Borgward - Schussfahrt in den Konkurs - Vortrag - iaw Colloquium, 12. März 2019, 16.00 18.00 Uhr - Uni Bremen

 
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Jochen Tholen (jtholen@uni‐bremen.de)

Borgward – Schussfahrt in den Konkurs

          Vortrag – iaw Colloquium,
       12. März 2019, 16.00‐18.00 Uhr
„Bremen – Borgward, Borgward – Bremen, das
                war eins“
                      Mythos Borgward
• Dieses Zitat des seinerzeitigen Bevollmächtigten der IG Metall
  Bremen spiegelt den Mythos Borgward wieder, wie er vor Allem
  nach dem 28. Juli 1961 – dem Zeitpunkt des Antrags auf einen
  Vergleich (später Anschluss‐Konkurs) der nunmehr quasi
  verstaatlichten Borgward AG beim Amtsgericht Bremen –
  entstanden war.
• Die auch heute noch wirkende Faszination dieses „Mythos
  Borgward“ wurde zuletzt durch den ARD Film „Die Affäre
  Borgward“ deutlich, jüngst am 7. Januar 2019 zur besten Sendezeit
  ausgestrahlt.
• Und die Borgward Geschichte in Bremen begann vor genau 100
  Jahren mit dem 1919 erfolgten Eintritt von Carl F.W. Borgward als
  Teilhaber in die „Bremer‐Reifen Industrie GmbH“.
Doch was ist wahr am „Mythos Borgward“‐1?
• Wie erklären sich Aufstieg und Fall des alleinigen Eigentümers und
  genialen Konstrukteurs Carl F.W. Borgward?
• Ist Borgward in den Ruin getrieben worden, etwa durch eine
  ausgefeilte Strategie der automobilen Konkurrenz, allen voran BMW,
  aber auch durch den Bremer Senat, der am 4. Februar 1961 die
  Borgwardgruppe als „Borgward‐AG“vom bisherigen Eigentümer
  übernahm und damit unter staatlicher Regie stellte?
• Oder waren es die lange vor 1961 gemachten unternehmerischen
  Fehler von Carl F.W. Borgward selbst, die wesentlich mit zu dem Aus
  führten?
• War es gar ein unglückliches Zusammentreffen externer Faktoren,
  wie etwa dem Hafenarbeiterstreik an der Ostküste der USA im Winter
  1960/61, der Borgwards Exporte empfindlich traf?
• Oder war es 1960 die globale Überproduktionskrise im Fahrzeugbau,
  die auch Borgward mit in die Krise zog?
Doch was ist wahr am „Mythos Borgward“‐2?

    Und wie ist die Aussage zu bewerten, dass alle privaten Ansprüche
beim Ende des Konkursverfahrens 1967/69 zu 100 Prozent befriedigt
werden konnten?
    Was war mit den Ansprüchen der Bremer Steuerzahler, die in dem
Krisenjahr 1960/61 Borgward mit 125 Millionen DM (ohne die
unbeglichenen 20 Mio DM Steuer‐ und Abgabeschulden Borgwards von
1960) gestützt hatten – das waren immerhin rund ein Viertel des
gesamten öffentlichen Haushaltes 1960 des Bundeslandes Bremen?
    Was geschah mit den Beschäftigten nach dem Zusammenbruch der
Borgward AG?
    Und überhaupt: Wie verhielten sich seinerzeit Gewerkschaften und
Betriebsräte der Borgwardgruppe?
    Und warum wehrten sich die Borgward Arbeitnehmer nicht gegen
den Zusammenbruch, wie es etwa die Belegschaft der Bremer
Großwerft AG Weser 27 Jahre später tat?
    Und was kann man aus dem Borgward Zusammenbruch vor knapp
60 Jahren für das Heute und die Zukunft lernen?
Borgwards Stellung 1959/1960
• Borgward war das größte Industrieunternehmen im
  Bundesland Bremen
• Borgward war der größte (private) Steuerzahler
  Bremens
• In der Borgwardgruppe arbeiteten 1960 rund 22.700
  Menschen. Damit arbeitete fast jeder Vierte im
  Verarbeitenden Gewerbe der Stadt Bremen bei
  Borgward.
• Hinzu kamen noch rund 3.000 Zulieferer mit insgesamt
  weiteren ca. 30.000 Beschäftigten – diese Gruppe war
  aber über den regionalen Arbeitsmarkt Bremen hinaus
  weit gestreut.
• Und Borgward war 1959 der fünftgrößte Pkw
  Produzent in der Bundesrepublik.
Quellen
• Grundlage ist eine umfassende empirische Studie aus den
  1980er Jahren, in der nicht nur zahlreiche, damals noch
  lebende Zeitzeugen befragt wurden, sondern auch die bis
  heute nicht freigegebenen Borgward Akten des Bremer
  Senats (durch einen glücklichen Zufall) ausgewertet
  werden konnten:
• Wilhelm Eberwein, Jochen Tholen: Borgwards Fall. Arbeit
  im Wirtschaftswunder, Borgward, Goliath, Lloyd. Steintor‐
  Verlag Bremen, 1987, ISBN: 3‐926028‐18‐1
• Dieselben: Carl. F.W. Borgward. Kapitalist und Patriarch –
  Rentabilität und Fürsorge. Die sozialen Beziehungen
  zwischen Unternehmer und Belegschaft, in: Innovationen
  aus Bremen. Jahrbuch 2006/7 der Wittheit zu Bremen,
  Hauschildt‐Verlag Bremen, 2008, ISBN: 978‐3‐89757‐398‐
  7, S. 168 ‐ 180
Borgwards Entwicklung von 1919 bis 1960 ‐ 1
Von der Bohnenschneide – zur Artilleriezugmaschine (1919‐1945):
1919: Bremer‐Reifen Industrie GmbH: 20 Beschäftigte,
Küchengeräteproduktion etc. (Borgward ist Teilhaber)
1920/21: „Bremer Kühlerfabrik Borgward&Co. OHG“ (Borgward
alleiniger Eigentümer): Zunächst die Produktion von Kotflügeln,
Kühlern etc.
1924: Produktion des „Blitzkarrens“ (Einzylinder, 2‐Takter, 2,2 PS):
Riesenerfolg. Andere Dreiradfahrzeuge folgten
1928: Umbenennung in „Goliath‐Werke Borgward&Co GmbH“
(mehrere hundert Beschäftigte)
1929: Zusammen mit Tecklenborg Erwerb der Aktienmehrheit der
Hansa‐Lloyd Werke (damals 1.700 Beschäftigte): Kleinlieferwagenbau
1931: Durch die Weltwirtschaftskrise gehen die Hansa‐Lloyd Werke in
den Vergleich. Borgward&Tecklenborg gelingt es, das Vermögen dieser
Werke auf ihre neue Firma „Hansa‐Lloyd Gloliath‐Werke &
Tecklenborg“ zu übertragen.
Borgwards Entwicklung von 1919 bis 1960 ‐ 2
1934: Auszahlung von Tecklenborg, Borgward ist alleiniger Eigentümer.
Marktdurchbruch erfolgt mit den Hansa 1100 und Hansa 1700, danach in 1937
mit dem Hansa 1500
1939: Kriegswirtschaft (Einstellung der PkW und Lkw Produktion). Jetzt:
Zugmaschinen, mittelschwere Schützenpanzer, 3 to Lkws für das Heer,
Torpedos etc.
Belegschaft wuchs von 8.000 in 1940 auf 9.000 in 1944 (65 % waren
Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter).
Auferstanden aus den Trümmern (1945‐1948/49):
April 1945: Durch rund 1.000 Sprengbomben waren die Borgward Werke zu 75
% zerstört. Borgward selbst wurde als Wehrwirtschaftsführer interniert, konnte
aber im Juli 1948 nach Entnazifizierungsverfahren sein eigenes Werk wieder
als Chef und Eigentümer betreten.
Zunächst organisierten die Arbeitnehmer die Produktion unter der Regie eines
Treuhänders selbst (Handwagen, Kochtöpfe, Öfen, einige Lkws) .
Belegschaftsentwicklung: Mai/Juni 1945: 400; Ende 1945: 1.768; Ende 1948:
2.400; Ende 1949: 6.700
Produktion bis Ende 1948: 2.925 Lkw
Produktion bis Ende 1949: 8.043 Lkws und 1.147 Pkws (Hansa 1500 mit der
legendären Pontonform).
Rasanter Erfolg und erste Anzeichen der
           Krise (1949‐1960)
Rechtliche Konstruktion der Borgwardgruppe (ab 1954)
• Vertikal differenziertes Unternehmen
• Im Wesentlichen konzentriert auf Automobilbau (Ausnahme:
  Hubschrauber)
• Eine Gießerei, Gesenkschmiede, Leichtmetallgießerei, ein
  Zahnradwerk sowie Vertriebs‐ und Finanzierungsgesellschaften
  waren dem Hauptzweck untergeordnet
• 6 GmbHs und 2 Einzelfirmen
• Muttergesellschaft war die „Dr. Carl F.W. Borgward“ (Inhaber:
  Privatperson Borgward), die zu 90 % an den 8 Firmen beteiligt war .
  Der Rest der Beteiligungen hielt die Ehefrau Elisabeth Borgward.
• Vertraglich begründetes Organschaftsverhältnis (= Gewinn‐ und
  Verlustübernahmen aller Gesellschaften gegenüber der
  Konzernmutter)
• Keine Publizitätspflicht
Ab 1954 – Organisation, Fertigungsprogramm, Marktverhalten:
•   3 Autowerke, 3 Beschaffungssysteme, 3 Ersatzteillager, 3 Verkaufs‐/Werbungs‐
    /Kundendienstorganisationen
•   Eine enorme Fertigungstiefe (Borgward wollte alles selbst machen – z.B. Getriebe –
    statt auszusourcen) und eine große Typenvielfalt (neben Autos auch noch
    Hubschrauber, Wassersportmotoren)
•   Teufelskreis: Auf Grund der enormen Typenvielfalt konnten nur vergleichsweise geringe
    Stückzahlen produziert werden, die einen höheren Grad an Automatisierung nicht
    zuließen. Dies wiederum bedeutete eine geringe Arbeitsproduktivität, damit waren
    höhere Kosten verbunden.
•   Chronische Finanzknappheit: Lieferantenkredite „Borgen und Waren“ (z.T. bis zu 90
    Tagen): 1960 hatte Borgward bei einem Umsatz von 627 Mio DM ständig Außenstände
    bei seinen Lieferanten von 130 Mio DM. Dieses System konnte aber nur bei
    ungestörtem Absatz funktionieren – der war aber seit 1960 nicht mehr gegeben.
•    Borgward war das Opfer seines Erfolges bis Mitte der 1950er Jahre : Er verschlief zum
    Teil die Strukturveränderungen, die sich ab 1955 abzeichneten (Lloyd etc.) – mit
    Ausnahme der legendären Isabella (ab 1954 produziert). Die „Arabella“ 1959 hatte
    Konstruktionsfehler („Aquabella“), war 500 DM teurer als die Konkurrent DKW, BMW
    und VW Käfer und wurde zunächst unter der Marke „Lloyd“ verkauft (Lloyd hatte Ende
    der 1950er Jahre ein schlechtes Image „Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd“).
•   Also: eine der „häßlichen“ Seiten Borgwards bestand darin, den Käufer die
    zwangsläufigen Konstruktions‐ und Montagefehler, die bei der schnellen Typenabfolge
    und der Typenvielfalt anfielen, bezahlen zu lassen. Selbst die legendäre „Isabella“ war
    zu Beginn des Produktionsstarts 1954/55 sehr reparaturanfällig – Vorderachsschäden.
    Sie wurde damals „Gauner im Frack“ genannt.
Ab 1954 drei unterschiedliche Belegschaften:
Borgward Beschäftigungspolitik war eng gekoppelt mit der
Saisonabhängigkeit der Automobilindustrie: Im Herbst und Winter
Drosselung der Produktion (trotzdem wurde auf Halde produziert), im
Frühjahr und Sommer Mehrproduktion und Abbau der Halde.
In Teilbereichen der Borgwardgruppe (Lloyd und Gloliath) wurden kurz
vor Weihnachten viele Arbeitnehmer entlassen, im Frühjahr wurde
wieder eingestellt.
Diese „Hire und Fire“ Politik wurde im Borgward Stammwerk in
Sebaldsbrück kaum angewendet.
Mögliche Erklärungsansätze für diese Verstetigung der
Beschäftigungspolitik im Stammwerk: dessen historische Entwicklung
als Keimzelle der Borgwardgruppe (seit 1906 wurden hier Autos
produziert, Lloyd‐ und Goliath Werke gingen erst nach 1945 aus dem
Stammwerk hervor), damit zusammenhängend das
Produktionsangebot (u.a. Isabella Produktion), die spezifische Art der
Rekrutierung der Belegschaft sowie deren berufliche Qualifikation, die
unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten der drei Betriebsräte in den
drei Werken.
Arbeitsproduktivität und Finanzen
Arbeitsproduktivität: Diese war bei Daimler um 43 % höher als bei
Borgward, bei VW sogar um 100 %.
Schon 1958 auf der IG Metall Automobilarbeiterkonferenz in Bremen
forderte das damalige IGM Vorstandsmitglied Friedrich das Borgward
Unternehmen auf, zu rationalisieren – „ansonsten gibt es Euch in ein
paar Jahren nicht mehr“. Die Betriebsratsvorsitzenden der 3 Werke
(Buchholz, Kammer, Neebuhr) wurden von Borgward mit dieser
Forderung jedoch zurückgewiesen.
Finanzen: Keine Hausbank.
Grundkapital 1955/Anteil der Bilanzsumme: Zum Beispiel nur ein
Fünftel des entsprechenden Anteils bei BMW.
Borgward „verschlief“ die Gründung einer Aktiengesellschaft, die in
einer Krise mehr Sicherheit versprochen hätte (Genaueres siehe
unten).
Ende der 1950er Jahre: Borgward verliert im
 Konkurrenzkampf mit den anderen Werken ständig an
             Boden – Kapitalkonzentration und
                   Überproduktionskrise
• 1955‐57 lagen die Borgwardwerke (Pkw) noch an dritter
  Stelle aller Automobilwerke in der Bundesrepublik.
• Ab 1958 ging es ständig bergab: Borgward fiel auf die
  fünfte und schließlich auf die sechste Stelle (1960) zurück
  – im Krisenjahr 1960 gingen auch die absoluten
  Stückzahlen produzierter PKWs zurück.
Unterschiede in den 3 einzelnen Werken und
        zwischen der Pkw und Lkw Produktion
Pkw Produktion:
Isabella Produktion (Stammwerk) blieb bis 1960 hoch, während die
Goliath und Lloyd Produkte in 1960 einen großen Absturz
(Produktion und Verkauf) hinnehmen mussten.
Lkw Produktion:
Borgward war bis 1955 einer der führenden Lkw Hersteller in der
Bundesrepublik (Marktanteile jeweils über 10 %). In den
Folgejahren jedoch verringerten sich diese Marktanteile auf rund 5
%. Grund: Borgward konzentrierte all sein technisches Können und
entsprechend die Investitionen in die Pkw Produktion. LKWs
interessierten ihn sowohl von der Technik als auch vom Design
nicht.
Folge: Durch die Erweiterung der Produktion von LKWs hätte
Borgward viel Geld verdienen können. So gab er freiwillig ein
Standbein auf, welches ihn vielleicht in den Krisenjahren 1960/61
hätte retten können.
Borgward und Exporte
Schon in den 1950 Jahren waren die Exportquoten der
(west)deutschen Automobilindustrie (Pkw) mit rund
50 % recht hoch (in 2017: 64,2 %)
Die Borgwardgruppe hielt recht gut mit, insbesondere
von 1955 bis 1959 (44 %).
Im Krisenjahr 1960 jedoch sank der wichtige Export
der Borgward Produkte und damit ein wesentliches
Standbein der Gruppe erheblich (auf 33 %) – davon
war insbesondere die „Isabella“ („Borgwards bestes
Pferd im Stall“)betroffen. Das lag an der ausländischen
Konkurrenz (US amerikanische Kompaktcars) wie auch
mit am Hafenarbeiterstreik USA Ostküste.
Führungsstil von Carl F.W. Borgward
• Kapitalist und Patriarch – Rentabilität und Fürsorge (Sozialleistungen,
  Werkswohnungen, gute Löhne, Anerkennung von Betriebsrat und
  Gewerkschaften – aber nicht als Co‐Management).
• Borgward war geprägt von handwerklichen, an Kleinbetrieben orientierten
  Vorstellungen = Überforderung angesichts von Massenbelegschaften und
  Markterfordernissen. Für ihn waren seine Industriebetriebe „Werkstätten“.
• Borgward war genialer Konstrukteur und ein excellenter Handwerker =
  fachlich‐sachliche Autorität gegenüber den Facharbeitern. Aber ein
  schlechter Kapitalist: Erst 1960 – angesichts der Krise – wollte Borgward eine
  AG gründen. Dies hätte ihn aber 14 Mio DM an Grunderwerbssteuer
  gekostet – die er nicht hatte. Vor 1960 wären für diese Umwandlung keine
  Steuern angefallen – das wußte Borgward schlicht nicht.
• Borgward traf einsame Entscheidungen. Z.B. entließ er erst seinen
  Finanzchef Carstens (der hatte eine andere Meinung), um ihn aber ein Jahr
  später wieder einzustellen. Auch in technischen Fragen gab es für ihn nur
  ein Maß – nämlich sein eigenes (Borgward als „Sitzriese“ konstruierte die
  Maße des Innenraums der Pkw nach seinen eigenen Körpermaßen).
• Einen Konferenzraum gab es in den Borgwardwerken nicht. Im Büro des
  Chefs befand sich neben seinem Schreibtisch nur ein weiterer Tisch mit 9
  Stühlen, auf denen die Leiter der drei Werke Platz nehmen konnten.
Die Folgen der Krise 1960 und das Ende 1961/Zeittafel‐ 1
• Anfang Oktober 1960: Liquiditätsengpässe werden auch den Zulieferern
  bekannt: Zusammenbruch des Systems der Lieferantenkredite, zugleich
  Produktion „auf Halde“. Borgward ersucht den Bremer Senat um eine
  Kredithilfe von 50 Mio DM, da er „sonst in wenigen Tagen die Zahlungen
  einstellen und seine rund 23.000 Leute entlassen müsse“.
• 11.10.1060: Die Bremer Landesbank (und andere Banken) bewilligen einen
  Kredit von 50 Mio DM, davon übernimmt Bremen eine Spitzenbürgschaft
  von bis zu 10 Mio.
• Mitte Dezember 1960: Borgward wendet sich wegen einer erneuten
  Kredithilfe wieder an den Bremer Senat, ohne die er „seinen Konzern nicht
  einmal mehr bis Weihnachten halten könne“.
• 20. Dezember 1960: Der Senat beschließt eine weitere Bürgschaft von 10
  Mio DM für ein weiteres Darlehen von 20 Mio DM.
• Ende Dezember 1960: 14.025 unverkaufte Borgward Autos stehen auf der
  Wiese
• 27. Januar 1961: Die Verhandlungen mit den Ford‐Automobilwerken zwecks
  Ankauf der Borgwardgruppe sind gescheitert.
Die Folgen der Krise 1960 und das Ende 1961/Zeittafel‐ 2
• 30. Januar 1961: Die Bundesregierung lehnt eine Beteiligung an der
  Stützungshilfe für die Borgwardwerke ab. Wirtschaftssenator Eggers (SPD)
  erklärt auf einer Pressekonferenz im Bremer Rathaus, dass die Fa. Borgward
  hoch verschuldet sei. Es müsse mit einer Einstellung der Zahlungen
  gerechnet werden.
• 3. Februar 1961: Der Senat beschließt (auch auf Anraten ihres Beraters Dr.
  Semler – seinerzeit noch im Aufsichtsrat bei BMW/München und der
  Nachkriegsöffentlichkeit als „Hühnerfutter‐Semler“ bekannt), die Bremer
  Borgwardgruppe durch die sofortige Gründung einer Kapitalgesellschaft mit
  50 Mio DM zu stützen. Carl F.W. Borgward soll die Leitung des Konzerns
  abgeben und vorerst keine Entschädigung erhalten.
• 4. Februar 1961: In einer 12‐stündigen Sitzung in den Räumen des
  Finanzsenators (Nolting‐Hauff, FDP) erklärt sich Borgward bereit, seine
  Werke einer Kapitalgesellschaft des Landes und der Stadt Bremen zu
  überschreiben und die Leitung niederzulegen.
• 10. Februar 1961: Gründung der Borgward AG. Vorsitzender des
  Aufsichtsrates: Der Münchener Wirtschaftsberater Dr. Johannes Semler
Die Folgen der Krise 1960 und das Ende 1961/Zeittafel‐ 3
• 17. Februar 1961: In einer ersten Sitzung des Aufsichtsrates der
  Borgward AG wird den Vorstandsmitgliedern Semler und Schackow
  (Rechtsanwalt und Vorstand Deutsche Schiffahrtsbank) der Auftrag
  erteilt, die Borgward Werke zu leiten.
• Durch nicht erfolgte Umstrukturierungen sinken Produktions‐ und
  Verkaufszahlen von Januar bis Juni 1961 erheblich, dafür steigen die
  Verluste:
Die Folgen der Krise 1960 und das Ende 1961/Zeittafel‐ 4
•   30. Mai 1961: Der Senat stellt der Borgwardgruppe ein weiteres Darlehen von 5
    Mio DM zur Verfügung.
•   6. Juni 1961: Semler kündigt eine Konzentration auf drei Pkw Typen an (Arabella,
    Isabella und der neue Borgward 2300 (P100)‐ erstes deutsches Auto mit
    Luftfederung) sowie eine Reduzierung der Belegschaft von jetzt 17.000 auf 15.000
    an – vier Monate nach der staatlichen Übernahme viel zu spät.
•   30. Juni 1961: Der Senat lehnt den Antrag der Borgward AG auf weitere 50 Mio DM
    als Sanierungshilfe ab – lediglich 10 Mio DM für Löhne und Gehälter werden
    zugesagt.
•   26. Juli 1961: Die Borgward GmbH beschließt, sämtlichen (12.000)
    Lohnempfängern vorsorglich zum frühestmöglichen Termin zu kündigen.
•   27. Juli 1961: Die letzten Verkaufsverhandlungen auf Übernahme des Borgward‐
    Gesamtkomplexes durch die US Chrysler Werke und die Vaug‐Dettwieler Gruppe
    (USA, Texas) sind gescheitert, alle Zahlungen der Borgward‐Betriebsgesellschaften
    werden eingestellt.
•   28. Juli 1961: Insgesamt 15.200 der Borgwardwerke AG wird gekündigt und zugleich
    beim Amtsgericht Bremen das Vergleichsverfahren beantragt – damit war der bis
    dato größte Unternehmenszusammenbruch in der deutschen Nachkriegsgeschichte
    vollzogen.
•   31. Juli 1961: Die Arbeitsämter in Bremen und Umgebung beginnen mit der
    Vermittlung der ersten Borgward‐Arbeitslosen.
Zum Engagement des Bremer Senats ab Oktober 1960:
•   Positiv zu vermerken ist die Bereitstellung von Krediten von Oktober bis Dezember
    1960 von 70 Mio DM – im Übrigen auf Bitten von Carl F.W. Borgward
•   Ebenfalls positiv war die Bereitstellung von 50 Mio DM als Grundausstattung für die
    neue Borgward AG im Februar 1961
•   Negativ war die Berufung des „Sanierers“ Semler, keine Kenntnis des Senats über
    dessen Rolle bei BMW
•   Ebenfalls negativ zu bewerten ist die teilweise nur emotional zu begründende
    Abneigung des Bremer Senats (allen voran des Finanzsenators Nolting‐Hauff – FDP
    und des Wirtschaftssenators Eggers – SPD) gegenüber der Person Borgward, die
    dann zum Teil auch handlungsleitend wirkte. Mit dieser Abneigung gegen den
    „Aufsteiger (Parvenu)“ Carl F.W. Borgward standen die Senatoren aber nicht allein:
    Die alteingesessenen und sehr reichen Bremer Handelshäuser wehrten sich gegen
    diesen Aufsteiger und setzten damit ihre seit Beginn der Industrialisierung im 19.
    Jahrhundert vorhandene Abneigung gegen die Industrie fort.
•   Am gravierendsten/negativsten jedoch war der seit der staatlichen Übernahme der
    Borgwardgruppe am 4. Februar 1961 zu beobachtende wirtschaftspolitische
    Dilettantismus des Bremer Senats: Er hatte kein Konzept, was mit der neuen
    Borgward AG geschehen sollte. Statt sofort umzustrukturieren (z.B. Schließung von
    2 Werken, Reduzierung des Typenprogramms) wurde Alles so belassen wie es
    vorher war. Somit sammelten sich von Feb. – Juli 1961 weitere 39 Mio DM Verluste
    an – fast soviel wie das Grundkapital von 50 Mio DM der neuen Borgward AG.
•   Konsequente Folge: Der Zusammenbruch der Borgward AG.
Was bleibt?
• Borgward baute Autos nur bis zum Juli 1961, so dass er sich nicht mehr der
  Zukunft stellen musste/konnte. Insofern blieb vor Allem sein Flaggschiff ‐
  die „Isabella“ – als ewig junge, unsterbliche Schönheit im Gedächtnis der
  Menschen.
• Alle privaten Ansprüche konnten beim Ende des Konkursverfahrens 1967/69
  zu 100 Prozent befriedigt werden – diese Tatsache trug wesentlich mit zum
  Mythos Borgward bei. Jedoch wurden die Ansprüche des Bremer
  Steuerzahlers, der in dem Krisenjahr 1960/61 Borgward mit 125 Millionen
  DM (ohne die unbeglichenen 20 Mio DM Steuer‐ und Abgabeschulden
  Borgwards von 1960) gestützt hatte, nur zu einem kleineren Teil befriedigt.
• Innerhalb von 1,5 Jahren wurden fast alle ehemaligen Borgward‐
  Beschäftigten wieder vermittelt, aber mit z.T. großen Lohneinbußen. Ende
  1962 waren nur noch 223 arbeitslos (die meisten davon Schwerbehinderte)
  – Wirtschaftswunderzeiten.
• Durch das Engagement von Daimler in Bremen mit dem großen
  Mercedeswerk, massiv gefördert durch den damaligen Senatspräsidenten
  und bremischen Bürgermeister Hans Koschnick Ende der 1970er Jahre, ist
  Bremen wieder Automobilstadt geworden.
• Es fahren immer noch Borgward Autos auf den Straßen – aber zunehmend
  weniger.
Lehren aus dem Borgward Drama für Heute und die
                          Zukunft?
• Wie weit muss und darf staatliche Industriepolitik im 21.
  Jahrhundert in das Geschehen eingreifen?
• Und gibt es auch für das große Werk von Daimler in
  Bremen angesichts der dramatischen Umstellungen auf
  dem Weltautomobilmarkt hin zu Elektromobilität und
  anderen Verkehrskonzepten frühzeitige Anpassungen?
Vielen Dank für Ihre
  Aufmerksamkeit
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