Coronakrise, Demografie und Klimawandel - Langfristperspektiven für die öffentlichen Finanzen in der Schweiz 2021 - Der Bundesrat admin.ch
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November 2021 | www.efv.admin.ch Langfristperspektiven für die öffentlichen Finanzen in der Schweiz 2021 Coronakrise, Demografie und Klimawandel
Impressum Herausgeber Eidgenössisches Finanzdepartement EFD Bundesgasse 3 CH-3003 Bern E-Mail info@efd.admin.ch Internet www.efd.admin.ch Cette publication existe également en français. La presente pubblicazione è disponibile anche in lingua italiana. This brochure is also available in English. Autoren M. Baur, Th. Brändle, P.A. Bruchez, C. Colombier, L. Hohl, Eidgenössische Finanzverwaltung EFV, Bern, 2021
Inhalt VORWORT 4 ZUSAMMENFASSUNG 6 1 EINLEITUNG 12 2 DEMOGRAFISCHE UND WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG: ANNAHMEN UND METHODIK 15 2.1 Demografie 15 2.2 Wirtschaftliche Entwicklung: Positiv- und Negativszenario 18 2.3 Finanzpolitische Kennzahlen 23 2.4 Projektion der Ausgaben und Einnahmen 25 3 ERGEBNISSE 33 3.1 Staatsquote 33 3.2 Demografieabhängige Ausgaben 35 3.3 Schuldenquote und Fiskallücke 40 3.4 Verfügbares Einkommen 46 3.5 Vergleich mit den Ergebnissen der Langfristperspektiven im Legislaturfinanzplan 2021–2023 48 4 AUSWIRKUNGEN DES KLIMAWANDELS AUF DIE ÖFFENTLICHEN FINANZEN 50 4.1 Einleitung 50 4.2 Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte 52 4.3 Abschliessende Bemerkungen 61 5 FAZIT 63 LITERATURVERZEICHNIS 65 ANHANG 68 1. Berechnung der Fiskallücke 68 2. Anhang Grafiken 69
gestalten zu können und erforder- Vorwort liche Reformen frühzeitig an die Hand zu nehmen. Die Coronakrise hat uns vor grosse Herausforderungen gestellt. Der Entwickeln sich Wirtschaft und Staat war dank seiner gesunden Demografie wie angenommen, Finanzen in der Lage, sehr rasch sehr zeigen die Langfristperspektiven, weitgehende Massnahmen zur dass die zunehmend älter werdende Abfederung der wirtschaftlichen Bevölkerung die öffentlichen Folgen zu beschliessen. Der dafür Haushalte in den nächsten dreissig benötigte finanzpolitische Hand- Jahren spürbar belasten wird. Der lungsspielraum war aufgrund der grösste demografische Druck guten wirtschaftlichen Entwicklung entsteht bis Mitte der 2030er-Jahre und der Einhaltung der Schulden- durch die Pensionierung der bremse vor der Krise vorhanden. geburtenstarken «Baby-Boomer». Alleine der Bund hat bisher rund Dies zeigt sich vor allem bei der 40 Milliarden Franken an Corona- Altersvorsorge und im Gesundheits- Ausgaben zur Unterstützung des wesen. Daher werden Zusatzbelas- Gesundheitssystems, der privaten tungen insbesondere auf die Haushalte und Unternehmen und Sozialversicherungen und Kantone vieler weiterer Bereiche beschlossen. zukommen. Die beträchtlichen Das ist mehr als die Hälfte eines öffentlichen Ausgaben für die Jahresbudgets. Ohne die ergriffenen Coronakrise haben langfristig nur Massnahmen wären die wirtschaft- einen relativ geringen Einfluss auf die lichen Auswirkungen deutlich Entwicklung der Staatsfinanzen. schwerwiegender gewesen. Wichtig dafür ist, dass die coronabe- dingten Schulden mittelfristig wieder Die Pandemie hat gezeigt, wie abgebaut werden können. schnell die Staatsschulden in einer Krise ansteigen können und wie Die Langfristperspektiven basieren wichtig es entsprechend ist, mit einer auf vielen Annahmen bezüglich der tiefen Verschuldung in eine Krise zu wirtschaftlichen und demografischen gehen. Darum müssen wir rechtzeitig Entwicklung und sind daher mit in die Zukunft schauen und uns den Unsicherheiten behaftet. Sie sind langfristigen Herausforderungen keine Prognosen. Unter den stellen. Budget und Finanzplan getroffenen Annahmen zeigen sie haben einen relativ kurzen Zeithori- auf, wie sich die gesamten öffentli- zont. Die vorliegenden Langfristpers- chen Haushalte der Schweiz bis in pektiven sind darum wichtig und das Jahr 2050 entwickeln, sofern leisten einen Beitrag, um die keine Massnahmen seitens der Politik öffentlichen Finanzen nachhaltig ergriffen werden. 4
Die Langfristperspektiven verdeutli- Erreichung der Klimaziele einzu- chen, dass weitere Reformanstren- setzen. gungen im Gesundheitswesen wie auch bei der Altersvorsorge unum- Dieser Bericht zeigt deutlich, dass gänglich sind. Neben der Alterung tiefe öffentliche Schulden eine stellt der Klimawandel die wahr- wichtige Voraussetzung dafür sind, scheinlich grösste langfristige dass der Staat einerseits in einer Krise Herausforderung für die Schweiz dar. reagieren kann und andererseits in Der aktuelle Bericht greift dieses der Lage ist, langfristige Herausfor- Thema erstmals auf. Die Auswir- derungen zu bewältigen. Daher ist es kungen des Klimawandels sind wichtig, auf ausgeglichene öffent- jedoch mit deutlich höherer Unsi- liche Haushalte zu achten und so die cherheit behaftet als die Auswir- Widerstandsfähigkeit der Schweizer kungen der Alterung. Die qualitative Volkswirtschaft zu stärken. Analyse zeigt, dass davon auszu- gehen ist, dass der Klimawandel die öffentlichen Finanzen belasten wird. Für eine langfristig ausgerichtete Finanzpolitik gilt es also, die Auswir- Ueli Maurer, Bundesrat und kungen des Klimawandels in der Vorsteher des Eidgenössischen Entscheidungsfindung zu berücksich- Finanzdepartments tigen und möglichst wirksame wirtschaftspolitische Instrumente zur 5
Zusammenfassung entwickeln, dann bedeutet dies für die öffentlichen Haushalte z.B. eine Mehrbelastung aufgrund steigender Ausgangslage Ausgaben für die AHV und das Gesundheitswesen. Das Budget und der Finanzplan des Bundes berücksichtigen langfristige Für die Langfristperspektiven werden Entwicklungen nicht. Aus diesem der rechtliche Status Quo und der Grund benötigt der Bund ein Finanzplan 2023-25 des Bundes Instrument, das eine langfristige unterstellt. Dazu werden die Bevölke- Optik ermöglicht. Die Langfristpers- rungs- und Bildungsszenarien des pektiven legen dar, wie sich die Bundesamts für Statistik (BFS) und demografischen Trends – sprich die die Berechnungen für die AHV/IV des voranschreitende Alterung der Bundesamts für Sozialversicherungen Bevölkerung – langfristig auf die (BSV) herangezogen. Die Entwick- gesamten öffentlichen Haushalte der lung der Haushalte der verschie- Schweiz auswirken. Dieser Bericht denen Staatsebenen und die berücksichtigt dabei die finanziellen Bereiche Gesundheit und Langzeit- Auswirkungen der Coronakrise und pflege projiziert die Eidgenössische zeigt den längerfristigen wirtschafts- Finanzverwaltung (EFV). politischen Handlungsbedarf für die Sicherung der Nachhaltigkeit der Aufgrund der hohen Unsicherheit öffentlichen Finanzen auf. Zugleich über die kaum vorhersehbaren adressiert er zum ersten Mal langfristigen Auswirkungen der qualitativ die möglichen Auswir- Coronakrise werden für die wirt- kungen des Klimawandels als die schaftliche Entwicklung bis ins Jahr neben der Demografie grösste 2025 zwei verschiedene wirtschaft- langfristige Herausforderung für die liche Szenarien unterstellt; ein öffentlichen Haushalte. Positivszenario, welches von einer raschen Rückkehr zum Vorkrisen- Methodische Grundlagen der niveau des Basisjahres 2019 ausgeht, Langfristperspektiven und ein Negativszenario, in welchem von einer schleppenden Erholung Da es sich bei den Langfristperspek- ausgegangen wird. Diese wirkt sich tiven um Projektionen zukünftiger auf den gesamten Projektionszeit- Entwicklungen handelt, sind diese raum bis 2050 aus. mit Unsicherheiten behaftet. So sind die Ergebnisse im Sinne von «wenn- dann»-Hypothesen zu verstehen: Wenn sich die Demografie und die Wirtschaft wie angenommen 6
Entwicklung der Staatsquote Die Staatsquote nimmt aber aufgrund des demografischen Gemäss Projektionen verursacht die Wandels langfristig zu. So steigt die Coronakrise in den Jahren 2020 und Staatsquote im Positivszenario 2021 einen vorübergehenden zwischen 2019 und 2050 von 32 auf Ausgabenanstieg von 32 auf 35 Prozent des BIP. Dies ist fast 35 Prozent des BIP. Danach sinkt die ausschliesslich auf die demografieab- Staatsquote gemäss Projektionen im hängigen Ausgaben, zurückzu- Positivszenario praktisch auf das führen. Zu diesen zählen die gleiche Niveau wie im Jahr 2019 ab. Ausgaben für die Alterssicherung, Über 80 Prozent der pandemiebe- Invalidität, Gesundheit, Langzeit- dingten Mehrausgaben wie Kurz- pflege und Bildung (vgl. Grafik Z1). arbeit, Härtefallhilfen, Coronatests und Impfungen trägt der Bund. Der Rest entfällt im Wesentlichen auf die Kantone. Grafik Z1: Entwicklung der Staatsausgaben in der Vergangenheit und im Positivszenario (in % des BIP) 50% 45% ab 2020 Projektionen 40% 35% Gemeinden 30% Kantone 25% 20% Sozialversicherungen 15% Bund 10% Staat konsolidiert 5% 0% 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 2014 2017 2020 2023 2026 2029 2032 2035 2038 2041 2044 2047 2050 Quelle: EFV 7
Entwicklung der Ausgaben- geburtenstarken Jahrgänge bis Mitte quoten nach Staatsebenen der 2030er-Jahre manifestiert sich trotz der Reform AHV 21 der grösste Die Verantwortlichkeiten der Anstieg bis 2035. Dieser Anstieg Staatsebenen für die verschiedenen, beträgt gemäss Projektionen beim von der Demografie abhängigen Bund +0,6 Prozent des BIP und bei Ausgaben bestimmen, wie stark die den Sozialversicherungen +0,4 Pro- einzelnen Staatsebenen durch die zent des BIP. Beim Bund kommt Alterung der Gesellschaft betroffen hinzu, dass wegen der Reform STAF sind (vgl. Tabelle Z1). die Transferausgaben an die AHV steigen. Zwischen 2035 und 2050 Gemäss den Projektionen sind Bund, nehmen die Ausgaben im Verhältnis Sozialversicherungen und Kantone zum BIP für den Bund mit +0,1 Pro- am stärksten vom demografischen zent und die Sozialversicherungen Wandel betroffen. Kostentreiber mit +0,2 Prozent des BIP moderat zu. beim Bund und den Sozialversiche- Schliesslich dämpft die günstige rungen sind die von der Alterung Entwicklung der IV den Ausgabenan- abhängigen Ausgaben für die AHV. stieg bei den Sozialversicherungen. Aufgrund der Pensionierung der Tabelle Z1: Von der Alterung abhängige Ausgaben nach Staatsebene Bemerkung: Differenzen sind auf Rundungen zurückzuführen. 8
Die von der Demografie abhängigen Entwicklung der Schuldenquote Ausgaben der Kantone werden vom und der Fiskallücke Gesundheits-, Pflege- und Bildungs- bereich bestimmt. Bis 2035 geht der Als nachhaltig wird eine Finanzpolitik demografische Druck hauptsächlich international bezeichnet, wenn sie von den Gesundheits- und Bildungs- die Schuldenquote auf dem heutigen ausgaben aus (+0,7 % des BIP). Nach Niveau stabilisiert. Der Anstieg der dem Jahr 2035 sind die Bereiche demografieabhängigen Ausgaben Gesundheit und die Langzeitpflege hat zur Folge, dass heutige Leis- bestimmend für das Ausgaben- tungsansprüche zukünftig gesenkt wachstum (+0,4 % des BIP). Die und/oder durch höhere Steuern und/ Gemeinden sind im Vergleich oder Sozialversicherungsbeiträge weniger stark betroffen. Ihre entspre- finanziert werden müssen. Im chenden Ausgaben nehmen Positivszenario steigt die Staatsver- aufgrund des Bildungs- und Pflege- schuldung gemessen am BIP bereichs von heute 2,4 auf 2,8 Pro- zwischen 2019 und 2050 von zent des BIP bis in das Jahr 2050 zu. 25 Prozent auf 45 Prozent, im Von den Bildungsausgaben geht Negativszenario auf 51 Prozent an. aufgrund des zurückgehenden Wachstums der Schüler- und Aufgrund der steigenden Schulden- Studierendenzahlen ab 2035 kein quote sind die öffentlichen Finanzen Druck mehr auf die Kantons- und nicht nachhaltig, so dass eine Gemeindefinanzen aus. «Fiskallücke» für den Staat entsteht. Diese gibt an, in welchem Umfang Im Negativszenario ist aufgrund des ab 2025 dauerhafte Einsparungen, geringeren BIP-Niveaus bei gleich- Beitrags- oder Steuererhöhungen bleibenden demografischem Druck notwendig sind, damit die Schulden- ein etwas höherer Ausgabenanstieg quote bis 2050 auf dem Niveau des von gesamthaft 0,3 Prozent des BIP Basisjahres 2019 stabilisiert werden zu erwarten. Diese Zusatzbelastung kann. Die Fiskallücke des Staates verteilt sich gleichmässig auf Bund, beträgt im Positivszenario 0,8 Pro- Kantone und Gemeinden. Die zent des BIP, im Negativszenario Ausgaben der Sozialversicherung im 1,1 Prozent des BIP. Ein Prozent des Verhältnis zum BIP ändern sich BIP entspricht im Basisjahr 2019 praktisch nicht, da die pessimisti- sieben Milliarden Franken. Weiterhin schere Konjunktureinschätzung für ist zu beachten, dass die Fiskallücke die Periode von 2021 bis 2025 nicht zunimmt, wenn der Beginn der nur das Wirtschaftswachstum, Budgetkonsolidierung auf einen sondern ebenfalls den Anstieg der späteren Zeitpunkt als 2025 AHV/IV-Ausgaben dämpft. verschoben wird. Je weiter die Budgetkonsolidierung nach hinten 9
verschoben wird, desto stärker ist der 0,2 Prozent des BIP auf. Diese ist Korrekturbedarf der öffentlichen nicht zuletzt aufgrund der angenom- Haushalte. menen jährlichen Gewinnausschüt- tungen der SNB an die Kantone von Am stärksten ist die Nachhaltigkeit gesamthaft 4 Milliarden Franken der AHV gefährdet. Sie weist mit relativ gering. Ohne die Zusatzaus- 0,5 Prozent des BIP die höchste schüttungen der SNB von 2,7 Mil- Fiskallücke auf. Zwar kann die liarden Franken pro Jahr würde sich Reform AHV 21 die AHV noch bis die Fiskallücke auf 0,4 Prozent des 2028 im Gleichgewicht halten. BIP verdoppeln. Eine Fiskallücke von Danach verzeichnet das Umlageer- 0,4 Prozent des BIP würde ebenfalls gebnis der AHV jedoch wieder im Negativszenario resultieren. Dafür Defizite. Aufgrund der günstigen verantwortlich zeichnet die im Entwicklung der IV liegt die Fiskal- Unterschied zum Positivszenario lücke der Sozialversicherungen getroffene Annahme, dass die gesamthaft bei 0,4 Prozent des BIP. Einnahmen tiefer ausfallen. Ähnlich Im Negativszenario steigt die verhält es sich bei den Gemeinden. Fiskallücke nur moderat auf 0,5 Pro- Die Fiskallücke der Gemeinden zent des BIP. beträgt im Positivszenario 0,3 Pro- zent des BIP. Im Negativszenario liegt Der Bund kann trotz der Zusatzbelas- diese wiederum höher, um knapp tungen durch die Coronakrise seine 0,1 Prozent des BIP. Finanzpolitik im Positivszenario knapp nachhaltig gestalten, mit einer Entwicklung des verfügbaren Fiskallücke von 0,1 Prozent des BIP. Einkommens Ohne die Zusatzausschüttungen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) Auch wenn die Zusatzlasten stark von 1,3 Milliarden Franken pro Jahr steigen, nehmen die real verfügbaren für den Bund würde sich die Einkommen der privaten Haushalte Fiskallücke auf 0,2 Prozent des BIP im Positivszenario im jährlichen verdoppeln. Im Negativszenario Durchschnitt etwas stärker als in den steigt die Fiskallücke auf 0,4 Prozent vergangenen 30 Jahren zu (+0,8 % des BIP an, da bei gleichbleibenden vs. +0,7 %). Dies dank des ange- demografischen Druck die Corona- nommenen Produktivitätsfortschritts. krise zu einem deutlich tieferen Im Negativszenario wachsen die real Einnahmenniveau führt. verfügbaren Einkommen mit 0,7 Prozent jährlich. Die Kantone weisen bis 2050 aufgrund des Ausgabendrucks des Gesundheits- und Pflegebereichs eine jährliche Fiskallücke von 10
Langfristige Auswirkungen des weisen Anstieg der Durchschnitts- Klimawandels auf die öffentli- temperatur in der Schweiz sollte bis chen Finanzen in das Jahr 2050 weitgehend machbar sein. Die Folgen von Im Vergleich zu den Auswirkungen extremen Wetterereignissen sind des demografischen Wandels sind schwieriger einzuschätzen, könnten die Auswirkungen des Klimawandels sich jedoch als gravierender er- auf die öffentlichen Finanzen nur weisen. schwer quantifizierbar und zeichnen sich durch grosse Unsicherheiten aus. Da andere Länder stärker vom Trotzdem wird im Rahmen dieser Klimawandel betroffen sein werden, Langfristperspektiven erstmals eine dürften sich für die Schweiz die qualitative Analyse präsentiert, Folgen der Auswirkungen auf den welche die Wirkungskanäle auf die Rest der Welt längerfristig als öffentlichen Finanzen näher bedeutender Wirkungskanal beleuchtet. Es ist davon auszugehen, erweisen. Auch wenn Extremszena- dass die Auswirkungen des Klima- rien unwahrscheinlich sind, ist ihnen wandels auf die öffentlichen Rechnung zu tragen. Haushalte mehrheitlich negativ sein werden. So können zum einen Um mit den Risiken des Klimawan- geringere Steuereinnahmen, dels auf die öffentlichen Finanzen Mehrausgaben und höhere Finanzie- richtig umzugehen, geht es zunächst rungskosten der Staatsschulden den darum, die Treibhausgasemissionen finanzpolitischen Spielraum ein- in der Schweiz mit einem möglichst schränken. Zum anderen ist zu effizienten Einsatz von wirtschafts- erwarten, dass Haftungsrisiken für politischen Instrumenten wie die öffentlichen Haushalte, welche Lenkungsabgaben, Subventionen sich aus Extremsituationen ergeben, und Regulierung zu begrenzen. Aus relevanter werden. finanzpolitischer Sicht ist auf die Bedeutung einer tiefen Staatsver- Für die qualitative Analyse ist es schuldung und ausgeglichener wichtig, zwischen den Auswirkungen Haushalte hinzuweisen. Beides des Klimawandels selbst und den erlaubt finanzpolitischen Handlungs- Auswirkungen der Vermeidungs- spielraum, um mit den unsicheren und Anpassungsmassnahmen zu Auswirkungen des Klimawandels unterscheiden. Wahrscheinlich angemessen umgehen zu können. werden die Auswirkungen der Massnahmen zur Eindämmung des Klimawandels zunächst stärker sein als diejenigen des Klimawandels an sich. Die Anpassung an den schritt- 11
1 Einleitung In den kommenden Jahrzehnten wird demografiebedingten Mehrbelas- die Alterung der Schweizer Bevölke- tungen essentiell. Die Langfristpers- rung weiter voranschreiten. Vor dem pektiven geben eine Gesamtschau Hintergrund der finanziellen über die finanzielle Lage sämtlicher Auswirkungen der Coronakrise, zeigt öffentlicher Haushalte (Bund, dieser Bericht die Zusatzlasten auf, Kantone, Gemeinden und Sozialver- welche durch den demografischen sicherungen). Die zentralen Ergeb- Wandel von 2019 bis 2050 auf die nisse der ursprünglich bereits für öffentlichen Haushalte der Schweiz 2020 geplanten Ausgabe der zukommen werden und stellt den Langfristperspektiven sind im längerfristigen wirtschaftspolitischen Legislaturfinanzplan 2021–2023 vor Handlungsbedarf für die Sicherung Beginn der Coronakrise zu Beginn der Nachhaltigkeit der öffentlichen des Jahres 2020 dargestellt worden.2 Finanzen dar. Angesichts der Der vorliegende Bericht aktualisiert Bedeutung des fortschreitenden diese Projektionen unter Berücksich- Klimawandels werden zum ersten tigung der Auswirkungen der Mal in einem gesonderten Kapitel Coronakrise auf die Nachhaltigkeit konzeptionelle Überlegungen zu den der öffentlichen Haushalte. Zudem langfristigen Auswirkungen des setzt er sich qualitativ mit den Klimawandels auf die öffentlichen langfristigen Auswirkungen des Finanzen dargestellt. Klimawandels auf die öffentlichen Finanzen auseinander. Der Finanzplan als wichtigstes finanzpolitisches Planungsinstrument Die Langfristperspektiven geben deckt einen Zeithorizont von vier keine Auskunft darüber, wie die Jahren ab.1 Die Mittelfristperspek- Zukunft aussehen wird, sondern tiven setzen den Fokus auf die zeigen auf, wie sich die demografi- Abbildung der finanzpolitischen sche Entwicklung unter den gege- Prioritäten des Bundes und berück- benen Rahmenbedingungen sichtigen eine Betrachtungsperiode (sogenannte «no-policy-change»- bis 2030. Der vorliegende Bericht Annahme) längerfristig auf die ergänzt diese finanzpolitischen öffentlichen Haushalte auswirkt. Planungsinstrumente um eine Es werden der geltende rechtliche langfristige Perspektive. Diese ist für Status Quo und die im aktuellen die umfassende Betrachtung von Legislaturfinanzplan des Bundes 1 Vgl. Schweizerische Eidgenossenschaft (2020) 2 Vgl. ebd. 12
bereits enthaltenen Reformen (wie würde, um die Schuldenquote bis beispielsweise die AHV 21) berück- zum Ende des Projektionszeitraums sichtigt. Der Zeithorizont 2050 auf dem Niveau des Basisjahres zu wurde einerseits gewählt, weil sich stabilisieren. Zusätzlich wird unter- bis dahin die wesentlichen Auswir- sucht, wie sich das verfügbare kungen der Alterung der Gesell- Einkommen der Haushalte als schaft in den öffentlichen Haushalten Gesamtes entwickelt, wenn eine niedergeschlagen haben dürften. Stabilisierung der Schuldenquote Andererseits, weil die vom Bun- allein über eine Erhöhung der desamt für Statistik (BFS) berech- Staatseinnahmen finanziert würde. neten Demografieszenarien den- selben Horizont aufweisen. Auf kantonaler Ebene existiert eine Vielzahl institutioneller Einschrän- Die Langfristperspektiven dienen als kungen, wie beispielsweise Fiskalre- grobe Orientierung und verdeutli- geln oder obligatorische Finanzrefe- chen, wie sensitiv die öffentlichen renda, die darauf abzielen, Haushalte auf die Veränderung übermässiges Ausgabenwachstum wesentlicher Einflussfaktoren und hohe Defizite zu vermeiden. Auf reagieren. Für die Projektionen sind der Bundesebene stellt die Schulden- Annahmen bezüglich der demografi- bremse den mittelfristigen Budget- schen Entwicklung und der makro- ausgleich sicher und gibt einen ökonomischen Grössen notwendig Rahmen für die politischen Entschei- – diese beeinflussen die Berechnung dungsträger vor. Die Schuldenbremse der langfristigen Entwicklung der des Bundes ist restriktiver als das hier Staatsfinanzen wesentlich. verwendete Nachhaltigkeitskonzept, welches dem internationalen Ausgehend von Projektionen für die Standard von OECD, IWF und drei Staatsebenen und die Sozial- EU-Kommission folgt und die werke werden verschiedene öffentlichen Finanzen als nachhaltig finanzpolitische Kennzahlen beurteilt, wenn die Staatsschulden ausgewiesen. Dazu gehören die im Verhältnis zum BIP auf einem Entwicklung der Staatsquote, ausreichend niedrigen Niveau berechnet als Verhältnis der Gesamt- stabilisiert werden können.3 Die ausgaben des Staates zum BIP, die Schuldenbremse stabilisiert hingegen Schuldenquote, gemessen als den Betrag der Schulden des Bundes Verhältnis der öffentlichen Schulden in Franken, also in nominalen zum BIP, und die Fiskallücke. Die Werten. Dadurch sinkt die Schulden- Fiskallücke zeigt den benötigten quote mit steigendem BIP kontinuier- Handlungsbedarf an, der bestehen lich. In der vorliegenden Studie 3 Vgl. bspw. Europäische Kommission (2021) 13
wurde bewusst die Annahme AHV/IV, die Gesundheit und die getroffen, dass Fiskalregeln nicht Langzeitpflege, welche gegenwärtig bindend sind. Im gegenteiligen Fall zusammen 12 Prozent des BIP würde die Analyse keinen Mehrwert betragen, deutlich stärker zunehmen bringen, weil die Staatsschulden a als die gesamtwirtschaftliche priori langfristig nicht mehr steigen Wertschöpfung. könnten. Der vorliegende Bericht ist wie folgt Wie in den vorherigen Berichten zu aufgebaut: Im zweiten Kapitel den Langfristperspektiven der werden das den Projektionen öffentlichen Finanzen stehen zugrundeliegende Demografiesze- diejenigen Bereiche staatlichen nario des BFS und die Annahmen Handelns, welche von der demo- bezüglich der wirtschaftlichen grafischen Entwicklung massgeblich Entwicklung illustriert. Zudem beeinflusst werden, im Vorder- werden die Projektionsmethodik und grund.4 Die geburtenstarken die verwendeten finanzpolitischen Jahrgänge der «Baby-Boomer»-Ge- Kennzahlen erläutert. Das dritte neration werden in den kommenden Kapitel zeigt auf, wie sich die Jahren in Pension gehen. Zudem ist Staatsfinanzen und insbesondere die die Geburtenrate seit den 1970er- demografieabhängigen Ausgaben Jahren stark gesunken und die bis 2050 entwickeln. Kapitel 4 Lebenserwartung steigt weiter an, so beschreitet konzeptionell neues dass sich das Verhältnis zwischen der Terrain und setzt sich qualitativ mit Anzahl älterer Personen und der den langfristigen Auswirkungen des Anzahl Personen im Erwerbsalter Klimawandels auf die öffentlichen weiter verschiebt. Dadurch werden Finanzen auseinander. Kapitel 5 zieht insbesondere die Ausgaben für die ein Fazit. 4 Vgl. EFV (2008), EFD (2012) und EFD (2016) 14
2 Demografische und wirtschaftliche Entwicklung: Annahmen und Methodik In diesem Kapitel werden die kumulierten Bevölkerungsanstieg absehbaren demografischen von 12,3 Prozent gerechnet wird, Entwicklungen dargestellt und die wird von 2035 bis 2050 nur von für die Projektionen verwendeten, einem Anstieg von 7 Prozent zentralen makroökonomischen ausgegangen. Annahmen erläutert. Darauf aufbauend werden die Grundzüge Ein wesentlicher, jedoch schwer der Projektionsmethodik dargelegt. abschätzbarer Bestimmungsfaktor für die Bevölkerungsentwicklung ist 2.1 Demografie der zukünftige Migrationssaldo (Zahl der Einwanderer abzüglich Zahl der Das Referenzszenario zur Bevölke- Auswanderer pro Jahr). Im Referenz- rungsentwicklung in der Schweiz von szenario des BFS wird im Jahr 2020 2020 bis 2050 des BFS (A-00-2020) noch ein Migrationssaldo von 50‘500 bildet die Grundlage für die vorlie- Personen unterstellt (vgl. Grafik 1). genden Projektionen.5 Das BFS geht Die Nettoimmigration steigt bis 2029 von einem Anstieg der Bevölkerung auf 55‘000 Personen, bevor sie bis in der Schweiz von 8,7 Millionen im 2040 auf 35‘000 Personen sinkt und Jahr 2020 auf knapp 10,4 Millionen bis zum Ende des Projektionszeit- im Jahr 2050 aus, was einer mittleren raums konstant bleibt. Langfristig jährlichen Wachstumsrate von nimmt also die Zuwanderung ab, 0,6 Prozent entspricht. Das Bevölke- was gemäss den Demografieszena- rungswachstum schwächt sich im rien des BFS mit der rückläufigen Verlauf des betrachteten Zeithori- Erwerbsbevölkerung in den europäi- zonts jedoch ab. Während in den schen Ländern infolge der aktuell ersten Jahren (bis 2035) mit einem tiefen Geburtenraten zusammen- hängt. 5 Vgl. BFS (2020) 15
Grafik 1: Migrationssaldo 1975–2019 und BFS-Referenzszenario (Anzahl Personen) 120000 100000 ab 2020 Projektionen 80000 60000 40000 20000 0 -20000 -40000 -60000 -80000 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Quelle: BFS Von besonderer Bedeutung für die die Verschiebung der Altersstruktur gesamtwirtschaftliche Entwicklung auch zu einer Veränderung der und die öffentlichen Finanzen ist die Ausgaben im Gesundheits- und Veränderung der demografischen Langzeitpflegebereich. Struktur. Das BFS geht im Referenz- szenario beispielsweise davon aus, Grafik 2 zeigt die Entwicklung der dass die durchschnittliche Lebens- Erwerbsbevölkerung umgerechnet in erwartung der Männer bei Geburt Vollzeitäquivalente (VZÄ). Zum einen von 82,2 Jahren im Jahr 2020 auf wird die vergangene Entwicklung seit 87,2 Jahre im Jahr 2050 steigt und 1995 dargestellt, für welche ein diejenige der Frauen von 85,7 Jahren Anstieg der Erwerbsbevölkerung von auf 89,6 Jahre. Die Alterung der 3,4 Millionen auf knapp 4,3 Mil- Gesellschaft führt zu einem Anstieg lionen zu beobachten ist. Zum des Anteils der Nicht-Erwerbstätigen anderen wird die Entwicklung gegenüber den Erwerbstätigen. gemäss Referenzszenario des BFS Diese Entwicklung ist ein Haupt- gezeigt. Es wird angenommen, dass grund für die finanzpolitischen die Erwerbsbevölkerung aufgrund Herausforderungen, da sie mehr der Nettomigration bis 2050 auf Ausgaben für nicht erwerbstätige knapp 4,8 Millionen steigt. Die Personen bedeutet. Daneben führt Erwerbsquote verharrt nahezu unverändert bei 83 Prozent. 16
Grafik 2: Erwerbsbevölkerung in Vollzeitäquivalenten 1995–2019 und Referenzszenario des BFS (A-00-2020) 5'000'000 4'800'000 ab 2020 Projektionen 4'600'000 4'400'000 4'200'000 4'000'000 3'800'000 3'600'000 3'400'000 3'200'000 3'000'000 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 2023 2025 2027 2029 2031 2033 2035 2037 2039 2041 2043 2045 2047 2049 Quelle: BFS Die Altersstruktur der Bevölkerung 13 Prozent im Jahr 2020 auf gut verändert sich bis 2050 erheblich 15 Prozent im Jahr 2050. Der Anteil (vgl. Grafik 3). Der Anteil der der Personen über 80 Jahre ist mit Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter knapp 11 Prozent im Jahr 2050 sinkt von fast konstanten 62 Prozent annähernd zweimal so hoch wie im in den Jahren 1990–2020 bis ins Jahr Basisjahr 2019. Die junge Generation 2050 auf 55 Prozent. Der Anteil der der unter 20-jährigen hingegen Bevölkerung im Rentenalter unter nimmt anteilsmässig leicht ab. 80 Jahre erhöht sich von etwa 17
Grafik 3: Entwicklung der Bevölkerungsstruktur 1990–2019 und BFS-Referenzszenario (Anteil an Bevölkerung, in %) 70% ab 2020 20–64 Jahre Projektionen 60% 50% 40% 30% 0–19 Jahre 20% 65–79 Jahre 10% 80 Jahre und mehr 0% 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Quelle: BFS Der Altersquotient ist das Verhältnis der Altersquotient. Über den der Anzahl über 65-jähriger Per- Projektionszeitraum nimmt die sonen im Vergleich zur Anzahl Differenz zwischen den beiden Personen im erwerbsfähigen Alter. Quotienten um knapp 2,5 Prozent- Während 1995 auf eine über punkte zu, da die Erwerbsquote 65-jährige Person gut 4 Personen im zwischenzeitlich abnimmt. erwerbsfähigen Alter kommen (Altersquotient 23,9 %), sind es 2.2 Wirtschaftliche Entwicklung: 2020 3,2 Personen (Altersquotient Positiv- und Negativszenario 30,9 %). Dieses Verhältnis verringert sich auf 2,1 (Altersquotient 46,5 %) Für die Erstellung der Ausgaben- und im Jahr 2050 (vgl. Grafik 4). Der Einnahmenprojektionen müssen in «effektive» Altersquotient setzt die Anlehnung an internationale Zahl der Rentnerinnen und Rentner Standards grundlegende Annahmen in Bezug zur tatsächlichen Erwerbs- zu makroökonomischen Grössen bevölkerung, gemessen in Vollzeit- getroffen werden.6 Für die Jahre äquivalenten (VZÄ). Dementspre- 2021–25 werden die von der EFV chend liegt dieser Quotient höher als erstellten volkswirtschaftlichen 6 Vgl. Europäische Kommission (2021) 18
Eckwerte für die Finanzplanung öffentlichen Finanzen. Die Hauptlast verwendet. Die Covid-19-Pandemie der Finanzierung trägt der Bund hat in den Jahren 2020 und 2021 (vgl. Tabelle 1). deutliche Auswirkungen auf die Grafik 4: Altersquotienten7 60% ab 2020 effektiver Altersquotient Projektionen 50% 40% Altersquotient 30% 20% 10% 0% 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Quelle: BFS Tabelle 1: Pandemiebedingte Ausgaben der öffentlichen Haushalte (in Mrd. CHF) Getätigte Ausgaben 2020 Bewilligte Mittel 2021 Gesamt 17,3 25,7 Nach Staatsebene Bund 14,3 22,4 Kantone 2,6 2,6 Gemeinden 0,4 0,7 Nach Funktion Kurzarbeitsentschädigung 10,8 6,0 Corona-Erwerbsersatz 2,2 3,1 Härtefallhilfen – 10,0 Übrige (Gesundheit, Sport, Kultur, 4,3 6,6 Exportindustrie, Tourismus, Medien, Verkehr etc.) Quelle: EFV 7 Altersquotient: Verhältnis der über 65-Jährigen zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Effektiver Altersquotient: Verhältnis über 65-jähriger zur Erwerbsbevölkerung (VZÄ). 19
Da die Unsicherheit über die wurden Eckwerte für zwei unter- wirtschaftlichen Entwicklungen in schiedliche Szenarien festgelegt: ein den nächsten Jahren sehr gross ist, Positiv- und ein Negativszenario (vgl. Tabelle 2). Tabelle 2: Volkswirtschaftliche Eckwerte 2021–25 im Positiv- und Negativszenario (in %) Positivszenario 2021 2022 2023 2024 2025 BIP real 3,6 3,3 2,1 1,7 1,6 BIP nominal 4,0 3,8 2,6 2,2 2,1 LIK 0,4 0,5 0,5 0,5 0,5 Zins (10 Jahre) -0,2 -0,1 0,2 0,4 0,7 Arbeitslosenquote 3,1 2,8 2,8 2,8 2,8 Negativszenario 2021 2022 2023 2024 2025 BIP real 1,8 2,3 2,3 2,3 2,1 BIP nominal 2,1 2,2 2,7 2,7 2,5 LIK 0,2 -0,2 0,4 0,4 0,4 Zins (10 Jahre) -0,4 -0,4 -0,3 -0,1 0,2 Arbeitslosenquote 3,3 3,4 3,3 3,2 3,0 Das Positivszenario geht davon aus, 2020 durch die Pandemie (-2,6 %) dass die ausserordentlichen konjunk- wird vollständig kompensiert und das turellen Unterstützungsmassnahmen langfristige (Potenzial-)BIP entspricht in historischer Höhe (bspw. Kurz- dem Niveau des Vorkrisenwachs- arbeitsentschädigung, Covid-Erwerb- tumspfads (vgl. Grafik 5). Das reale sersatz, Covid-19-Kredite, Härtefall- BIP-Wachstum für die Jahre 2019– massnahmen etc.) zusammen mit 2025 beträgt im Positivszenario im den automatischen Stabilisatoren Durchschnitt 1,5 Prozent. weite Teile der Wirtschaft stabili- sieren. Die Arbeitslosenquote kehrt Im Negativszenario verläuft die bereits 2022 auf das Niveau der wirtschaftliche Erholung weniger strukturellen Arbeitslosenquote von schnell als im Positivszenario. Die 2,8 Prozent zurück («natürliche Arbeitslosenquote verharrt über die Quote»). Nach einer Übergangs- gesamte Periode 2021–2025 phase mit einem überdurchschnitt- oberhalb der strukturellen Arbeitslo- lichen Wachstum zwischen 2021 und senquote. Die pandemiebedingte 2023, wird 2024 der langfristige Rezession in den Jahren 2020 bis Wachstumspfad erreicht. Der 2022 verursacht eine Niveaureduk- Einbruch der Wertschöpfung im Jahr tion des BIP, welche über die 20
Projektionsperiode, d. h. bis 2050, Durchschnitt mit 1,3 Prozent. Die nicht mehr aufgeholt werden kann. Ausgaben der ALV für die Kurzarbeit Das reale BIP wächst im Negativsze- und die konjunkturelle Arbeitslosig- nario für die Jahre 2019–2025 im keit fallen höher aus als im Positivsze- nario. Grafik 5: Reales BIP 2017–2020 und im Positiv- und Negativszenario (in Mio. CHF) 880'000 860'000 ab 2021 840'000 Projektionen 820'000 800'000 780'000 760'000 740'000 720'000 700'000 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2030 Negativszenario Simulation Positivszenario 2017-2020 Quelle: SECO, EFV Es wird angenommen, dass die die Jahre 2021 bis 2025, ab dem Jahr Wirtschaftslage der Schweiz nach 2026 wird die gleiche wirtschaftliche Überwindung der Pandemie und Entwicklung in beiden Szenarien Rückkehr zum langfristigen Gleich- unterstellt. Auch die Annahmen zu gewichtspfad ab 2026 robust ist. Die den restlichen langfristigen volkswirt- Eckwerte für die wirtschaftliche schaftlichen Eckwerten (vgl. Entwicklung in den beiden Szenarien Tabelle 3) sind für beide Szenarien unterscheiden sich deshalb nur für identisch. 21
Tabelle 3: Langfristige volkswirtschaftliche Eckwerte (in %) Arbeitsproduktivität 1,2 Realzins (langfristig) 1,6 Teuerung 1,0 Nominalzins (Realzins + Teuerung) 2,6 Das reale BIP-Wachstum ergibt sich duktivität bis 2050 gleich entwickelt aus der Entwicklung der Erwerbsbe- wie in der Vergangenheit. Zwischen völkerung (ausgedrückt in Vollzeit- 1992 und 2019 betrug der jährliche äquivalenten) und der Arbeitspro- Produktivitätsfortschritt in der duktivität (vgl. Tabelle 4). Es wird Schweiz im Durchschnitt 1,2 Pro- unterstellt, dass sich die Arbeitspro- zent.8 Tabelle 4: Wirtschaftliche Entwicklung (in %) BIP real 2019–2050 2019–2025 2026–2035 2036–2050 Positivszenario 1,53 1,54 1,60 1,49 Negativszenario 1,49 1,33 1,60 1,49 Neben der Annahme zur Entwick- wichtige langfristige nominale lung der Arbeitsproduktivität werden Zinssatz von 2,6 Prozent erst zu auch Annahmen über die Entwick- Beginn der 2030er-Jahre erreicht lung des realen Langristzinssatzes wird. Es wird also eine Übergangsfrist und der Teuerung getroffen (vgl. für die Normalisierung des Zins- Tabelle 3). Die Annahme von niveaus unterstellt. 1,6 Prozent für den realen Langfrist- zinssatz ist mit Blick auf die vergan- Für die Teuerung wird von einer gene Entwicklung 10-jähriger jährlichen Preissteigerung von Bundesobligationen plausibel 1 Prozent ausgegangen. Weiterhin (durchschnittliche, teuerungsberei- wird davon ausgegangen, dass sich nigte Rendite 1992–2019). die Reallöhne langfristig an der Entwicklung der Arbeitsproduktivität Um dem aktuellen Tiefzinsumfeld orientieren, so dass Verteilungsneut- gerecht zu werden, wird zudem ralität zwischen Kapital und Arbeit angenommen, dass der gleichge- besteht. 8 Ein Überblick zu Analysen der Entwicklung der Arbeitsproduktivität in der Schweiz wird z. B. in Colombier (2014) und in der Ausgabe der Volkswirtschaft, 1–2/2016, des Staatssekretariats für Wirtschaft, gegeben. 22
Die Arbeitsproduktivität, der Realzins nachhaltig, wenn die Schuldenquote und die Teuerung werden exogen über einen längeren Zeitraum auf vorgegeben. Rückkoppelungseffekte dem gewünschten Niveau, gemäss vom Staatshaushalt hin zu den internationaler Konvention das makroökonomischen Grössen Niveau des Basisjahres, stabilisiert bleiben unberücksichtigt, bezie- werden kann.9 Eine stabile Schulden- hungsweise wirken sich in den quote ist daher die Basis für nachhal- Projektionen nicht auf das langfristig tige öffentliche Finanzen. Entschei- zu erwartende Wirtschaftswachstum dende Determinanten für die aus. Ebenso sind Rückwirkungen Nachhaltigkeit der öffentlichen einer abnehmenden Erwerbsbevölke- Finanzen ist der Primärüberschuss, rung und damit einer Verknappung d. h. der Saldo zwischen Einnahmen des Faktors Arbeit auf die Arbeitspro- und Ausgaben ohne Passivzinsen, duktivität und die Lohnentwicklung und die Differenz zwischen dem ausgeklammert. Zinssatz auf den Staatsschulden und dem Wirtschaftswachstum. Ist die Angesichts der ausserordentlichen Zins-Wachstums-Differenz positiv, Ausgangslage soll der vorliegende muss der Staat zur Stabilisierung der Bericht auf mögliche langfristige Schuldenquote einen Primärüber- Auswirkungen der Corona-Krise auf schuss erwirtschaften, ist diese die öffentlichen Finanzen fokus- negativ, können Primärdefizite sieren. Auf die Darstellung weiterer zugelassen werden. Alternativszenarien (bspw. höhere/ tiefere Produktivitätsentwicklung, 2.3.1 Staatsquote und verschiedene Szenarien zur Kosten- Ausgabenentwicklung entwicklung im Gesundheitswesen) wird in dieser Ausgabe des Berichts Die Ausgaben von Bund, Kantonen, verzichtet. Gemeinden und Sozialversiche- rungen, welche unmittelbar von der 2.3 Finanzpolitische Kennzahlen Demografie betroffen sind, wie diejenigen für die AHV/IV und die Im Zusammenhang mit der langfris- Gesundheit, werden in Zukunft tigen Entwicklung der Finanzpolitik aufgrund der Alterung der Bevölke- wurde der Begriff der «Nachhaltig- rung zunehmen. Um die Zusatzbelas- keit» zu Beginn der 1990er Jahre in tung für die Volkswirtschaft abzu- die wirtschaftspolitische Diskussion schätzen, werden diese eingebracht. Die Finanzpolitik ist demografieabhängigen Ausgaben 9 Anzumerken ist, dass weder theoretisch noch empirisch gesicherte Aussagen über die optimale Schuldenquote getroffen werden können (vgl. Schlaffer-Bruchez, 2021). 23
ins Verhältnis zum gesamtwirtschaft- zeitraum), oder eine spezifische lichen Einkommen (BIP) gesetzt. Eine Schuldenquote sein.12 Nachhaltigkeit Zunahme der Ausgabenquote gibt ist dann gegeben, wenn die Schul- an, wie stark das jährliche erwirt- denquote am Ende des betrachteten schaftete Einkommen der Schweiz Zeithorizonts dem Zielwert ent- zusätzlich durch die Demografie spricht. belastet wird. Die Staatsquote ist dabei diejenige Ausgabenquote, Die Abweichung der Schuldenquote welche das Verhältnis der gesamten vom gesetzten Zielwert kann Staatsausgaben zum BIP ausdrückt.10 verschiedenermassen dargestellt werden. Eine bewährte Methode ist 2.3.2 Schuldenquote und Fiskallücke deren Darstellung als «Fiskallücke». Diese sagt aus, in welchem Ausmass Die Vorgabe einer stabilen Schulden- die Staatsfinanzen von einem quote setzt einen Vergleich von zwei bestimmten Zeitpunkt an, im Werten voraus, einem Ausgangswert vorliegenden Bericht ab 2025, und einem Zielwert. Sind die zwei jährlich verbessert werden müssten, Werte gleich, wird von «Stabilität» damit am Ende der Periode eine gesprochen. Es ist aber denkbar, dass bestimmte Schuldenquote nicht bereits der Ausgangswert nicht überschritten wird.13 Ob diese einem finanzpolitisch wünschbaren Korrektur auf der Ausgaben- und/ Ziel entspricht, beispielsweise, wenn oder auf der Einnahmenseite erfolgt, die Schulden in der Gegenwart als zu wird dabei offen gelassen. Wenn hoch angesehen werden.11 Da sich beispielsweise die Fiskallücke mit aus der ökonomischen Theorie a Zeithorizont 2050 1 Prozent des BIP priori keine optimale Verschuldung beträgt, so müssen die Rechnungs- ableiten lässt, muss die finanzielle saldi der drei Staatsebenen und der Nachhaltigkeit allgemein in Bezug Sozialwerke bis 2050 jährlich um auf einen bestimmten Zielwert rund 7 Milliarden Franken verbessert angegeben werden. Dieser Zielwert werden. kann die Beibehaltung des aktuellen Status quo (keine Erhöhung der Zusätzlich zur Fiskallücke für das Schuldenquote im Beobachtungs- international gebräuchliche Kriterium 10 Die Staatsausgaben umfassen Transfers, z. B. Sozialleistungen, welche im BIP nicht berücksichtigt werden. Eine Staatsquote von 100 Prozent des BIP bedeutet daher nicht, dass der Staat 100 Prozent des BIP in Anspruch nimmt (Colombier, 2005). 11 Vgl. Schlaffer-Bruchez (2021) 12 Der EU Stabilitäts- und Wachstumspakt beispielsweise legt eine Schuldenquote von 60 Prozent als Zielwert fest. 13 Die Formel zur Berechnung der Fiskallücke ist dem Anhang 1 zu entnehmen. 24
der Stabilisierung der Schuldenquote Schuldenquote auf dem Niveau des wird in diesem Bericht auch die Basisjahres 2019, also bei 25,4 Pro- Fiskallücke für das in der Schulden- zent des BIP, stabilisieren kann. Unter bremse des Bundes definierte dieser Annahme sind die staatlichen Nachhaltigkeitsziel, die Stabilisierung Haushalte finanziell nachhaltig, was der nominalen Schulden, ausge- bedeutet, dass sich keine Fiskallücke wiesen. auftut. Das so definierte verfügbare Einkommen pro Kopf wird dabei Für die Arbeitslosenversicherung inflationsbereinigt berechnet. Steigt wird spätestens nach der Finanzplan- das inflationsbereinigte verfügbare periode, d. h. ab 2026 ange- Einkommen pro Person in der nommen, dass sich die Versicherung Zukunft an, bedeutet dies, dass der in einem strukturellen Gleichgewicht Wohlstand trotz demografiebe- befindet (vgl. Tabelle 2). dingter Zusatzbelastung zunimmt. 2.3.3 Verfügbares Einkommen 2.4 Projektion der Ausgaben und Einnahmen Um aufzuzeigen, wie sich die demografiebedingten Zusatzaus- Die Darstellung einzelner Aufgaben- gaben des Staates auf die finanzielle gebiete ermöglicht es, einen Situation der Einwohnerinnen und allfälligen Handlungsbedarf für Einwohner der Schweiz auswirken spezifische Bereiche zu identifizieren. würden, wird die Entwicklung des Die Vorgehensweise bei der Erstel- BIP pro Kopf der Bevölkerung, also lung der Projektionen entspricht das durchschnittliche Einkommen weitgehend derjenigen der EU.15 pro Einwohner/in, nach Abzug von Grundlage für die Projektionen der Steuern, Sozialbeiträgen und öffentlichen Haushalte sind die Prämien für die obligatorische Daten der Finanzstatistik. Bis auf die Krankenpflegeversicherung (OKP) Gemeinden ist 2019 das Basisjahr. herangezogen.14 Für die zukünftige Aufgrund der Datenverfügbarkeit Entwicklung wird angenommen, wird für die Gemeinden auf das Jahr dass die staatlichen Einnahmen 2018 zurückgegriffen. Die Berech- aufgrund der demografiebedingten nungen für den Bund stützen sich Zusatzlasten für die Alterssicherung, zusätzlich auf den aktuellen Finanz- die Gesundheit, die Langzeitpflege plan 2023–2025 der EFV sowie auf und die Bildung soweit erhöht die Projektionen des BSV für die AHV werden müssen, dass der Staat die und die IV. Der Bericht geht von der 14 Da die berufliche Vorsorge in den Langfristperspektiven nicht behandelt wird, bleiben die Lohnbeiträge für die zweite Säule unberücksichtigt. 15 Vgl. Europäische Kommission (2021) 25
Umsetzung der Bundesratsvorlage dem Mischindex angepasst: die für die Reform AHV 21 aus. Nachfol- Teuerung wird vollständig berück- gend werden die wichtigsten sichtigt, die Reallohnentwicklung methodischen Annahmen erläutert. aber nur zur Hälfte. Die Durch- schnittsquoten der Beitragszah- 2.4.1 Demografieabhängige lenden (Anzahl beitragszahlende Ausgaben Personen im Verhältnis zur Gesamt- bevölkerung) und die durchschnitt- Detaillierte Projektionen der Aus- lichen Beiträge werden nach gaben auf allen Staatsebenen Nationalität, Geschlecht und Alter inklusive Sozialversicherungen ermittelt. Das BSV berechnet die wurden in denjenigen Bereichen Einnahmen des AHV-Fonds durch vorgenommen, die am stärksten vom Addition dieser Beiträge zu den demografischen Wandel betroffen übrigen Beiträgen, z. B. denjenigen sind. Es sind dies die Alterssicherung des Bundes. Letztere setzen sich aus (AHV) und Invalidenversicherung (IV), dem Bundesbeitrag für die Ausgaben die Gesundheit inklusive Langzeit- der AHV, dem Anteil der AHV an der pflege und die Bildung. Beim Bund Mehrwertsteuer und der Spielban- machten diese Ausgaben 2019 kenabgabe zusammen. 33 Prozent des Totals aus, bei den Kantonen 56 Prozent und bei den Für die Langfristperspektiven der Gemeinden 36 Prozent. AHV werden die ab 2020 geltende STAF und die Bundesratsvorlage Alterssicherung und AHV 21 zugrunde gelegt. Die STAF Invalidenversicherung sieht drei Massnahmen zur Finanzie- rung der AHV vor. Erstens wird der Im Bereich der Alterssicherung und Beitragssatz um 0,3 Prozentpunkte Invalidenversicherung werden die (je 0,15 Prozentpunkte für Arbeit- Projektionen der Ausgaben und der nehmer und Arbeitgeber) erhöht, Einnahmen der AHV und der IV vom zweitens wird der Demografiepro- BSV durchgeführt. zentpunkt der Mehrwertsteuer vollständig der AHV zugewiesen und Bei der AHV berechnet das BSV die drittens erhöht sich der AHV-Bundes- Rentensumme gestützt auf die beitrag von 19,55 Prozent auf Anzahl Rentner/innen nach Alter und 20,20 Prozent. Die Bundesratsvor- Geschlecht gemäss den Demografie- lage AHV 21 beinhaltet eine szenarien des BFS sowie unter Angleichung des Rentenalters für Berücksichtigung der schweizeri- Frauen auf 65 bei gleichzeitigen schen, ausländischen und im Ausgleichsmassnahmen (reduzierte Ausland lebenden Anspruchsberech- Kürzungssätze bei Rentenvorbezug, tigten. Diese Renten werden nach vorteilhaftere Rentenformel). 26
Ausserdem sieht die Bundesratsvor- Erwerbsleben und der Ausbau der lage eine Mehrwertsteuererhöhung Beratung und Begleitung von zugunsten der AHV von 0,7 Prozent- Menschen mit psychischen Gesund- punkten vor. Diese Mehrwertsteuer- heitsstörungen. Der Bundesrat will erhöhung führt zwar zu Mehrein- die Weiterentwicklung der IV nahmen, wird jedoch kostenneutral ausgestalten, da die IV zweckgebunden an die AHV bis ungefähr 2030 schuldenfrei sein weitergereicht und deshalb als dürfte. Längerfristig wird durch die Bundesausgabe verbucht. Eingliederungsmassnahmen für IV-Empfänger eine Entlastung des Die IV wird durch Sozialversiche- IV-Finanzhaushalts erwartet. rungsbeiträge und den Beitrag des Bundes finanziert. Der Bundesbeitrag Gesundheitswesen richtet sich seit 2014 nicht mehr nach den Ausgaben der IV, sondern Für das Gesundheitswesen erfolgen grundsätzlich nach der Entwicklung die Projektionen in mehreren der Mehrwertsteuer-Einnahmen.16 Schritten und stützen sich dabei auf Allerdings ist im Gesetz vorgesehen, eine international anerkannte dass der Mindestbeitrag des Bundes Methodik ab.18 In einem ersten nicht 37,7 Prozent der IV-Ausgaben Schritt werden die gesamten unterschreiten darf.17 Im Jahr 2020 Gesundheitsausgaben ausgehend ist aufgrund der Pandemie diese vom Basisjahr 2019 nach Altersko- Regelung erstmalig seit Einführung horten, Geschlecht und Gesundheits- der IV-Reform im Jahr 2014 zur leistungen aufgeteilt. In Anlehnung Anwendung gelangt. Für die an die Arbeiten der OECD und der vorliegenden Projektionen wird die EU-Kommission wird zwischen den Weiterentwicklung der IV gemäss Bereichen Gesundheitsausgaben Botschaft des Bundesrats berücksich- ohne Langzeitpflege und der tigt. Im Zentrum dieser Reform Langzeitpflege (ab 65 Jahren) stehen die intensivere Begleitung unterschieden, da die Ausgabenent- und Steuerung bei Geburtsgebre- wicklung dieser Bereiche unter- chen, die gezielte Unterstützung von schiedlich von den Kostentreibern im Jugendlichen beim Übergang ins Gesundheitswesen beeinflusst 16 Da das Wachstum der Mehrwertsteuereinnahmen tendenziell höher ist als das Ausgabenwachstum der IV, wird die Bindung an die Mehrwertsteuereinnahmen noch durch einen «Diskontfaktor» bereinigt. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass das Rentensystem nicht der allgemeinen Lohnentwicklung folgt, sondern dem Mischindex. 17 Vgl. BSV (2021) 18 Vgl. Colombier (2012) 27
wird.19 Basierend auf diesen Projek- Finanzstatistik der sozialen Wohlfahrt tionen erfolgt in einem weiteren zugeordnet sind, ebenfalls berück- Schritt die Fortschreibung der sichtigt werden. Kasten 1 stellt dar, öffentlichen Ausgaben für die wie das Wachstum der Gesundheits- Gesundheit, wobei die Ausgaben für ausgaben für die von der Corona- die individuelle Prämienverbilligung krise besonders betroffenen Jahre und die Ergänzungsleistungen der 2020 und 2021 behandelt wurde. AHV, welche in der öffentlichen Kasten 1: Gesundheitsausgaben in den Jahren 2020 und 2021 Zur Abschätzung der Kostenentwicklung im Jahr 2020 wird aufgrund der Datenverfügbarkeit das Monitoring der Krankenversicherungskostenentwick- lung (MOKKE) berücksichtigt. Diese Statistik wird mit einer geringen zeitli- chen Verzögerung publiziert und erlaubt daher für den vorliegenden Bericht eine Abschätzung der Kostenentwicklung für das Jahr 2020. Die MOKKE legt ein moderates Kostenwachstum nahe, was auch aufgrund anderer Studien plausibel erscheint.20 Dieses Kostenwachstum wird für weitere von der Demografie abhängige Gesundheitsausgaben wie beispielsweise die kantonalen Beiträge an die Spitäler in den Projektionen übernommen. Ausgenommen davon sind die pandemiebedingten Bundesausgaben für die Gesundheit (vgl. Tabelle 5 für die Jahre 2020 und 2021). Da die zur Verfügung stehenden Studien nicht darauf hindeuten, dass für das Jahr 2021 mit wesentlichen Mehr- oder Minderausgaben zu rechnen ist, werden wiederum mit Ausnahme der pandemiebedingten Gesundheitsaus- gaben des Bundes die demografieabhängigen Ausgaben im Bereich Gesund- heit ab dem Jahr 2021 mit dem demografischen Wandel und den weiteren, für das Gesundheitswesen zentralen Kostentreibern bis zum Jahr 2050 fortgeschrieben.21 19 Vgl. bspw. Europäische Kommission (2021) 20 Vgl. Schweizerische Eidgenossenschaft (2021) und KOF (2021) 21 Aufgrund der behördlich angeordneten Verschiebung nicht dringender Behand- lungen im Frühjahr 2020 wurde für den Spitalsektor von Ertragsausfällen berichtet (PWC 2021). In diesem Zusammenhang wurde auch von möglichen Nachholef- fekten in der zweiten Hälfte 2020 oder in 2021 gesprochen. Die erwähnten Berichte finden dafür jedoch keine klaren Hinweise. 28
Die pandemiebedingten Gesundheitsausgaben des Bundes für die Jahre 2020 und 2021 fliessen in die vorliegenden Ausgabenprojektionen ein (vgl. Tabelle 5). Es handelt sich primär um Ausgaben für Schutzmittel (inkl. Impfstoffe) und Tests. Tabelle 5: Covid-19 Gesundheitsausgaben des Bundes (in Mio. CHF) Getätigte Ausgaben 2020 Bewilligte Mittel 2021 Gesundheit 856 3983 Beschaffung Sanitätsmaterial, 618 1200 z.B. Masken, Impfstoffe, etc. Kostenübernahme für Covid-Tests 194 2497 Arzneimittel, Mehraufwand BAG, 45 286 Gesundheitsschutz Quelle: EFV Es wird angenommen, dass sich der menseffekt werden zunehmende Gesundheitszustand der Bevölkerung Ansprüche der Bevölkerung an das mit zunehmender Lebenserwartung Gesundheitssystem, der medizinisch- verbessert. Dies bedeutet, dass ein technische Fortschritt, aber auch Jahrgang mit jedem gewonnenen medizinisch nicht indizierte Mengen- Lebensjahr medizinisch betrachtet ausweitungen erfasst. Für die ein halbes Jahr jünger und entspre- Teuerung im Bereich Gesundheit chend gesünder ist. Im Bereich ohne Langzeitpflege wird unterstellt, Gesundheit ohne Langzeitpflege dass sie um 50 Prozent höher liegt als nehmen gemäss Annahme die die allgemeine Inflation. Die über- Ausgaben mit steigendem Ein- durchschnittliche Teuerung kann kommen um das 1,1-fache zu unter anderem auf überhöhte Tarife (Einkommenselastizität: 1,1). Über und den Baumoleffekt zurückgeführt diesen überproportionalen Einkom- werden (relativer Preiseffekt).22,23 22 Der Baumoleffekt lässt sich wie folgt erklären: Die hohe Arbeitsintensität im Gesundheitswesen impliziert ein relatives tiefes Produktivitätswachstum. Dieses erzeugt einen Kostendruck, wenn die Löhne im Gesundheitswesen längerfristig wie die Löhne in der übrigen Wirtschaft wachsen. Bei einer relativ unelastischen Nachfrage nach Gesundheitsleistungen steigen die Preise im Gesundheitswesen stärker als in der übrigen Volkswirtschaft. 23 Zu hohe Tarife können resultieren, da zwischen den Tarifpartnern, Krankenkassen und Leistungserbringern, in der Regel asymmetrische Informationen bestehen. Diese sind aus ökonomischer Sicht eine wichtige Begründung für ein Marktver- sagen. 29
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