DAS BETRETUNGS- UND ANNÄHERUNGSVERBOT - NACH 38a SPG - JKU ePUB
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Eingereicht von Lukas Trojan Angefertigt am Institut für Verwaltungs- recht und Verwaltungslehre Betreuerin a.Univ.Prof.in Dr.in Gudrun Trauner März 2021 DAS BETRETUNGS- UND ANNÄHERUNGSVERBOT NACH § 38a SPG Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magister der Rechtswissenschaften im Diplomstudium der Rechtswissenschaften an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Johannes Kepler Universität Linz JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich www.jku.at DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Wien, 24.02.2021 Unterschrift
Lukas Trojan INHALT Seite I INHALT INHALT ....................................................................................................................... I ABKÜRZUNGEN ........................................................................................................ III I. Einleitung ........................................................................................................... 1 II. Entwicklung des Betretungsverbots ................................................................ 3 III. Voraussetzungen des Betretungsverbots ....................................................... 5 A. Bestimmte Tatsachen ............................................................................................ 5 B. Gefährderin bzw Gefährder und gefährdete Person ......................................... 6 1. Gefährderin bzw Gefährder ........................................................................... 7 2. Gefährdete Person .......................................................................................... 8 C. Wohnung ................................................................................................................ 8 IV. Anordnung des Betretungsverbots ............................................................... 10 A. Zuständigkeit ........................................................................................................ 10 1. Sicherheitsbehörden ...................................................................................... 10 2. Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes .............................................. 11 B. Grundrechte ........................................................................................................ 11 C. Organbefugnisse ................................................................................................. 12 1. Aufgaben/Befugnisse .................................................................................... 12 2. Verhängung des Betretungs- und Annäherungsverbots ............................ 13 3. Ermessen der Organe .................................................................................... 13 4. Verhältnismäßigkeit ....................................................................................... 14 5. Verbotsbereiche des Betretens und Annäherns ......................................... 14 6. „Zur Kenntnis bringen“ des Verbotsbereichs ............................................... 16 7. Abnahme und Hinterlegung der Schlüssel .................................................. 16 8. Gegenstände des persönlichen Bedarfs und Unterkunft ........................... 17 9. Informationspflichten gegenüber Gefährderin bzw Gefährder und gefährdeter Person ........................................................................................ 18 10. Abgabestelle ................................................................................................. 19 11. Wegweisung und Kontrolle des Betretungs- und Annäherungsverbots .... 19 12. Dokumentation und Information der Sicherheitsbehörde ......................... 21 D. Befugnisse der Sicherheitsbehörde ......................................................................... 21 1. Überprüfung und Aufhebung des Betretungs- und Annäherungs- verbots ............................................................................................................ 21 2. Ausnahmen vom Betretungs- und Annäherungsverbot ............................ 22 E. Dauer des Betretungs- und Annäherungsverbots ............................................. 24
Lukas Trojan INHALT Seite II F. Gewaltpräventionsberatung .............................................................................. 25 V. Rechte der gefährdeten Person und Opferschutz ....................................... 27 A. Opferschutz .......................................................................................................... 27 B. Opferschutzeinrichtungen .................................................................................. 28 C. Einstweilige Verfügung ........................................................................................ 29 1. Schutz vor Gewalt in Wohnungen (§ 382b EO) ........................................... 30 2. Allgemeiner Schutz vor Gewalt (§ 382e EO) ............................................... 30 3. Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre (§ 382g EO) .................................. 31 D. Besondere Schutzbedürftigkeit ........................................................................... 33 VI. Herausforderungen für die Exekutive ........................................................... 35 A. Polizeilicher Ablauf in der Praxis .......................................................................... 35 1. Einsatzvergabe ............................................................................................... 35 2. Sachverhaltsfeststellung ................................................................................ 35 3. Maßnahmen (nur bei Gefährdung) ............................................................. 36 Exkurs: Betretungs- und Annäherungsverbot gegen Diplomatinnen und Diplomaten ............................................................................................. 37 4. Rechte und Umgang der bzw des Betroffenen bei der Ausübung von Befugnissen ..................................................................................................... 37 5. Protokollierung und Dokumentation ............................................................ 38 6. Informationen ................................................................................................. 39 7. Verständigungspflichten ............................................................................... 40 8. Bedrohungsmanagement, Gefährdungsanalyse ....................................... 40 9. Gewaltschutzdatei ........................................................................................ 41 10. Aus- und Fortbildung der Beamtinnen und Beamten ................................. 41 B. Problemstellungen bei „Gewalt in der Privatsphäre – Amtshandlungen“ ...... 43 1. Bagatellisierung der Gewalt ......................................................................... 43 2. Beurteilung einer Momentaufnahme ........................................................... 44 3. Sprachliche Barrieren und spezifische Opferbedürfnisse ........................... 44 4. Erfahrungen, Vorurteile und Werthaltungen ............................................... 45 5. Mangelnde Akzeptanz der Maßnahmen und Arbeitsaufwand ................ 45 VII. Maẞnahmebeschwerde ................................................................................ 47 VIII.Zusammenfassung ......................................................................................... 49 LITERATUR ................................................................................................................ 52
Lukas Trojan ABKÜRZUNGEN Seite III ABKÜRZUNGEN AB Assistenzbereich Abs Absatz Art Artikel AV Annäherungsverbot AVG Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl 1991/51 idF BGBl I 2018/58 BGBI Bundesgesetzblatt BlgNR Beilage/n zu den stenografischen Protokollen des Nationalrates B-VG Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl 1920/1 idF BGBl I 2021/2 bzgl bezüglich bzw beziehungsweise EMRK Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfrei- heiten (EMRK), BGBl 1958/210 idF BGBl III 2018/139 EO Gesetz vom 27. Mai 1896, über das Exekutions- und Sicherungs- verfahren (Exekutionsordnung – EO), RGBl 1896/79 idF BGBl I 2020/16 f und der/die folgende ff und der/die folgenden GeSchG Bundesgesetz über Änderungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs, der Exekutionsordnung und des Sicherheitspolizei- gesetzes (Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie – GeSchG), BGBl 1996/759. Hrsg HerausgeberIn idF in der Fassung idR in der Regel iSd im Sinne des, - der iVm in Verbindung mit LKA Landeskriminalamt LPD Landespolizeidirektion LVwG Landesverwaltungsgericht RLV Verordnung des Bundesministers für Inneres, mit der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erlassen werden (Richtlinien-Verordnung – RLV), BGBl 1993/266 idF BGBl II 2012/155
Lukas Trojan ABKÜRZUNGEN Seite IV RV Regierungsvorlage SNaP Specific Needs and Protection Orders SPG Bundesgesetz über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (SPG), BGBl 1991/566 idF BGBl I 2020/144 StGB Bundesgesetz vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB), BGBl 1974/60 idF BGBl I 2020/154 StPO Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 1975/631 idF BGBl I 2020/148 SVA Sicherheits- und Verwaltungspolizeiliche Abteilung UVS Unabhängiger Verwaltungssenat VfSlg Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes [ab 2012: Ausgewählte Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes] vgl vergleiche VStG Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), BGBl 1991/52 idF BGBl I 2018/58 VwGH Verwaltungsgerichtshof VwGVG Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I 2013/33 idF 2020/119 VwSlg A Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungs- gerichtshofes/Administrativrechtlicher Teil Z Ziffer
Lukas Trojan I. Einleitung Seite 1 I. Einleitung „Funkwagenstreife XY von Funkstelle, fahren Sie in die Xyz-Straße X. Laut dem Auffor- derer ist in der dortigen Wohnung ein heftiger Streit zwischen Mann und Frau hörbar – Näheres ist unklar.“ Ein solcher oder ähnlicher Funkspruch ist für die Polizei in Österreich keine Seltenheit. Ich selbst bin Polizist und war knapp vier Jahre im 15. Wiener Gemeindebezirk (Ru- dolfsheim-Fünfhaus) als Streifenpolizist tätig. Aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte und der multikulturellen Bevölkerung im 15. Bezirk gilt dieses Gebiet im Polizeijargon als „starker“ Bezirk. Einsätze wegen Streitigkeiten, häuslicher Gewalt oder anderen Gewaltdelikten waren tägliche Begleiter in meinem Polizeialltag. Das Einschreiten wegen physischer und psychischer Gewalt, die vor allem hinter verschlossenen Türen ausgeübt wird, stand auf der Tagesordnung. Als Polizeibedienstete stießen wir bei der Einschätzung und dem Handlungsbedarf bei Gewalt in der Familie oftmals an unsere Grenzen. Nicht nur meine persönliche Erfahrung, sondern auch die veröffentlichten Zahlen sprechen für sich. Die Statistik der Wiener Interventionsstelle für Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt veröffentlichte, dass in Österreich im Jahr 2018 knapp 18.500 Opfer familiärer Gewalt in Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen betreut wurden. Diese Zahlen umfassen nur jene Fälle, bei denen es zu einer polizeilichen Intervention kam, die Dunkelziffer von häuslicher Gewalt dürfte um einiges höher sein.1 Die Statistik zeigt, dass häusliche Gewalt nicht nur als individuelles Schicksal, sondern vielmehr als ein gesamtgesellschaftliches Problem gesehen werden muss. Es bedarf als solches einer gesamtgesellschaftlichen Lösung und geeigneter Schutzmaßnah- men für die Opfer. Bei einem Einsatz mit Gewalt in der Familie sind das Verhalten der ersteinschreiten- den Beamtinnen und Beamten und deren Situationseinschätzung wesentlich. Ihre 1 (abgefragt 13.04.2020).
Lukas Trojan I. Einleitung Seite 2 Beurteilungen zum Zeitpunkt des Einschreitens wirken sich nicht nur maßgeblich auf die Gefährderin bzw den Gefährder aus, sondern spielen auch bei der ersten Be- treuung des Opfers eine essenzielle Rolle. Wenn aufgrund bestimmter Tatsachen davon ausgegangen werden kann, dass die Gefährderin bzw der Gefährder einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit der gefährdeten Person(en) begeht, wird ein Betretungs- und Annähe- rungsverbot verhängt. Die Beurteilung des Betretungs- und Annäherungsverbots liegt grundsätzlich im Ermessen der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, Gerüchte oder Mutmaßungen über ein mögliches zukünftiges Verhalten der Gefährderin bzw des Gefährders sind keinesfalls ausreichend.2 Zum einen ist der Wissensstand der Beamtinnen und Beamten zum Zeitpunkt des Einschreitens ausschlaggebend für diese Entscheidung, zum anderen spielen aber auch die allgemeine Lebenserfahrung und ihre Erfahrungswerte eine große Rolle.3 In der Theorie ist von einer ausreichenden Tatsachengrundlage dann auszugehen, wenn die Aussage des Opfers, vergangene einschlägige Vorfälle, Vorstrafen oder Verletzungen, die Notwendigkeit für den Opferschutz ersichtlich machen. In der Praxis ist die Beurteilung des Gesamtbildes jedoch oft schwierig und stellt nicht selten eine Herausforderung dar.4 Es gilt in kurzer Zeit – in einer meist hektischen und unübersichtlichen Situation – alle Interessen der beteiligten Personen abzuwägen und sich ein Gesamtbild von der Situation zu machen, welches in weiterer Folge als Entscheidungsgrundlage für den Erlass eines Betretungs- und Annäherungsverbots dient. Das Ziel der Diplomarbeit ist es, § 38a Sicherheitspolizeigesetz zu erläutern und die Herausforderungen bei der Umsetzung im Exekutivbereich zu bewerten. 2 Vgl Erlacher/Forster, Sicherheitspolizeigesetz 75. 3 VwSlg 17.728 A/2009. 4 Vgl Erlacher/Forster, Sicherheitspolizeigesetz 75.
Lukas Trojan II. Entwicklung des Betretungsverbots Seite 3 II. Entwicklung des Betretungsverbots Das Sicherheitspolizeigesetz (SPG)5 wurde am 3. Oktober 1991 im Nationalrat be- schlossen, es trat mit 1. Mai 1993 in Kraft.6 Mit dem Sicherheitspolizeigesetz gelang dem Gesetzgeber eine Teilkodifikation des Rechtsbereichs der allgemeinen Sicher- heitspolizei. Das Sicherheitspolizeigesetz beendete den zuvor bestehenden Zustand großer Unübersichtlichkeit.7 Trotz zahlreicher Novellierungen blieb die Stammfassung des Gesetzes bis heute weitgehend erhalten. Es gab in den letzten beiden Jahrzehn- ten zwar viele punktuelle Ergänzungen des Gesetzes, jedoch kaum Eingriffe in seine Substanz.8 Das am 1. Mai 1997 in Kraft getretene „Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie (GeSchG)“9 anerkannte die gesellschaftliche Verantwortung für häusliche Gewalt und sah diese nicht mehr als Privatsache an. Der neu eingefügte § 38a SPG „Wegweisung und Rückkehrverbot bei Gewalt in Wohnungen“ dient hauptsächlich dem Schutz vor Gewalt in der Familie. Die Polizei ist seither ermächtigt, gewalttätige Personen aus der Wohnung zu weisen. Die Bestimmung ermöglicht ein schnelles Einschreiten der Exekutive und bietet sofortigen Opferschutz.10 Im Jahr 2018 wurde in Österreich knapp über 8.000-mal von dieser Bestimmung Gebrauch gemacht und damit Opferschutz gewährleistet.11 Die Präventions-Novelle 2016 (BGBl I 2016/61) brachte neue präventive Maßnahmen zur Deradikalisierung und Gewaltprävention. In Bezug auf die Gewaltprävention kam es auch zu einem Ausbau des § 38a SPG. Der Schutz gefährdeter unmündiger minderjähriger Personen wurde gestärkt, denn nunmehr konnte ein Betretungsverbot 5 Bundesgesetz über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheits- polizei (SPG), BGBl 1991/566 idF BGBl I 2020/144. 6 Vgl § 94 Abs 1 SPG, BGBl 1991/566 idF BGBl I 2019/113. 7 Vgl Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz 39. 8 Vgl Wiederin, Sicherheitspolizeirecht 14. 9 Bundesgesetz über Änderungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs, der Exekutionsordnung und des Sicherheitspolizeigesetzes (Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie – GeSchG), BGBl 1996/759. 10 Vgl Erlacher/Forster, Sicherheitspolizeigesetz 75. 11 (abgefragt 13.04.2020).
Lukas Trojan II. Entwicklung des Betretungsverbots Seite 4 für eine Schul- bzw Kindergarteneinrichtung getrennt von einem Betretungsverbot für die Wohnung ausgesprochen werden. Diese Neuregelung kommt zum Einsatz, wenn die Verhängung eines Betretungsverbots für die Wohnung nicht in Frage kommt, etwa wenn der Gefährderin oder dem Gefährder die Wohnadresse der Wohnung gar nicht bekannt ist.12 Des Weiteren wurde § 38a Abs 6a SPG eingefügt. Dieser Absatz spricht von einer präventiven Rechtsaufklärung und ermächtigt die Sicher- heitsbehörde, die Gefährderin oder den Gefährder bei einem aufrechten Betre- tungsverbot vorzuladen, um über rechtskonformes Verhalten zu belehren.13 Das Gewaltschutzgesetz 201914 fasste § 38a SPG gänzlich neu: „Betretungs- und Annäherungsverbot zum Schutz vor Gewalt“. § 38a SPG idF BGBl I 2019/105 trat – mit Ausnahme seines Abs 8 – mit 01.01.2020 in Kraft (§ 94 Abs 47 SPG). § 38a Abs 8 idF BGBl I 2019/105 und idF BGBl I 2020/144 tritt mit 01.09.2021 in Kraft (§ 94 Abs 47 und Abs 48 SPG). 12 Vgl ErläutRV 1151 BlgNR 25 GP 3. 13 Vgl RV 1151 BlgNR 25 GP 3. 14 Bundesgesetz, mit dem das Sicherheitspolizeigesetz, das Namensänderungsgesetz, das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Strafgesetzbuch, das Jugendgerichtsgesetz 1988, die Strafprozeß- ordnung 1975, das Strafregistergesetz 1968 [...] geändert werden (Gewaltschutzgesetz 2019), BGBl I 2019/105.
Lukas Trojan III. Voraussetzungen des Betretungsverbots Seite 5 III. VORAUSSETZUNGEN DES BETRETUNGSVERBOTS Die Voraussetzungen für die Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots im Sinne des § 38a Abs 1 SPG sind eine Gefährderin bzw ein Gefährder, (zumindest) eine gefährdete Person, eine Wohnung (in der die gefährdete Person wohnt) und die Annahme, dass es in diesem Bereich zu gefährlichen Angriffen gegen Leben, Gesundheit und Freiheit kommen wird. A. Bestimmte Tatsachen § 38a Abs 1 SPG legt fest, dass die Befugnis zur Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots daran geknüpft ist, dass „auf Grund bestimmter Tatsachen (…) anzunehmen ist“, eine Person – die Gefährderin bzw der Gefährder – werde „einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit begehen.“ Der Gesetzge- ber definiert die „bestimmten Tatsachen“ iSd § 38a SPG nicht, sondern nennt nur als Beispiel einen vorangegangenen gefährlichen Angriff.15 „Ein gefährlicher Angriff ist nach § 16 Abs. 2 SPG die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätz- lich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand u.a. nach dem Strafgesetzbuch handelt.“16 „Diese Tatsachen müssen (auf Grund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtferti- gen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffent- lichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlich- keit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Wegzuweisenden bevorstehe. Dabei (bei dieser Prognose) ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen.“17 Das Gesetz verlangt nicht, dass sich die bestimmten Tatsachen, über die das Betre- tungs- und Annäherungsverbot verhängt wird, in der Wohnung ereignen müssen. Der 15 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 152. 16 VwGH 21.12.2000, 2000/01/0003. 17 VwGH 15.12.2015, Ra 2015/01/0241.
Lukas Trojan III. Voraussetzungen des Betretungsverbots Seite 6 zu erwartende gefährliche Angriff muss jedoch mit der Wohnung bzw im Zusammen- hang mit „dem Wohnen“ stehen und rechtfertigen, dass die Wohnung zum Schutz- bereich erklärt wird.18 Bestimmte Tatsachen, die auf einen künftigen gefährlichen Angriff auf Leben, Ge- sundheit oder Freiheit schließen lassen, können etwa sein: • Verhalten der Gefährderin bzw des Gefährders (Aggressivität, abnormes Verhal- ten, Gestiken, etc)19 • Frühere einschlägige Amtshandlungen20 • Vorangegangene einschlägige Vorfälle21 • Zeugenaussagen und Spuren am Einsatzort22 • Aussagen23 der gefährdeten Person bzw deren Erscheinungsbild24 • Eintragungen in der Zentralen Gewaltschutzdatei nach § 58c SPG Mutmaßungen, bloße Gerüchte, Verdächtigungen, Belästigungen25, laute Be- schimpfungen26 oder Ähnliches reichen für die Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots nicht aus.27 B. Gefährderin bzw Gefährder und gefährdete Person Sowohl „Gefährderin bzw Gefährder“ als auch „gefährdete Person“ kann grundsätz- lich jeder Mensch sein, unabhängig von Geschlecht, Alter und HerkunftDie. Auch die Beziehung bzw das Verwandtschaftsverhältnis zwischen der Gefährderin bzw dem Gefährder und der gefährdeten Person ist irrelevant. Ebenso ist es nicht von Bedeu- 18 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 153. 19 Vgl LVwG Tirol 12.10.2015, LvWG-2015/12/2281-4. 20 Vgl UVS Vorarlberg 02.12.1997, 3-51-03/97. 21 Vgl VwGH 31.05.2012, 2012/01/0018. 22 Vgl LVwG Tirol 16.12.2014, LVwG-2014/23/2657-11. 23 Vgl LVwG Kärnten 01.06.2015, KLVwG-2702/10/2014. 24 Vgl LVwG NÖ 05.02.2016, LVwG-M-4/001-2014. 25 Vgl VwGH 24.02.2004, 2002/01/0280. 26 Vgl UVS Steiermark 12.07.2013, 20.3-8/2013. 27 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 152 f.
Lukas Trojan III. Voraussetzungen des Betretungsverbots Seite 7 tung, ob die Gefährderin bzw der Gefährder strafmündig (Vollendung des 14. Le- bensjahres) oder die Person zurechnungsfähig (§ 11 StGB) ist.28 Das Gesetz spricht sowohl von der Gefährderin bzw dem Gefährder als auch von der gefährdeten Person im Singular. In der Praxis kommt es jedoch auch vor, dass mehre- re Gefährderinnen und Gefährder oder mehrere gefährdete Personen vorhanden sind, wobei letzteres durchaus häufiger anzutreffen ist. In der Praxis wurde bisher von einem Betretungs- und Annäherungsverbot ausgegangen, welches mehrere Perso- nen schützt. Da das neue Betretungs- und Annäherungsverbot nun aber auch ein Annäherungsverbot nach sich zieht, müssen fortan nun einzelne Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen werden. Wenn etwa ein Ehemann seine Ehegattin und deren beiden Kinder gefährdet, sind gegen ihn drei Betretungsverbo- te mit drei Annäherungsverboten zu verhängen, auch wenn alle Betretungsverbote die gleiche Wohnung betreffen.29 1. Gefährderin bzw Gefährder Nach § 38a Abs 1 SPG ist die Person, von der die Gefahr des gefährlichen Angriffs ausgeht, als Gefährderin bzw Gefährder zu benennen. Wie bereits erwähnt, kann dies grundsätzlich jeder Mensch sein und es ist auch nicht vorausgesetzt, dass die Gefährderin bzw der Gefährder mit der gefährdeten Person zusammenwohnt, auch wenn dies in der Praxis sehr häufig vorkommt. Daraus ergibt sich, dass der Gefährde- rin bzw dem Gefährder das Betreten einer fremden als auch der eigenen Wohnung verboten werden kann. Handelt es sich beim Betretungs- und Annäherungsverbot um die eigene Wohnung der Gefährderin bzw des Gefährders, muss vor allem das Verhältnismäßigkeitsgebot beachtet werden.30 Im SPG ist die Verhältnismäßigkeit in § 29 SPG festgesetzt, worauf im Zuge der Arbeit später noch genauer eingegangen wird.31 Da die Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots keinerlei Beziehung zwischen der Gefährderin bzw dem Gefährder und der gefährdeten Person voraus- 28 Vgl Keplinger/Pühringer, Sicherheitspolizeigesetz 135. 29 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 151. 30 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 155. 31 Vgl Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz 286.
Lukas Trojan III. Voraussetzungen des Betretungsverbots Seite 8 setzt, kann es in der Praxis vorkommen, dass die gefährdete Person ihre Gefährderin bzw ihren Gefährder nicht namentlich kennt. Für solche Fälle sieht § 35 Abs 1 Z 8 SPG eine Identitätsfeststellungsbefugnis für die einschreitenden Organe vor.32 2. Gefährdete Person Bei der Verhängung des Betretungs- und Annäherungsverbots hat die gefährdete Person kein Mitspracherecht. Weder kann sie das Betretungs- und Annäherungsver- bot verlangen, noch zustimmen oder ablehnen. ISd Strafprozessordnung (StPO)33 ist die gefährdete Person ein Opfer mit besonderer Schutzbedürftigkeit. Nach § 6 Abs 1 Z 3 Richtlinienverordnung (RLV)34 sind Opfer von Straftaten aus physischen und psychischen Gründen nicht in der Lage, die Umstände der Amtshandlung zu erken- nen und realistisch zu beurteilen. Aus diesem Grund erfahren sie einen besonderen Schutz und werden mit besonderer Rücksicht behandelt. Ziel des Betretungs- und Annäherungsverbots ist es daher, die gefährdete Person vor weiteren gefährlichen Angriffen zu schützen.35 Anders als bei der Gefährderin bzw dem Gefährder muss die gefährdete Person tatsächlich in der Wohnung wohnen, für die das Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen wird. Die Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots über eine Gefährderin bzw einem Gefährder ist auf Grundlage des § 38a Abs 1 SPG nur über eine Wohnung zulässig, in der die gefährdete Person zumindest faktisch wohnt. Im Zuge des Betretungs- und Annäherungsverbots wird die Wohnung als Schutzbereich definiert. C. Wohnung Räumlicher Anknüpfungspunkt für ein Betretungs- und Annäherungsverbot nach § 38a SPG ist eine Wohnung. Die Verhängung eines Betretungs- und Annäherungs- verbots gemäß § 38a Abs 1 Z 1 SPG ist, wie bereits erwähnt, nur über eine Wohnung 32 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 155. 33 Strafprozessordnung 1975 (StPO), BGBl 1975/631 idF BGBl I 2020/148. 34 Verordnung des Bundesministers für Inneres, mit der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erlassen werden (Richtlinien-Verordnung – RLV), BGBl 1993/266 idF BGBl II 2012/155. 35 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 156.
Lukas Trojan III. Voraussetzungen des Betretungsverbots Seite 9 zulässig, in der die gefährdete Person zumindest faktisch wohnt. Der Begriff „wohnen“ beschreibt in diesem Zusammenhang, dass die Räumlichkeiten von der gefährdeten Person für die Aufbewahrung ihrer persönlichen Gegenstände, zur Nächtigung und auch zum Verbringen von Freizeit verwendet werden.36 Ob die gefährdete Person in der von ihr bewohnten Wohnung gemeldet ist, spielt keine Rolle ebenso wenig wie lange die Person schon in der Wohnung wohnt.37 Die gefährdete Person muss weder Eigentümer noch Mieter der Wohnung sein, selbst ein widerrechtliches Wohnen reicht aus. § 38a Abs 1 SPG definiert nicht, was unter einer „Wohnung“ zu verstehen ist. Nach Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH),38 wenn auch in einem anderen Zusammenhang, kann darunter jeglicher abgeschlossene räumliche Bereich ver- standen werden, der im weitesten Sinn Wohnzwecken dienen kann. An eine Wohnung sind keine qualitativen Voraussetzungen gebunden, weshalb als Wohnung auch folgende Bereiche in Betracht kommen: Hotelzimmer, Zelt, Krankenzimmer, Unterkünfte jeglicher Art und sogar ein bewohnter Bretterverschlag.39 36 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 156. 37 Vgl Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz 384. 38 Vgl VwGH 12.12.2017, Ra 2016/05/0068. 39 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 157.
Lukas Trojan IV. Anordnung des Betretungsverbots Seite 10 IV. ANORDNUNG DES BETRETUNGSVERBOTS A. Zuständigkeit 1. Sicherheitsbehörden Sachlich zuständige Sicherheitsbehörden des Bundes sind gemäß Art 78a B-VG40 und § 4 SPG die Bezirksverwaltungsbehörden, also die Bezirkshauptfrau bzw der Bezirks- hauptmann oder die Bürgermeisterin bzw der Bürgermeister in Statutarstädten. Sie unterstehen den in jedem Bundesland eingerichteten Landespolizeidirektionen (LPD), denen wiederum der Bundesminister für Inneres (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) übergeordnet ist. Eine Ausnahme bilden die Gebiete der in § 8 SPG angeführten Gemeinden41, in denen die jeweilige Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist. In jedem Bundesland gibt es eine Landespolizei- direktion mit dem Landespolizeidirektor an der Spitze, nur in Wien trägt der Landespo- lizeidirektor die Funktionsbezeichnung Landespolizeipräsident (Art 78b Abs 1 B-VG). Die örtliche Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten der Sicher- heitspolizei ergibt sich aus § 14 Abs 1 SPG, wonach die Sicherheitsbehörden in Aus- übung der Sicherheitspolizei grundsätzlich innerhalb ihres örtlichen Wirkungsbereichs zuständig ist. Wenn aber keine örtlich zuständige Behörde durch ihre Organe die notwendigen Maßnahmen rechtzeitig setzen kann oder dies im Interesse einer raschen und zweckmäßigen Besorgung des Exekutivdienstes liegt, können die ein- schreitenden Organe gemäß § 14 Abs 3 SPG auch rayonsübergreifend Betretungs- und Annäherungsverbote aussprechen. Und zwar dann, wenn sich der Vorfall, der die Amtshandlung auslöst, in einem anderen Rayon als jenem ereignet, in dem die Wohnung liegt.42 40 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl 1920/1 idF BGBl I 2021/2. 41 Für das Gebiet der Gemeinden Eisenstadt und Rust; Graz und Leoben; Innsbruck; Klagenfurt am Wörthersee und Villach; Linz, Steyr und Wels; Salzburg; Sankt Pölten, Wiener Neustadt, Schwechat, Fischamend, Klein-Neusiedl, Schwadorf gelegenen Teile des Flughafens Wien-Schwechat; Wien. 42 Vgl Mayrhofer, Annäherungsverbot 375.
Lukas Trojan IV. Anordnung des Betretungsverbots Seite 11 2. Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes Gemäß § 5 Abs 1 SPG versehen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in der Sicherheitsverwaltung den Exekutivdienst für die Sicherheitsbehörden. Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind nach § 5 Abs 2 SPG Angehörige des Wach- köpers Bundespolizei, Angehörige der Gemeindewachkörper, Angehörige des rechtskundigen Dienstes bei Sicherheitsbehörden (sofern diese mit unmittelbare Befehls- und Zwangsgewalt ausgestattet sind) und unter den in § 5 Abs 2 Z 4 SPG genannten Voraussetzungen auch sonstige Angehörige der Landespolizeidirektionen und des Bundesministeriums für Inneres. Der Begriff Wachkörper ist in Art 78d B-VG legaldefiniert. Demnach sind Wachkörper „bewaffnete oder uniformierte oder sonst nach militärischem Muster eingerichtete Formationen, denen die Aufgaben polizeili- chen Charakters übertragen sind.“ Während der Wachkörper Bundespolizei vom Bund eingerichtet wurde, werden Gemeindewachkörper gemäß Art 118 Abs 8 B-VG von den Gemeinden errichtet.43 B. Grundrechte Ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht ist ein subjektiv-öffentliches Recht, welches dem Einzelnen durch eine Rechtvorschrift im Verfassungsrang eingeräumt ist (Art 144 B-VG).44 Art 8 EMRK,45 wonach jedermann Anspruch auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs hat, ist im Zu- sammenhang mit der Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots von besonderer Relevanz. Eingriffe in dieses unter Gesetzesvorbehalt stehende Freiheitsrecht sind nach Art 8 Abs 2 EMRK nur zulässig, wenn diese gesetzlich vorgesehen sind und eine Maßnahme darstellen, „die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidi- gung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der 43 Vgl Leitl-Staudinger, Besonderes Verwaltungsrecht 268. 44 Vgl VfSlg 17.507/2005. 45 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl 1958/210 idF BGBl III 2018/139.
Lukas Trojan IV. Anordnung des Betretungsverbots Seite 12 Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“ In der Regel wird davon ausgegangen, dass eine gefährdete Person die Wahrheit sagt und sich tatsächlich in Gefahr befindet und somit ein Betretungs- und Annähe- rungsverbot gegen die Gefährderin bzw den Gefährder zu verhängen ist. Von Seiten der einschreitenden Exekutivorgane muss jedoch eine Prognoseentscheidung getroffen bzw das Vorliegen bestimmter Tatsachen überprüft werden, damit ein Grundrechtseingriff iSd § 38a Abs 1 SPG gerechtfertigt ist.46 Auch die Richtlinien-Verordnung (RLV) stellt die Achtung der Menschenwürde durch die einschreitenden Exekutivbeamtinnen und Exekutivbeamten sicher. Sie gibt vor, dass bei Fällen der Ausübung von verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsge- walt dafür gesorgt werden muss, dass die maßgeblichen Umstände für ein solches Einschreiten nachvollzogen werden können. C. Organbefugnisse 1. Aufgaben/Befugnisse Grundsätzlich unterscheidet das SPG präzise zwischen Aufgaben und Befugnissen der Sicherheitsexekutive. Das SPG versteht unter Aufgaben (§§ 19 ff SPG), das zu erreichende Ziel bzw eine Vorgabe. Die Befugnisse im SPG (§§ 32 ff SPG) stellen die Werkzeuge und Eingriffserlaubnisse dar, welche die einschreitenden Organe ver- wenden dürfen, um eben diese Aufgaben zu erreichen. Rechtlich gesehen sind Befugnisse die Erlaubnis an die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, um in geschützte Rechte eingreifen zu können. Stellt sich eine Aufgabe, bedeutet es jedoch nicht automatisch, dass die Ausübung der dafür vorgesehenen Befugnisse zulässig ist. Das SPG sieht in § 28a Abs 3 vor, dass primär versucht werden soll eine Aufgabe mit nicht-eingreifenden Mitteln zu erfüllen.47 „In die Rechte eines Menschen dürfen sie bei der Erfüllung dieser Aufgaben nur dann eingreifen, wenn eine solche Befugnis in diesem Bundesgesetz vorgesehen ist und wenn entweder andere Mittel 46 Vgl LVwG Salzburg 05.01.2017, 405-12/8/1/15-2017. 47 Vgl Keplinger, Grundzüge des SPG 36.
Lukas Trojan IV. Anordnung des Betretungsverbots Seite 13 zur Erfüllung dieser Aufgaben nicht ausreichen oder wenn der Einsatz anderer Mittel außer Verhältnis zum sonst gebotenen Eingriff steht“ (§ 28a Abs 3 SPG). 2. Verhängung des Betretungs- und Annäherungsverbots Zweck des Betretungs- und Annäherungsverbots ist der Schutz von Menschen vor Gewalt in Wohnungen und dies unabhängig davon, ob es zuvor zu (gerichtlich) strafbaren Handlungen gekommen ist.48 Die Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots hat sich demnach auf eine ausreichende Tatsachengrundlage zu stützen, welche von den einschreitenden Organen in Erfahrung gebracht werden muss. IdR geht man dann von einer ausreichenden Tatsachengrundlage aus, wenn die Opferaussage, frühere einschlägige Vorfälle, Vorstrafen oder Verletzungen, die Notwendigkeit des Gewaltschutzes ersichtlich machen.49 3. Ermessen der Organe § 38a Abs 1 SPG ermächtigt die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zur Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots50: „Die Organe des öffentli- chen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt (…), das Betreten einer Wohnung, (…) zu untersagen.“ Diese Bemächtigung darf jedoch nicht als eine Einräumung eines freien Ermessensspielraums gesehen werden. Die Aufgabennormen des SPG stellen nicht bloß das schützende Interesse dar, sondern ordnen auch an, dass diese Interessen verpflichtend zu erfüllen sind. Wenn also die Voraussetzung der Aufgabenerfüllung des § 38a SPG 1 SPG (vorbeugender Rechtsgüterschutz) vorliegt, sind die notwendi- gen Befugnisse zur Erreichung der Schutznorm verpflichtend einzusetzen. Aus diesem Grund muss, wenn die Vorrausetzungen vorliegen und die Aufgabe nicht mit milde- ren Mitteln gleichwertig erfüllt werden kann, von der Befugnis des § 38a Abs 1 SPG Gebrauch gemacht werden. Beim § 38a SPG werden jedoch solche gelinderen Mittel kaum in Betracht gezogen.51 48 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 138. 49 Vgl Erlacher/Forster, Sicherheitspolizeigesetz 75. 50 Vgl Leitl/Staudinger, Öffentliches Recht I Rz 15/48. 51 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 146.
Lukas Trojan IV. Anordnung des Betretungsverbots Seite 14 4. Verhältnismäßigkeit Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich schon aus dem in der österreichischen Bundesverfassung verankerten Gleichheitssatz (Art 7 Abs 1 B-VG). Demnach ergibt sich für den Staat ein allgemeines „Sachlichkeitsgebot“ und fordert ein „sachliches“ und somit verhältnismäßiges Vorgehen. Im Sicherheitspolizeigesetz wird die Verhält- nismäßigkeit nochmals in § 29 Abs 1 SPG verdeutlicht: „Erweist sich ein Eingriff in Rechte von Menschen als erforderlich (§ 28a Abs. 3), so darf er dennoch nur ge- schehen, soweit er die Verhältnismäßigkeit zum Anlaß und zum angestrebten Erfolg wahrt.“ Dieser Grundsatz ist vor allem bei der Aufgabenerfüllung und Ermessensent- scheidung, welche in Grundrechte der Betroffenen eingreifen, für die einschreiten- den Exekutivbeamtinnen und Exekutivbeamten von großer Bedeutung. Jede Maßnahme bzw Ermessensentscheidung muss – aus einer ex-ante Betrachtung heraus – dreifach bedingt sein52: • Eignung: Die konkrete Maßnahme muss zur Erreichung des Zwecks geeignet sein. • Erforderlichkeit: Es muss jene Maßnahme gewählt werden, welche am wenigsten in die Rechte eingreift und sie muss für die Zweckerreichung unabdingbar sein. • Angemessenheit: Die durch die Maßnahme erforderlichen Eingriffe stehen in einem vernünftigen Verhältnis zur Erreichung des Zwecks. Im § 29 Abs 2 SPG sind noch weitere Kriterien verankert, welche bei der Verhältnis- mäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus sind Exekutivbeamtinnen und Exekutivbeamte nicht dazu angehalten, sich bei der Erfüllung von Aufgaben unzumutbaren Gefahren auszusetzten, nur um gelinderte Mittel anwenden zu können. 5. Verbotsbereiche des Betretens und Annäherns a. Betretungsverbot Der Verbotsbereich umfasst die Wohnung selbst und einen Bereich im Umkreis von 100 Metern von den Außenmauern der Wohnung. Die 100 Meter sind zweidimensio- nal, im Sinne eines Blicks auf die Wohnung von oben, zu sehen. Bei Hochhäusern 52 Vgl Keplinger/Pühringer, Sicherheitspolizeigesetz 100.
Lukas Trojan IV. Anordnung des Betretungsverbots Seite 15 bedeutet dies, dass sich auch unter oder über der Schutzwohnung befindliche Wohnungen im verbotenen Umkreis befinden. Um diese während des aufrechten Betretungs- und Annäherungsverbots betreten zu dürfen, benötigt die Gefährderin bzw der Gefährder eine Ausnahmebewilligung gemäß § 38a Abs 9 SPG.53 Eine Abänderung des gesetzlichen Verbotsbereichs ist den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht gestattet, Ausnahmen können – unter Berücksichtigung bestimmter Voraussetzungen – lediglich die Sicherheitsbehörden verfügen.54 b. Annäherungsverbot Seit dem Gewaltschutzgesetz 2019 ist mit einem verhängten Betretungsverbot ex lege ein Annäherungsverbot verbunden (§ 38a Abs 1 erster Satz SPG). Das Annäherungsverbot an die gefährdete Person umfasst ebenfalls einen Bereich im Umkreis von 100 Metern um die gefährdete Person, welcher nicht von der Ge- fährderin bzw vom Gefährder betreten werden darf. Der Gefährderin bzw dem Gefährder ist es ausdrücklich verboten, sich an die gefährdete Person anzunähern. Sie bzw er ist allerdings nicht dazu verpflichtet, Ihren bzw seinen Standort zu verlassen, sollte sich die gefährdete Person nähern, etwa in der U-Bahn, im Gasthaus, etc. Insofern handelt es sich daher nicht um eine absolute „Bannmeile“.55 Die bisherigen Schutzbereiche für Schulen, Horte und Kindergärten entfallen, da die gefährdete Person, unabhängig vom Alter, an allen Orten durch das Annäherungs- verbot geschützt ist.56 Wenn notwendig, kann jedoch für solche Örtlichkeiten eine gerichtliche einstweilige Verfügung nach § 382e Exekutionsordnung (EO)57 ausge- sprochen werden.58 53 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 158. 54 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 159. 55 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 159. 56 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 158. 57 Gesetz vom 27. Mai 1896, über das Exekutions- und Sicherungsverfahren (Exekutionsordnung – EO), RGBl 1896/79 idF BGBl I 2020/16. 58 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 158.
Lukas Trojan IV. Anordnung des Betretungsverbots Seite 16 6. „Zur Kenntnis bringen“ des Verbotsbereichs Gemäß § 38a Abs 2 Z 1 SPG haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Gefährderin bzw dem Gefährder den Verbotsbereich des verhängten Betre- tungs- und Annäherungsverbots mitzuteilen. Die Verhängung ohne Mitteilung an den Betroffenen, etwa in seiner Abwesenheit, ist nicht zulässig.59 Wie oben ausgeführt, umfasst der Verbotsbereich nach § 38a Abs 1 SPG zum einen den Bereich des Betretungsverbots, also die Wohnung samt 100-Meter-Bereich um diese herum, als auch des Annäherungsverbots, sprich den 100-Meter-Bereich um die gefährdete Person. Die Mitteilung über das Annäherungsverbot setzt voraus, dass die Gefährderin bzw der Gefährder informiert wird, wer von den Organen des öffent- lichen Sicherheitsdienstes als gefährdete Person angesehen wird. Die Organe müssen zwar der Gefährderin bzw dem Gefährder seine Verbote mitteilen, jedoch keine Details bezüglich des 100-Meter-Bereichs. Es obliegt also der Gefährderin bzw dem Gefährder selbst, dass sie bzw er sich darüber informiert, wo die 100 Meter um die Wohnung im konkreten Fall enden.60 Der Schutzbereich und weitere wichtige Informationen werden nicht nur verbal, sondern auch mittels eines Informationsblatts zur Kenntnis gebracht.61 7. Abnahme und Hinterlegung der Schlüssel Bei Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots sind der Gefährderin bzw dem Gefährder zwecks Sicherung des Betretungs- und Annäherungsverbots alle, in der Gewahrsam befindlichen Schlüssel zur Wohnung abzunehmen (§ 38a Abs 2 Z 2 SPG).62 Im Falle, dass die Gefährderin bzw der Gefährder die Schlüssel nicht freiwillig aushändigt, können diese mit Zwang (§ 50 SPG) abgenommen werden. Seit der Novelle 2019 erlaubt das Gesetz die Durchsuchung der Gefährderin bzw des Ge- fährders, um die Schlüssel abnehmen zu können. Die Durchsuchung ist jedoch nicht routinemäßig und wird nur erforderlichenfalls durchgeführt, wenn angenommen 59 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 149. 60 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 160. 61 Vgl Keplinger/Pühringer, Sicherheitspolizeigesetz 138. 62 Vgl Erlacher/Forster, Sicherheitspolizeigesetz 71.
Lukas Trojan IV. Anordnung des Betretungsverbots Seite 17 wird, dass die Person den Schlüssel bei sich hat, diesen jedoch nicht freiwillig abgibt. Durch den Verweis auf § 40 Abs 3 und 4 SPG wird klargestellt, dass die Durchsu- chungsbefugnis ebenfalls für das Öffnen und Durchsuchen von Behältnissen, die die bzw der Betroffene bei sich hat, gilt. Die Durchsuchung muss sich allerdings auf den Körper und die Bekleidung beschränken.63 Die Abnahme der Schlüssel ist nur bei der Anordnung des Betretungs- und Annähe- rungsverbots möglich und kann nicht zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Unter Schlüssel wird nicht nur der herkömmliche Schlüssel verstanden, sondern sind auch elektronische Schlüssel wie Chipkarten, Magnetkarten oder Transponder zu verste- hen.64 Nach Aufhebung oder Beendigung des Betretungs- und Annäherungsverbots müs- sen die abgenommenen Schlüssel der Gefährderin bzw dem Gefährder wieder ausgehändigt werden. Werden die Schlüssel, trotz nachweislicher Information der Gefährderin bzw des Gefährders über die Abholungsmöglichkeit, nicht binnen einer zweiwöchigen Frist abgeholt, können die Schlüssel auch einer anderen verfügungs- berechtigten Person ausgefolgt werden. Sechs Wochen nach Aufhebung oder Beendigung des Betretungs- und Annäherungsverbots gelten die nicht abgeholten Schlüssel als verfallen (§ 38a Abs 11 SPG). 8. Gegenstände des persönlichen Bedarfs und Unterkunft Neben vielen Pflichten hat die Gefährderin bzw der Gefährder das Recht, dringend benötigte Gegenständige des persönlichen Bedarfs mitzunehmen. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben die Verpflichtung, der Gefährderin bzw dem Gefährder diese Möglichkeit zu geben (§ 38a Abs 2 Z 3 SPG). Unter dringend benö- tigten Gegenständen versteht man Sachen, die erfahrungsgemäß in den nächsten zwei bis vier Wochen gebraucht werden, wie etwa Bargeld, Ausweispapiere, Doku- mente, Hygieneartikel, Medikamente, Kleidungsstücke oder Arbeitsunterlagen.65 63 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 160. 64 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 161. 65 Vgl Keplinger/Pühringer, Sicherheitspolizeigesetz 138.
Lukas Trojan IV. Anordnung des Betretungsverbots Seite 18 § 38a Abs 3 letzter Satz SPG sieht vor, dass die Gefährderin bzw der Gefährder in Ausnahmefällen – in Begleitung eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes und mit Zustimmung der gefährdeten Person – auch bei aufrechtem Betretungs- und Annäherungsverbot die Wohnung betreten darf, um dringend benötigte Gegen- stände des persönlichen Bedarfs abzuholen. Des Weiteren haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach § 38a Abs 2 Z 3 SPG die Pflicht, der Gefährderin bzw dem Gefährder darüber Auskunft zu geben, wo sie bzw er unterkommen kann. Es ist jedoch festzuhalten, dass keine Unterkunft gesucht werden muss, es reicht die Aushändigung einer schriftlichen Information mit Notschlafstellen.66 9. Informationspflichten gegenüber Gefährderin bzw Gefährder und gefährdeter Person Gemäß § 38a Abs 2 Z 4 SPG haben die einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Gefährderin bzw den Gefährder über die verpflichtende Gewaltpräventionsberatung (Abs 8) und über die Strafbarkeit bei einer Zuwiderhand- lung iSd § 84 Abs 1b Z 3 SPG zu informieren. Diese Regelung traten erst mit 01.09.2021 in Kraft. Auf der anderen Seite ist die gefährdete Person über die Möglichkeit einer einstweili- gen Verfügung gemäß §§ 382b und 382e EO und über eine geeignete Opferschutz- einrichtung (§ 25 Abs 3 SPG) zu informieren (§ 38a Abs 4 SPG). Die Informationspflicht beinhaltet keine detaillierten und ausführlichen Informationen, es handelt sich ledig- lich um ein „in Kenntnis setzen“ dieser Möglichkeiten. Einzelinformationen sind bei den verwiesenen Opferschutzeinrichtungen einzuholen.67 Handelt es sich um eine minderjährige gefährdete Person und erfordert es der Einzelfall, sind jene Menschen über die Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbot zu informieren, welche die regelmäßige Obhut innehaben (§ 38a Abs 4 Z 1 SPG). Weiters sind auch die örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger über die Verhängung zu informieren (§ 38a Abs 4 Z 2 SPG). 66 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 161. 67 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 165.
Lukas Trojan IV. Anordnung des Betretungsverbots Seite 19 10. Abgabestelle Die Gefährderin bzw der Gefährder muss von den Organen des öffentlichen Sicher- heitsdienstes dazu aufgefordert werden, eine gewünschte Abgabestelle zu nennen (§ 38a Abs 2 Z 5 SPG). Die Abgabestelle ist jener Ort, an dem Dokumente der Ge- fährderin bzw des Gefährders zugestellt werden dürfen. Als Abgabestelle kann nicht nur eine Wohnung benannt werden, sondern auch eine sonstige Unterkunft, Betrieb- stätte, Sitz oder Geschäftsraum, Kanzlei oder Arbeitsplatz (§ 2 Z 4 ZustG). Mit der Bekanntgabe einer Abgabestelle soll die Zustellung von Schriftstücken nach § 38a SPG oder der Exekutionsordnung ermöglicht werden. Im Falle, dass die Gefährderin bzw der Gefährder keine Abgabestelle bekannt gibt, kann die Zustellung ohne vorausgehenden Zustellversuch durch Hinterlegung erfol- gen. Darüber muss die Gefährderin bzw der Gefährder jedoch von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgeklärt werden.68 11. Wegweisung und Kontrolle des Betretungs- und Annäherungsver- bots Die Wegweisung iSd § 38a Abs 2 Z 6 SPG dient der Durchsetzung eines Betretungs- und Annäherungsverbots und beschreibt die Anordnung, die Wohnung und deren umliegenden 100-Meter-Bereich zu verlassen. Diese Anordnung gibt zwar den Befehl diesen Bereich zu verlassen, es ist jedoch nicht möglich der Gefährderin bzw dem Gefährder vorzuschreiben, in welche Richtung oder an welchen Ort sie bzw er sich begeben muss.69 Eine Wegweisung aus einer Wohnung kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Gefährderin bzw der Gefährder selbst in der Wohnung aufhält. Sollte die Gefährderin bzw der Gefährder die Wohnung nach der Wegweisung nicht freiwillig verlassen, dann kann die Wegweisung mit Zwang durchgesetzt werden (§ 50 SPG).70 Demnach kann die Wegweisung auch in einer Wegbringung bestehen. Unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips darf auch in eine Wohnung oder in einen Teil einer Wohnung eingedrungen werden, um das Betretungs- und Annäherungs- verbots durchzusetzen. Wenn sich etwa die Gefährderin bzw der Gefährder im 68 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 162. 69 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 162 f. 70 Vgl Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz 385.
Lukas Trojan IV. Anordnung des Betretungsverbots Seite 20 Schlafzimmer eingesperrt hat, ist es den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gestattet, die Türe aufzubrechen, um die Wegweisung bzw Wegbringung durchfüh- ren zu können.71 Die Wegweisung iSd § 38a Abs 2 Z 6 SPG kann auch der Durchsetzung eines Annähe- rungsverbots dienen. Dies kommt zum Einsatz, wenn das Betretungs- und Annähe- rungsverbot nicht in einer Wohnung, sondern an einem anderen Vorfallort ausgesprochen wird und sowohl Gefährderin bzw Gefährder als auch die gefährde- te Person anwesend sind. Nach Abschluss der Amtshandlung kann somit die Gefähr- derin bzw der Gefährder weggewiesen werden.72 Die Missachtung der Wegweisung nach § 38a Abs 2 Z 6 SPG ist an sich nicht strafbar. Wenn die Gefährderin bzw der Gefährder jedoch den Verbotsbereich nach Aus- sprache des Betretungs- und Annäherungsverbots erneut betritt, liegt eine Verwal- tungsübertretung nach § 84 Abs 1b Z 1 oder Z 2 SPG vor.73 Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben die Pflicht, die Einhaltung des Betretungs- und Annäherungsverbots während der ersten drei Tage des Geltungszeit- raums zumindest einmal zu überprüfen (§ 38a Abs 5 SPG). Die Überprüfung sieht das Nachschauen in der Wohnung vor, um sicherzugehen, dass sich die Gefährderin bzw der Gefährder nicht in diesem festgelegten Schutzbereich aufhält. Eine gesonderte Kontrolle des Annäherungsverbots ist gesetzlich nicht vorgesehen.74 Missachtet die Gefährderin bzw der Gefährder das Betretungs- oder Annäherungs- verbot im Schutzbereich und wird auf frischer Tat beim Betreten des Schutzbereichs ertappt, so ist dieser nach § 84 Abs 1b SPG, unter Hinweis auf das Vorliegen einer Verwaltungsübertretung aufzufordern, den Verbotsbereich zu verlassen. Gemäß § 38a Abs 5 SPG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes befugt, die Gefährderin bzw den Gefährder bei Verstoß gegen das Betretungs- und Annähe- rungsverbot mit Zwangsgewalt wegzuweisen. Verharrt die Gefährderin bzw der 71 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 163. 72 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 162. 73 Vgl Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, in Bauer/Keplinger (Hrsg) 163. 74 Vgl Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz 392.
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