgabe im mehrsprachigen und vielkulturellen Europa. Kulturkompetent han- deln bedeutet demnach auch, sich wie selbstverständlich in diesem Terrain zu bewegen. 3. Neubestimmung einer Mehrsprachigkeitsdidaktik Bezeichnend für die Mehrsprachigkeitsperspektiven der heranwachsenden Generation ist deren deklarativer und instrumenteller Charakter. Diese Generation fordert in ihrem selbstverständlichen Anspruch auf Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität den heuti- gen, sich häufig nur noch plakativ als "kommunikativ" und "interaktiv" verstehenden schulischen Unterricht zu einer Neubestimmung heraus, vor allem im Hinblick auf ihren "monolingualen Habitus" (Gogolin 1994). Dies ist eine Forderung, der die Unter- richtspraxis nur mit Zögern Folge leistet; Schule und Unterricht, Lehrerausbildung und Wissenschaft müssen dieser Kritik mit praxisnahen Konzepten begegnen. Zwar konnte der kommunikative Ansatz sich als mainstream approach des Fremd- sprachenunterrichts in Europa durchsetzen; gleichwohl hat er sein innovatives Poten- tial inzwischen weitgehend eingebüßt. Aus ihm haben sich, wie Dieter Wolff in seinem Beitrag kritisch bemerkt, sehr konventionelle Formen der unterrichtlichen Sprachvermittlung abgeleitet. Wo Lerninhalte in authentischen Lernsituationen kom- munikativ verhandelt werden sollen, scheitert der Unterricht oft an tradiertem Lern- stoff aus nicht mehr zeitgemäßen Lernkonzepten und Lehrmaterialien. So kann der kommunikative Ansatz kaum noch dazu beitragen, meint Wolff, dass Schüler die in einem mehrsprachigen Europa dringend erforderlichen (sprachlichen) Kompetenzen selbständig entwickeln. Gerhard Bach and Susanne Niemeier - 9783653011111 Downloaded from PubFactory at 09/21/2020 06:08:34AM via free access
12 Gerhard Bach In Antwort darauf hat die Fremdsprachendidaktik durch Einbeziehung neuerer Erkenntnisse der Sprachlernforschung, der Entwicklungspsychologie und einer empirisch ausgerichteten, lernerbezogenen Unterrichtsforschung diverse methodische Ansätze und Modelle entwickelt, die heute als "Handlungsorientierung", "Prozess- orientierung", "task-based learning", "interaktives Lernen" usw. bekannt sind. Auch der sogenannte "bilinguale" Unterricht wird vermehrt in diesem Spektrum als eine neue "Methode" gekennzeichnet, obwohl er streng genommen ein Curriculum darstellt, allerdings mit deutlichen Forderungen an dessen methodische Perspektivierung und Präzisierung, was das jeweilige Sachfach ebenso betrifft wie die Fremdsprache. Die vielschichtigen Aspekte dieser Interdependenz stellt Helmut J. Vollmer ins Zentrum seiner beiden Beiträge. 4. Eigenständige Didaktik und Methodik des biliSFU? Der Impulsgeber für oben angesprochene Forderungen ist die Fremdsprachendidaktik. Theorie, curriculare Struktur und Methodik des bilingualen Sachfachunterrichts (biliSFU) im Sinne des Content and Language Integrated Learning (CLIL) sind von den Fachdidaktiken der Fremdsprachen geprägt. Erst seit Beginn der 2000er Jahre wird intensiver die Frage nach einer eigenständigen Methodik des biliSFU gestellt. Aber auch hier wird der Dialog mit den in der Fremdsprache unterrichteten Sach- fächern durch die Fremdsprachenfächer selbst in die Wege geleitet, augenscheinlich unter dem Eindruck der Erfahrung, dass nach etwa fünfzehn Jahren sowohl praxis- naher Modellbildung (und teilweise auch dilettantischen Experimentierens) eine Annäherung der Sachfächer untereinander dringend erforderlich ist. Trotz dieses begonnenen Dialogs müssen sich die beteiligten Disziplinen der Kritik stellen, die Dieter Wolff (1997: 50) bereits Mitte der 1990er Jahre formulierte: Sofern ich zu erkennen vermag, unterliegt dem bilingualen Sachfachunterricht bisher noch keine auf ihn zugeschnittene Theorie des Lernens, und auch in der Didaktik ist man über erste experimentierende Versuche noch nicht hinaus. ... Jede Form von prakti- schem unterrichtlichem Handeln ... bedarf einer unterliegenden Theorie, durch die ab- gesichert wird, daß das, was im Klassenzimmer geschieht, auch lerntheoretisch sinnvoll ist, daß es pädagogisch angemessen ist und zum gewünschten Ergebnis führt. Im Kontext dieser weder für die Fremdsprachendidaktik noch für die Sachfachdidaktik befriedigenden Positionsbestimmung wird bilingualer Unterricht in Deutschland curri- cular in drei Vernetzungsmodellen angedacht. (1) Das lineare Modell erkennt als Ziel einen in der Fremdsprache geführten Sachfach- unterricht. Der Fremdsprache kommt hier eine vorbereitende Aufgabe zu: vom Fremdsprachenunterricht zum bilingualen Sachfachunterricht. Dieses Denkmodell ist an bundesdeutschen Schulen weit verbreitet. In der Regel findet im weiterfüh- renden Unterricht keine innere Vernetzung von Sachfachunterricht und Englisch- unterricht statt. Dies wird generell als ein Mangel empfunden, der für viele Lehr- kräfte eine Konsequenz nicht eingelöster personeller und materieller Versprechen seitens der Kultusbürokratie darstellt. Gerhard Bach and Susanne Niemeier - 9783653011111 Downloaded from PubFactory at 09/21/2020 06:08:34AM via free access
Bilingualer Unterricht: Lernen – Lehren – Forschen 13 (2) Das parallele Modell ist am fächerverbindenden Ansatz orientiert: Fremdsprachen- unterricht und Sachfachunterricht. Während auch hier der Fremdsprachenunterricht durch eine Anhebung der Stundenzahl im Anfangsunterricht zügiger zu einer kommunikativen Basiskompetenz führen soll, wird die stetige Vernetzung mit dem Sachfach angestrebt mit der Absicht, Aufgabenbereiche abzugleichen und Ziele aufeinander abzustimmen. (3) Das integrative Modell baut auf den Prinzipien des an Inhalten und an Interaktion gleichermaßen orientierten Fremdsprachenunterrichts auf, jedoch nicht mit dem Ziel einer Verlagerung (fach-)sprachlicher Kompetenz in den Sachfachunterricht, sondern mit dem Ziel einer Instrumentalisierung von Fremdsprache durch das Sachfach. Das fremdsprachliche Handeln im Sachfach bestimmt bilinguale Lern- kontexte. Über das Abgleichen von Aufgabenbereichen und Zielen hinaus wird der Synergieeffekt eines content and language integrated learning zum zentralen Motiv sprachlicher Interaktion in sachfachlichen Kontexten. Der "bilinguale" Unterricht heute strebt als Richtziel das dritte Modell (CLIL) an, realisiert aber in der Regel nur das erste Modell; dies sowohl aufgrund der genannten äußeren bildungspolitischen Faktoren als auch aufgrund spezifischer innerer Faktoren wie beispielsweise Methodenunsicherheit, Materialsituation oder Ausbildungsstand der Lehrkräfte. Hervorzuheben ist an diesem Punkt, dass für alle drei Modelle eines gemeinsam gilt: keines von ihnen ist "bilingual" im eigentlichen Wortsinn. 5. Exkurs über den Begriff "bilingual": the naming game Bereits im Vorfeld der Einrichtung und Erprobung von Bili-Modellen an deutschen Schulen hat es Dissens über den Begriff "bilingual" gegeben. Die Ursache hierfür liegt in der anfänglichen Orientierung bundesdeutscher Bili-Modelle an kanadischen und U.S.-amerikanischen curricularen Vorbildern. Relativ schnell war Konsens darüber hergestellt, dass die Ergebnisse kanadischer Feldversuche zur bilingualen Ausbildung von Schülern, die in einer nominell bilingualen Gesellschaft weitgehend monolingual heranwachsen, für bundesdeutsche Verhältnisse ebenso wenig übertragbar waren wie U.S.-amerikanische Curricula, die den Erfordernissen einer durch Einwanderung und Migration geprägten mehrsprachigen und mehrkulturellen Gesellschaft Rechnung zu tragen hatten. Ein kurzer Blick auf das Definitionsspektrum von bilingual im Kontext der kulturellen Adaption an sich verändernde Bedingungen von Sprachenlernen unter schulischen und nicht-schulischen Bedingungen verdeutlicht dies: (1) the two-year-old who is beginning to talk, speaking English to one parent and Welsh to the other; (2) the four-year-old whose home language is Bengali and who has been attending an English playgroup for some time; (3) the schoolchild from an Italian immigrant family living in the United States who in- creasingly uses English both at home and outside but whose older relatives address him in Italian only; (4) the Canadian child from Montreal who comes from an English-speaking background Gerhard Bach and Susanne Niemeier - 9783653011111 Downloaded from PubFactory at 09/21/2020 06:08:34AM via free access
14 Gerhard Bach and attends an immersion programme which consists of virtually all school subjects being taught through the medium of French; (5) the Portuguese chemist who can read specialist literature in his subject written in English; (6) the Japanese airline pilot who uses English for most of his professional communi- cation; (7) the Turkish immigrant worker in Germany who speaks Turkish at home and with his friends and work colleagues, but who can communicate in German, in both the written and the oral forms, with his superiors and the authorities; (8) the wife of the latter, who is able to get by in spoken German but cannot read or write it. (Auflistung, gekürzt aus insgesamt 15 Items, nach Hoffmann 1991: 16 f.) Diese nach Migrations- und Enkulturationsprozessen sowie nach Verwendungssitua- tionen aufgefächerte Taxonomie bilingualer (Lern-)Kontexte ist zunächst kumulativ- deskriptiv. Daneben finden wir im nordamerikanischen Kontext jedoch auch, dass der Begriff bilingual, insbesondere in Verbindung mit education, nicht nur entsprechende zweisprachige Kompetenzen und besondere institutionalisierte Programme bezeichnet, die auf eine bilinguale Interaktionskompetenz vorbereiten, sondern dass sich mit bilin- gual education zugleich auch ein soziales Stigma verbindet, welches seinen Nährboden in der als Kompensationsmaßnahme gesehenen Spracherziehung für "Problemschüler" mit Migrationshintergrund hat. Solche Assoziationen zu Mehrsprachigkeit stellen auch in deutschen Bildungskontexten immer noch ein Problem dar (vgl. Ahrenholz 2007). 6. Definitionsspektrum "bilingualer Unterricht" und CLIL Während das englischsprachige Konzept von bilingual also stringent auf soziale Ein- gliederung bzw. sprachkulturelle Eigenständigkeit (Québecois in Kanada, Latinos in den USA) ausgerichtet ist, orientiert sich "bilingual" im bundesdeutschen Bildungs- kontext an ganz anderen Gegebenheiten und Zielen. Mit dem Begriff verbinden sich sehr unterschiedliche Projektionen und Programme. Unter "bilingualen“ Schul- oder Unterrichtsprojekten wird landläufig verstanden: zweisprachige Schulen (z. B. die Europaschulen), bilingualer Sachfachunterricht auf der Sekundarstufe II, Begegnungs- sprachenprojekte im Frühbeginn, Deutschunterricht für Migranten und Schulklassen, in denen ausländische Schüler einer bestimmten Sprachgruppe zeitweilig oder über- wiegend in ihrer Erstsprache unterrichtet werden. Entsprechend vielfältig sind die seit Mitte der 1990er Jahre in Rahmenrichtlinien, Strukturpläne und curriculare Empfehlungen eingeführten Definitionen. "'Bilingualer Unterricht' bedeutet: auf Sachfächer bezogener Unterricht, der in Deutschland vor- zugsweise in englischer oder französischer Sprache durchgeführt wird." (ITPS Schles- wig Holstein 1995: 2). Eine solche Definition orientiert sich ausschließlich am Stoff als Unterrichtsgegenstand. Sie konstatiert die Verknüpfung von Fremdsprache und Sachfach, ohne eine an weiträumigeren Zielen orientierte Perspektive einzunehmen oder implizit eine didaktisch-methodische Strukturierung zu empfehlen. Einen anderen Weg schlägt das Bundesland Bremen ein: Gerhard Bach and Susanne Niemeier - 9783653011111 Downloaded from PubFactory at 09/21/2020 06:08:34AM via free access
Bilingualer Unterricht: Lernen – Lehren – Forschen 15 In den bilingualen Bildungsgängen soll eine sprachliche Kompetenz erworben werden, die weit über die Ergebnisse eines normalen Fremdsprachenunterrichts hinausgeht. Die Schülerinnen und Schüler sollen neben einer umgangssprachlichen Geläufigkeit auch kompliziertere naturwissenschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle und politische Sach- verhalte und Zusammenhänge fremdsprachlich bewältigen lernen. (Deputation Freie Hansestadt Bremen 1994: 3). Auch diese Definition von "bilingual" ist unterrichtsstrategisch am Lernstoff als Gegenstandsbereich ausgerichtet. Sie enthält jedoch zugleich den Faktor einer besonderen Profilbildung, die "Bili" für besonders motivierte oder befähigte Schüler durch die zusätzlich "garantierte" überdurchschnittliche sprachliche Kompetenz mög- lich macht. Diese Definition – sie ist in abgewandelter Form auch in den Rahmenricht- linien anderer Bundesländer enthalten – bietet viel Angriffsfläche für die Stigmati- sierung von "Bilingualem Unterricht" als einem Unterricht für Eliteschüler. Eine solche Kritik an bildungspolitischen Entscheidungen oder Vorgaben lässt generell verbindliche Aussagen über ihre Stimmigkeit nicht zu; sie hat allerdings bewirkt, dass Bili-Reform- bemühungen seither mit den Schatten einer unzeitgemäßen Elitebildung behaftet sind. Die an fremdsprachendidaktischen und bili-sachfachdidaktischen Prämissen orien- tierten Definitionen und Zielformulierungen treten aus diesem Schatten dadurch heraus, dass sie das Mehrwertargument ("bessere Qualität durch mehr Quantität") nicht für sich in Anspruch nehmen, dafür aber den kommunikativen Vorteil fremdsprachig ge- führter Kommunikation im fachbezogenen Unterricht ins Zentrum rücken. Nicht die Fremdsprache steht im Vordergrund, sondern sie wird benutzt, um fachliche Inhalte zu erarbeiten und darüber sachorientiert zu kommunizieren. Dabei ist nicht der quantitative Aspekt eines 'Mehr' an Fremdsprache entscheidend, sondern die qualitative Andersartigkeit des Gebrauchs der Fremdsprache, der nicht primär den sonst vorherr- schenden Korrektheitsnormen unterworfen ist. (Schmid-Schönbein / Siegismund 1998: 201) Der Unterschied von bilingual education und "bilingualem Unterricht" lässt sich an dieser Definition erkennbar nachvollziehen. Während bilingual eher instrumental auf Integration in einen dominanten monolingualen (USA, Deutschland) oder bilingualen (Kanada) sozialen Kontext angelegt ist, mit der Perspektive, eine sich entwickelnde L2-Kompetenz der L1-Kompetenz anzunähern (die originäre Bedeutung von "Zwei- sprachigkeit"), ist "bilingual" im Hinblick auf deutsche Schulen traditionell gleichbedeu- tend mit "erhöhter Fremdsprachenkompetenz". Dass dies in unterschiedlichem Maße auch europaweit zutrifft, kann nach der Vergleichsuntersuchung, die Susanne Nie- meier in ihrem Beitrag liefert, als gesichert gelten. Weder ein erweiterter Fremdspra- chenunterricht noch ein teilweise in der Fremdsprache durchgeführter Sachfachunter- richt werden durch das Auftreten echter bilingualer Kommunikationssituationen charakterisiert. Die Tatsache, dass wir den Begriff "bilingualer Unterricht" letztlich falsch verwenden, ist weniger beunruhigend als die Erwartungen, die dadurch in der Öffentlichkeit geweckt werden und an denen in der Öffentlichkeit die Ergebnisse eines inhaltsbezogenen Fremdsprachenlernens gemessen werden. Welche terminologischen Alternativen bieten sich an? "Inhaltsbezogenes Fremd- sprachenlernen" präzisiert diesen Kontext begrifflich mit Bezug zum Fremdsprachen- Gerhard Bach and Susanne Niemeier - 9783653011111 Downloaded from PubFactory at 09/21/2020 06:08:34AM via free access
16 Gerhard Bach unterricht, während "fremdsprachig erteilter Sachfachunterricht" den Bezug zum Sach- fach hervorhebt. Beide Termini sind zwar präziser als "bilingual", aber natürlich längst nicht so griffig. Parallel hierzu hat sich die Bezeichnung "bilingualer Sachfach- unterricht" ("biliSFU") in die Curricula eingeschrieben. Da sich international jedoch Content and Language Integrated Learning (CLIL) durchgesetzt hat, ist das von Andreas Bonnet und Stephan Breidbach (2004: 13-14) vorgetragene Plädoyer für CLIL zu unterstützen, denn mit diesem Begriff "soll deutlich markiert werden, dass die Diskussion um fremdsprachigen Sachfachunterricht und die Diskussion um Unterricht in den Herkunftssprachen zwei Seiten derselben Medaille ausmachen". Innerhalb dieses Definitionsspektrums ist zwischen den beiden eingangs genannten Positionen eine Binnendifferenz auszumachen, die uns auf die eigentliche curriculare Problematik eines Unterrichtsbereichs hinweist, in dem Sprachen fächerübergreifend eingesetzt werden (sollen): die didaktische Fragestellung, ob für den in der Fremdspra- che durchgeführten Unterricht eine eigene Methodik zu entwickeln sei, oder ob das vorhandene inhaltsorientierte Methodenspektrum der Fremdsprachendidaktik geeignet ist, bei entsprechender fächerspezifischer Modifikation im "Bili-Sachfach" zu greifen. Auch wenn hegemoniale Fachinteressen empfindlich berührt sein mögen: es ist nach wie vor unübersehbar, dass der Diskurs über den bilingualen Sachfachunterricht von den Impulsen der Fremdsprachendidaktik lebt. Soll die bilinguale nicht länger „zwischen allen Stühlen“ hin und her driften (vgl. die Positionsbestimmung, die Stephan Breidbach im letzten Kapitel dieses Bandes liefert), muss der Dialog zwischen Fremdsprachendidaktik und Sachfachdidaktiken nicht nur gefordert, sondern auch konkret gefördert werden (Beispiele hierzu vgl. Bonnet / Breidbach 2004). 7. Methodisch-didaktische Grundfragen Zwar gibt es, wie eingangs gesagt, weder einen Konsens über die Methoden des fremdsprachlichen Unterrichts noch eine Methodik des fremdsprachlich durchgeführ- ten Sachfachunterrichts. Dennoch wird in einer stetig wachsenden Zahl von Schulen in beinahe allen Bundesländern "bilingual" gelernt – überwiegend in den Fächern der Gesellschaftswissenschaften (Geschichte, Politik, Geographie) und der Naturwissen- schaften (Biologie, Chemie, Physik), aber seit einiger Zeit auch in Musik, Kunst und Sport. Wenn dies auf der Basis eines didaktischen Konzepts erfolgt, ist ein solches in den meisten Fällen nicht explizit ausformuliert. Auch den Verfassern von (kommer- ziellen und nicht-kommerziellen) Lernmaterialien fehlt dieses Gerüst. Dies hat zu einer regen Auseinandersetzung über methodisch-didaktische Grund- fragen geführt, an der sich nunmehr auch die Sachfachdidaktiken beteiligen. Zugespitzt bedeutet diese Auseinandersetzung eine Beantwortung der von Schmid-Schönbein / Siegismund (1998) aufgeworfenen Grundsatzproblematik: "Mehr oder anders?" Zieht man die einschlägigen Publikationen der Fachverbände heran, so wird diese Diskus- sion inzwischen nicht mehr nur in den Fremdsprachen geführt, sondern auch in den beteiligten Sachfachdidaktiken. Heike Rautenhaus nimmt darauf Bezug und betont in ihrem Beitrag über didaktische Grundfragen des bilingualen Sachfachunterrichts am Gerhard Bach and Susanne Niemeier - 9783653011111 Downloaded from PubFactory at 09/21/2020 06:08:34AM via free access
Bilingualer Unterricht: Lernen – Lehren – Forschen 17 Beispiel Geschichte, dass ein englisch durchgeführter Sachfachunterricht in erster Linie den Ansprüchen der jeweiligen Sachfachdidaktik Genüge tun muss. Daraus resul- tiert, wie Wolfgang Biederstädt im sich daran anschließenden Kapitel am Beispiel Geo- graphie exemplarisch darlegt, für die Fremdsprachendidaktik eine doppelte Forderung: (1) Sprachliche Vorbereitung als Hinführung zum bilingualen Sachfachunterricht (Englischunterricht als Propädeutikum) (2) Sprachliches Anforderungsprofil des Sachfachs an das Fremdsprachenfach (Englisch als Kommunikationsmedium außerhalb des Englischunterrichts) 8. Bili-Unterrichtsstrategien Für beide Aufgabenfelder gibt es bislang keine gesicherten methodischen Festlegun- gen. Für die beteiligten Didaktiken eröffnet der biliSFU jedoch ein breites Spektrum an Fragen, anhand derer das etablierte Methodenrepertoire neu konzipiert werden kann. Bahnbrechend für diese zwischen Theorie und Empirie angelegten Konzepte des Lehrens und Lernens im biliSFU sind die aus dem Dialog der beteiligten Disziplinen erwachsenen Arbeiten der letzten ca. zehn Jahre, in denen sich die „Forschungs- landschaft“ nicht nur quantitativ immens ausgedehnt hat, sondern sich auch qualitativ in der Annäherung von Theoriebildung und Unterrichtspraxis positiv verändert hat. Die Bibliographie am Ende dieses Buches zeigt dies ebenso wie die Publikationen in der Reihe Mehrsprachigkeit in Schule und Unterricht – MSU (Peter Lang Verlag). Für die Praxis sowohl des Fremdsprachenunterrichts wie des biliSFU lassen sich dabei primär vier Bereiche ausmachen. 8.1. Funktionale Fremd- und Mehrsprachigkeit In den siebziger Jahren löste Wolfgang Butzkamm die Unbedingtheit der Einsprachig- keit im Englischunterricht durch seine Forderung nach "aufgeklärter Einsprachigkeit" ab und brachte damit so manche verfahrene monolinguale Unterrichtssituation wieder in ein kommunikatives Fahrwasser. Bezogen auf den in der Fremdsprache geführten Sachfachunterricht heißt dieses Prinzip heute "funktionale Fremdsprachigkeit". Wie Butzkamm in seinem Beitrag ausführt, ist damit der sachbegründete Sprachwechsel zwischen L2 und L1 gemeint und damit eine situativ eingebundene sprachliche Entlas- tung der unterrichtlichen Kommunikationsabläufe. Etwas weniger Fremdsprache kann durch den bedachten und wohldosierten Einsatz der Muttersprache zu mehr Fremd- sprache führen, sagt Butzkamm, d. h. "zu einem korrekteren, präziseren und gedank- lich weiter ausgreifenden Gebrauch der Fremdsprache". Butzkamm führt sieben Formen der planvollen Mitbenutzung der Muttersprache im fremdsprachlich geführten Sachfachunterricht auf, von denen die aus Lehrperspektive wohl wichtigste (und am schwierigsten umzusetzende) die "Pendelstrategie" ist, d. h. die planvolle, in den Unterricht integrierte, kurzfristige muttersprachliche Hilfestellung. Gerhard Bach and Susanne Niemeier - 9783653011111 Downloaded from PubFactory at 09/21/2020 06:08:34AM via free access
18 Gerhard Bach 8.2. Lernerautonomie Autonomie ist eine dynamische und somit auch ausbildbare menschliche Fähigkeit. Sie schließt Entscheidungsfähigkeit ebenso ein wie Engagement, selbstkritische Distanz, Reflexionsvermögen und selbständiges Handeln. Das Bedürfnis nach autonomem Handeln im "bilingualen" Unterricht – sprachlich und aufgabenbezogen – wird als die singuläre Eigenschaft von Kommunikationsabläufen in bilingualen Unterrichtssitua- tionen hervorgehoben. In solchen Kommunikationssituationen wird gleichzeitig eine Diskrepanz deutlich zwischen dem, was Schüler sagen können (Fremdsprachenkompe- tenz) und dem, was sie sagen wollen (Inhaltskompetenz). Für die Schüler ist dabei das referentielle Mitteilungsbedürfnis größer als das selbstreferentielle Sprachbedürfnis. In Abwandlung des klassischen Funktionspaares fluency before accuracy sprechen wir hier von message before accuracy. Die empirische Unterrichtsbegleitforschung hat sich dieses Aufgabengebiet zu einem zentralen Beobachtungsgegenstand gemacht. Gröne (1997: 45) fasst ihre Eindrücke aus diesem Umfeld unterrichtlichen Alltags- geschehens folgendermaßen zusammen: Nach meinen Beobachtungen wollen die Siebtkläßler schon nach der Einführungsphase möglichst ausschließlich die Fremdsprache benutzen, obwohl L2 für sie eine deutliche Einschränkung ihres Mitteilungsbedürfnisses und ihrer Sprechbereitschaft bedeutet. Sie wollen inhaltliche Aussagen machen und tun dies, ohne sich viel Gedanken um die sprachliche Korrektheit zu machen. 8.3. Kompetenzen strategisch aufbauen In Anlehnung an Forschungsergebnisse der Pädagogischen Psychologie ist es für den Lerner einer fremden bzw. zweiten Sprache wichtig, Strategien für kompetentes sprachliches Handeln zu entwickeln und selbständig zu strukturieren. Angesprochen sind hier die (methodisch zu positionierenden) Auswirkungen von Mitteilungsbedürf- nis und sprachlichen Handlungsstrategien, die bei den Lernern bereits vorhanden oder angelegt sind. Die Schüler sollen lernen, wie sie vorhandene Strategien in neue Lern- kontexte überführen können. Der handlungsorientierte Fremdsprachenunterricht hat hierfür verschiedene umsetzungsfähige Modelle angeboten (vgl. insbesondere Legutke, 2009; Conacher / Kelly-Holmes 2007). Dies lässt sich unter dem Gesichtspunkt der Lernerautonomie für den fremdsprachlich gesteuerten Sachfachunterricht in spezi- fische sprachlernbezogene Teilkompetenzen ausdifferenzieren, eine Aufgabe, der heute, wie Helmut J. Vollmer in seinem Beitrag zur Förderung des Spracherwerbs argumen- tiert, vorrangige Bedeutung zugemessen wird. 8.4. Multi-mediales und multi-dimensionales Lernen Lernwelt und Lebenswelt wachsen durch die stetig steigende extensive und intensive Vernetzung von Lernen und Medien zusammen. Die multimediale Umwelt ist für Schüler ein Anreiz zu vielgestaltigem Lernen, zu flexiblem Umgang mit neuen Lern- kontexten sowie zum Experiment als selbstverständlicher Lernform. Der zwischen- menschliche Umgang, die tägliche Kommunikation unter Schülern – auch der mehr- sprachige oder gemischt-sprachige Umgang – ist durch die tägliche Verarbeitung Gerhard Bach and Susanne Niemeier - 9783653011111 Downloaded from PubFactory at 09/21/2020 06:08:34AM via free access
Bilingualer Unterricht: Lernen – Lehren – Forschen 19 neuer Medien und Medienprodukte geprägt. Surfen und Chatten gehören zum Kommunikationsalltag aller Schüler, und auch mit dem Begriff "downgeloadet" kann sich mancher problemlos anfreunden. Aber wir sind nicht nur durch die Medien ge- prägt. Die mediale Öffnung zur Welt über das World-Wide-Web verschafft uns auch Zugang zu neuen Kommunikationsformen – neben E-mail auch Internet-Recherchen, Blogs, Wikis und andere Begegnungen im virtuellen Raum. Ohne den Einsatz des Englischen als lingua franca internationaler Kommunikation bleiben diese Zugangs- wege in der Regel verschlossen. Beide – der Fremdsprachenunterricht wie auch der Sachfachunterricht – profitieren von diesen Möglichkeiten der Informationsbeschaf- fung und des Informationsaustauschs, vorausgesetzt, das Medium wird funktional genutzt, d. h. nicht nur als Informationsquelle, sondern vor allem als kommunikatives Werkzeug für problem solving activities. Eine solche Kompetenz im Umgang mit ICT (information and communication technologies) ist im Übrigen auch im europäischen Aktionsplan für Ausbildung und Erziehung erneut zentral verankert und implizit mit CLIL vernetzt worden: Content and Language Integrated Learning (CLIL) … has a major contribution to make to the Union’s language learning goals. It can provide effective opportunities for pupils to use their new language skills now, rather than learn them now for use later. It opens doors on languages for a broader range of learners, nurturing self-confidence in young learners and those who have not responded well to formal language instruction in general education. It provides exposure to the language without requiring extra time in the curriculum, which can be of particular interest in vocational settings. … Considerable scope for contact between pupils in other language communities is offered by eLearning approaches based on Internet-facilitated school twinnings and on the pedagogical use of ICT for learning (eLearning). Care needs to be taken that they favour the learning of a wide variety of languages. (European Commission 2005: 8, 10). 9. Lernerautonomie und Handlungsorientierung im bilingualen Unterricht: Lehrer - Schüler - Lernarrangements Die Frage, in welcher Weise im oben bezeichneten linearen Modell der erweiterte Fremdsprachenunterricht in der Vorschaltphase auf die erhöhten sprachlichen Anforderungen des nachfolgenden Sachfachunterrichts vorbereitet, hängt mit der Zielvorstellung zusammen, die wir mit dem Sachfachunterricht verbinden. Auf die Frageformel "Mehr oder anders?" wurde bereits hingewiesen. Die in dieser Formel implizierte Polarität weist einerseits auf eine neue Funktion des Fremdsprachenunter- richts im Spektrum der Schulfächer hin, eben auf seine instrumentale Funktion. Dadurch verändert sich andererseits auch seine Zielperspektive. Ein curricular inter- dependentes Verhältnis von Fremdsprache und Sachfach fordert demnach die Inter- dependenz des "Mehr und anders!". Die Frage also, wie der Fremdsprachenunterricht mit der ihm zugeordneten größeren Quantität zielgerichtet umgehen sollte, ist nur qualitativ zu beantworten. Unter dem Blickwinkel einer funktionalen Fremdsprachen- kompetenz, die auf Lernerautonomie baut und daher Entwicklungs- und Gestaltungs- raum für kommunikative Interaktion bereitstellt, für die kognitive Lernerfolge nicht weniger wichtig sind als instrumentelle Fertigkeiten (management skills, study skills), Gerhard Bach and Susanne Niemeier - 9783653011111 Downloaded from PubFactory at 09/21/2020 06:08:34AM via free access
20 Gerhard Bach sind die Prinzipien eines handlungsorientierten Fremdsprachenunterrichts von besonderer Bedeutung. "Mehr und anders" bedeutet in dieser Hinsicht etwa für den erweiterten Anfangsunterricht in der Fremdsprache (vgl. Bach / Timm 2009: 17-21): Schulische Situationen sind Alltagssituationen. Die Schulsituation ist nicht nur Lernraum, sie ist zugleich Kommunikationsraum, in dem auch organisatorische Fragen und Fragen des sozialen Miteinanders in der Fremdsprache von Anfang an im Sinne eines "sprachlichen Probehandelns" erörtert werden. Die Authentizität von sprachlichem Handeln ist unabdingbar. Es ist von unter- geordneter Bedeutung, ob Situationen, die sprachlich verhandelt werden, real oder fiktiv sind. Wesentlich ist, dass sie von den Schülern im jeweiligen Kontext als unmittelbar zu lösende Aufgaben akzeptiert werden. Das experimentell-handelnde Lernen tritt in den Vordergrund. Die Konvention der Linearität des Sprachaneignungsprozesses von Einführen über Üben zu Transfer ist unter den beiden erstgenannten Aspekten nicht immer sinn- voll (im Übrigen ist sie auch nicht stringent planbar). Üben und Transfer haben im Lernprozess eine gleichrangige Position. Einführen löst sich ab mit Hineinfinden. Grundlage aller Lernaktivitäten ist ein Lernanreize schaffender Unterrichtskontext (rich learning environment). Damit ist ein Angebot an kommunikativen Situa- tionen gemeint, welche die Tragfähigkeit und die Reichweite sprachlicher Kompe- tenz berücksichtigen und welche kontextuell so unmittelbar sind, dass Schüler zu sprachlichen Äußerungen herausgefordert werden. Sprache ist Spiel, Spiel enthält Risiko. Lernen, in der fremden Sprache zu kommuni- zieren, bedeutet, mit Sprache experimentieren, Fehler machen, Unsicherheiten aus- halten, Vagheit in Kauf nehmen, Bestätigung auch für noch Unfertiges finden, mehr fragen dürfen als antworten müssen, Hypothesen bilden und diese austesten können; interlanguage und code-switching sind hierfür unerlässliche Strategien. Es sind in diesen Prinzipien eine Reihe von sprachlichen und außersprachlichen kommunikativen Fertigkeiten enthalten, auf die sowohl der erweiterte Fremdsprachen- unterricht in der Vorschaltphase als auch die Kommunikation in Lernszenarien ein be- sonderes Augenmerk haben müssen, denn Schüler wollen so schnell wie möglich Nutzen aus ihren Sprachlernbemühungen ziehen. Wo Unterricht im obigen Sinne ganzheitlich, kommunikationsgeleitet und ergebnisorientiert ist, sind Schüler sich durchaus ihrer Aufgaben bewusst. Haben sie dieses Ziel vor Augen, dann wollen sie, wie Gröne (s. o.) beobachtet hat, direkt dorthin. Diese Prinzipien schlagen sich auf Lehrerseite im Kontext von Ausbildung und Fort- bildung in einer Reihe von Forderungen nieder, die hier nur kurz angerissen werden können – aus bildungspolitischer und curricularer Sicht nimmt Bliesener (1999) zu diesem Fragenkomplex ausführlich Stellung. Von Lehrkräften, die im bilingualen Unterricht eingesetzt werden (wollen), werden vier Kompetenzen vorausgesetzt: Gerhard Bach and Susanne Niemeier - 9783653011111 Downloaded from PubFactory at 09/21/2020 06:08:34AM via free access
Bilingualer Unterricht: Lernen – Lehren – Forschen 21 eine überdurchschnittliche Sprachkompetenz, die sich sowohl durch eine general communicative competence auszeichnet als auch durch Fachsprachenkompetenz; wissenschaftlich fundierte Sachkompetenz in beiden Fächern, der Fremdsprache und dem Sachfach; Methodenkompetenz, d. h. methodische Multiperspektivität, spezifisch also die Fähigkeit, über die Grenzen fachbezogener Methoden schauen und unterrichtlich entsprechend planen und handeln zu können. Kulturkompetenz, denn nicht nur Sprache, auch jedes Sachfach ist kulturell kodiert. Das verlangt nach der Fähigkeit, sprachlich und fachlich einen kultur- adäquaten Perspektivenwechsel vollziehen zu können. Aktuell sind diese Fragen einer eigenständigen bilingualen Didaktik gerade auch aus Schülersicht. Schüler wollen sich so direkt wie möglich die Welt kommunikativ erobern und die "Bürde" des Fremdsprachenlernens hinter sich lassen. "Es gibt zu denken," sagt Manfred Ernst (1995: 259), "daß Lernende das Fach Fremdsprache auf- geben, aber weiterhin am bilingualen Sachfachunterricht teilnehmen möchten." In der Tat mag uns dies auf den ersten Blick nachdenklich stimmen. Bei genauerer Betrach- tung gibt es jedoch Anlass zu der Annahme, dass solche Schüler den "Mehrwert" des biliSFU erkannt haben und ihn für ihr Lernen nutzen; die Berliner Studie zur Evaluation des bilingualen Sachfachunterrichts an Gymnasien (Zydatiß 2007) weist dies empirisch nach. Schüler, die so denken, realisieren das, was oben als interaktives Modell von "Fremdsprachenlernen durch Sachfachunterricht" bezeichnet wurde. Literatur Ahrenholz, Bernt (2007): Kinder mit Migrationshintergrund. Spracherwerb und Förder- möglichkeiten. Freiburg: Fillibach Verlag. Bach, Gerhard / Breidbach, Stephan (2009): "Fremdsprachenkompetenz in der mehrsprachigen Wissensgesellschaft. " In: Bach, Gerhard / Timm, Johannes-Peter (Hrsg.): Englischunter- richt: Grundlagen und Methoden einer handlungsorientierten Unterrichtspraxis. 4. Aufl., Tübingen, Basel: Francke: 280-303. Bach, Gerhard / Käpernick, Harry (1985): "Englischunterricht in der Grundschule: Grund- lagen – Methoden – Erfahrungen." Informationsschrift zur Lehrerbildung, Lehrerfortbil- dung und pädagogischen Weiterbildung (Heidelberg) 1985/29: 4-18. Bach, Gerhard / Timm, Johannes-Peter (Hrsg.) (2009): Englischunterricht: Grundlagen und Methoden einer handlungsorientierten Unterrichtspraxis. 4. Aufl., Tübingen, Basel: Francke. Bliesener, Ulrich (1999): "Die eigentlichen Fachfragen des Fremdsprachenunterrichts." Neu- sprachliche Mitteilungen 52/3: 146-150. Bonnet, Andreas / Breidbach, Stephan (Hrsg.) (2004): Didaktiken im Dialog. Konzepte des Lehrens und Wege des Lernens im bilingualen Sachfachunterricht. Mehrsprachigkeit in Schule und Unterricht - MSU, Bd. 2. Frankfurt: Peter Lang. Breidbach, Stephan / Bach, Gerhard / Wolff, Dieter (Hrsg.) (2002): Bilingualer Sachfach- unterricht. Didaktik, Lehrer-/Lernerforschung und Bildungspolitik zwischen Theorie und Empirie. Mehrsprachigkeit in Schule und Unterricht - MSU, Bd. 1. Frankfurt: Peter Lang. Breidbach, Stephan (2007): Bildung – Kultur – Wissenschaft. Reflexive Didaktik für den bilingualen Sachfachunterricht. Münster: Waxmann. Gerhard Bach and Susanne Niemeier - 9783653011111 Downloaded from PubFactory at 09/21/2020 06:08:34AM via free access
22 Gerhard Bach Buttjes, Dieter (Hrsg.) (1981): Landeskundliches Lernen im Englischunterricht. Paderborn: Schöningh. Conacher, Jean E. / Kelly-Holmes, Helen (2007): New learning Environments for Language Learning. Moving Beyond the Classroom? Kolloquium Fremdsprachenunterricht – KFU, Band 28. Frankfurt: Peter Lang. Deputation Freie Hansestadt Bremen (1994): Zwischenbericht über den Schulversuch "Bilin- guale Bildungsgänge in Bremen". Bremen. Dethloff, Uwe (1993): Interkulturalität und Europakompetenz: Die Herausforderung des Binnenmarktes und der Europäischen Union. Tübingen: Stauffenburg. Doyé, Peter / Lüttge, Dieter (1975): "Der Braunschweiger Schulversuch 'Frühbeginn des Eng- lischunterrichts' (FEU)." In: Niedersächsisches Kultusministerium (Hrsg.): Schulversuche und Schulreform, Bd. 8: Englisch im Primarbereich. Hannover: Schroedel: 113-45. Ernst, Manfred (1995): "Fehlerkorrektur und Leistungsbewertung im bilingualen Sachfach- unterricht." Praxis des neusprachlichen Unterrichts 42: 258-263. European Commission (2005): Promoting Language Learning and Linguistic Diversity: An Action Plan 2004-2006. http://ec.europa.eu/education/policies/lang/policy/ index_en.html European Commission (2006): Content and Language Integrated Learning (CLIL) at School in Europe. http://eacea.ec.europa.eu/ressources/eurydice/pdf/0_integral/071EN.pdf Gogolin, Ingrid (1994). Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster: Waxmann. Gröne, Helga (1997): "'We speak English in our Geography class, and we learn English in our English class'. Beobachtungen an Lernern in der Praxis." In: Vollmer, Helmut J. / Thür- mann, Eike (Hrsg.): Englisch als Arbeitssprache im Fachunterricht: Begegnungen zwi- schen Theorie und Praxis. Soest: 44-49. Hoffmann, Charlotte (1991): An Introduction to Bilingualism. London: Longman. ITPS (1995): Bilingualer Unterricht in Schleswig-Holstein: Informationen – Empfehlungen. Kronshagen: ITPS Schleswig Holstein. Käpernick, Harry (1970a): Wie kleine Kinder Englisch lernen. Freiburg: Hyperion. Käpernick, Harry (1970b): Spielend Englisch. Band 1 (3. Grundschuljahr), Band 2 (4. Grund- schuljahr). Karlsruhe: Braun. Legutke, Michael (2009): "Lernwelt Klassenzimmer: Szenarien für einen handlungsorien- tierten Fremdsprachenunterricht." In: Bach, Gerhard / Timm, Johannes-Peter (Hrsg.): Eng- lischunterricht: Grundlagen und Methoden einer handlungsorientierten Unterrichtspraxis. 4. Aufl., Tübingen, Basel: Francke: 91-120. Schmid-Schönbein, Gisela / Siegismund, Barbara (1998): "Bilingualer Sachfachunterricht." In: Timm, Johannes-Peter (Hrsg.): Englisch lernen und lehren. Berlin: Cornelsen: 201-210. Viebrock, Britta (2007): Bilingualer Erdkundeunterricht. Subjektive didaktische Theorien von Lehrerinnen und Lehrern. Frankfurt: Lang. Wolff, Dieter (1997): "Bilingualer Sachfachunterricht: Versuch einer lernpsychologischen und fachdidaktischen Begründung." In: Vollmer, Helmut J. / Thürmann, Eike (Hrsg.): Eng- lisch als Arbeitssprache im Fachunterricht: Begegnungen zwischen Theorie und Praxis. Soest: 50-62. Zydatiß, Wolfgang (2007): Deutsch-englische Züge in Berlin (DEZIBEL). Eine Evaluation des bilingualen Sachfachunterrichts an Gymnasien. Mehrsprachigkeit in Schule und Unterricht – MSU, Band 7. Frankfurt: Lang. Gerhard Bach and Susanne Niemeier - 9783653011111 Downloaded from PubFactory at 09/21/2020 06:08:34AM via free access
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