Corona: Welchen Einfluss hat das We er auf den Verlauf der Pandemie?
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Thunderbird about:blank?compose Corona: Welchen Einfluss hat das We er auf den Verlauf der Pandemie? - DER SPIEGEL 28.02.2021, 12.28 Uhr Berlin im Februar 2021: Menschen genießen am Landwehrkanal das We er Foto: Christophe Gateau / dpa Es war ein mäch*ger Temperatursprung, der Deutschland Mi e Februar erreichte. Während am zweiten Wochenende des Monats viele Menschen bei Schnee, Eis und Minusgraden rodelten oder Schli schuh liefen, lockte nicht einmal sieben Tage später frühlingsha2er Sonnenschein. Mancherorts s*egen die Temperaturen um mehr als 40 Grad Celsius innerhalb von sieben Tagen – ein Rekord. Aber wie wirkt es sich auf den Pandemieverlauf aus, wenn es plötzlich viele Menschen an Seen, Flüsse oder in die Parks zieht? Im Sommer 2020 war das Infek*onsgeschehen hierzulande auf einem niedrigen Stand, mancher feierte 1 von 7 01.03.2021, 10:53
Thunderbird about:blank?compose das als Erfolg von deutscher Disziplin und Weitsicht. Aber im Herbst s*egen die Fallzahlen wieder. Lag das vielleicht auch am We er? Generell ist die Frage schwer zu beantworten. Das Coronavirus verbreitet sich über die Lu2. Infizierte stoßen kleine Par*kel aus, wenn sie ausatmen oder niesen und husten. In den Tröpfchen, Experten sprechen von Aerosolpar*keln, befinden sich neben Wasser, Lipiden, Proteinen und Salz auch Viren. Wer sie einatmet, kann sich mit Sars-CoV-2 infizieren. Manche dieser Tröpfchen können Stunden bis Tage in der Lu2 schweben. Dieser Mechanismus ist auch von Umwelteinflüssen abhängig. Die Feuch*gkeit von manchen Tröpfchen verdunstet bei trockener Lu2 schneller und es bleiben leichte aber infek*öse Par*kel übrig, die länger durch die Lu2 fliegen, sta zu Boden zu sinken. Das Risiko steigt, dass sie jemand einatmet und sich ansteckt. Grundsätzlich verbessern sich damit bei niedrigen Temperaturen auch die Bedingungen für die Übertragbarkeit von Sars-CoV-2. Die Virushülle mit den Oberflächenproteinen wird stabiler, das Virus überlebt länger (mehr dazu lesen Sie hier). In der Tiefe aber ist der Einfluss des We ers bislang nicht ergründet, Forscher ha en bei dem Thema bisher abgewiegelt. Ja, einen Effekt gebe es, wenn Lu2feuch*gkeit, Temperatur oder UV-Strahlung sich verändern. Er sei aber vor allem bei kurzfris*gen We erschwankungen eher zu vernachlässigen. Die Virologin Melanie Brinkmann von der Technischen Universität Braunschweig verwies in einem SPIEGEL-Gespräch auf eine Studie, nach der der saisonale Effekt bei rund 20 Prozent liege. Andere Forscher geben ähnliche Werte an. Ein neuer Index für das We er Dimitris Drikakis und Talib Dbouk von der Universität von Nikosia auf Zypern glauben allerdings, dass die Rolle des We ers beim Verlauf der Corona- Pandemie bisher unterschätzt worden ist. In einer Studie, die im Fachmagazin »Physics of Fluids« erschien, haben die Wissenscha2ler ein interessantes Experiment gemacht. 2 von 7 01.03.2021, 10:53
Thunderbird about:blank?compose Zunächst schauten sie sich typische Modelle an, mit denen der Verlauf der Pandemie vorhergesagt wird. Mit dem sogenannten SIR-Modell (suscep*ble- infected-recovered-model) berechnen Epidemiologen, wie sich ansteckende Krankheiten in der Bevölkerung ausbreiten. Das Basismodell stützt sich laut der Forscher vor allem auf zwei Parameter: die Übertragungsrate einer Infek*onskrankheit und die Zeit, in der Menschen genesen. In dem SIR- Modell wird dafür jeweils ein konstanter Wert angenommen. »Tatsächlich sind diese Werte aber dynamisch«, sagte Drikakis dem SPIEGEL. Die Viruskonzentra*on wird durch die Temperatur, rela*ve Lu2feuch*gkeit und die Windgeschwindigkeit beeinflusst. Um das zu berücksich*gen, errechneten die Forscher einen variablen Wert, den sie AIR-Index (Airborne Infec*on Rate) nennen. Dafür griffen sie auf We erdaten zurück. Dieser AIR-Index floss nun in das Vorhersagemodell mit ein. Um ihn zu überprüfen, wendeten sie ihn auf die Städte Paris, New York und Rio de Janeiro an. Dabei zeigte sich Überraschendes: Sie konnten in jeder der drei Städte den Zeitraum bes*mmen, an dem sich die tatsächlich beobachtete zweite Welle abspielte, und sie mit den klima*schen Bedingungen erklären. Paris erlebte einen Ausbruch im Frühjahr. Über den Sommer gab es dagegen ein eher geringes Infek*onsgeschehen. Ähnlich war es in New York. In Rio, wo die Jahreszeiten aufgrund der Lage auf der Südhalbkugel anders ausfallen, kam es vor allem zu Ausbrüchen über die Zeit zwischen Juni und Oktober – dann sank die Zahl der Infizierten dort. Das Infek*onsgeschehen bei Sars-CoV-2 war also ähnlich, wie man es von typischen Atemwegserkrankungen kennt. Auch Influenzaviren sind bei niedrigen Temperaturen stabiler. Dazu kommt ein weiterer Effekt: Bei geringen Temperaturen halten sich die Menschen häufiger in Innenräumen auf und drehen die Heizung auf. Diese trockene Heizungslu2 wirkt sich nega*v auf die Schleimhäute der oberen Atemwege aus. Sie werden anfälliger für Infek*onen. Drikakis glaubt, dass die Saisonalität von Sars-CoV-2 stärker berücksich*gt 3 von 7 01.03.2021, 10:53
Thunderbird about:blank?compose werden sollte. Er geht aber noch von einer anderen Hypothese aus. »Zwei stärkere Ausbrüche pro Jahr lassen sich allein aufgrund der We ereinflüsse einfach nicht verhindern.« Sie seien gewissermaßen ein natürliches Phänomen. Aber darauf könne man sich einstellen und Einschränkungen wie Lockdowns langfris*g planen, wenn sie notwendig sein sollten und es noch keine ausreichenden Mi el zur Bekämpfung der Pandemie gebe. Sta dessen basierte das Standardmodell auf eher kurzfris*gen Vorhersagen, die We erveränderungen nicht einbeziehen würden. »Wir müssen mehr Physik in die Vorhersagemodelle bringen«, sagt er. Warnungen für Regionen mit hohem Risiko Trotzdem plädieren auch Drikakis und sein Kollege für die Einhaltung der Abstandsregeln und das Tragen von Masken. Zudem hält er Maßnahmen wie das Schließen von Geschä2en, Schulen oder Kulturstä en und weniger Reiserei sowie Kontakte zu Freunden für wirkungsvoll im Kampf gegen die Pandemie. Er kann zwar nicht sagen, wie hoch der Anteil des We ers für den Verlauf der Pandemie letztlich genau ist. Aber er ist sich sicher: Das Infek*onsgeschehen wird man nicht komple kontrollieren können, wenn die Umweltbedingungen es begüns*gen. Auch andere glauben, dass der Einfluss des We ers im Verlauf der Pandemie bisher unterschätzt wurde. Der Flugmediziner Roland Quast hält es sogar für möglich, dass Höhenlagen auf das Infek*onsgeschehen einen Einfluss haben könnten. In höher gelegenen Regionen sinkt die Temperatur, die Lu2 wird trockener. Der Direktor des Aeromedical Center Germany am Flughafen Stu gart wünscht sich, dass beispielsweise die We ervorhersage eine Hilfestellung bei der Bewäl*gung der Pandemie bietet. So könnten Warnungen für Regionen ausgesprochen werden, in denen das We er die Ausbreitung des Virus begüns*gt. Neben den Faktoren Temperatur und Lu2feuch*gkeit spielt auch UV- Strahlung eine Rolle, die ultraviole e Strahlung des Sonnenlichts. Eine Laborstudie ha e gezeigt, dass das Virus durch solche Strahlung an 4 von 7 01.03.2021, 10:53
Thunderbird about:blank?compose Infek*osität verliert. Sie war für die Untersuchung dem Sonnenlicht nachempfunden. Tatsächlich gibt es schon We ermodelle auf dem Markt, die Aussagen zu den Bedingungen für das Coronavirus machen. Das Schweizer Unternehmen Meteoma*cs bietet seinen Kunden weltweite We er-, Ozean-, Umwelt- und Klimadaten an. Es erstellt Vorhersagen für zahlreiche Medienunternehmen, beispielsweise auch für we er.de. Dort konnte man bereits im vergangenen Jahr eine Deutschlandkarte betrachten, die einen Zerfallsindex für das Virus an der frischen Lu2 anzeigt. In die Vorhersage fließen vor allem Angaben zur UV-Strahlung, aber auch Daten zu Temperatur und rela*ver Lu2feuch*gkeit ein. Regionen, in denen Viruspar*kel länger als 2,5 Stunden umherschwirren, bevor sie fast komple zerfallen, werden rot dargestellt. Auf Anfrage verweist Meteoma*cs auf entsprechende Studien, aus denen hervorgehen soll, wie die Modelle für die Karte generiert werden. Zugrunde liegen drei verschiedene Parameter, die den Zerfall des Virus abschätzen. Allerdings warnt das Unternehmen, dass dieser Zerfallsindex keine Leitlinie sein sollte, wenn es um die Verhinderung einer Ansteckung geht und keinesfalls als Handlungsempfehlung verstanden werden sollte. Ähnliche Warnungen sprachen Forscher in der Fachzeitschri2 »Nature« aus. Experimente im Labor mit UV-Licht könnten nicht ohne Weiteres auf das Verhalten des Virus im Freien übertragen werden. »Bei einer dri en Welle sind die Muta*onen aber viel höher zu gewichten als das We er.« Thorsten Lehr, Professor für Klinische Pharmazie von der Universität des Saarlandes Auch Thorsten Lehr von der Universität des Saarlandes glaubt, dass der Saisonalität beim Virusgeschehen eine wich*ge Rolle zukommt. Der Professor für Klinische Pharmazie modelliert mit seinem Team den Verlauf der Pandemie. Wie bei vielen anderen Kollegen basieren sein Vorhersagen auch auf dem SIR-Modell, das Drikakis und Dbouk modifiziert haben. »Das ist die 5 von 7 01.03.2021, 10:53
Thunderbird about:blank?compose Mu er aller Infek*onsmodelle«, sagt Lehr. Die Studie der beiden hält er für hochinteressant. Aber um zu einer besseren Aussage zu kommen, müsste man den AIR-Index noch auf mehr Städte oder Regionen anwenden als nur die drei Metropolen. Lehr hat mit seinem Team testweise auch schon mit We erdaten gearbeitet und sie in Modelle zum Infek*onsgeschehen einfließen lassen. Bei der Überprüfung mit dem tatsächlich erfassten Virusdaten zeigten sich aber nicht überall Übereins*mmungen. Das We er allein konnte in manchen Landkreisen nicht erklären, wie das Infek*onsgeschehen aussehen würde, es war nicht der entscheidende Faktor. »Corona kann sich trotzdem darüber hinwegsetzen«, glaubt Lehr. Auch er hält die Marke von 20 Prozent Einfluss für realis*sch – zumindest bei der zweiten Welle. »Bei einer dri en sind die Muta*onen aber viel höher zu gewichten«, sagt er. Generell sei es wünschenswert, We erdaten zukün2ig stärker zu berücksich*gen. Sie können ein Faktor sein, der den Verlauf der Pandemie bes*mmt. In die Corona-ForschungsplaRorm, eine Datenbank, in der im Au2rag des Bundesministeriums für Wirtscha2 und Energie alle möglichen Werte zur Pandemie gesammelt werden, sollen laut Lehr auch Angaben des Deutschen We erdienstes einfließen. Aber am Ende helfen die Erkenntnisse aus We erdaten nur wenig bei der Bewäl*gung der Pandemie. Selbst das Wissen, dass eine Welle bevorsteht und womöglich nicht verhindert werden kann, macht Maßnahmen zur Eindämmung nicht überflüssig. Das Szenario wird höchstens besser planbar. Wir wären im Idealfall auf ein steigendes Infek*onsgeschehen vorbereitet und würden nicht davon überrollt. Das gilt besonders für Bereiche wie Schulen oder Wirtscha2 oder Einzelhandel. Und sollten die Impfungen in der Bevölkerung bis in den Herbst keine ausreichend hohe Wirkung zeigen, wüssten wir schon jetzt, was auf uns zukäme. Immerhin erwarten Dimitris Drikakis und Talib Dbouk langfris*g mit wärmerem We er auch sinkende Infek*onszahlen. Das warme Wochenende 6 von 7 01.03.2021, 10:53
Thunderbird about:blank?compose im Februar mit Sonne und hohen Temperaturen tat uns also in doppelter Hinsicht gut. Zumindest, wenn es keine Superspreading-Events gab. 7 von 7 01.03.2021, 10:53
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