D'ER EXISTENZVERNICHTENDE EINGRIFF DES GMBH-GESELLSCHAFTERS - STUDZR

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   Sarah Nanne"

   D'er existenzvernichtende Eingriff
   des GmbH-Gesellschafters

   Abstract

  Mit der "Trihotcl"-Emscheidung vom l6.Juli 2007 hat der BGH das Haf-
  tungskonzept zum existenzvernichtenden Eingriff des GmbH-Gesell-
  schaftcrs neu formuf,iert. Kraft richterlichen Gestaltungsaktes soll damit
  ein endgültiger Schlussstrich unter die bisherigen Zweifelsfragen und dog-
  matischen U nschärfcn der Existenzvernichtungshaftung gezogen werden.
  Doch die vermeintliche Schlichtheit der neuen Rechtsprechung birgt zahl-
  reiche Tücken, die bislang noch nicht einmal ansatzweise aufgedeckt wer-
  den konnten. Dies gibt Anlass, die Existenzvernichtungshaftung in neuem
  Licht zu betrachten und festgefahrene Gleise zu verlassen. Die anstehende
  Reform des GmbH-Rechts liefert dabei entscheidende Impulse und kann
  die Grundlage für eine vollständig neue Dogmatik des seit Jahrzehnten
  umstrittenen Rechtsinstituts des existenzvernichtenden Eingriffs bieten.

  ::- Sarah Nannt studiert Redmwissenschaft an der Universität Trier. Die
      vorliegende Arbeit basiert auf einem Seminar bei Prof. Dr. Peter Reif[,
     dem die Vcrfasscrin für wertvolle Anregungen dankt. Der Beitrag wur-
     de im Dezember 2007 eingereicht.
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          I.    Die Existenzvernichtungshaftung -
                ein rein deliktisches Rechtsinstitut?
       Kaum ein anderes Rechtsinstitut des Gesellschaftsrechts ist einem derart extremen
       Wandel unterworfen wie der existenzvernichtende Eingriff des GmbH-Gesellschaf-
       ters. In Rechtsprechung und Literatur besteht zwar grundsätzlich Einigkeit darüber,
       dass die GmbH als juristische Person nicht rücksichtslos und ohne Wahrung der
       Gläubigerinteressen in ihrer Existenz zerstört werden darf. 1 Über die dogmatische
       Einordnung, die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen einer Existenzvernichtungs-
       haftung wird jedoch insbesondere seit den siebziger Jahren intensiv debattiert, und im
       Laufe der Zeit wurden neben einer Zuordnung zum reinen Gesellschaftsrecht auch
      bereits konzern-, 2 delikts- 3 oder insolvenzrechdichc 4 Lösungen vertreten. Mit einer
      bahnbrechenden Entscheidung 5 vom 16.Juli 2007 (,,Trihotel") scheint der BGH nun
      unter all diese jahrzehntelangen Diskussionen einen Schlussstrich ziehen zu wollen,
      indem er die Existenzvernichtungshaftung ausschließlich als eine Schadensersatzhaf-
      tung der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft gemäß § 826 BG B einordnet. Ein
      über das Deliktsrecht hinausgehendes, ".gesellschaftsrcchtlich fundiertes Haftungsin-
      stitut" sei nicht erforderlich. 6 Doch kann die Lösung tatsächlich so einfach .sein? Kann
      ausgerechnet diese delikrisehe Generalklausel als dogmatisches Gerüst des existenz-
      vernichtenden Eingriffs herhalten? In ersten Reaktionen der Literatur war jedenfalls
      Erleichterung zu spüren. Zumindest für die Praxis seien damit die Rechtsgrundlage
      und die Voraussetzungen der Existenzvernichtungshaftung nach wechselhaften Jahr-
      zehnten klar bestimmbar gewordcn. 7 Die Lösung über § 826 BGB möge zwar "im

      1     Vgl. BGH, NJW 2007, 2689 (2690); Lutter! Banerjea, Die Haftung wegen Existcnzvcrnich-
            tung, ZGR 2003, 402 (407); Röhricht, Die GmbH im Spannungsfcl.d zwischen wirtschaft-
            licher Dispositionsfreiheit ihrer Gesellschafter und Gläubigerschutz, in: FS SO Jahre BGH,
                   s.
            2000, 83 (97).
      2     BGHZ 95, 330; 107, 7; 122, 123; BGH, GmbHR 1991, 520.
      3     Dauner-Lieb, Die Existenzvernichtungshaftung - Schluss der Debatte? DStR 2006, 2034
            (2041); Haas, Reform des gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzes, Gutachten E zum 66.
            Deutschen Juristemag, 2006, E 90; Kleind1:ek, Ordnungswidrige Liquidation durch organi-
            sierte "Firmenbestattung", ZGR 2007, 276 (302); Weller, Die Existenzvernichtungshaftung im
            modernisierten GmbH-Recht- eine Außenhaftung für Forderungsvereitelung (§ 826 BGB),
            DStR 2007, 1166 (1169).
      4    Nasal!, "Existenzvernichtungshaftung" als reine Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft
           nach§ 826 BGB ("Trihotel"), jurisPR-BGHZivilR 36/2007, Anm. l; Wackerbarth, Existenz-
           vernichtungshaftung 2005: Unternehmerische Entscheidungen auf dem Prüfstand? ZIP 2005,
           877 (884).
      5    BGH, NJW 2007, 2689.
      6    BGH, NJW 2007, 2689 (2692).
      7    Vgl. Altmeppen, Abschied vom "Durchgriff" im Kapitalgcscllschaftsrccht, NJW 2007,
           (2657); LeueringlRubner, Neues Konzept der Existcnzvcrnichtungshaftung,
           2007, 363 (364); Paefgen, Existenzvernichtungshaftung nach Gcscllschaftsdcliktsrecht, DB
           2007, 1907 (1910); Schröder, Anmerkung zu BGH, Urt. v. 16.7.2007-11 ZR 3/04, GmbHR
           2007, 935 (935); Weller, Die Neuausrichtung der Existenzvernichtungshaftung durch den
           BGH und ihre Implikationen für die Praxis, ZIP 2007, 1681 (1681).
Nannt                            Der existenzvernichtende Eingriff des GmbH-Gesellschafters     213

ersten Eindruck ernüchternd ,schlicht' wirken", damit habe die Existenzvernich-
tungshaftung aber endgültig eine präzisierbare "dogmatische Heimat" gefunden. 8
Trotz dieserneuen Klarheit bleibt jedoch ein Unbehagen. Die Existenzvernichtungs-
haftung erfüllt einen Teil der grundlegenden Aufgabe, die wirtschaftliche Dispo-
sitionsfreiheit der GmbH-Gesellschafter mit dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger
in Ausgleich zu bringen. 9 Sie stellt das "systemimmanente normative Korrelat der In-
strumentalisierung der GmbH als haftungsbegrenzende Institution" dar. 10 Weshalb
dieser ureigene gesellschaftsrechtliche Kernauftrag über das Deliktsrecht realisiert
werden soll, erscheint nur schwer verständlich.
Bestärkt werden die Zweifel an der neuen Rechtsprechung durch die kommende Än-
derung des GmbH-Gesetzes durch das Gesetz zur Modernisicrung des GmbH-
Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG). 11 Im Zuge der Reform
soll ein neuer § 64 S. 3 in das GmbH-Gesetz eingefügt werden, wonach ein Ge-
schäftsführer zum Ersatz von an die Gesellschafter geleisteten Zahlungen verpflich-
tet ist, "soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei
denn, dies war auch bei Beachtung (der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns)
nicht erkennbar" . 12 Sowohl unter inhaltlichen Gesichtspunkten 13 als auch nach der
ausdrücklichen Begründung zum Regierungsentwurf des MoMiG 14 wird damit ein
"Teilbereich" der Haftung eines Geschäftsführers wegen existenzvernichtenden Ein-
griffs normiert. Liegt aber nun eine gesetzliche Teilregelung für den Geschäftsführer
vor, die systematisch dem GmbH-Recht zugeordnet und mit besonderen Anforde-
rungen versehen wird, so drängt sich die Frage auf, ob man hieraus nicht auch Rück-
schlüsse auf die dogmatische Einordnung und die Tatbestandsvoraussetzungen der
Existenzvernichtungshaftung der Gesellschafter ziehen muss. Eine allein delikrisehe
Lösung könnte hierzu in Widerspruch geraten.
Die "Trihotel"-Entscheidung setzt folglich entgegen ersten Hoffnungen keineswegs
einen Schlusspunkt unter die Debatte über die dogmatische Einordnung und die Be-
deutung der Existenzvernichtungshaftung des GmbH-Gesellschafters. Vielmehr
wirft die neue Rechtsprechung zahlreiche Fragen auf, die es auf der Grundlage der
künftigen Gesetzeslage zu beantworten gilt. Hierzu werden im Folgenden zunächst
die Grundlagen des Rechtsinstituts des existenzvernichtenden Eingriffs sowie die
dogmatischen Lösungswege der Rechtsprechung und der Literatur vorgestellt und
analysiert. Daran schließt sich die Darstellung einer neuen Dogmatik vor dem Hin-

 8 Altmeppen (Fn. 7), S. 2657.
 9 Röhricht (Fn.l), S. 100.
10   BGH, NJW 2007, 2689 (2691).
11   RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140.
12   RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, Art. l Nr.43, 5.13.
13   Böcker!Poertzgen, Kausalität und Verschulden beim künftigen §64 Satz 3 GmbHG, WM
     2007, 1203 (1205); K. Schmidt, GmbH-Reform, Solvenzgewährleistung und Insolvenzpraxis
     _ Gedanken zum MoMiG-Entwurf, GmbHR 2007, 1 {6); Vetter, Die neue dogmatische
     Grundlage des BGH zur Existcnzvernichtungshaftung, BB 2007, 1965 (1967); Weller (Fn. 3),
     s. 1167.
14   RegE MoMiG,    BT-Drucks. 16/6140, zu Art. 1 Nr. 43, S. 112.
214        StudZR                                                                                 2/2008

        tergrund des MoMiG an. Abschheß.end werden die einzelnen Anforderungen an die
        Haftung nach der" Trihotelce-Konstruktion einerseits und nach der hier entwickelten
        Lösung andererseits kritisch gegenübergestellt.

        II. Der Ausgangspunkt
        Ausgangspunkt der Haftung in der GmbH ist das Trennungsprinzip des § 13 li
        GmbHG, wonach für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft nur das Gesellschafts-
        vermögen haftet. Der Schutz der Kapitalerhaltung wird dabei in erster Linie durch
       die§§ 30, 31, 43 HI GmbHG gewährleistet. Dieser Schutz kann sich jedoch für die
       Gesellschaftsgläubiger im Fall eines Gesellschaftereingriffs in zwei Konstellationen
       als unzureichend erweisen. Auf der einen Seite gibt es Fälle, in denen ein entstande-
       ner Nachteil bereits von vornherein bilanzmäßig nicht abgebildet werden kann,
       beispielsweise bei einem Entzug von Patenten, Gcschäftschanccn, Nutzungsbefug-
       nissen oder personellen Ressourcen. Andererseits kann ein Eingriff Folgeschäden
       verursachen, die von den§§ 30,31 GmbHG nach allgemeiner Ansicht ebenfalls nicht
       erfasst werden können ("Dominoeffekt"). 15
       In diesen beiden Fällen kann nun unter Umständen die richterrechtliche Rechtsfigur
       des existenzvernichtenden Eingriffs zur Verwirklichung eines effektiven Gläubiger-
       schutzes weiterhelfen. Danach haften die Gesdlschafter ausnahmsweise persönlich,
       wenn sie der GmbH "unter Missachtung der Zweckbindung des Gesellschaftsver-
       mögens zur vorrangigen Befriedigung der Gescllschaftsgläu bigcr" 1(' Vermögen ent-
       ziehen oder einen sonstigen Nachteil zufügen. Erforderlich ist also ein Eingriff, der
      für die Gesellschaft eine "Weichenstellung ins Aus" 17 bedeutet und der sie "außer-
       halb des üblichen Unternehmerischen Risikos in die Insolvenz treibt" . 1s Dabei muss
      stets beachtet werden, dass den Gesellschaftern grundsätzlich die volle Dispositions-
      freiheit über "ihre" Gesellschah zusteht. Sie sind also in keiner Weise verpflichtet, die
      GmbH durch Investitionen, durch das Ergreifen von günstigen Geschäftschancen
      oder das Unterlassen von Deinvestitionen ,,am Leben" zu erhalten. 19 Verlangt wird
      lediglich das Unterlassen einer sog. "kalten Liquidation", d. h. es muss eine geordne-
      te Abwicklung im Rahmen des gesetzlich vorgesehenen Liquidationsverfahrens
      (§§ 65 ff. GmbHG) bzw. der Insolvenzordnung erfolgen. 20

      15     BGH, NJW 2007,2689 (2691); Dauner-Licb (Pn. 3), S. 2037; Gruncwald, Gcsellschaftsrccht,
            6.Auflagc
                    (2005), S. 386; Keßler, Die Durchgriffshaftung der Grnbl-1-Gcscllschaftcr wegen
            "existenzgcfährdcndcr" Eingriffe- Zur dogmatischen Konzeption des                       in
            der GmbH, GmbHR 2002, 945 (950); Pacfgcn (Fn. 7), S. 1907; Röhricht (Fn. I), S. 93.
      16    BGHZ 151,. 181 (1. Leitsatz).
      17 Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 13 Rn.17.
      18 Grunewafd (Fn.15), 5.385.
      19 Hueck!Fastrich, in: Baumbach/Hucck, § 13 Rn.18; Röhricht (Fn.l), S. 105; /{. Scbmidt, Ge·
         sellschaftsrecht, 4. Auflage (2002), 5. 1150.
      20 BGHZ 151, 181 (186); BGH, NZ] 2005, 237 (1. Leitsatz); Dauncr-Lieb (Fn.3), 5.2037;
         Kleindiek (Fn. 3), S. 299.
I,

 Nannt                            Der cxistcnzvcrnichrcndc Eingriff des GmbH-Gesellschaftcrs      215

 Von der Existenzvernichtungshaftung kann neben der gleichsam "klassischen" Kon-
 stellation des Finanzmittelabzugs auch der Entzug von sonstigen Vorteilen wie bei-
 spielsweise Produktionsmittel, 21 Kundendateien, 22 Informationen 23 oder Geschäft-
 schancen der Gesellschaft24 erfasst werden,. ferner die Verlagerung von ganzen Ge-
 schäftsfcldern auf andere Gesellschafter im Rahmen von Konzernsachverhalten, 25 die
 Schließung von Produktionsstätten, 2 r' das Stellen von Sicherheiten für Gesellschafter-
 verbindlichkeiten oder für konzernangehörige Unternehmcn 27 sowie die Kündigung
 oder Aufhebung existenzsichernder Miet- oder Pachtverträge. 2x Überdies können
 auch hohe Risikogeschäfte zu einer Haftung führen, sofern die Grenze zwischen zu-
 lässigem Unternehmerischen Risiko und unzulässiger Existenzvernichtung über-
 schritten wird. 29

 III. Die Entwicklung in der Rechtsprechung
Das richterrechtliche Institut der Existenzvernichtungshaftung hat eine lange und
wechselhafte Entwicklung hinter sich. Bereits das Reichsgcricht" 0 erkannte, dass die
Gesellschaftsgläubiger durch das GmbH-Gesetz nur unzureichend geschützt wer-
den. Abhilfe wurde daher schon früh durch die Konstruktion eines Haftungsdurch-
griffs auf d.ic Gesellschafter geschaffen. In einer Entscheidung wurde eine Durch-
griffshaftung beispielsweise als gerechtfertigt angesehen, sofern "die Wirtschaftlich-
keiten des Lebens, die wirtschaftlichen Bedürfnisse und die Macht der Tatsachen es
dem Richter gebieten, die juristische Konstruktion hintanzusetzen«. 31 Dass eine der-
artige Begründung genauso we.nig als tragfähige dogmatische Grundlage taugt wie
ein Rückgriff auf den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben/ 2 liegt auf der
Hand. Dennoch bildete sieb bis zur Mitte der achtziger Jahre keine klarere Recht-
sprechung heraus."J

21   Hueck/Fastrich, in: Baumbach/H ucck, § 13 Rn. 20.
22    BGH, NZI 2005, 237 (239).
23   Liebscher, GmbH-Konzcrnrccht, 2006, Rn. 5!5.
24   Dauner-Lieb (Fn. J), S. 2038; Hueckl Fastricb, in: Baumbach/Hucck, § 13 Rn. 18.
25   Dauner-Lieb (Fn. 3), S. 2038; rl/cller (Fn. 7), S. 1684.
26   Liebscher (Fn. 23), Rn. 511.
27   BGH, NJW 2007, 2689 (2694); I-Jucckl Fastrich, in: Baumbach/Hucck, § 13 Rn. 20; Liebscher
     (Fn.23), Rn.517.
28 BGH, DSrR 2004, 2065 (2066); BGH, NJW 2007, 2689 (2694); Hueck/Fastrich, in: Baum-
   bach/Hucck, § 13 Rn. 20.
29 Vgl. BGH, DStR 2005, 340 (341); Aftmcppcn, in: Roth/Aitmcppcn, § 13 Rn. 88, 92; Lieb-
   scher (Fn. 23 ), Rn. 506 f.; Röhricht (Fn. 1), S. II 0; zweifelnd M ülbcrt, Abschied von der
     "TBB"-Haftungsrcgcl für den qualifiziertfaktischen GmbH-Konzern, DStR 2001, 1937
     (1940).
30   RGZ 129, SO (53);. RGZ 156,271 (277); RGZ 169,240 (248).
31   RGZ 129, 50 (53).
32   RGZ 129, 50 (54); RGZ 156,271 (277); RGZ 169,240 (248).
33   Vgl. BGHZ 20,4 (12); BGHZ 22,226 (230); hierzu Altmeppen, Zur Entwicklung eines ncu-
     cn Gläubigerschutzkonzeptes in der GmbH, ZIP 2002, 1553 ( 1556).
216        StudZR                                                                               2/2008

        Im Jahr 1985 unternahm der BGH schließlich mit ,.,Auto.kran"J 4 erstmals den Ver-
        such, die Existenzvernichtungshaftung auf eine gesicherte rechtliche Grundlage zu
        stellen. Kernaussage dieses Urteils und der sich anschließenden folgeentscheidun-
        gen35 war,. dass sich ein "qualifiziert faktischer GmbH-Konzern" wie ein Vertrags-
        konzern verhalte und dementsprechend auch an den aktienrechtlichen Konzernvor-
        schriften (§§291 ff. AktG) gemessen werden müsse. Dieser "Ausflug" in das Kon-
        zernrecht erschein.t auf den ersten Blick sehr verwunderlich, geht es doch bei der
        Existenzvernichtungshaftung eines GmbH-Gesellschaftcrs um ein allgemeines, von
        Konzernrechtssachverhalten ablösbares Problem. In der Praxis ist Adressat der Exis-
       tenzvernichtungshaftung jedoch besonders häufig eine Muttergesellschaft, die der
       abhängigen Tochtergesellschaft Vermögen entzogen hat, so dass die neue Rechtspre-
       chung zumindest den größten Teil der Problemfälle abdecken konnte.Jr, Dennoch
       erwies sich die Konstruktion des "qualifiziert faktischen GmbH-Konzerns" als
       Irrweg. Zum einen ist nur schwer einsichtig, wie sich aus den §§ 291 ff. AktG die
       Möglichkeit einer Durchgriffshaftung herleiten lassen soll. Zum anderen ist der
       Kapitalerhaltungsschutz im Aktienrecht in den §57 I, III, 60, 62 AktG wesentlich
       strenger geregelt als in den§§ 30, 31, 43 III GmbHG,. so dass ein umfassender Glo-
       balausgleich gemäß § 302 AktG ohne Berücksichtigung des Stammkapitals zu weit
       geht. 37 Eine neue, vom Konzernrecht losgelöste und speziell auf clas GmbH-Recht
       zugeschnittene Lösung war somit dringend erforderlich.
       Mit der berühmten "Bremer Vulkan" -Entscheidung3 x vom 17.09.2001 entschied sich
       der BGH schließlich ausdrücklich gegen die Figur des "qualifiziert faktischen
       GmbH-Konzerns". In dem zu emseheidenden Fall hatte ein Allcingcsellschaftcr
       ".seine" GmbH dazu veranlasst, staatliche Investitionsbeihilfen in den Liquiditäts-
       verbund einer Unternehmensgruppe einzubringen (sog. Cash-Management-System),
       ohne Vorkehrungen für die Existenzerhaltung der GmbH zu treffen. Der Gesell-
      schafter war zwar eigentlich gar nicht verklagt, der BGH nutzte die Gelegenheit aber
      dennoch, um in einem obiter dieturn auf ein ncues Haftungskonzept einzugehen: Die
      Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs als eigenständiges Rechtsinstitut.
      Die dogmatische Konstruktion war durch den damaligen Vorsitzenden des li. Zivil-
      senats Röhricht vorbereitet            und besagt nach dem ersten Leitsatz des Ur-
      teils, dass der Schutz einer GmbH gegen Eingriffe ihres Alleingcscll.schaftcrs "auf die
      Erhaltung ihres Stammkapitals und die Gewährleistung ihres Best;tndsschutzcs bc-

      34     BGHZ 95, 330.
      35     BGHZ 107,. 7; 122, 123; BGH, GmbHR 1991, 520.
      36     Vgl. Dauner-Lieb (Fn.3), 5.2040; Goette, Anmerkung zu BGI-1, Urt. v. ](,,7.2007- II ZR
            3/04, DStR 2007, 1593 (1594); Röhricht (Fn. 1), S. 83.
      37    Altmeppen, Grundlegend Neues zum "qualifiziert faktischen" Konzern und zum Gläubi-
            gerschutz in der Einmann-GrnbH, ZIP 2001, 1837 ( 1840); Bitter, Der Anfan).; vorn Ende des
            ".qualifiziert faktischen GmbH-Konzerns", WM 200J, 2133 (2135); Mülbcrt (Fn.29),
            S. 1946; Westermann, Haftungsrisiken eines ,.,beherrschenden" GmbH -Gcsdlschaftcrs,
            NZG 2002, 1129 (1132).
      38    BGHZ 149, I 0.
      39    In   Röhricht (Fn. l ).
Nannt                            Der existenzvernichtende Eingriff des GmbH-Gesellschaftcrs     217

 schränkt (ist), der eine angemessene Rücksichtnahme auf die Eigenbelange der
 GmbH erfordert". An einer solchen Rücksichtnahme fehle es, wenn die GmbH "in-
 folge der Eingriffe( ... ) ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen kann". 40
 Bereits mit dieser Entscheidung wurde folglich ein eigenständiges, indisponibles Be-
 standsintercsses einer GmbH über d.ic Erhaltung des Stammkapitals hinaus aner-
 kannt. Der Grundstein für die "Trihotei"-Entscheidung war damit gelegt.
 Das ,.,KBV"-Urteil 41 vom 24.6.2002 gab schließlich Antwort auf die Frage, wie das
 neue Haftungskonzept im Einzelnen dogmatisch einzuordnen war. In dem zugrunde
 liegenden Fall hatten die Gesellschafter das gesamte Vermögen einer GmbH auf eine
 neue GeseHschaft übertragen, die Verbindlichkeiten wurden von dieser aber nur zum
 Teil übernommen. Der BGH stützte das Urteil einerseits auf einen Anspruch aus
 § 826 BGB, daneben aber auch erstmals auf einen Anspruch wegen existenzvernich-
 tenden Eingriffs. Er führte aus, dass eine "Zweckbindung des Gesellschaftsvermö-
 gens zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger" bestehe. Eingriffe der
 Gesellschafter, welche die aus diesem Grund gebotene "angemessene Rücksicht-
 nahme auf die Erhaltung der Fähigkeit der Gesellschaft zur Bedienung ihrer Ver-
 bindlichkeiten" missachteten, stellten demnach einen "Missbrauch der Rechtsform
 GmbH" dar und führten zu einem Verlust des Haftungsprivilegs aus§ 13 II GmbHG
 und damit zu einer Durchgriffshaftung. 42 Ferner stellte die Entscheidung klar, dass
 ein möglicher Ausgleich der entstandenen Nachteile über die§§ 30, 31 GmbHG vor-
 rangig war. 43 Das neue            wurde in der Lehre wegen der klaren dogmatischen
 Grundsatzenrscheidungcn im Wesentlichen                die Konstruktion einer Durch-
 griffshaftung stieß aber teilweise auf Widerstand.'u'

IV. Die "Trihotei"-Entscheidung
1. Die neuen Leitlinien

Während die Ära des "qualifiziert faktischen GmbH-Konzerns" immerhin andert-
halb Jahrzehnte gedauert hatte, wurde die "Bremer Vulkan"-Konstruktion durch
einen erneuten "richterlichen Gestaltungsakt" 47 bereits nach sechs Jahren wieder auf-
gegeben. Mit der ausführlich begründeten "Trihotel"-Emscheidung4 K vom 16. 7.

40    BGJ-:IZ 149, 10 (16).
41    BGHZ 151, 181.
42    BGHZ 151, 181 (1. und 2.
4-3   ßGHZ 151, 181 (187).
44    Fortgeführt durch BGH, DStR 2004, 2065; BG!-1, NZI 2005, 237; BGJ-1, DStR 2005, 340.
45    Keßler (Fn. 15), S. 945; Ulmer, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 24.6.2002- II ZR 300/00, JZ
      2002, 1049 (I 052); Wiedr:mann, Reflexionen zur Durchgriffshaftung, ZGR 2003, 283 (291 ).
46    Altmcppen (Fn. 33), S. 1557; Schrödcr, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 24.6.2002- II ZR
      300/00, GmbHR 2002, 904 (905); Wilhclmi, Die "neue" Existenzvernichtungshaftung der
      Gesellschafter der GmbH, DZWIR 2003,. 45 (57).
4-7   BGH, NJW 2007, 2689 (2691).
48    BGH, NJW 2007, 2689.
218     StudZR                                                                                        2/200S
        --------------------···                                      --- ---

       2007, die vom ncucn Vorsitzenden des II. l:ivilsen;1ts Gocllc vorhereitel und L·rhmcrt
       wurde,'1
_N_a_n_n_I _ _ _ _ _ _ _ _ _ _U_l_T_C_'x_is_t
                                                 c 11               c nd   Ei 11 g ri II des   c 111 h]-!- c; csc II SChar ters   219

     positionsfreiheil für die Gesellschafter führen'' und mache deutlich, dass Risikoge-
     schäfte der                 zulässih seien und nicht stets unter dem "Damokles-
     schwert der persönlichen Cesellsch:Üterhaftung" stehen dlirften.''1 Das Konzept der
     Innenhaftung wird in Übereinstimmung mit der Begründung des BGH ebenfalls
     begri_ifh.'' 0
  Entgegen diesem i_iberwicgcnd positinn Echo wirft die neue Rechtsprechung aber
 erhebliche Probleme auf. Erstens stellt sich die Frage, wie eine Innenhaftung bei
 § 826 BGB dogmatisch begründet werden kann. \Vie der HGH selbst ausführt, hat
 die Rechtsprechung hislang bei dcliktischen Ansprüchen stets eine AuEenhaftung
                    Warum der Schaden nun pliitzlich statt der Gläubiger die GmbH
 treffen soll, ist nicht :.r.u erkliiren. Allein der Wunsch, durch die Annahme einer Bin-
 nenhafwng einen Gleichlauf mit den §§ 30, 31 CmbHG''" sowie einen "mediatisier-
 ten und kanalisierten GUiuhigerschutz"''' zu erzielen, liefert jedenfalls keine Legiti-
 mation. Besonders widersprüchlich erscheint, dass der 8GH ausdrücklich offen
 lässt, ob in Ausnahmdillen nicht doch auch den Gläubigern seihst ein Anspruch aus
 § 826 BCB zustehen kann.'': Damit erkennt er selbst an, dass der Wechsel von der
           zur Innenhaftung mit hlnfkn l:weckmiißigkeirserwiigungcn nicht zu recht-
 fertigen ist. Zusiitz.lich zu den deliktischen Ansprüchen der Gesellschaft werden da-
 her auch in Zukunft stets solchc der Cliiubigcr zu prüfen sein.'''i Dadurch wird cs zu
 Gemengehge11 und zu der Gefahr einer doppelten lnanspruchnah111e der Gescll-
 schahcr kommen, die sich mangels J\mpruchskonkurrenz jedenfalls nicht über das
 Prinzip der Suhsidiarit:it l
220     StudZR                                                                                    2/2008

        tige Begrenzung keinerlei Grundlage im BGB und zum anderen widerspricht es Sinn
        und Zweck des Deliktsrechts, den Schaden eines Deliktsopfers wegen Interessen
        Dritter zu verkürzen.
         Drittens wird mit dem Innenhaftungskonzept eine vorsätzlich sittenwidrige Schädi-
         gung gerade gegenüber der Gesellschaft anerkannt. Dies setzt ein sehr weitreichen-
        des Bestandsinteresse der Gesellschaft voraus. Hieraus folgt, dass neben § 826 BGB
        erst recht Ansprüche der Gesellschaft aus einer Sonderverbindung (Treuepflicht oder
        § 43 II GmbHG analog) bestehen müssen. Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädi-
        gung stellt nämlich ein Mehr gegenüber einer bloßen Treue- oder Sorgfaltspflicht-
        verletzung dar. Aus diesem Grund weist Weller völlig zu Recht darauf hin, dass die
        speziellere Sonderverbindung zwischen Gesellschafter und GmbH in rechtsystema-
        tischer Hinsicht nicht von § 826 BGB verdrängt werden kann." 7
        Viertens gerät die rein deliktsrechtliche Konstruktion der ncuen Rechtsprechung in
        eklatanten Widerspruch zu der bevorstehenden Reform des GmbH-Rechts. 6B Die
       Begründung zum Regierungsentwurf des MoMiG geht im Fall eines existenzver-
       nichtenden Eingriffs neben deliktischen Ansprüchen ausdrücklich von dem Beste-
       hen einer gesellschaftsrechtlichen Rechtsfigur aus/19 die hinsichtlich der Gesellschaf-
       ter einer weiteren Rechtsfortbildung überlassen bleiben soll. 70 Darüber hinaus
       bringt das MoMiG mit der Teilregelung des existenzvernichtenden Eingriffs in dem
                                                                                             1
       neuen § 64 S. 3 GmbHG-E sowie dem insolvenzrechtlichen Bezug der Vorschrife
       unmissverständlich zum Ausdruck, dass die Existenzvernichtungshaftung als ein
       originär gesellschaftsrechtliches Institut mit insolvenzrechtlichen Tendenzen einzu-
       ordnen ist,72 nicht aber als delikrisehe Rechtsfigur. Eine Lösung allein über § 826
       BGB muss daher bereits wegen des entgegenstehenden Willens des Gesetzgebers
       abgelehnt werden.
       Fünftens erscheint es nicht interessengerecht, dass der weisungsabhängige Geschäfts-
       führer nach künftiger Gesetzeslage im Fall eines existenzvernichtenden Eingriffs
       gemäß §§ 64 S. 3 GmbHG-E, 43 H GmbHG sowie nach §§ 823II i. V. m. einem
       Schutzgesetz, 826, ggf. i. V. m. 830 II BGB haftet, während für den tonangebenden
                                                                                    73
       GeseUschafter ausschließlich das Deliktsrecht zur Anwendung gelangen soll.
      Sechstens wird der Gesetzgeber durch das MoMiG das deutsche System des Kapital-
      schutzes zwar grundsätzlich beibehalten, gleichzeitig aber das Mindcstsrammka:pital
      auf 10 000 Euro herabsetzen sowie die Möglichkeit einer U ntcrnchmcrgcscllschaft

      67 Weller (Fn. 7), 5.1683; ebenso Vetter (Fn. 13), S.l%5.
      68 Nur ansatzweise gesehen von Vetter (Fn. 13), S. 1966.
      69 RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, zu Art. l Nr. 7, S. 79; Nr. 20, S. 99.
      70 RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, zu Art . .1 Nr. 43, S. 112.
      71 Siehe dazu unten Abschnitt VI. 1.
      72 Ähnlich Vetter (Fn.13), S. 1%6; s. auch RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, zu                   I
         Nr. 43, S. 1 U; zur alten Rechtslage J-/ueckl Fastrich, in: !Baumbach/Hucck, § D Hn. 17; Roh-
         riebt (F n. 1), S. 100.                                                                    .
      73 Vgl. K. Schmidt, Reform der Kapitalsicherung und Haftung in der Krise nach dem Regie-
         rungsentwurf des MoMiG, GmbHR 2007, 1072 (1080).
Nannt                         Der existenzvernichtende Eingriff des GmbH-Gesellschaftcrs    221

 mit einem Stammkapital von einem Euro schaffen (§§ 5 I, Sa GmbHG-E). Ferner
 werden durch§ 30 I S. 2 GmbHG-E upstrcam loans und cash pooling für grundsätz-
 lich zulässig erklärt und mit§ 30 I S. 3 GmbHG-E die bisherigen Rechtsprechungs-
 regeln zum eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen abgeschafft. Die Folge
 hiervon wird sein, dass ergänzende Mechanismen zur Verwirklichung eines effekti-
 ven Gläubigerschutzes künftig eine noch bedeutendere Rolle spielen werden. Der
 neue § 64 S. 3 GmbHG-E macht deutlich, dass die Existenzvernichtungshaftung
 hierbei einen entscheidenden Beitrag zu leisten hat?' Die restriktive "Trihotel"-Dok-
 trin wird dieser Aufgabe nicht gerecht werden können.
 Schließlich zeigt sich mit Blick auf die Gesellschafterhaftung bei einer EU-Schein-
 auslandsgesellschaft, dass die gesellschafrsrcchtlich-dcliktische "Mischhaftung" des
 BGH zu unerwünschten Konsequenzen führen kann. Bislang ging die ganz h. M.
 davon aus, dass Art. 40 EGBGB i. V. m. § 826 BGB im Fall des existenzvernichten-
 den Eingriffs eine persönliche Haftung des Gesellschafters einer EU-Auslandsge-
 sellschaft, etwa einer Private Limited Company englischen Rechts, ermöglichen
 kann. Eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48 EG) wurde hierin
 nicht gesehen. 75 Nun mehren sich allerdings die Stimmen, welche die Möglichkeit
 einer derartigen Inanspruchnahme angesichts der ncucn, gesellschaftsrechtlich be-
 gründeten Innenhaftung zu Recht bezweifcln. 76 Dieses (von niemandem gewollte)
 Ergebnis ließe sich durch die Annahme einer delikrischen Außenhaftung sowie
 einer parallel dazu bestehenden gesellschaftsrechtliehen Verantwortlichkeit pro-
 blemlos vermeiden.
Ausall dem folgt: Weder der Konstruktion einer Innenhaftung im Rahmen von § 826
BGB noch der ausschließlich delikrischen Betrachtung des existenzvernichtenden
Eingriffs kann zugestimmt werden.

V.      Dogmatische Konstruktionen der Lehre und ihre Kritik
In der überbordenden, kaum noch zu überblickenden Literatur zur Existenzvernich-
tungshaftung77 haben sich im Anschluss an die "Bremer-Vulkan'' -Entscheidung vier
Hauptströmungen herausgebildet. Zwei Erklärungsmodelle gehen dabei von einer
unmittelbaren Haftung gegenüber den Gläubigern, die anderen zwei von einer Bin-
ncnhafwng aus.

74    Vgl. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, zu Art.! Nr.20, 5.99; Weller (Fn.3), 5.1166;
      Leuering!Rubner (Fn. 7), S. 364; s. auch Böcker/Poertzgcn (Fn. 13), S. 1205.
75    Burg, Existenzvernichtungsschutz in der Private Limited Company? GmbHR 2004, 1379
      (1379); Goette (Fn.49), 5.200; Paefgen {Fn.7), 5.1912; Römermann, Die Limitcd in
      Deutschland- eine Alternative zur GmbH? NJW 2006, 2065 (2068); Vetter (Fn. 13), S. 1969.
76    Schanze (Fn. 65), S. 685; Weller (Fn. 7), S. 1688.
77    Dauner-Lieb (Fn. 3 ), S. 2034.
222        StudZR                                                                                    2/2008

           1. Durchgriffshaftung

           Ein großer Teil der Literatur folgt der bisherigen Ansicht des BGH und bejaht eine
           Durchgriffshaftung. 78 Dabei wird argumentiert, dass nach der Normzwecklehre das
           Haftungsprivileg des§ 13 II GrnbHG nur zu rechtfertigen sei, wenn es nicht zu Las-
           ten der Gläubiger unterlaufen werde. Gebiete der Normzweck keine Anerkennung
           der beschränkten Haftung, so sei eine teleologische Reduktion vorzunchmen. 7 Fer-         1)

           ner wird wie in "KBV" auf einen Missbrauch der Rechtsform der GmbH abgestellt. Ho
         Gegen eine teleologischen Reduktion des § 13 II GmbHG spricht jedoch, dass dies
         auf der Rechtsfolgenseite konsequenterweise zu einer unbegrenzten Haftung der
         Gesellschafter führen müsste. 81 Außerdem führt diese Lösung in den Fällen des "Do-
         minoeffekts"82 zu Unstimmigkeiten, da hieraufgrundder Subsidiarität der Existenz-
        vernichtungshaftung die nach §§ 30, 31 GmbHG ausgleichfähigen Zahlungen vom
        Anspruch des Gläubigers abgezogen werden müssen, d. h. die Ansprüche im Außen-
        verhältnis werden in systemwidriger Weise durch die Ansprüche im Innenverhältnis
        verkürzt. 83 Ferner profitieren von einer Außenhaftung stets nur die Gläubiger, die
        ihre Ansprüche von sich aus und schnell genug durchsetzen. Ein geordneter, "kanali-
        sierter" Gläubigerschutz ist nur über das Modell einer Binnenhaftung zu erreichen.H 4
        Schließlich wird der Lehre von der Durchgriffshaftung gar vorgeworfen, sie sei con-
        tra Iegern, da es an einer planwidrigen Regelungslücke für eine Rechtsfortbildung
       fehle. 85 Jedenfalls ist die Konstruktion einer Durchgriffshaftung überholt. Zum einen
       stellt sie einen Rückfall zu den allgemein gehaltenen, nicht ausreichend differenzier-
       ten Ansätzen aus der Zeit des Reichsgerichts dar.H 6 Zum anderen hat der BGH mit
       "Trihotel" seine Ansicht zur Durchgriffshaftung bei Existenzvernichtung ausdrück-
       lich aufgegeben, 87 auch wenn dies wegen der Fallgruppe der Vcrmögensverrnischung
       noch nicht den von Altmeppen ausgerufenen vollständigen ,.,Abschied vom ,Durch-
       griff' im Kapitalgesellschaftsrccht"M 8 bcdcutct.H 9

      78      Bitter (Fn. 37), S. 2139; Bark, Die Gchcndmachung der Existcnzvcrniclnungsh;'lftung in der
             Insolvenz, KTS 2006, 39 (46); Hoffmann, Das GmbH-Konzcrnrecht ll;'lt:h dem "Bremer
             Vulkan" -Urteil, NZG 2002, 68 (71); Hueckl Fastrich, in: ßaumbach/1-Iueck, § IJ Hn. 17;
             Jacob, Konzeption der Existenzvernichtungshaftung vor dem Hintergrund des MoMiG-
             Entwurfs, GmbHR 2007, 796 (797); Keßler (Fn. 15), S. 945; Lutter/ Harwrjc{c (h1. 1), S. 412;
             Wiedemann (Fn. 45), S. 291.
      79     Bitter (Fn. 37), S. 2139; Hoffmann (Fn. 78), S. 71; J-lueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 13
             Rn. 17; Jacob (Fn. 78), S. 798; Lutter/ Banerjea (Fn. ] ), S. 412.
      80     Bitter (Fn. 37), S. 2139; Hoffmann (Fn. 78), S. 71.
      81     BGH, NJW 2007, 2689 (2691 ); Dauner-Lieb (Fn. 3), S. 2040; Weller (Fn. 3), S. 1166.
      82    Siehe dazu oben Abschnitt li.
      83    BGH, NJW 2007, 2689 (2692);. Dauner-Lieb (Fn. 3), S. 2039.
      84    Vgl. BGH, N]W 2007, 2689 (2693); Grunewald (Fn. 15), S. 386; I hrig, Einzelfragen zur Exis-
            tenzvernichtungshaftung als Binncnhaftung, DStR 2007, 1170 (1171 ).
      85    Rubner, Abschied von der Existcnzvcrnichtungshaftung, DStR 2005, 1694 ( 1700).
      86    Altmeppen (Fn. 37), S. 1842; Altmeppen (Fn. 33 ), S. 1555.
      87    BGH, N]W 2007, 2689 (2. Leitsatz).
      88    So der Titel des Beitrags von Altmeppen (Fn. 7).
      89    So ausdrücklich BGH, NJW 2007, 2689 (2691).
Nannt                          Der existenzvernichtende Eingriff des GmbH -Gesellschafters     223

     2. §826 BGB
 Ein in jüngster Zeit immer stärker wachsender Teil der Lehre möchte die Problem-
 stellungen der Existenzvernichtungshaftung allein über das Deliktsrecht, namentlich
 über§ 826 BGB und über§ 823 II BGB i. V. mit einem Schutzgesetz lösen.'Jo Für eine
 Durchgriffshaftung fehle es an einer rechtlichen Grundlage, und mit dem Delikts-
 recht (und ergänzend auch dem Insolvenzrecht) könne man die auftretenden Fallge-
 staltungen bereits in den Griff bekommen.'J 1 Hinzugefügt werden muss nach der
 "Trihotei"-Entscheidung, dass die Vertreter dieser Ansicht wie selbstverständlich
 von einer Außenhaftung ausgchenY 2
 Diese rein delikrisehe Lösung ist ebenfalls abzulehnen. Zum einen vermag das Kon-
 zept der Außenhaftung nicht zu überzeugen,')' zum anderen sind einem ausschließ-
 lichen Rückgriff auf das Deliktsrecht dieselben Argumente wie der "Trihotcl"-Dok-
 trin entgegenzusetzen. Das Problem der Existenzvernichtung ist ein ureigenes
 gesellschaftsrechtliches Problem, dessen Lösung daher auch 1m GmbH-Recllt zu
 suchen ist.

 3. Haftung wegen Treuepflichtverletzung
Eine dritte Ansicht möchte die Fälle der Existenzvernichtung über die Treuepflicht
der Gesellschafter handhaben, da diese auch eine Pflicht zur Respektierung des Fort-
bestandes der GmbH beinhalten könne. Verletze ein Gesellschafterschuldhaft diese
Pflicht, so hafte er im Innenverhältnis gegenüber der Gesellschaft. 94 Ähnlich argu-
mentiert K. Schmidt, wenn er von Pflichten aus einer "Sonderrcchtsvcrbindung"
zwischen Gescl'lschafter und Gesellschaft spricht, die auf der Stellung des Gesell-
schaftcrs als Mitglied           Nach dieser Ansicht wird der juristischen Person
GmbH ein eigenes Bestandsinteresse zugeordnet, sofern dies für den Gläubiger-
schutz erforderlich ist.w'

90     Dauner-Lieb (fn. 3), S. 2041; liaas (Fn. 3), E 90;. Kleindick (Fn. 3), S. 302; Wackerbarth
            i ), S. 884; Weller (Fn. 3), S. I 169.
91     Dauner-Licb (Fn. 3), S. 2041; lfaas (fn. 3), E 90; Haas, Die Gesellschafterhaftung wegen
       "Existcnzvernichtung", WM 2003, 1929 (1940); Wackerbarth (Fn. 4), S. 884.
92     S. Vetter (Fn. 13 ), S. 1968; \Y.Ic!ler (Fn. 7), S. 1683.
93    Siehe dazu oben Abschnitt V. I.
94     Burgard, Die Förder- und Treupflicht des Alleingesellschafters einer GmbH, ZIP 2002, 827
      (834 ); Emmerich, in: Scholz, § 13 Rn. 93; M ülbert (Fn. 29), S. 1943; Priester, Die eigene
      GmbH als fremder Driuer- Eigensphäre der Gesellschaft und Verhaltenspfliduten ihrer Ge-
      sellschafter, ZGR 1993,512 (521); Ulmcr, Von ,.TBB" zu "Bremer Vulkan"- Revolution
      oder Evolution? Zum Bestandsschutz der abhängigen GmbH gegen existenzgefährdende
      Eingriffe ihres Alleingesellschaftcrs, ZIP 2001,2021 (2026).
95    K. Schmidt (Fn. 19), S. 1222; K. Schmidt, Gesellschafterhaftung und "Konzcrnhafttmg" bei
      der GmbH- Bemerkungen zum "Bremer Vulkan"-Urteil des BGH vom 17.9.2001, NJW
      2001, 3577 (3580); s. auch Ihrig (Fn. 84), S. 1170.
96    Burgard (Fn. 94), S. 835; Ihrig (Fn. 84), S. 1171; Ulmer (Fn. 94), S. 2026.
224     StudZR                                                                                     2/2008

        Die Kritik hieran meint, der Wille von Gesellschaft und Gesellschafter sei identisch.
        Ein "rechtlich relevantes" Existenzinteresse der GmbH bestehe daher nicht. 97
        AlleingeseHschafter oder einverständlich handelnde Gesellschafter könnten grund-
        sätzlich jederzeit frei den Gesellschaftszweck bestimmen und damit auf die Treue-
        pflicht verzichten. 98 In der Einpersonengesellschaft laufe die Bejahung einer Treue-
        pflicht letztlich auf die Annahme eines" Vertragsverhältnisses des Gesellschaftcrs mit
        sich sdber" hinaus. 99 Darüber hinaus entspreche eine Existenzgefährdung gerade
        "dem Sinn jeder ökonomischen Aktivität in haftungsbeschränkter Form" . 100
        Diese Kritik verkennt jedoch, dass die GmbH mehr sein muss als eine Spielwiese für
        Unternehmerische Experimente der Gesellschafter. Im Interesse der Gläubiger muss
        ihr ein eigener Rechtskreis zugewiesen werden, welcher der Dispositionsfreiheit
       der Gesellschafter Einhalt gebietet. Im Gesetz kommt dies im Rahmen der Kapital-
       deckungspflicht in den §§43 III S.2, 3 und 31 IV GmbHG zum Ausdruck. 101 Be-
       greift man die Existenzvernichtungshaftung wie der BGH in "Trihotel" als eine
       Fortsetzung des Gläubigerschutzes aus den§§ 30, 31 GmbHG, 102 dann muss daher
       konsequenterweise auch insoweit ein indisponibles, Schützenswertes Eigeninteresse
       der Gesellschaft bestehen. 103 Ergänzend kann der Ansatz von M ülbert herangezo-
       gen werden) nach dem ein Beschluss über einen existenzvernichtenden Eingriff ge-
       mäß § 241 Nr. 3 Var. 2 AktG analog als nichtig anzusehen ist, weshalb bereits eine
       Änderung des Gesellschaftszwecks und damit der Treuepflichten verneint werden
       müsse. 104 Folglich steht der Annahme einer Existenzvernichtungshaftung aufgrund
       einer Treuepflichtverletzung jedenfalls nicht ein fehlendes Bestandsinteresse der
       GmbH entgegen.

       4. § 43 li GmbHG analog
      Eine vierte Auffassung geht schließlich von einer Sorgfaltshaftung der Gesellschafter
                                                                                         105
      in Analogie zu § 43 II GmbHG und damit ebenfalls von einer Innenhaftung aus.
      Voraussetzung für die Annahme von Sorgfaltspflichten gegenüber der Gesellschaft
      sei, dass der beherrschende Gesellschafter oder der Alleingesellschafter faktisch die
      organschaftliehe Leitung der GmbH übernimmt, insbesondere durch die Ausübung

       97   Bitter (Fn. 37), S. 2B6; Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hucck, § 13 Rn. 17; Weller (Fn.3),
            S. 1168; Zöllner, Gläubigerschutz durch Gesellschafterhaftung bei der GmbH, in: FS Kon-
            zen, S. 999 (1 01 0).
       98 Röhricht (Fn. 1), S. 104.
       99 Bitter (Fn. 37), S. 2139.
      100 Bitter (Fn. 37), S. 2136.
      101 V gl. Altmeppen, in: Roth/ Altmcppen, § 13 Rn. 83 f.; !hrig (Fn. 84 ), S. 1171.
      102   Vgl. BGH, NJW 2007, 2689 (2693).
      103   Vgl. Altmeppen, in: Roth/Aitmeppcn,. §13 Rn.83f.; Ihrig (Fn.84), 5 . .1171; Miilber:t
            (Fn.29), 5.1942; s. auch RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, zu Art. 1 Nr. 7, S. 78.
      104   Mülbert (Fn.29), 5.1943.
      105   Altmeppen (Fn. 37), S. 1843; Altmeppen, in: Roth/ Altmeppen, § 13 Rn. !!3 ff.; Flume, Allge-
            meiner Teil des Bürgerlichen Rechts 112, 1983, S. 88; Wilhelm, Zurück zur Dmchgriffshaf-
            tung- das "KBV"-Urtcil des 11. Zivilsenats des BGH vom 24.6.2002, NJW 2003, 175 (178).
Nannt                               Der existenzvernichtende Eingriff des GmbH-Gesellschaftcrs       225

seiner Weisungsbcfugnis. Trete der Gesellschafter in einer solchen Weise als "Quasi-
Geschäftsführer" auf, so bekomme sein Handeln im Gläubigerinteresse einen exter-
nen Bezug, seine Machtausübung werde also "fremdbezogen" und "pflichtgebun-
den" (negotiorum gestio). 106 Dies könne jedoch nur insoweit gelten, als es um den
indisponiblen Bereich eigener Interessen der Gesellschaft gehe. 107 Auch diese Auffas-
sung geht damit wie die Lehre von der Treuepflicht von der Prämisse aus, dass der
GmbH ein indisponibles Eigeninteresse zusteht. Dem ist aus den dargelegten Grün-
den zuzustimmen.

VI. Die Haftung aus §4311 GmbHG
    i. V. m. §. 64 S. 3· GmbHG-E analog
Lehnt man eine Durchgriffshaftung sowie eine allein delikrisehe Lösung mit über-
zeugenden Gründen ab, so bleibt die Frage, ob eine Haftung wegen Treuepflichtver-
letzung oder eine Sorgfaltshaftung gemäß § 43 II GmbHG analog vorzuziehen ist.
K Schmidt führt dazu aus, dass die Haftung wegen Treuepflichtverletzung auf der
Mitgliedschaft des Gesellschafters beruhe und damit auf einer Stellung, die der Ge-
sellschafter bereits innehabe, während eine analoge Anwendung des§ 43 II GmbHG
die Stellung eines Handlungsorgans erst auf den Gesellschafter erstrecken müsse.
Folglich liege die Annahme einer Treuepflichtverletzung näher. 108 Dies scheint auf
den ersten Bl'ick einzuleuchten. Überzeugungskraft besitzt aber auch die Idee, dass
die Machtausübung bei einem ,.,Quasi-Geschäftsführer" einen Fremdbezug erhält,
dass also die Stellung des Gesellschaftcrs im Bereich des indisponiblen Eigeninteres-
ses der Gesellschaft der Position eines Geschäftsführcrs durchaus gleichkommen
kann.
Eine ganz neue Dimension bekommt diese Diskussion nun mit der Einführung des
§ 64 S. 3 GmbH G-E. Unmittelbar regelt diese neue Norm zwar lediglich eine Pflicht
des Geschäftsführcrs und lediglich eine Pflicht zum Ersatz von Zahlungen im Fall
des existenzvernichtenden Eingriffs. Adressat der Vorschrift ist damit nicht der
Gesellschafter, und Folgeschäden eines Eingriffs ("Dominoeffckt") werden nicht
erfasst. Über den unmittelbaren Anwendungsbereich der Norm hinaus können aus
der gesetzgeberischen Wertentscheidung jedoch allgemeine Rückschlüsse auf die
Dogmatik der Existenzvernichtungshaftung gezogen werden, welche sowohl die
Geschäftsführer- als auch die Gesellschafterverantwortlichkeit in anderem Licht er-
scheinen lassen.

106   Altmeppen (Fn. 37), S. 1843; Altmeppen, in: Roth/ A ltmeppcn, § 13 Rn. 86; Flume (Fn. 1 05),
      S. 88; Wilhelm (Fn. 105 ), S. 179.
107   Altmeppen (Fn. 37), S. 1843; Altmeppen, in: Roth/ Altmcppcn, § 13 Rn. 87 f.
108   K. Schmidt (Fn. 19), 5 . 1222; K. Schmidt (Fn. 95), S. 3580; ähnlich auch Haas (Fn. 91),
      s. 1939; Lutter/Banerjea (Fn. 1), S. 410; Ulmer (Fn. 94), S. 2025.
226    StudZR                                                                                    2/2008

       1. Die Voraussetzungen von § 64 S. 3 GmbHG-E
       § 64 S. 3 GmbHG-E normiert drei grundlegende Vor:mssetzungcn einer Existcnzvcr-
       nichtungshaftung. Erstens setzt die Vorschrift voraus, dass die Sorgfalt eines ordent-
       lichen Geschäftsmanns missachtet wurde(§ 64 S. 3 i. V. m. S. 2 GmbJ-JG-E). Zweitens
       darf der Handelnde nicht nachweisen können, dass auch bei Beachtung dieser Sorg-
       falt für ihn nicht erkennbar war, dass seine Maßnahme zur Zahlungsunfähigkeit der
       Gesellschaft führen musste ("es sei denn"). Drittens muss die Existenzvernichtung
       dem Eingreifenden zurechcnbar sein. Dies ist der Fall, wenn die Durchfl.ihrung eines
       Solvenztests aus objektivierter Sicht des Eingreifenden zu dem Ergebnis kommen
       musste, dass die in Frage stehende Maßnahme eine Existcnzvernichwng der GmbH
       bewirkt. Realisiert sich das Ergebnis des Solvenztests und damit die vom Eingreifen-
       den geschaffene Gefahr, so ist die Zurcchcnbarkeit zu bejahen.
       Allgemein gesprochen wird die Figur des Solvenztests von Teilen der Literatur kri-
      tisch betrachtet. 109 Der Grund hierfür liegt darin, dass diese als Gegenentwurf zum
      deutschen System des Kapitalschutzes nach englischem und amcrik:tnischcm Vorbild
      verstanden werden kann. Grob skizziert gilt dort ein situatives Ausschi.ittLI!lgssys-
      tem, bei dem vor jeder Ausschüttung durch betriebswirtschaftliche Finanzpläne zu
      prüfen ist, ob hierdurch die Fähigkeit der Gesellschaft zu Bedienung ihrer Verbind-
      lichkeiten beeinträchtigt wird. 110 Ein vollständiger Systemwechsel wcj..; vom Kapita·
      lerhaltungssystem wird durch das MoMiG aber nicht hcrbeigcführt. 111 Ist in der Be·
      gründung des Regierungsentwurfs daher von Parallelen :wm "solvency tcst" die
      Rede, 112 so kann damit nur ein Solvenztest im weiterem Sinn gemeint sein,          die
      schlichte Aufstellung einer Prognose aus objektivierter Sicht des                 wcl·
      ehe die Geeignetheit der Maßnahme zur Existenzvernichtung zum Gegenstand hat.

      2. Die Haftung des Ges·chäftsführers
      Hat man die drei grundlcgcndc.n Voraussetzungen der Existcnzvcrniclnungshaftung
      aus § 64 S. 3 GmbHG-E identifiziert, so drängt sich die Frage auf, welchen Wir-
      kungskreis diese entfalten können.
      Für den Geschäftsführer ist zunächst fcstzuhaltcn, dass dieser nehcn den Gesell-
      schaftern wegen eines existenzvernichtenden Eingr.iffs haften kann,. 1 u auch wenn der
      Begriff der Existenzvernichtung in diesem Zusammenhang nur zurückhal'tcnd gc-

      109   Dauner-Lieb (Fn. 3), S. 2038; K. Schmidt (Fn. 13), S. 4; Weller, Solvenztest und Existcnzvcr·
            nichtungshaftung - Zwei grundverschiedene Gläuhigcrschuti'Jigurcn, DStR 2007, 116
            (116).
      110    Weller (Fn. 109), S. 116.
      111   Vgl. nur§§ 5 I, 30 GmbH G-E.
      112   RegE MoMiG, B1-Drucks. 16/6140, zu Art. I Nr.43, 5.112.
      113   Alexander, in: Schwcrdtfeger, § 43 Rn. 14 GmbHG; Fichte/mann, in: I                    Kom·
            mentar, § 43 Rn. 17 GmllHG; Hö/zle, Gesellschafterfremdfinanzierung und Kapit;\lcrhal- '
            tung im Regierungsentwurf des MoMiG, GmbHR 2007,729 (731);. l'tHj'gcn (h1. 7), S. 1.910;
            K. Schmidt (Fn. 13), S. 6; vgl. nun auch BGH, NJW 2007, 26!l'J (U>94).
                                                                                                          l
Nannt                              Der existenzvernichtende Eingriff des GmbH-Gesellschaftcrs     227

nutzt wircl. 114 Bislang ergab sich diese Geschäftsführerhaftung lediglich aus § 43 II
GmbHG. Durch das MoMiG wird nun mit§ 64 S. 3 GmbHG-E noch eine weitere
Anspruchsgrundlage zur Verfügung gestellt. Diese neue Norm kann allerdings drei
Konstellationen nicht abdecken: Erstens ist die Vorschrift nur auf die Rückgewähr
einer Auszahlung gerichtet und nicht auf Schadensersatz, zweitens erfasst sie keinen
N achtcilscntzug, der bereits von vornherein nicht unter den Begriff der "Zahlung"
fällt und drittens ist sie nur auf Zahlungen an einen Gesellschafter anwendbar. Es
stellt sich daher die grundsätzliche und noch nicht ausdiskutierte Frage, in welchem
Verhältnis§ 43 II GmbHG zu§ 64 S. 3 GmbHG-E steht, da ein existenzvernichten-
der Eingriff i. S. der neuen Norm wohl stets zugleich eine Schadensersatzhaftung
auslösen wird. 115
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass§ 64 S. 3 GmbHG-E als speziellere Norm
vorrangig anwendbar ist. Kommt es aber durch den existenzvernichtenden Eingriff
zu einem Schaden, der nicht unter die neue Vorschrift fällt, dann muss § 43 li
GmbHG weiterhin zur Geltung gelangcn. 116 Ausweislich der Begründung des Re-
gierungsentwurfs zum MoMiG soll die Haftung des Geschäftsführers nämlich nicht
eingeschränkt, sondern ausgeweitet werden. 117
Darüber hinaus ist jedoch angesichts der gesetzgeberischen Wertentscheidung des
§ 64 S. 3 GmbHG-E zu fordern, dass die drei dargestellten Voraussetzungen der
neuen Norm auch bei der Haftung aus § 43 II GmbHG entsprechende Anwendung
finden. Letztlich bestätigt § 64 S. 3 GmbHG-E den Sorgfaltsmaßstab des § 43 I
GmbHG im Fall des existenzvernichtenden Eingriffs, und bei dem Solvenztest im
weiteren Sinn handelt es sich um eine Präzisierung der Zurechenbarkeit im Rahmen
der allgemeinen Schadcnscrsatzhaftung. Lediglich die Beweislastumkehr zu Lasten
des Geschäftsführcrs birgt ein völlig ncues Element, es ist jedoch nicht einsichtig,
weshalb diese ausschließlich bei isolierbarcn Zahlungen an die Gesellschafter zur
Anwendung gc.langen soll. Folglich muss der Geschäftsführer zur Vermeidung einer
Haftung stets nachweisen, dass er - bei Durchführung eines Solvenztests und trotz
Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns- nicht erkennen konnte,
dass sein Handeln zur Insolvenz der Gesellschaft führen musste.

3. Die Haftung des Gesellschafters
Nimmt man nach der neuen Rechtslage eine Verantwortlichkeit des Geschäftsführcrs
wegen existenzvernichtenden Eingriffs aus § 64 S. 3 GmbH G-E, ggf. i. V. m. § 43 II
GmbHG an, so liegt auf der Hand, dass eine Anwendung des GmbHG-Gcsetzes
nun auch für den Gesellschafter näher liegt als eine Haftung wegen Treuepflichtver-
letzung. Die formale Distanz des Gesellschaftcrs zur Geschäftsführerstellung wird
künftig gewissermaßen durch die materielle Nähe zur gesetzlichen Regelung der

114   Liebscher (F n. 23 ), Rn. 550.
115   Vgl. Hölzle (Fn. 113), S. 731; K. Schmidt (Fn. 13), S. 6.
116   Vgl. Hölzle (Fn. 113), S. 731; K. Schmidt (Fn. 13), S. 6; anders Weller (Fn. J), S. 1168.
117   Vgl. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, zu Art. 1 Nr. 43, S. 111.
228     StudZR                                                                                2/2008

        Existenzvernichtungshaftung ausgeglichen. Noch aUgemeiner ausgedrückt: Verortet
        der Gesetzgeber einen "Teilbereich" des existenzvernichtenden Eingriffs in das
        GmbH-Gesetz,. so muss auch der "restlichecc Teil dort gefunden werden.
       Eine Analogie zu § 64 S. 3 GmbHG-E allein kann insoweit nicht als gesetzliche
       Grundlage dienen, da die Norm von Zahlungen an die Gesellschafter ausgeht und
       damit für die Gesellschafter selbst nicht anwendbar sein kann. Zudem ist die Vor-
       schrift nur auf den Ersatz von Zahlungen gerichtet, eine analoge Anwendung auf den
       Gesellschafter könnte daher den Bereich der Existenzvernichtungshaftung nicht voll
       abdecken. Dennoch ist zu beachten, dass § 64 S. 3 GmbHG-E eine gcsctzgeberische
       Wertung hinsichtlich der drei dargelegten Voraussetzungen einer Existenzvernich-
       tungshaftung enthält. Diese Wertentscheidung muss bei jedem Anspruch wegen exis-
       tenzvernichtenden Eingriffs berücksichtigt werden. Konsequenterweise muss die
       Existenzvernichtungshaftung des GmbH-Gesellschafters in Entsprechung zur Ge-
       schäftsführerverantwortlichkeit in Zukunft auf § 43 II GmbHG i. V. mit § 64 S. 3
       GmbHG-E analog gestützt werden.
       Für Berührungsängste hinsichtlich der analogen Anwendung der Geschäftsführer-
       vorschriften auf die Ges.ellschafter besteht kein AnLass. Es ist ein allgemeiner Grund-
       satz, dass die Anmaßung fremder Machtbefugnisse bei Missbrauch zur Haftung nach
       den Maßstäben der erlangten Rechtsposition führen muss. 11 B Ein Gesellschafter muss
        sich daher wie ein fremdbestimmter Geschäftsführer behandeln lassen, sofern er wie
        ein solcher auftritt und dies im Gläubigerinteresse erforderlich ist. Im europäischen
       Raum ist die Rechtsfigur des "Schattendirektors", der einem extern oder intern auf-
        tretenden "faktischen Geschäftsführer" entspricht, als Ausdruck eines aUgemeinen
       Rechtsgedankens bereits weitgehend anerkannt. 119 Mit dem MoMiG werden außer-
       dem auch im deutschen Recht die Grenzen zwischen Gesellschafter- und Geschäfts-
       führerstellung zunehmend verwischt. Insbesondere die Normierung der Insolvenz-
       antragspflicht der Gesellschafter(§ 15 a III InsO-E) und die Regelung der Möglich-
       keit einer ZusteUung von Schriftstücken an die Gesellschafter(§ 35 I S. 2 GmbH G-E)
       im Fall der Führungslosigkeit einer Gesellschaft machen dcutlicl1, dass den Gesell-
       schafter im Gläubigerinteresse diesdben Pflichten wie einen Geschäftsführer treffen
       können.
      Selbst wenn man jedoch die Rechtsfigur eines faktiseben Geschäftsführcrs nicht mit-
      tragen möchte, so muss dennoch anerkannt werden, dass eine Übertragung der Wcr-
      wngen des§ 64 S. 3 GmbHG-E auf§ 43 II GmbHG als systemgerechter erscheint als
      eine Übertragung auf die Haftung wegen TrcuepfEchtvcrletzung. Nm auf diesem
      Weg kann eine wertungsmäßig überzeugende Kopplung zwischen Gcscll.sch:lftcr-
      und Geschäftsführerhaftung durchgeführt werden, nur diese Konstruktion cnt-

      118 Vgl. nur die Ausführungen zum ,.,faktischen Gesellschafter" in BG!-1, N.JW 2007, 2689
          (2693).
      119 Zum englischen Recht Burg (Fn. 75), S. 1382; zum italienischen, schweizerischen und fra!-
          zösischem Recht Haas, Die Rechtsfigur des "faktischen GmbH-Geschäftsführers", NZI
          2006, 494 (496); vgl. demgegenüber zum restriktiven deutschen Verständnis !iCH, NZG
            2005, 755.
Nannt                           Der existenzvernichtende Eingriff des GmbH-Gesellschahcrs      229

spricht der Begründung des Regierungsentwurfs zum MoMiG ("Teilbereich") und
nur diese dogmatische Einkleidung findet eine klare und eindeutige rechtliche
Grundlage im GmbH-Gesetz. Hinzu kommt, dass eine organschaftliehe Haftung ein
Handeln mit Fremdbezug erfordert, während eine Treuepflicht im Gegensatz dazu
gerade auf einem besonderen internen Näheverhältnis basiert. Die Zielrichtungen
und Anforderungen dieser beiden Rechtsinstitute können daher nicht miteinander in
Einklang gebracht werden. Erforderlich ist vielmehr eine Verantwortlichkeit, die ein-
heitlich auf einem fremdbezogenen Handeln beruht. Dies kann nur durch die Kon-
struktion der Haftung eines Quasi-Geschäftsführers nach § 43 II GmbHG i. V mit
§ 64 S. 3 GmbHG-E analog erreicht werden.
 Im Einzeinen erscheint es folglich vorzugswürdig, auch im Rahmen der Existenzvcr-
 nichtungshaftung des Gesellschafters mit einem Solvenztest im weiteren Sinn zu arbei-
 ten, dem Gesellschafter e.ine Emlastungsmöglichkeit bezüglich der Nichterkennbar-
 keit der Existenzvernichtung zu gewähren sowie den Sorgfaltsmaßstab eines "ordent-
 lichen Geschäftsmanns" (§ 64 S. 3 i. V. mit S. 2 GmbH G-E, 43 I GmbHG) anzulegen.
Altmeppen hatte in diesem Zusammenhang lange vor der Veröffentlichung des Regie-
rungsentwurfs zum MoMiG vorgeschlagen, den Sorgfaltsmaßstab zu verschärfen und
in Analogie zu § 93 V S. 2, 3 AktG nur bei "gröblich" sorgfaltswidrigem Verhalten eine
schuldhafte Pflichtverletzung anzunehmcn. 120 Dies ist aber vor dem Hintergrund des
MoMiG wegen der sachnähcren Präzisierung des § 43 GmbHG durch den neuen § 64
S. 3 GmbHG-E nicht mehr systemgerecht. Überdies bleibt im Rahmen des unbe-
stimmten Rechtsbegriffs "ordentlicher Geschäftsmann" genug Spielraum, um die
Hürde für die Begrenzung der grundsätzlich umfassenden Dispositionsfreiheit der
GeseHschafter entsprechend hoch zu legen wie in§ 93 V S. 2, 3 AktG: Ein Gesellschaf-
ter, der nach Maßgabe der "Business] udgcmcm Rulc" (§ 93 I S. 2 AktG) innerhalb der
Grenzen des zu]ässigcn Unternehmerischen Risikos handelt, hat seine Sorgfaltspflich-
ten aus § 43 II GmbHG i. V. mit § 64 S. 3 GmbHG-E analog nicht verletzt.

VII. Die Anford,erungen im Einzelnen

1. Die grundlegenden Voraussetzungen
Unabhängig von der dogmatischen Einordnung können die drei grundlegenden ob-
jektiven Voraussetzungen des existenzvernichtenden Eingriffs im Wesentlichen ein-
heitlich bestimmt werden. Auch durch "Trihorcl" hat sich daran nichts gcändcrt. 121
Erforderlich ist zunächst ein ,.,Eingriff" in das "Vermögen" der Gesellschaft. Der
Begriff des Vermögens ist dabei im allerweitesten Sinn zu vcrstehen, 122 allgemeiner

120   Altmeppen (Fn. 37), S.] 845; Altmcppen,. Gesellschafterhaftung und "Konzernhaftung" bei
      der GmbH, NJW 2002, 321 (324); Altmeppcn, in: Roth/ Altmcppcn, § 13 Rn. 88.
121   Vgl. BGH, NJW 2007, 2689 (2690).                                                                ,
122   Vgl. BGHZ 151, 181 (186);. Haa5, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 13.12.2004- II ZR
      206/02, NZI 2005, 239 (239); zweifelnd lngl. dem Begriff des Vermögens Dauner-Ucb
      (Fn. 3), S. 2038; Liebscher (Fn. 23), Rn. 505.
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