CLASS A offengelegt & erklärt
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
The Spirit of Art in Technology CLASS “A” offengelegt & erklärt Eine technische Plauderei: “Wie funktionieren Verstärker” ——— und ——— “Was ist Class A?” Randall Smith Mesa Engineering
EINFÜHRUNG B esorgen Sie sich ein Glas ihres Lieblingsgetränks und legen Sie die Füße hoch. Wir werden uns mit einem umfang- reichen und zähen Thema auseinandersetzen und hoffen, dass Sie es trotzdem informativ und unterhaltsam zu lesen finden… Wir werden Sie am Ende auch nicht abfragen! Zwei Fragen, die mir öfters gestellt werden, lauten: „Was ist Class A“ und „Was ist der Unterschied zwischen dem Lonestar und seinem Bruder, dem Lonestar Special“. Weil diese zwei Verstärker bis auf dem Endstufendesign gleich sind, können wir beide Fragen kombinieren und zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Wenn Sie einmal die Ge- legenheit bekommen sollten, beide Verstärker im Vergleich zu hören, werden Sie eine Demonstration der musikalischen Rele- vanz all dieser Technik, die wir hier zu erklären versuchen, be- kommen. Sie werden Class A und Class AB, „single-ended“ und „push-pull“, 6L6 und EL34 direkt vergleichen können. Das Lernen hat noch nie so viel Spaß gemacht! Aber langsam, denn dieser Stoff ist ziemlich tiefgreifend. Keiner kann erwarten alles in einem Durchgang zu begreifen. Ich habe praktische Erfahrung und habe Jahrzehnte über dieses Zeug nachgedacht und lerne immer noch Neues. Es wird eher so sein, dass, jedes Mal wenn Sie ein Stück lesen, ein oder zwei Sachen anfangen werden einen Sinn zu ergeben, und Ihr Ver- ständnis wird Schritt für Schritt wachsen. Ein bisschen wie das Erlernen eines Musikinstrumentes. Zuerst einen Überblick über die zwei Amps: Der Lonestar Special hat alle Eigenschaften des originalen Lonestars, mit Aus- nahme des „Tweed-Power“ (Sie werden bald verstehen warum „tweed“ nicht nötig ist.) Der „Special“ hat die gleiche zweika- nalige Vorstufe, inklusive schaltbaren Drive für Kanal 2, den hinreißenden Reverb mit eigenem Bright-Schalter, den Röhren- Einschleifweg mit hard-bypass Relais (welche die zwei Send- und Return-Röhren, mitsamt ihrer Pegelpotis und Buchsen aus dem Signalweg nimmt), den schaltbare Lüfter, das Aluminium- Chassis und so weiter, wie sein großer Bruder. Class A - Entmystifiziert & Erklärt 3
Aber da, wo der Lonestar vier große 6L6 Endröhren ein- setzt, mit kanalspezifischer Leistungsumschaltung zwischen 10, 50 oder 100 Watt, hat der Special vier EL84-er, die knackigen kleinen Powerpunks mit neun Stiften. Jedes Endstufendesign hat seine musikalischen Stärken, und viele Gitarristen hätten am Liebsten beide Amps. Die 6L6-er liefern enorm lebhafte Wärme mit schimmernden Höhen und genügend cleanen Headroom um damit überall auftreten zu können. Diese Endröhren laufen „push-pull“ in Class AB - zwei für 50 Watt, oder vier in „push- pull-parallel“ für 100 Watt, immer noch Class AB. Die EL84-er im Special klingen etwas schnoddriger und aufmüpfiger mit ihren glockenartigen Höhen. Auch sie sind schaltbar, sogar zwischen drei Leistungsklassen: 30, 15 oder 5 Watt, zuweisbar pro Kanal. Diese Leistungsklassen sind perfekt für‘s Üben, für‘s Studio und für den Gig in klei- neren Clubs. Das unterschiedliche Pegel- und EL-84-er werden Verzerrverhalten der drei Leistungsklassen ist für maximale unglaublich interessant. Die EL84-er werden für vintage Wärme in maximale vintage Wärme in Class A betrieben. Class A betrieben. In der 30 Watt Position arbeiten alle vier Röh- ren in einer push-pull-parallel-Konfiguration. Als nächstes können zwei Röhren abgeschaltet werden - für 15 Watt aus den verbleibende Zwei. Aber das, was diesen Amp wahrlich „special“ macht, ist die patentierte Möglichkeit auf nur einen EL84 zu schalten, für 5 Watt delikat tönendes single-ended Class A Nirwana. Zugegeben, dieses Geplapper klingt bekannt, Sie haben die meisten dieser Worte schon einmal gehört und gelesen. Ver- käufer jonglieren gerne damit herum, um Ihnen einen Amp schmackhaft zu reden und Sie vielleicht auch ein wenig ein- zuschüchtern. Der Kunde nickt den Kopf und weiß: „Ja, ja, Class A, das Beste, nicht wahr?“ Nur wenige haben den Mut mal nachzufragen und eine echte Erklärung zu verlangen. Und die könnte Ihnen der Verkäufer wahrscheinlich gar nicht geben, denn er weiß auch nicht mehr als Sie! Wenn Sie dies aber (viel- leicht einige Male) durchlesen, dann sind Sie der breiten Masse weit voraus. 4 Class A - Entmystifiziert & Erklärt
ÜBERSICHT D as Wichtigste was der Musiker wissen sollte ist, dass die verschiedenen Klassen und Konfigurationen der Endstu- fen verschiedenen klanglichen und stilistischen Zwecken dienen. Keine ist geradeheraus besser. Ein Spieler, der maximalen cleanen Headroom sucht, wird sich für einen Class AB push-pull Verstär- ker entscheiden, denn hohe Leistung ist seine Stärke. Ein Spieler der auf einem gewissen vintage Flair aus ist, wird wohl die Class A Variante bevorzugen, und egal um welche Röhre es geht, es wird definitiv leiser klingen. Beide können sowohl warm/satt als auch schnoddrig/scharf klingend gemacht werden - meist unter Einfluss von anderen wichtigen Aspekten der Klangformung, wie Preamp und Treiber- stufe, Transformator- und Komponentenauswahl, sowie natürlich verschiedene Lautsprecheroptionen. (Es ist von keiner nachweislichen Be- deutung, ob der Amp „Point to Point“ verdrahtet oder ein gut gemachtes Printboard verwendet wird.) Die Röh- renauswahl ist entscheidend: EL34-er, 6L6-er oder 6550-er klingen unter- schiedlich, speziell im Clipbereich. Figur 1 zeigt die Wellenform eines Gitarrentons. Die Sogar verschiedene Marken des selben vertikale Achse steht für Amplitude, oder Lautstärke, Typus Röhre können dramatisch unter- gemessen in Volt. Die horizontale Achse steht für Zeit. Wie Sie sehen, bleibt die Frequenz konstant (A-440Hz) schiedlich klingen. Wenn Sie also mehr auch wenn die Amplitude nach dem Anschlag schnell geringer wird, genau wie eine Saite vibriert. Diese Wel- über die schalttechnischen Klassen wis- lenform der elektrischen Spannung (wie es auf einem Oszilloskop sichtbar wäre) sieht eigentlich dem Bild sen möchten, dann lesen Sie bitte wei- einer vibrierenden Saite sehr ähnlich. ter. Bedenken Sie aber: der wichtigste Aspekt eines Verstärkers ist, was er für Sie tun kann! OK, ZURÜCK AUF DIE SCHULBANK! F angen wir an mit der wesentlichen Unterscheidung zwischen „Wirkungsklasse“ (class of operation) und „Leistungskonfi- guration“ (power configuration). Dies sind zwei getrennte Dinge, die unterschiedlichen Aspekte der Verstärkerfunktion beschrei- Class A - Entmystifiziert & Erklärt 5
ben. Viele Menschen (auch die, die angeblich Ahnung haben) vermischen diese Begriffe, was nur zur Verwirrung beiträgt. Fan- gen wir also an aufzuräumen, indem wir sie getrennt behandeln. Diese Begriffe werden meist bei der Betrachtung der Endstufe eines Verstärkers verwendet, aber sie sind auch relevant in der Vorstufe, nur das hier meistens alles „single-ended“ und „Class A“ ist. KONFIGURATION (AUFBAU) M it Konfiguration meinen wir, wie und mit welchen und mit wie vielen Röhren die Endstufe aufgebaut ist. Die meistgebrauchten Begriffe aus diesem Gebiet sind: „Single En- ded“ (linear), „Push-Pull“ (Gegentakt) und „parallel“. In single- ended Systeme durchläuft das ganze Signal einen einzigen Pfad und wird von einer Röhre zur Anderen verstärkt. Stellen Sie sich Ihr Gitarrenkabel vor: Das ist single-ended. Es gibt (abgesehen von der Erdleitung) nur einen Leiter für das Signal, welches zwi- schen Plus- und Minus-Spannung hin und her schwingt, genau wie die Saiten sich über den Tonabnehmer bewegen. Und wenn dieses Signal die Vorverstärker-Abteilung erreicht, bleibt es single- ended. In ganz wenigen Verstärkern ist sogar die Endstufe single- ended mit nur einer Röhre - wie ein alter Fender Champ mit sei- ner 6V6 Endröhre. Meistens wird single-ended Endstufentechnik eingesetzt weil es billiger ist, aber es gibt einige interessante und einzigartige klangliche Aspekte, über die wir noch sprechen werden. Wesentlich mehr verbreitet ist aber die “push-pull“ Endstufenkonfigu- ration. Hier wird das Signal zuerst in zwei Hälften verteilt, die zuei- nander um 180° Phasenverdreht Abbildung 2 zeigt eine Gitarrensaite, die mit einer Frequenz von 440 mal in der Sekunde direkt über einem Tonabnehmer schwingt. Der sind. Die „Plus-Signale“ werden Tonabnehmer ist eine Spule mit Hunderten von Umwicklungen feinsten Drahtes um einen Permanentmagnetkern. Die Bewegung der Saite stört von einer Röhre verstärkt, die „Mi- das Magnetfeld des Permanentmagneten und bewirkt eine Wechselspan- nung in der Spule. Das ist ein Beispiel für ein „single-ended“ Signal. nus-Signale“ von einer anderen. In der Zeichnung verzichten wir aus Gründen der Deutlichkeit auf das Ausklingen des Signals. Ganz zum Schluss werden die bei- den Hälften im Ausgangsübertra- 6 Class A - Entmystifiziert & Erklärt
ger wieder zu einem „single-ended“ Signal zusammengefügt, das den Lautsprecher antreibt. (Denken Sie dabei an einem Dusch- Wasserhahn mit separatem Heiß- und Kaltwasserhahn, wo das Wasser zu einem warmen Strahl zusammengemischt wird.) Die meisten Endstufen verwenden diese push-pull Konfigura- tion, weil die Endstufenröhren damit viel effizienter arbeiten. Sie produzieren mehr Power und weniger überflüssige Hitze, aber das werden wir später noch genauer erklären. Nehmen Sie inzwischen zur Kenntnis, dass für push-pull im- mer mindestens ein Paar Röhren gebraucht wird, und mehrere Paare (parallel) dazugeschaltet werden können, um die Leistung zu erhö- hen. Darum sieht man immer zwei, vier, sechs und manchmal sogar Abbildung 3 zeigt ein symmetrisches Mikrofonsignal. Das „Erden“ in noch mehr Endröhren, aber immer der Mitte der Spule (Center Tap Ground) bewirkt zwei „single-ended“ Signale in Gegenphase. Die obere Welle ist wie die Welle von Abb. 2. eine gerade Anzahl. Die Untere ist ähnlich, aber sie steht auf dem Kopf, denn die Erde ist oben bei diesem Teil der Spule, und die generierte Spannung ist auch umgekehrt und deshalb in Gegenphase zu der oberen Welle. Wenn die Spannung in der obere Welle nach Positiv schwingt, schwingt sie im gleichen Moment in der unteren Welle nach Negativ. Das Erden der Spulenmitte bewirkt also dieses symmetrische push-pull Signal. EINE SACHDIENLICHE AB- SCHWEIFUNG P ush-pull ist also dem symmetrischen Ausgangssignal von Mi- krofonen sehr ähnlich. Deren Signal wird auch in zwei ge- gensätzliche Phasen aufgeteilt und in zwei separate Leiter (plus eine geerdete Abschirmung) geführt. Der Grund dafür ist das Ausschalten von Nebengeräuschen. Mikrofone haben ein sehr schwaches Ausgangssignal, das erheblich verstärkt werden muss bis es brauchbar wird. Der hohe Verstärkungsfaktor bedeutet, dass Nebengeräusche, die irgendwie im Kabel geraten, auch ver- stärkt werden und zum Problem werden können. Diese Neben- geräusche entstehen durch elektro-magnetische Wechselfelder die sich heutzutage fast überall in der Äther (Luft) befinden, und von den Leitern des Mikrofonkabels induziert werden, meist als 50- oder 100-Herz Brummen. „Induziert“ bedeutet in diesem Falle, dass das Kabel quasi als „sekundäre Wicklung“ eines Transformators funktioniert, und die streunende magnetische Energie in elektrische Spannung Class A - Entmystifiziert & Erklärt 7
umsetzt, die sich als Brummen äußert. Sogar ein sehr gut abge- schirmtes Kabel nimmt unakzeptable Mengen Brumm auf. Die Lösung ist, diese Tatsache einfach zu akzeptieren und am Misch- pult zu bekämpfen. Und hier kommt push-pull oder „symme- trische Betriebsart“ gerade richtig. Das Aufteilen des Signals in zwei symmetrische Hälften beinhaltet, dass von einer Hälfte die Phase herumgedreht wird, während die Phase der andere Hälfte gleich bleibt. Wenn beispielsweise das Originalsignal von + auf - auf + geht, würde sie in einem Leiter gleich bleiben, während sie in dem anderen Leiter gleichzeitig herumgedreht wird und von - auf + auf - geht. Beim Zusammenfügen der zwei Signal- hälften zu einem „single-ended“ Signal wird die phasengedrehte Signalhälfte wieder zurückgedreht und zu der nicht-gedrehten Signalhälfte addiert. Ohne diese „Zurückdrehung“ würden die Signalhälften einander auslöschen (+ zu - = 0; - zu + = 0). Das Zu- rückdrehen wird einfach so vom Transformator gemacht, indem der „Ground“ (Erde-) Referenzpunkt in der Mitte der Wicklung, oder an einem Ende liegt. Das Ergebnis dieser Phasendreherei ist, dass jene Störsignale, die bei einer symmetrischen Leitung von Außen in das Kabel ein- dringen, in beiden Leitern gleich, bzw. „in Phase“ sind. Beim Zu- Abbildung 4 zeigt einen Transformator zum Umwandeln eines single- ended Signals in ein symmetrisches Signal, bzw. in zwei gegenphasige „push-pull“ Signalhälften. Das funktioniert in beide Richtungen. Ein Mikrofonsystem hat z.B. je einen Transformator am Ende des Kabels, um das Signal für die Kabelstrecke symmetrisch, und dann für das Mischpult wieder single-ended zu machen. In einer push-pull Endstufe sitzen die Endröhren an der symmetrischen Seite des Trafos, und der Lautsprecher an der single-ended Seite. 8 Class A - Entmystifiziert & Erklärt
rückwandeln in ein single-ended Signal werden diese Signalhälf- ten sich gegenseitig völlig auslöschen. Dieser Prozess nennt sich „Gemeinsame Modus Unterdrückung“ und der einzige Zweck für ein symmetrisches Kabel ist die Unterdrückung dieser Störsi- gnale. Humbucker Tonabnehmer verwenden den gleichen Trick um Störgeräusche zu unterdrücken. Weil die Wirkungsweise symmetrischer Mikrofonkabeln und Humbuckern bei den meisten Musikern einigermaßen bekannt ist, haben wir diese kurze Abschweifung zum besseren Verständ- nis eingebaut. Es ist gleichzeitig eine gute Einführung in das push-pull Prinzip, denn speziell das Auslöschen von gleichpha- sigen Signalen wird bei der Diskussion über unterschiedliche Klang-Charakteristiken bei den verschiedenen Konfigurationen der Endstufen enorm wichtig, wie wir etwas später noch erfahren werden. MEHR ÜBER KONFIGURATIONEN P arallel bedeutet nichts anderes, als dass identisch verdrahtete Röhren nebeneinander eingesetzt werden, um die Leistung zu erhöhen - egal ob bei push-pull oder single-ended Konfigura- tionen. Aber in der Praxis wird es bei single-ended Schaltungen selten eingesetzt, und zwar deswegen: Auch wenn eine zusätzlich parallele Röhre die Leistung verdoppelt, würden die gleichen zwei Röhren in push-pull Konfiguration die Leistung verdreifachen, oder sogar noch mehr. Der Grund dafür liegt bei einem anderen Begriff, den wir als nächstes behandeln werden: DIE BETRIEBSKLASSEN D ie Betriebsklassen (Classes of Operation) beschreiben die Betriebs-Arbeitspunkte der Röhren, unabhängig von derer Konfiguration. Sind sie in „Class A“, „Class B“ oder „Class AB“? (Es gibt sogar eine „Class C“ obwohl die nur für Radiosender genutzt wird.) „Bias“ bezieht sich auf die verschiedenen Span- nungen an den Röhrenkomponenten und ihren Zusammenhang, Class A - Entmystifiziert & Erklärt 9
speziell aber auf die negative Vorspannung des Steuergitters. Diese Spannungen bestimmen, wieviel Strom durch eine Röhre fließt, sowohl „bei der Arbeit“ (wenn sie verstärken) als auch im „Leerlauf“ (wenn sie auf den nächsten Ton warten). Deshalb ist die „Class Of Operation“ völlig sepa- rat von der Konfiguration der Röhren Die „Class Of Operation“ wird zu verstehen. Jeder Verstärker hat eine bestimmt von den vorhandenen „Class“ und eine Konfiguration. Spannungspotentialen an den Röhren Weil die Vorstufe eines Verstärkers und ist völlig separat von deren An- immer single-ended und in Class A ordnung zu betrachten. Jede Endstufe betrieben wird, reden wir eigentlich hat sowohl eine „Class“ als auch eine nur bei Endstufen von anderen Klas- bestimmte Konfiguration. sen und Konfigurationen. Es ist dort, wo die harte Arbeit geleistet wird und die Leistung (die Ausgangs-Watt-Zahl) generiert wird. Vorstu- fen verstärken zwar die Signalspannung (Volt) ebenfalls, aber die Schaltungen sind „hochohmig“ (high impedance) und es fließt nur sehr wenig Strom (Ampere). EINE ZWEITE KLEINE ABSCHWEIFUNG L assen Sie mich schnell den Unterschied zwischen Spannung (Volt) und Strom (Ampere) erklären. Spannung ist ein Maß des Energiepegels und Strom ist das Maß des Energieflusses. Es muss zumindest ein wenig von beiden geben, um überhaupt „Strom“ zu erzeugen, sie können aber in sehr breit gefächerten Verhältnissen auftreten. Hier zwei Beispiele: Sie kennen den un- angenehmen elektrostatischen Schock, den Sie bekommen wenn Sie über einen Teppich gelaufen sind und ein Metallteil berühren. Die Ladung die Sie dabei aufgenommen haben, kann leicht über 100.000 Volt liegen und das ist kein Tippfehler! 100.000 Volt ist der Bereich einer Überlandleitung Ihres Energiebetriebes. Glück- licherweise gibt es aber so gut wie keinen Amperefluss (Leistung - die Menge der Elektronen), sonst würden Sie kurzerhand geröstet werden und sterben. Diese sehr hohe Spannung kann sich nur aufbauen durch den extrem hohen Widerstand trockener Luft: Die statische Ladung auf Ihren Körper kann sich deshalb aufbau- 10 Class A - Entmystifiziert & Erklärt
en, weil sie von der Luft nicht konstant abgeleitet wird. Als Kontrastbeispiel dient Ihre Autobatterie. Sie hat nur 12 Volt und Sie können, ohne überhaupt etwas zu spüren, beide Pole mit den Händen berühren. Trotzdem kann diese Batterie eine enorme Stromstärke entwickeln - 1000 Ampere oder mehr - um Ihren Motor zu starten oder um ein versehentlich zwischen den Polen geratenen Schraubenschlüssel zu schmelzen! Die Elektronen ha- ben zwar ein relativ geringes Potential, aber es gibt so viele von ihnen, dass das Kabel richtig dick sein muss, um deren Hoch- Ampere-Fluss zu bewältigen. „Power“ oder Leistung wird in Watt gemessen, und es ist das Pro- dukt aus Spannung und Strom (Volt x Ampere = Watt). Die Si- gnale in der Vorstufe Ihres Verstärkers sind im Bereich von etwa 1 Volt (den Ausgang Ihrer Gitarre), hinauf bis gute 100 Volt mas- sivem Overdrive Signals kurz vor der Endstufe. Die Stromstärke bleibt aber ziemlich niedrig, im Bereich von 1 Milliampere (ein Tausendstel Ampere). Wie bei der statischen Aufladung gibt es also kaum Leistung. Dagegen ist die 100 Watt Leistung die zur Antreibung Ihres Lautsprechers benötigt wird (20 Volt mal 5 Am- pere) eher im Bereich der Autobatterie. Sie sehen also, dass das Produzieren von Ausgangsleistung ein ganz anderer Job ist, als das bloße Verstärken eines Preamp-Signals. Deshalb wurden für die- sen Job verschiedene „Classes“ und Konfigurationen der Endstu- fen entwickelt. Und deshalb braucht man auch einen Ausgangs- Übertrager (-Transformator). CLASS A POWER UND CATHODE BIASING D er Term „Class A“ wird öfter gebraucht, alsob es etwas mystisches und ganz spezielles wäre, musikalische Magie. Und vielleich stimmt es sogar, wenigstens für manche Stilrich- tungen. Class A hat eine natürliche Wärme und Sanftheit, so- gar noch wenn sie in Verzerrung getrieben wird und wild und aufsässig klingt. Mancher Gitarrist beschreibt es auch als „saftig“ und gleichzeitig dynamisch. Class A ist die älteste, einfachste und billigste Art die Endstufe-Röhren zu betreiben. Class A ist auch die wenigst effizienteste Art und die (Hitze-) verlustreichste dazu. Class A - Entmystifiziert & Erklärt 11
Deshalb wurde viel Entwicklungsarbeit in das Ziel gesteckt, die Ineffizienz von Class A zu unterlaufen. (Vielleicht ist es sogar ge- rade diese überschüssige Hitze, die den warmen Ton produziert!) Grund für die Tatsache, dass Class A so kostengünstig hergestellt werden kann ist, dass bei Class A kei- ne „Bias Supply“ benötigt wird. Das Class A hat eine natürliche Wärme ist eine extra Spannungsversorgung und Sanftheit, sogar noch wenn für die Vorspannung der Steuergatter sie in Verzerrung getrieben wird der Endröhren. Sie produziert eine und wild und aufsässig klingt. negative Spannung (ca. -50 Volt für 6L6 Röhren) die dafür sorgt, dass der Arbeitspunkt der Röhren sich zu Class AB verschiebt, wodurch ohne die große Wärmeverluste von Class A viel mehr Leistung produziert wird. Nahezu alle Gitarrenverstärker arbeiten entwe- der in Class A oder Class AB. Zu den Unterschieden kommen wir später. Zurück zu unseren historischen Wurzeln. Jede Spannungs- versorgung, auch die „Bias Supply“, benötigt einen Gleichrichter, um die 230 V Wechselspannung des Netzes in Gleichspannung zu wandeln, ein paar Widerstände, um die richtige Spannung einzustellen, sowie einige Filter-Kondensatoren um diese Gleich- spannung zu glätten. AC (Wechselspannung/-strom) ist eine Spannung die fluktuiert, wo das Potential, wie unsere Netzspan- nung, ständig zwischen plus und minus pendelt. DC (Gleichspannung/-strom) hat ein konstantes Potential, wie bei einer Batterie. Weil AC fluktuiert, kann man sie „transfor- mieren“ um das Verhältnis Spannung/Strom (und die Phasenlage, wie wir schon sahen) zu ändern. Obwohl Thomas A. Edison An- erkennung dafür bekommen hat, dass er Elektrizität in die Städte brachte, hat er damals starrsinnig (und fälschlicherweise) Gleich- strom befürwortet. Nikolai Tesla sah die Vorteile von Wechsel- strom: Damit kann man verlustarm und über lange Distanzen hohe Spannungen übertragen, die man unterwegs auf einen für den Hausgebrauch ungefährlichen Wert heruntertransformieren kann. Die Rivalität zwischen den beiden Männern war erbittert und ging so weit, dass Edison den elektrischen Stuhl „erfand“, den er nur mit Wechselspannung betrieb, um zu zeigen, wie tödlich 12 Class A - Entmystifiziert & Erklärt
diese Spannung ist. Leider (für ihn und das arme Opfer) schlug es zunächst fehl und brauchte drei Anläufe bis es klappte! (Hör mal, ich habe Stromschläge von AC und DC erlitten und kann ehrlich sagen, das es sich nicht wesentlich unterschiedlich anfühlt!) Früher war die Technik zum Gleichrichten von Wechselstrom noch sehr primitiv - es wurde dazu für gewöhnlich eine Röhre be- nötigt, obwohl auch schon Selen-Gleichrichter benutzt wurden; die aber genau so unhandlich, unzuverlässig und teuer waren. Heute haben wir Silizium Dioden, die den Job zuverlässig ma- chen, und nur ein paar Cent kosten. (Ich betone dies, weil wir ein Patent auf Verstärker besitzen, die sowohl mit Silizium Dioden als auch mit Röhren zur Gleichrichtung arbeiten, um die feinen musikalischen Unterschiede herauszustellen. Dieses Feature fin- den Sie z.B. in beiden Lonestars sowie in unserem Dual Rectifiers. Aber das Thema Gleichrichtung möchte ich ein anderes Mal tief- er behandeln.) Für „Class A“-Betrieb kann man sich die komplette Bias Sup- ply sparen (und damit einiges an Kosten). Ein einfacher Wider- stand zwischen der Erde und den Endstufenröhren tut‘s auch. Es ist genaugenommen korrekter diese Schaltung „Kathode Bias“ zu nennen, denn nicht immer gehen die Röhren tatsächlich in den „Class A“ Betrieb, auch wenn es so genannt wird. Das ist aber ein technischer Unterschied und für viele anscheinend nicht so wichtig, denn der Begriff „Class A“ hat viel mehr Sex-appeal und verspricht eine ungeheure Magie. Damit kann der Ausdruck „Kathode Bias“ nicht mithalten, auch wenn beide Worte in den meisten Fällen das Gleiche beschreiben. Bleibt noch zu erwähnen, dass Class A auch mit einer separaten festen Bias Spannung er- reicht werden kann, aber diese Variante wird in Gitarrenverstärker praktisch nie verwendet. WAS GENAU IST DANN CLASS A? W as Class A wirklich bedeutet wird im RCA Tube Manu- al (die ultimative Röhren-Bibel) wie folgt definiert: „Die Gitter-Vorspannung und die Gitter-Signalspannung sind so be- schaffen, dass in der Röhre zu jeder Zeit ein Anodenstrom fließt“. Class A - Entmystifiziert & Erklärt 13
Ist das klar? Ich selbst habe über diese Definition jahrelang nach- gegrübelt und bin zu dem Schluss gekommen, dass sie sowohl einfacher als auch komplexer ist wie sie erscheint. Um es zu vereinfachen, denken Sie an das britische Wort für Röhre: Valve (Ventil, Wasserhahn), mate. Class A bedeutet ein- fach, dass der Hahn nie ganz schließt und immer etwas durch- lässt, auch wenn es nur noch tröpfelt. (Wie sexy ist das?) In einer Röhre fließt elektrischer Strom (wie einen Nebel aus Wassertröpfchen) von der heißen Kathode (das ist das Kernstück in der Mitte mit dem glühenden Heizfaden drin) zur Anode (das größere Gebilde direkt unterm Glas). Dazwischen befindet sich das Gitter, eine spiralförmige Wendel aus feinem Draht mit viel Platz zwischen den Windungen. Das Gitter funktioniert als Steuerelement, wie der Griff eines Wasserhahns, zum Regulieren des Elektronenstroms zwischen Kathode und Anode: Die Anode ist stark positiv geladen und zieht die Elektronen an, die buch- stäblich aus der Kathode hervorkochen. Die Elektronen, die es bis zur Anode schaffen, bilden den sogenannten Anodenstrom. Zwischen Kathode und Anode befindet sich aber das Steuergitter, Abbildung 5 zeigt eine Triode-Röhre, wie zum Beispiel eine Hälfte einer ECC83 (12AX7). Die Kathode hat eine elektronenfreundliche Oberflä- che und wird von der Heizung in seinem Inneren erhitzt. Dadurch hängt um die Kathode eine Wolke von Elektronen, wie Wasserdampf über fast kochendem Wasser. Diese Elektronen werden von der positiv geladenen Anode stark angezogen. Dazwischen liegt aber das Gitter, das so „gebiast“ (geladen) ist, dass es noch etwas negativer als die Kathode ist. Dadurch wird der Elektronenfluss weitgehend abgehalten. In Class A wird das Vor- Potential dieses Steuergitter so eingestellt, dass bei Leerlauf (kein Signal) etwa die Hälfte der Elektronen durchdas Gitter durchfließen können. Eine kleine Änderung des Gitter-Potentials (der Signalspannung) bewirkt dann sehr große Änderungen im Elektronenfluss - so funktioniert eine Verstärkerröhre! 14 Class A - Entmystifiziert & Erklärt
welches noch etwas negativer geladen ist als die Kathode, und da- mit die Elektronen abhält, weil die ja auch negativ geladen sind. Je negativer das Potential des Gitters ist, desso weniger Elektronen können zur Anode hindurchschlüpfen. Wenn es weniger negativ wird, können mehr Elektronen durch das Gitter hindurchströ- men. Um den Anodenstrom zu regulieren brauchen Sie also das Gitterpotential nur geringfügig zu variieren - ein bisschen herauf oder hinunter - und schon strömen die Elektronen, oder werden abgehalten. Genau wie der Griff am Wasserhahn. Weil das Gitter nicht direkt im Kathode-Anode-Weg eingebunden ist (es „hängt“ quasi nur im Vakuum zwischen Kathode und Anode) und keine Leistung verbraucht, kann es den Anodenstromsehr leicht steu- ern. Ein kleine Änderung der Gitterspannung bewirkt eine große Änderung des Anodenstroms. Der Grid-Bias (Gitter-Vorspan- nung) aus der RCA Definition ist das feste Potential des Gitters, welches für die Balance zwischen der Anzie- hungskraft der Anode und der Ab- stoßungskraft des Gitters sorgt, um zu bestimmen wieviel Strom fließt, wenn kein Signal anliegt. Per Defi- nition bedeutet „Class B“ der Punkt wo im Leerlauf gar kein Strom mehr fließt und die Röhre „dicht macht“. Das Gitter ist so negativ und seine Abbildung 6 zeigt das Schaltbild einer ECC83 (12AX7) Triode Abstoßungskraft so hoch, dass kein in einer typischen Verstärkerschaltung. Der Widerstand von 1500 Ω bewirkt eine „Kathoden-Bias“ (Vorspannung der Strom fließt solange kein Ton gespie- Kathode) von etwa 1,5 Volt über dem „0“-Potential der Erde. Der Widerstand von 1 M (Million) Ω am Gitter ist groß genug lt wird. In Class A fließt im Leerlauf um Gitter oder Signal nicht zu belasten, hält aber das statische Potential des Gitters auf „0“ Volt, und das ist „negativ“ im Be- aber ständig Strom, im besten Fall zug zur leicht positiven Kathode. Die Anode („plate“) ist stark 50% des maximal möglichen An- positiv geladen und wird bei Leerlauf von seinem „Plate Load Resistor“ (Anoden Lade-Widerstand) ungefähr auf die halbe odenstroms (auch das werden Sie Versorgungsspannung von 200 Volt gehalten. Dadurch ist die Röhre (bei keinem Signal) in der Mitte vom geraden Teil der bald verstehen). Kennlinie „gebiast“. Das Gleiche wie bei dieser Verstärkerröhre gilt für Endstufenröhren die in Class A arbeiten. Die „alternating grid voltage“ (Gitter-Signalspannung) ist nichts anderes als das Signal Ihrer Gitarre, das die Röhre verstärken wird. SIE sind es, der spielt. IHRE Art, die Saiten zu berühren ist das, was die Signalspannung Class A - Entmystifiziert & Erklärt 15
produziert, die vom Verstärker aufbereitet wird um im Endeffekt den Speaker anzutreiben. Diese Signalspannung besteht aus „Frequenzen“ (zum Beispiel einen 440 Hz Ton) und Amplitude (Lautstärke). Wenn Sie den Ton hart anschlagen, kommt etwa 1 Volt aus Ihrer Gitarre. Wäh- rend die Saite ausklingt wird das Signal schwächer, bleibt aber bei 440 Hz Wechselspannung. Die 1 Volt Signalspannung alteriert genaugenommen zwischen Plus ½ V und Minus ½ V, denn das ist was der Tonabnehmer von sich gibt wenn die Saite schwingt. Wenn die positive Halbwelle dieser Signalspannung das Gitter der ersten Vorverstärker Triode erreicht, macht es die negative Bias-Spannung ein bisschen weniger negativ, wodurch mehr An- odenstrom fließen kann. Umgekehrt bremst die negative Halb- welle den Anodenstrom stärker aus, weil dabei das Gitter nega- tiver wird. Und das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Arbeitsweise einer Röhre, oder Valve oder Tube. Vorstu- fenröhre oder Endröhre - es ist im Prinzip das Gleiche, nur die Größe ist verschieden. Bei Class A werden die Be- triebsparameter so gewählt, dass die Röhre nie komplett dicht machen kann und immer, wenn auch nur wenig, Strom durch- lässt. Und das ist das Beste an Class A, denn bei einer Röhre, die ständig stoppen und starten muss, sind die „nicht-lineare“ (die unangenehm klingenden-) Verzerrungen wesentlich größer. Verzerrung, entschieden die Ingenieure von RCA, ist schlecht. In ihrer Welt sollten Verstärker niemals in Verzerrung getrieben wer- den. Aber auch ein Class A Verstärker kann verzerren, wenn das Eingangssignal nur groß genug wird, so dass sie zeitweise kom- plett dicht macht und damit Class A verlässt. Im Hi-Fi-Bereich kann man davon ausgehen, dass dies nie der Fall sein wird. Die Signale bleiben dezent klein weil Verzerrung schlecht klingt, und so bleibt der Amp immer in Class A. Aber es gibt ja auch noch Gitarrenverstärker. Da ist das eine ganz andere Geschichte: Mas- 16 Class A - Entmystifiziert & Erklärt
sive Signale werden mit der Absicht generiert Verzer- ANODE GITTER rungen und Overdrive zu züchten. Die armen alten Ingenieure würden scho- ckiert und erstaunt sein, wenn sie wüssten, was wir mit ihren Röhren machen! Und das ausgerechnet für mehr Musikalität! Ich habe mich mit einigen dieser Abbildung 7 zeigt dieselbe 12AX7 Röhre unter Arbeitsbedingungen. Bei der Herren öfters getroffen und positiven Halbwelle des Eingangssignals wird die zurückhaltende Kraft des Git- ters vermindert, und es können mehr Elektronen zur Anode fließen. Die Anode unterhalten. Ja, sie waren wird dadurch im Potential „heruntergezogen“ von +100 Volt (im Leerlauf ) bis auf +50 Volt (beim positiven Teil des Eingangssignals). Bei der negativen entsetzt wenn sie es über- Halbwelle am Gitter ist es umgekehrt: Das Gitter wird negativer und hält mehr Elektronen zurück, wodurch die Anodenspannung auf +150 Volt steigen kann. haupt erst mal glauben Auf diese Art bewirkt eine Eingangsspannung von 1 Volt eine Potential-Ände- konnten. Versuchen Sie rung von 100 Volt an der Anode. Durch die Entkopplung dieser „wechselnden Gleichspannung“ mit einem Kondensator oder Transformator, wird die Gleich- jemanden, der Gitarre nur spannungskomponente abgeblockt und ein reines Wechselspannungssignal von 100 (oder +50 und -50) Volt steht zur weiteren Verarbeitung bereit. vom Lagerfeuer kennt, mal zu beschreiben, wie ein Verstärker ein Trommelfeuer aus übelsten Verzerrungen ausspuckt… WIE EIN VERSTÄRKER ARBEITET J etzt werden wir etwas Grundsätzliches behandeln, das viele Musiker verwirrt. In jedem Verstärker wird das schwache Signal Ihrer Gitarre nicht langsam „aufgebaut“ bis es einen Lautspre- cher antreiben kann, es gibt vielmehr ein riesengroßen Reservoir an sehr hoher Spannung, welche zu jeder Zeit bereit steht und die Leistung liefert, die Ihre Lautsprecher bewegt. Wie ein gro- ßer Stausee. Und wie beim Stausee ist es Gleichstrom, der ohne Schwankungen oder Wellen stetig durch die Turbinenröhre fließt. Was der Verstärker jetzt macht ist, dass er diesen Gleichstrom mit dem Gitarrensignal moduliert. Gewissermaßen ist der Verstärker ein Wandler von Gleichstrom in Wechselstrom (das Gegenteil von Gleichrichter). Spielen Sie einen leisen 440 Hz Ton, dann re- agiert der Anodenstrom mit geringen Schwankungen, spielen Sie Class A - Entmystifiziert & Erklärt 17
laut, dann sind auch die Stromschwankungen größer, aber immer noch 440 Hz. Das Gitter der Endröhre ist wie ein Wasserhahn in der Turbinenleitung (Röhre) des Kraftwerkes. Der Hahn ist nie ganz zu, aber durch periodisches Öffnen und Schließen entstehen Wellen - ein Duplikat Ihres Gitarrensignals, nur viel leistungsfä- higer. Bei der Kette aus Vorstufenröhren denken Sie bitte an einen Flaschenzug. Das Signal wird nach und nach so aufbereitet, bis es kräftig genug ist, die großen Endstufenröh- ren anzusteuern. „Aber was ist jetzt mit dem Class A“, wer- den Sie sich fragen, „wenn bei Class A immer Strom fließt, warum hör ich dann nichts wenn ich nicht spiele?“ Gute Frage. Und hier Abbildung 8 zeigt einen kompletten, aber sehr vereinfachten Verstärker in linearer (sin- gle-ended) Konfiguration. Die Power Supply (Spannungsversorgung) besteht aus einem die Antwort: Im Leer- Transformator, der die Netzspannung von 230 Volt auf etwa 450 Volt hochtransformiert, lauf, wenn Sie also einem Gleichrichter, der aus der Wechselspannung Gleichspannung macht und einem Kondensator, der diese Gleichspannung glättet und als Reservoir (wie einen Stausee) nichts spielen, fließt dient. Strom fließt aus dieser Power Supply durch die Endröhre, den Ausgangsüberträger (Output Transformer) und den Kathodenwiderstand. Die Schwankungen dieses Stroms reiner Gleichstrom (nämlich das Signal) werden vom Ausgangsübertrager, in für Lautsprechern verwertbare Leistung transformiert. Der Vorverstärker sorgt dafür, dass das schwache Gitarrensignal durch die primäre genügend verstärkt wird, um als Steuersignal für die Endröhre zu dienen. Wicklung des Aus- gangsübertragers. Ein Transformator kann aber nur Wechselstrom umsetzen. Anders ausgedrückt: Nur die Wechselstromkomponente in der primären Wicklung kann im Eisenkern des Transformators ein magne- tisches Feld erzeugen, welches die sekundäre Wicklung wieder in Strom umsetzen kann. Ein konstanter (Gleich-) Strom durch die primäre Wicklung erzeugt bei der sekundären (Lautsprecher-) Wicklung rein gar nichts. Schauen Sie sich das Bild noch mal an: Sie haben dieses riesige Gleichstrom-Reservoir, an welches die Endröhre und der Über- trager angeschlossen sind. Es fließt ein konstanter Strom, aber die Endröhre funktioniert wie ein Hahn, der 440 mal in der Sekunde 18 Class A - Entmystifiziert & Erklärt
periodisch ein „bisschen mehr auf“ und dann ein „bisschen mehr zu“ macht. Oder „viel mehr auf“ und dann „viel mehr zu“ für laute Töne, immer noch 440 mal pro Sekunde. Der Strom der durch die primäre Wicklung des Ausgangsübertragers fließt, un- terliegt also einer Schwankung von 440 Hz. Diese Schwankung überträgt er als Lautsprecher-Signal in die sekundäre Wicklung, und zwar nur die Schwankung, ohne die Hochspannungskomponente. Der Ausgangsübertrager zwi- Auch das ist Verstärkung. Diesmal schen Ihren Endstufenröhren ist es Strom-Verstärkung (viel Am- und Lautsprechern transformiert pere, relativ wenig Volt) und dies- nicht nur die verschiedenen Im- mal ist es Transformator-entkoppelt, pedanzen von Röhren und Spea- im Gegensatz zu der Entkopplung ker, er hält auch den Gleichstrom in der Vorstufe, die für gewöhnlich von Ihren Lautsprechern fern. von Kondensatoren gemacht wird. Der Ausgangsübertrager hat also drei wichtige Aufgaben: 1). Die Impedanz Anpassung von hochohmig/hoch“voltig“/nieder“amperig“ an der Anodewicklung zu niederohmig/nieder“voltig“/hoch“amperig“ an der Lautsprecherwicklung. 2). In Gegentakt-Endstufen sorgt er für die Umwandlung des push-pull-Signals in ein single en- ded Signal. 3). Er hält die (lebensgefährliche) Hochspannung vom (von außen zugänglichen) Lautsprecheranschluss fern. Aber wichtiger noch: Der Ausgangsübertrager ist ein entscheidender Teil der klanglichen Identität eines Verstärkers. Einer der ersten Transformatorpioniere, mit dem ich das Glück hatte zusammen- zuarbeiten, war ein uralter Mann, der mir lehrte: „Sohn, Aus- gangsübertrager sind nur zur Hälfte Wissenschaft und zur ande- ren Hälfte schwarze Magie. Aber die schwarze Magie-Hälfte ist was zählt.“ Wie wahr! LEERLAUFSTROM D ie Operationsklassen wirken sich nicht nur auf die Verstär- kung aus, auch der Leerlauf ist davon betroffen. Sehen wir uns Class B mal an, weil es so einfach und plakativ ist. In Class B ist der Bias so eingestellt, dass kein Strom fließt wenn kein Class A - Entmystifiziert & Erklärt 19
Signal anliegt. Es wird keine Power verbraucht und keine Hit- ze generiert. (Denken Sie an „null Umdrehungen pro Minute“ beim „Leerlauf“ Ihres Autos). Dann aber, wenn ein Signal auf das Gitter trifft, wird die Röhre von den positiven Halbwellen ange- schaltet, sie fängt an Strom zu leiten, direkt vom Netzteil in den „Last“ (load - für gewöhnlich eine Sende-Antenne) und es findet dabei eine sehr effektive Stromverstärkung statt. Ein bisschen wie ein elektrisches Golfmobil oder neuere Elektroautos. Der Motor hört auf zu drehen wenn der Wagen steht. Wenn Sie fahren wol- len, startet der Motor sofort wieder. Der Bereich ist von „Ausge- schaltet“ bis „volle Kraft“. Aber zum Fahren muss man zuerst Gas geben damit Strom fließen kann. Und dann gibt es Class AB. Dabei dreht der Motor auch in Leerlauf, wenn Sie anhalten, aber nur ganz langsam (ein wenig Strom fließt) und nur mit wenig Kraft. Sie könnten die Kupp- lung kommen lassen und ganz langsam herumfahren ohne Gas zu geben, aber zum richtigen Fahren (laute Töne) müssen Sie das Gaspedal durchtreten. Dabei geht der Motor dann automatisch in Class B. In vielerlei Hinsicht ist Class AB für Audio das Beste von beidem und es ist wie der 6L6 Lone Star, die Rectos, Stilet- tos und den meisten Fenders und Marshalls arbeiten. Sein hoher Wirkungsgrad macht es zum Inbegriff von Power für gute, cleane Audio. Und dann gibt es die gute alte Class A. In eine single-en- ded, reine Class A Schaltung fließt der Strom zu etwa 50%, auch wenn gar kein Signal anliegt. Wenn dann ein Signal am Gitter eintrifft, fluktuiert der Strom vielleicht zwischen 60% und 40% des Maximums. Ein lauteres Signal bewirkt eine Schwankung von - sagen wir - 80% bis 20%. Und volle Power bewirkt ein Stromfluss zwischen 100% und 0% beim A-440 Ton oder wel- cher Frequenz auch immer am Eingang anliegt... Beachten Sie, dass der Stromfluss bei einem echten Class A Amp immer um die Mittellinie 50% schwankt, die als Leerlauf- strom gilt. Das bedeutet auch, dass es keine „netto“-Zunahme im Stromfluss gibt, wie bei Class B oder AB, egal wie laut Sie spielen. Bei einer single-ended Konfiguration sind die Abnahmen und Zunahmen des Stromflusses gleich, gegengesetzt und momentan 20 Class A - Entmystifiziert & Erklärt
(im „Rhythmus“ der Ton-Frequenz) um diese 50% Mittenlinie. Im einen Moment fließt mehr Strom, im Nächsten um genau so viel weniger. Über eine bestimmte Zeitdauer genommen, bleibt er konstant. In einem reinen Class A Push-Pull Amp fließt im Leer- lauf 100% des maximal möglichen Stroms, 50% von jeder Sei- te. Wenn ein Eingangssignal den Strom in der „Push“ Röhre von 50% auf 70% anhebt, fällt er in der „Pull“ Röhre von 50% auf 30% ab. Die zwei Signalhälften ergänzen den Stromfluss abwechselnd gegensätzlich, so dass als Gesamtstrom immer 100% fließen. (Nicht alle Class A Verstärker die sich so nennen, arbeiten perfekt nach diesem Prinzip, auch wenn sie in die Sättigung gehen, aber der Lonestar Special tut es. Man kann den gesamten Anodenstrom messen und dieser ändert sich nicht - egal welches Eingangssignal anliegt.) Denken Sie daran, dass nur die Schwankungen in den zwei Anodenströmen vom Ausgangsübertrager zum Speaker weitergegeben werden. DISSIPATION B emerken Sie, dass im Class A Beispiel der Stromfluss immer um die 50%-Leerlauf-Mittellinie zentriert ist. Das nennt man: „Gebiased um die Mitte des linearen Bereiches“. Und das ist entscheidend für wenig Verzerrung. Die anderen Betriebsklassen, Class B und Class AB sind bestimmt nicht mal annähernd um diese Mitte des linearen Bereiches gebiased, und deshalb können sie „kühler“ arbeiten und mehr Power produzieren. Können Sie sich noch an vorhin, an den großen Nachteil von Class A erinnern, dass sie so heiß und ineffizient ist? Hier kommt ein neuer Begriff für Sie: Dissipation (Verschwendung, Ausschweifung - und wir reden hier nicht von der Lebensweise eines Keith Richards). Dissipation ist verschwendete Power, die von der Röhre in Hitze umgewandelt wird. Um die Analogie zum Auto nochmals zu bemühen: Class A ist wie ein Auto, dessen Mo- Class A - Entmystifiziert & Erklärt 21
tor ständig bei vollen Umdrehungen läuft, mit getretener Bremse und schleifender Kupplung. Die ganze Power verpufft einfach und wird in Hitze umgesetzt. Um eine brauchbare Wirkung (fa- hren) zu erhalten, müssen Sie Bremse und Kupplung etwas lo- ckern, und das Auto setzt sich in Bewegung. Dann erst geht ein Teil der Power in die Bewegung, während noch immer viel Power in der schleifenden Bremse und Kupplung verschwendet (dissi- pated) wird. Für größere Geschwindigkeit lockern Sie die Bremse noch etwas mehr und für die volle Ausnutzung der Power (und die volle Geschwindigkeit) las- sen Sie die Bremse und die Kupplung ganz raus. Jetzt wird fast alle Power für das Fahren genutzt und die Dis- sipation ist gering. Aber Sie können ja nicht andauernd volle Kanne fahren, und so ist es auch beim Class A: die höchstdynamische Natur der Musik impliziert, dass die meiste Zeit die Bremse getreten sein wird, nur ab und zu wird sie für die dynamischen Spitzen ganz gelockert, und dann kommt die Power auch tatsäch- lich voll beim Lautsprecher an. Nochmals zum Mitschreiben: Class A Verstärker, Single- Ended oder Push-Pull leiden an maximale Dissipation im Leer- lauf. Die ganze Power der gleichgerichteten Netzspannung ver- schwindet durch die Röhren und wird zur Hitze. Nur wenn diese Power fluktuiert (z.B. mit 440 Hz) wird ein Teil davon umgesetzt in Klang aus den Speakern. Nur dieser Teil wird nicht in Hitze umgesetzt. Trotzdem ist der Verlustwert einer Röhre das, was ihre Leistung stärker eingrenzt als die nützliche Power, die sie abgeben kann. Wie bei der Kupplung des Autos ist es das Schleifen, das die Hitze verursacht und die Power damit zunichte macht, nicht die Bewegungs-Power wenn die Kupplung voll greift. Lange bevor Class A Power - im retro-vintage Sinne die wir alle lieben - sexy wurde, gab es nur eine Richtung in der Ent- 22 Class A - Entmystifiziert & Erklärt
wicklung der Verstärkertechnik, und die war: Mehr Power und höherer Wirkungsgrad. Es gab (noch) keinen geheimnisvollen Nimbus, der Class A umgab, sondern man war sich seiner Unzu- länglichkeiten durchaus bewusst, und es herrschte das Bestreben nach mehr sauberer Leistung und weniger Hitze. Andere Röhren-Betriebsarten wurden dazu entwickelt ge- nau das zu tun. Class B und Class C sind beide hocheffizient und ziemlich kühl laufend. Sie arbeiten großartig in Radiosendern, wo gewal- Die Power, die durch die Endröh- tige Mengen Power benötigt werden. ren fließt und den Speaker antreibt Diese Betriebsarten sind derart gebi- geht NICHT als Hitze verloren. ast, dass im Leerlauf so gut wie kein Trotzdem ist der Verlustwert ei- Strom fließt, und der ganze Strom der durch die Röhre fließt in sinnvolle, ner Röhre das, was ihre Leistung brauchbare Ausgangsleistung umge- stärker eingrenzt als die nütz- setzt wird. liche Power, die sie abgeben kann. Leider sind diese „Classes“ un- geeignet für Audio: Es gibt zu viele Verzerrungen durch das ständige An- und Abschalten der Röhren. Und so entwickelten die Designer in den späten 30-er Jahren eine spannende neue Konfiguration, die sowohl die Verzerrung von Class B als auch den Hitzeverlust von Class A überwinden konnte. Es ist die schon erwähnte „push- pull“ Konfiguration, und mit ihr wird der Class AB Betrieb mög- lich, mit hoher Effizienz und geringen Verzerrungen. CLASS AB H ier arbeiten „Class“ und „Konfiguration“ wirklich Hand in Hand zu ihrem gegenseitigen Vorteil. Die push-pull Konfiguration mit ihrer symmetrischen Wirkungsweise ermögli- cht auch Class AB, und wie geil ist das! Und zwar aus folgenden Gründen: Wir haben erklärt, dass ein Pärchen push-pull Röh- ren in Class A so eingestellt werden muss, dass es im Leerlauf pro Röhre zu 50% leitet (so dass Audio-Leistung und Verlust- Leistung gleich wichtig sind). Und wir erwähnten Class B, wo die Röhren so eingestellt sind, dass sie im Leerlauf „zu“ machen, und beim auf- und zumachen viel Verzerrung erzeugen. Was Class AB jetzt macht; Sie „schliesst“ die Lücke in der Class A - Entmystifiziert & Erklärt 23
Übergangsphase des Class B push-pull Betriebsmodus, indem die Röhren solchermaßen gebiast werden, dass sie nicht ganz „zu“ machen: Etwas Strom fließt auch im Leerlauf und beim Wechsel von der einen auf die andere Seite des push-pulls. Vorhin hatten wir die Analogie zu ein paar Dusch-Wasser- hähnen mit separaten Heiß- und Kalt-Wasserhahn hinzugezogen, um zu erklären wie push-pull funktioniert. Stellen Sie sich jetzt vor, dass Sie beide Hähne mit einem Stab verbinden, so dass beide drehen, wenn Sie den Stab bewegen. Nehmen wir mal an, dass eine Links-Bewegung des Stabs „Heiß“ aufdreht und „Kalt“ zudreht. Eine Rechts-Bewegung macht genau das Gegenteil. Bei Class B wäre es so, dass in der Mittenstellung des Stabs überhaupt kein Wasser fließen würde. Eine kleine Bewegung nach links würde „Heiß“ aufdrehen, aber „Kalt“ auslassen - war ja schon zu. Beim Zurückdrehen nach rechts würde in der Mit- tenstellung das Wasser kurz zu fließen aufhören (Leerlaufstellung) und dann würde „Kalt“ anfangen zu laufen. Die „tote“ Mitten- stellung verkörpert die Class B-typische Übernahme-Verzerrung. Für Class A müssen wir beide Hähne halbwegs aufdrehen, bevor wir sie verbinden. Wenn wir den Stab dann nach links oder rechts bewegen, ändert das im gesamt-Wasserfluss nur wenig, nur die Mischung ändert sich, nach links wird‘s wärmer, nach rechts kälter. Die Tatsache, dass nun das Wasser immer fließt und nicht abgestellt werden kann, repräsentiert die typische Dissipation von Class A. Für Class AB müssten Sie die beiden Wasserhähne nur so- weit aufdrehen, dass sie gerade ziemlich stark tropfen. Zusammenge- nommen verrinnt also ständig ein wenig lau- warmes Wasser. Nach dem Montieren des Das könnten Sie ausprobieren, aber nur falls Sie gegenläufige Was- Stabs verursacht eine serhähne haben 24 Class A - Entmystifiziert & Erklärt
kleine Links-oder Rechts-Bewegung eine dramatische Zunahme des Wasserflusses - entweder warm oder kalt fließt jetzt in Strö- men; viel stärker als das „Leerlauf“-Träufeln. Und genau das ist der Vorzug von Class AB: Im Leerlauf geht nur wenig Wasser verloren, aber bei Bewegungen ist die Wirkung doch sehr beein- druckend. Elektronisch gesehen, ist Class AB push-pull wie zwei sym- metrisch eingestellte Verstärker, die ihr gegenseitiges Spiegelbild darstellen. Im Leerlauf leiten Sie den Strom zu etwa 10% bis 30% - je nach Bias-Einstellung. Aber weil sie näher an OFF als an ON gebiast sind, laufen sie noch ziemlich kühl. Sie haben auch das Potenzial viel mehr „auf“ zu machen als „zu“ (sie sind ja im Leer- lauf schon fast zu...). Für kleine Signale mit geringer Amplitude arbeiten sie genau wie ein Class A Verstärker. Sie modulieren le- diglich den Leerlauf-Strom, ohne dass eine Röhre ganz zu- oder besonders weit aufmachen müsste. Wenn Sie aber lauter spielen, kommt die Asymmetrie der Class B zum tragen. Abwechselnd macht eine Seite weit auf, wäh- rend die andere Seite zumacht, so dass einmal die eine Seite im leitenden Bereich kommt, dann wieder die andere. In dem Mo- ment, als die eine Seite ganz „dicht“ macht, ist die andere Seite schon lange im linearen Bereich angelangt und verhindert da- durch die „Cut-off“ Verzerrungen. Indem in dieser Class A Zone der gering-amplitudigen Signale die Push- und die Pull-Hälfte einander überlappen, gibt es keinen „toten Punkt“ in der Mit- te, und die Übernahme ist fließend. Und die Reduzierung der Verlust-Hitze (Dissipation) ist enorm. Abbildung 9A zeigt das Aus- gangssignal einer Class A Endstufe, bei der maximal möglichen Lautstärke eines cleanen Signals. Die Schaltung ist so eingestellt, dass die Mitte des linearen Bereichs der „Signal-Null-Linie“ ent- spricht. Das Signal schwankt zwischen 0% und 100%, oder - von der Mittel- linie aus gesehen - zwischen -50% und + 50%. Es bedeutet, dass die Röhre im Class A - Entmystifiziert & Erklärt 25
Leerlauf 50% ihres maximal möglichen Strom leitet, und ganz schön heiß wird. In 9B zeigen wir den gleichen Verstärker, wenn er in Über- steuerung getrieben wird. Das Ein- gangssignal möchte, dass die End- stufenröhre mehr als 100% (und weniger als 0%) gibt, aber das geht nicht, also werden die Spitzen abge- schnitten. Die gestrichelten Linien zeigen den abgeschnitten Teil des Signals. Das Signal ist immer noch symmetrisch, um die 50% Mittelli- nie gebiast. In Abb. 9C sehen Sie die gleiche Röhre, diesmal weit aus der Mitte des linearen Bereichs gebiast. Sie kann immer noch die gleiche Signal-Amplitude bewälti- gen, aber die assymetrie der Bias- Einstellung bei 10% sorgt dafür, dass die negative Signalhälften nur 10% „Platz“ haben und bei 0% abgeschnitten werden, während die positive Hälften 90% Raum zur Entfaltung haben. Das Ergeb- nis ist eindeutig nicht gut für sau- beren Audio! Wenn wir aber eine zweite Röhre als Spiegelbild einsetzen, und also push-pull fahren, dann können wir die Signalformen kombinieren, wie in Abb. 9D zu sehen ist. Die Bias-Einstellung auf 10% schafft ein Class A Bereich 26 Class A - Entmystifiziert & Erklärt
für niedrige Amplituden zwischen 0% und +/- 10%, in dem bei- de Röhren arbeiten. Darüber hinaus macht immer eine der bei- den Röhren zu, und überlässt die Signalverstärkung der anderen Röhre. Das natürlich wieder mit eine Frequenz von z.B. 440 Hz. Und da liegt nun der große Vorteil, wenn Sie mir noch folgen können. Weil wir den Leerlauf-Strom verringert haben, indem wir den Bias weit von der Mitte des linearen Kennlinien- bereichs eingestellt haben, können wir jetzt die Spannung wesent- lich erhöhen und die Verlustleistung trotzdem unter den Wert halten, wie sie bei Class A wäre. Und wenn die Spannung der Röhren steigt, steigt damit auch die cleane Leistung des Verstär- kers ganz wesentlich. Abbildung 11 zeigt das vereinfachte Schaltbild eines Push-Pull-Verstärkers. Vergleichen Sie die Widerstands- werte in der Vorstufe (preamp) und die der Phasenumkehrstufe (phase splitter). In der Vorstufe sorgt das Verhältnis von etwa 1 kOhm Kathode zu 100 kOhm Anodenwiderstand für einen theoretischen Verstär- kungfaktor von 100, während in der Phasenumkehrstufe die Anode- und Kathodewiderstände gleich sind, und es da auch keine Verstärkung gibt. Die zwei Signale, die von der Kathode und von der Anode abgegriffen werden haben also die gleiche Amplitude wie das Eingangssignal am Gitter, sind jedoch zueinander in Ge- genphase und dazu da, die Endstufenröhren anzusteuern. Deren Anoden werden durch den Ausgangsüber- trager mit hoher Gleichspannung versorgt, während deren Gitter mit einer negativen Gleichspannung (Bias- Spannung) versorgt werden, die die Röhren so einstellt, dass sie assymetrisch verstärken und sich dadurch zum Class AB ergänzen. Die Wikungsweise ist wie sie in Abb. 9D dargestellt wurde. Bei Übersteuerung sieht das Ausgangssignal aus wie in Abb. 9B. Class A - Entmystifiziert & Erklärt 27
Sie können auch lesen