Corona und die Auswirkungen auf Menschen in Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit und auf das Hilfesystem* - BAG Wohnungslosenhilfe
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20 Praxis wohnungslos 1/21 Corona und die Auswirkungen auf Menschen in Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit und auf das Hilfesystem* Eine Online-Erhebung der BAG Wohnungslosenhilfe Werena Rosenke, Sarah Lotties Anfang März 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie in 7. Junge Menschen in Jugendhilfeeinrichtungen sollten jetzt Deutschland, wurde schnell klar: Bei allen Maßnahmen und keinesfalls mit dem Erreichen der Volljährigkeit diese Ein- Verordnungen von Bund, Ländern und Kommunen waren richtungen verlassen müssen. wohnungslose Menschen und die Wohnungslosenhilfe kom- 8. Es bedarf gesetzlicher Regelungen zur Aussetzung von plett übersehen worden. Die Krise hat gezeigt, wie marginali- Zwangsräumungen aus Wohnraum. siert wohnungslose Menschen sind – und mit ihnen das Hilfe- 9. Es bedarf eines unbürokratischen und niedrigschwelligen system. Deswegen musste die Wohnungslosenhilfe zunächst Zugangs zum Bezug von Leistungen der Jobcenter und versuchen, sich Gehör zu verschaffen. der Agentur für Arbeit. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) 10. In die Erlasse der Länder und Kommunen zur Bestimmung ist der bundesweite Dachverband der Dienste und Einrich- kritischer Infrastrukturen müssen die Dienste und Einrich- tungen der Hilfen in Wohnungsnotfällen. In ihren Pressemit- tungen der Wohnungslosenhilfe aufgenommen werden. teilungen im März 20201 hat die BAG W verdeutlicht, dass Jetzt nach ziemlich genau einem Jahr kann festgestellt wer- soziale Distanz, bestimmte Hygienemaßnahmen und der den: Die Forderungen sind nach wie vor aktuell. Auch wenn weitestgehende Rückzug in die eigenen vier Wände mit den Kommunen Maßnahmen ergriffen haben, um die Belegungs- Lebensumständen wohnungsloser Menschen nicht vereinbar dichte in Notunterkünften zu reduzieren oder Corona-Tes- sind. tungen durchzuführen, ist dies längst nicht flächendeckend Um während des ersten Lockdowns im März 2020 einen ge- realisiert worden. naueren Überblick über die Situation in den Diensten und Ein- Dieses 10-Punkte-Programm war ein wichtiges Tool, um ge- richtungen der Hilfen im Wohnungsnotfall vor Ort zu gewin- genüber Politik und Öffentlichkeit die großen Herausforderun- nen, führte die BAG W kurzfristig eine erste E-Mail-Abfrage gen kommunizieren zu können, mit denen die Menschen in unter ihren Mitgliedern und Mitgliedseinrichtungen durch. Von Wohnungsnot und das Hilfesystem konfrontiert waren. März bis Mai 2020 konnten Rückmeldungen und mehrmalige Waren zu Beginn der Pandemie Einrichtungen und Angebote Updates zur aktuellen Situation der Hilfesuchenden und zu zeitweilig ganz heruntergefahren worden, wurde in den fol- den Arbeitsbedingungen von Diensten und Einrichtungen aus genden Monaten fast alles wieder angefahren, häufig unter über 70 Kommunen und Landkreisen, inkl. der Stadtstaaten Rückgriff auf erfindungsreiche Provisorien. Nicht nur die Schil- Berlin und Hamburg, verzeichnet werden.2 U. a. auf dieser derungen der KollegInnen in den Fachgremien der BAG W Grundlage und dem kontinuierlichen Austausch in den Fach- belegten dies; eine Momentaufnahme waren auch die vielen gremien veröffentlichte die BAG W am 3. April die Forderung Spendenanträge, die die Geschäftsstelle der BAG W im Mai nach einem 10-Punkte-Sofortprogramm: und Juni 2020 erreichten, als es um die Vergabe von Sach- 1. Die Belegungsdichte in ordnungsrechtlicher Unterbringung und Geldspenden an die Wohnungslosenhilfe ging.3 der Kommunen und sonstigen Notunterkünften muss um- Unter Einschränkungen und z. T. improvisierend hatten sich gehend reduziert werden. die Dienste und Einrichtungen der freien Träger der Woh- 2. Um Quarantänemaßnahmen für wohnungslose Menschen nungslosenhilfe in einer sogenannten „neuen Normalität“ or- sicherzustellen, müssen von den Kommunen abgeschlos- ganisiert. sene Wohneinheiten in ausreichender Zahl vorgehalten Ende Oktober/Anfang November 2020 – mit Beginn der werden. zweiten Corona-Welle und der kalten Jahreszeit – geriet 3. Die basale Versorgung der Menschen, die ganz ohne Un- aber selbst diese prekäre und provisorische Normalität unter terkunft auf der Straße leben, mit Aufenthaltsmöglichkei- Druck. ten während des Tages, Mahlzeiten, Kleidung, sanitären Um ein aktuelles Bild der Lage zeichnen und genauere Aus- Anlagen, Händehygiene etc. muss abgesichert sein. sagen treffen zu können, hat die BAG W kurz vor Verhängung 4. Die medizinische Versorgung der wohnungslosen Patien- des zweiten Lockdowns und zu Beginn des Winters eine Onli- tinnen und Patienten muss gewährleistet werden. ne-Erhebung durchgeführt. 5. Den wohnungslosen Menschen in ordnungsrechtlichen Am 30. Oktober 2020 wurde der Erhebungsbogen an ca. Unterkünften der Kommunen, in stationären Einrichtun- 1.500 Dienste und Einrichtungen (weit überwiegend der freien gen und anderen Unterkunftsangeboten freier Träger der Träger der Wohnungslosenhilfe) verschickt. Bis Mitte Novem- Wohnungsnotfallhilfe sowie den Mitarbeitenden dieser ber 2020 lag der Rücklauf bei knapp 500 Erhebungsbögen, Dienste und Einrichtungen müssen regelmäßige COVID- mit Angaben zu knapp 1.600 Diensten und Einrichtungen aus 19-Testungen ermöglicht werden, um die Infektionsgefahr mindestens 15 Bundesländern.4 in diesen Gemeinschaftseinrichtungen einzudämmen. Um sicherzustellen, dass der Rücklauf der Online-Erhebung 6. Für besonders vulnerable Gruppen von wohnungslosen die Hilfelandschaft abbildet, wurde ein Abgleich der Angebots- Menschen müssen abgeschlossene Wohneinheiten vor- typen, für die in der Umfrage Aussagen getroffen worden gehalten werden, um sie besser schützen zu können. sind, mit deren Verteilung im BAG W-Online-Adressportal * Vorabdruck: der Beitrag erscheint in Heft 6/2021 der Zeitschrift „Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge“ (NDV).
wohnungslos 1/21 Praxis 21 „WO+WIE“ vorgenommen. Das Online-Portal „Wo+Wie“ ist sagt allerdings noch nichts darüber aus, ob dieses Arbeiten das „Verzeichnis der sozialen Dienste und Einrichtungen für in Übereinstimmung mit den geltenden Corona-Maßnahmen wohnungslose Personen in der Bundesrepublik Deutschland“, stattfinden. das von der BAG W seit den 1950er Jahren kontinuierlich auf- Auch gaben über 70 % der Fachberatungsstellen an, ihr An- gebaut und gepflegt wird. Stand 2020 enthält es knapp 1.400 gebot nicht eingeschränkt zu haben. Aus diesen Werten geht Angebots-/Einrichtungseinträge. Es verschafft damit einen aber noch nicht hervor, unter welchen Bedingungen und mit umfassenden Überblick über bestehende Hilfeangebote für welchen Maßnahmen und Opfern dies bewerkstelligt worden Menschen in Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit, bildet die ist. Weiter unten werden diese Fragen ausführlicher geklärt. bestehende Hilfelandschaft ab und ist damit auch ein Refe- Im Anschluss daran fragten wir: renzrahmen für die hier behandelte Online-Erhebung. Ein Abgleich der Angebotstypen, für die in der Umfrage Aus- „Gibt es pandemiebedingt einen Anstieg von Hilfe- sagen getroffen wurden, mit der Verteilung im BAG W-Online- suchenden?“ Adress-Portal „Wo + Wie“ ergab, dass der Anteil von ambulan- Die Hälfte der Angebote sieht die Zahl der Hilfesuchenden ten Beratungsstellen, Tagesaufenthalten, Straßensozialarbeit gleichgeblieben, aber fast ein Drittel sieht eine gestiegene und Gesundheitshilfen mit kleinen Abweichungen nach oben Nachfrage – und dies in einer Situation, bei der mehr als ein oder unten ihrem Anteil an den Einrichtungen im „Wo+Wie“ Drittel der Angebote eingeschränkt oder zeitweise geschlos- entspricht. Stationäre Angebote und Wohnhilfen sind im Ver- senen sind. gleich zum „Wo+Wie“ etwas unterrepräsentiert. Präventive Auf unsere Frage: Hilfen, Notunterkünfte und ordnungsrechtliche Unterkünfte sind an der Umfrage in größerem Umfang als im „Wo+Wie“ „Mussten KlientInnen abgewiesen werden?“ beteiligt gewesen. antworteten 71 % mit „nein“, aber 29 % der Angebote müssen Zunächst wurde gefragt: das Bejahen – und das in einem Hilfesystem, das Menschen in existenziellen Notlagen basale Hilfen anbietet. „Können Sie Ihr Angebot / Ihre Angebote aufrecht- erhalten?“ Entwicklung von Schutz- und Hygienekonzepten Bei allen Einrichtungen, die antworteten, mussten lediglich Unsere nächste Frage nach der Entwicklung von Schutz- und 5 % der Angebote eingestellt / geschlossen werden. 64 %Hygienekonzepten in den Angeboten zeigt: Alles ist in Bewe- der Angebote arbeiten uneingeschränkt. 31 % arbeiten ein- gung. Rund zwei Drittel der Einrichtungen geben an, für ihre geschränkt. Angebote ein spezielles Konzept entwickelt zu haben, das Knapp zwei Drittel der Angebote arbeiten regulär, aber im- sich in laufender Überarbeitung befindet. Weitere 13 % muss- merhin mehr als ein Drittel der Angebote, die Hilfen für Men- ten ihr zuvor entwickeltes Konzept für den Winter anpassen. schen in existentiellen Notlagen bereit halten, müssen diese 23 % können ihr zuvor entwickeltes Konzept auch im Winter Angebote ganz oder teilweise einschränken. unverändert fortführen. Lediglich 2 % der Einrichtungen ge- Schaut man jetzt darauf, welche Angebote besonders tangiert ben an, nie ein spezielles Konzept entwickelt zu haben. sind (siehe Abbildung 1), dann ergibt sich folgendes Bild: Be- Einen großen Raum nehmen zusammengefasst Schutzmaß- sonders von Einschränkungen betroffen sind Angebote im nahmen ein: Coronaspezifische Einlassregeln, Hygienekon- niedrigschwelligen Bereich wie Tagesaufenthalte, Gesund- zepte und bauliche Maßnahmen. Aus den freien Rückmel- heitshilfen und Streetwork, die basale Hilfen anbieten. Stark dungen, in Abbildung 2 subsumiert unter „Anderes“, lassen beeinträchtigt sind auch Hilfen zur Arbeit sowie präventive sich weitere Maßnahmen den Hygienekonzepten zuordnen, Hilfen. so dass deutlich mehr als 25 % der Konzeptbestandteile sich Dass Angebote im Bereich Notunterkunft und ordnungsrecht- darauf beziehen. Als weitere Maßnahmen werden unter „An- liche Unterkunft im Vergleich zu den niedrigschwelligen An- deres“ genannt: telefonische Beratung, digitale Beratung, Ge- geboten deutlich häufiger aufrechterhalten werden können, spräche im Freien sowie Aufenthaltsbeschränkungen in Ta- gesaufenthalten. Ne- Abbildung 1: Auswertung zur Frage „Können Sie Ihr Angebot aufrecht erhalten“, ben Beschränkungen differenziert nach Angebotstypen des Angebots werden aber auch Auswei- tungen des Angebots durch zusätzliche Sprechzeiten genannt. Ein wichtiger Befund, der den Diensten und Einrichtungen der Woh- nungslosenhilfe von Be- ginn der Pandemie an große Sorgen bereitet: Regelmäßige Testun- gen finden so gut wie nicht statt.
22 Praxis wohnungslos 1/21 Abbildung 2: Konzeptbestandteile nach Häufigkeit Maßnahmen und der Anmietung zusätzlicher Räumlichkeiten, sind die Hilfeangebote weit überwiegend auf eige- ne Mittel bzw. Spenden angewiesen. Auch die fehlenden Einnahmen durch Minderauslastun- gen werden bislang nur zu 30 % durch die öffent- liche Hand finanziert. Personalengpässe Wir haben auch nach eventuellen Personal- engpässen gefragt. Bei 52 % der Einrichtun- Ein bedeutsames Thema, das häufig auch in der öffentlichen gen sind Personalengpässe aufgetreten: Zu 35 % bei den Diskussion angesprochen worden ist, ist die Reduzierung der festangestellten Mitarbeitenden, zu 17 % bei ehrenamtlich Belegungsdichte in den stationären Angeboten bzw. die Ent- Mitarbeitenden. Nur bei 26 % der Rückmeldungen wird le- zerrung in den ambulanten Angeboten. Nur bei knapp 2 % der diglich ein Grund für den Personalengpass genannt, bei der Angebote kann eine Reduzierung der Belegungsdichte durch großen Mehrheit kommen unterschiedliche Faktoren zusam- zusätzliche Anmietungen erreicht werden, stattdessen muss men. Auch nicht zu vernachlässigen sind die unter „Anderes“ eine geringere Auslastung hingenommen werden. genannten Gründe: „normaler Winterkrankenstand“, „zuvor Eine Folgefrage an diejenigen, die eine zusätzliche Anmie- schon unterbesetzt“, „normaler Fachkräftemangel“. Die Ver- tung umsetzen, zeigte zudem: Bei nur 56 % derjenigen, die teilung der genannten Gründe ist in Abbildung 4 zu sehen. zusätzliche Räumlichkeiten nutzen konnten, ist dies auch Wir erinnern uns: 64 % der Angebote haben angegeben, weiterhin gegeben. Bei 35 % besteht darüber Unklarheit, ihr Angebot nicht eingeschränkt zu haben, 32 % geben an, bei 7 % ist diese Option nicht mehr oder in Kürze nicht mehr dass die Zahl der Hilfesuchenden gestiegen ist – und dies vorhanden. Auch die räumliche Entzerrung in den ambulan- bei deutlichen Engpässen beim Personal. Hieraus lässt sich ten Angeboten gelingt zu einem nicht unerheblichen Teil nur zumindest ansatzweise erkennen, wie hoch die Belastung der durch die Reduzierung des Angebots oder durch zusätzliche Mitarbeitenden während der Pandemie ist. Die Arbeit findet Beratungszeiten. unter enormer Belastung statt. In Anbetracht der anstehenden kalten Jahreszeit und der sog. Finanzierung der angepassten Konzepte „zweiten Welle“ wollten wir weiterhin von den Teilnehmenden Wie steht es nun um die Finanzierung der neuen bzw. der an- der Umfrage wissen: gepassten Konzepte? Zu 70 % werden die notwendigen An- passungen und Maßnahmen durch die Träger der Einrichtun- „Hat Ihre Kommune für die zweite Welle und für die gen selbstfinanziert oder durch Spenden. Nur 30 % der Kos- anstehenden Winternotprogramme ausreichend ten werden durch die Kommunen oder das Bundesland oder vorgesorgt?“ durch die Leistungsträger finanziert. Abbildung 3 zeigt hierzu 21 % der Einrichtungen sagen „ja“, 39 % sagen „nein“ und die Verteilungen: Vor allem bei den elementaren Schutzmaß- 40 % wissen es nicht bzw. wissen nicht, was die Kommune nahmen, wie Anschaffung von Schutzutensilien, baulichen vor hat. In der Umfrage konnte die Einschätzung begründet werden. Eine negative Abbildung 3: Finanzierung der Konzepte Beurteilung wurde un- ter anderem mit diesen Statements untermau- ert:
wohnungslos 1/21 Praxis 23 Abbildung 4: Ursachen Personalengpässe terbringungen und in vielen kom- munalen Winternotprogrammen kein pandemiekonformes Kon- zept gibt. In vielen Antworten ist auch be- gründet worden, warum „weiß nicht“ angekreuzt wurde. Zusam- mengefasst lauten die Gründe: Keine Kommunikation mit der Kommune, keine Informationen oder keine Hinweise auf verän- derte Konzepte. Es wurde auch geäußert, dass seitens der Kom- mune Angebote bestehen, aber niemand weiß, ob diese ausrei- chen. Trotz aller Schwierigkeiten zeigen „Notübernachtung ist schwerer zu bekommen als vor Corona.“ die Antworten zur Frage „Kaum niedrigschwellige Unterbringungsmöglichkeiten, die dem Pandemieschutz entsprechen.“ „Wie schätzen Sie die Kooperation mit Behörden „Doppelzimmerbelegungen finden weiterhin statt.“ (Jobcenter, Gesundheitsamt, Kommune etc.) hin- „Übernachtung im Erfrierungsschutz ist nur für 3 Nächte sichtlich unbürokratischer und schneller Unterstüt- möglich.“ zung ein?“ „Notübernachtung auf 4 Plätze gedeckelt.“ eine Tendenz dazu, diese als eher gelingend einzuschätzen. „Obdachlosenunterkunft wurde Corona bedingt geschlossen.“ Diese Einschätzung ist wohl damit zu begründen, dass nicht „Eine Ausweitung der Notschlafplätze wurde bis jetzt nicht immer alle Kooperationen schwierig sind. Die Lage ist – so umgesetzt.“ scheint es – überall etwas anders: Ganz oft gibt es große „Engpass in der ordnungsrechtlichen Unterbringung.“ Schwierigkeiten mit dem Gesundheitsamt, aber die unbüro- „Schwierigkeiten der Unterbringung gerade von nichtdeut- kratische Kommunikation gelingt mit dem Jobcenter – oder schen Wohnungslosen.“ umgekehrt: Mal ist das eine Amt gut erreichbar, das andere „Geplante Maßnahmen, wie die Unterbringung von positiv ge- aber gar nicht. Auffällig häufig ist nach Einschätzung der Ein- testeten Personen außerhalb des Beherbergungsbetriebs/Pen- richtungen eine gute Kooperation nur auf den guten Willen sion wurden ohne Rücksprache über den Haufen geworfen.“ des Sachbearbeiters/ der Sachbearbeiterin im Amt zurückzu- „Keine ordnungsrechtliche Unterbringung in Einzelwohnun- führen bzw. auf den „guten Draht, den man hat“. gen, keine Möglichkeiten zur Quarantäne.“ Abschließend dazu fragten wir: „Keine Räumlichkeiten geschaffen für Notunterkunft, die wirklich pandemiegerecht ist.“ „Gibt es aus Ihrer Region konkrete Anzeichen, „Es gibt leider keinen klaren Ablaufplan. Wo können sich dass Angebote der Wohnungslosenhilfe mittelfris- KlientInnen schnell und niedrigschwellig testen lassen? Wie tig reduziert/ eingestellt werden?“ kann sich eine obdachlose Person in Isolation begeben? Diese Frage haben 15,5 % der Umfrageteilnehmenden mit Wie funktioniert die Rückverfolgung bei Menschen ohne fes- „ja“ beantwortet. In dem offenen Kommentarfeld dazu wurden ten Wohnsitz (kein Telefon)? Warum sind MitarbeiterInnen allerdings nur relativ wenig konkrete Hinweise dazu hinterlas- der Wohnungsnotfallhilfe nicht als systemrelevant gelistet?“ sen, dass Angebote in Folge der Pandemie auf längere Sicht „Keine explizite Winterhilfe“ reduziert oder eingestellt werden könnten. Vielmehr äußerte „Keine Quarantäne- bzw. Krankenunterkünfte für Wohnungs- sich darin die Befürchtung, dass pandemiebedingte Reduzie- lose.“ rungen oder Schließungen langfristig bestehen bleiben. Aber „Nicht genug Kapazitäten für Tagesaufenthalte.“ die Verunsicherung ist auch unter denen groß, die diese Fra- „Keine erweiterte Platzkapazitäten oder speziellen Hygiene- ge mit „nein“ (58 %) beantwortet haben: konzepte in ordnungsrechtlicher Unterkunft.“ „Einfrieren der Finanzierung auf dem aktuellen Stand [, was] „Die Stadt überschreitet die Personenenzahlen in den Not- ggf. zu einer Leistungskürzung führt.“ unterbringungen.“ „Für 2020 wurden Zusagen gemacht, dass es keine Kür- „Bedarf an Tagesaufenthalt ist weiter hoch, da in den beste- zungen im sozialen Bereich geben werde. Für 2021 sieht es henden Tagesaufenthalten immer nur begrenzt Menschen schon anders aus.“ für eine bestimmte Zeit eingelassen werden können.“ „Durch die Schließung anderer Einrichtungen wie z.B. Job- „Wieder Materialbeschaffung auf dem freien Markt.“ center ist der Zulauf in unserer Einrichtung gestiegen.“ Hier überwiegen die negativen Rückmeldungen zur ord- „Derzeit läuft erstmal alles weiter, wir können natürlich nie nungsrechtlichen Unterbringung und zu den Notunterkünften. einschätzen wie lange die Ehrenamtlichen weiter machen Aber: Die Bereiche „Notunterkünfte“ und „ordnungsrechtliche können oder wollen.“ Unterbringung“ haben bei der Frage nach der Aufrechter- „Es besteht nicht die Absicht Angebote einzustellen; zugleich haltung der Angebote ihre Bereiche als diejenigen mit den werden einige Angebote finanziell nicht auskömmlich finanziert.“ wenigsten Einschränkungen beschrieben. Daraus lässt sich „Da es überall Steuermindereinnahmen gibt, sind vor allem leider schließen, dass es in vielen ordnungsrechtlichen Un- Angebote aus der freiwilligen Finanzierung gefährdet.“
24 Praxis wohnungslos 1/21 Corona-Verstöße und Ahndung durch Ordnungs- Die gravierenden Mängel in der ordnungsrechtlichen Unter- behörden bringung und die finanzielle und personelle Unterausstattung Wir haben auch nach sog. Corona-Verstößen und deren Ahn- und fehlende Absicherung von niedrigschwelligen Angeboten dung durch Ordnungsbehörden gefragt. Aus fast allen Bun- wie Tagesaufenthalten und Streetwork sind lange bekannt. desländern wird rückgemeldet, dass gegen wohnungslose Diese Mängel müssen jetzt beseitigt werden: Menschen, die in der Öffentlichkeit gegen „Corona-Regeln“ Jede Kommune sollte ein Integriertes Notversorgungskon- verstoßen Ordnungsgelder in z. T. erheblicher Höhe verhängt zept entwickeln, denn Notversorgung umfasst nicht nur die werden, deren Vollzug auch z. T. stattfindet. ordnungsrechtliche Unterbringung, sondern ein Netz niedrig- Beendet wurde unsere Online-Erhebung mit der Frage da- schwelliger Angebote und Hilfen zur Daseinsvorsorge. nach, was den Einrichtungen darüber hinaus noch wichtig ist. Es sollte eine ordnungsrechtliche Unterbringung etabliert Das Spektrum der weiteren Themen ist breit: Von fehlenden werden, die in Bezug auf räumliche Ausstattung, Lage, Zu- ordnungsrechtlichen Standards, gefordertem Bürokratieab- gänglichkeit, Sicherheit, Hygiene und personelle Ausstattung bau oder Testungen, der erhöhten Arbeitsbelastung aufgrund die Menschenwürde wahrt, Privatsphäre ermöglicht und vor der Schließung anderer Einrichtungen, den psychosozialen allem eine möglichst große Durchlässigkeit zum allgemeinen Auswirkungen der Pandemie auf die Hilfesuchenden, den Fra- System sozialer Hilfen schafft und somit dazu beiträgt, Woh- gen der Umsetzung von Quarantäne bis hin zu dem Wunsch nungslosigkeit nachhaltig zu beenden. Neben den einzelnen nach mehr Spenden oder dem Appell, finanzielle Mehrbelas- Kommunen sollte sich auch die Konferenz der Arbeits- und tungen der Pandemie nicht auf Kosten von Wohnungslosen Sozialminister dieser Aufgabe annehmen und sich auf ver- abzusparen. bindliche und gute Standards in der ordnungsrechtlichen Un- terbringung verständigen. Ein erstes Fazit: Die medizinische Versorgung wohnungsloser Menschen ist Menschen in Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit und das immer fragil finanziert. Diese Schwäche wird in der Krise Hilfesystem wurden zu Beginn von Politik und Verwaltungen noch offenbarer. Die Projekte der medizinischen Versorgung vergessen und werden auch nach einem Jahr nicht ausrei- Wohnungsloser brauchen eine ausreichende finanzielle Ab- chend berücksichtigt. Das betrifft u.a. die unzureichende sicherung. Deswegen sollten sich die Gesetzliche Kranken- Einbeziehung der Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe in versicherung, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Corona-Test-Verordnung des Bundes, aber auch die gro- der Bund auf die Einrichtung eines Fonds auf Bundesebene ßen Defizite in der ordnungsrechtlichen Unterbringung vieler verständigen, der eine auskömmliche Finanzierung der Pro- Kommunen. jekte ermöglicht. Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe werden i.d.R. nicht als Nicht zuletzt hat die Krise (mal wieder) drastisch vor Augen systemrelevant eingeschätzt, sind es de facto aber, da sie geführt, wie unerlässlich es ist, wohnungslose Menschen mit u. a. Aufgaben von Ämtern, Jobcentern, anderen Hilfesekto- einer eigenen Wohnung zu versorgen. Die eigene Wohnung ren übernehmen, die ihre Angebote während der Pandemie ist der beste Schutz. Deswegen müssen die Anstrengungen drastisch zurückgefahren haben. Es hat sich erneut gezeigt: zur Verhinderung von Wohnungsverlusten durch gezielte Die Wohnungslosenhilfe ist das letzte Netz für die vulnera- Prävention und zur Akquirierung von Wohnungen für Woh- belsten Gruppen. nungslose verstärkt werden. Wohnungslosenhilfe muss als kritische Infrastruktur anerkannt und entsprechend ausgestattet werden. Es ist skandalös, Werena Rosenke, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsge- dass die Dienste und Einrichtungen die Schutzutensilien aus meinschaft Wohnungslosenhilfe e.V., Berlin Eigenmitteln oder Spenden anschaffen, dass Mitarbeitende Sarah Lotties, Fachreferentin, Bundesarbeitsgemeinschaft nicht auf gesicherte Kinderbetreuung zurückgreifen können, Wohnungslosenhilfe e.V., Berlin dass Testungen viel zu selten stattfinden. In der Krise zeigt sich auch, wie robust und unverzichtbar das 1 Vgl. BAG W: „Pressemitteilungen 2020“. Online abrufbar unter: Hilfesystem ist: https://www.bagw.de/de/presse/news.8240.html, zuletzt abgerufen am 24.02.2021. Der größte Teil der Angebote bleibt geöffnet; dies ist aber nur 2 Vgl. BAG W: „Umfrage: CORONA und Wohnungslosigkeit (Stand: möglich durch den besonders hohen Einsatz der Träger und 05.05.2020)“. Online abrufbar unter: https://www.bagw.de/de/themen/ der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Deshalb muss corona_wlh/corona_umfr.html, zuletzt abgerufen am 24.02.2021. die Finanzierung der Angebote auch in der Zukunft gesichert 3 Die BAG W erhielt mehrere größere Sach- und Geldspenden, um diese unbürokratisch und verlässlich an die Hilfesuchenden und an sein. Es darf keine Kürzungen bei zuwendungsfinanzierten die Dienste und Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe zu vertei- Angeboten geben. Die Kosten für die Minderauslastung von len (vgl. Pressemitteilung der BAG W vom 16.09.2020: „Wir sagen Diensten und Einrichtungen darf nicht auf die Träger abge- Danke!“. Online abrufbar unter: https://www.bagw.de/de/themen/co- wälzt werden. rona_wlh/corona_spenden.html, zuletzt abgerufen am 24.02.2021). Beantragt wurde Geld für: Schutzmasken, Lebensmittel, Lebensmit- Es gibt besonders krisenanfällige Strukturen in der Hilfear- telgutscheine, Spuckschutz, Gartenpavillons, um draußen vor der chitektur: ordnungsrechtliche Unterbringung, Notversorgung, Beratungsstelle Beratungsgespräche durchzuführen, Geld für kleine- Tagesaufenthalte und die gesundheitliche Versorgung. Gera- re Umbaumaßnahmen, um den Betrieb infektionssicherer aufrecht zu de hier ist besonders fatal, dass dies Strukturen sind, die die erhalten, für digitales Equipment für KlientInnen und Personal, Geld, um zusätzlich Räumlichkeiten anzumieten. basale Versorgung der wohnungslosen Menschen abdecken 4 Bei 147 Rückmeldungen (30 %) zogen die TeilnehmerInnen der Be- sollen: Dach über dem Kopf, Nahrung, Kleidung, Hygiene, fragung es vor, anonym zu bleiben. So bleibt unklar, ob es nicht auch medizinische Versorgung. Rückmeldungen aus Mecklenburg-Vorpommern gibt.
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