CLASS A offengelegt & erklärt

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CLASS A offengelegt & erklärt
The Spirit of Art                         in Technology

    CLASS “A”
           offengelegt
           & erklärt
                      Eine technische
                         Plauderei:
                    “Wie funktionieren
                        Verstärker”
                      ——— und ———
                     “Was ist Class A?”

                      Randall Smith
                      Mesa Engineering
CLASS A offengelegt & erklärt
Randall Smith
                         M esa Engi neer i ng

2   Class A - Entmystifiziert & Erklärt
CLASS A offengelegt & erklärt
EINFÜHRUNG

B    esorgen Sie sich ein Glas ihres Lieblingsgetränks und legen
     Sie die Füße hoch. Wir werden uns mit einem umfang-
reichen und zähen Thema auseinandersetzen und hoffen, dass
Sie es trotzdem informativ und unterhaltsam zu lesen finden…
Wir werden Sie am Ende auch nicht abfragen!
Zwei Fragen, die mir öfters gestellt werden, lauten: „Was ist
Class A“ und „Was ist der Unterschied zwischen dem Lonestar
und seinem Bruder, dem Lonestar Special“.
    Weil diese zwei Verstärker bis auf dem Endstufendesign
gleich sind, können wir beide Fragen kombinieren und zwei
Fliegen mit einer Klappe schlagen. Wenn Sie einmal die Ge-
legenheit bekommen sollten, beide Verstärker im Vergleich zu
hören, werden Sie eine Demonstration der musikalischen Rele-
vanz all dieser Technik, die wir hier zu erklären versuchen, be-
kommen. Sie werden Class A und Class AB, „single-ended“ und
„push-pull“, 6L6 und EL34 direkt vergleichen können. Das
Lernen hat noch nie so viel Spaß gemacht!
    Aber langsam, denn dieser Stoff ist ziemlich tiefgreifend.
Keiner kann erwarten alles in einem Durchgang zu begreifen.
Ich habe praktische Erfahrung und habe Jahrzehnte über dieses
Zeug nachgedacht und lerne immer noch Neues. Es wird eher
so sein, dass, jedes Mal wenn Sie ein Stück lesen, ein oder zwei
Sachen anfangen werden einen Sinn zu ergeben, und Ihr Ver-
ständnis wird Schritt für Schritt wachsen. Ein bisschen wie das
Erlernen eines Musikinstrumentes.
    Zuerst einen Überblick über die zwei Amps: Der Lonestar
Special hat alle Eigenschaften des originalen Lonestars, mit Aus-
nahme des „Tweed-Power“ (Sie werden bald verstehen warum
„tweed“ nicht nötig ist.) Der „Special“ hat die gleiche zweika-
nalige Vorstufe, inklusive schaltbaren Drive für Kanal 2, den
hinreißenden Reverb mit eigenem Bright-Schalter, den Röhren-
Einschleifweg mit hard-bypass Relais (welche die zwei Send-
und Return-Röhren, mitsamt ihrer Pegelpotis und Buchsen aus
dem Signalweg nimmt), den schaltbare Lüfter, das Aluminium-
Chassis und so weiter, wie sein großer Bruder.

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CLASS A offengelegt & erklärt
Aber da, wo der Lonestar vier große 6L6 Endröhren ein-
          setzt, mit kanalspezifischer Leistungsumschaltung zwischen 10,
          50 oder 100 Watt, hat der Special vier EL84-er, die knackigen
          kleinen Powerpunks mit neun Stiften. Jedes Endstufendesign
          hat seine musikalischen Stärken, und viele Gitarristen hätten am
          Liebsten beide Amps. Die 6L6-er liefern enorm lebhafte Wärme
          mit schimmernden Höhen und genügend cleanen Headroom
          um damit überall auftreten zu können. Diese Endröhren laufen
          „push-pull“ in Class AB - zwei für 50 Watt, oder vier in „push-
          pull-parallel“ für 100 Watt, immer noch Class AB.
              Die EL84-er im Special klingen etwas schnoddriger und
          aufmüpfiger mit ihren glockenartigen Höhen. Auch sie sind
          schaltbar, sogar zwischen drei Leistungsklassen: 30, 15 oder 5
          Watt, zuweisbar pro Kanal. Diese Leistungsklassen sind perfekt
                          für‘s Üben, für‘s Studio und für den Gig in klei-
                          neren Clubs. Das unterschiedliche Pegel- und
EL-84-er werden
                          Verzerrverhalten der drei Leistungsklassen ist
für maximale
                          unglaublich interessant. Die EL84-er werden für
vintage Wärme in
                          maximale vintage Wärme in Class A betrieben.
Class A betrieben.
                          In der 30 Watt Position arbeiten alle vier Röh-
                          ren in einer push-pull-parallel-Konfiguration. Als
          nächstes können zwei Röhren abgeschaltet werden - für 15 Watt
          aus den verbleibende Zwei. Aber das, was diesen Amp wahrlich
          „special“ macht, ist die patentierte Möglichkeit auf nur einen
          EL84 zu schalten, für 5 Watt delikat tönendes single-ended
          Class A Nirwana.
              Zugegeben, dieses Geplapper klingt bekannt, Sie haben die
          meisten dieser Worte schon einmal gehört und gelesen. Ver-
          käufer jonglieren gerne damit herum, um Ihnen einen Amp
          schmackhaft zu reden und Sie vielleicht auch ein wenig ein-
          zuschüchtern. Der Kunde nickt den Kopf und weiß: „Ja, ja,
          Class A, das Beste, nicht wahr?“ Nur wenige haben den Mut
          mal nachzufragen und eine echte Erklärung zu verlangen. Und
          die könnte Ihnen der Verkäufer wahrscheinlich gar nicht geben,
          denn er weiß auch nicht mehr als Sie! Wenn Sie dies aber (viel-
          leicht einige Male) durchlesen, dann sind Sie der breiten Masse
          weit voraus.

         4   Class A - Entmystifiziert & Erklärt
CLASS A offengelegt & erklärt
ÜBERSICHT

D      as Wichtigste was der Musiker wissen sollte ist, dass die
       verschiedenen Klassen und Konfigurationen der Endstu-
fen verschiedenen klanglichen und stilistischen Zwecken dienen.
Keine ist geradeheraus besser. Ein Spieler, der maximalen cleanen
Headroom sucht, wird sich für einen Class AB push-pull Verstär-
ker entscheiden, denn hohe Leistung ist seine Stärke. Ein Spieler
der auf einem gewissen vintage Flair aus ist, wird wohl die Class A
Variante bevorzugen, und egal um welche Röhre es geht, es wird
definitiv leiser klingen.
    Beide können sowohl warm/satt als auch schnoddrig/scharf
klingend gemacht werden - meist unter Einfluss von anderen
wichtigen Aspekten der Klangformung, wie Preamp und Treiber-
stufe, Transformator- und Komponentenauswahl, sowie natürlich
verschiedene       Lautsprecheroptionen.
(Es ist von keiner nachweislichen Be-
deutung, ob der Amp „Point to Point“
verdrahtet oder ein gut gemachtes
Printboard verwendet wird.) Die Röh-
renauswahl ist entscheidend: EL34-er,
6L6-er oder 6550-er klingen unter-
schiedlich, speziell im Clipbereich.
                                             Figur 1 zeigt die Wellenform eines Gitarrentons. Die
Sogar verschiedene Marken des selben vertikale Achse steht für Amplitude, oder Lautstärke,
Typus Röhre können dramatisch unter- gemessen          in Volt. Die horizontale Achse steht für Zeit.
                                             Wie Sie sehen, bleibt die Frequenz konstant (A-440Hz)
schiedlich klingen. Wenn Sie also mehr auch wenn die Amplitude nach dem Anschlag schnell
                                             geringer wird, genau wie eine Saite vibriert. Diese Wel-
über die schalttechnischen Klassen wis- lenform der elektrischen Spannung (wie es auf einem
                                             Oszilloskop sichtbar wäre) sieht eigentlich dem Bild
sen möchten, dann lesen Sie bitte wei- einer vibrierenden Saite sehr ähnlich.
ter. Bedenken Sie aber: der wichtigste
Aspekt eines Verstärkers ist, was er für Sie tun kann!

              OK, ZURÜCK AUF DIE SCHULBANK!

F   angen wir an mit der wesentlichen Unterscheidung zwischen
    „Wirkungsklasse“ (class of operation) und „Leistungskonfi-
guration“ (power configuration). Dies sind zwei getrennte Dinge,
die unterschiedlichen Aspekte der Verstärkerfunktion beschrei-

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ben. Viele Menschen (auch die, die angeblich Ahnung haben)
                   vermischen diese Begriffe, was nur zur Verwirrung beiträgt. Fan-
                   gen wir also an aufzuräumen, indem wir sie getrennt behandeln.
                   Diese Begriffe werden meist bei der Betrachtung der Endstufe
                   eines Verstärkers verwendet, aber sie sind auch relevant in der
                   Vorstufe, nur das hier meistens alles „single-ended“ und „Class
                   A“ ist.

                                              KONFIGURATION (AUFBAU)

                   M                  it Konfiguration meinen wir, wie und mit welchen und
                                      mit wie vielen Röhren die Endstufe aufgebaut ist. Die
                         meistgebrauchten Begriffe aus diesem Gebiet sind: „Single En-
                         ded“ (linear), „Push-Pull“ (Gegentakt) und „parallel“. In single-
                         ended Systeme durchläuft das ganze Signal einen einzigen Pfad
                         und wird von einer Röhre zur Anderen verstärkt. Stellen Sie sich
                         Ihr Gitarrenkabel vor: Das ist single-ended. Es gibt (abgesehen
                         von der Erdleitung) nur einen Leiter für das Signal, welches zwi-
                         schen Plus- und Minus-Spannung hin und her schwingt, genau
                         wie die Saiten sich über den Tonabnehmer bewegen. Und wenn
                         dieses Signal die Vorverstärker-Abteilung erreicht, bleibt es single-
                         ended. In ganz wenigen Verstärkern ist sogar die Endstufe single-
                         ended mit nur einer Röhre - wie ein alter Fender Champ mit sei-
                         ner 6V6 Endröhre. Meistens wird single-ended Endstufentechnik
                         eingesetzt weil es billiger ist, aber es gibt einige interessante und
                                                                       einzigartige klangliche Aspekte,
                                                                       über die wir noch sprechen werden.
                                                                       Wesentlich mehr verbreitet ist aber
                                                                       die “push-pull“ Endstufenkonfigu-
                                                                       ration. Hier wird das Signal zuerst
                                                                       in zwei Hälften verteilt, die zuei-
                                                                       nander um 180° Phasenverdreht
Abbildung 2 zeigt eine Gitarrensaite, die mit einer Frequenz von 440
mal in der Sekunde direkt über einem Tonabnehmer schwingt. Der         sind. Die „Plus-Signale“ werden
Tonabnehmer ist eine Spule mit Hunderten von Umwicklungen feinsten
Drahtes um einen Permanentmagnetkern. Die Bewegung der Saite stört     von einer Röhre verstärkt, die „Mi-
das Magnetfeld des Permanentmagneten und bewirkt eine Wechselspan-
nung in der Spule. Das ist ein Beispiel für ein „single-ended“ Signal. nus-Signale“ von einer anderen.
In der Zeichnung verzichten wir aus Gründen der Deutlichkeit auf das
Ausklingen des Signals.                                                Ganz zum Schluss werden die bei-
                                                                       den Hälften im Ausgangsübertra-

               6    Class A - Entmystifiziert & Erklärt
ger wieder zu einem „single-ended“ Signal zusammengefügt, das
den Lautsprecher antreibt. (Denken Sie dabei an einem Dusch-
Wasserhahn mit separatem Heiß- und Kaltwasserhahn, wo das
Wasser zu einem warmen Strahl zusammengemischt wird.)
    Die meisten Endstufen verwenden diese push-pull Konfigura-
tion, weil die Endstufenröhren damit viel effizienter arbeiten. Sie
produzieren mehr Power und weniger überflüssige Hitze, aber das
werden wir später noch genauer erklären. Nehmen Sie inzwischen
zur Kenntnis, dass für push-pull im-
mer mindestens ein Paar Röhren
gebraucht wird, und mehrere Paare
(parallel) dazugeschaltet werden
können, um die Leistung zu erhö-
hen. Darum sieht man immer zwei,
vier, sechs und manchmal sogar Abbildung 3 zeigt ein symmetrisches Mikrofonsignal. Das „Erden“ in
noch mehr Endröhren, aber immer der       Mitte der Spule (Center Tap Ground) bewirkt zwei „single-ended“
                                      Signale in Gegenphase. Die obere Welle ist wie die Welle von Abb. 2.
eine gerade Anzahl.                   Die Untere ist ähnlich, aber sie steht auf dem Kopf, denn die Erde ist
                                      oben bei diesem Teil der Spule, und die generierte Spannung ist auch
                                                     umgekehrt und deshalb in Gegenphase zu der oberen Welle. Wenn die
                                                     Spannung in der obere Welle nach Positiv schwingt, schwingt sie im
                                                     gleichen Moment in der unteren Welle nach Negativ. Das Erden der
                                                     Spulenmitte bewirkt also dieses symmetrische push-pull Signal.
    EINE SACHDIENLICHE AB-
              SCHWEIFUNG

P    ush-pull ist also dem symmetrischen Ausgangssignal von Mi-
     krofonen sehr ähnlich. Deren Signal wird auch in zwei ge-
gensätzliche Phasen aufgeteilt und in zwei separate Leiter (plus
eine geerdete Abschirmung) geführt. Der Grund dafür ist das
Ausschalten von Nebengeräuschen. Mikrofone haben ein sehr
schwaches Ausgangssignal, das erheblich verstärkt werden muss
bis es brauchbar wird. Der hohe Verstärkungsfaktor bedeutet,
dass Nebengeräusche, die irgendwie im Kabel geraten, auch ver-
stärkt werden und zum Problem werden können. Diese Neben-
geräusche entstehen durch elektro-magnetische Wechselfelder die
sich heutzutage fast überall in der Äther (Luft) befinden, und von
den Leitern des Mikrofonkabels induziert werden, meist als 50-
oder 100-Herz Brummen.
„Induziert“ bedeutet in diesem Falle, dass das Kabel quasi als
„sekundäre Wicklung“ eines Transformators funktioniert, und
die streunende magnetische Energie in elektrische Spannung
                                                      Class A - Entmystifiziert & Erklärt        7
umsetzt, die sich als Brummen äußert. Sogar ein sehr gut abge-
    schirmtes Kabel nimmt unakzeptable Mengen Brumm auf. Die
    Lösung ist, diese Tatsache einfach zu akzeptieren und am Misch-
    pult zu bekämpfen. Und hier kommt push-pull oder „symme-
    trische Betriebsart“ gerade richtig. Das Aufteilen des Signals in
    zwei symmetrische Hälften beinhaltet, dass von einer Hälfte die
    Phase herumgedreht wird, während die Phase der andere Hälfte
    gleich bleibt. Wenn beispielsweise das Originalsignal von + auf
    - auf + geht, würde sie in einem Leiter gleich bleiben, während
    sie in dem anderen Leiter gleichzeitig herumgedreht wird und
    von - auf + auf - geht. Beim Zusammenfügen der zwei Signal-
    hälften zu einem „single-ended“ Signal wird die phasengedrehte
    Signalhälfte wieder zurückgedreht und zu der nicht-gedrehten
    Signalhälfte addiert. Ohne diese „Zurückdrehung“ würden die
    Signalhälften einander auslöschen (+ zu - = 0; - zu + = 0). Das Zu-
    rückdrehen wird einfach so vom Transformator gemacht, indem
    der „Ground“ (Erde-) Referenzpunkt in der Mitte der Wicklung,
    oder an einem Ende liegt.
    Das Ergebnis dieser Phasendreherei ist, dass jene Störsignale, die
    bei einer symmetrischen Leitung von Außen in das Kabel ein-
    dringen, in beiden Leitern gleich, bzw. „in Phase“ sind. Beim Zu-

                     Abbildung 4 zeigt einen Transformator zum Umwandeln eines single-
                     ended Signals in ein symmetrisches Signal, bzw. in zwei gegenphasige
                     „push-pull“ Signalhälften. Das funktioniert in beide Richtungen. Ein
                     Mikrofonsystem hat z.B. je einen Transformator am Ende des Kabels,
                     um das Signal für die Kabelstrecke symmetrisch, und dann für das
                     Mischpult wieder single-ended zu machen. In einer push-pull Endstufe
                     sitzen die Endröhren an der symmetrischen Seite des Trafos, und der
                     Lautsprecher an der single-ended Seite.

8    Class A - Entmystifiziert & Erklärt
rückwandeln in ein single-ended Signal werden diese Signalhälf-
ten sich gegenseitig völlig auslöschen. Dieser Prozess nennt sich
„Gemeinsame Modus Unterdrückung“ und der einzige Zweck
für ein symmetrisches Kabel ist die Unterdrückung dieser Störsi-
gnale. Humbucker Tonabnehmer verwenden den gleichen Trick
um Störgeräusche zu unterdrücken.
Weil die Wirkungsweise symmetrischer Mikrofonkabeln und
Humbuckern bei den meisten Musikern einigermaßen bekannt
ist, haben wir diese kurze Abschweifung zum besseren Verständ-
nis eingebaut. Es ist gleichzeitig eine gute Einführung in das
push-pull Prinzip, denn speziell das Auslöschen von gleichpha-
sigen Signalen wird bei der Diskussion über unterschiedliche
Klang-Charakteristiken bei den verschiedenen Konfigurationen
der Endstufen enorm wichtig, wie wir etwas später noch erfahren
werden.

              MEHR ÜBER KONFIGURATIONEN

P    arallel bedeutet nichts anderes, als dass identisch verdrahtete
     Röhren nebeneinander eingesetzt werden, um die Leistung
zu erhöhen - egal ob bei push-pull oder single-ended Konfigura-
tionen. Aber in der Praxis wird es bei single-ended Schaltungen
selten eingesetzt, und zwar deswegen: Auch wenn eine zusätzlich
parallele Röhre die Leistung verdoppelt, würden die gleichen zwei
Röhren in push-pull Konfiguration die Leistung verdreifachen,
oder sogar noch mehr. Der Grund dafür liegt bei einem anderen
Begriff, den wir als nächstes behandeln werden:

                   DIE BETRIEBSKLASSEN

D     ie Betriebsklassen (Classes of Operation) beschreiben die
      Betriebs-Arbeitspunkte der Röhren, unabhängig von derer
Konfiguration. Sind sie in „Class A“, „Class B“ oder „Class AB“?
(Es gibt sogar eine „Class C“ obwohl die nur für Radiosender
genutzt wird.) „Bias“ bezieht sich auf die verschiedenen Span-
nungen an den Röhrenkomponenten und ihren Zusammenhang,

                                         Class A - Entmystifiziert & Erklärt   9
speziell aber auf die negative Vorspannung des Steuergitters.
                 Diese Spannungen bestimmen, wieviel Strom durch eine Röhre
                 fließt, sowohl „bei der Arbeit“ (wenn sie verstärken) als auch im
                 „Leerlauf“ (wenn sie auf den nächsten Ton warten). Deshalb ist
                                            die „Class Of Operation“ völlig sepa-
                                            rat von der Konfiguration der Röhren
   Die „Class Of Operation“ wird
                                            zu verstehen. Jeder Verstärker hat eine
   bestimmt von den vorhandenen
                                            „Class“ und eine Konfiguration.
Spannungspotentialen an den Röhren
                                            Weil die Vorstufe eines Verstärkers
 und ist völlig separat von deren An-
                                            immer single-ended und in Class A
ordnung zu betrachten. Jede Endstufe
                                            betrieben wird, reden wir eigentlich
hat sowohl eine „Class“ als auch eine
                                            nur bei Endstufen von anderen Klas-
      bestimmte Konfiguration.
                                            sen und Konfigurationen. Es ist dort,
                                            wo die harte Arbeit geleistet wird und
                 die Leistung (die Ausgangs-Watt-Zahl) generiert wird. Vorstu-
                 fen verstärken zwar die Signalspannung (Volt) ebenfalls, aber die
                 Schaltungen sind „hochohmig“ (high impedance) und es fließt
                 nur sehr wenig Strom (Ampere).

                                    EINE ZWEITE KLEINE ABSCHWEIFUNG

                   L    assen Sie mich schnell den Unterschied zwischen Spannung
                        (Volt) und Strom (Ampere) erklären. Spannung ist ein Maß
                   des Energiepegels und Strom ist das Maß des Energieflusses. Es
                   muss zumindest ein wenig von beiden geben, um überhaupt
                   „Strom“ zu erzeugen, sie können aber in sehr breit gefächerten
                   Verhältnissen auftreten. Hier zwei Beispiele: Sie kennen den un-
                   angenehmen elektrostatischen Schock, den Sie bekommen wenn
                   Sie über einen Teppich gelaufen sind und ein Metallteil berühren.
                   Die Ladung die Sie dabei aufgenommen haben, kann leicht über
                   100.000 Volt liegen und das ist kein Tippfehler! 100.000 Volt ist
                   der Bereich einer Überlandleitung Ihres Energiebetriebes. Glück-
                   licherweise gibt es aber so gut wie keinen Amperefluss (Leistung -
                   die Menge der Elektronen), sonst würden Sie kurzerhand geröstet
                   werden und sterben. Diese sehr hohe Spannung kann sich nur
                   aufbauen durch den extrem hohen Widerstand trockener Luft:
                   Die statische Ladung auf Ihren Körper kann sich deshalb aufbau-

              10    Class A - Entmystifiziert & Erklärt
en, weil sie von der Luft nicht konstant abgeleitet wird.
Als Kontrastbeispiel dient Ihre Autobatterie. Sie hat nur 12 Volt
und Sie können, ohne überhaupt etwas zu spüren, beide Pole mit
den Händen berühren. Trotzdem kann diese Batterie eine enorme
Stromstärke entwickeln - 1000 Ampere oder mehr - um Ihren
Motor zu starten oder um ein versehentlich zwischen den Polen
geratenen Schraubenschlüssel zu schmelzen! Die Elektronen ha-
ben zwar ein relativ geringes Potential, aber es gibt so viele von
ihnen, dass das Kabel richtig dick sein muss, um deren Hoch-
Ampere-Fluss zu bewältigen.
„Power“ oder Leistung wird in Watt gemessen, und es ist das Pro-
dukt aus Spannung und Strom (Volt x Ampere = Watt). Die Si-
gnale in der Vorstufe Ihres Verstärkers sind im Bereich von etwa
1 Volt (den Ausgang Ihrer Gitarre), hinauf bis gute 100 Volt mas-
sivem Overdrive Signals kurz vor der Endstufe. Die Stromstärke
bleibt aber ziemlich niedrig, im Bereich von 1 Milliampere (ein
Tausendstel Ampere). Wie bei der statischen Aufladung gibt es
also kaum Leistung. Dagegen ist die 100 Watt Leistung die zur
Antreibung Ihres Lautsprechers benötigt wird (20 Volt mal 5 Am-
pere) eher im Bereich der Autobatterie. Sie sehen also, dass das
Produzieren von Ausgangsleistung ein ganz anderer Job ist, als das
bloße Verstärken eines Preamp-Signals. Deshalb wurden für die-
sen Job verschiedene „Classes“ und Konfigurationen der Endstu-
fen entwickelt. Und deshalb braucht man auch einen Ausgangs-
Übertrager (-Transformator).

        CLASS A POWER UND CATHODE BIASING

D      er Term „Class A“ wird öfter gebraucht, alsob es etwas
       mystisches und ganz spezielles wäre, musikalische Magie.
Und vielleich stimmt es sogar, wenigstens für manche Stilrich-
tungen. Class A hat eine natürliche Wärme und Sanftheit, so-
gar noch wenn sie in Verzerrung getrieben wird und wild und
aufsässig klingt. Mancher Gitarrist beschreibt es auch als „saftig“
und gleichzeitig dynamisch. Class A ist die älteste, einfachste und
billigste Art die Endstufe-Röhren zu betreiben. Class A ist auch
die wenigst effizienteste Art und die (Hitze-) verlustreichste dazu.

                                         Class A - Entmystifiziert & Erklärt   11
Deshalb wurde viel Entwicklungsarbeit in das Ziel gesteckt, die
               Ineffizienz von Class A zu unterlaufen. (Vielleicht ist es sogar ge-
               rade diese überschüssige Hitze, die den warmen Ton produziert!)
               Grund für die Tatsache, dass Class A so kostengünstig hergestellt
                                           werden kann ist, dass bei Class A kei-
                                           ne „Bias Supply“ benötigt wird. Das
Class A hat eine natürliche Wärme
                                           ist eine extra Spannungsversorgung
 und Sanftheit, sogar noch wenn
                                           für die Vorspannung der Steuergatter
 sie in Verzerrung getrieben wird
                                           der Endröhren. Sie produziert eine
  und wild und aufsässig klingt.
                                           negative Spannung (ca. -50 Volt für
                                           6L6 Röhren) die dafür sorgt, dass der
               Arbeitspunkt der Röhren sich zu Class AB verschiebt, wodurch
               ohne die große Wärmeverluste von Class A viel mehr Leistung
               produziert wird. Nahezu alle Gitarrenverstärker arbeiten entwe-
               der in Class A oder Class AB. Zu den Unterschieden kommen
               wir später.
                   Zurück zu unseren historischen Wurzeln. Jede Spannungs-
               versorgung, auch die „Bias Supply“, benötigt einen Gleichrichter,
               um die 230 V Wechselspannung des Netzes in Gleichspannung
               zu wandeln, ein paar Widerstände, um die richtige Spannung
               einzustellen, sowie einige Filter-Kondensatoren um diese Gleich-
               spannung zu glätten. AC (Wechselspannung/-strom) ist eine
               Spannung die fluktuiert, wo das Potential, wie unsere Netzspan-
               nung, ständig zwischen plus und minus pendelt.
                   DC (Gleichspannung/-strom) hat ein konstantes Potential,
               wie bei einer Batterie. Weil AC fluktuiert, kann man sie „transfor-
               mieren“ um das Verhältnis Spannung/Strom (und die Phasenlage,
               wie wir schon sahen) zu ändern. Obwohl Thomas A. Edison An-
               erkennung dafür bekommen hat, dass er Elektrizität in die Städte
               brachte, hat er damals starrsinnig (und fälschlicherweise) Gleich-
               strom befürwortet. Nikolai Tesla sah die Vorteile von Wechsel-
               strom: Damit kann man verlustarm und über lange Distanzen
               hohe Spannungen übertragen, die man unterwegs auf einen für
               den Hausgebrauch ungefährlichen Wert heruntertransformieren
               kann. Die Rivalität zwischen den beiden Männern war erbittert
               und ging so weit, dass Edison den elektrischen Stuhl „erfand“, den
               er nur mit Wechselspannung betrieb, um zu zeigen, wie tödlich

             12   Class A - Entmystifiziert & Erklärt
diese Spannung ist. Leider (für ihn und das arme Opfer) schlug es
zunächst fehl und brauchte drei Anläufe bis es klappte! (Hör mal,
ich habe Stromschläge von AC und DC erlitten und kann ehrlich
sagen, das es sich nicht wesentlich unterschiedlich anfühlt!)
    Früher war die Technik zum Gleichrichten von Wechselstrom
noch sehr primitiv - es wurde dazu für gewöhnlich eine Röhre be-
nötigt, obwohl auch schon Selen-Gleichrichter benutzt wurden;
die aber genau so unhandlich, unzuverlässig und teuer waren.
Heute haben wir Silizium Dioden, die den Job zuverlässig ma-
chen, und nur ein paar Cent kosten. (Ich betone dies, weil wir ein
Patent auf Verstärker besitzen, die sowohl mit Silizium Dioden
als auch mit Röhren zur Gleichrichtung arbeiten, um die feinen
musikalischen Unterschiede herauszustellen. Dieses Feature fin-
den Sie z.B. in beiden Lonestars sowie in unserem Dual Rectifiers.
Aber das Thema Gleichrichtung möchte ich ein anderes Mal tief-
er behandeln.)
    Für „Class A“-Betrieb kann man sich die komplette Bias Sup-
ply sparen (und damit einiges an Kosten). Ein einfacher Wider-
stand zwischen der Erde und den Endstufenröhren tut‘s auch. Es
ist genaugenommen korrekter diese Schaltung „Kathode Bias“
zu nennen, denn nicht immer gehen die Röhren tatsächlich in
den „Class A“ Betrieb, auch wenn es so genannt wird. Das ist
aber ein technischer Unterschied und für viele anscheinend nicht
so wichtig, denn der Begriff „Class A“ hat viel mehr Sex-appeal
und verspricht eine ungeheure Magie. Damit kann der Ausdruck
„Kathode Bias“ nicht mithalten, auch wenn beide Worte in den
meisten Fällen das Gleiche beschreiben. Bleibt noch zu erwähnen,
dass Class A auch mit einer separaten festen Bias Spannung er-
reicht werden kann, aber diese Variante wird in Gitarrenverstärker
praktisch nie verwendet.

             WAS GENAU IST DANN CLASS A?

W       as Class A wirklich bedeutet wird im RCA Tube Manu-
        al (die ultimative Röhren-Bibel) wie folgt definiert: „Die
Gitter-Vorspannung und die Gitter-Signalspannung sind so be-
schaffen, dass in der Röhre zu jeder Zeit ein Anodenstrom fließt“.

                                       Class A - Entmystifiziert & Erklärt   13
Ist das klar? Ich selbst habe über diese Definition jahrelang nach-
     gegrübelt und bin zu dem Schluss gekommen, dass sie sowohl
     einfacher als auch komplexer ist wie sie erscheint.
         Um es zu vereinfachen, denken Sie an das britische Wort für
     Röhre: Valve (Ventil, Wasserhahn), mate. Class A bedeutet ein-
     fach, dass der Hahn nie ganz schließt und immer etwas durch-
     lässt, auch wenn es nur noch tröpfelt. (Wie sexy ist das?)
         In einer Röhre fließt elektrischer Strom (wie einen Nebel aus
     Wassertröpfchen) von der heißen Kathode (das ist das Kernstück
     in der Mitte mit dem glühenden Heizfaden drin) zur Anode
     (das größere Gebilde direkt unterm Glas). Dazwischen befindet
     sich das Gitter, eine spiralförmige Wendel aus feinem Draht mit
     viel Platz zwischen den Windungen. Das Gitter funktioniert als
     Steuerelement, wie der Griff eines Wasserhahns, zum Regulieren
     des Elektronenstroms zwischen Kathode und Anode: Die Anode
     ist stark positiv geladen und zieht die Elektronen an, die buch-
     stäblich aus der Kathode hervorkochen. Die Elektronen, die es
     bis zur Anode schaffen, bilden den sogenannten Anodenstrom.
     Zwischen Kathode und Anode befindet sich aber das Steuergitter,

                     Abbildung 5 zeigt eine Triode-Röhre, wie zum Beispiel eine Hälfte einer
                     ECC83 (12AX7). Die Kathode hat eine elektronenfreundliche Oberflä-
                     che und wird von der Heizung in seinem Inneren erhitzt. Dadurch hängt
                     um die Kathode eine Wolke von Elektronen, wie Wasserdampf über fast
                     kochendem Wasser. Diese Elektronen werden von der positiv geladenen
                     Anode stark angezogen. Dazwischen liegt aber das Gitter, das so „gebiast“
                     (geladen) ist, dass es noch etwas negativer als die Kathode ist. Dadurch
                     wird der Elektronenfluss weitgehend abgehalten. In Class A wird das Vor-
                     Potential dieses Steuergitter so eingestellt, dass bei Leerlauf (kein Signal)
                     etwa die Hälfte der Elektronen durchdas Gitter durchfließen können.
                     Eine kleine Änderung des Gitter-Potentials (der Signalspannung) bewirkt
                     dann sehr große Änderungen im Elektronenfluss - so funktioniert eine
                     Verstärkerröhre!

14    Class A - Entmystifiziert & Erklärt
welches noch etwas negativer geladen ist als die Kathode, und da-
mit die Elektronen abhält, weil die ja auch negativ geladen sind.
Je negativer das Potential des Gitters ist, desso weniger Elektronen
können zur Anode hindurchschlüpfen. Wenn es weniger negativ
wird, können mehr Elektronen durch das Gitter hindurchströ-
men. Um den Anodenstrom zu regulieren brauchen Sie also das
Gitterpotential nur geringfügig zu variieren - ein bisschen herauf
oder hinunter - und schon strömen die Elektronen, oder werden
abgehalten. Genau wie der Griff am Wasserhahn. Weil das Gitter
nicht direkt im Kathode-Anode-Weg eingebunden ist (es „hängt“
quasi nur im Vakuum zwischen Kathode und Anode) und keine
Leistung verbraucht, kann es den Anodenstromsehr leicht steu-
ern. Ein kleine Änderung der Gitterspannung bewirkt eine große
Änderung des Anodenstroms.
    Der Grid-Bias (Gitter-Vorspan-
nung) aus der RCA Definition ist das
feste Potential des Gitters, welches
für die Balance zwischen der Anzie-
hungskraft der Anode und der Ab-
stoßungskraft des Gitters sorgt, um
zu bestimmen wieviel Strom fließt,
wenn kein Signal anliegt. Per Defi-
nition bedeutet „Class B“ der Punkt
wo im Leerlauf gar kein Strom mehr
fließt und die Röhre „dicht macht“.
Das Gitter ist so negativ und seine Abbildung 6 zeigt das Schaltbild einer ECC83 (12AX7) Triode
Abstoßungskraft so hoch, dass kein in einer typischen Verstärkerschaltung. Der Widerstand von
                                            1500 Ω bewirkt eine „Kathoden-Bias“ (Vorspannung der
Strom fließt solange kein Ton gespie- Kathode) von etwa 1,5 Volt über dem „0“-Potential der Erde.
                                            Der Widerstand von 1 M (Million) Ω am Gitter ist groß genug
lt wird. In Class A fließt im Leerlauf um Gitter oder Signal nicht zu belasten, hält aber das statische
                                            Potential des Gitters auf „0“ Volt, und das ist „negativ“ im Be-
aber ständig Strom, im besten Fall zug zur leicht positiven Kathode. Die Anode („plate“) ist stark
50% des maximal möglichen An- positiv                geladen und wird bei Leerlauf von seinem „Plate Load
                                            Resistor“ (Anoden Lade-Widerstand) ungefähr auf die halbe
odenstroms (auch das werden Sie Versorgungsspannung                von 200 Volt gehalten. Dadurch ist die
                                            Röhre (bei keinem Signal) in der Mitte vom geraden Teil der
bald verstehen).                            Kennlinie „gebiast“. Das Gleiche wie bei dieser Verstärkerröhre
                                            gilt für Endstufenröhren die in Class A arbeiten.
    Die „alternating grid voltage“
(Gitter-Signalspannung) ist nichts anderes als das Signal Ihrer
Gitarre, das die Röhre verstärken wird. SIE sind es, der spielt.
IHRE Art, die Saiten zu berühren ist das, was die Signalspannung

                                                      Class A - Entmystifiziert & Erklärt   15
produziert, die vom Verstärker aufbereitet wird um im Endeffekt
     den Speaker anzutreiben.
         Diese Signalspannung besteht aus „Frequenzen“ (zum Beispiel
     einen 440 Hz Ton) und Amplitude (Lautstärke). Wenn Sie den
     Ton hart anschlagen, kommt etwa 1 Volt aus Ihrer Gitarre. Wäh-
     rend die Saite ausklingt wird das Signal schwächer, bleibt aber bei
     440 Hz Wechselspannung. Die 1 Volt Signalspannung alteriert
     genaugenommen zwischen Plus ½ V und Minus ½ V, denn das
     ist was der Tonabnehmer von sich gibt wenn die Saite schwingt.
     Wenn die positive Halbwelle dieser Signalspannung das Gitter
     der ersten Vorverstärker Triode erreicht, macht es die negative
     Bias-Spannung ein bisschen weniger negativ, wodurch mehr An-
     odenstrom fließen kann. Umgekehrt bremst die negative Halb-
     welle den Anodenstrom stärker aus, weil dabei das Gitter nega-
                                       tiver wird. Und das, meine sehr
                                       verehrten Damen und Herren,
                                       ist die Arbeitsweise einer Röhre,
                                       oder Valve oder Tube. Vorstu-
                                       fenröhre oder Endröhre - es ist
                                       im Prinzip das Gleiche, nur die
                                       Größe ist verschieden.
                                           Bei Class A werden die Be-
                                       triebsparameter so gewählt, dass
                                       die Röhre nie komplett dicht
     machen kann und immer, wenn auch nur wenig, Strom durch-
     lässt. Und das ist das Beste an Class A, denn bei einer Röhre,
     die ständig stoppen und starten muss, sind die „nicht-lineare“
     (die unangenehm klingenden-) Verzerrungen wesentlich größer.
     Verzerrung, entschieden die Ingenieure von RCA, ist schlecht. In
     ihrer Welt sollten Verstärker niemals in Verzerrung getrieben wer-
     den. Aber auch ein Class A Verstärker kann verzerren, wenn das
     Eingangssignal nur groß genug wird, so dass sie zeitweise kom-
     plett dicht macht und damit Class A verlässt. Im Hi-Fi-Bereich
     kann man davon ausgehen, dass dies nie der Fall sein wird. Die
     Signale bleiben dezent klein weil Verzerrung schlecht klingt, und
     so bleibt der Amp immer in Class A. Aber es gibt ja auch noch
     Gitarrenverstärker. Da ist das eine ganz andere Geschichte: Mas-

16    Class A - Entmystifiziert & Erklärt
sive Signale werden mit der
Absicht generiert Verzer-          ANODE
                                   GITTER
rungen und Overdrive zu
züchten. Die armen alten
Ingenieure würden scho-
ckiert und erstaunt sein,
wenn sie wüssten, was wir
mit ihren Röhren machen!
Und das ausgerechnet für
mehr Musikalität! Ich habe
mich mit einigen dieser Abbildung 7 zeigt dieselbe 12AX7 Röhre unter Arbeitsbedingungen. Bei der
Herren öfters getroffen und positiven Halbwelle des Eingangssignals wird die zurückhaltende Kraft des Git-
                                ters vermindert, und es können mehr Elektronen zur Anode fließen. Die Anode
unterhalten. Ja, sie waren wird dadurch im Potential „heruntergezogen“ von +100 Volt (im Leerlauf )
                                bis auf +50 Volt (beim positiven Teil des Eingangssignals). Bei der negativen
entsetzt wenn sie es über- Halbwelle am Gitter ist es umgekehrt: Das Gitter wird negativer und hält mehr
                                Elektronen zurück, wodurch die Anodenspannung auf +150 Volt steigen kann.
haupt erst mal glauben Auf diese Art bewirkt eine Eingangsspannung von 1 Volt eine Potential-Ände-
konnten. Versuchen Sie rung           von 100 Volt an der Anode. Durch die Entkopplung dieser „wechselnden
                                Gleichspannung“ mit einem Kondensator oder Transformator, wird die Gleich-
jemanden, der Gitarre nur spannungskomponente           abgeblockt und ein reines Wechselspannungssignal von
                                100 (oder +50 und -50) Volt steht zur weiteren Verarbeitung bereit.
vom Lagerfeuer kennt, mal
zu beschreiben, wie ein Verstärker ein Trommelfeuer aus übelsten
Verzerrungen ausspuckt…

                  WIE EIN VERSTÄRKER ARBEITET

J  etzt werden wir etwas Grundsätzliches behandeln, das viele
   Musiker verwirrt. In jedem Verstärker wird das schwache Signal
Ihrer Gitarre nicht langsam „aufgebaut“ bis es einen Lautspre-
cher antreiben kann, es gibt vielmehr ein riesengroßen Reservoir
an sehr hoher Spannung, welche zu jeder Zeit bereit steht und
die Leistung liefert, die Ihre Lautsprecher bewegt. Wie ein gro-
ßer Stausee. Und wie beim Stausee ist es Gleichstrom, der ohne
Schwankungen oder Wellen stetig durch die Turbinenröhre fließt.
Was der Verstärker jetzt macht ist, dass er diesen Gleichstrom mit
dem Gitarrensignal moduliert. Gewissermaßen ist der Verstärker
ein Wandler von Gleichstrom in Wechselstrom (das Gegenteil
von Gleichrichter). Spielen Sie einen leisen 440 Hz Ton, dann re-
agiert der Anodenstrom mit geringen Schwankungen, spielen Sie

                                                     Class A - Entmystifiziert & Erklärt   17
laut, dann sind auch die Stromschwankungen größer, aber immer
                         noch 440 Hz. Das Gitter der Endröhre ist wie ein Wasserhahn in
                         der Turbinenleitung (Röhre) des Kraftwerkes. Der Hahn ist nie
                         ganz zu, aber durch periodisches Öffnen und Schließen entstehen
                         Wellen - ein Duplikat Ihres Gitarrensignals, nur viel leistungsfä-
                         higer. Bei der Kette aus Vorstufenröhren denken Sie bitte an einen
                         Flaschenzug. Das Signal wird nach und nach so aufbereitet, bis es
                                                                                         kräftig genug ist, die
                                                                                         großen Endstufenröh-
                                                                                         ren anzusteuern.
                                                                                         „Aber was ist jetzt mit
                                                                                         dem Class A“, wer-
                                                                                         den Sie sich fragen,
                                                                                         „wenn bei Class A
                                                                                         immer Strom fließt,
                                                                                         warum hör ich dann
                                                                                         nichts wenn ich nicht
                                                                                         spiele?“
                                                                                         Gute Frage. Und hier
Abbildung 8 zeigt einen kompletten, aber sehr vereinfachten Verstärker in linearer (sin-
gle-ended) Konfiguration. Die Power Supply (Spannungsversorgung) besteht aus einem
                                                                                         die Antwort: Im Leer-
Transformator, der die Netzspannung von 230 Volt auf etwa 450 Volt hochtransformiert,    lauf, wenn Sie also
einem Gleichrichter, der aus der Wechselspannung Gleichspannung macht und einem
Kondensator, der diese Gleichspannung glättet und als Reservoir (wie einen Stausee)      nichts spielen, fließt
dient. Strom fließt aus dieser Power Supply durch die Endröhre, den Ausgangsüberträger
(Output Transformer) und den Kathodenwiderstand. Die Schwankungen dieses Stroms          reiner    Gleichstrom
(nämlich das Signal) werden vom Ausgangsübertrager, in für Lautsprechern verwertbare
Leistung transformiert. Der Vorverstärker sorgt dafür, dass das schwache Gitarrensignal  durch die primäre
genügend verstärkt wird, um als Steuersignal für die Endröhre zu dienen.
                                                                                         Wicklung des Aus-
                                                                                         gangsübertragers. Ein
                         Transformator kann aber nur Wechselstrom umsetzen. Anders
                         ausgedrückt: Nur die Wechselstromkomponente in der primären
                         Wicklung kann im Eisenkern des Transformators ein magne-
                         tisches Feld erzeugen, welches die sekundäre Wicklung wieder
                         in Strom umsetzen kann. Ein konstanter (Gleich-) Strom durch
                         die primäre Wicklung erzeugt bei der sekundären (Lautsprecher-)
                         Wicklung rein gar nichts.
                         Schauen Sie sich das Bild noch mal an: Sie haben dieses riesige
                         Gleichstrom-Reservoir, an welches die Endröhre und der Über-
                         trager angeschlossen sind. Es fließt ein konstanter Strom, aber die
                         Endröhre funktioniert wie ein Hahn, der 440 mal in der Sekunde

                 18   Class A - Entmystifiziert & Erklärt
periodisch ein „bisschen mehr auf“ und dann ein „bisschen mehr
zu“ macht. Oder „viel mehr auf“ und dann „viel mehr zu“ für
laute Töne, immer noch 440 mal pro Sekunde. Der Strom der
durch die primäre Wicklung des Ausgangsübertragers fließt, un-
terliegt also einer Schwankung von 440 Hz. Diese Schwankung
überträgt er als Lautsprecher-Signal in die sekundäre Wicklung,
und zwar nur die Schwankung, ohne
die      Hochspannungskomponente.
                                              Der Ausgangsübertrager zwi-
Auch das ist Verstärkung. Diesmal
                                              schen Ihren Endstufenröhren
ist es Strom-Verstärkung (viel Am-
                                            und Lautsprechern transformiert
pere, relativ wenig Volt) und dies-
                                            nicht nur die verschiedenen Im-
mal ist es Transformator-entkoppelt,
                                            pedanzen von Röhren und Spea-
im Gegensatz zu der Entkopplung
                                           ker, er hält auch den Gleichstrom
in der Vorstufe, die für gewöhnlich
                                             von Ihren Lautsprechern fern.
von Kondensatoren gemacht wird.
Der Ausgangsübertrager hat also drei
wichtige Aufgaben: 1). Die Impedanz
Anpassung von hochohmig/hoch“voltig“/nieder“amperig“ an der
Anodewicklung zu niederohmig/nieder“voltig“/hoch“amperig“
an der Lautsprecherwicklung. 2). In Gegentakt-Endstufen sorgt
er für die Umwandlung des push-pull-Signals in ein single en-
ded Signal. 3). Er hält die (lebensgefährliche) Hochspannung
vom (von außen zugänglichen) Lautsprecheranschluss fern. Aber
wichtiger noch: Der Ausgangsübertrager ist ein entscheidender
Teil der klanglichen Identität eines Verstärkers. Einer der ersten
Transformatorpioniere, mit dem ich das Glück hatte zusammen-
zuarbeiten, war ein uralter Mann, der mir lehrte: „Sohn, Aus-
gangsübertrager sind nur zur Hälfte Wissenschaft und zur ande-
ren Hälfte schwarze Magie. Aber die schwarze Magie-Hälfte ist
was zählt.“ Wie wahr!

                      LEERLAUFSTROM

D     ie Operationsklassen wirken sich nicht nur auf die Verstär-
      kung aus, auch der Leerlauf ist davon betroffen. Sehen wir
uns Class B mal an, weil es so einfach und plakativ ist. In Class
B ist der Bias so eingestellt, dass kein Strom fließt wenn kein

                                       Class A - Entmystifiziert & Erklärt   19
Signal anliegt. Es wird keine Power verbraucht und keine Hit-
     ze generiert. (Denken Sie an „null Umdrehungen pro Minute“
     beim „Leerlauf“ Ihres Autos). Dann aber, wenn ein Signal auf das
     Gitter trifft, wird die Röhre von den positiven Halbwellen ange-
     schaltet, sie fängt an Strom zu leiten, direkt vom Netzteil in den
     „Last“ (load - für gewöhnlich eine Sende-Antenne) und es findet
     dabei eine sehr effektive Stromverstärkung statt. Ein bisschen wie
     ein elektrisches Golfmobil oder neuere Elektroautos. Der Motor
     hört auf zu drehen wenn der Wagen steht. Wenn Sie fahren wol-
     len, startet der Motor sofort wieder. Der Bereich ist von „Ausge-
     schaltet“ bis „volle Kraft“. Aber zum Fahren muss man zuerst Gas
     geben damit Strom fließen kann.
             Und dann gibt es Class AB. Dabei dreht der Motor auch
     in Leerlauf, wenn Sie anhalten, aber nur ganz langsam (ein wenig
     Strom fließt) und nur mit wenig Kraft. Sie könnten die Kupp-
     lung kommen lassen und ganz langsam herumfahren ohne Gas
     zu geben, aber zum richtigen Fahren (laute Töne) müssen Sie das
     Gaspedal durchtreten. Dabei geht der Motor dann automatisch
     in Class B. In vielerlei Hinsicht ist Class AB für Audio das Beste
     von beidem und es ist wie der 6L6 Lone Star, die Rectos, Stilet-
     tos und den meisten Fenders und Marshalls arbeiten. Sein hoher
     Wirkungsgrad macht es zum Inbegriff von Power für gute, cleane
     Audio.
             Und dann gibt es die gute alte Class A. In eine single-en-
     ded, reine Class A Schaltung fließt der Strom zu etwa 50%, auch
     wenn gar kein Signal anliegt. Wenn dann ein Signal am Gitter
     eintrifft, fluktuiert der Strom vielleicht zwischen 60% und 40%
     des Maximums. Ein lauteres Signal bewirkt eine Schwankung
     von - sagen wir - 80% bis 20%. Und volle Power bewirkt ein
     Stromfluss zwischen 100% und 0% beim A-440 Ton oder wel-
     cher Frequenz auch immer am Eingang anliegt...
             Beachten Sie, dass der Stromfluss bei einem echten Class A
     Amp immer um die Mittellinie 50% schwankt, die als Leerlauf-
     strom gilt. Das bedeutet auch, dass es keine „netto“-Zunahme im
     Stromfluss gibt, wie bei Class B oder AB, egal wie laut Sie spielen.
     Bei einer single-ended Konfiguration sind die Abnahmen und
     Zunahmen des Stromflusses gleich, gegengesetzt und momentan

20    Class A - Entmystifiziert & Erklärt
(im „Rhythmus“ der Ton-Frequenz) um diese 50% Mittenlinie.
Im einen Moment fließt mehr Strom, im Nächsten um genau so
viel weniger. Über eine bestimmte Zeitdauer genommen, bleibt
er konstant.
        In einem reinen Class A Push-Pull Amp fließt im Leer-
lauf 100% des maximal möglichen Stroms, 50% von jeder Sei-
te. Wenn ein Eingangssignal den Strom
in der „Push“ Röhre von 50% auf 70%
anhebt, fällt er in der „Pull“ Röhre von
50% auf 30% ab. Die zwei Signalhälften
ergänzen den Stromfluss abwechselnd
gegensätzlich, so dass als Gesamtstrom
immer 100% fließen. (Nicht alle Class
A Verstärker die sich so nennen, arbeiten
perfekt nach diesem Prinzip, auch wenn
sie in die Sättigung gehen, aber der Lonestar Special tut es. Man
kann den gesamten Anodenstrom messen und dieser ändert sich
nicht - egal welches Eingangssignal anliegt.) Denken Sie daran,
dass nur die Schwankungen in den zwei Anodenströmen vom
Ausgangsübertrager zum Speaker weitergegeben werden.

                        DISSIPATION

B    emerken Sie, dass im Class A Beispiel der Stromfluss immer
     um die 50%-Leerlauf-Mittellinie zentriert ist. Das nennt
man: „Gebiased um die Mitte des linearen Bereiches“. Und das ist
entscheidend für wenig Verzerrung. Die anderen Betriebsklassen,
Class B und Class AB sind bestimmt nicht mal annähernd um
diese Mitte des linearen Bereiches gebiased, und deshalb können
sie „kühler“ arbeiten und mehr Power produzieren.
       Können Sie sich noch an vorhin, an den großen Nachteil
von Class A erinnern, dass sie so heiß und ineffizient ist? Hier
kommt ein neuer Begriff für Sie: Dissipation (Verschwendung,
Ausschweifung - und wir reden hier nicht von der Lebensweise
eines Keith Richards). Dissipation ist verschwendete Power, die
von der Röhre in Hitze umgewandelt wird. Um die Analogie zum
Auto nochmals zu bemühen: Class A ist wie ein Auto, dessen Mo-

                                       Class A - Entmystifiziert & Erklärt   21
tor ständig bei vollen Umdrehungen läuft, mit getretener Bremse
     und schleifender Kupplung. Die ganze Power verpufft einfach
     und wird in Hitze umgesetzt. Um eine brauchbare Wirkung (fa-
     hren) zu erhalten, müssen Sie Bremse und Kupplung etwas lo-
     ckern, und das Auto setzt sich in Bewegung. Dann erst geht ein
     Teil der Power in die Bewegung, während noch immer viel Power
     in der schleifenden Bremse und Kupplung verschwendet (dissi-
     pated) wird. Für größere Geschwindigkeit lockern Sie die Bremse
     noch etwas mehr und für die volle Ausnutzung der Power (und die
                                           volle Geschwindigkeit) las-
                                           sen Sie die Bremse und die
                                           Kupplung ganz raus. Jetzt
                                           wird fast alle Power für das
                                           Fahren genutzt und die Dis-
                                           sipation ist gering. Aber Sie
                                           können ja nicht andauernd
                                           volle Kanne fahren, und so
                                           ist es auch beim Class A: die
                                           höchstdynamische Natur
                                           der Musik impliziert, dass
                                           die meiste Zeit die Bremse
     getreten sein wird, nur ab und zu wird sie für die dynamischen
     Spitzen ganz gelockert, und dann kommt die Power auch tatsäch-
     lich voll beim Lautsprecher an.
             Nochmals zum Mitschreiben: Class A Verstärker, Single-
     Ended oder Push-Pull leiden an maximale Dissipation im Leer-
     lauf. Die ganze Power der gleichgerichteten Netzspannung ver-
     schwindet durch die Röhren und wird zur Hitze. Nur wenn diese
     Power fluktuiert (z.B. mit 440 Hz) wird ein Teil davon umgesetzt
     in Klang aus den Speakern. Nur dieser Teil wird nicht in Hitze
     umgesetzt. Trotzdem ist der Verlustwert einer Röhre das, was ihre
     Leistung stärker eingrenzt als die nützliche Power, die sie abgeben
     kann. Wie bei der Kupplung des Autos ist es das Schleifen, das die
     Hitze verursacht und die Power damit zunichte macht, nicht die
     Bewegungs-Power wenn die Kupplung voll greift.
             Lange bevor Class A Power - im retro-vintage Sinne die
     wir alle lieben - sexy wurde, gab es nur eine Richtung in der Ent-

22    Class A - Entmystifiziert & Erklärt
wicklung der Verstärkertechnik, und die war: Mehr Power und
höherer Wirkungsgrad. Es gab (noch) keinen geheimnisvollen
Nimbus, der Class A umgab, sondern man war sich seiner Unzu-
länglichkeiten durchaus bewusst, und es herrschte das Bestreben
nach mehr sauberer Leistung und weniger Hitze.
       Andere Röhren-Betriebsarten wurden dazu entwickelt ge-
nau das zu tun. Class B und Class C sind beide hocheffizient und
ziemlich kühl laufend. Sie arbeiten
großartig in Radiosendern, wo gewal-      Die Power, die durch die Endröh-
tige Mengen Power benötigt werden.       ren fließt und den Speaker antreibt
Diese Betriebsarten sind derart gebi-
                                           geht NICHT als Hitze verloren.
ast, dass im Leerlauf so gut wie kein
                                            Trotzdem ist der Verlustwert ei-
Strom fließt, und der ganze Strom der
durch die Röhre fließt in sinnvolle,       ner Röhre das, was ihre Leistung
brauchbare Ausgangsleistung umge-            stärker eingrenzt als die nütz-
setzt wird.                               liche Power, die sie abgeben kann.
       Leider sind diese „Classes“ un-
geeignet für Audio: Es gibt zu viele
Verzerrungen durch das ständige An-
und Abschalten der Röhren. Und so entwickelten die Designer in
den späten 30-er Jahren eine spannende neue Konfiguration, die
sowohl die Verzerrung von Class B als auch den Hitzeverlust von
Class A überwinden konnte. Es ist die schon erwähnte „push-
pull“ Konfiguration, und mit ihr wird der Class AB Betrieb mög-
lich, mit hoher Effizienz und geringen Verzerrungen.

                          CLASS AB

H     ier arbeiten „Class“ und „Konfiguration“ wirklich Hand
      in Hand zu ihrem gegenseitigen Vorteil. Die push-pull
Konfiguration mit ihrer symmetrischen Wirkungsweise ermögli-
cht auch Class AB, und wie geil ist das! Und zwar aus folgenden
Gründen: Wir haben erklärt, dass ein Pärchen push-pull Röh-
ren in Class A so eingestellt werden muss, dass es im Leerlauf
pro Röhre zu 50% leitet (so dass Audio-Leistung und Verlust-
Leistung gleich wichtig sind). Und wir erwähnten Class B, wo die
Röhren so eingestellt sind, dass sie im Leerlauf „zu“ machen, und
beim auf- und zumachen viel Verzerrung erzeugen.
       Was Class AB jetzt macht; Sie „schliesst“ die Lücke in der

                                       Class A - Entmystifiziert & Erklärt   23
Übergangsphase des Class B push-pull Betriebsmodus, indem die
     Röhren solchermaßen gebiast werden, dass sie nicht ganz „zu“
     machen: Etwas Strom fließt auch im Leerlauf und beim Wechsel
     von der einen auf die andere Seite des push-pulls.
             Vorhin hatten wir die Analogie zu ein paar Dusch-Wasser-
     hähnen mit separaten Heiß- und Kalt-Wasserhahn hinzugezogen,
     um zu erklären wie push-pull funktioniert. Stellen Sie sich jetzt
     vor, dass Sie beide Hähne mit einem Stab verbinden, so dass beide
     drehen, wenn Sie den Stab bewegen.
             Nehmen wir mal an, dass eine Links-Bewegung des Stabs
     „Heiß“ aufdreht und „Kalt“ zudreht. Eine Rechts-Bewegung
     macht genau das Gegenteil.
             Bei Class B wäre es so, dass in der Mittenstellung des Stabs
     überhaupt kein Wasser fließen würde. Eine kleine Bewegung
     nach links würde „Heiß“ aufdrehen, aber „Kalt“ auslassen - war
     ja schon zu. Beim Zurückdrehen nach rechts würde in der Mit-
     tenstellung das Wasser kurz zu fließen aufhören (Leerlaufstellung)
     und dann würde „Kalt“ anfangen zu laufen. Die „tote“ Mitten-
     stellung verkörpert die Class B-typische Übernahme-Verzerrung.
             Für Class A müssen wir beide Hähne halbwegs aufdrehen,
     bevor wir sie verbinden. Wenn wir den Stab dann nach links oder
     rechts bewegen, ändert das im gesamt-Wasserfluss nur wenig, nur
     die Mischung ändert sich, nach links wird‘s wärmer, nach rechts
     kälter. Die Tatsache, dass nun das Wasser immer fließt und nicht
     abgestellt werden kann, repräsentiert die typische Dissipation von
     Class A.
             Für Class AB
     müssten Sie die beiden
     Wasserhähne nur so-
     weit aufdrehen, dass sie
     gerade ziemlich stark
     tropfen. Zusammenge-
     nommen verrinnt also
     ständig ein wenig lau-
     warmes Wasser. Nach
     dem Montieren des Das könnten Sie ausprobieren, aber nur falls Sie gegenläufige Was-
     Stabs verursacht eine serhähne haben

24    Class A - Entmystifiziert & Erklärt
kleine Links-oder Rechts-Bewegung eine dramatische Zunahme
des Wasserflusses - entweder warm oder kalt fließt jetzt in Strö-
men; viel stärker als das „Leerlauf“-Träufeln. Und genau das ist
der Vorzug von Class AB: Im Leerlauf geht nur wenig Wasser
verloren, aber bei Bewegungen ist die Wirkung doch sehr beein-
druckend.
        Elektronisch gesehen, ist Class AB push-pull wie zwei sym-
metrisch eingestellte Verstärker, die ihr gegenseitiges Spiegelbild
darstellen. Im Leerlauf leiten Sie den Strom zu etwa 10% bis 30%
- je nach Bias-Einstellung. Aber weil sie näher an OFF als an ON
gebiast sind, laufen sie noch ziemlich kühl. Sie haben auch das
Potenzial viel mehr „auf“ zu machen als „zu“ (sie sind ja im Leer-
lauf schon fast zu...). Für kleine Signale mit geringer Amplitude
arbeiten sie genau wie ein Class A Verstärker. Sie modulieren le-
diglich den Leerlauf-Strom, ohne dass eine Röhre ganz zu- oder
besonders weit aufmachen müsste.
        Wenn Sie aber lauter spielen, kommt die Asymmetrie der
Class B zum tragen. Abwechselnd macht eine Seite weit auf, wäh-
rend die andere Seite zumacht, so dass einmal die eine Seite im
leitenden Bereich kommt, dann wieder die andere. In dem Mo-
ment, als die eine Seite ganz „dicht“ macht, ist die andere Seite
schon lange im linearen Bereich angelangt und verhindert da-
durch die „Cut-off“ Verzerrungen. Indem in dieser Class A Zone
der gering-amplitudigen Signale die Push- und die Pull-Hälfte
einander überlappen, gibt es keinen „toten Punkt“ in der Mit-
te, und die Übernahme ist fließend. Und die Reduzierung der
Verlust-Hitze (Dissipation) ist enorm.
        Abbildung 9A zeigt das Aus-
gangssignal einer Class A Endstufe, bei
der maximal möglichen Lautstärke eines
cleanen Signals. Die Schaltung ist so
eingestellt, dass die Mitte des linearen
Bereichs der „Signal-Null-Linie“ ent-
spricht. Das Signal schwankt zwischen
0% und 100%, oder - von der Mittel-
linie aus gesehen - zwischen -50% und
+ 50%. Es bedeutet, dass die Röhre im

                                        Class A - Entmystifiziert & Erklärt   25
Leerlauf 50% ihres maximal möglichen Strom leitet, und ganz
     schön heiß wird.

               In 9B zeigen wir den gleichen Verstärker, wenn er in Über-
                                      steuerung getrieben wird. Das Ein-
                                      gangssignal möchte, dass die End-
                                      stufenröhre mehr als 100% (und
                                      weniger als 0%) gibt, aber das geht
                                      nicht, also werden die Spitzen abge-
                                      schnitten. Die gestrichelten Linien
                                      zeigen den abgeschnitten Teil des
                                      Signals. Das Signal ist immer noch
                                      symmetrisch, um die 50% Mittelli-
                                      nie gebiast.

                                                   In Abb. 9C sehen Sie die
                                           gleiche Röhre, diesmal weit aus
                                           der Mitte des linearen Bereichs
                                           gebiast. Sie kann immer noch die
                                           gleiche Signal-Amplitude bewälti-
                                           gen, aber die assymetrie der Bias-
                                           Einstellung bei 10% sorgt dafür,
                                           dass die negative Signalhälften nur
                                           10% „Platz“ haben und bei 0%
                                           abgeschnitten werden, während
                                           die positive Hälften 90% Raum
                                           zur Entfaltung haben. Das Ergeb-
                                           nis ist eindeutig nicht gut für sau-
                                           beren Audio!

                                                  Wenn wir aber eine zweite
                                           Röhre als Spiegelbild einsetzen,
                                           und also push-pull fahren, dann
                                           können wir die Signalformen
                                           kombinieren, wie in Abb. 9D zu
                                           sehen ist. Die Bias-Einstellung auf
                                           10% schafft ein Class A Bereich

26   Class A - Entmystifiziert & Erklärt
für niedrige Amplituden zwischen 0% und +/- 10%, in dem bei-
de Röhren arbeiten. Darüber hinaus macht immer eine der bei-
den Röhren zu, und überlässt die Signalverstärkung der anderen
Röhre. Das natürlich wieder mit eine Frequenz von z.B. 440 Hz.

       Und da liegt nun der große Vorteil, wenn Sie mir noch
folgen können. Weil wir den Leerlauf-Strom verringert haben,
indem wir den Bias weit von der Mitte des linearen Kennlinien-
bereichs eingestellt haben, können wir jetzt die Spannung wesent-
lich erhöhen und die Verlustleistung trotzdem unter den Wert
halten, wie sie bei Class A wäre. Und wenn die Spannung der
Röhren steigt, steigt damit auch die cleane Leistung des Verstär-
kers ganz wesentlich.

Abbildung 11 zeigt das vereinfachte Schaltbild eines Push-Pull-Verstärkers. Vergleichen Sie die Widerstands-
werte in der Vorstufe (preamp) und die der Phasenumkehrstufe (phase splitter). In der Vorstufe sorgt das
Verhältnis von etwa 1 kOhm Kathode zu 100 kOhm Anodenwiderstand für einen theoretischen Verstär-
kungfaktor von 100, während in der Phasenumkehrstufe die Anode- und Kathodewiderstände gleich sind,
und es da auch keine Verstärkung gibt. Die zwei Signale, die von der Kathode und von der Anode abgegriffen
werden haben also die gleiche Amplitude wie das Eingangssignal am Gitter, sind jedoch zueinander in Ge-
genphase und dazu da, die Endstufenröhren anzusteuern. Deren Anoden werden durch den Ausgangsüber-
trager mit hoher Gleichspannung versorgt, während deren Gitter mit einer negativen Gleichspannung (Bias-
Spannung) versorgt werden, die die Röhren so einstellt, dass sie assymetrisch verstärken und sich dadurch
zum Class AB ergänzen. Die Wikungsweise ist wie sie in Abb. 9D dargestellt wurde. Bei Übersteuerung sieht
das Ausgangssignal aus wie in Abb. 9B.

                                                                 Class A - Entmystifiziert & Erklärt           27
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