Borgward - Schussfahrt in den Konkurs - Vortrag - iaw Colloquium, 12. März 2019, 16.00 18.00 Uhr - Uni Bremen
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Jochen Tholen (jtholen@uni‐bremen.de) Borgward – Schussfahrt in den Konkurs Vortrag – iaw Colloquium, 12. März 2019, 16.00‐18.00 Uhr
„Bremen – Borgward, Borgward – Bremen, das war eins“ Mythos Borgward • Dieses Zitat des seinerzeitigen Bevollmächtigten der IG Metall Bremen spiegelt den Mythos Borgward wieder, wie er vor Allem nach dem 28. Juli 1961 – dem Zeitpunkt des Antrags auf einen Vergleich (später Anschluss‐Konkurs) der nunmehr quasi verstaatlichten Borgward AG beim Amtsgericht Bremen – entstanden war. • Die auch heute noch wirkende Faszination dieses „Mythos Borgward“ wurde zuletzt durch den ARD Film „Die Affäre Borgward“ deutlich, jüngst am 7. Januar 2019 zur besten Sendezeit ausgestrahlt. • Und die Borgward Geschichte in Bremen begann vor genau 100 Jahren mit dem 1919 erfolgten Eintritt von Carl F.W. Borgward als Teilhaber in die „Bremer‐Reifen Industrie GmbH“.
Doch was ist wahr am „Mythos Borgward“‐1? • Wie erklären sich Aufstieg und Fall des alleinigen Eigentümers und genialen Konstrukteurs Carl F.W. Borgward? • Ist Borgward in den Ruin getrieben worden, etwa durch eine ausgefeilte Strategie der automobilen Konkurrenz, allen voran BMW, aber auch durch den Bremer Senat, der am 4. Februar 1961 die Borgwardgruppe als „Borgward‐AG“vom bisherigen Eigentümer übernahm und damit unter staatlicher Regie stellte? • Oder waren es die lange vor 1961 gemachten unternehmerischen Fehler von Carl F.W. Borgward selbst, die wesentlich mit zu dem Aus führten? • War es gar ein unglückliches Zusammentreffen externer Faktoren, wie etwa dem Hafenarbeiterstreik an der Ostküste der USA im Winter 1960/61, der Borgwards Exporte empfindlich traf? • Oder war es 1960 die globale Überproduktionskrise im Fahrzeugbau, die auch Borgward mit in die Krise zog?
Doch was ist wahr am „Mythos Borgward“‐2? Und wie ist die Aussage zu bewerten, dass alle privaten Ansprüche beim Ende des Konkursverfahrens 1967/69 zu 100 Prozent befriedigt werden konnten? Was war mit den Ansprüchen der Bremer Steuerzahler, die in dem Krisenjahr 1960/61 Borgward mit 125 Millionen DM (ohne die unbeglichenen 20 Mio DM Steuer‐ und Abgabeschulden Borgwards von 1960) gestützt hatten – das waren immerhin rund ein Viertel des gesamten öffentlichen Haushaltes 1960 des Bundeslandes Bremen? Was geschah mit den Beschäftigten nach dem Zusammenbruch der Borgward AG? Und überhaupt: Wie verhielten sich seinerzeit Gewerkschaften und Betriebsräte der Borgwardgruppe? Und warum wehrten sich die Borgward Arbeitnehmer nicht gegen den Zusammenbruch, wie es etwa die Belegschaft der Bremer Großwerft AG Weser 27 Jahre später tat? Und was kann man aus dem Borgward Zusammenbruch vor knapp 60 Jahren für das Heute und die Zukunft lernen?
Borgwards Stellung 1959/1960 • Borgward war das größte Industrieunternehmen im Bundesland Bremen • Borgward war der größte (private) Steuerzahler Bremens • In der Borgwardgruppe arbeiteten 1960 rund 22.700 Menschen. Damit arbeitete fast jeder Vierte im Verarbeitenden Gewerbe der Stadt Bremen bei Borgward. • Hinzu kamen noch rund 3.000 Zulieferer mit insgesamt weiteren ca. 30.000 Beschäftigten – diese Gruppe war aber über den regionalen Arbeitsmarkt Bremen hinaus weit gestreut. • Und Borgward war 1959 der fünftgrößte Pkw Produzent in der Bundesrepublik.
Quellen • Grundlage ist eine umfassende empirische Studie aus den 1980er Jahren, in der nicht nur zahlreiche, damals noch lebende Zeitzeugen befragt wurden, sondern auch die bis heute nicht freigegebenen Borgward Akten des Bremer Senats (durch einen glücklichen Zufall) ausgewertet werden konnten: • Wilhelm Eberwein, Jochen Tholen: Borgwards Fall. Arbeit im Wirtschaftswunder, Borgward, Goliath, Lloyd. Steintor‐ Verlag Bremen, 1987, ISBN: 3‐926028‐18‐1 • Dieselben: Carl. F.W. Borgward. Kapitalist und Patriarch – Rentabilität und Fürsorge. Die sozialen Beziehungen zwischen Unternehmer und Belegschaft, in: Innovationen aus Bremen. Jahrbuch 2006/7 der Wittheit zu Bremen, Hauschildt‐Verlag Bremen, 2008, ISBN: 978‐3‐89757‐398‐ 7, S. 168 ‐ 180
Borgwards Entwicklung von 1919 bis 1960 ‐ 1 Von der Bohnenschneide – zur Artilleriezugmaschine (1919‐1945): 1919: Bremer‐Reifen Industrie GmbH: 20 Beschäftigte, Küchengeräteproduktion etc. (Borgward ist Teilhaber) 1920/21: „Bremer Kühlerfabrik Borgward&Co. OHG“ (Borgward alleiniger Eigentümer): Zunächst die Produktion von Kotflügeln, Kühlern etc. 1924: Produktion des „Blitzkarrens“ (Einzylinder, 2‐Takter, 2,2 PS): Riesenerfolg. Andere Dreiradfahrzeuge folgten 1928: Umbenennung in „Goliath‐Werke Borgward&Co GmbH“ (mehrere hundert Beschäftigte) 1929: Zusammen mit Tecklenborg Erwerb der Aktienmehrheit der Hansa‐Lloyd Werke (damals 1.700 Beschäftigte): Kleinlieferwagenbau 1931: Durch die Weltwirtschaftskrise gehen die Hansa‐Lloyd Werke in den Vergleich. Borgward&Tecklenborg gelingt es, das Vermögen dieser Werke auf ihre neue Firma „Hansa‐Lloyd Gloliath‐Werke & Tecklenborg“ zu übertragen.
Borgwards Entwicklung von 1919 bis 1960 ‐ 2 1934: Auszahlung von Tecklenborg, Borgward ist alleiniger Eigentümer. Marktdurchbruch erfolgt mit den Hansa 1100 und Hansa 1700, danach in 1937 mit dem Hansa 1500 1939: Kriegswirtschaft (Einstellung der PkW und Lkw Produktion). Jetzt: Zugmaschinen, mittelschwere Schützenpanzer, 3 to Lkws für das Heer, Torpedos etc. Belegschaft wuchs von 8.000 in 1940 auf 9.000 in 1944 (65 % waren Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter). Auferstanden aus den Trümmern (1945‐1948/49): April 1945: Durch rund 1.000 Sprengbomben waren die Borgward Werke zu 75 % zerstört. Borgward selbst wurde als Wehrwirtschaftsführer interniert, konnte aber im Juli 1948 nach Entnazifizierungsverfahren sein eigenes Werk wieder als Chef und Eigentümer betreten. Zunächst organisierten die Arbeitnehmer die Produktion unter der Regie eines Treuhänders selbst (Handwagen, Kochtöpfe, Öfen, einige Lkws) . Belegschaftsentwicklung: Mai/Juni 1945: 400; Ende 1945: 1.768; Ende 1948: 2.400; Ende 1949: 6.700 Produktion bis Ende 1948: 2.925 Lkw Produktion bis Ende 1949: 8.043 Lkws und 1.147 Pkws (Hansa 1500 mit der legendären Pontonform).
Rasanter Erfolg und erste Anzeichen der Krise (1949‐1960)
Rechtliche Konstruktion der Borgwardgruppe (ab 1954) • Vertikal differenziertes Unternehmen • Im Wesentlichen konzentriert auf Automobilbau (Ausnahme: Hubschrauber) • Eine Gießerei, Gesenkschmiede, Leichtmetallgießerei, ein Zahnradwerk sowie Vertriebs‐ und Finanzierungsgesellschaften waren dem Hauptzweck untergeordnet • 6 GmbHs und 2 Einzelfirmen • Muttergesellschaft war die „Dr. Carl F.W. Borgward“ (Inhaber: Privatperson Borgward), die zu 90 % an den 8 Firmen beteiligt war . Der Rest der Beteiligungen hielt die Ehefrau Elisabeth Borgward. • Vertraglich begründetes Organschaftsverhältnis (= Gewinn‐ und Verlustübernahmen aller Gesellschaften gegenüber der Konzernmutter) • Keine Publizitätspflicht
Ab 1954 – Organisation, Fertigungsprogramm, Marktverhalten: • 3 Autowerke, 3 Beschaffungssysteme, 3 Ersatzteillager, 3 Verkaufs‐/Werbungs‐ /Kundendienstorganisationen • Eine enorme Fertigungstiefe (Borgward wollte alles selbst machen – z.B. Getriebe – statt auszusourcen) und eine große Typenvielfalt (neben Autos auch noch Hubschrauber, Wassersportmotoren) • Teufelskreis: Auf Grund der enormen Typenvielfalt konnten nur vergleichsweise geringe Stückzahlen produziert werden, die einen höheren Grad an Automatisierung nicht zuließen. Dies wiederum bedeutete eine geringe Arbeitsproduktivität, damit waren höhere Kosten verbunden. • Chronische Finanzknappheit: Lieferantenkredite „Borgen und Waren“ (z.T. bis zu 90 Tagen): 1960 hatte Borgward bei einem Umsatz von 627 Mio DM ständig Außenstände bei seinen Lieferanten von 130 Mio DM. Dieses System konnte aber nur bei ungestörtem Absatz funktionieren – der war aber seit 1960 nicht mehr gegeben. • Borgward war das Opfer seines Erfolges bis Mitte der 1950er Jahre : Er verschlief zum Teil die Strukturveränderungen, die sich ab 1955 abzeichneten (Lloyd etc.) – mit Ausnahme der legendären Isabella (ab 1954 produziert). Die „Arabella“ 1959 hatte Konstruktionsfehler („Aquabella“), war 500 DM teurer als die Konkurrent DKW, BMW und VW Käfer und wurde zunächst unter der Marke „Lloyd“ verkauft (Lloyd hatte Ende der 1950er Jahre ein schlechtes Image „Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd“). • Also: eine der „häßlichen“ Seiten Borgwards bestand darin, den Käufer die zwangsläufigen Konstruktions‐ und Montagefehler, die bei der schnellen Typenabfolge und der Typenvielfalt anfielen, bezahlen zu lassen. Selbst die legendäre „Isabella“ war zu Beginn des Produktionsstarts 1954/55 sehr reparaturanfällig – Vorderachsschäden. Sie wurde damals „Gauner im Frack“ genannt.
Ab 1954 drei unterschiedliche Belegschaften: Borgward Beschäftigungspolitik war eng gekoppelt mit der Saisonabhängigkeit der Automobilindustrie: Im Herbst und Winter Drosselung der Produktion (trotzdem wurde auf Halde produziert), im Frühjahr und Sommer Mehrproduktion und Abbau der Halde. In Teilbereichen der Borgwardgruppe (Lloyd und Gloliath) wurden kurz vor Weihnachten viele Arbeitnehmer entlassen, im Frühjahr wurde wieder eingestellt. Diese „Hire und Fire“ Politik wurde im Borgward Stammwerk in Sebaldsbrück kaum angewendet. Mögliche Erklärungsansätze für diese Verstetigung der Beschäftigungspolitik im Stammwerk: dessen historische Entwicklung als Keimzelle der Borgwardgruppe (seit 1906 wurden hier Autos produziert, Lloyd‐ und Goliath Werke gingen erst nach 1945 aus dem Stammwerk hervor), damit zusammenhängend das Produktionsangebot (u.a. Isabella Produktion), die spezifische Art der Rekrutierung der Belegschaft sowie deren berufliche Qualifikation, die unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten der drei Betriebsräte in den drei Werken.
Arbeitsproduktivität und Finanzen Arbeitsproduktivität: Diese war bei Daimler um 43 % höher als bei Borgward, bei VW sogar um 100 %. Schon 1958 auf der IG Metall Automobilarbeiterkonferenz in Bremen forderte das damalige IGM Vorstandsmitglied Friedrich das Borgward Unternehmen auf, zu rationalisieren – „ansonsten gibt es Euch in ein paar Jahren nicht mehr“. Die Betriebsratsvorsitzenden der 3 Werke (Buchholz, Kammer, Neebuhr) wurden von Borgward mit dieser Forderung jedoch zurückgewiesen. Finanzen: Keine Hausbank. Grundkapital 1955/Anteil der Bilanzsumme: Zum Beispiel nur ein Fünftel des entsprechenden Anteils bei BMW. Borgward „verschlief“ die Gründung einer Aktiengesellschaft, die in einer Krise mehr Sicherheit versprochen hätte (Genaueres siehe unten).
Ende der 1950er Jahre: Borgward verliert im Konkurrenzkampf mit den anderen Werken ständig an Boden – Kapitalkonzentration und Überproduktionskrise • 1955‐57 lagen die Borgwardwerke (Pkw) noch an dritter Stelle aller Automobilwerke in der Bundesrepublik. • Ab 1958 ging es ständig bergab: Borgward fiel auf die fünfte und schließlich auf die sechste Stelle (1960) zurück – im Krisenjahr 1960 gingen auch die absoluten Stückzahlen produzierter PKWs zurück.
Unterschiede in den 3 einzelnen Werken und zwischen der Pkw und Lkw Produktion Pkw Produktion: Isabella Produktion (Stammwerk) blieb bis 1960 hoch, während die Goliath und Lloyd Produkte in 1960 einen großen Absturz (Produktion und Verkauf) hinnehmen mussten. Lkw Produktion: Borgward war bis 1955 einer der führenden Lkw Hersteller in der Bundesrepublik (Marktanteile jeweils über 10 %). In den Folgejahren jedoch verringerten sich diese Marktanteile auf rund 5 %. Grund: Borgward konzentrierte all sein technisches Können und entsprechend die Investitionen in die Pkw Produktion. LKWs interessierten ihn sowohl von der Technik als auch vom Design nicht. Folge: Durch die Erweiterung der Produktion von LKWs hätte Borgward viel Geld verdienen können. So gab er freiwillig ein Standbein auf, welches ihn vielleicht in den Krisenjahren 1960/61 hätte retten können.
Borgward und Exporte Schon in den 1950 Jahren waren die Exportquoten der (west)deutschen Automobilindustrie (Pkw) mit rund 50 % recht hoch (in 2017: 64,2 %) Die Borgwardgruppe hielt recht gut mit, insbesondere von 1955 bis 1959 (44 %). Im Krisenjahr 1960 jedoch sank der wichtige Export der Borgward Produkte und damit ein wesentliches Standbein der Gruppe erheblich (auf 33 %) – davon war insbesondere die „Isabella“ („Borgwards bestes Pferd im Stall“)betroffen. Das lag an der ausländischen Konkurrenz (US amerikanische Kompaktcars) wie auch mit am Hafenarbeiterstreik USA Ostküste.
Führungsstil von Carl F.W. Borgward • Kapitalist und Patriarch – Rentabilität und Fürsorge (Sozialleistungen, Werkswohnungen, gute Löhne, Anerkennung von Betriebsrat und Gewerkschaften – aber nicht als Co‐Management). • Borgward war geprägt von handwerklichen, an Kleinbetrieben orientierten Vorstellungen = Überforderung angesichts von Massenbelegschaften und Markterfordernissen. Für ihn waren seine Industriebetriebe „Werkstätten“. • Borgward war genialer Konstrukteur und ein excellenter Handwerker = fachlich‐sachliche Autorität gegenüber den Facharbeitern. Aber ein schlechter Kapitalist: Erst 1960 – angesichts der Krise – wollte Borgward eine AG gründen. Dies hätte ihn aber 14 Mio DM an Grunderwerbssteuer gekostet – die er nicht hatte. Vor 1960 wären für diese Umwandlung keine Steuern angefallen – das wußte Borgward schlicht nicht. • Borgward traf einsame Entscheidungen. Z.B. entließ er erst seinen Finanzchef Carstens (der hatte eine andere Meinung), um ihn aber ein Jahr später wieder einzustellen. Auch in technischen Fragen gab es für ihn nur ein Maß – nämlich sein eigenes (Borgward als „Sitzriese“ konstruierte die Maße des Innenraums der Pkw nach seinen eigenen Körpermaßen). • Einen Konferenzraum gab es in den Borgwardwerken nicht. Im Büro des Chefs befand sich neben seinem Schreibtisch nur ein weiterer Tisch mit 9 Stühlen, auf denen die Leiter der drei Werke Platz nehmen konnten.
Die Folgen der Krise 1960 und das Ende 1961/Zeittafel‐ 1 • Anfang Oktober 1960: Liquiditätsengpässe werden auch den Zulieferern bekannt: Zusammenbruch des Systems der Lieferantenkredite, zugleich Produktion „auf Halde“. Borgward ersucht den Bremer Senat um eine Kredithilfe von 50 Mio DM, da er „sonst in wenigen Tagen die Zahlungen einstellen und seine rund 23.000 Leute entlassen müsse“. • 11.10.1060: Die Bremer Landesbank (und andere Banken) bewilligen einen Kredit von 50 Mio DM, davon übernimmt Bremen eine Spitzenbürgschaft von bis zu 10 Mio. • Mitte Dezember 1960: Borgward wendet sich wegen einer erneuten Kredithilfe wieder an den Bremer Senat, ohne die er „seinen Konzern nicht einmal mehr bis Weihnachten halten könne“. • 20. Dezember 1960: Der Senat beschließt eine weitere Bürgschaft von 10 Mio DM für ein weiteres Darlehen von 20 Mio DM. • Ende Dezember 1960: 14.025 unverkaufte Borgward Autos stehen auf der Wiese • 27. Januar 1961: Die Verhandlungen mit den Ford‐Automobilwerken zwecks Ankauf der Borgwardgruppe sind gescheitert.
Die Folgen der Krise 1960 und das Ende 1961/Zeittafel‐ 2 • 30. Januar 1961: Die Bundesregierung lehnt eine Beteiligung an der Stützungshilfe für die Borgwardwerke ab. Wirtschaftssenator Eggers (SPD) erklärt auf einer Pressekonferenz im Bremer Rathaus, dass die Fa. Borgward hoch verschuldet sei. Es müsse mit einer Einstellung der Zahlungen gerechnet werden. • 3. Februar 1961: Der Senat beschließt (auch auf Anraten ihres Beraters Dr. Semler – seinerzeit noch im Aufsichtsrat bei BMW/München und der Nachkriegsöffentlichkeit als „Hühnerfutter‐Semler“ bekannt), die Bremer Borgwardgruppe durch die sofortige Gründung einer Kapitalgesellschaft mit 50 Mio DM zu stützen. Carl F.W. Borgward soll die Leitung des Konzerns abgeben und vorerst keine Entschädigung erhalten. • 4. Februar 1961: In einer 12‐stündigen Sitzung in den Räumen des Finanzsenators (Nolting‐Hauff, FDP) erklärt sich Borgward bereit, seine Werke einer Kapitalgesellschaft des Landes und der Stadt Bremen zu überschreiben und die Leitung niederzulegen. • 10. Februar 1961: Gründung der Borgward AG. Vorsitzender des Aufsichtsrates: Der Münchener Wirtschaftsberater Dr. Johannes Semler
Die Folgen der Krise 1960 und das Ende 1961/Zeittafel‐ 3 • 17. Februar 1961: In einer ersten Sitzung des Aufsichtsrates der Borgward AG wird den Vorstandsmitgliedern Semler und Schackow (Rechtsanwalt und Vorstand Deutsche Schiffahrtsbank) der Auftrag erteilt, die Borgward Werke zu leiten. • Durch nicht erfolgte Umstrukturierungen sinken Produktions‐ und Verkaufszahlen von Januar bis Juni 1961 erheblich, dafür steigen die Verluste:
Die Folgen der Krise 1960 und das Ende 1961/Zeittafel‐ 4 • 30. Mai 1961: Der Senat stellt der Borgwardgruppe ein weiteres Darlehen von 5 Mio DM zur Verfügung. • 6. Juni 1961: Semler kündigt eine Konzentration auf drei Pkw Typen an (Arabella, Isabella und der neue Borgward 2300 (P100)‐ erstes deutsches Auto mit Luftfederung) sowie eine Reduzierung der Belegschaft von jetzt 17.000 auf 15.000 an – vier Monate nach der staatlichen Übernahme viel zu spät. • 30. Juni 1961: Der Senat lehnt den Antrag der Borgward AG auf weitere 50 Mio DM als Sanierungshilfe ab – lediglich 10 Mio DM für Löhne und Gehälter werden zugesagt. • 26. Juli 1961: Die Borgward GmbH beschließt, sämtlichen (12.000) Lohnempfängern vorsorglich zum frühestmöglichen Termin zu kündigen. • 27. Juli 1961: Die letzten Verkaufsverhandlungen auf Übernahme des Borgward‐ Gesamtkomplexes durch die US Chrysler Werke und die Vaug‐Dettwieler Gruppe (USA, Texas) sind gescheitert, alle Zahlungen der Borgward‐Betriebsgesellschaften werden eingestellt. • 28. Juli 1961: Insgesamt 15.200 der Borgwardwerke AG wird gekündigt und zugleich beim Amtsgericht Bremen das Vergleichsverfahren beantragt – damit war der bis dato größte Unternehmenszusammenbruch in der deutschen Nachkriegsgeschichte vollzogen. • 31. Juli 1961: Die Arbeitsämter in Bremen und Umgebung beginnen mit der Vermittlung der ersten Borgward‐Arbeitslosen.
Zum Engagement des Bremer Senats ab Oktober 1960: • Positiv zu vermerken ist die Bereitstellung von Krediten von Oktober bis Dezember 1960 von 70 Mio DM – im Übrigen auf Bitten von Carl F.W. Borgward • Ebenfalls positiv war die Bereitstellung von 50 Mio DM als Grundausstattung für die neue Borgward AG im Februar 1961 • Negativ war die Berufung des „Sanierers“ Semler, keine Kenntnis des Senats über dessen Rolle bei BMW • Ebenfalls negativ zu bewerten ist die teilweise nur emotional zu begründende Abneigung des Bremer Senats (allen voran des Finanzsenators Nolting‐Hauff – FDP und des Wirtschaftssenators Eggers – SPD) gegenüber der Person Borgward, die dann zum Teil auch handlungsleitend wirkte. Mit dieser Abneigung gegen den „Aufsteiger (Parvenu)“ Carl F.W. Borgward standen die Senatoren aber nicht allein: Die alteingesessenen und sehr reichen Bremer Handelshäuser wehrten sich gegen diesen Aufsteiger und setzten damit ihre seit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert vorhandene Abneigung gegen die Industrie fort. • Am gravierendsten/negativsten jedoch war der seit der staatlichen Übernahme der Borgwardgruppe am 4. Februar 1961 zu beobachtende wirtschaftspolitische Dilettantismus des Bremer Senats: Er hatte kein Konzept, was mit der neuen Borgward AG geschehen sollte. Statt sofort umzustrukturieren (z.B. Schließung von 2 Werken, Reduzierung des Typenprogramms) wurde Alles so belassen wie es vorher war. Somit sammelten sich von Feb. – Juli 1961 weitere 39 Mio DM Verluste an – fast soviel wie das Grundkapital von 50 Mio DM der neuen Borgward AG. • Konsequente Folge: Der Zusammenbruch der Borgward AG.
Was bleibt? • Borgward baute Autos nur bis zum Juli 1961, so dass er sich nicht mehr der Zukunft stellen musste/konnte. Insofern blieb vor Allem sein Flaggschiff ‐ die „Isabella“ – als ewig junge, unsterbliche Schönheit im Gedächtnis der Menschen. • Alle privaten Ansprüche konnten beim Ende des Konkursverfahrens 1967/69 zu 100 Prozent befriedigt werden – diese Tatsache trug wesentlich mit zum Mythos Borgward bei. Jedoch wurden die Ansprüche des Bremer Steuerzahlers, der in dem Krisenjahr 1960/61 Borgward mit 125 Millionen DM (ohne die unbeglichenen 20 Mio DM Steuer‐ und Abgabeschulden Borgwards von 1960) gestützt hatte, nur zu einem kleineren Teil befriedigt. • Innerhalb von 1,5 Jahren wurden fast alle ehemaligen Borgward‐ Beschäftigten wieder vermittelt, aber mit z.T. großen Lohneinbußen. Ende 1962 waren nur noch 223 arbeitslos (die meisten davon Schwerbehinderte) – Wirtschaftswunderzeiten. • Durch das Engagement von Daimler in Bremen mit dem großen Mercedeswerk, massiv gefördert durch den damaligen Senatspräsidenten und bremischen Bürgermeister Hans Koschnick Ende der 1970er Jahre, ist Bremen wieder Automobilstadt geworden. • Es fahren immer noch Borgward Autos auf den Straßen – aber zunehmend weniger.
Lehren aus dem Borgward Drama für Heute und die Zukunft? • Wie weit muss und darf staatliche Industriepolitik im 21. Jahrhundert in das Geschehen eingreifen? • Und gibt es auch für das große Werk von Daimler in Bremen angesichts der dramatischen Umstellungen auf dem Weltautomobilmarkt hin zu Elektromobilität und anderen Verkehrskonzepten frühzeitige Anpassungen?
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
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