Chronik Politische 50Jahre ADW iz3w

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Chronik Politische 50Jahre ADW iz3w
50 Jahre ► ADW ► iz3w                                                50 Jahre ADW & iz3w

      1 9 6 8 - 2018
             Politische
                   Chronik

► Frühjahr 1968: Studierende gründen die Aktion Dritte Welt e.V.   ► Frühjahr 2018: 50 Jahre iz3w
Chronik Politische 50Jahre ADW iz3w
Politische Chronik 1968 - 2018

                           W ► i z 3w
                    e ► A D
             50 Jahr

                  6 8 - 2 0 1 8
               19           e
                       Po l i t i s c h
                                        i k
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                               Ch r o n
                                                                 Impressum

                                                            Aktion Dritte Welt e.V.
                                                      informationszentrum 3. welt
                                                    Kronenstraße 16a (Hinterhaus)
                                                            D-79100 Freiburg i. Br.
                                                          Telefon: +49 761/74003
                                                                    info@iz3w.org
                                                                    www.iz3w.org

                                                                Bankverbindung
                                                      GLS Gemeinschaftsbank eG
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                                                             BIC: GENODEM1GLS

                                                                      Beiträge von
                                      Jakob Borchers, Martina Backes, Rosaly Magg,
                                          Christian Neven-du Mont, Christian Stock

                                                                         Redaktion
                                          Christian Stock, Christian Neven-du Mont

                                                                      Gestaltung
                                                                   Martina Backes
Chronik Politische 50Jahre ADW iz3w
50 Jahre ADW & iz3w

Vorwort
Es   lag etwas in der Luft, damals im Frühjahr      die wenigsten, doch durch die Schule des iz3w
1968. Im Rückblick erscheint es nicht als Zu-       gingen immerhin mehrere Abgeordnete von
fall, dass sich just zu jener Zeit Studierende in   Landtag, Bundestag und Europaparlament, eine
Freiburg trafen, um die Aktion Dritte Welt zu       Vorständin der Heinrich-Böll-Stiftung, mehrere
gründen. Die verbreitete gesellschaftliche Auf-     Universitätsprofessoren, ein Generalsekretär des     3
bruchsstimmung erfasste auch das Verhältnis zur     Deutschen Caritasverbandes, ein DGB-Presse-
Dritten Welt. Nach dem Kolonialismus und zwei       sprecher und eine Inlandschefin der Süddeut-
Weltkriegen sowie angesichts von neokolonialer      schen Zeitung.
Ausbeutung und antikolonialer Befreiung stell-
ten immer mehr Menschen die Forderung nach          Aus heutiger Sicht ganz besonders freut uns, dass
Solidarität mit den Ländern des Südens. Genau-      aus dem iz3w kein einziger Horst Mahler her-
er gesagt: Solidarität mit den dort lebenden        vorging. Das spricht für die vielen selbstreflek-
geknechteten und unterdrückten Menschen.            tierenden Diskussionen, die hier geführt wurden
                                                    – auch wenn sie oft anstrengend, gelegentlich
Im Frühjahr 1968 hätte wohl niemand gedacht,        sogar ätzend waren. Leider sind die Diskussionen
dass dieser politische Impetus bis heute lebendig   seit den 1980er Jahren nicht mehr so gründlich
bleibt. In diesen langen fünfzig Jahren ist unge-   dokumentiert worden, wie es in den Aktenord-
heuer viel geschehen, in der Weltpolitik ebenso     ner-seligen Jahren zuvor der Fall war. Die Digita-
wie in der ADW und dem von ihr betriebenen          lisierung hat ebenfalls eine gewisse Flüchtigkeit
iz3w. Die hier vorgelegte politische Chronik ver-   zur Folge – wer archiviert schon Emails?
weist nicht nur auf unglaublich zahl-
reiche und vielfältige Aktivitäten. Sie                            Mehr als sehen lassen kann
verdeutlicht auch, wie sich die poli-        Es lag etwas          sich die AutorInnenschaft der
tischen Ansätze des iz3w im Laufe                                  Zeitschrift, wie die Liste im An-
der Jahrzehnte erweiterten – vom
                                              in der Luft,         hang der Chronik zeigt. Es sind
Lobbyansatz über den Antikapitalis-           damals im            nicht nur beeindruckend viele,
mus bis zur Ideologiekritik. Es ist un-                            sondern auch sehr illustre Na-
möglich, in einer solchen Chronik alle      Frühjahr 1968          men aufgeführt. Deutlich wird
Diskussionen nachzuzeichnen, die in                                zudem, dass nicht nur eine
tausenden Treffen und Texten geführt wurden. einzige politische Strömung den Ton angab,
Doch bereits die Schlaglichter ergeben ein Lich- sondern die Zeitschrift immer (links-)plural war.
termeer. Die ADW steht dabei beispielhaft für In diesem Kontext verweisen wir auf ein attrak-
die Solidaritätsbewegung in (West-)Deutschland, tives Angebot: Auf der neuen iz3w-CD sind alle
deren Teil sie jederzeit war.                      bisher erschienenen Ausgaben der Zeitschrift als
                                                   PDF versammelt. Das Beste daran ist: Dank einer
Im Laufe der fünfzig Jahre haben sich nach un- Volltext-Suchfunktion können alle Artikel durch-
seren Recherchen über 500 Menschen im iz3w forstet werden, gleich ob es sich um AutorInnen-
engagiert. Für die meisten von ihnen war diese namen oder Begriffe aus dem Beitrag handelt.
Zeit ein wichtiger Teil ihrer Biographie, und An der Erstellung dieser Chronik hat - neben
viele arbeiten heute noch in sozialen und poli- einigen iz3wlerInnen - vor allem der Geschichts-
tischen Organisationen. Karriere gemacht haben student Jakob Borchers mitgewirkt. Im Rahmen
Chronik Politische 50Jahre ADW iz3w
Politische Chronik

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    eines Praktikums nahm er sich insbesondere die
    frühen Jahre der ADW gründlich vor. Wir danken
    ihm herzlich für seine informativen und durchaus
    unterhaltsamen Beiträge. Jetzt ist es nicht mehr
    nur in Ordnern oder in einigen wenigen guten
    Gedächtnissen vergraben, dass die Anliegen
    der ADW seinerzeit bis zum Bundespräsidenten
    vordrangen.

    Über eine Sache müssen wir hier leider auch           Last but not least möchten sich die heute Aktiven
    sprechen: Damit das iz3w nicht Geschichte wird,       ganz herzlich bedanken bei allen, die in früheren
    sondern weiter schreibt, brauchen wir mehr            Jahren das iz3w zu dem Juwel gemacht haben,
    Abos. Die Hoffnung, jemals wieder den Höchst-         das es für uns ist!
    stand von knapp 8.000 Anfang der 1980er Jahre
    zu erreichen, haben wir zwar längst aufgege-                           Das iz3w-Team, im Januar 2018
    ben. Doch wir benötigen 500 Neuabos, um die
    Zeitschrift zu stabilisieren. Deshalb bitten wir um   Bernhard Jimi Merk, Christian Neven-du Mont,
    Beachtung der Abokampagne auf der hinteren            Christian Stock, Clara Koller, Friedemann
    Umschlagseite.                                        Köngeter, Karim Saleh, Katrin Dietrich, Larissa
    Sehr willkommen sind auch (steuerabzugsfähige)        Schober, Martina Backes, Rosaly Magg, Sascha
    Spenden. Kontoverbindung siehe unter dem Im-          Klemz, Stephan Günther, Theresa Weck, Winfried
    pressum.                                              Rust, Wolfgang Albrecht
Chronik Politische 50Jahre ADW iz3w
50 Jahre ADW & iz3w

Politische Chronik
der Aktion Dritte Welt (ADW) und des informationszentrum 3. welt (iz3w)

Frühjahr 1968                                        Oktober 1968

Eine Gruppe Freiburger Studierender versammelt       Die Wochenzeitung Die ZEIT veröffentlicht in
sich um den Medizinstudenten Peter Riedesser         großer Auflage einen Sonderdruck mit von der
(später wurde er ein renommierter Kinder- und        ADW zusammengestellten Artikeln aus der ZEIT,
Jugendpsychiater). Im Kontext einer wachsenden       durch die „in der Öffentlichkeit der Bundesrepu-
Sensibilisierung für die Probleme der Dritten Welt   blik Verständnis für die Sorgen und die Bedürf-
in der Bundesrepublik Deutschland beschließen        nisse der Entwicklungsländer“ geweckt werden
sie nach dem Vorbild der Aktion „Student aufs        soll. U.a. versucht Carl Friedrich von Weizsäck-   5
Land“ (1965), künftig öffentlichkeitswirksam auf     er (Philosoph, Physiker und Vater des ADW-
Not und Elend in den Ländern der Dritten Welt        Mitglieds Ernst Ulrich von Weizsäcker), „neue
und die Notwendigkeit von Entwicklungshilfe          Formen für eine Weltordnung ohne Krieg“ zu
aufmerksam zu machen. Nicht zuletzt das alar-        entwerfen. Der Chefarzt des deutschen Hospital-
mierende gute Abschneiden der NPD bei den            schiffs „Helgoland“, H. C. Nonnemann, will mehr
Landtagswahlen in Baden-Württemberg (9,8 Pro-        „Deutsche Ärzte für die Dritte Welt“. Amerika-
zent) dient dafür als Motivation.                    korrespondent Joachim Schwelin sieht „Ameri-
                                                     kas Brotkorb“ nicht mehr ausreichend gefüllt
                                                     gegen die „Bevölkerungsexplosion“ der Dritten
Sommer 1968                                          Welt. Und der vom Nazi-Kreishauptmann zum
                                                     linksliberalen Intellektuellen aufgestiegene Pe-
In Zusammenarbeit von Initiator Riedesser und        ter Grubbe berichtet von einem „Afrika auf der
dem Freiburger AStA laufen die Vorbereitung-         Suche nach eigener Staatsform“.
en für die Aktion im Wintersemester 1968/69.
Unter dem Dach des AStA entsteht die „Aktion Die links-christliche Zeitung Neues Forum aus
Dritte Welt“ (ADW) als Sonderreferat. Finanziert Österreich gestaltet ebenfalls einen Sonder-
werden soll das Projekt zunächst                  druck mit zwei von der ADW ausgewählten Ar-
durch den AStA, die Arbeitsge-                                  tikeln: Ökonom Philipp Rieger un-
meinschaft „Bürger im Staat“                                    tersucht darin die Zusammenhänge
(Vorgänger der Landeszentrale für     Ein „mutiges und zwischen „Kirche, Kommunismus,
politische Bildung) und das Büro                                Sozialdemokratie und Dritte Welt“,
für Kontakte mit den Entwick-         begrüßenswertes während der brasilianische Erz-
lungsländern. Auch das Bundes-                                  bischof Helder Camara unter dem
ministerium für wirtschaftliche          Experiment“            Titel „Christen plündern Christen.
Zusammenarbeit (BMZ) sichert                                    Oder morgen die Revolution“ die
Zuschüsse zu. Darüber hinaus ist der Unter-       Ausbeutung      Lateinamerikas anprangert. Die
stützerkreis groß: Die Studentengemeinden, die Sonderdrucke werden in einer Auflage von ca.
politischen Hochschulgruppen, die Junge Union, 30.000 Exemplaren unter Freiburger Studie-
die Jungsozialisten, das Katholische Seminar für renden verteilt.
Sozialarbeit in Übersee und das Institut für Ent- In der Stuttgarter Zeitung (SZ) und den Badischen
wicklungspolitik erklären sich zur Mitarbeit be- Neuesten Nachrichten (BNN) erscheinen zudem
reit. Die Badische Zeitung (BZ) nennt die Aktion wohlwollende Artikel, in denen das Programm
ein „mutiges und begrüßenswertes Experiment“ und die Ziele der ADW vorgestellt werden. (SZ, 1.
(BZ, 19. Juli 1968).                              und 8. Oktober; BNN, 11. Oktober; Zeit Sonder-
                                                  druck; Neues Forum Sonderdruck)
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Politische Chronik 1968 - 2018

    15. Oktober 1968                                 „wirtschaftliche Lage der Dritten Welt“ und um
                                                     eine „fundamentale Kritik an der pragmatischen
    Peter Riedesser umreißt das Programm der ADW Entwicklungshilfe“, später im Semester auch um
    in der Uni-Presse. Man verstehe sich zunächst „Abrüstung als Voraussetzung der Entwicklungs-
    als Aufklärungsprojekt, das aufrüt-                             hilfe“ sowie die Rolle amerika-
    teln will. Dies sei notwendig, da          „250.000             nischer und deutscher Firmen in
    der Entwicklungshilfe „der Platz                                der Dritten Welt. Weitere von der
    unter den politischen Prioritäten Flugblätter, 18.000 ADW im Wintersemester organi-
    fehlt“ und in der BRD eine Politik                              sierte Seminare beschäftigen sich
    der „national-egoistischen Na-            Plakate  und          mit einer „Schulbuch- und Unter-
    belschau“ vorherrsche. Von Ver- 5.000 Broschüren richtsreform“ (Leitung: Prof. Hug,
    drängung und Bagatellisierung                                   PH), mit kirchlicher Entwicklungs-
    hiesiger Experten sowie „unpoli-            verteilt“           hilfe (Leitung: D. Lange, Evange-
    tischer Almosengabe“ distanziert                                lische Studentengemeinde), mit
6   sich Riedesser gleichermaßen. An                                den „Möglichkeiten medizinischer
    dreierlei Fronten wolle die ADW dagegen ak- Hilfen“ (Leitung: Gerd Jacobs, AStA) und mit der
    tiv werden: Inneruniversitäre Weiterbildung, Situation in Persien. (AStA Rundschreiben Nr. 3)
    außeruniversitäre Aufklärung und politische
    Konfrontation. Erstens sollen Vorträge und Ak-
    tionstage im Rahmen der Universität Studenten 17. Oktober 1968
    für die „drohenden Katastrophen von apoka-
    lyptischem Ausmaß“ sensibilisieren. Zweitens Ein Kommentar in der Badischen Zeitung macht
    werde die Problematik von aktiven Studenten auf das bisherige Engagement der ADW aufmerk-
    ins Bewusstsein der Öffentlichkeit getragen wer- sam: „250 000 Flugblätter, 18 000 Plakate und 5
    den, sprich Massenaufklärung geleistet. Drittens 000 Broschüren wurden (...) unter großen finan-
    wolle die Aktion die Probleme der Dritten Welt ziellen Opfern verteilt, 50 Referate gehalten, 30
    auch ins Blickfeld der Tagespolitik rücken und Veranstaltungen organisiert“. Es wäre jedoch hilf-
    zum Thema der Bundestagswahl 1969 machen. reich, „volkstümlicher, sprich allgemeinverständ-
    Folgende Fragen stehen dabei im Mittelpunkt: licher zu formulieren“. (BZ, 17. Oktober 1968)
    „Wo bedeutet staatliche Entwicklungshilfe bis-
    her lediglich deutsche Staatsaufträge für die
    deutsche Industrie auf dem Umweg über die Ent- 8. November 1968
    wicklungsländer?
                                                     Professor Oswald v. Nell-Breuning, „Autorität der
    Inwieweit ist Entwicklungshilfe weitgehend katholischen Soziallehre“, spricht auf Einladung
    Sache der Großindustrie, die ohne Rücksicht der ADW über die soziale Verantwortung der
    auf die individuellen Bedürfnisse nur an der Er- katholischen Kirche. Er sieht es als Aufgabe der
    schließung neuer Märkte interessiert ist? Wo Kirche, das Gewissen aller Gläubigen für die mo-
    zementiert Entwicklungshilfe als Verteidigungs- ralische Pflicht der Hilfe zu schärfen und in den
    politik mit anderen Mitteln Diktaturen, welche Ländern der Dritten Welt die Bedingungen für ein
    ins kurzfristige strategische Konzept passen?“ Ankommen dieser Hilfe zu schaffen. Dies dürfe
    (Uni-Presse Oktober 1968)                        sich nicht nur materiell manifestieren, sondern
                                                     „Fortschritt im gesamtmenschlichen Sinne ist
    Um sich in das komplexe Themenfeld der Entwick- anzustreben, der entsprechend der Schöpfer-
    lungspolitik einzuarbeiten, findet wöchentlich absicht Gottes allen Menschen jeder Rasse und
    das Kritische Seminar statt. Unter Leitung Ernst jeder Religion zuteil werden soll“. Die Diskussion
    Ulrich von Weizsäckers (Diplomphysiker im Zweit- versucht erfolglos, dem Referenten eine konkrete
    studium Biologie; von 1998 bis 2005 Mitglied des Anleitung zum Handeln zu entlocken. Außerdem
    Bundestages (SPD); seit 2012 Co-Vorsitzender wird von den Studierenden die Verstrickung der
    des Club of Rome) und des Soziologieprofessors Kirche in die Kolonialverbrechen angeprangert.
    Christian Sigrist geht es unter anderem um die (Badische Zeitung, 11. November)
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50 Jahre ADW & iz3w

November 1968                                         würde deshalb einen Führungswechsel durch be-
                                                      waffnete Revolution in den Ländern der Dritten
Die ADW organisiert im Rahmen einer „Woche            Welt voraussetzen, welcher zu unterstützen sei.
für die Dritte Welt“ eine Reihe von Vorträgen         (BZ, 13. November 1968)
und Diskussionen mit renommierten Wissen-
schaftlern und Politikern zum Thema Entwick-
lungshilfe. Flugblätter werben mit drei Stich-        15. November 1968
punkten für die Veranstaltungen: Arbeitsplätze,
Frieden und Gerechtigkeit. „Mehr Wohlstand            Botschafter a.D. Dr. Friedensburg (Mada-
und Kaufkraft“ in der Dritten Welt würden der         gaskar) spricht im Kollegiengebäude I über die
deutschen Exportwirtschaft zugutekommen               Rolle der Diplomatie in der Entwicklungshilfe,
und Arbeitsplätze schaffen. Entwicklungshilfe         wobei insbesondere eine Diskussion über den
würde Konflikten und Kriegen vorbeugen und            volkswirtschaftlichen Nutzen von Entwicklungs-
damit auch den wackligen europäischen Frieden         hilfe ehemaliger Kolonialmächte entbrennt, den    7
sichern. Entwicklungshilfe leiste Abbitte für Jahr-   Friedensburg bestreitet. Im Anschluss betritt
hunderte der Ausbeutung durch den „weißen             eine Gruppe von AktivistInnen den Raum und
Mann“. (Flugblatt „Kommt zu den Veranstaltung-        versucht die Diskussion auf die Unterdrückung
en der Aktion Dritten Welt“)                          der persischen Studentenbewegung durch den
                                                      Schah und die Geheimprozesse der persischen
                                                      Justiz zu lenken. Friedensburg und ein Teil der
13. November 1968                                     Zuhörer sind mit dem Themenwechsel nicht
                                                      einverstanden und verlassen demonstrativ den
Die Badische Zeitung berichtet von der Podi-          Raum. (BZ, 18. November 1968)
umsdiskussion „Bonn contra APO“. Im vollbe-
setzten Auditorium Maximum der Universität
Freiburg diskutieren u.a. Dr. Aigner von der 18. November 1968
CSU und der Soziologe Volkholz vom SDS hitzig
über die Hilfe für die Dritte Welt. Grundlegende Unter dem Motto „Es gibt nichts mehr zu be-
Übereinstimmung besteht dabei darin, dass schwichtigen“ füllt die ADW die Freiburger Stadt-
Entwicklungshilfe grundlegend neu überdacht halle mit einem „Teach-in“ zur Entwicklungspolitik.
werden müsse, wolle man Hungersnöte um die Es sind 4.000 bis 5.000 Zuhörer gekommen. Die
Jahrtausendwende vermeiden. Das von einem Gäste sind prominent: Philosoph und Marxist
Vertreter des Bundesministerium für wirt- Ernst Bloch, Schriftsteller Günther Grass, Minis-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ter für wirtschaftliche Zusammenarbeit Erhard
(BMZ) gemalte Bild der bisherigen                            Eppler (SPD), Jürgen Horlemann
Entwicklungshilfe erscheint dem                              vom Republikanischen Club Berlin
Redakteur der Badischen Zeitung           „Es gibt nichts    (Mitglied der außerparlamenta-
„armselig“: Sie diene „der eige-                             rischen Opposition, APO), und
nen Sicherheit, der Vermittlung              mehr zu         dem Vorsitzenden des Bundestags-
eines bestimmten Deutschland-
bildes und der Sicherung künfti-
                                        beschwichtigen“ ausschusses          für Entwicklungs-
                                                             politik, Walter Leisler Kiep (CDU).
ger Absatzmärkte“. Selbst Aigner                             Eingeleitet wird die Diskussion
plädiert deshalb für einen Bewusstseinswandel vom Freiburger ADW-Aktivisten Ernst Ulrich von
und Tabubruch in Bonn und in den Entwick- Weizsäcker. Moderiert vom ZDF-Journalisten
lungsländern, „um die Hilfe aus dem Stadium Reinhard Appel streiten die Gäste über folgende
des bloßen Almosengebens herauszuführen“. Fragen: „Ist Entwicklungspolitik reine Interessen-
Volkholz fragt jedoch nach den Voraussetzungen und Machtpolitik, Geschäft oder Moral? Soll
einer solchen Politik und kommt zu dem Schluss, sie durch Revolution oder Evolution vonstatten
dass im Spätkapitalismus jede Hilfe nur bei den gehen? Und was soll konkret getan werden?“
führenden Eliten und Elendsverwaltern in der (Badische Zeitung).
Dritten Welt ankommen könne. Wirkliche Hilfe
Chronik Politische 50Jahre ADW iz3w
Politische Chronik 1968 - 2018

    Die Positionen der Diskussionsteilnehmer            Wort kommen lassen, bewaffnen sich SDSler mit
    spiegeln die konkurrierenden revolutionären         Farbbeuteln, mit denen man bei Bedarf „auser-
    und reformistischen Tendenzen in der Debatte        wählte Anzüge […] coloriert hätte“ (so ein Leser-
    wieder: Bloch bezeichnet Entwicklungshilfe als      brief in der Badischen Zeitung). (BZ, 21. Novem-
    „ein lohnendes Geschäft, garniert mit Sentimen-     ber 1968; Flugblatt JSG, DISG, SDS)
    talitäten, eine Neuauflage des Kolonialismus“,
    und argumentiert für die Schaffung einer neuen
    revolutionären Gesellschaft, die nur nach einer     November 1968
    „revolutionären Veränderung der philanthropi-
    schen Grundlagen“ solidarische Politik betreiben    Im Nachtrag zum entwicklungspolitischen Veran-
    könne (BZ). Eppler appelliert an den Realismus      staltungsmarathon setzt sich Peter Riedesser ge-
    und erkennt hinter jeder Entwicklungshilfe die      gen einen „journalistischen Amoklauf“ gegen die
    Nebenabsicht des Profits. Dies solle jedoch nicht   ADW zur Wehr. Herr Jeuthe vom SDS attackiert
    gleichbedeutend sein mit dem Schaden der Drit-      Riedesser und von Weizsäcker in der Freiburg-
8   ten Welt, weshalb er graduelle Reformen an der      er Studentenzeitung für die Einladungspolitik
    Entwicklungspolitik für sinnvoll erachtet. Jede     der ADW und die mangelnde Unterstützung für
    Entwicklungshilfe sei ein Mittel zur Sicherung      die persischen Studenten - „Humanitätsduselei
    des Friedens und deshalb eine langfristige In-      gutwilliger Liberaler“ nennt dies ein SDS-Flug-
    vestition. Auch Grass spricht sich für Reformen     blatt. Riedesser verteidigt sich und erklärt, man
    aus; insbesondere für eine gemeinsame Koordi-       hätte Botschafter Friedensburg nicht eingeladen,
    nierung der Entwicklungshilfe aus Ost und West,     weil man seine Meinung teile, sondern weil man
    anstelle von Wettkämpfen um Ressourcen, und         eine inhaltliche Debatte führen möchte.
    das Ende von Waffenlieferungen. Den Traum von
    einer revolutionären, neuen Gesellschaft hält er, Auch den Vorwurf der mangelnden Solidari-
    genau wie Leisler Kiep, für realitätsfern und ein sierung mit den persischen Studenten weist er von
    „Alibi zum Nichts-tun“.                           sich – nur Nirumands „unvergesslicher Auftritt“
                                                                     habe das Austeilen einer solida-
    Horlemann hält schon eine Di-                                    rischen Resolution verhindert.
    chotomie zwischen Nord und                 „Zerschlagt           Jeuthes Argumentation stelle nicht
    Süd für hinderlich, um die realen                                mehr dar als ein „Kartenhaus der
    Strukturen des Spätkapitalismus,            die ADW“             Scheinargumente“ und sein „ideo-
    und damit die wirtschaftlichen                                   logischer Verfolgungswahn“ grenze
    und politischen Probleme der Ent-                                an „argumentative Selbstkastra-
    wicklungspolitik, zu verstehen. Er verweist dabei tion“. Das sei umso verwunderlicher, da aus der
    konkret auf das Beispiel Persiens und holt, nach- von Jeuthe kritisierten Förderung der ADW durch
    dem dieser „sich zum Mikrofon durchraufte“, das BMZ auch tausende Flugblätter für den SDS
    den persischen Literaturwissenschaftler Bah- finanziert worden seien.
    man Nirumand als Gastredner auf die Bühne.
    Nirumand hält nach einigem Tumult und nach 10. Dezember 1968
    Sprechchören wie „Zerschlagt die ADW“ eine
    längere Ansprache über das Unrechtsregime Studierende der Pädagogischen Hochschule
    des persischen Schahs und die Verurteilung per- Freiburg (PH) werden aktiv. Der PH-AStA funk-
    sischer Studenten. Die Aktion war u.a. vom SDS tioniert den „Tag der Menschenrechte“ zum „Tag
    geplant, um durch „Parasitäre Publizität“ (SDS- der Dritten Welt“ um und veranstaltet seinerseits
    Flugblatt) von der Bekanntheit der Gäste und der Vorträge, Diskussionen und Filmvorführung-
    vom BMZ mitfinanzierten ADW zu profitieren. en für die künftigen Volksschullehrer. So stellt
    Die Organisatoren kritisieren nicht zuletzt, dass z.B. Diplom-Volkswirt Uwe Henrichs die Frage:
    Peter Riedesser als Verantwortlicher der ADW „Würde ein dritter Weltkrieg das Ergebnis einer
    sich zwar im Vorlauf verbal solidarisierte, sich Bevölkerungsexplosion und Hungerkatastrophe
    jedoch weigerte, Nirumand selbst einzuladen. sein?“. Studierende aus Ländern der Dritten
    Für den Fall, dass man Nirumand nicht hätte zu Welt bringen in Referaten ihren „Wunsch nach
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tiefgreifender Änderung der politischen und        stimmt auch der Fachverband Medizin (FVM) im
sozialen Strukturen, notfalls auch auf revolu-     VDS zu, bundesweit eine „Aktion Dritte Welt“
tionärem Weg“ zum Ausdruck. Und auch bei der       durchzuführen.
Podiumsdiskussion „Was geht uns die Dritte Welt
an?“ mit dem Religionswissenschaftler Fischer      Die vom FVM herausgegebene Zeitschrift Der
Barnicol, BMZ-Ministerialrat Jelden und Sozial-    Medizinstudent widmet sich in ihrer Dezem-
wissenschaftler Sternstein steht die Kontroverse   berausgabe gänzlich den medizinischen Prob-
um entwicklungspolitische Reformen oder revo-      lemen der Dritten Welt und titelt: „Dritte Welt
lutionären Gesellschaftswandel im Fokus. Des-      – Dritte Kraft“. Darin
weiteren werden zwei Arbeitsgemeinschaften         begrüßt u.a die Bun-
gegründet, die sich einer Schulbuch- und Unter-    desministerin für Ge-
richtsreform, sowie einer „Analyse der bisher-     sundheitswesen, Käte
                                                                                 „Was geht
igen Unterrichtsmittel“ widmen. (BZ, 11. Dezem-    Strobel (SPD), den              uns die
ber 1968; ADW-Dokumentation)                       Aufklärungsbeitrag
                                                   als „aktive Friedens- Dritte Welt an?“
                                                   politik“. H.C. Nonne-
Dezember 1968                                      mann, erster Chefarzt
                                                   des deutschen Hospi-
Bereits im Oktober begrüßt der Verband Deut-       talschiffs „Helgoland“, spricht mit einem Gefühl
scher Studentenschaften (VDS) die ADW offiziell    „tiefer Befriedigung“ den Freiburger Studier-
und ruft Studentenschaften west-deutschland-       enden seine Sympathie aus. (Der Medizinstudent,
weit zu eigenen Aktivitäten auf. Anschließend      Dezember 1968)
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     Januar/Februar 1969

     Die Fachschaft Medizin der Universität Heidel-
     berg attackiert die ADW. In der Januarausgabe
     des Medizinstudenten wirft sie der ADW unter
     dem Titel „Scheuklappenmedizin – oder Schizo-
     phrenie der Nächstenliebe“ mangelnde poli-
     tische Reflexion vor und bezeichnet das FVM-
     Titelthema der Dezemberausgabe als „naiv
     humanitär“. Bereits im November habe man
                                                           sehr vielen Entwicklungsländern notwendigen
                                                           sozialen Umbruchs“ entwickeln. (Medizinstu-
                                                           dent, Januar & Februar)

                                                           Januar 1969

                                                           Die medizinische Fakultät der Uni Freiburg will
                                                           aktiv Entwicklungshilfe leisten. So plant der
                                                           medizinische Fakultätsausschuss für das Som-
                                                           mersemester 1969 u.a. eine „Tropenmedizinische
     eine Gegenaktion „Befreite Gebiete“ gestartet,        Ringvorlesung“ als Vorbereitung zum Einsatz in
     der sich mittlerweile auch die Fachschaften Tü-       der Entwicklungshilfe, die Einrichtung von As-
     bingen und Marburg angeschlossen hätten. Die          sistentenlehrstellen für zurückgekehrte Entwick-
     Broschüre der Gegenaktion plädiert für einen          lungshelfer und die Unterstützung von Partner-
10   revolutionären „Krieg der Volksmassen“ nach           universitäten bzw. Krankenhäusern in Ländern
     maoistischem Vorbild. Vom Tübinger SDS ist zu         der Dritten Welt. Die Projektidee „Basisklinik“
     hören, „die Schaffung eines neuen Vietnams“           von H.C. Nonnemann, welche die Ausbildung
     wäre „keine Tragödie“, sondern „eine Ehre und         und Entsendung deutscher Ärzte in Entwick-
     Pflicht“ für jeden, der es wirklich mit der Dritten   lungsländer fördern will, soll aktiv als „Ausgangs-
     Welt hält.                                            punkt für die Diskussion über medizinische
                                                           Sofortmaßnahmen“ genutzt werden. (BZ, 29.
     In der Februarausgabe des Medizinstudenten            Januar 1969; ADW-Dokumentation)
     wehrt sich die Freiburger Fachschaft Medizin in
     dem Artikel „Viele Vietnams verhindern – Weder
     unpolitische Almosengabe noch Revolutions- Januar 1969
     träumerei“ gegen die Vorwürfe. Die ADW sei kein
     karitativer und „naivhumanitärer Pappkamerad“, In einer Veranstaltung der ADW und der Evan-
     denn man habe schon früh dazu aufgerufen, die gelischen Studentengemeinde referiert Politik-
     Aktion zu politisieren. Man wollte schlichtweg zu wissenschaftler Dr. Theodor Ebert über die Aus-
     Beginn „das Problem der Entwicklungshilfe von tragung sozialer Konflikte in der Dritten Welt.
     allen Seiten betrachten, um zu einer kritischen Auch er prangert die wirtschaftliche Ausbeutung
     Analyse zu kommen“. Fundamental kritische Fra- durch die Industriestaaten an, glaubt jedoch
     gen zur gegenwärtigen Praxis der Entwicklungs- nicht, dass eine gewaltsame Revolution die Lage
     hilfe würden regelmäßig im Kritischen Seminar in den Ländern der Dritten Welt verbessern
     gestellt. Man teile deshalb durchaus einige der könne. Ein „Kostenvoranschlag der Revolution“
     Heidelberger Analysen, ohne jedoch das „Zau- zeige, dass Revolutionen meist mit dem Tode un-
     berwort Revolution“ unhinterfragt verherrlichen schuldiger Menschen bezahlt werden und dazu
     zu wollen: „Wer solche Mao-Zitate proklamiert, tendieren, in autoritären Militärdiktaturen zu
     ist in Gefahr, in einen naiv-revolutionären, poli- enden. „Gerade für den Christen“, findet er, „sei
     tisch unverantwortlichen und wissenschaftlich der Gedanke unerträglich, daß die Schöpfung
     nicht haltbaren Aktivismus zu gera-                           so verderbt sei, daß sie nur mit Ge-
     ten“. Denn das Gerede vom Bürger-                             walt gebessert werden könne“. Statt
     krieg „ist objektiv inhuman und nur          „Kosten-         Revolution fordert er eine Strategie
     als ideologischer Neokolonialismus         voranschlag        der Gewaltlosigkeit, umgesetzt in
     zu bezeichnen“. Anstatt „aus Ideolo-                          der Dritten Welt durch „Selbstor-
     gismen zu deduzieren“, müsse man der Revolution“ ganisation der Unterdrückten“ und
     das Problem „Entwicklung“ in seiner                           extensive Bildungsbemühungen. Im
     Komplexität verstehen lernen. Anstatt von leeren Westen solle sich die Jugend nicht zum Revolu-
     Parolen wolle man politische Alternativen und tionär stilisieren, sondern beispielsweise durch
     „unkonventionelle Methoden zur Beendigung „gezielte Konsumverweigerung“ die Wirtschaft
     der Ausbeutung und zur Herbeiführung des in unter Druck setzen. (BZ, 14. Januar 1968)
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22. Januar 1969                                     stoß für die ADW gegeben, mittlerweile sei man
                                                    sich weiterer Probleme im Zusammenhang mit
Die Zeitung Die Welt widmet der ADW einen Ar-       dem Elend in der Dritten Welt bewusst.
tikel. Die Aktion, als deren Hauptverantwortli-
che sie Peter Riedesser und Ernst Ulrich von        Gegen die „naive Sorglosigkeit“ in der Be-
Weizsäcker ausmacht, habe inzwischen etwa 40        völkerung wolle die ADW daher vor allem auf die
freiwillige Helfer und weite sich bundesweit auf    verfehlte Entwicklungspolitik der BRD aufmerk-
andere Universitäten aus. Als Gegenspieler zum      sam machen. Insbesondere das Festhalten an
radikalen SDS vertrete sie zudem glücklicher-       der so genannten Hallstein-Doktrin (Abbruch
weise „die große Gruppe der Studenten, die          der diplomatischen Beziehungen zu Ländern, die
zwar ein kritisches politisches Engagement für      die DDR anerkennen) kritisiert Bartels. Als „nach
nötig halten, sich aber mit den revolutionären      außen gestülpte Innenpolitik“ sei sie dafür ver-
Ambitionen des SDS nicht anfreunden können“.        antwortlich, dass Entwicklungshilfe oft in den
(Die Welt, 22. Januar)                              Händen des Innenministeriums läge und nicht
                                                    bei Epplers BMZ. Insgesamt sei die Entwicklung-
                                                    shilfe der BRD weder effizient, noch finanziell
Wintersemester 1968/69                              ausreichend. Die Ursachen dafür sieht Bartels in
                                                    erster Linie in den entwicklungspolitischen Struk-
In der Februarausgabe der Zeitschrift Entwick-      turen der BRD: Entwicklungsprojekte werden oft
lung und Zusammenarbeit der Deutschen Stif-         falsch geplant, nicht ausreichend überprüft und
tung für Entwicklungsländer (DSE) zieht ADW-        oft nur aus „Prestigegründen“ am Leben ge-
Aktivist Siegfried Bartels Bilanz über Kritik und   halten. Die Reichshaushaltsordnung lasse nicht
Engagement der Aktion im Wintersemester. Die        genug finanziellen Spielraum für flexible Hilfe
drohenden Hungerkatastrophen hätten den An-         durch das BMZ; noch immer sei das BMZ nicht mit
Politische Chronik 1968 - 2018

     fachkundigen Sozialwissenschaftlern, sondern          sei. Das bisherige Engagement diene als Basis,
     mit Juristen besetzt; und nicht zuletzt verlaufe      um nun ein Programm für das Sommersemes-
     die Hilfe zu oft nach dem „Gießkannenprinzip“         ter 1969 zu erarbeiten. Es solle vor allem dafür
     und nicht im Sinne einer langfristigen Planung.       genutzt werden, sich auf die Bundestagswahl
                                                           im September vorzubereiten, in die man aktiv
     Neben der Kritik an der westdeutschen Entwick-        im Sinne der Dritten Welt eingreifen wolle. (Ent-
     lungspolitik tritt bei Bartels auch die Kritik an     wicklung und Zusammenarbeit, Februar 1969)
     der „deutschen Außenwirtschaft“. Industriena-
     tionen seien aktiv an der Ausbeutung der Drit-
     ten Welt beteiligt, wo auf dem Weltmarkt z.B.
     sinkende Rohstoffpreise steigenden Investitions- 15. März 1969
     güterpreisen gegenüberstehen. Gegenstand der
     ADW solle daher immer eine kritische Analyse Die Zeitschrift Orientierung – Katholische Blät-
     der wirtschaftlichen und politischen Beziehung- ter für weltanschauliche Information gibt ei-
12   en zwischen Industrienationen und Dritter Welt nen Überblick über das Engagement der ADW
     sein. Neben den Forderungen nach entwicklungs- im Wintersemester. Sie druckt den Brief eines
     politischen Reformen steht somit die Kritik des Freiburger Studenten (Kürzel: M.v.G.) an den
     globalen Nord-Süd-Verhältnisses im Sinne der Münsteraner Theologieprofessor Karl Rahner ab,
     Dependenztheorie. Ziel der Aktion                              der fragt, ob die prominent besetz-
     sei es laut Bartels bislang gewesen,
     in einem „möglichst großen und
                                          „Selbstorganisation te       Münsteraner Fakultät nicht Lust
                                                                    hätte „ein bißchen Avantgarde in
     heterogenen Personenkreis“ ein                  der            Fragen Entwicklung zu werden“.
     Bewusstsein für diese Probleme                                 Die Kirche habe eine historische
     zu schaffen. Neben den zahlrei-         Unterdrückten“         Chance, denn nur „Kirchenmit-
     chen Diskussionen und Vorträgen                                glieder in den Industrienationen
     verteilte man zwischen 70.000 und 100.000 Flug- können ihr Bewußtsein und das Bewußtsein ih-
     blätter und entwarf ein 30-seitiges Unterrichts- rer Nation so ändern, daß offene und versteckte
     heft für Volks- und Realschulen in einer Auflage Formen der Ausbeutung beendet werden“.
     von 5.000 Exemplaren.

     Innerhalb der Universität versuche man sich           Sommersemester 1969
     noch tiefer in die Materie einzuarbeiten, z.B.
     durch „ein kritisches Grundlagenseminar, ein          Auch im Sommersemester gibt es das Kritische
     Seminar über kirchliche Entwicklungshilfe, ein        Seminar mit folgenden Sitzungen: „Die poli-
     Seminar zur Schulbuchreform und ein Semi-             tische Ökonomie der Beziehungen zwischen
     nar zur Ausarbeitung eines Kontrastprogramms          den Entwicklungsländern und den westlichen
     für deutsche Vorlesungsverhältnisse“. Bei der         Industriegesellschaften“ (K. Poser); „Typische
     ADW sei man stolz auf die Breitenwirkung, die         Sozialstrukturen in den Industriegesellschaf-
     die Aktion bislang erzielt habe. So beschränke        ten“ (Chr. Sigrist/G. Spittler); „Probleme der In-
     sich der Mitarbeiterkreis nicht mehr auf Studie-      dustrialisierung von Entwicklungsländern“ (J.
     rende, sondern umfasse u.a. Facharbeiter, Lehrer      Föhrenbach); Probleme der Agrarreform in Ent-
     und Oberschüler. Auch örtliche Parteigruppen          wicklungsländern (U.v. Pufendorf); Bildungs- und
     bemühten sich um Kontakte: Die FDP will mit der       Ausbildungsprobleme in Entwicklungsländern (T.
     ADW ein entwicklungspolitisches Programm er-          Hanf); „Revolution als vorbereitende Bedingung
     arbeiten, die Junge Union eine Podiumsdiskus-         für den sozio-ökonomischen Fortschritt in Ent-
     sion mit ADW-Mitgliedern veranstalten, und die        wicklungsländern“ (Chr. Sigrist); „Zerschlagt die
     Jungsozialisten Offenburg planen, sich der Aktion     Entwicklungshilfe“ (SDS-Kollek-tivreferat); „Ge-
     anzuschließen. Die Finanzierung erfolge mittler-      gen eine Entwicklungspolitik als eine Form na-
     weile in erster Linie durch öffentliche Institutio-   tionaler Wirtschaftsaußenpolitik“.
     nen wie das BMZ, wobei Bartels betont, dass
     dies an keine politischen Bedingungen gebunden
50 Jahre ADW & iz3w

1969

Die ADW verabschiedet ein 17-Punkte-Pro-
gramm mit dem Titel „Grundlagen einer neuen,
glaubwürdigeren Entwicklungsländerpolitik“. Es     Juni 1969
beinhaltet einige Punkte zum „wirtschaftlichen
Austausch“: 1. Stabilisierung von Rohstoffpreis-   Bei einem Vortrag im Freiburger Haus der Jugend
en auf dem Weltmarkt; 2. Abbau von Handelsbe-      erneuert die ADW in Person von Heinz Eicher und
schränkungen wie Schutzzöllen in den Industrie-    André Edou aus Kamerun ihre Kritik an der west-
ländern, dagegen Zugeständnis der Protektion       deutschen Entwicklungshilfepolitik. Es wird deut-
der Binnenmärkte der Entwicklungsländer; 3.        lich, dass die ADW nicht nur mehr, sondern auch
Veredelung und Transport von Rohstoffen durch      qualitativ bessere Entwicklungshilfe fordert. „Zy-
einheimische Unternehmen; 4. Rückzug west-         nisch“ sei es eingedenk der Geschäftsgebaren,
licher Unternehmen aus den „extraktiven Indus-     die die Entwicklungspolitik noch bestimmen,          13
trien“.                                            überhaupt von Hilfe zu reden. Von den 6,5 Mil-
                                                   liarden D-Mark Entwicklungshilfe jährlich flössen
Zur Definition von Entwicklungshilfe: 6. Als sol-  1,2 Milliarden an die Weltbank, die sie als teuer
che werden nur noch „Technische Hilfe“ und         verzinste Kredite an Entwicklungsländer wei-
„zins- und rückzahlvergünstigte Kredite“ be-       tergebe. Die übrigen 5,3 Milliarden bestünden
zeichnet; 7. Hilfen in vergleichsweise entwickelte zu zwei Dritteln aus Direktinvestitionen und Ex-
Länder wie Israel, Griechenland und Portugal       portkrediten der Privatwirtschaft.
sollen nicht mit aufgeführt sein. Zum „Umfang“
und zur „Form“ der Entwicklungshilfe: 8. An- Diese Gelder kämen entweder für die Entwick-
hebung der Entwicklungshilfe auf ein Prozent lung völlig bedeutungslosen Branchen wie
des Brutto-Sozialprodukts, Steigerung auf zwei Schmuck und Spielzeug zugute, oder sie führten
Prozent bis zum Jahr 1975 durch Einsparungen gar zur direkten Ausbeutung, wenn die Hilfe nur
von Militärausgaben; 9. Fokus auf                              in die Rohstoffindustrie ginge. Dort
„technische Hilfe“ in Bildungs-                                könnten deutsche Investoren „bis
und Ausbildungssysteme; 10.
                                           „Zerschlagt         zu 50 Prozent der Investitions-
Verschiebung des Schwerpunkts                     die          summe jährlich“ als Gewinn er-
von bilateraler zu multilateraler                              zielen und „billige Rohstoffe zu
Hilfe über Organisationen, denen Entwicklungshilfe“ Schleuderpreisen erwerben“. Die
gleichberechtigte Vertreter der                                restlichen 2,1 Milliarden würden
Entwicklungsländer        angehören                            zwar als Kredite zu niedrigem Zins
müssen; 11. Beschränkung der Hilfe auf „ent- verteilt werden. Mit der Vergabe sei jedoch eine
wicklungs- und reformbemühte“ Länder (außer „Verpflichtung zu Aufträgen an die deutsche In-
im Bildungssektor), auch mit sozialistischem dustrie verbunden“, ebenso wie ein festes Roh-
Wirtschaftssystem; 12. Verzicht auf jegliche mi- stoffkontingent, das zu niedrigen Festpreisen an
litärische Hilfe und Maßnahmen gegen private Deutschland geliefert werden müsse. Nicht zu-
Rüstungsexporte. Schließlich zur „entwicklungs- letzt solche Politik sei dafür verantwortlich, dass
politischen Administration“: 13. Kompetenzum- z.B. die Einnahmen eines Kakaobauern von der
verteilung in der Bundesregierung zugunsten des Elfenbeinküste von 5 Mark pro Kilo im Jahr 1954
BMZ; 14. „Sorgfältiger durchdachte Aufgabenstel- auf 20 Pfennig pro Kilo 1966 gefallen seien.
lung an die Entwicklungsländerforschung“ durch
das BMZ; 15. Effizienzsteigerung durch bessere Deutsche Politiker bedauern solche Entwick-
Ausbildung von Helfern, sowie Erweiterung der lungen zwar meist, „wenn es aber an den Ver-
„Weisungsbefugnisse“ des BMZ gegenüber Bot- handlungstisch gehe, würden sie zu knallharten
schaften; 16. Eine flexiblere Haushaltsordnung Geschäftemachern“. Dagegen helfe nur kompro-
als Ersatz für die Reichshaushaltsordnung des misslose Aufklärung, besonders im Hinblick auf
BMZ; 17. Eine „selbstkritische und problemori- die Bundestagswahl im September. (BZ, 23. Juni
entierte Aufklärung“ durch das BMZ.                  1969)
Politische Chronik 1968 - 2018

     4. bis 6. Juli 1969                                kapitalistisches System geführt werden“ könne.
                                                        (Tagungsbericht DSE)
     Auf Anregung der Freiburger ADW organisiert
     die Deutsche Stiftung für Entwicklungsländer       Juli 1969
     (DSE) einen Erfahrungsaustausch von Studenten-
     und Jugendgruppen, die in der Entwicklungshilfe    Im Nachtrag zur Tagung in Berlin-Tegel gibt die
     aktiv sind. Der Teilnehmerkreis der Tagung in      Freiburger ADW einen Text von Siegfried Bar-
     Berlin-Tegel zeigt die überregionale Entwicklung   tels heraus, der als Beitrag zur Strategiediskus-
     der ADW: Neben den Freiburger ADWlern Sieg-        sion der „Gruppe Tegel“ gedacht ist. Bartels‘ Vi-
     fried Bartels, Bernhard Cremer, Georg Cremer,      sion vom weiteren Vorgehen der Gruppe sticht
     André Edou, M. Molls und Peter Riedesser kom-      als symptomatisch für den Reformismus der
     men auch Vertreter von ADWs der Universitäten      frühen Freiburger ADW heraus. Sie ist betitelt:
     Darmstadt, Eichstätt, Essen, Esslingen, Göpping-   „Eine Lobby für die Dritte Welt – Alternative zur
     en, Göttingen, Reutlingen und Weingarten;          SDS-Strategie“. Nachdem man zunächst nur Auf-
14   ebenso Mitglieder verschiedener christlicher       klärung leisten wollte, sei es an der Zeit „dem
     Organisationen, des Internationalen Arbeits-       politischen Protest mehr Stoßkraft zu verleihen
     kreises der Stiftung Studienkreis, des Hunger-     (…), was nur heißen kann, eine Art Lobby für die
     marschkomitees und von Terre des Hommes.           Dritte Welt aufzubauen“.

     Die Vertreter beschließen die Einrichtung eines Die Notwendigkeit einer direkten Einflussnahme
     „Informationsumverteilungszentrums“ (IUZ) für auf die Politik begründet Bartels mit einer Absage
     die – vorläufig so genannte – „Gruppe Tegel“. an den SDS. Es sei nicht abzusehen, dass sich das
     Das IUZ soll provisorisch in Freiburg angesiedelt politische und wirtschaftliche System in der BRD
     werden, nicht als Dachverband, sondern als in naher Zukunft verändern würde. Indessen sei
     zentraler Punkt eines überregionalen „Kommu- es sehr wohl möglich, im Rahmen des Bestehen-
     nikationsnetzes“ zur regelmäßigen Verteilung den die Lage in der Dritten Welt zu bessern, ohne
     von Materialien und Koordinierung                               damit gleich Ausbeutungsverhält-
     gemeinsamer Aktionen. Grund-                                    nisse zu perpetuieren. Keynes
     gedanke ist dabei der Eingriff in den                           habe gezeigt, dass der Spätkapita-
     Wahlkampf für die Bundestagswahl           „Wahlkampf           lismus nicht auf die imperialistische
     im September 1969 unter dem Mot-                                Erschließung von Absatzmärkten
     to „Wahlkampf für die Dritte Welt“.            für die          in der Dritten Welt angewiesen
     19 der in Berlin-Tegel anwesenden                               sei, sondern auch von innen „du-
     Gruppen erklären sich zu der Wahl-         Dritte  Welt“        rch einen staatlichen Interventio-
     kampfaktion bereit. In der Folge wer-                           nisms und der (…) Erzeugung neuer
     den laut Angabe der Freiburger ADW bundesweit Konsumbedürfnisse“ am Leben gehalten werden
     16.000 Plakate und 100.000 Aufkleber verteilt (2. könne. Da es den systemimmanenten Zwang zur
     Rundbrief der „Gruppe Tegel“).                     Ausbeutung nicht gebe, könnte eine politische
                                                        Mehrheit zugunsten der Dritten Welt einiges
     Zum Abschluss können sich die Vertreter nicht bewegen. Effektivere und ausgiebigere Entwick-
     auf eine gemeinsame Presseerklärung einigen; lungshilfen würden, so Bartels, die Sozialstruk-
     die Freiburger ADW zieht ihre Erklärung zurück. turen in den Entwicklungsländern entscheidend
     Im Tagungsbericht werden zwei Erklärungen aufweichen und damit hilfreicher sein, als die
     abgedruckt, um „die Spannbreite der Diskus- Unterstützung jeglicher Befreiungsbewegungen.
     sion“ zwischen radikal-revolutionärem Ansatz
     und reformistischen Bemühungen anzudeuten. Bartels fasst zusammen: „Ohne das Faktische
     So erkennt der Internationale Arbeitskreis die hier in der BRD zu akzeptieren, sollte man sich
     Ursache für die Ausbeutung der Dritten Welt in vorläufig hiermit in oppositioneller Funktion ar-
     der Struktur des „monopolkapitalistischen Sys- rangieren, um einen Beitrag zur Veränderung
     tems“, weshalb der „Kampf gegen die Ausbeu- des Faktischen in der Dritten Welt zu leisten“.
     tung der Dritten Welt nur als Kampf gegen unser Heinecke Werner begründet den „langen Marsch
50 Jahre ADW & iz3w

durch die Institutionen“ philosophisch: Man          nütziger Verein geführt und durch Gelder des
wolle nicht „in gewaltigen dialektischen Sprün-      BMZ finanziert werden. Im Dezember trifft man
gen sich der Problematik in der Weise (…) entledi-   sich erneut in Mainz, um die politische Grundaus-
gen, daß diese auf simple Systemkritik reduziert     richtung der Gruppe zu diskutieren. So stößt der
wird, sondern versuchen mittels eines kritischen     Freiburger Vorschlag einer „Lobby“ auf kräftigen
Rationalismus den bestehen Verhältnissen in          Gegenwind, u.a. von der Frankfurter ADW. Der
ihren tatsächlichen Verflechtungen gerecht zu        Begriff „Lobby“ suggeriere unreflektiert Wirt-
werden“.                                             schaftsnähe und ignoriere die systemimmanen-
                                                     te Problematik von Entwicklungshilfe. Bartels‘
                                                     Konzept sei nicht mehr als eine reformistische
                                                     „Pseudostrategie“. Man einigt sich, im Frühjahr
16. bis 20. Juli 1969                                1970 erneut zusammenzukommen und die Posi-
                                                     tion und Funktion des neuen Informationszen-
Die ADW nimmt am Evangelischen Kirchentag in         trums auszudiskutieren. (Ziele und Arbeitsweise          15
Stuttgart teil, der in diesem Jahr von Richard von   des Informationszentrums Dritte Welt; Keine
Weizsäcker, späterer Bundespräsident und Onkel       Lobby für die Dritte Welt – Kritik einer Freiburger
des ADW-Mitglieds Ernst Ulrich von Weizsäcker,       Pseudostrategie (Klaus Nikolajczyk))
geleitet wird. In der Arbeitsgruppe „Gerechtig-
keit in einer revolutionären Welt“ spricht Sieg-     12. Dezember 1969
fried Bartels über die Ignoranz der deutschen
Politik gegenüber dem Hunger in der Dritten          Bei einer vom AStA organisierten Demonstra-
Welt und plädiert für eine „Vervielfachung“ und      tion gegen den Vietnamkrieg kommt es zu Aus-
effizientere Organisation der Entwicklungshilfe.     schreitungen in der Freiburger Innenstadt. Un-
Peter Riedesser wendet sich in einem „Hearing“       ter Parolen wie „Friede auf Erden – Waffen für
für Journalisten gegen die unkritische und sen-      den Vietcong“ oder „USA, SA, SS“ schmeißen
sationsheischende Berichterstattung in der deut-     SDS-AktivistInnen elf Fensterscheiben der Deut-
schen Presselandschaft.                              schen Bank ein und verschaffen sich gewaltsam
                                                     Zugang zum verbarrikadierten Amerikahaus. Der
In Stuttgart steht zudem die Bundestagswahl          Kommentator der Badischen Zeitung verurteilt
im Fokus: Unter dem Motto „Wahlkampf für             die Ausschreitungen. Während die ADW fried-
die Dritte Welt: Der Hunger muss zum Wahl-           lich Rohrzucker verkaufe, um die Bürger auf ihre
kampfthema werden“ versucht man eine Lobby           Seite zu bringen, koche der SDS einsam seine
für entwicklungspolitische Reformen zu bilden.       „sozialistische Suppe“. Dies sei ein Jammer, denn
Einige Hundert Besucher des Kirchentages tragen      gewaltsame Aktionen brächten auch die ADW
sich in eine von Freiburg aus koordinierte „Wahl-    in Misskredit. All jene, „die sich ehrlich engag-
kampfzentralkartei“ ein, die dafür sorgen soll,      ieren“, würden „wieder einmal als langhaarige,
dass bundesweit Engagierte „in jedem Wahlkreis       gammelnde und verrottete Radaubrüder klassi-
und in jeder Wahlversammlung“ kritische Fragen       fiziert, weil sie, aus lauter Solidarität, die Radika-
zur Entwicklungshilfe in den Wahlkampf tragen.       linskis nicht in ihre Schranken zu weisen vermö-
                                                     gen“. (BZ, 13./14. Dezember)

21. bis 23. November &
27. bis 28. Dezember 1969                            13. Dezember 1969

Auf Initiative der Freiburger ADW tagt die           Die ADW beteiligt sich gemeinsam mit der Evan-
„Gruppe Tegel“ im November im Schloss Lud-           gelischen Studentengemeinde, dem Bund der
wigstein bei Kassel. Man plant die feste Instal-     Deutschen Katholischen Jugend und der Evan-
lation eines „Informationszentrums Dritte Welt“      gelischen Jugend an der Aktion „Christliche
in Hamburg unter Leitung Wolfram Brüngers,           Weihnacht – Solidarische Weihnacht“. Im Mit-
das die Funktionen des bisherigen Provisoriums       telpunkt steht eine Konsumkritik des Westens:
in Freiburg übernehmen soll. Es soll als gemein-     „Der Gegensatz zwischen unserem hohen Kon-
„Friede auf Erden - Waffen für den Vietcong“

     sum und der Not in den Entwicklungsländern“ Die Protektion der heimischen Zuckerrüben-
     springe gerade „zu Weihnachten besonders bauern durch die Europäische Wirtschaftsge-
     deutlich ins Auge“. Nur durch die Ausbeutung meinschaft (EWG) schade der auf den Export
     der Dritten Welt sei der exorbitante Konsum von Zucker angewiesenen Wirtschaft vieler
     im Westen möglich, und so, meint die Aktion, Länder der Dritten Welt. Entwicklungspolitik
     ergebe sich der „widersinnige Tat-                                würde bedeuten, der dortigen
     bestand, daß gerade zur Zeit des                                  Produktion aktiv zum Aufschwung
     ‘Festes des Liebe’ eine Ausbeu-              Der SDS              zu verhelfen. Auch Baden-Würt-
     tung größten Ausmaßes betrie-                                     tembergs Ministerpräsident Fil-
     ben wird“. Der Konsument soll vor            wirft den            binger gönnt sich im geschäftigen
     die Frage gestellt werden, „ob er                                 Weihnachtstrubel eine Tüte Zu-
     nicht auf Güter verzichten soll, von         ADWlern              cker. Neben dem Zuckerverkauf
     denen er weiß, daß unsere Wirt- „CDU-Methoden“ wird auch durch Straßentheater
     schaft an ihnen auf Kosten der Ent-                               und Plakatgänsemärsche von
16   wicklungsländer profitiert, und ob             vor                Freiburger SchülerInnen auf die
     er nicht überhaupt seinen Konsum                                  ungerechte Güterverteilung auf
     an Dingen, für die er kein unmittel-                              der Welt hingewiesen. Der SDS
     bares Bedürfnis hat, einschränkt“.                 wirft den ADWlern „CDU-Methoden“ vor und
                                                        verurteilt auch die Zusammenarbeit mit der
     Am Samstag findet auf der Freiburger Einkaufs- Kirche: „Die Pfarrer stecken ja noch mitten da
     meile Kaiser-Joseph-Straße eine öffentliche Ak- bei euch drin“ (SDS Flugblatt). Zumindest die
     tion gegen den entwicklungspolitischen Miss- Badische Zeitung erkennt in der Aktion jedoch
     stand statt. Mitglieder der ADW verkaufen dabei eine „Demonstration, die zum Nachdenken an-
     das Kilo Rohrzucker aus Ländern der Dritten Welt regt“. (BZ, 15. Dezember 1969; SDS Flugblatt)
     für den Originalpreis von 50 Pfennig, um damit
     gegen die Anhebung des Zuckerpreises durch die 16. Dezember 1969
     europäische Schutzzollpolitik zu protestieren.
                                                        Vertreter der ADW (u.a. Peter Riedesser, Wol-
                                                        fang Gruber) reisen zu einer Gesprächsrunde
                                                        mit Bundespräsident Gustav Heinemann (SPD)
                                                        nach Bonn. Gemeinsam mit über 50 VertreterIn-
                                                        nen weiterer Gruppierungen, z.B des Hamburger
                                                        SDS, der Tricont-Gruppen Köln oder der Aktion
                                                        Selbstbesteuerung, soll es um die deutsche Ent-
                                                        wicklungspolitik gehen. Über geeignete Gegen-
                                                        maßnahmen gegen den Hunger der Dritten Welt
                                                        ist man sich unter den Gesprächsgästen nicht
                                                        einig, weshalb wohl „der Bundespräsident auch
                                                        einige Mühe“ hat, „die verschiedenen Ansätze
                                                        und Standpunkte auseinanderzuhalten“. Das
                                                        Gespräch ist dann auch geprägt von Verständi-
                                                        gungsschwierigkeiten. Heinemann stimmt den
                                                        Studierenden schließlich zu, dass man Entwick-
                                                        lungshilfe nicht nur als „Almosengabe“, sondern
                                                        als eigenständigen Aspekt moderner Politik be-
                                                        greifen müsse. Die Studenten überschätzten
                                                        jedoch die konkreten Einflussmöglichkeiten des
                                                        Bundespräsidenten, außerdem seien viele der
                                                        vorgeschlagenen Maßnahmen schlicht nicht re-
                                                        alpolitisch praktikabel. Die ADW-Vertreter emp-
                                                        finden Heinemann dennoch als interessierten
                                                        und offenen Gesprächspartner. (BZ, 18.12.1969)
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6. bis 8. März 1970                               machen und Entwicklungshilfe als „Ergänzungs-
                                                  funktion innerhalb der gesamten Strategie des
Erneut treffen sich VertreterInnen entwicklungs-  Monopolkapitalismus“ zu kritisieren.
politischer Organisationen – nun nicht mehr
unter dem Namen „Gruppe Tegel“ –, um über Es wird eine achtköpfige Vorbereitungskom-
das „Informationszentrum Dritte Welt“ zu disku- mission gewählt, die die Einrichtung des In-
tieren. Aufgrund der noch nicht ausgeräumten formationszentrums organisieren soll. Ohne
inhaltlichen Differenzen sowie der                              Freiburger Beteiligung kommen
noch ausbleibenden „formaljuris-                                die Gewählten aus Köln, Bonn,
tischen Trägerschaft“, die vom          Entwicklungshilfe Bochum, Berlin und Marburg.
BMZ zur Finanzierungsbedingung                                  Als erste Amtshandlung trifft sich
gemacht wurde, obliegt die pro-            nicht nur als        die Kommission im April mit Ver-
visorische Organisation weiterhin        „Almosengabe“          tretern des BMZ in Bonn. Das
der Freiburger ADW. Aus dem Pro-                                BMZ zieht die in der Sitzung zuge-
tokoll der Tagung in Neuweilnau                                 sicherte zweijährige Finanzierung
geht hervor, dass die Freiburger Position zur Aus- jedoch zurück und fordert einen „detaillierten
richtung der Gruppe sich nicht durchgesetzt hat. Aufriß“ der geplanten „inhaltlichen und organi-
Die Mehrheit der Anwesenden spricht sich dafür satorischen Arbeit“. Die Kommission sieht danach
aus, den „antiimperialistischen und antikapitalis- „konterrevolutionäre“ Tendenzen am Werk und
tischen Kampf“ zur „Basis der Arbeit des IZ“ zu weigert sich eine „kompromittierende Alibifunk-
Politische Chronik 1968 - 2018

     tion“ für die Bundesregierung einzunehmen. Sie      grausamen Kolonialregime Portugals ziehen, und
     beschließt, „das Projekt ‘Dritte Welt’ aufzuge-     in Deutschland gelte das immer noch als Entwick-
     ben“ - Leute wie Siegfried Bartels würden aber      lungshilfe. Auch die Waffenlieferungen in andere
     sicher schon bald versuchen werden „sich mit        Länder der Dritten Welt gelte es zu kritisieren.
     dem IZ ‘Dritte Welt’ Pöstchen zu sichern“. Un-      (FAZ, 28. und 29. April; ADW Presseerklärung 10.
     terdessen klagt man in Freiburg, man drohe „in      Mai 1970)
     Informationsanfragen gleichsam zu ertrinken“.
     (Protokoll der Tagung Neuweilnau & Bericht
     der Vorbereitungskommission; 4. Rundbrief der       29. bis 3. Juli 1970
     Freiburger ADW)
                                                         „Machtwechsel in Freiburg“! Die Liste der ADW
                                                         erlangt bei der Studentenratswahl mit 16,7 Pro-
     27. bis 28. April 1970                              zent der Stimmen fünf Sitze (Wahlbeteiligung:
                                                         32,7 Prozent) und bildet gemeinsam mit dem
18   Die ADW sorgt für Aufsehen in Bonn. Auf Anre- Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB;
     gung zahlreicher entwicklungspolitischer Grup- 33,9 Prozent, 11 Sitze) den neuen AStA. Er löst
     pen findet eine Anhörung des Bundestagsaus- die Demokratische Mitte (DM) ab. Für die ADW
     schusses für wirtschaftliche Zusammenar- ziehen in den Studentenrat ein: Wolfgang Gruber
     beit zum Thema Entwicklungshilfe statt. Peter (Medizin), Michael Schmidt-Hieber (Medizin),
     Riedesser ist als Vertreter der                                   Francis Mukasa (Medizin), Martin
     einzigen „kritisch aktiven Arbeits-                               Weiss (Geowissenschaften) und
     gruppe“ eingela-den, die elf Fragen                               Christine Bender (Jura). Weitere auf
     des Ausschusses zu beantworten,
                                               Die ADW droht           der Liste waren: Georg Stingl, Hei-
     verlässt die Anhörung allerdings         in Informations-         necke Werner, Gerd Schillmöller,
     am zweiten Tag unter Protest, noch                                Ruth Kronenberger, Bernd Mo-
     ohne selbst zu Wort gekommen zu              anfragen  zu         ser, Arnold Hundsdörfer, Michael
     sein: Die Anhörung sei nicht mehr                                 Müller Schwefe). Das Wahlergeb-
     als eine „unkritische Heerschau               ertrinken           nis wird als Zeichen gedeutet, dass
     mächtiger Industrieverbände und                                   es gelungen sei, „Bedeutung und
     Interessengruppen“ gewesen. In ihrer Presseer- Problematik der Entwicklungsländer und ihre
     klärung richtet sich der Protest der ADW gegen Beziehung zu den Industrienationen in die Stu-
     die Einladung von lobbyistischen Vertretern der dentenschaft zu tragen“.
     Deutschen Bank, der Arbeitsgemeinschaft Ent-
     wicklungsländer des Bundesverbandes der deut- Nun will die ADW, nachdem sie in den letzten
     schen Industrie, des Deutschen Gewerkschafts- Semestern die außer-universitäre Aufklärung in
     bundes oder des Bundes Deutscher Steuerzahler. den Mittelpunkt gestellt hatte, ihr universitäres
                                                         Engagement erneuern. Man sehe sich jedoch
     Zudem seien die Ausschussmitglieder zu inkom- nicht in Konkurrenz, sondern „komplementär
     petent gewesen, um die mächtigen Interessen- zu anderen progressiven Hochschulgruppen“:
     vertreter kritisch zu befragen. Und auch den Die gemeinsamen politischen Schnittmengen
     wenigen kirchlichen und wissenschaftlichen mit dem kritischen SPD-nahen SHB und dessen
     Vertretern hätte es mit ihren ahnungslosen „progressive Reformvorstellungen“ bieten dabei
     Fragen nicht gelingen können, einen kritischen den kooperativen Rahmen. So distanziert sich
     Impuls zu setzen. Unter diesen Umständen will der SHB vom nicht zur Wahl angetretenen SDS
     Riedesser nicht „die Alibi-Funktion des kritischen und dessen „halbstarken Gebaren rebellierender
     Hofnarrs“ ausfüllen und entschließt sich zu ge- Bürgersöhnchen“ gleichermaßen wie von einer
     hen. Kurzerhand organisiert man eine eigene opportunistischen „Chamäleon-Politik“ der auf
     Pressekonferenz: Thema ist das Cabora-Bassa- die Parteikarriere schielenden Konservativen.
     Staudammprojekt in der portugiesischen Kolonie Der neue AStA der „Linksgruppen“ (Badische Zei-
     Mosambik. Unternehmen wie AEG, Voith und die tung) hält ein „utopistisches Maximalprogramm“
     Hochtief AG würden dort aktiv Gewinne aus dem für politisch unklug und verspricht mit einem
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