Coronakrise, Demografie und Klimawandel - Langfristperspektiven für die öffentlichen Finanzen in der Schweiz 2021 - Der Bundesrat admin.ch

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Coronakrise, Demografie und Klimawandel - Langfristperspektiven für die öffentlichen Finanzen in der Schweiz 2021 - Der Bundesrat admin.ch
November 2021   |   www.efv.admin.ch

Langfristperspektiven für die öffentlichen
Finanzen in der Schweiz 2021

Coronakrise, Demografie und Klimawandel
Coronakrise, Demografie und Klimawandel - Langfristperspektiven für die öffentlichen Finanzen in der Schweiz 2021 - Der Bundesrat admin.ch
Impressum

Herausgeber Eidgenössisches Finanzdepartement EFD
            Bundesgasse 3
            CH-3003 Bern

E-Mail       info@efd.admin.ch
Internet     www.efd.admin.ch

             Cette publication existe également en français.
             La presente pubblicazione è disponibile anche in lingua italiana.
             This brochure is also available in English.

Autoren      M. Baur, Th. Brändle, P.A. Bruchez, C. Colombier, L. Hohl,
             Eidgenössische Finanzverwaltung EFV, Bern, 2021
Coronakrise, Demografie und Klimawandel - Langfristperspektiven für die öffentlichen Finanzen in der Schweiz 2021 - Der Bundesrat admin.ch
Inhalt
VORWORT                                                               4
ZUSAMMENFASSUNG                                                       6
1 EINLEITUNG                                                         12
2 DEMOGRAFISCHE UND WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG:
  ANNAHMEN UND METHODIK                                              15
  2.1   Demografie                                                   15
  2.2   Wirtschaftliche Entwicklung: Positiv- und Negativszenario    18
  2.3   Finanzpolitische Kennzahlen                                  23
  2.4   Projektion der Ausgaben und Einnahmen                        25
3 ERGEBNISSE                                                         33
  3.1   Staatsquote                                                  33
  3.2   Demografieabhängige Ausgaben                                 35
  3.3   Schuldenquote und Fiskallücke                                40
  3.4   Verfügbares Einkommen                                        46
  3.5   Vergleich mit den Ergebnissen der Langfristperspektiven im
        Legislaturfinanzplan 2021–2023                               48
4 AUSWIRKUNGEN DES KLIMAWANDELS AUF DIE ÖFFENTLICHEN FINANZEN        50
  4.1 Einleitung                                                     50
  4.2 Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte                    52
  4.3 Abschliessende Bemerkungen                                     61
5 FAZIT                                                              63
LITERATURVERZEICHNIS                                                 65
ANHANG                                                               68
  1.    Berechnung der Fiskallücke                                   68
  2.    Anhang Grafiken                                              69
gestalten zu können und erforder-
    Vorwort                                  liche Reformen frühzeitig an die
                                             Hand zu nehmen.
    Die Coronakrise hat uns vor grosse
    Herausforderungen gestellt. Der          Entwickeln sich Wirtschaft und
    Staat war dank seiner gesunden           Demografie wie angenommen,
    Finanzen in der Lage, sehr rasch sehr    zeigen die Langfristperspektiven,
    weitgehende Massnahmen zur               dass die zunehmend älter werdende
    Abfederung der wirtschaftlichen          Bevölkerung die öffentlichen
    Folgen zu beschliessen. Der dafür        Haushalte in den nächsten dreissig
    benötigte finanzpolitische Hand-         Jahren spürbar belasten wird. Der
    lungsspielraum war aufgrund der          grösste demografische Druck
    guten wirtschaftlichen Entwicklung       entsteht bis Mitte der 2030er-Jahre
    und der Einhaltung der Schulden-         durch die Pensionierung der
    bremse vor der Krise vorhanden.          geburtenstarken «Baby-Boomer».
    Alleine der Bund hat bisher rund         Dies zeigt sich vor allem bei der
    40 Milliarden Franken an Corona-         Altersvorsorge und im Gesundheits-
    Ausgaben zur Unterstützung des           wesen. Daher werden Zusatzbelas-
    Gesundheitssystems, der privaten         tungen insbesondere auf die
    Haushalte und Unternehmen und            Sozialversicherungen und Kantone
    vieler weiterer Bereiche beschlossen.    zukommen. Die beträchtlichen
    Das ist mehr als die Hälfte eines        öffentlichen Ausgaben für die
    Jahresbudgets. Ohne die ergriffenen      Coronakrise haben langfristig nur
    Massnahmen wären die wirtschaft-         einen relativ geringen Einfluss auf die
    lichen Auswirkungen deutlich             Entwicklung der Staatsfinanzen.
    schwerwiegender gewesen.                 Wichtig dafür ist, dass die coronabe-
                                             dingten Schulden mittelfristig wieder
    Die Pandemie hat gezeigt, wie            abgebaut werden können.
    schnell die Staatsschulden in einer
    Krise ansteigen können und wie           Die Langfristperspektiven basieren
    wichtig es entsprechend ist, mit einer   auf vielen Annahmen bezüglich der
    tiefen Verschuldung in eine Krise zu     wirtschaftlichen und demografischen
    gehen. Darum müssen wir rechtzeitig      Entwicklung und sind daher mit
    in die Zukunft schauen und uns den       Unsicherheiten behaftet. Sie sind
    langfristigen Herausforderungen          keine Prognosen. Unter den
    stellen. Budget und Finanzplan           getroffenen Annahmen zeigen sie
    haben einen relativ kurzen Zeithori-     auf, wie sich die gesamten öffentli-
    zont. Die vorliegenden Langfristpers-    chen Haushalte der Schweiz bis in
    pektiven sind darum wichtig und          das Jahr 2050 entwickeln, sofern
    leisten einen Beitrag, um die            keine Massnahmen seitens der Politik
    öffentlichen Finanzen nachhaltig         ergriffen werden.
4
Die Langfristperspektiven verdeutli-      Erreichung der Klimaziele einzu-
chen, dass weitere Reformanstren-         setzen.
gungen im Gesundheitswesen wie
auch bei der Altersvorsorge unum-         Dieser Bericht zeigt deutlich, dass
gänglich sind. Neben der Alterung         tiefe öffentliche Schulden eine
stellt der Klimawandel die wahr-          wichtige Voraussetzung dafür sind,
scheinlich grösste langfristige           dass der Staat einerseits in einer Krise
Herausforderung für die Schweiz dar.      reagieren kann und andererseits in
Der aktuelle Bericht greift dieses        der Lage ist, langfristige Herausfor-
Thema erstmals auf. Die Auswir-           derungen zu bewältigen. Daher ist es
kungen des Klimawandels sind              wichtig, auf ausgeglichene öffent-
jedoch mit deutlich höherer Unsi-         liche Haushalte zu achten und so die
cherheit behaftet als die Auswir-         Widerstandsfähigkeit der Schweizer
kungen der Alterung. Die qualitative      Volkswirtschaft zu stärken.
Analyse zeigt, dass davon auszu-
gehen ist, dass der Klimawandel die
öffentlichen Finanzen belasten wird.
Für eine langfristig ausgerichtete
Finanzpolitik gilt es also, die Auswir-
                                          Ueli Maurer, Bundesrat und
kungen des Klimawandels in der
                                          Vorsteher des Eidgenössischen
Entscheidungsfindung zu berücksich-
                                          Finanzdepartments
tigen und möglichst wirksame
wirtschaftspolitische Instrumente zur
                                                                                5
Zusammenfassung                                entwickeln, dann bedeutet dies für
                                               die öffentlichen Haushalte z.B. eine
                                               Mehrbelastung aufgrund steigender
      Ausgangslage                             Ausgaben für die AHV und das
                                               Gesundheitswesen.
      Das Budget und der Finanzplan des
      Bundes berücksichtigen langfristige      Für die Langfristperspektiven werden
      Entwicklungen nicht. Aus diesem          der rechtliche Status Quo und der
      Grund benötigt der Bund ein              Finanzplan 2023-25 des Bundes
      Instrument, das eine langfristige        unterstellt. Dazu werden die Bevölke-
      Optik ermöglicht. Die Langfristpers-     rungs- und Bildungsszenarien des
      pektiven legen dar, wie sich die         Bundesamts für Statistik (BFS) und
      demografischen Trends – sprich die       die Berechnungen für die AHV/IV des
      voranschreitende Alterung der            Bundesamts für Sozialversicherungen
      Bevölkerung – langfristig auf die        (BSV) herangezogen. Die Entwick-
      gesamten öffentlichen Haushalte der      lung der Haushalte der verschie-
      Schweiz auswirken. Dieser Bericht        denen Staatsebenen und die
      berücksichtigt dabei die finanziellen    Bereiche Gesundheit und Langzeit-
      Auswirkungen der Coronakrise und         pflege projiziert die Eidgenössische
      zeigt den längerfristigen wirtschafts-   Finanzverwaltung (EFV).
      politischen Handlungsbedarf für die
      Sicherung der Nachhaltigkeit der         Aufgrund der hohen Unsicherheit
      öffentlichen Finanzen auf. Zugleich      über die kaum vorhersehbaren
      adressiert er zum ersten Mal             langfristigen Auswirkungen der
      qualitativ die möglichen Auswir-         Coronakrise werden für die wirt-
      kungen des Klimawandels als die          schaftliche Entwicklung bis ins Jahr
      neben der Demografie grösste             2025 zwei verschiedene wirtschaft-
      langfristige Herausforderung für die     liche Szenarien unterstellt; ein
      öffentlichen Haushalte.                  Positivszenario, welches von einer
                                               raschen Rückkehr zum Vorkrisen-
      Methodische Grundlagen der               niveau des Basisjahres 2019 ausgeht,
      Langfristperspektiven                    und ein Negativszenario, in welchem
                                               von einer schleppenden Erholung
      Da es sich bei den Langfristperspek-     ausgegangen wird. Diese wirkt sich
      tiven um Projektionen zukünftiger        auf den gesamten Projektionszeit-
      Entwicklungen handelt, sind diese        raum bis 2050 aus.
      mit Unsicherheiten behaftet. So sind
      die Ergebnisse im Sinne von «wenn-
      dann»-Hypothesen zu verstehen:
      Wenn sich die Demografie und die
      Wirtschaft wie angenommen
6
Entwicklung der Staatsquote                                                               Die Staatsquote nimmt aber
                                                                                                                              aufgrund des demografischen
                                    Gemäss Projektionen verursacht die                                                        Wandels langfristig zu. So steigt die
                                    Coronakrise in den Jahren 2020 und                                                        Staatsquote im Positivszenario
                                    2021 einen vorübergehenden                                                                zwischen 2019 und 2050 von 32 auf
                                    Ausgabenanstieg von 32 auf                                                                35 Prozent des BIP. Dies ist fast
                                    35 Prozent des BIP. Danach sinkt die                                                      ausschliesslich auf die demografieab-
                                    Staatsquote gemäss Projektionen im                                                        hängigen Ausgaben, zurückzu-
                                    Positivszenario praktisch auf das                                                         führen. Zu diesen zählen die
                                    gleiche Niveau wie im Jahr 2019 ab.                                                       Ausgaben für die Alterssicherung,
                                    Über 80 Prozent der pandemiebe-                                                           Invalidität, Gesundheit, Langzeit-
                                    dingten Mehrausgaben wie Kurz-                                                            pflege und Bildung (vgl. Grafik Z1).
                                    arbeit, Härtefallhilfen, Coronatests
                                    und Impfungen trägt der Bund. Der
                                    Rest entfällt im Wesentlichen auf die
                                    Kantone.

Grafik Z1:             Entwicklung der Staatsausgaben in der Vergangenheit und
                       im Positivszenario (in % des BIP)

 50%

 45%                                                                                  ab 2020
                                                                                      Projektionen
 40%

 35%                                                                                                                                                      Gemeinden
 30%
                                                                                                                                                          Kantone
 25%

 20%                                                                                                                                                      Sozialversicherungen

 15%
                                                                                                                                                          Bund
 10%
                                                                                                                                                          Staat konsolidiert
  5%

  0%
       1990
              1993
                     1996
                            1999
                                   2002
                                          2005
                                                 2008
                                                        2011
                                                               2014
                                                                      2017
                                                                             2020
                                                                                    2023
                                                                                           2026
                                                                                                  2029
                                                                                                         2032
                                                                                                                2035
                                                                                                                       2038
                                                                                                                              2041
                                                                                                                                     2044
                                                                                                                                            2047
                                                                                                                                                   2050

Quelle: EFV

                                                                                                                                                                               7
Entwicklung der Ausgaben-             geburtenstarken Jahrgänge bis Mitte
                      quoten nach Staatsebenen              der 2030er-Jahre manifestiert sich
                                                            trotz der Reform AHV 21 der grösste
                      Die Verantwortlichkeiten der          Anstieg bis 2035. Dieser Anstieg
                      Staatsebenen für die verschiedenen,   beträgt gemäss Projektionen beim
                      von der Demografie abhängigen         Bund +0,6 Prozent des BIP und bei
                      Ausgaben bestimmen, wie stark die     den Sozialversicherungen +0,4 Pro-
                      einzelnen Staatsebenen durch die      zent des BIP. Beim Bund kommt
                      Alterung der Gesellschaft betroffen   hinzu, dass wegen der Reform STAF
                      sind (vgl. Tabelle Z1).               die Transferausgaben an die AHV
                                                            steigen. Zwischen 2035 und 2050
                      Gemäss den Projektionen sind Bund,    nehmen die Ausgaben im Verhältnis
                      Sozialversicherungen und Kantone      zum BIP für den Bund mit +0,1 Pro-
                      am stärksten vom demografischen       zent und die Sozialversicherungen
                      Wandel betroffen. Kostentreiber       mit +0,2 Prozent des BIP moderat zu.
                      beim Bund und den Sozialversiche-     Schliesslich dämpft die günstige
                      rungen sind die von der Alterung      Entwicklung der IV den Ausgabenan-
                      abhängigen Ausgaben für die AHV.      stieg bei den Sozialversicherungen.
                      Aufgrund der Pensionierung der

Tabelle Z1: Von der Alterung abhängige Ausgaben nach Staatsebene

Bemerkung: Differenzen sind auf Rundungen zurückzuführen.

8
Die von der Demografie abhängigen        Entwicklung der Schuldenquote
Ausgaben der Kantone werden vom          und der Fiskallücke
Gesundheits-, Pflege- und Bildungs-
bereich bestimmt. Bis 2035 geht der      Als nachhaltig wird eine Finanzpolitik
demografische Druck hauptsächlich        international bezeichnet, wenn sie
von den Gesundheits- und Bildungs-       die Schuldenquote auf dem heutigen
ausgaben aus (+0,7 % des BIP). Nach      Niveau stabilisiert. Der Anstieg der
dem Jahr 2035 sind die Bereiche          demografieabhängigen Ausgaben
Gesundheit und die Langzeitpflege        hat zur Folge, dass heutige Leis-
bestimmend für das Ausgaben-             tungsansprüche zukünftig gesenkt
wachstum (+0,4 % des BIP). Die           und/oder durch höhere Steuern und/
Gemeinden sind im Vergleich              oder Sozialversicherungsbeiträge
weniger stark betroffen. Ihre entspre-   finanziert werden müssen. Im
chenden Ausgaben nehmen                  Positivszenario steigt die Staatsver-
aufgrund des Bildungs- und Pflege-       schuldung gemessen am BIP
bereichs von heute 2,4 auf 2,8 Pro-      zwischen 2019 und 2050 von
zent des BIP bis in das Jahr 2050 zu.    25 Prozent auf 45 Prozent, im
Von den Bildungsausgaben geht            Negativszenario auf 51 Prozent an.
aufgrund des zurückgehenden
Wachstums der Schüler- und               Aufgrund der steigenden Schulden-
Studierendenzahlen ab 2035 kein          quote sind die öffentlichen Finanzen
Druck mehr auf die Kantons- und          nicht nachhaltig, so dass eine
Gemeindefinanzen aus.                    «Fiskallücke» für den Staat entsteht.
                                         Diese gibt an, in welchem Umfang
Im Negativszenario ist aufgrund des      ab 2025 dauerhafte Einsparungen,
geringeren BIP-Niveaus bei gleich-       Beitrags- oder Steuererhöhungen
bleibenden demografischem Druck          notwendig sind, damit die Schulden-
ein etwas höherer Ausgabenanstieg        quote bis 2050 auf dem Niveau des
von gesamthaft 0,3 Prozent des BIP       Basisjahres 2019 stabilisiert werden
zu erwarten. Diese Zusatzbelastung       kann. Die Fiskallücke des Staates
verteilt sich gleichmässig auf Bund,     beträgt im Positivszenario 0,8 Pro-
Kantone und Gemeinden. Die               zent des BIP, im Negativszenario
Ausgaben der Sozialversicherung im       1,1 Prozent des BIP. Ein Prozent des
Verhältnis zum BIP ändern sich           BIP entspricht im Basisjahr 2019
praktisch nicht, da die pessimisti-      sieben Milliarden Franken. Weiterhin
schere Konjunktureinschätzung für        ist zu beachten, dass die Fiskallücke
die Periode von 2021 bis 2025 nicht      zunimmt, wenn der Beginn der
nur das Wirtschaftswachstum,             Budgetkonsolidierung auf einen
sondern ebenfalls den Anstieg der        späteren Zeitpunkt als 2025
AHV/IV-Ausgaben dämpft.                  verschoben wird. Je weiter die
                                         Budgetkonsolidierung nach hinten
                                                                               9
verschoben wird, desto stärker ist der   0,2 Prozent des BIP auf. Diese ist
     Korrekturbedarf der öffentlichen         nicht zuletzt aufgrund der angenom-
     Haushalte.                               menen jährlichen Gewinnausschüt-
                                              tungen der SNB an die Kantone von
     Am stärksten ist die Nachhaltigkeit      gesamthaft 4 Milliarden Franken
     der AHV gefährdet. Sie weist mit         relativ gering. Ohne die Zusatzaus-
     0,5 Prozent des BIP die höchste          schüttungen der SNB von 2,7 Mil-
     Fiskallücke auf. Zwar kann die           liarden Franken pro Jahr würde sich
     Reform AHV 21 die AHV noch bis           die Fiskallücke auf 0,4 Prozent des
     2028 im Gleichgewicht halten.            BIP verdoppeln. Eine Fiskallücke von
     Danach verzeichnet das Umlageer-         0,4 Prozent des BIP würde ebenfalls
     gebnis der AHV jedoch wieder             im Negativszenario resultieren. Dafür
     Defizite. Aufgrund der günstigen         verantwortlich zeichnet die im
     Entwicklung der IV liegt die Fiskal-     Unterschied zum Positivszenario
     lücke der Sozialversicherungen           getroffene Annahme, dass die
     gesamthaft bei 0,4 Prozent des BIP.      Einnahmen tiefer ausfallen. Ähnlich
     Im Negativszenario steigt die            verhält es sich bei den Gemeinden.
     Fiskallücke nur moderat auf 0,5 Pro-     Die Fiskallücke der Gemeinden
     zent des BIP.                            beträgt im Positivszenario 0,3 Pro-
                                              zent des BIP. Im Negativszenario liegt
     Der Bund kann trotz der Zusatzbelas-     diese wiederum höher, um knapp
     tungen durch die Coronakrise seine       0,1 Prozent des BIP.
     Finanzpolitik im Positivszenario
     knapp nachhaltig gestalten, mit einer    Entwicklung des verfügbaren
     Fiskallücke von 0,1 Prozent des BIP.     Einkommens
     Ohne die Zusatzausschüttungen der
     Schweizerischen Nationalbank (SNB)       Auch wenn die Zusatzlasten stark
     von 1,3 Milliarden Franken pro Jahr      steigen, nehmen die real verfügbaren
     für den Bund würde sich die              Einkommen der privaten Haushalte
     Fiskallücke auf 0,2 Prozent des BIP      im Positivszenario im jährlichen
     verdoppeln. Im Negativszenario           Durchschnitt etwas stärker als in den
     steigt die Fiskallücke auf 0,4 Prozent   vergangenen 30 Jahren zu (+0,8 %
     des BIP an, da bei gleichbleibenden      vs. +0,7 %). Dies dank des ange-
     demografischen Druck die Corona-         nommenen Produktivitätsfortschritts.
     krise zu einem deutlich tieferen         Im Negativszenario wachsen die real
     Einnahmenniveau führt.                   verfügbaren Einkommen mit
                                              0,7 Prozent jährlich.
     Die Kantone weisen bis 2050
     aufgrund des Ausgabendrucks des
     Gesundheits- und Pflegebereichs
     eine jährliche Fiskallücke von
10
Langfristige Auswirkungen des           weisen Anstieg der Durchschnitts-
Klimawandels auf die öffentli-          temperatur in der Schweiz sollte bis
chen Finanzen                           in das Jahr 2050 weitgehend
                                        machbar sein. Die Folgen von
Im Vergleich zu den Auswirkungen        extremen Wetterereignissen sind
des demografischen Wandels sind         schwieriger einzuschätzen, könnten
die Auswirkungen des Klimawandels       sich jedoch als gravierender er-
auf die öffentlichen Finanzen nur       weisen.
schwer quantifizierbar und zeichnen
sich durch grosse Unsicherheiten aus.   Da andere Länder stärker vom
Trotzdem wird im Rahmen dieser          Klimawandel betroffen sein werden,
Langfristperspektiven erstmals eine     dürften sich für die Schweiz die
qualitative Analyse präsentiert,        Folgen der Auswirkungen auf den
welche die Wirkungskanäle auf die       Rest der Welt längerfristig als
öffentlichen Finanzen näher             bedeutender Wirkungskanal
beleuchtet. Es ist davon auszugehen,    erweisen. Auch wenn Extremszena-
dass die Auswirkungen des Klima-        rien unwahrscheinlich sind, ist ihnen
wandels auf die öffentlichen            Rechnung zu tragen.
Haushalte mehrheitlich negativ sein
werden. So können zum einen             Um mit den Risiken des Klimawan-
geringere Steuereinnahmen,              dels auf die öffentlichen Finanzen
Mehrausgaben und höhere Finanzie-       richtig umzugehen, geht es zunächst
rungskosten der Staatsschulden den      darum, die Treibhausgasemissionen
finanzpolitischen Spielraum ein-        in der Schweiz mit einem möglichst
schränken. Zum anderen ist zu           effizienten Einsatz von wirtschafts-
erwarten, dass Haftungsrisiken für      politischen Instrumenten wie
die öffentlichen Haushalte, welche      Lenkungsabgaben, Subventionen
sich aus Extremsituationen ergeben,     und Regulierung zu begrenzen. Aus
relevanter werden.                      finanzpolitischer Sicht ist auf die
                                        Bedeutung einer tiefen Staatsver-
Für die qualitative Analyse ist es      schuldung und ausgeglichener
wichtig, zwischen den Auswirkungen      Haushalte hinzuweisen. Beides
des Klimawandels selbst und den         erlaubt finanzpolitischen Handlungs-
Auswirkungen der Vermeidungs-           spielraum, um mit den unsicheren
und Anpassungsmassnahmen zu             Auswirkungen des Klimawandels
unterscheiden. Wahrscheinlich           angemessen umgehen zu können.
werden die Auswirkungen der
Massnahmen zur Eindämmung des
Klimawandels zunächst stärker sein
als diejenigen des Klimawandels an
sich. Die Anpassung an den schritt-
                                                                           11
1 Einleitung
       In den kommenden Jahrzehnten wird         demografiebedingten Mehrbelas-
       die Alterung der Schweizer Bevölke-       tungen essentiell. Die Langfristpers-
       rung weiter voranschreiten. Vor dem       pektiven geben eine Gesamtschau
       Hintergrund der finanziellen              über die finanzielle Lage sämtlicher
       Auswirkungen der Coronakrise, zeigt       öffentlicher Haushalte (Bund,
       dieser Bericht die Zusatzlasten auf,      Kantone, Gemeinden und Sozialver-
       welche durch den demografischen           sicherungen). Die zentralen Ergeb-
       Wandel von 2019 bis 2050 auf die          nisse der ursprünglich bereits für
       öffentlichen Haushalte der Schweiz        2020 geplanten Ausgabe der
       zukommen werden und stellt den            Langfristperspektiven sind im
       längerfristigen wirtschaftspolitischen    Legislaturfinanzplan 2021–2023 vor
       Handlungsbedarf für die Sicherung         Beginn der Coronakrise zu Beginn
       der Nachhaltigkeit der öffentlichen       des Jahres 2020 dargestellt worden.2
       Finanzen dar. Angesichts der              Der vorliegende Bericht aktualisiert
       Bedeutung des fortschreitenden            diese Projektionen unter Berücksich-
       Klimawandels werden zum ersten            tigung der Auswirkungen der
       Mal in einem gesonderten Kapitel          Coronakrise auf die Nachhaltigkeit
       konzeptionelle Überlegungen zu den        der öffentlichen Haushalte. Zudem
       langfristigen Auswirkungen des            setzt er sich qualitativ mit den
       Klimawandels auf die öffentlichen         langfristigen Auswirkungen des
       Finanzen dargestellt.                     Klimawandels auf die öffentlichen
                                                 Finanzen auseinander.
       Der Finanzplan als wichtigstes
       finanzpolitisches Planungsinstrument      Die Langfristperspektiven geben
       deckt einen Zeithorizont von vier         keine Auskunft darüber, wie die
       Jahren ab.1 Die Mittelfristperspek-       Zukunft aussehen wird, sondern
       tiven setzen den Fokus auf die            zeigen auf, wie sich die demografi-
       Abbildung der finanzpolitischen           sche Entwicklung unter den gege-
       Prioritäten des Bundes und berück-        benen Rahmenbedingungen
       sichtigen eine Betrachtungsperiode        (sogenannte «no-policy-change»-
       bis 2030. Der vorliegende Bericht         Annahme) längerfristig auf die
       ergänzt diese finanzpolitischen           öffentlichen Haushalte auswirkt.
       Planungsinstrumente um eine               Es werden der geltende rechtliche
       langfristige Perspektive. Diese ist für   Status Quo und die im aktuellen
       die umfassende Betrachtung von            Legislaturfinanzplan des Bundes

       1 Vgl. Schweizerische Eidgenossenschaft (2020)
       2 Vgl. ebd.
12
bereits enthaltenen Reformen (wie        würde, um die Schuldenquote bis
beispielsweise die AHV 21) berück-       zum Ende des Projektionszeitraums
sichtigt. Der Zeithorizont 2050          auf dem Niveau des Basisjahres zu
wurde einerseits gewählt, weil sich      stabilisieren. Zusätzlich wird unter-
bis dahin die wesentlichen Auswir-       sucht, wie sich das verfügbare
kungen der Alterung der Gesell-          Einkommen der Haushalte als
schaft in den öffentlichen Haushalten    Gesamtes entwickelt, wenn eine
niedergeschlagen haben dürften.          Stabilisierung der Schuldenquote
Andererseits, weil die vom Bun-          allein über eine Erhöhung der
desamt für Statistik (BFS) berech-       Staatseinnahmen finanziert würde.
neten Demografieszenarien den-
selben Horizont aufweisen.               Auf kantonaler Ebene existiert eine
                                         Vielzahl institutioneller Einschrän-
Die Langfristperspektiven dienen als     kungen, wie beispielsweise Fiskalre-
grobe Orientierung und verdeutli-        geln oder obligatorische Finanzrefe-
chen, wie sensitiv die öffentlichen      renda, die darauf abzielen,
Haushalte auf die Veränderung            übermässiges Ausgabenwachstum
wesentlicher Einflussfaktoren            und hohe Defizite zu vermeiden. Auf
reagieren. Für die Projektionen sind     der Bundesebene stellt die Schulden-
Annahmen bezüglich der demografi-        bremse den mittelfristigen Budget-
schen Entwicklung und der makro-         ausgleich sicher und gibt einen
ökonomischen Grössen notwendig           Rahmen für die politischen Entschei-
– diese beeinflussen die Berechnung      dungsträger vor. Die Schuldenbremse
der langfristigen Entwicklung der        des Bundes ist restriktiver als das hier
Staatsfinanzen wesentlich.               verwendete Nachhaltigkeitskonzept,
                                         welches dem internationalen
Ausgehend von Projektionen für die       Standard von OECD, IWF und
drei Staatsebenen und die Sozial-        EU-Kommission folgt und die
werke werden verschiedene                öffentlichen Finanzen als nachhaltig
finanzpolitische Kennzahlen              beurteilt, wenn die Staatsschulden
ausgewiesen. Dazu gehören die            im Verhältnis zum BIP auf einem
Entwicklung der Staatsquote,             ausreichend niedrigen Niveau
berechnet als Verhältnis der Gesamt-     stabilisiert werden können.3 Die
ausgaben des Staates zum BIP, die        Schuldenbremse stabilisiert hingegen
Schuldenquote, gemessen als              den Betrag der Schulden des Bundes
Verhältnis der öffentlichen Schulden     in Franken, also in nominalen
zum BIP, und die Fiskallücke. Die        Werten. Dadurch sinkt die Schulden-
Fiskallücke zeigt den benötigten         quote mit steigendem BIP kontinuier-
Handlungsbedarf an, der bestehen         lich. In der vorliegenden Studie

3 Vgl. bspw. Europäische Kommission (2021)
                                                                              13
wurde bewusst die Annahme                 AHV/IV, die Gesundheit und die
     getroffen, dass Fiskalregeln nicht        Langzeitpflege, welche gegenwärtig
     bindend sind. Im gegenteiligen Fall       zusammen 12 Prozent des BIP
     würde die Analyse keinen Mehrwert         betragen, deutlich stärker zunehmen
     bringen, weil die Staatsschulden a        als die gesamtwirtschaftliche
     priori langfristig nicht mehr steigen     Wertschöpfung.
     könnten.
                                               Der vorliegende Bericht ist wie folgt
     Wie in den vorherigen Berichten zu        aufgebaut: Im zweiten Kapitel
     den Langfristperspektiven der             werden das den Projektionen
     öffentlichen Finanzen stehen              zugrundeliegende Demografiesze-
     diejenigen Bereiche staatlichen           nario des BFS und die Annahmen
     Handelns, welche von der demo-            bezüglich der wirtschaftlichen
     grafischen Entwicklung massgeblich        Entwicklung illustriert. Zudem
     beeinflusst werden, im Vorder-            werden die Projektionsmethodik und
     grund.4 Die geburtenstarken               die verwendeten finanzpolitischen
     Jahrgänge der «Baby-Boomer»-Ge-           Kennzahlen erläutert. Das dritte
     neration werden in den kommenden          Kapitel zeigt auf, wie sich die
     Jahren in Pension gehen. Zudem ist        Staatsfinanzen und insbesondere die
     die Geburtenrate seit den 1970er-         demografieabhängigen Ausgaben
     Jahren stark gesunken und die             bis 2050 entwickeln. Kapitel 4
     Lebenserwartung steigt weiter an, so      beschreitet konzeptionell neues
     dass sich das Verhältnis zwischen der     Terrain und setzt sich qualitativ mit
     Anzahl älterer Personen und der           den langfristigen Auswirkungen des
     Anzahl Personen im Erwerbsalter           Klimawandels auf die öffentlichen
     weiter verschiebt. Dadurch werden         Finanzen auseinander. Kapitel 5 zieht
     insbesondere die Ausgaben für die         ein Fazit.

     4 Vgl. EFV (2008), EFD (2012) und EFD (2016)
14
2 Demografische und wirtschaftliche
  Entwicklung: Annahmen und Methodik
       In diesem Kapitel werden die            kumulierten Bevölkerungsanstieg
       absehbaren demografischen               von 12,3 Prozent gerechnet wird,
       Entwicklungen dargestellt und die       wird von 2035 bis 2050 nur von
       für die Projektionen verwendeten,       einem Anstieg von 7 Prozent
       zentralen makroökonomischen             ausgegangen.
       Annahmen erläutert. Darauf
       aufbauend werden die Grundzüge          Ein wesentlicher, jedoch schwer
       der Projektionsmethodik dargelegt.      abschätzbarer Bestimmungsfaktor
                                               für die Bevölkerungsentwicklung ist
       2.1 Demografie                          der zukünftige Migrationssaldo (Zahl
                                               der Einwanderer abzüglich Zahl der
       Das Referenzszenario zur Bevölke-       Auswanderer pro Jahr). Im Referenz-
       rungsentwicklung in der Schweiz von     szenario des BFS wird im Jahr 2020
       2020 bis 2050 des BFS (A-00-2020)       noch ein Migrationssaldo von 50‘500
       bildet die Grundlage für die vorlie-    Personen unterstellt (vgl. Grafik 1).
       genden Projektionen.5 Das BFS geht      Die Nettoimmigration steigt bis 2029
       von einem Anstieg der Bevölkerung       auf 55‘000 Personen, bevor sie bis
       in der Schweiz von 8,7 Millionen im     2040 auf 35‘000 Personen sinkt und
       Jahr 2020 auf knapp 10,4 Millionen      bis zum Ende des Projektionszeit-
       im Jahr 2050 aus, was einer mittleren   raums konstant bleibt. Langfristig
       jährlichen Wachstumsrate von            nimmt also die Zuwanderung ab,
       0,6 Prozent entspricht. Das Bevölke-    was gemäss den Demografieszena-
       rungswachstum schwächt sich im          rien des BFS mit der rückläufigen
       Verlauf des betrachteten Zeithori-      Erwerbsbevölkerung in den europäi-
       zonts jedoch ab. Während in den         schen Ländern infolge der aktuell
       ersten Jahren (bis 2035) mit einem      tiefen Geburtenraten zusammen-
                                               hängt.

       5 Vgl. BFS (2020)
                                                                                  15
Grafik 1:           Migrationssaldo 1975–2019 und BFS-Referenzszenario (Anzahl Personen)
 120000
 100000
                                                                               ab 2020
                                                                               Projektionen
     80000
     60000
     40000
     20000
        0
  -20000
  -40000
  -60000
  -80000
             1975

                    1980

                           1985

                                  1990

                                         1995

                                                2000

                                                       2005

                                                              2010

                                                                     2015

                                                                            2020

                                                                                   2025

                                                                                          2030

                                                                                                 2035

                                                                                                        2040

                                                                                                               2045

                                                                                                                      2050
Quelle: BFS

                           Von besonderer Bedeutung für die                  die Verschiebung der Altersstruktur
                           gesamtwirtschaftliche Entwicklung                 auch zu einer Veränderung der
                           und die öffentlichen Finanzen ist die             Ausgaben im Gesundheits- und
                           Veränderung der demografischen                    Langzeitpflegebereich.
                           Struktur. Das BFS geht im Referenz-
                           szenario beispielsweise davon aus,                Grafik 2 zeigt die Entwicklung der
                           dass die durchschnittliche Lebens-                Erwerbsbevölkerung umgerechnet in
                           erwartung der Männer bei Geburt                   Vollzeitäquivalente (VZÄ). Zum einen
                           von 82,2 Jahren im Jahr 2020 auf                  wird die vergangene Entwicklung seit
                           87,2 Jahre im Jahr 2050 steigt und                1995 dargestellt, für welche ein
                           diejenige der Frauen von 85,7 Jahren              Anstieg der Erwerbsbevölkerung von
                           auf 89,6 Jahre. Die Alterung der                  3,4 Millionen auf knapp 4,3 Mil-
                           Gesellschaft führt zu einem Anstieg               lionen zu beobachten ist. Zum
                           des Anteils der Nicht-Erwerbstätigen              anderen wird die Entwicklung
                           gegenüber den Erwerbstätigen.                     gemäss Referenzszenario des BFS
                           Diese Entwicklung ist ein Haupt-                  gezeigt. Es wird angenommen, dass
                           grund für die finanzpolitischen                   die Erwerbsbevölkerung aufgrund
                           Herausforderungen, da sie mehr                    der Nettomigration bis 2050 auf
                           Ausgaben für nicht erwerbstätige                  knapp 4,8 Millionen steigt. Die
                           Personen bedeutet. Daneben führt                  Erwerbsquote verharrt nahezu
                                                                             unverändert bei 83 Prozent.

16
Grafik 2:              Erwerbsbevölkerung in Vollzeitäquivalenten 1995–2019 und
                       Referenzszenario des BFS (A-00-2020)
 5'000'000

 4'800'000
                                                                                                         ab 2020 Projektionen
 4'600'000

 4'400'000

 4'200'000

 4'000'000

 3'800'000

 3'600'000

 3'400'000

 3'200'000

 3'000'000
              1995
                     1997
                            1999
                                   2001
                                          2003
                                                 2005
                                                        2007
                                                               2009
                                                                      2011
                                                                             2013
                                                                                    2015
                                                                                           2017
                                                                                                  2019
                                                                                                          2021
                                                                                                                 2023
                                                                                                                        2025
                                                                                                                               2027
                                                                                                                                      2029
                                                                                                                                             2031
                                                                                                                                                    2033
                                                                                                                                                           2035
                                                                                                                                                                  2037
                                                                                                                                                                         2039
                                                                                                                                                                                2041
                                                                                                                                                                                       2043
                                                                                                                                                                                              2045
                                                                                                                                                                                                     2047
                                                                                                                                                                                                            2049
Quelle: BFS

                                    Die Altersstruktur der Bevölkerung                                                            13 Prozent im Jahr 2020 auf gut
                                    verändert sich bis 2050 erheblich                                                             15 Prozent im Jahr 2050. Der Anteil
                                    (vgl. Grafik 3). Der Anteil der                                                               der Personen über 80 Jahre ist mit
                                    Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter                                                           knapp 11 Prozent im Jahr 2050
                                    sinkt von fast konstanten 62 Prozent                                                          annähernd zweimal so hoch wie im
                                    in den Jahren 1990–2020 bis ins Jahr                                                          Basisjahr 2019. Die junge Generation
                                    2050 auf 55 Prozent. Der Anteil der                                                           der unter 20-jährigen hingegen
                                    Bevölkerung im Rentenalter unter                                                              nimmt anteilsmässig leicht ab.
                                    80 Jahre erhöht sich von etwa

                                                                                                                                                                                                                   17
Grafik 3:        Entwicklung der Bevölkerungsstruktur 1990–2019 und
                 BFS-Referenzszenario (Anteil an Bevölkerung, in %)
70%
                                                              ab 2020
               20–64 Jahre
                                                              Projektionen
60%

50%

40%

30%
               0–19 Jahre
20%
              65–79 Jahre
10%
             80 Jahre und mehr
 0%
      1990

                1995

                        2000

                                 2005

                                        2010

                                               2015

                                                      2020

                                                               2025

                                                                         2030

                                                                                 2035

                                                                                        2040

                                                                                               2045

                                                                                                      2050
Quelle: BFS

                       Der Altersquotient ist das Verhältnis          der Altersquotient. Über den
                       der Anzahl über 65-jähriger Per-               Projektionszeitraum nimmt die
                       sonen im Vergleich zur Anzahl                  Differenz zwischen den beiden
                       Personen im erwerbsfähigen Alter.              Quotienten um knapp 2,5 Prozent-
                       Während 1995 auf eine über                     punkte zu, da die Erwerbsquote
                       65-jährige Person gut 4 Personen im            zwischenzeitlich abnimmt.
                       erwerbsfähigen Alter kommen
                       (Altersquotient 23,9 %), sind es               2.2 Wirtschaftliche Entwicklung:
                       2020 3,2 Personen (Altersquotient                  Positiv- und Negativszenario
                       30,9 %). Dieses Verhältnis verringert
                       sich auf 2,1 (Altersquotient 46,5 %)           Für die Erstellung der Ausgaben- und
                       im Jahr 2050 (vgl. Grafik 4). Der              Einnahmenprojektionen müssen in
                       «effektive» Altersquotient setzt die           Anlehnung an internationale
                       Zahl der Rentnerinnen und Rentner              Standards grundlegende Annahmen
                       in Bezug zur tatsächlichen Erwerbs-            zu makroökonomischen Grössen
                       bevölkerung, gemessen in Vollzeit-             getroffen werden.6 Für die Jahre
                       äquivalenten (VZÄ). Dementspre-                2021–25 werden die von der EFV
                       chend liegt dieser Quotient höher als          erstellten volkswirtschaftlichen

                       6 Vgl. Europäische Kommission (2021)
18
Eckwerte für die Finanzplanung                  öffentlichen Finanzen. Die Hauptlast
                     verwendet. Die Covid-19-Pandemie                der Finanzierung trägt der Bund
                     hat in den Jahren 2020 und 2021                 (vgl. Tabelle 1).
                     deutliche Auswirkungen auf die

Grafik 4:      Altersquotienten7
60%
                                                      ab 2020      effektiver Altersquotient
                                                      Projektionen
50%

40%

                                                                  Altersquotient
30%

20%

10%

 0%
      1995

              2000

                      2005

                               2010

                                       2015

                                               2020

                                                           2025

                                                                   2030

                                                                           2035

                                                                                   2040

                                                                                                2045

                                                                                                              2050
Quelle: BFS

Tabelle 1:     Pandemiebedingte Ausgaben der öffentlichen Haushalte (in Mrd. CHF)

                                                        Getätigte Ausgaben 2020           Bewilligte Mittel 2021
Gesamt                                                            17,3                             25,7
Nach Staatsebene
 Bund                                                             14,3                                 22,4
 Kantone                                                           2,6                                  2,6
 Gemeinden                                                         0,4                                  0,7
Nach Funktion
 Kurzarbeitsentschädigung                                         10,8                                  6,0
 Corona-Erwerbsersatz                                              2,2                                  3,1
 Härtefallhilfen                                                     –                                 10,0
 Übrige (Gesundheit, Sport, Kultur,                                4,3                                  6,6
 Exportindustrie, Tourismus, Medien, Verkehr etc.)
Quelle: EFV
                     7 Altersquotient: Verhältnis der über 65-Jährigen zur Bevölkerung im erwerbsfähigen
                       Alter. Effektiver Altersquotient: Verhältnis über 65-jähriger zur Erwerbsbevölkerung
                       (VZÄ).
                                                                                                                     19
Da die Unsicherheit über die             wurden Eckwerte für zwei unter-
                     wirtschaftlichen Entwicklungen in        schiedliche Szenarien festgelegt: ein
                     den nächsten Jahren sehr gross ist,      Positiv- und ein Negativszenario (vgl.
                                                              Tabelle 2).

Tabelle 2:   Volkswirtschaftliche Eckwerte 2021–25 im Positiv- und Negativszenario
             (in %)
Positivszenario              2021           2022             2023          2024           2025
 BIP real                     3,6            3,3             2,1            1,7            1,6
 BIP nominal                  4,0            3,8             2,6            2,2            2,1
 LIK                          0,4            0,5             0,5            0,5            0,5
 Zins (10 Jahre)             -0,2           -0,1             0,2            0,4            0,7
 Arbeitslosenquote            3,1            2,8             2,8            2,8            2,8

Negativszenario              2021           2022             2023          2024           2025
 BIP real                     1,8            2,3              2,3           2,3            2,1
 BIP nominal                  2,1            2,2              2,7           2,7            2,5
 LIK                          0,2           -0,2             0,4           0,4             0,4
 Zins (10 Jahre)             -0,4           -0,4             -0,3          -0,1            0,2
 Arbeitslosenquote            3,3            3,4              3,3           3,2            3,0

                     Das Positivszenario geht davon aus,      2020 durch die Pandemie (-2,6 %)
                     dass die ausserordentlichen konjunk-     wird vollständig kompensiert und das
                     turellen Unterstützungsmassnahmen        langfristige (Potenzial-)BIP entspricht
                     in historischer Höhe (bspw. Kurz-        dem Niveau des Vorkrisenwachs-
                     arbeitsentschädigung, Covid-Erwerb-      tumspfads (vgl. Grafik 5). Das reale
                     sersatz, Covid-19-Kredite, Härtefall-    BIP-Wachstum für die Jahre 2019–
                     massnahmen etc.) zusammen mit            2025 beträgt im Positivszenario im
                     den automatischen Stabilisatoren         Durchschnitt 1,5 Prozent.
                     weite Teile der Wirtschaft stabili-
                     sieren. Die Arbeitslosenquote kehrt      Im Negativszenario verläuft die
                     bereits 2022 auf das Niveau der          wirtschaftliche Erholung weniger
                     strukturellen Arbeitslosenquote von      schnell als im Positivszenario. Die
                     2,8 Prozent zurück («natürliche          Arbeitslosenquote verharrt über die
                     Quote»). Nach einer Übergangs-           gesamte Periode 2021–2025
                     phase mit einem überdurchschnitt-        oberhalb der strukturellen Arbeitslo-
                     lichen Wachstum zwischen 2021 und        senquote. Die pandemiebedingte
                     2023, wird 2024 der langfristige         Rezession in den Jahren 2020 bis
                     Wachstumspfad erreicht. Der              2022 verursacht eine Niveaureduk-
                     Einbruch der Wertschöpfung im Jahr       tion des BIP, welche über die
20
Projektionsperiode, d. h. bis 2050,                Durchschnitt mit 1,3 Prozent. Die
                          nicht mehr aufgeholt werden kann.                  Ausgaben der ALV für die Kurzarbeit
                          Das reale BIP wächst im Negativsze-                und die konjunkturelle Arbeitslosig-
                          nario für die Jahre 2019–2025 im                   keit fallen höher aus als im Positivsze-
                                                                             nario.

Grafik 5:       Reales BIP 2017–2020 und im Positiv- und Negativszenario (in Mio. CHF)

 880'000

 860'000
                                             ab 2021
 840'000
                                             Projektionen
 820'000

 800'000

 780'000

 760'000

 740'000

 720'000

 700'000
             2017

                       2018

                              2019

                                      2020

                                                2021

                                                       2022

                                                               2023

                                                                      2024

                                                                             2025

                                                                                    2026

                                                                                           2027

                                                                                                  2028

                                                                                                         2029

                                                                                                                2030
                    Negativszenario               Simulation             Positivszenario          2017-2020

Quelle: SECO, EFV

                          Es wird angenommen, dass die                       die Jahre 2021 bis 2025, ab dem Jahr
                          Wirtschaftslage der Schweiz nach                   2026 wird die gleiche wirtschaftliche
                          Überwindung der Pandemie und                       Entwicklung in beiden Szenarien
                          Rückkehr zum langfristigen Gleich-                 unterstellt. Auch die Annahmen zu
                          gewichtspfad ab 2026 robust ist. Die               den restlichen langfristigen volkswirt-
                          Eckwerte für die wirtschaftliche                   schaftlichen Eckwerten (vgl.
                          Entwicklung in den beiden Szenarien                Tabelle 3) sind für beide Szenarien
                          unterscheiden sich deshalb nur für                 identisch.

                                                                                                                       21
Tabelle 3:    Langfristige volkswirtschaftliche Eckwerte (in %)
 Arbeitsproduktivität                                        1,2
 Realzins (langfristig)                                      1,6
 Teuerung                                                    1,0
 Nominalzins (Realzins + Teuerung)                           2,6

                    Das reale BIP-Wachstum ergibt sich          duktivität bis 2050 gleich entwickelt
                    aus der Entwicklung der Erwerbsbe-          wie in der Vergangenheit. Zwischen
                    völkerung (ausgedrückt in Vollzeit-         1992 und 2019 betrug der jährliche
                    äquivalenten) und der Arbeitspro-           Produktivitätsfortschritt in der
                    duktivität (vgl. Tabelle 4). Es wird        Schweiz im Durchschnitt 1,2 Pro-
                    unterstellt, dass sich die Arbeitspro-      zent.8

Tabelle 4:    Wirtschaftliche Entwicklung (in %)

 BIP real                       2019–2050       2019–2025          2026–2035     2036–2050
 Positivszenario                     1,53          1,54              1,60           1,49
 Negativszenario                     1,49          1,33              1,60           1,49

                    Neben der Annahme zur Entwick-              wichtige langfristige nominale
                    lung der Arbeitsproduktivität werden        Zinssatz von 2,6 Prozent erst zu
                    auch Annahmen über die Entwick-             Beginn der 2030er-Jahre erreicht
                    lung des realen Langristzinssatzes          wird. Es wird also eine Übergangsfrist
                    und der Teuerung getroffen (vgl.            für die Normalisierung des Zins-
                    Tabelle 3). Die Annahme von                 niveaus unterstellt.
                    1,6 Prozent für den realen Langfrist-
                    zinssatz ist mit Blick auf die vergan-      Für die Teuerung wird von einer
                    gene Entwicklung 10-jähriger                jährlichen Preissteigerung von
                    Bundesobligationen plausibel                1 Prozent ausgegangen. Weiterhin
                    (durchschnittliche, teuerungsberei-         wird davon ausgegangen, dass sich
                    nigte Rendite 1992–2019).                   die Reallöhne langfristig an der
                                                                Entwicklung der Arbeitsproduktivität
                    Um dem aktuellen Tiefzinsumfeld             orientieren, so dass Verteilungsneut-
                    gerecht zu werden, wird zudem               ralität zwischen Kapital und Arbeit
                    angenommen, dass der gleichge-              besteht.

                    8 Ein Überblick zu Analysen der Entwicklung der Arbeitsproduktivität in der Schweiz
                      wird z. B. in Colombier (2014) und in der Ausgabe der Volkswirtschaft, 1–2/2016,
                      des Staatssekretariats für Wirtschaft, gegeben.
22
Die Arbeitsproduktivität, der Realzins    nachhaltig, wenn die Schuldenquote
und die Teuerung werden exogen            über einen längeren Zeitraum auf
vorgegeben. Rückkoppelungseffekte         dem gewünschten Niveau, gemäss
vom Staatshaushalt hin zu den             internationaler Konvention das
makroökonomischen Grössen                 Niveau des Basisjahres, stabilisiert
bleiben unberücksichtigt, bezie-          werden kann.9 Eine stabile Schulden-
hungsweise wirken sich in den             quote ist daher die Basis für nachhal-
Projektionen nicht auf das langfristig    tige öffentliche Finanzen. Entschei-
zu erwartende Wirtschaftswachstum         dende Determinanten für die
aus. Ebenso sind Rückwirkungen            Nachhaltigkeit der öffentlichen
einer abnehmenden Erwerbsbevölke-         Finanzen ist der Primärüberschuss,
rung und damit einer Verknappung          d. h. der Saldo zwischen Einnahmen
des Faktors Arbeit auf die Arbeitspro-    und Ausgaben ohne Passivzinsen,
duktivität und die Lohnentwicklung        und die Differenz zwischen dem
ausgeklammert.                            Zinssatz auf den Staatsschulden und
                                          dem Wirtschaftswachstum. Ist die
Angesichts der ausserordentlichen         Zins-Wachstums-Differenz positiv,
Ausgangslage soll der vorliegende         muss der Staat zur Stabilisierung der
Bericht auf mögliche langfristige         Schuldenquote einen Primärüber-
Auswirkungen der Corona-Krise auf         schuss erwirtschaften, ist diese
die öffentlichen Finanzen fokus-          negativ, können Primärdefizite
sieren. Auf die Darstellung weiterer      zugelassen werden.
Alternativszenarien (bspw. höhere/
tiefere Produktivitätsentwicklung,        2.3.1 Staatsquote und
verschiedene Szenarien zur Kosten-              Ausgabenentwicklung
entwicklung im Gesundheitswesen)
wird in dieser Ausgabe des Berichts       Die Ausgaben von Bund, Kantonen,
verzichtet.                               Gemeinden und Sozialversiche-
                                          rungen, welche unmittelbar von der
2.3 Finanzpolitische Kennzahlen           Demografie betroffen sind, wie
                                          diejenigen für die AHV/IV und die
Im Zusammenhang mit der langfris-         Gesundheit, werden in Zukunft
tigen Entwicklung der Finanzpolitik       aufgrund der Alterung der Bevölke-
wurde der Begriff der «Nachhaltig-        rung zunehmen. Um die Zusatzbelas-
keit» zu Beginn der 1990er Jahre in       tung für die Volkswirtschaft abzu-
die wirtschaftspolitische Diskussion      schätzen, werden diese
eingebracht. Die Finanzpolitik ist        demografieabhängigen Ausgaben

9 Anzumerken ist, dass weder theoretisch noch empirisch gesicherte Aussagen über
  die optimale Schuldenquote getroffen werden können (vgl. Schlaffer-Bruchez,
  2021).
                                                                               23
ins Verhältnis zum gesamtwirtschaft-        zeitraum), oder eine spezifische
     lichen Einkommen (BIP) gesetzt. Eine        Schuldenquote sein.12 Nachhaltigkeit
     Zunahme der Ausgabenquote gibt              ist dann gegeben, wenn die Schul-
     an, wie stark das jährliche erwirt-         denquote am Ende des betrachteten
     schaftete Einkommen der Schweiz             Zeithorizonts dem Zielwert ent-
     zusätzlich durch die Demografie             spricht.
     belastet wird. Die Staatsquote ist
     dabei diejenige Ausgabenquote,              Die Abweichung der Schuldenquote
     welche das Verhältnis der gesamten          vom gesetzten Zielwert kann
     Staatsausgaben zum BIP ausdrückt.10         verschiedenermassen dargestellt
                                                 werden. Eine bewährte Methode ist
     2.3.2 Schuldenquote und Fiskallücke         deren Darstellung als «Fiskallücke».
                                                 Diese sagt aus, in welchem Ausmass
     Die Vorgabe einer stabilen Schulden-        die Staatsfinanzen von einem
     quote setzt einen Vergleich von zwei        bestimmten Zeitpunkt an, im
     Werten voraus, einem Ausgangswert           vorliegenden Bericht ab 2025,
     und einem Zielwert. Sind die zwei           jährlich verbessert werden müssten,
     Werte gleich, wird von «Stabilität»         damit am Ende der Periode eine
     gesprochen. Es ist aber denkbar, dass       bestimmte Schuldenquote nicht
     bereits der Ausgangswert nicht              überschritten wird.13 Ob diese
     einem finanzpolitisch wünschbaren           Korrektur auf der Ausgaben- und/
     Ziel entspricht, beispielsweise, wenn       oder auf der Einnahmenseite erfolgt,
     die Schulden in der Gegenwart als zu        wird dabei offen gelassen. Wenn
     hoch angesehen werden.11 Da sich            beispielsweise die Fiskallücke mit
     aus der ökonomischen Theorie a              Zeithorizont 2050 1 Prozent des BIP
     priori keine optimale Verschuldung          beträgt, so müssen die Rechnungs-
     ableiten lässt, muss die finanzielle        saldi der drei Staatsebenen und der
     Nachhaltigkeit allgemein in Bezug           Sozialwerke bis 2050 jährlich um
     auf einen bestimmten Zielwert               rund 7 Milliarden Franken verbessert
     angegeben werden. Dieser Zielwert           werden.
     kann die Beibehaltung des aktuellen
     Status quo (keine Erhöhung der              Zusätzlich zur Fiskallücke für das
     Schuldenquote im Beobachtungs-              international gebräuchliche Kriterium

     10 Die Staatsausgaben umfassen Transfers, z. B. Sozialleistungen, welche im BIP nicht
        berücksichtigt werden. Eine Staatsquote von 100 Prozent des BIP bedeutet daher
        nicht, dass der Staat 100 Prozent des BIP in Anspruch nimmt (Colombier, 2005).
     11 Vgl. Schlaffer-Bruchez (2021)
     12 Der EU Stabilitäts- und Wachstumspakt beispielsweise legt eine Schuldenquote von
        60 Prozent als Zielwert fest.
     13 Die Formel zur Berechnung der Fiskallücke ist dem Anhang 1 zu entnehmen.
24
der Stabilisierung der Schuldenquote         Schuldenquote auf dem Niveau des
wird in diesem Bericht auch die              Basisjahres 2019, also bei 25,4 Pro-
Fiskallücke für das in der Schulden-         zent des BIP, stabilisieren kann. Unter
bremse des Bundes definierte                 dieser Annahme sind die staatlichen
Nachhaltigkeitsziel, die Stabilisierung      Haushalte finanziell nachhaltig, was
der nominalen Schulden, ausge-               bedeutet, dass sich keine Fiskallücke
wiesen.                                      auftut. Das so definierte verfügbare
                                             Einkommen pro Kopf wird dabei
Für die Arbeitslosenversicherung             inflationsbereinigt berechnet. Steigt
wird spätestens nach der Finanzplan-         das inflationsbereinigte verfügbare
periode, d. h. ab 2026 ange-                 Einkommen pro Person in der
nommen, dass sich die Versicherung           Zukunft an, bedeutet dies, dass der
in einem strukturellen Gleichgewicht         Wohlstand trotz demografiebe-
befindet (vgl. Tabelle 2).                   dingter Zusatzbelastung zunimmt.

2.3.3 Verfügbares Einkommen                  2.4 Projektion der Ausgaben
                                                 und Einnahmen
Um aufzuzeigen, wie sich die
demografiebedingten Zusatzaus-               Die Darstellung einzelner Aufgaben-
gaben des Staates auf die finanzielle        gebiete ermöglicht es, einen
Situation der Einwohnerinnen und             allfälligen Handlungsbedarf für
Einwohner der Schweiz auswirken              spezifische Bereiche zu identifizieren.
würden, wird die Entwicklung des             Die Vorgehensweise bei der Erstel-
BIP pro Kopf der Bevölkerung, also           lung der Projektionen entspricht
das durchschnittliche Einkommen              weitgehend derjenigen der EU.15
pro Einwohner/in, nach Abzug von             Grundlage für die Projektionen der
Steuern, Sozialbeiträgen und                 öffentlichen Haushalte sind die
Prämien für die obligatorische               Daten der Finanzstatistik. Bis auf die
Krankenpflegeversicherung (OKP)              Gemeinden ist 2019 das Basisjahr.
herangezogen.14 Für die zukünftige           Aufgrund der Datenverfügbarkeit
Entwicklung wird angenommen,                 wird für die Gemeinden auf das Jahr
dass die staatlichen Einnahmen               2018 zurückgegriffen. Die Berech-
aufgrund der demografiebedingten             nungen für den Bund stützen sich
Zusatzlasten für die Alterssicherung,        zusätzlich auf den aktuellen Finanz-
die Gesundheit, die Langzeitpflege           plan 2023–2025 der EFV sowie auf
und die Bildung soweit erhöht                die Projektionen des BSV für die AHV
werden müssen, dass der Staat die            und die IV. Der Bericht geht von der

14 Da die berufliche Vorsorge in den Langfristperspektiven nicht behandelt wird,
   bleiben die Lohnbeiträge für die zweite Säule unberücksichtigt.
15 Vgl. Europäische Kommission (2021)
                                                                                   25
Umsetzung der Bundesratsvorlage          dem Mischindex angepasst: die
     für die Reform AHV 21 aus. Nachfol-      Teuerung wird vollständig berück-
     gend werden die wichtigsten              sichtigt, die Reallohnentwicklung
     methodischen Annahmen erläutert.         aber nur zur Hälfte. Die Durch-
                                              schnittsquoten der Beitragszah-
     2.4.1 Demografieabhängige                lenden (Anzahl beitragszahlende
           Ausgaben                           Personen im Verhältnis zur Gesamt-
                                              bevölkerung) und die durchschnitt-
     Detaillierte Projektionen der Aus-       lichen Beiträge werden nach
     gaben auf allen Staatsebenen             Nationalität, Geschlecht und Alter
     inklusive Sozialversicherungen           ermittelt. Das BSV berechnet die
     wurden in denjenigen Bereichen           Einnahmen des AHV-Fonds durch
     vorgenommen, die am stärksten vom        Addition dieser Beiträge zu den
     demografischen Wandel betroffen          übrigen Beiträgen, z. B. denjenigen
     sind. Es sind dies die Alterssicherung   des Bundes. Letztere setzen sich aus
     (AHV) und Invalidenversicherung (IV),    dem Bundesbeitrag für die Ausgaben
     die Gesundheit inklusive Langzeit-       der AHV, dem Anteil der AHV an der
     pflege und die Bildung. Beim Bund        Mehrwertsteuer und der Spielban-
     machten diese Ausgaben 2019              kenabgabe zusammen.
     33 Prozent des Totals aus, bei den
     Kantonen 56 Prozent und bei den          Für die Langfristperspektiven der
     Gemeinden 36 Prozent.                    AHV werden die ab 2020 geltende
                                              STAF und die Bundesratsvorlage
     Alterssicherung und                      AHV 21 zugrunde gelegt. Die STAF
     Invalidenversicherung                    sieht drei Massnahmen zur Finanzie-
                                              rung der AHV vor. Erstens wird der
     Im Bereich der Alterssicherung und       Beitragssatz um 0,3 Prozentpunkte
     Invalidenversicherung werden die         (je 0,15 Prozentpunkte für Arbeit-
     Projektionen der Ausgaben und der        nehmer und Arbeitgeber) erhöht,
     Einnahmen der AHV und der IV vom         zweitens wird der Demografiepro-
     BSV durchgeführt.                        zentpunkt der Mehrwertsteuer
                                              vollständig der AHV zugewiesen und
     Bei der AHV berechnet das BSV die        drittens erhöht sich der AHV-Bundes-
     Rentensumme gestützt auf die             beitrag von 19,55 Prozent auf
     Anzahl Rentner/innen nach Alter und      20,20 Prozent. Die Bundesratsvor-
     Geschlecht gemäss den Demografie-        lage AHV 21 beinhaltet eine
     szenarien des BFS sowie unter            Angleichung des Rentenalters für
     Berücksichtigung der schweizeri-         Frauen auf 65 bei gleichzeitigen
     schen, ausländischen und im              Ausgleichsmassnahmen (reduzierte
     Ausland lebenden Anspruchsberech-        Kürzungssätze bei Rentenvorbezug,
     tigten. Diese Renten werden nach         vorteilhaftere Rentenformel).
26
Ausserdem sieht die Bundesratsvor-         Erwerbsleben und der Ausbau der
lage eine Mehrwertsteuererhöhung           Beratung und Begleitung von
zugunsten der AHV von 0,7 Prozent-         Menschen mit psychischen Gesund-
punkten vor. Diese Mehrwertsteuer-         heitsstörungen. Der Bundesrat will
erhöhung führt zwar zu Mehrein-            die Weiterentwicklung der IV
nahmen, wird jedoch                        kostenneutral ausgestalten, da die IV
zweckgebunden an die AHV                   bis ungefähr 2030 schuldenfrei sein
weitergereicht und deshalb als             dürfte. Längerfristig wird durch die
Bundesausgabe verbucht.                    Eingliederungsmassnahmen für
                                           IV-Empfänger eine Entlastung des
Die IV wird durch Sozialversiche-          IV-Finanzhaushalts erwartet.
rungsbeiträge und den Beitrag des
Bundes finanziert. Der Bundesbeitrag       Gesundheitswesen
richtet sich seit 2014 nicht mehr
nach den Ausgaben der IV, sondern          Für das Gesundheitswesen erfolgen
grundsätzlich nach der Entwicklung         die Projektionen in mehreren
der Mehrwertsteuer-Einnahmen.16            Schritten und stützen sich dabei auf
Allerdings ist im Gesetz vorgesehen,       eine international anerkannte
dass der Mindestbeitrag des Bundes         Methodik ab.18 In einem ersten
nicht 37,7 Prozent der IV-Ausgaben         Schritt werden die gesamten
unterschreiten darf.17 Im Jahr 2020        Gesundheitsausgaben ausgehend
ist aufgrund der Pandemie diese            vom Basisjahr 2019 nach Altersko-
Regelung erstmalig seit Einführung         horten, Geschlecht und Gesundheits-
der IV-Reform im Jahr 2014 zur             leistungen aufgeteilt. In Anlehnung
Anwendung gelangt. Für die                 an die Arbeiten der OECD und der
vorliegenden Projektionen wird die         EU-Kommission wird zwischen den
Weiterentwicklung der IV gemäss            Bereichen Gesundheitsausgaben
Botschaft des Bundesrats berücksich-       ohne Langzeitpflege und der
tigt. Im Zentrum dieser Reform             Langzeitpflege (ab 65 Jahren)
stehen die intensivere Begleitung          unterschieden, da die Ausgabenent-
und Steuerung bei Geburtsgebre-            wicklung dieser Bereiche unter-
chen, die gezielte Unterstützung von       schiedlich von den Kostentreibern im
Jugendlichen beim Übergang ins             Gesundheitswesen beeinflusst

16 Da das Wachstum der Mehrwertsteuereinnahmen tendenziell höher ist als das
   Ausgabenwachstum der IV, wird die Bindung an die Mehrwertsteuereinnahmen
   noch durch einen «Diskontfaktor» bereinigt. Damit wird der Tatsache Rechnung
   getragen, dass das Rentensystem nicht der allgemeinen Lohnentwicklung folgt,
   sondern dem Mischindex.
17 Vgl. BSV (2021)
18 Vgl. Colombier (2012)
                                                                                  27
wird.19 Basierend auf diesen Projek-       Finanzstatistik der sozialen Wohlfahrt
     tionen erfolgt in einem weiteren           zugeordnet sind, ebenfalls berück-
     Schritt die Fortschreibung der             sichtigt werden. Kasten 1 stellt dar,
     öffentlichen Ausgaben für die              wie das Wachstum der Gesundheits-
     Gesundheit, wobei die Ausgaben für         ausgaben für die von der Corona-
     die individuelle Prämienverbilligung       krise besonders betroffenen Jahre
     und die Ergänzungsleistungen der           2020 und 2021 behandelt wurde.
     AHV, welche in der öffentlichen

     Kasten 1:           Gesundheitsausgaben in den Jahren 2020 und 2021

     Zur Abschätzung der Kostenentwicklung im Jahr 2020 wird aufgrund der
     Datenverfügbarkeit das Monitoring der Krankenversicherungskostenentwick-
     lung (MOKKE) berücksichtigt. Diese Statistik wird mit einer geringen zeitli-
     chen Verzögerung publiziert und erlaubt daher für den vorliegenden Bericht
     eine Abschätzung der Kostenentwicklung für das Jahr 2020. Die MOKKE legt
     ein moderates Kostenwachstum nahe, was auch aufgrund anderer Studien
     plausibel erscheint.20 Dieses Kostenwachstum wird für weitere von der
     Demografie abhängige Gesundheitsausgaben wie beispielsweise die
     kantonalen Beiträge an die Spitäler in den Projektionen übernommen.
     Ausgenommen davon sind die pandemiebedingten Bundesausgaben für die
     Gesundheit (vgl. Tabelle 5 für die Jahre 2020 und 2021).

     Da die zur Verfügung stehenden Studien nicht darauf hindeuten, dass für das
     Jahr 2021 mit wesentlichen Mehr- oder Minderausgaben zu rechnen ist,
     werden wiederum mit Ausnahme der pandemiebedingten Gesundheitsaus-
     gaben des Bundes die demografieabhängigen Ausgaben im Bereich Gesund-
     heit ab dem Jahr 2021 mit dem demografischen Wandel und den weiteren,
     für das Gesundheitswesen zentralen Kostentreibern bis zum Jahr 2050
     fortgeschrieben.21

     19 Vgl. bspw. Europäische Kommission (2021)
     20 Vgl. Schweizerische Eidgenossenschaft (2021) und KOF (2021)
     21 Aufgrund der behördlich angeordneten Verschiebung nicht dringender Behand-
        lungen im Frühjahr 2020 wurde für den Spitalsektor von Ertragsausfällen berichtet
        (PWC 2021). In diesem Zusammenhang wurde auch von möglichen Nachholef-
        fekten in der zweiten Hälfte 2020 oder in 2021 gesprochen. Die erwähnten Berichte
        finden dafür jedoch keine klaren Hinweise.
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Die pandemiebedingten Gesundheitsausgaben des Bundes für die Jahre 2020
und 2021 fliessen in die vorliegenden Ausgabenprojektionen ein (vgl.
Tabelle 5). Es handelt sich primär um Ausgaben für Schutzmittel (inkl.
Impfstoffe) und Tests.

Tabelle 5: Covid-19 Gesundheitsausgaben des Bundes (in Mio. CHF)
                           Getätigte Ausgaben 2020         Bewilligte Mittel 2021

Gesundheit                             856                          3983
 Beschaffung Sanitätsmaterial,         618                          1200
 z.B. Masken, Impfstoffe, etc.
 Kostenübernahme für Covid-Tests       194                          2497
 Arzneimittel, Mehraufwand BAG,         45                           286
 Gesundheitsschutz
Quelle: EFV

Es wird angenommen, dass sich der         menseffekt werden zunehmende
Gesundheitszustand der Bevölkerung        Ansprüche der Bevölkerung an das
mit zunehmender Lebenserwartung           Gesundheitssystem, der medizinisch-
verbessert. Dies bedeutet, dass ein       technische Fortschritt, aber auch
Jahrgang mit jedem gewonnenen             medizinisch nicht indizierte Mengen-
Lebensjahr medizinisch betrachtet         ausweitungen erfasst. Für die
ein halbes Jahr jünger und entspre-       Teuerung im Bereich Gesundheit
chend gesünder ist. Im Bereich            ohne Langzeitpflege wird unterstellt,
Gesundheit ohne Langzeitpflege            dass sie um 50 Prozent höher liegt als
nehmen gemäss Annahme die                 die allgemeine Inflation. Die über-
Ausgaben mit steigendem Ein-              durchschnittliche Teuerung kann
kommen um das 1,1-fache zu                unter anderem auf überhöhte Tarife
(Einkommenselastizität: 1,1). Über        und den Baumoleffekt zurückgeführt
diesen überproportionalen Einkom-         werden (relativer Preiseffekt).22,23

22 Der Baumoleffekt lässt sich wie folgt erklären: Die hohe Arbeitsintensität im
   Gesundheitswesen impliziert ein relatives tiefes Produktivitätswachstum. Dieses
   erzeugt einen Kostendruck, wenn die Löhne im Gesundheitswesen längerfristig wie
   die Löhne in der übrigen Wirtschaft wachsen. Bei einer relativ unelastischen
   Nachfrage nach Gesundheitsleistungen steigen die Preise im Gesundheitswesen
   stärker als in der übrigen Volkswirtschaft.
23 Zu hohe Tarife können resultieren, da zwischen den Tarifpartnern, Krankenkassen
   und Leistungserbringern, in der Regel asymmetrische Informationen bestehen.
   Diese sind aus ökonomischer Sicht eine wichtige Begründung für ein Marktver-
   sagen.
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