Das Erziehungswesen in Griechenland

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Das Erziehungswesen in Griechenland

W. Jaeger schreibt in seiner Untersuchung "Paideia" zunächt allgemein zur
Bildung und Formung des Menschen: "Alle Völker, die eine gewisse Stufe der
Entwicklung erreichen, haben von Natur den Trieb zur Erziehung. Erziehung ist
das Prinzip, dessen sich die menschliche Gemeinschaft bedient, um ihre
leibliche und geistige Art zu erhalten und fortzupflanzen"1. Auch in
Griechenland als einer bedeutenden Kulturmacht kommt der Bildung und Kultur
ein großer Stellenwert zu. Dieser Stellenwert der Kultur und Bildung ist deshalb
nicht hoch genug zu veranschlagen, weil Griechenland bis zur makedonischen
und römischen Herrschaft nie zu einer politischen Einheit findet. Städte und
Staaten führen ein eigenständiges politisches Dasein; das Recht und die Freiheit
einer Polis beruht darauf, die eigenen Angelegenheiten selbstständig zu regeln.
Diese Regelung der eigenen Angelegenheit erfolgt im Innern des Staates,
unabhängig davon, welche politische Herrschaftsform im einzelnen hier
herrscht. Es überrascht daher, daß das Bewußtsein ein "Hellene" zu sein,
allgemein verbreitet ist; der Stolz, ein Grieche zu sein, hängt mit dem hohen
kulturellen Bewußtsein und dem Wissen, einer "großen Kulturnation"
anzugehören, die nicht mit der Welt der Barbaren zu vergleichen ist, zusammen.
Ein Grieche, unabhängig ob er aus Athen, Theben, Sparta oder Milet kommt,
kennt sein griechisches Bildungs- und Kulturgut zu einem großen Teil
auswendig. Dieses Bildungs- und Kulturgut erlernt der Grieche in seiner Schule,
er spricht es laut, betont und deutlich und kann es bei festlichen
Angelegenheiten und Symposien auswendig aufsagen und daraus seine Identität
und in entsprechenden Situationen seinen Mut schöpfen.
Die Kontakte der Griechen mit der Welt des Alten Orients sind vielfältig;
Homer, Hesiod, Herodot und Platon schildern, wie sich Griechen aufmachen,
um ihre Heimat zu verlassen und in der orientalischen Fremde die Kultur dieser
Staaten kennenzulernen. Diese Griechen sehen viel Fremdartiges, Interessantes,
aber auch Beachtens- und Merkenswertes. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich
um die Bereiche Literatur, Medizin, Astrologie, Bau- und Schiffswesen, Handel
und spezialisiertes Handwerk, Kriegs- und Heerwesen oder um Religion und
Göttergenealogien handelt. Diese "jungen Griechen"2 sind Lernende, Schüler
des Alten Orients, die diese Dinge begierig in sich aufnehmen. Die Griechen
reisen, lernen, übernehmen, formen und bilden etwas Neues und tuen damit das,

1W. Jaeger, Paideia, 1. Bd., S.1.
2Vgl. U.v. Wilamowitz-Moellendorf, Euripides, Herakles, Bd. 2, S. 4f: "Dem übermächtigen
Einfluß einer Jahrtausende älteren Zivilisation gaben sich die Hellenen mit kindlicher
Unbefangenheit hin, aber Hellenen waren sie damals schon: sie flößten dem Fremden das sie
aufnahmen den Hauch ihres Geistes ein. Ihr Fürstenhaus ist in der Anlage das Gehöft eines
Bauern, und das spätere hellenische Haus zeigt die Grundlinien derselben Anlage. Auf dem
großen Hofe, der eigentlich für das Vieh bestimmt war, steht der Altar des SeÝj ˜rke‹oj, und
in der Männerhalle, d. h. dem Wohnraume nimmt ˜st…a die Mitte ein: das sind die Malstätten
der althellenischen Religion, die noch mit Sitte und Recht zusammenfällt".
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was bei aller kulturellen Verschiedenheit die Israeliten auch praktizieren, indem
sie auf die Völker ihrer orientalischen Umwelt schauen und dabei versuchen
eine eigene Bildung und Kultur zu entwickeln. Daß sich dabei gewisse
Parallelen zwischen den Kulturen ergeben, liegt an den Grundstrukturen
menschlicher Bildung und Kultur in den Bereichen Ethik, Religion und
Literatur. "Erziehung als Funktion der menschlichen Gemeinschaft ist etwas so
Allgemeines und Naturnotwendiges, daß sie in ihrer Selbstverständlichkeit
denen, die sie empfangen oder ausüben, lange Zeit kaum zum Bewußtsein
kommt und erst relativ spät ihre Spur in der literarischen Überlieferung
hinterläßt. Ihr Inhalt ist bei allen Völkern annähernd der gleiche, er ist zugleich
moralisch und praktisch; auch bei den Griechen trägt sie keine anderen Züge.
Sie kleidet sich teils in die Form von Geboten wie: ehre die Götter, ehre Vater
und Mutter, achte den Fremdling, teils besteht sie in Jahrhunderte lang mündlich
weitergegebenen Vorschriften äußerer Sittsamkeit und in Regeln praktischer
Lebensklugheit, teils in der Mitteilung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten,
deren Inbegriff, soweit sie tradierbar sind, der Grieche mit dem Wort Techne
bezeichnet. Während die elementaren Gebote des richtigen Verhaltens zu
Göttern, Eltern und Fremden später auch in den geschriebenen Gesetzen der
griechischen Staaten niedergelegt wurden, in denen Recht und Moral noch nicht
prinzipiell geschieden waren, kommen die Schätze derbsaftiger Volksweisheit,
vermischt mit primitiven Anstandsregeln und mit den Vorsichtsgeboten
eingewurzelten Volksaberglaubens, aus uralter mündlicher Überlieferung in der
bäuerlichen Spruchpoesie Hesiods zum erstenmal an die Oberfläche"3.
Übernahmen aus dem Bereich der Fabel, also der Literatur, aber mitunter auch
Anlehnungen und Anklänge aus den Religionen der umliegenden Völker,
klingen nun nicht mehr wie die Dichtung der orientalischen Völker, sondern wie
ein herrlicher rhythmischer Gesang der Griechen. Diese Übernahmen werden im
Laufe der eigenen kulturellen Entwicklung umgeformt, daß sie geradezu zum
Wesensmerkmal dieser Völker werden, wenn wir die Namen Homer oder
Hesiod, aber auch David oder Salomo hören. Niemand in der gegenwärtigen
Diskussion bestreitet, daß es sich um kulturelle Leistungen dieser Völker
handelt, die in einer großartigen Identitätsfindung zu einem solchen Ausdruck
ihres Geistes und ihrer Religion fähig sind.
Vermittler dieser Kulturarbeit sind insbesondere in Griechenland die Rapsoden.
Diese fahrenden Sänger können durchaus mit der Welt unseres Hochmittelalters
und berühmten Namen wie Walther von der Vogelweide, Wolfram von
Eschenbach und Hartmut von der Aue verglichen werden; denn in beiden
Epochen ist zunächst die höfische Welt der Fürsten und Könige vorherrschend.
Die Rapsoden ziehen von Königs- zu Königshof und sind gern gesehene Gäste.
Die Fragen: "Was gibt es Neues?", "Was könnt ihr uns berichten und vortragen"
schallen ihnen überall entgegen. Die Rapsoden treten vor die versammelte
Festgemeinde des Fürstenhofs und beginnen mit ihren rhythmischen Gesängen.
Das Versmaß ihres Gesangs fesselt die Zuhörer, die Schönheit ihrer Sprache

3W. Jaeger, Paideia, 1. Bd., S.23.
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fasziniert sie und der Inhalt ihrer Epen, der von Freud und Leid der großen
Helden und ihrer Abenteur handelt, findet nicht nur breite Zustimmung, sondern
fördert die griechische Identität und auch den Wunsch bei so manchen Jüngling,
solche Abenteuer und Heldentaten erleben zu dürfen. Diese Rapsoden
durchziehen die Landschaften Griechenlands und wandern in den Weiten
Ioniens und Kleinasiens; hier mischen sich die kulturellen Einflüsse Asiens und
Europas. Es ist nicht zufällig, daß in der Tradition die Heimatstadt Homers mit
Smyrna genannt wird und daß die bedeutende Hafenstadt Milet etwas später die
drei bedeutenden ionischen Naturphilosophen Tales, Anaximandros und
Anaximenes hervorbringt. Denn der Boden Ioniens ist bereits zur Zeit der
hethitischen Herrschaft Raum wiederholter Zusammenstöße von Griechen und
Hethitern. Die Hethitern stehen feindlich gesinnten Griechen in Ionien, aber
auch Cylicien und Lykaonien gegenüber, und immer wieder machen sich die
hethitischen Großkönige auf und ziehen nach Westen, um diesen Griechen
Einhalt zu gebieten. So wundert es auch nicht, daß in der Nachbarschaft von
Smyrna4 eine Stadt liegt, Troja, um die in mykenischer Zeit hart gekämpft wird
und in deren Raum die Einflüsse von Ost und West aufeinanderstoßen. In einem
langwierigen Krieg erobern schließlich die griechischen Helden die berühmte
Stadt Troja.
Es ist das Zeitalter des "goldreichen Mykene" mit seinem Oberkönig
Agamemnon und seinen Fürsten und Helden. Das Ideal5, das hier in diesem
homerischen Epos vermittelt wird, beruht darauf, immer der Beste vor anderen
zu sein (a„ n ¢risteÚein kaˆ Øpe…rocon œmmenai ¥llwn6). Diese Taten
beeindrucken die Menschen so sehr, daß sie von den Helden und den
gemeinsamen Götter des griechischen Olymps zu singen wissen. In diesem

4Vgl. U.v. Wilamowitz-Moellendorf, Der Glaube der Hellenen, Bd. 1, S.311: "Es ist eine
müßige Frage, was aus der griechischen Religion geworden wäre, wenn sie sich aus dem, was
wir bisher betrachtet haben, hätte fortbilden müssen, ohne die Umwälzungen, welche sie
erfuhr, als neue Götter und die alten in neuer Auffassung aus Asien in das Mutterland
herüberdrangen. Das geschah zuerst durch die Rhapsoden, die das ionische Epos verbreiteten.
Durch dieses haben die homerischen Götter allgemeine Anerkennung gefunden, und das hat
ganz wesentlich dazu beigetragen, daß die politisch zerspaltene und räumlich weithin
zerstreute Nation ihrer geistigen Einheit bewußt ward. Daher ist es unsere nächste Aufgabe,
die Götter Homers kennenzulernen. Erst jetzt ist es an der Zeit; man hatte sich im Altertum
und noch lange nachher das Verständnis der Religion dadurch verbaut, daß man von Homer
ausging, weil die Literatur mit ihm anfängt. Aber er gehört ja nach Asien. Daher finden wir
bei ihm nicht nur Götter, von denen die Auswanderer nicht gewußt hatten, sondern auch die
altvertrauten Gestalten sehen ganz anders aus, und die Vorstellung von der ganzen Götterwelt
ist verändert. Das Epos behandelt altüberlieferte Geschichten, archaisiert daher in vielem und
gibt für das äußere Leben, wie es zur Zeit Homers war, wenig aus, aber innerlich, in ihrem
Fühlen und Denken, in Religion und Ethik geben sich die Dichter unwillkürlich ganz als
Menschen ihrer Zeit, und darin, daß sie es ohne Bedenken tun, so daß es später starken
Anstoß erregt hat, sind sie schon die rechten Ionier".
5Vgl. M. Ritter, Erziehung, Kulturgeschichte, Bd. 1, S.142: "Das Epos-Ideal tritt klar hervor:
´Immer der Beste zu sein und hervorzuragen vor andern´ (z. B. Il. 6, 208)".
6Ilias 6,208; 11, 784.
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"griechischen Mittelalter" tragen die Rhapsoden ihre Epen an Fürstenhöfen vor
und lauschen ihrerseits auf neue dichterische Erträge eines Kollegens, wenn es
darum geht, Vergangenes im Gegenwärtigen7 zu deuten. Nach Jahren der
Wanderschaft begeben sie sich in ihre Heimatstadt und singen und sprechen nun
die gehörten Verse vor der hier versammelten Festgemeinde. Es entstehenen die
Traditionen der Rhapsoden, die nun durch ihre Schüler ihr Können und ihr
Wissen weitergeben. Diese Rhapsodenschulen, die durchaus mit klingenden
Namen, wie Homer und Hesiod, in Verbindung zu bringen sind und die ihre
spezifischen Traditionen ihrer Schulen weitergeben, sind wichtige Wegbereiter
der griechischen Literatur; in der Literaturgeschichte werden diese Rhapsoden
mit Skalden und Skop8 verglichen.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß als Ziel dieser schulischen Bildung das Ideal
der Kalokagathia (kalÕj k¢gaqÒj) ist. Dieses pädagogische Ziel, das sich im
Laufe der Zeit popularisierte, insbesondere im Demokratisierungsprozeß9,
stammt aus dieser homerischen Adelsethik. Das Volk von Theben, Sparta und
Athen macht nun diese Werte, die für alle Griechen interessant und
erstrebenswert sind, zu ihren eigenen und zur Grundlage ihres Bildungs- und
Schulsystems. Aus diesen Epen und Werten ergibt sich das Panorama einer Zeit;
dieses dichterische Panorama eines Homers10 und auch eines Hesiods macht ein
7Vgl. T. Reucher, Die situative Weltsicht Homers, S.449: "Wenn der Erzähler oder Dichter
mit seinem Aufzeigen des Situationsbildes zugleich den gesellschaftlichen Sinn aufzeigt, so
heißt das letztlich, daß der Dichter die Gesellschaft in Hinsicht des sie und ihre Wertordnung
bestimmenden Sinns identifiziert. Die Kunst erfüllt ihre Aufgabe in einem Akt der
gesellschaftlichen Identifikation, in dem die Gesellschaft den ihr eigentümlichen Sinn
erkennt. In der durch die Kunst vermittelten Anschauung ihres Sinns erkennt die Gesellschaft
in repräsentativer Weise sich selbst.
Doch ist der Trojanische Krieg kein zeitgenössisches Ereignis Homers, sondern eine ferne,
sagenhafte Erinnerung. Und Homer betont oft genug, daß die Helden der ´Ilias´ mehr
vermögen als die gegenwärtig lebenden Menschen, so, wenn sie z.B. Steine von ungeheurem
Gewicht werfen. Wenn das Situationsbild aber die Funktion hat, die Wertordnung der
gegenwärtigen Gesellschaft in repräsentativer Weise zu identifizieren, wozu bedarf es dann
dieses Ausflugs in eine ferne Vergangenheit?"
8Vgl. Meyers Kleines Lexikon, Rhapsoden, S.349, wo betont wird, daß die Rhapsoden die
wichtigsten Vermittler der epischen Überlieferung waren und mit den Skalden und Skop zu
vergleichen sind. Vgl. auch Hesiod, Sämtliche Werke, Theogonie, Z.1-8., S.3:
"Musen am Helikon, ihr, von euch beginn ich zu singen,
Die des Helikon Höhe, die heilige, große, bewohnen
Und um die bläuliche Quelle mit zartgeschmeidigen Füßen
Tanzen und um den Altar des kampferprobten Kronion,
Wenn sie den zarten Leib sich im Permessos gereinigt
Oder am Roßquell oder der heiligen Flut des Olmeios.
Herrliche Reigen schlingen sie auf des Helikon Gipfel,
Anmutsvolle, und schwingen im Tanze rührig die Füße".
9Vgl. U.v. Wilamowitz-Moellendorf, Eurpides, Herakles, Bd. 3, Kommentar, S.2f.
10Vgl. T. Reucher, Die situative Weltsicht Homers, S.449: "Die ungeheure Bedeutung, die
Homer noch für das spätere Griechentum hatte, und sogar für die Erziehung der Knaben,
weist dem Fiktionalen eine andere und umfassendere Aufgabe zu. Diese kann nicht in der
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Kulturverständnis deutlich, daß die Griechen nun von ihrer orientalischen und
nun barbarischen Umwelt gründlich unterscheidet.
Homer ist ohne Zeifel eine wichtige Quelle und eine wichtige Voraussetzung
der griechischen griechischen Bildung. Die Lektüre dieses bedeutenden
Rhapsoden gehört zum Unterricht der Schulen aller griechischen Staaten, die
Wert darauf legen zur griechischen Kulturnation zu gehören. Es ist daher
naheliegend, so wie es dann auch in den späten jüdischen Schulen der Fall ist,
daß diese sich formende Literatur als "Bibel der Griechen" auswendig gelernt
wird. Das Auswendiglernen hat im Schulbetrieb der Antike einen großen
Stellenwert, ist doch dadurch das eigene Kulturgut verfügbar und kann bei
entsprechenden festlichen Anlässen zitiert werden. Die Spartanern bevorzugten
ohne Zweifel die Gedichte des Homer, da sie ihre militärische Welt in diesen
literarischen Motiven als Lernziele bestens wiedergegeben sahen. "Zu den
Ursprüngen der griechischen Bildung können wir uns nicht, wie es am nächsten
zu liegen scheint, am Leitfaden der Geschichte des Wortes Peideia zurücktasten,
weil es sich erst im 5. Jhrh. findet. Das ist freilich nur ein Zufall der
Überlieferung, es wäre möglich, daß wir bei Gelegenheit noch ältere Belege
fänden, wenn neue Quellen ans Licht träten. Aber offenbar würde auch damit
nichts gewonnen sein, da die ältesten Beispiele deutlich beweisen, daß das Wort
im Anfang des 5. Jhrh. noch die schlichte Bedeutung ´Kinderzucht´ hatte, also
noch weit enfernt war von dem höheren Sinne, den es bald darauf erhält und den
wir hier im Auge haben. Das natürliche Leitmotiv der griechischen
Bildungsgeschichte ist vielmehr der Begriff der Arete, der bis in die ältesten
Zeiten zurückführt. Ein volles Äquivalent für das Wort bietet die heutige
deutsche Sprache bekanntlich nicht, während das mittelhochdeutsche Wort
´tugende´ in seiner noch nicht zum bloß Moralischen abgeschwächten
Bedeutung, als Bezeichnung des höchsten ritterlichen Mannesideals mit seiner
Verbindung von höfisch vornehmer Sitte und kriegerischem Heldentum dem
griechischen Sinne genau entspricht. Diese Tatsache lehrt zur Genüge, wo der
Ursprung des Begriffs zu suchen ist. Er wurzelt in den Grundanschauungen des
ritterlichen Adels. In dem Begriff der Arete konzentriert sich der erzieherische
Gehalt dieser Periode in der reinsten Form"11. Diese Lernziele, die das
Verständnis eines Zeitalters spiegeln, werden der Entwicklung angepaßt und
auch für die "Modernen" der griechischen Literatur geöffnet. So lernen die

Einkleidung eines historischen Sachverhalts bestanden haben, denn sogar die Teile, die sich
ihrer äußeren Form nach dem Tatsachenbericht annähern, wie etwa der vieldiskutierte
Schiffskatalog, müssen unter dem Gesichtspunkt ihrer künstlerischen Funktion gesehen
werden. Selbst wenn wir zugeben, daß es Musterungslisten aus mykenischer Zeit gegeben
habe und auch noch detailliertere geographische und ethnographische Angaben, so ist es
dennoch wahrscheinlich, daß Homer zwar die äußere Form der Tatsachensprache
übernommen hat, diese aber völlig der Kategorie der künstlerischen Bedeutung unterordnet.
Auch in geographischer Hinsicht kam es Homer auf den Entwurf eines Panoramas an, aber
wohl kaum auf geographische Genauigkeit. Die Weite des Panoramas ist von Wichtigkeit,
nicht das Detail".
11W. Jaeger, Paideia, 1. Bd. S.25.
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Jugendlichen nicht nur die Fabeln des Aisop sondern auch den mit
kriegerischem Sinn erfüllten Dichter Simonides und andere Dichter der späteren
Zeit wie Theognis kennen und auswendig.
Dieser literarische Unterricht beruht auf dem Fundament der Grammatik12. Der
Grammatikunterricht vermittelt die Fähigkeit der richtigen Sprechfähigkeit und
Ausdrucksweise und ist neben der Lektüre der Klassiker13 dafür verantwortlich,
daß ein einheitliches Band der griechischen Klassik und der späteren Koine
entsteht. Ein weiteres Ziel der griechischen Sprecherziehung ist das der
Rhetorik. Diese griechische Rhetorik hat lange Zeit ihren Sitz im Leben in der
politischen Zersplitterung des Landes und in der Tatsache, daß auf der Agora
wichtige Rededuelle um die Politik des Landes ausgefochten oder in der
Ratsversammlung, wie in den oligarchischen Staaten, wichtige Debatten über
Krieg und Frieden, Verträge und Bündnisse ausgetragen werden. Gerade der
Begründer der politischen Geschichtsschreibung, Thukydides, gibt uns in
seinem "Peloponnesischen Krieg" einen Einblick in die Bedeutung und Brisanz
solcher Rededuelle. Dieser Mann begündet die politische Geschichtsschreibung
und durchzieht sein Werk mit Reden führender Männer. Diese Reden als
rhetorisches Kunstmittel fassen die Entwicklung an markanten Wendepunkten14
zusammen; eine dieser berühmten Reden ist die Totenrede des Perikles15, der
Glanz und Bildung Athens besonders hervorhebt: "Die Verfassung, nach der wir
leben, vergleicht sich mit keiner der fremden; viel eher sind wir für sonst jemand
ein Vorbild als Nachahmer anderer. Mit Namen heißt sie, weil der Staat nicht
auf wenige Bürger, sondern auf eine größere Zahl gestellt ist, Volksherrschaft.
Nach dem Gesetz haben in den Streitigkeiten der Bürger alle ihr gleiches Teil,
der Geltung nach aber hat im öffentlichen Wesen den Vorzug, wer sich
irgendwie Ansehen erworben hat, nicht nach irgendeiner Zugehörigkeit, sondern
nach seinem Verdienst; und ebenso wird keiner aus Armut, wenn er für die Stadt
etwas leisten könnte, durch die Unscheinbarkeit seines Namens verhindert.
Sondern frei leben wir miteinander im Staat und im gegenseitigen Verdächtigen

12Vgl. F. Kühnert, Schulwesen, Lexikon der Antike, S.509f: "Das Kernstück der Ausbildung
war der Unterricht in Grammatik und Rhetorik. Die antike Grammatik umfaßte neben dem
Sprachunterricht auch den Literaturunterricht, in welchem bes. die klass. Dichter behandelt
wurden, in erster Linie Homer, daneben der Tragödiendichter Euripides, der Komödiendichter
Menandros und der Redner Demosthenes. An diesen Sprach- und Literaturunterricht schloß
sich der Unterricht in Rhetorik an".
13Vgl. U.v. Wilamowitz-Moellendorf, Eurpides, Herakles, Bd. 1, Einleitung in die
griechische Tragödie, S.36f: "Elegie und Iambos wurden in den Schulen gelesen, waren
äußerst populär, es finden sich auch einzelne Bezüge auf sie bei den Tragikern, aber eine
tiefere Anregung war hier nicht möglich. Die Lieder der Lesbier und Anakreon standen
ähnlich, wenn auch von jenen wie von Alkman wohl nur einzelne Lieder populär waren.
Mythisches konnten sie wenig geben, und die künstliche Metrik wird nur noch hie und da eine
Anregung aus ihren Weisen geschöpft haben, während allerdings Aischylos bei Anakreon
nachweislich gelernt hat".
14Vgl. C. Plehn, Griechen-Land, S.52.
15Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, Bd. 1, Buch II, 37-38, S.236ff.
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des alltäglichen Treibens, ohne dem lieben Nachbar zu grollen, wenn er einmal
seiner Laune lebt, und ohne jenes Ärgernis zunehmen, das zwar keine Strafe,
aber doch kränkend anzusehen ist. Bei soviel Nachsicht im Umgang von
Mensch zu Mensch erlauben wir uns doch im Staat, schon aus Furcht, keine
Rechtsverletzung, im Gehorsam gegen die jährlichen Beamten und gegen die
Gesetze, vornehmlich die, welche zu Nutzen der Frommen und der Verfolgten
bestehen, und gegen die ungeschriebenen, die nach allgemeinen Urteil Schande
bringen. Dann haben wir bei unsrer Denkweise auch von der Arbeit die meisten
Erholungen geschaffen: Wettspiele und Opfer, die jahraus, jahrein bei uns
Brauch sind, und die schönsten häuslichen Einrichtungen, deren tägliche Lust
das Bittere verscheucht. Und es kommt wegen der Größe der Stadt aus aller
Welt alles zu uns herein. So können wir von uns sagen, wir ernten zugrad so
vertrautem Genuß wie die Güter, die hier gedeihn, auch die der übrigen
Menschen".
In der Schilderung des Verlaufes des Peloponnesischen Krieges folgen die
Reden des Phormions16, die Ansprachen des Kleons17 und des Diodotos18
sowie Reden der Plataier19 und der Thebaner20 und eine weitere Ansprache des
Demosthenes21; eine Friedensrede hält Hermokrates22. Ein Kabinettstück des
Thukydides ist ohne Zweifel das Rededuell zwischen Nikias und Alkibiades in
einer schicksalsschweren Stunde. In diesen Reden stellt Thukydides nicht nur
zwei grundverschiedene Typen von Politikern gegenüber, sondern auch die
verschiedener Generationen. Alkibiades faßt sein stürmisches "Draufgängertum"
wie folgt zusammen: "Und das hat meine Jugend und Torheit, so unnatürlich es
scheint, gegen die peloponnesische Macht durch rechtes Wort zur rechten Zeit
erhandelt und jedem Groll Rückhalt verheißend durchgesetzt. Und jetzt habt
keine Angst vor ihr, sondern solange ich die Kraft eben dieser Jugend habe und
Nikias eine offenbar glückliche Hand hat, macht euch unser beider Gutes
zunutze. Und den Beschluß wegen Sizilien müßt ihr nicht umwerfen, als führen
wir gegen eine zu große Macht; denn von zusammengewürfelten Massen
wimmeln dort die Städte und haben viel Wechsel ihrer Bürger und neuen Zuzug.
Darum sind weder die Menschen, als zum Schutz der eignen Heimat, mit
Waffen ausgerüstet noch das Land mit den bräuchlichen Anlagen; jeder meint

16Vgl. Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, Bd. 1, Buch II, 89, S.314ff.
17Vgl. Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, Bd. 1, Buch III, 37-41,
S.382ff.
18Vgl. Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, Bd. 1, Buch III, 42-48.
S.393ff.
19Vgl. Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, Bd. 1, Buch III, 53-59,
S.409ff..
20Vgl. Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, Bd. 1, Buch III, 60-67,
S.419ff..
21Vgl. Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, Bd. 1, Buch IV, 9-10, S.502ff.
22Vgl. Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, Bd. 1, Buch IV, 58-64,
S.566ff.
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entweder mit Redekraft oder durch Aufruhr sich durchzusetzen, wenn er an
Staatsgut sich vergriffen, oder, falls dies mißlingt, in ein anderes Land zu
ziehen, und stellt sich darauf ein. Es ist unwahrscheinlich, daß ein solches
Gemenge beim Planen auf eine Meinung hört oder beim Wirken gemeinsam
vorgeht"23.
Thukydides, der ohne Zweifel mit der Bildung und der Denkungsart der
Sophisten in Kontakt kommt, unterscheidet in seinem Geschichtswerk des
Peloponnesischen Krieges zwischen einem äußeren Anlaß und dem eigentlichen
Kriegsgrund. Die historischen Triebkräfte der Kontrahenten Sparta und Athen
und ihrer Verbündeten untersucht dieser Historiker und erkennt als
geschichtsbildende Kraft ersten Ranges das Thema der Sophistik als "Streben
nach Macht"24, das schließlich dafür verantwortlich zu machen ist, daß es zu
diesen militätischen Auseinandersetzungen kommt. Das Ergebnis des
Peloponnesischen Krieges aber ist für Athen vernichtend; niemals mehr in seiner
Geschichte erreicht diese Stadt diese politische Vorrangstellung des klassischen
Altertums wieder. Es ist daher verständlich, wenn die folgenden Generationen
sich von diesen Staatsmännern abwenden und ihnen ein blindes Treiben
vorwerfen, das auf Wahn und Begierden beruht. In dieser Auseinandersetzung
denkt Platon nicht mehr ausschließlich an den äußeren Aufbau der Kultur mit
Häfen, Schiffshäuser, Mauern und Steuern, sondern an Philosophie,
Gerechtigkeit und Heiligkeit. "Plato ist sich bewußt, daß der Mensch nicht
Gesetze gibt, wie es ihm gefällt, sondern die Situation ein bestimmender Faktor
ist. Krieg, wirtschaftliche Not, Krankheit und Mißgeschick ziehen Umsturz und
Neuerungen nach sich. Die Tyche ist allbeherrschend im menschlichen Leben,
auch in dem der Gesamtheit. Gott regiert alles, nach ihm Tyche und Kairos, als
drittes kommt die menschliche Kunst, die Techne hinzu, die das hinzufügt, was
in schwerem Strum die Steuerkunst ist, gewiß keine unwichtige Hilfe. Wenn
dem Gesetzgeber ein Wunsch gestattet sein soll hinsichtlich der Vorbedingung,
die ihm für das Glück der künftigen Polis als die wichtigste erscheint, so würde
Plato als Material für seine Pläne einen Staat wählen, der von einem belehrbaren
Tyrannen regiert ist. Die Tyche muß ihn mit dem großen Gesetzgeber
zusammenführen, um jene in der ´Politeia´ geforderte Koinzidenz von Geist und
Macht zu ermöglichen, die ihm auch jetzt noch als der einfachste Weg zur
Verwirklichung seiner Idee erscheint"25. Eine grundlegende Reform der
Bildungsinhalte und eine neue Generation von Staatsmännern26 wird gefordert.

23Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, Bd. 1, Buch VI, 17, S.836f.
24H.A. Forster, Die Literatur des klassischen Altertums, S.74.
25Vgl. W. Jaeger, Paideia, 3. Bd., S.321.
26Vgl. E. Rohde, Psyche, Bd. 2, S.291: "Das menschliche Treiben scheint ihm grossen
Ernstes nicht werth, das Staatswesen heillos verdorben, auf Wahn und Begierde und Unrecht
begründet. Er allein freilich wäre der wahre Staatsmann, der die Bürger zu ihrem Heil anleiten
könnte, nicht als ein Diener ihrer Gelüste, sondern wie ein Arzt der Kranken hilft".
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In der Auseinandersetzung mit dem bedeutendsten Sophisten Georgias27 sagt
Sokrates in seiner Verurteilung der athenischen Politik: "Denn ohne auf
Besonnenheit und Gerechtigkeit zu denken, haben sie nur mit ihren Häfen und
Schiffswerften und Mauern und Zöllen und derlei Possen die Stadt angefüllt.
Wenn nun der rechte Ausbruch der Krankheit erfolgen wird, werden sie die
derzeitigen Ratgeber anklagen, den Themistokles aber, den Perikles und Kimon,
die Urheber des Übels, werden sie lobpreisen und sich dagegen vielleicht an
dich halten, wenn du dich nicht hütest, und an meinen Freund Alkibiades, wenn
ihr ihnen mit dem Neuerworbenen auch noch das alte verliert, obgleich nur
Mitschuldige. Auch noch etwas ganz Unvernünftiges sehe ich jetzt vorfallen und
höre auch gleiches von den Alten"28.
paide…a bezeichnet Form und Inhalt, Formung und Bildung, die ein Mensch in
seiner Jugend erhält. paide…a zielt auf das, was dem Kind und Jugendlichen
durch seine Erzieher und Eltern vermittelt wird. Der eigentliche Repräsentant
der paide…a ist der Kentauros Chiron29, der Erzieher des Jason30 und des
Achilleus31. Er unterrichtet sie in Jagd- und Waffenübungen, der Heilkunde und
Kräuterkunde, im Gesang und Saitenspiel, in der Wahrsagekunst und in Recht
und Gesetzen; er lehrt sie den Eid heilig zu halten, die Götter zu fürchten und
ihren Zorn zu sühnen.
In Griechenland werden die Kinder vom sechsten Jahr bis zum Ephebenalter der
Aufsicht des Pädagogen32 anvertraut. Die Aufgabe des Pädagogen besteht
darin, die Knaben in die Schule und in die Palästra zu begleiten. Der erste
Unterricht, den der grammatist»j33 erteilt, besteht im Lesen und im Schreiben.
Der Unterricht beginnt am frühen Morgen und dauert bis zum Nachmittag
fort34; nach Vollendung des Elementarunterrichts wendet sich der
grammatikÒj35 dem höheren Unterricht zu, der besonders im Lesen,
Auswendiglernen und Vortragen poetischer Stücke besteht. Die Quelle für diese
Erziehung ist hauptsächlich Homer36; viel Eifer wird auf die Lesung und das
Studium der Dichter verwandt. Grundlage dieses Unterrichts sind neben

27Vgl. G.B. Kerferd, The Sophistic Movement, S.4
28Vgl. Platon, Georgias, 519a, S.275.
29Vgl. H. v. Geisau, Kentauroi, Der Kleine Pauly, Bd. 3, Sp.184.
30Vgl. K. Kerenyi, Die Heroen-Geschichten, S.199.
31Vgl. K. Kerenyi, Die Heroen-Geschichten, S.219.
32Vgl. U. Schindel, Paidagogos, Kulturgeschichte, Bd. 2, S.76.
33Vgl. Menge, Großwörterbuch, S.151.
34Vgl. Dictionary of Greek and Roman, contra Timarchus, S.35.
35Vgl. Menge, Großwörterbuch, S.151.
36Vgl. F. Lübker, Erziehung, Reallexikon, S.393-397; vgl. auch W.F. Otto, Die Wirklichkeit
der Götter, S.32f.
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ethischen Gedichten und Fabeln37 die Gesänge Homers38 und Hesiods. Beim
Lesen werden die Silben durch einen gehobenen Ton bald mehr bald weniger
deutlich gemacht. Große Bedeutung erkennen die Griechen der Musik39 zu; die
Hauptinstrumente sind kiqar© und lur©40. Der Unterricht wird in Gymnastik,
Musik und Grammatik aufgeteilt.
Ein wesentlicher Teil der paide…a ist die Turnübung in der Palästra und dem
Gymnsaium, die aber nicht vor dem 7. Jahr beginnt und den kindlichen Kräften
mit Ballspiel, Laufen und Springen entspricht, dann stufenweise zu schweren
Sportarten wie Ringkampf, Faustkampf und Pankration fortschreitet, die mit
Schwimmübungen verbunden sind. Gymnastische und agonistische Übungen
sind schon früh ausgebildet; im Ephebenalter treten als Vorbereitung zum
Kriegsdienst die Übung an den Waffen und in der Reitkunst:
"Sohn, wie jung du auch bist, Antilochos, liebten dich dennoch
Zeus und Poseidaon und lehrten dich Kunde des Wagens
Aller Art; drum möcht es nicht not sein, dich zu belehren.
Wohl das Ziel zu umlenken verstehest du, aber die Rosse
Sind dir die trägsten im Lauf; drum sorg ich, täusche dich der Ausgang.
Rascher sind jenen die Ross` und fertiger; selber indes nicht
Wissen sie besseren Rat als du, mein Sohn, zu ersinnen.
Aber wohlan, mein Teurer, ins Herz dir fasse die Lehre
Mancher Art, daß nicht ein edeler Preis dir entgehe.
Mehr ja vermögen durch Rat Holzhauende, weder durch Stärke;
Auch durch Rat nur lenket im dunkelen Meere der Steurer
Sein hineineilendes Schiff, umhergestürmt von den Winden:
So durch Rat auch besiegt ein Wagenlenker den andern.
Wer allein dem Gespann und rollendem Wagen vertrauet,
Ohne Bedacht hinsprengt er und wendet sich dorthin und dahin;
Wild auch schweifen die Ross` und ungezähmt in der Rennbahn.
Doch wer den Vorteil kennt und schlechtere Rosse dahertreibt,

37Schöne Fabeln, S.19: "Nun, es ist klar, daß in Kleinasien die Berührung der Griechen mit
den Orientalen eng gewesen ist und daß man aus dem Innern Asiens und aus Ägypten
Geschichten, Fabeln, Schwänke und Novellen mitgebracht hat".
38Vgl. T. Reucher, Die situative Weltsicht Homers, S.3f.; vgl. auch W. Schadewaldt,
Odyssee, 2.284ff, S.25: "So sprach Athene, die Tochter des Zeus. Da blieb Telemachos nicht
mehr lange, nachdem er die Stimme der Göttin vernommen hatte, sondern schritt hin und ging
zu dem Haus, bedrückt in seinem Herzen. Und fand die mannhaften Freier in seinen Hallen,
wie sie Ziegen abhäuten und Schweine sengten in dem Hofe. Antinoos aber kam gradwegs
lachend auf Telemachos zu, umschloß fest seine Hand und sprach das Wort und benannte es
heraus:
´Telemachos! großer Redner! Unbändiger in deinem Drange! Denke nicht weiter in deiner
Brust auf Böses in Werk oder auch Wort. Sondern iß und trink mir wie auch früher! Dies
werden alles insgesamt die Achaier zustande bringen: Schiff und auserlesene Ruderer, damit
du gar schnell zur heiligen Pylos gelangst auf Kunde nach dem erlauchten Vater´".
39Vgl. L. Richter, Musikinstrumente, Lexikon der Antike, 369.
40Vgl. G. Wille, Musikinstrumente, Kulturgeschichte, Bd. 2, S.49f.
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Schaut beständig das Ziel und beugt kurzum und vergißt nie,
Welchen Strich er zuerst sie gelenkt mit Seilen von Stierhaut;
Nein, fest hält er den Lauf und merkt auf den Vorderen achtsam41".
Die Bildung Griechenlands findet ihren Ausdruck und ihre Definition in dem
spezifischen Begriff der paide…a. Schon früh ist sich Platon42 in seinem
Phaidon darüber im klaren, daß die paide…a die richtige Ergänzung zur trof»,
der Erziehung als Ernährung für das Leben darstellt. Die bildende Kraft der
Poesie wird auch in den Grundsätzen der Philosophie43 angewendet. "Mit dem
Bilde der Erziehung des Philosophen, der als Herrscher den besten Staat
verwirklichen und selbst als höchster Erzieher in ihm wirken soll, scheint die
eigentliche Leistung des platonischen ´Staats´ für die Paideia ihren Abschluß
erreicht zu haben: die Umwandlung des Staates in eine erzieherische Institution
zur Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit (yucÁj ¢pet») als des höchsten
individuellen und sozialen Wertes. Allein Plato findet die Untersuchung noch
keineswegs vollendet"44. Platon bedenkt den Aufbau des Staates45 und der

41Ilias 23, 306-325; vgl. auch Anthologia Graeca, Bd. III, Leonidas von Tarent, Homer, 26f:
"Sterne schwinden dahin und die heilige Scheibe Selenes,
wenn mit feurigem Rad Helios` Wagen erscheint.
Also hüllte Homer die Schwärme der Dichter in Dunkel,
als er das strahlende Licht göttlicher Musen erhob".
42Vgl. Platon, Paidon 102d , S.52 u. 107d, S.57: "Denn nichts anderes kann sie doch mit sich
haben, wenn sie in die Unterwelt kommt, als nur ihre Bildung und Nahrung, die ihr ja auch,
wie man sagt, sowie sie gestorben ist, den größten Nutzen oder Schaden bringt, gleich am
Anfang der Wanderung dorthin".
43Vgl. W. Burkert, Greek Religion, S.327f.; vgl. auch Dictionary of Greek and Roman,
S.341: "The ethics of Aristotle contain the fundamental elements (stoice‹a, Polit. iv. l 1, ed.
Stahr) of politics, of which the former science is itself a particular part (politik» tij, Eth. Nic. i
1, Magn. Mor. i 1.) Both have the same end - happiness only that it is far more noble and
more divine to conduct whole peoples and states to this end. (Polit. iii. 12.) Practical wisdom
and politics are one and the same species of habit (Eth. Nic. vi. 8); all they differ in is this:
that the object of the one is to promote the happiness of an individual, the object of the other
to promote that of a community. In the latter point of view, practical wisdom is: a. The
management of the family - oeconomics. b. In the management of the state".
44W. Jaeger, Peideia, 3. Bd., S.47.
45Vgl. U.v. Wilamowitz-Moellendorf, Der Glaube der Hellenen, Bd. 2, S.256: "Platon hatte
niemals aufgehört, an dem Neubau von Staat und Gesellschaft zu arbeiten; Politiker war er
immer gewesen und geblieben. War er doch Athener und lebte in der alten hellenischen
Anschauung, daß die gemeinsame Religion den Körper des Staates beseelen müsse. Nun kam
an den Tag, daß der Kleinstaat, an dessen aÙt£rkeia er noch geglaubt hatte, nicht mehr
lebensfähig war, noch weniger fähig für die von ihm geplanten Reformen. Neue Formen des
staatlichen und gesellschaftlichen Lebens bildeten sich; sie trieben die Wissenschaft in den
Schatten der Hallen und Gärten. Der Kultus der alten Götter blieb dagegen, wie er war, weil
er nicht reformiert werden konnte; aber ihre Macht über die Zerzen schwand immer mehr; wir
werden das noch betrachten, soweit es das verdient, werden zusehen, was den Gebildeten
Religion oder Ersatz derselben war. Zunächst gilt es zu beherzigen, daß der echte hellenische
Glaube, der sich seine Götter geschaffen hatte, indem er sich zu dem Gotte Platons
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Gesellschaft; immer wieder bemüht er sich in seinen Schriften, neue
Reformvorschläge zu machen; doch die große politische Zeit Athens geht ihrem
Ende zu. Die Geschichte Griechenlands schreitet voran und der gebildete
Mensch des hellenistischen Zeitalters identifiziert sich nun nicht mehr mit der
Polis und dem Typos des Berufspolitikers. Die Menschen des kommenden
hellenistischen Zeitalters betreiben ihre Philosophie und Wissenschaft in der
Abgeschiedenheit und den Schatten ihrer Gärten und Hallen. Die
Wirkunsgeschichte der griechischen Bildung im hellenistischen Zeitalter vor
allem auf den Bereich des Vorderen Orients ist eine weiteres Kapitel im Verlauf
der Ereignisse, die auf das Spannungsfeld zwischen Rezeption und Abwehr im
Alten Orient hinweist.

Zusammenfassung:
Bildung und Kultur sind zwei wichtige Merkmale Griechenlands. Am Anfang
des einen Merkmals steht zunächst die mündliche Überlieferung des
griechischen Volkes, die von den Rhapsoden aufgegriffen und bearbeitet
werden; Mythen, Märchen und Sagen werden gehört, wiederholt und zu
spezifischen Gesängen zusammengefaßt. Diese Entwicklung führt zu den
bekannten griechischen Epen, die dann verschriftet ein wichtiges Element der
griechischen Literatur darstellen. Das zweite Merkmal ist die Begegnung mit der
orientalischen Umwelt; in ihrer historischen Anfangszeit des ausgehenden 2.
Jahrtausends v. Chr. entlehnen die Griechen Vorstellungen aus dem
orientalischen Bereich und formen diese Gedanken im Laufe einer Entwicklung
zu etwas Eigenem um. Diese kulturelle Ausgangsposition teilen die Griechen als
ein sogenanntes "junges Volk" durchaus mit den Israeliten. In beiden
Kulturkreisen ist es möglich, durch ein ständiges Bedenken und Bearbeiten zu
einer Eigenständigkeit und zu einer kulturellen und religiösen Blüte zu
gelangen.
Verantwortlich dafür ist in Griechenland das eigene Bildungs- und Schulsystem,
das die jungen Menschen im Sinne der griechischen paide…a formt und bildet;
die Schriften Homers und der Klassiker können hier als die "Bibel der Griechen"
angesehen werden. Im Gegensatz zum Bildungs- und Schulwesen Ägyptens-
oder Sumeriens wird Gewicht auf die Bedeutung der militärischen
Zusammenhänge gelegt. Wer mit zu den Besten gehören will, mußt auch im
sportlichen und militärischen Bereich seine Tüchtigkeit erweisen.
Die Menschen Griechenlands kommen trotz ihrer politischen Zersplitterung zu
einer kulturellen Ausdrucksweise, die schließlich ihre Form in der klassischen
Zeit erhält. Diese entwickelte Identität steht zwar in einem Zusammenhang mit
der inhaltlichen Anregung der umliegenden Völker, beruht aber auch auf der
Fähigkeit der Menschen Griechenlands, ihre eigene kulturelle Ausdrucksweise
zu schaffen. Die Parallele zu Israel besteht darin, daß diese kulturelle Kraft
vorhanden ist, die Welt in einem selbständigen Sinn zu deuten und zu

vergeistigte, am Ziel seiner Entwicklung, also auch seines Lebens stand. tšloj ist Ziel und
Ende".
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interpretieren. Die Griechen finden zwar in ihrer Geschichte zu keiner
politischen Einheit, entwickeln aber dafür ein Band einer hochstehenden
gemeinsamen Kultur. Diese gemeinsame Kultur macht ihre Identität als
Griechen aus und gibt ihnen das Gefühl der Zusammengehörigkeit.

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