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ÖGfE Policy Brief 12’2020 Das Europäische Parlament - ein Jahr nach den Europawahlen Von Johanna Edthofer, Paul Schmidt Wien, 25. Mai 2020 ISSN 2305-2635 Handlungsempfehlungen 1. Die EU braucht - gerade in Krisenzeiten - ein selbstbewusstes und lautes EU- Parlament, das den europäischen Diskurs prägt und die Europäische Integration mit kreativen Ideen weiterentwickelt. 2. Das EU-Parlament sollte noch deutlicher öffentlich Druck ausüben, wenn demokratische Werte und die EU als Rechtsgemeinschaft in Frage gestellt werden. 3. Es sollte von seinem legislativen Initiativrecht Gebrauch machen und mit Nachdruck einfordern, was die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer ersten Ansprache vor dem Parlamentsplenum zugesagt hat, etwa die EU-Wahlrechtsreform mit der Verbesserung des SpitzenkandidatInnen-Verfahrens und die Einführung länderübergreifender Listen bei den nächsten Europawahlen. Zusammenfassung Von 23. – 26. Mai 2019 fanden die neunten Wahlen der EU-Gesetzgebung können nun nicht mehr von zum Europäischen Parlament statt. Angesichts der den beiden Fraktionen im Alleingang entschieden gestiegenen Wahlbeteiligung ist das Europäische Par- werden, sondern erfordern die Beteiligung der Libera- lament zunächst demokratisch gestärkt aus der Euro- len und Grünen. Darüber hinaus sind fast 60 Prozent pawahl 2019 hervorgegangen. Die stärkere Fragmen- aller EU-Abgeordneten neu und es ist auch innerhalb tierung des aktuellen EU-Parlaments und die dadurch der europäischen Fraktionen zu teils erheblichen Kräf- erschwerte Mehrheitsfindung beeinträchtigt allerdings teverschiebungen gekommen. Die Umgehung des seine Handlungsfähigkeit und schwächt die parla- SpitzenkandidatInnen-Verfahrens stellte einen ersten mentarische Rolle im interinstitutionellen Gefüge der demokratiepolitischen Dämpfer dar. EU. Obwohl die Wahlen im Vorhinein zur „Schicksals- Das Meinungsbild der ÖsterreicherInnen vom Europä- wahl“ hochstilisiert wurden, blieb das prognostizierte ischen Parlament war wiederum schon einmal positi- politische Erdbeben aus. Trotz deutlicher Stimmenzu- ver. So sprechen sich hierzulande im Vergleich zum wächse der europaskeptischen und rechtspopulisti- EU-Durchschnitt (58%) deutlich weniger Menschen schen Parteien behalten auch im neuen EU-Parlament (44%) dafür aus, dass das Europäische Parlament in die integrationsfreundlichen Kräfte die Mehrheit. Es Zukunft eine wichtigere Rolle spielen soll. Wie hand- kam dennoch zu Veränderungen im politischen Gefü- lungsfähig und durchsetzungsstark das neue EU-Par- ge der EU. Die große Koalition zwischen der Europä- lament ist, wird sich auch anhand der Verhandlungen ischen Volkspartei (EVP) und den Sozialdemokraten zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (2021- (S&D) wurde abgewählt. Richtungsentscheidungen 2027) zeigen. Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 1
ÖGfE Policy Brief 12’2020 Das Europäische Parlament - ein Jahr nach den Europawahlen Einleitung punkten.1 Die politische Zusammensetzung des Eu- ropäischen Parlaments der 9. Wahlperiode (2019- Vor rund einem Jahr fanden EU-weit, von 2024) hat sich im Vergleich zur Wahlperiode davor 23. – 26. Mai 2019, die neunten Wahlen zum Euro- (2014-2019) doch wesentlich verändert.2 Eine große päischen Parlament statt. Das neue EU-Parlament Koalition gibt es nicht mehr. Obwohl die Christde- ist gleich im ersten Jahr der 9. Legislaturperiode mokraten (EVP) und Sozialdemokraten (S&D) nach mit zwei einschneidenden Ereignissen konfrontiert: wie vor Platz eins (2019: 182 Mandate/2014: 216 dem Brexit und der Corona-Pandemie. Mandate) und Platz zwei (2019: 154 Mandate/2014: 187 Mandate) belegen, haben beide an Mandaten Nach langen Verhandlungen und politischem und Stimmen verloren und stellen erstmals keine Tauziehen trat das Vereinigte Königreich am 31. absolute Mehrheit mehr im Europäischen Parla- Jänner 2020 aus der Europäischen Union aus und ment.3 Die Liberalen (Renew Europe)4, die Grünen seit Mitte März 2020 befindet sich die gesamte EU (Grüne/EFA) und die rechtsnationale Fraktion (ID) aufgrund des Ausbruchs der Corona-Pandemie im zählen zu den WahlgewinnerInnen. Die neu gegrün- Krisenmodus. dete politische Fraktion „Renew Europe“ wird dritt- stärkste Kraft im Europäischen Parlament mit 108 Vor diesem Hintergrund geht der vorliegende Mandaten (ALDE 2014: 69 Mandate). Die Grünen Policy Brief der Frage nach, welche Bilanz sich ein kommen mit 74 Mandaten (2014: 52 Mandate) auf Jahr nach den Europawahlen im Hinblick auf die den vierten Platz. Knapp dahinter landet die neue politische Zusammensetzung im Europäischen Par- rechtsnationale Fraktion „Identität und Demokratie“ lament ziehen lässt, welche Bedeutung die neuen (ID) mit 73 Mandaten5 (ENF 2014: 36 Mandate). Die Machtverhältnisse für die interinstitutionellen Be- Fraktion der Europäischen Konservativen und Re- ziehungen haben und welche Rolle das noch junge former (EKR) folgt nach einem Stimmenverlust mit EU-Parlament eigentlich gegenwärtig spielen kann. 62 Mandaten auf dem sechsten Platz (2014: 77 Zudem wird analysiert, wie sich in diesem Zeitraum Mandate). Die Konföderale Fraktion der Vereinten die Einstellung der ÖsterreicherInnen zum Europäi- Europäischen Linken/Nordischen Grünen Linken schen Parlament entwickelt hat. (GUE/NGL) wurde ebenfalls geschwächt und belegt Die Wahlen zum Europäischen Parlament 2019 1) https://www.europarl.europa.eu/election-results-2019/de (24.04.2020) Die Wahlen zum Europäischen Parlament brach- 2) Nach den Europawahlen 2014 hatten sich zunächst eben- ten ein erfreuliches Ergebnis im Hinblick auf die falls sieben Fraktionen gebildet. Im Laufe der Legislaturperiode kam es zur Bildung einer achten Fraktion, der ENF. Wahlbeteiligung, die in Österreich mit 59,8 Prozent, und einem Anstieg von rund 14.4 Prozentpunkten, 3) EP 2014: EVP und S&D = 412 Sitze, EP 2019: EVP und S&D = 336 Sitze (Absolute Mehrheit: 376 Stimmen) die höchste seit 20 Jahren war. Auch EU-weit ist die Wahlbeteiligung erstmals seit 1999 wieder auf 50,6 4) Die Fraktion „Renew Europe“ ist die politische Allianz zwi- schen der liberalen Fraktion ALDE des Europäischen Parla- Prozent angestiegen, ein Plus von rund 8 Prozent- ments der 8. Legislaturperiode und Emmanuel Macrons Wahl- bündnis „Renaissance“. 5) Die neue rechtsnationale Fraktion „Identität und Demokra- tie“ (ID) ist aus der Fraktion „Europa der Nationen und der Frei- heit“ (ENF) hervorgegangen. 2 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 12’2020 mit 41 Mandaten (2014: 52 Mandate) den siebten Die Zusammensetzung des EU-Parlaments Platz. 57 Abgeordnete schließen sich keiner politi- nach dem Brexit schen Fraktion an.6 Nach dem EU-Austritt des Vereinigten König- „EU-weit ist die Wahlbeteiligung erstmals reichs, am 31. Jänner 2020, wurde die Zahl der seit 1999 wieder auf 50,6 Prozent angestie- Abgeordneten von 751 auf 705 reduziert sowie ein gen, ein Plus von rund 8 Prozenpunkten.“ Teil der britischen Mandate (27 von 73) auf 14 Mit- gliedstaaten, mit Auswirkungen auf die Mehrheits- Grafik 1 Quelle: https://www.europarl.europa.eu/election-results-2019/de 6) Hrbek, Rudolf (2019): Europawahl 2019: neue politische Konstellationen für die Wahlperiode 2019-2014. In: integration 3/2019, S. 177. Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 3
ÖGfE Policy Brief 12’2020 und Machtverhältnisse im EU-Parlament, verteilt. beträgt aktuell 50 Jahre.8 Der Anteil neuer Mitglieder Zu den GewinnerInnen des Brexit zählt insbeson- ist ebenfalls besonders groß: Er beträgt rund 59%.9 dere die EVP, die fünf weitere Mandate erhielt und ihren Vorsprung auf die zweitstärkste Fraktion (S&D) Österreich im neuen Europäischen Parlament ausbauen konnte. Die ID-Fraktion wuchs ebenfalls um drei zusätzliche Mandate an und löste damit die Von den ursprünglich 18 österreichischen Abge- Grünen/EFA nach einem Verlust von sieben Manda- ordneten10 zogen 12 neu ein. Nach dem Brexit be- ten als viertstärkste Kraft ab. Die VerliererInnen des kam Österreich einen weiteren Abgeordneten dazu, Brexit sind neben den Grünen die Fraktion Renew der allerdings bereits in der Legislaturperiode 2014- Europe (minus zehn Mandate), die S&D Fraktion (mi- 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments war.11 nus sieben Mandate), aber auch die EKR-Fraktion Österreich konnte in der aktuellen Legislaturperio- (minus fünf Mandate) (siehe Grafik 2). Mit dem Brexit de mit einem Vizepräsidenten (Othmar Karas/EVP), verloren die Fraktionslosen insgesamt 24 Mandate. einer Ausschussvorsitzenden (Evelyn Regner, S&D Grafik 2 Quelle: European Parliamentary Research Service (April 2020): Members of the European Parliament from February 2020 Der Brexit schwächte somit tendenziell die Mitte- im Ausschuss für die Rechte der Frau und Gleich- Links-Fraktionen im Europäischen Parlament (S&D, stellung der Geschlechter) sowie zwei stellvertre- Grüne/EFA, Renew Europe, GUE/NGL) und stärkte tenden Vorsitzenden in den Unterausschüssen für die Mitte-Rechts-Fraktionen (EVP, ID). Menschenrechte (Karoline Edtstadler, EVP12) und Si- Mit einem Frauenanteil von 39,5%7 gibt es im Eu- ropäischen Parlament der aktuellen Legislaturperi- 8) Dieser Wert bezieht sich auf die Zeit nach dem Brexit. ht- ode nun mehr weibliche Abgeordnete als je zuvor. tps://epthinktank.eu/2020/04/29/members-of-the-european- Das neue Parlament ist darüber hinaus auch jünger parliament-from-february-2020/ (04.05.2020) Der Alterdurch- schnitt im Europäischen Parlament der 8. Legislaturperiode geworden: Der Alterdurchschnitt der Abgeordneten betrug 56 Jahre. 9) Dieser Wert bezieht sich auf die Zeit nach dem Brexit. ht- tps://epthinktank.eu/2020/04/29/members-of-the-european- parliament-from-february-2020/ (04.05.2020) 10) https://www.europarl.europa.eu/meps/de/search/advan- ced (04.05.2020) 11) Thomas Waitz ist Europaabgeordneter der Grünen/EFA. Er war von November 2017 bis Mai 2019 Mitglied des Europäi- schen Parlaments. 7) Dieser Wert bezieht sich auf die Zeit nach dem Brexit. ht- tps://epthinktank.eu/2020/04/29/members-of-the-european- 12) Karoline Edtstadler schied am 6. Jänner 2020 aus dem Eu- parliament-from-february-2020/ (04.05.2020) ropäischen Parlament aus, da sie das Amt der Bundesministerin 4 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 12’2020 cherheit und Verteidigung (Lukas Mandl, EVP) einige gewählt. Das SpitzenkandidatInnen-Verfahren hatte Führungspositionen im Europäischen Parlament ge- seine erste Bewährungsprobe bestanden. winnen. Demgegenüber ist jedoch derzeit keiner der österreichischen EU-Abgeordneten Mitglied in einem Daran anknüpfend schickten die meisten eu- der Fraktionspräsidien, den innersten politischen ropäischen Parteien auch vor den Europawahlen Entscheidungszirkeln im Europäischen Parlament.13 2019 SpitzenkandidatInnen ins Rennen. Auch dies- mal gab es einen interfraktionellen Konsens der be- Das vorläufige Ende des sagte, dass kein/e KandidatIn für das Amt des/der SpitzenkandidatInnen-Verfahrens KommissionspräsidentIn akzeptiert werden würde, der/die nicht vorher als SpitzenkandidatIn ange- Gemäß dem EU-Vertrag ist das Europäische treten war. Die meisten EU-Staaten standen dem Parlament in die Bestellung der EU-Kommissions- SpitzenkandidatInnen-Verfahren jedoch skeptisch präsidentin/des EU-Kommissionspräsidenten maß- gegenüber und lehnten insbesondere seine Institu- geblich einbezogen.14 Bei den Europawahlen 2014 tionalisierung strikt ab.16 Im Unterschied zur Euro- einigten sich die europäischen Parteien erstmals pawahl 2014 konnten sich die Europaabgeordne- darauf, dass nur Personen für das Amt der Kom- ten nach der Wahl 2019 allerdings nicht auf eine/n missionspräsidentin/ des EU-Kommissionsprä- der KandidatInnen einigen: Die EVP kam mit ihrem sidenten ihre Zustimmung finden würden, die als Spitzenkandidaten Manfred Weber auf den ersten SpitzenkandidatInnen ihrer Parteien in den Europa- Platz, die S&D belegte mit ihrem Spitzenkandida- wahlkampf gezogen waren. Ziel war es, den Spiel- ten Frans Timmermans den zweiten Platz. Da sich raum des Europäischen Rates im Hinblick auf sein diesbezüglich kein Mehrparteien-Konsens im Euro- Vorschlagsrecht einzuschränken, den Stellenwert päischen Rat abzeichnete, ermöglichte die fehlende der EU-Wahlen zu erhöhen und auch den eigenen Kompromissfähigkeit der ParlamentarierInnen den Einfluss dadurch zu stärken.15 Nach den Europa- EU-Staats- und Regierungschefs letztlich, die ehe- wahlen 2014 wurde dann auch der Spitzenkandi- malige deutsche Verteidigungsministerin Ursula von dat der stimmenstärksten Partei, Jean-Claude Jun- der Leyen (CDU), die nie Spitzenkandidatin war, für cker (EVP), vom Europäischen Rat vorgeschlagen das Amt der Kommissionspräsidentin einstimmig zu und anschließend vom Europäischen Parlament nominieren. Um dem Europäischen Parlament entgegen- zukommen, machte von der Leyen in ihrer Bewer- für EU und Verfassung in der österreichischen Bundesregierung übernahm. Ihr Nachfolger, Christian Sagartz, ist einfaches Mit- bungsrede vor dem Plenum eine Vielzahl an Ver- glied im Unterausschuss für Menschenrechte. sprechen. Sie wolle die europäische Demokratie 13) Zotti, Stefan (Juli 2019): Policy Brief: Europäisches Parla- stärken und das EU-Wahlrecht sowie das Ernen- ment 2019-2024. Präsidium-Ausschüsse-Fraktionen. Politische nungsverfahren der EU-Kommission überprüfen. Analyse. JURKA P.S.A. GmbH Political Strategic Advisors, S. 6. Konkret schlug sie vor, das SpitzenkandidatInnen- 14) Laut Art. 17 Abs. 7 EUV schlägt der Europäische Rat dem Verfahren zu verbessern und für die WählerInnen Europäischen Parlament nach entsprechenden Konsultationen künftig noch sichtbarer zu machen. Auch die Ein- mit qualifizierter Mehrheit eine/n KandidatIn für das Amt des/ der PräsidentIn der Kommission vor. Dabei berücksichtigt er führung länderübergreifender Listen bei den Euro- das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament. Das pawahlen sei anzudenken. Von der Leyen sprach Europäische Parlament wiederum wählt diese/n mit der Mehr- heit seiner Mitglieder (https://www.ris.bka.gv.at/NormDoku- ment.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10008 048&Artikel=17&Paragraf=&Anlage=&Uebergangsrecht). 15) Hrbek, Rudolf (2019): Europawahl 2019: neue politische 16) Hrbek, Rudolf (2019): Europawahl 2019: neue politische Konstellationen für die Wahlperiode 2019-2014. In: integration Konstellationen für die Wahlperiode 2019-2014. In: integration 3/2019, S. 182. 3/2019, S. 183. Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 5
ÖGfE Policy Brief 12’2020 sich überdies für ein de facto Initiativrecht17 des EU- ab.20 Heute können etwa die Besetzung von EU- Parlaments aus und verpflichtete die Europäische Führungspositionen, die Verabschiedung des Kommission dazu, mit einem entsprechenden Ge- EU-Haushalts oder auch sonstige Richtungsent- setzesakt zu reagieren, wenn die Mehrheit des EU- scheidungen in der EU-Gesetzgebung nicht mehr Parlaments sie dazu auffordere.18 Im Rahmen einer „alleine“ entschieden werden. Mindestens drei Frak- zweijährigen Konferenz über die Zukunft Europas, tionen müssen einen gemeinsamen Nenner finden.21 an der auch BürgerInnen teilnehmen werden, sollen all diese Vorschläge weiter vertieft werden. „Insgesamt gesehen behalten die integrati- onsfreundlichen Kräfte auch im neuen Euro- Trotz der Abkehr vom SpitzenkandidatInnen- päischen Parlament die, wenn auch fragmen- Verfahren wählten die EU-Abgeordneten am 16. Juli tierte, Mehrheit.“ 2019 von der Leyen zur Kommissionspräsidentin.19 Die neue EU-Kommission nahm am 1. Dezember Die Gruppierungen am rechten Rand des politi- 2019 ihre Arbeit auf. schen Spektrums (ID) sind im Vergleich zur vergan- genen Legislaturperiode zwar stärker geworden, Ein zersplittertes EU-Parlament der im Vorfeld der Europawahlen prognostizierte Erdrutschsieg der RechtspopulistInnen und Natio- Das aktuelle EU-Parlament ist fragmentier- nalkonservativen ist allerdings ausgeblieben. Insge- ter als in der vergangenen Legislaturperiode. Die samt gesehen behalten die integrationsfreundlichen Mehrheitsfindung gestaltet sich schwieriger, da Kräfte auch im neuen Europäischen Parlament die, die beiden bis dato dominierenden Fraktionen wenn auch fragmentierte, Mehrheit. Darüber hin- EVP und S&D an Stimmen verloren haben und aus können die in der ID zusammengeschlossenen erstmals seit der ersten Direktwahl des Europäi- RechtspopulistInnen wenig Einfluss nehmen, da sie schen Parlaments im Jahr 1979 gemeinsam kei- von der politischen Mitte isoliert werden.22 So stellt ne absolute Mehrheit mehr stellen. In der vergan- die ID keine/n der 14 VizepräsidentInnen, keine/n genen Legislaturperiode stimmten EVP und S&D der 5 QuästorInnen und auch keine/n der 20 Aus- noch bei 73,4% der Abstimmungen gemeinsam schussvorsitzenden bzw. der zwei Unterausschuss- vorsitzenden.23 17) Derzeit hat das Inititivrecht für Gesetze die Europäische Kommission. Gesetzgebungsverfahren werden dementspre- chend immer von ihr eingeleitet. Das Europäische Parlament und der Rat der EU verfügen jedoch über ein politisches Inti- 20) Von Ondarza, Nicolai (2019): Europawahl 2019: Umbrüche, ativrecht, das den Institutionen ermöglicht, die Kommission zu aber kein Beben im Politischen System der EU. In: Wirtschafts- neuen Gesetzesinitiativen aufzufordern. dienst 2019/6, S. 384. 18) Rede von Ursula von der Leyen, 16. Juli 2019, Straß- 21) Hrbek, Rudolf (2019): Europawahl 2019: neue politische burg https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ Konstellationen für die Wahlperiode 2019-2014. In: integration SPEECH_19_4230 (02.04.2020) & Artikel Süddeutsche Zeitung 3/2019, S. 181. https://www.sueddeutsche.de/politik/von-der-leyen-eu-parla- ment-regierungsprogramm-1.4525684 (02.04.2020) 22) Vote Watch (January, 2020): European Parliament: cur- rent and future dynamics, S. 19 & Zotti, Stefan (Juli 2019): Po- 19) 383 Ja (9 Stimmen mehr als die notwendige Mehrheit von licy Brief: Europäisches Parlament 2019-2024. Präsidium-Aus- 374 Stimmen), 327 Nein, 22 Enthaltung https://www.europarl. schüsse-Fraktionen. Politische Analyse. JURKA P.S.A. GmbH europa.eu/news/de/press-room/20190711IPR56824/parla- Political Strategic Advisors, S. 7. ment-wahlt-ursula-von-der-leyen-zur-prasidentin-der-eu-kom- mission (02.04.2020) Wahl Ursula von der Leyen, 16. Juli 2019: 23) Zotti, Stefan (Juli 2019): Policy Brief: Europäisches Parla- 383 Ja/327 Nein/22 Enthaltung; Wahl Jean-Claude Juncker, 15. ment 2019-2024. Präsidium-Ausschüsse-Fraktionen. Politische Juli 2014: 422 Ja/250 Nein/47 Enthaltungen Analyse. JURKA P.S.A. GmbH Political Strategic Advisors 6 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 12’2020 Zur Stärkung und Schwächung nationaler Im Hinblick auf das Abstimmungsverhalten in den Parteien am Beispiel von EVP und S&D ersten sechs Monaten nach der Europawahl waren CDU/CSU, die rumänische PNL und die polnische Die EVP ist zwar die stärkste Fraktion im Euro- PO tonangebend und bestimmten die Parteilinie der päischen Parlament geblieben, die Zahl ihrer Abge- EVP. Im Gegensatz dazu stimmten die ungarische ordneten hat sich aber verringert. Das ist in erster Fidesz und die französische Les Répuplicains (LR) Linie auf die teilweise massiven Stimmenverluste immer häufiger gegen die EVP-Linie (siehe Grafik 4). der Mitgliedsparteien in Frankreich, Italien, Polen Der sinkende Einfluss der französischen LR-Delega- und Spanien zurückzuführen. In anderen EU-Län- tion ist insofern bemerkenswert, da ihre Vorgänger- dern sind die Mitgliedsparteien der EVP hingegen partei UMP in der vorhergehenden Legislaturperi- stärker geworden, etwa in Griechenland, Österreich ode eine der größten nationalen Delegationen der und Ungarn.24 Als Fraktionsvorsitzender wurde der EVP war.25 Das schwache Abschneiden der LR bei deutsche Abgeordnete Manfred Weber (CSU) wie- den Europawahlen 2019 hat ihren Einfluss in der dergewählt. Trotz Stimmenverluste sind in der EVP EVP verringert. Somit gibt es gegenüber CDU/CSU aktuell die deutsche CDU/CSU und die polnische aktuell kaum ein Gegenwicht.26 PO/PSL/Independent die stärksten nationalen Par- teien, schon an dritter Stelle steht die ungarische Die weitere Zugehörigkeit der FIDESZ zur EVP FIDESZ/KDNP (vgl. Grafik 3). war aufgrund der im März 2019 beschlossenen Suspendierung27 von Mitgliedschaftsrechten zu- Grafik 3 nächst unsicher. Die Suspendierung ist aktuell wei- terhin aufrecht, für einen Ausschluss aus der EVP gab es keine Mehrheit. In den ersten Monaten der aktuellen Legislaturperiode stimmten die Europaab- geordneten von FIDESZ jedoch zusehends gegen die EVP-Parteilinie. Ihre Positionen entsprachen häufiger jenen der EKR als ihrer eigenen Fraktion. In den Bereichen wie Migration, Gender und Bildung stimmte FIDESZ öfter mit der rechtsnationalen ID überein als mit der EVP.28 25) Vote Watch (January, 2020): European Parliament: current and future dynamics, S. 10-11. 26) Vote Watch (January, 2020): European Parliament: current and future dynamics, S. 10-11. Quelle: https://europarl.europa.eu/election-results-2019/de/ 27) Die EVP-Mitgliedschaft der Fidesz wurde im März 2019 un- aufschlusselung-nationale-parteien-fraktion/2019-2024/ ter anderem wegen mutmaßlicher Verstöße gegen EU-Grund- werte sowie wegen mehrerer Attacken gegen den damaligen EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker suspensidert. 24) Hrbek, Rudolf (2019): Europawahl 2019: neue politische Konstellationen für die Wahlperiode 2019-2014. In: integration 28) Vote Watch (January, 2020): European Parliament: current 3/2019, S. 178. and future dynamics Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 7
ÖGfE Policy Brief 12’2020 Grafik 4 Quelle: Vote Watch (January, 2020): European Parliament: current and future dynamics Trotz starker Verluste blieb die S&D Fraktion folgen, trotz Stimmenverluste, die ItalienerInnen (PD) die zweitstärkste Kraft im aktuellen EU-Parlament. und die Deutschen (SPD) (siehe Grafik 5). Ähnlich wie bei der EVP ist der Stimmenverlust insbesondere auf das schlechte Abschneiden von Grafik 5 Mitgliedsparteien in einigen großen EU-Ländern zurückzuführen, z. B. Deutschland, Italien, Frank- reich und Rumänien. Gleichzeitig konnten in einigen anderen EU-Ländern Mitgliedsparteien der S&D signifikante Stimmenzuwächse verzeichnen, ins- besondere in Spanien und in geringerem Ausmaß auch in Portugal und den Niederlanden. Diese Zu- wächse konnten die Gesamtverluste der S&D aber nicht kompensieren.29 Sie führten allerdings zu einer Verschiebung der fraktionsinternen Gewichtsvertei- lung, da die spanische PSOE aufgrund des Wahl- erfolges30 die deutsche SPD-Delegation als bislang stärkste nationale Partei ablöste. Zur Fraktionsvor- sitzenden wurde dementsprechend auch die spa- nische EU-Abgeordnete Iratxe Garcia Perez (PSOE) gewählt. Als zweit- und drittstärkste nationale Partei 29) Hrbek, Rudolf (2019): Europawahl 2019: neue politische Konstellationen für die Wahlperiode 2019-2014. In: integration Quelle: https://europarl.europa.eu/election-results-2019/de/ 3/2019, S. 178. aufschlusselung-nationale-parteien-fraktion/2019-2024/ 30) Vote Watch (January, 2020): European Parliament: current and future dynamics 8 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 12’2020 Gemäß Abstimmungsverhalten ist dementspre- sondere in den Bereichen Budget und Außenpolitik, chend ein Anstieg der Übereinstimmmung der Euro- wo die PD-Europaabgeordneten häufiger mit den paabgeordneten der PSOE mit der S&D-Parteilinie Grünen übereinstimmen als mit der Renew Europe- zu verzeichnen (siehe Grafik 6). Auf der anderen Sei- Fraktion.32 Im Gegensatz zur EVP gibt es in der S&D te weicht insbesondere die bulgarische BSP in der keine nationale Partei, die signifikant mehr MdEPs aktuellen Legislaturperiode immer häufiger von der stellt als die anderen nationalen Parteien.33 S&D-Parteilinie ab. Dieser Trend ist womöglich auf innenpolitische Spannungen sowie zunehmende Das österreichische Meinungsbild Differenzen zwischen den nationalen und den S&D- zum Europäischen Parlament im Führungskräften zurückzuführen. Dabei weicht die Vergleich BSP vor allem bei außenpolitischen Fragen sowie im Bereich Umwelt- und Klimaschutz von der S&D- Wenige Monate nach den Europawahlen 2019 Parteilinie ab, wo sie zu USA-kritischeren bzw. im sprach sich eine Mehrheit der UnionsbürgerInnen Falle des Klimawandels zu Mitte-Rechts-Positionen für ein stärkeres Europäisches Parlament aus. Da- neigt.31 Aber auch die Übereinstimmung der itali- bei handelt es sich um die stärkste Forderung nach enischen PD mit der S&D-Parteilinie nimmt zuse- einem einflussreicheren EU-Parlament, seitdem die- hends ab. Die PD ist nach links gerutscht, insbe- se Frage im Jahr 2007 das erste Mal gestellt wurde. Grafik 6 Quelle: Vote Watch (January, 2020): European Parliament: current and future dynamics 32) Vote Watch (January, 2020): European Parliament: current and future dynamics, S. 12-13. 31) Die BSP lehnt es z. B. ab, Förderungen aus dem nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU an die Klima- und Umwelt- 33) Vote Watch (January, 2020): European Parliament: current freundlichkeit von Projekten zu binden. and future dynamics Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 9
ÖGfE Policy Brief 12’2020 58% Prozent der EuropäerInnen fordern eine wich- In Österreich sprachen sich im Vergleich zum EU- tigere Rolle für das Europäische Parlament. Das ist Durchschnitt hingegen deutlich weniger Menschen ein Anstieg um 7 Prozentpunkte seit dem Frühjahr dafür aus, dass das Europäische Parlament in Zu- 2019 und 14 Prozentpunkte seit September 2015 kunft eine wichtigere Rolle spielen soll. Lediglich (siehe Grafik 7).34 44% waren dafür, während 40% die Meinung ver- traten, das EU-Parlament solle künftig eine weniger Grafik 7 wichtige Rolle spielen (siehe Grafik 8).35 Grafik 8 Quelle: Eurobarometer-Umfrage 92.2 des Europäischen Parlaments/ Parlameter 2019 (Oktober 2019): Informationsblatt Österreich 34) Eurobarometer-Umfrage 92.2 des Europäischen Parla- ments/Parlameter 2019 (Oktober 2019): Dem Ruf über den 35) Eurobarometer-Umfrage 92.2 des Europäischen Parla- Wahltag hinaus folgen. Ein stärkeres Parlament, um die Stimme ments/Parlameter 2019 (Oktober 2019): Informationsblatt Ös- der Bürger zu hören terreich 10 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 12’2020 Im November 2019 hielten es 41% der Österrei- Einer aktuellen ÖGfE-Umfrage38 zufolge zeigen cherInnen für realistisch, dass das Europäische Par- sich die ÖsterreicherInnen momentan jedoch eher lament künftig tatsächlich mehr Mitsprache bei euro- skeptisch im Hinblick auf den Einfluss des EU-Par- päischen Gesetzen erhält. 33% glaubten allerdings laments auf die Europäische Union. So glaubten im nicht daran, 26% gaben keine Einschätzung ab.36 April 2020 lediglich 43%, dass das EU-Parlament 55% der ÖsterreicherInnen betrachteten im Novem- einen sehr bzw. eher großen Einfluss auf die EU ber 2019 eine „Reform der Europawahlen und der habe (38% eher bzw. sehr geringen Einfluss). Seit Wahl des/der Kommissionspräsident/in“ in den kom- der ersten Erhebung im Juni 2008 ist dies der nied- menden Jahren als realistisch, während nur 22% dies rigste Wert (siehe Grafik 9). als unrealistisch ansahen. Recht groß war die Zahl je- ner, die diese Frage nicht beurteilen konnte (22%).37 Grafik 9 Quelle: Telefonische Umfrage der SWS im Auftrag der ÖGfE, Umfrage 2020: Tel SWS 291, 20.-30. April 2020 36) ÖGfE-Umfrage (November 2019): ÖsterreicherInnen beur- teilen Programm der nächsten EU-Kommission ambivalent htt- ps://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20191107_OTS0044/ oegfe-schmidt-oesterreicherinnen-beurteilen-programm-der- naechsten-eu-kommission-ambivalent (08.04.2020) 37) ÖGfE-Umfrage (November 2019): ÖsterreicherInnen beur- teilen Programm der nächsten EU-Kommission ambivalent htt- ps://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20191107_OTS0044/ oegfe-schmidt-oesterreicherinnen-beurteilen-programm-der- 38) Telefonische Umfrage der SWS im Auftrag der ÖGfE, Um- naechsten-eu-kommission-ambivalent (08.04.2020) frage 2020: Tel SWS 291, 20.-30. April 2020 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 11
ÖGfE Policy Brief 12’2020 Die Arbeit des Europäischen Parlaments wird der- Regierungschefs haben von der starken Fragmen- zeit zwar von mehr als der Hälfte der ÖsterreicherIn- tierung des aktuellen EU-Parlaments profitiert, wäh- nen (62%) als sehr bzw. eher wichtig erachtet (32% rend die erschwerte Mehrheitsfindung, sowie die eher bzw. gar nicht wichtig)39, seit Mai 2012 ist dies Tatsache, dass mehr als die Häfte der EU-Abgeord- aber ebenfalls der niedrigste Wert (siehe Grafik 10). neten neu ins EU-Parlament gewählt wurden, die Grafik 10 Quelle: Telefonische Umfrage der SWS im Auftrag der ÖGfE, Umfrage 2020: Tel SWS 291, 20.-30. April 2020 Schlussfolgerungen und Ausblick Handlungsfähigkeit des EU-Parlaments beeinträch- tigt und seine Rolle im interinstitutionellen Gefüge Angesichts der gestiegenen Wahlbeteiligung ist der EU schwächt. das Europäische Parlament zunächst demokratisch gestärkt aus der Europawahl 2019 hervorgegan- „Die Umgehung des SpitzenkandidatInnen- gen. Die Umgehung des SpitzenkandidatInnen-Ver- Verfahrens stellte einen ersten demokratiepo- fahrens stellte allerdings einen ersten demokra- litischen Dämpfer dar.“ tiepolitischen Dämpfer dar. Das erstmals bei den Europawahlen 2014 eingeführte Verfahren sollte die Fraktionsintern kam es nach den Europawahlen demokratische Vertretung der EU-BürgerInnen ge- 2019 ebenfalls zu Verschiebungen: Trotz Stimmen- genüber dem Europäischen Rat stärken. Das Ge- verlusten in den großen EU-Ländern sind in der EVP genteil war schließlich der Fall. Die EU-Staats- und aktuell nach wie vor die Deutschen (CDU/CSU) und die PolInnen (PO/PSL/Independent) die stärksten nationalen Parteien, an dritter Stelle kommen die 39) Telefonische Umfrage der SWS im Auftrag der ÖGfE, Um- UngarInnen (FIDESZ/KDNP). In der S&D löste die frage 2020: Tel SWS 291, 20.-30. April 2020 12 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 12’2020 spanische PSOE aufgrund des Wahlerfolges die serung des SpitzenkandidatInnen-Verfahrens und deutsche SPD-Delegation als bislang stärkste na- der Einführung länderübergreifender Listen bei den tionale Partei ab. Als zweit- und drittstärkste nati- Europawahlen würden dem EU-Parlament jeden- onale Delegation folgen trotz Stimmenverluste die falls zu Gute kommen. ItalienerInnen (PD) und Deutschen (SPD). Wie durchsetzungsstark das neue EU-Parlament Der Brexit reduzierte die Zahl der EU-Parlamen- tatsächlich ist, wird sich schließlich auch an den tarierInnen und stärkte in erster Linie die Mitte- Verhandlungen zum nächsten Mehrjährigen Finanz- Rechts-Fraktionen im EU-Parlament: EVP und ID. rahmen (2021-2027) zeigen. Sie sind die nächste Die Verlierer des Brexit sind neben den Grünen die Kraftprobe des EU-Parlaments, das traditionell mit Renew Europe-Fraktion, die S&D Fraktion, aber höheren Forderungen in die Verhandlungen eintritt auch die EKR-Fraktion und insbesondere die Grup- als die Staats- und Regierungschefs bzw. die Euro- pe der Fraktionslosen. päische Kommission. So forderten die Europaabge- ordneten Ende 2019, dass die EU-Staaten ihre nati- „In Österreich sprechen sich im Vergleich zum onalen Beiträge auf insgesamt 1,3% des EU-weiten EU-Durchschnitt deutlich weniger Menschen BNE erhöhen.40 Vor dem Hintergrund der Coronak- dafür aus, dass das Europäische Parlament in rise wird der ursprüngliche Haushaltsvorschlag der Zukunft eine wichtigere Rolle spielen soll.“ EU-Kommission nun jedenfalls aktualisiert. Aber auch im Hinblick auf den wirtschaftlichen Wieder- Das Meinungsbild der ÖsterreicherInnen vom Eu- aufbau Europas stellen die EU-Abgeordneten be- ropäischen Parlament war wiederum schon einmal reits Forderungen auf und wollen von ihrem Vetor- positiver. So sprechen sich hierzulande im Vergleich recht Gebrauch machen, sollten diese nicht erfüllt zum EU-Durchschnitt (58%) deutlich weniger Men- werden. Neben einem 2 Billionen Euro umfassenden schen (44%) dafür aus, dass das Europäische Par- Aufbau- und Rettungspaket soll der langfristige EU- lament in Zukunft eine wichtigere Rolle spielen soll. Haushalt aufgestockt werden, um die auf die Coro- Auch im Hinblick auf den Einfluss des EU-Parla- nakrise folgende Rezession bewältigen zu können.41 ments auf die Europäische Union sind die Österrei- cherInnen derzeit eher skeptisch. Dasselbe gilt für Während derzeit nationale Partikularinteressen die Arbeit des Europäischen Parlaments. Sie wird die europäische Integrationsdebatte dominieren, zwar von mehr als der Hälfte der ÖsterreicherInnen hat das EU-Parlament an Verhandlungsstärke ver- (62%) als sehr bzw. eher wichtig erachtet, dennoch loren. Wirklich Bilanz wird aber erst am Ende der ist dies seit Mai 2012 der niedrigste Wert. Legislaturperiode gezogen werden können. Vor diesem Hintergrund bleibt abzuwarten, in- wiefern die von Kommissionspräsidentin Ursula von 40) Die EU-Kommission schlug im Mai 2018 vor, dass die EU- Staaten künftig 1,1% des EU-weiten BNE ins EU-Budget ein- der Leyen gemachten Versprechen auch tatsächlich zahlen sollen (https://www.euractiv.de/section/eu-innenpolitik/ umgesetzt werden. news/mehrjaehriger-haushalt-meps-ruesten-sich-fuer-kampf- mit-den-eu-staaten/). Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, präsentierte im Februar 2020 einen Vermitt- „Wie durchsetzungsstark das neue EU-Parla- lungsvorschlag. Er sieht vor, dass die EU-Staaten 1,074% des ment tatsächlich ist, wird sich schließlich auch EU-weiten BNE ins EU-Budget zahlen (https://www.derstan- an den Verhandlungen zum nächsten Mehrjähri- dard.at/story/2000114577642/neuer-kommissionsvorschlag-fu- er-eu-budget-bei-1-074-prozent). Nichts desto trotz konnte sich gen Finanzrahmen (2021-2027) zeigen. der Rat der EU bislang auf keinen Standpunkt einigen, da man- che Mitgliedstaaten nicht bereit sind, über 1% hinauszugehen. Eine Stärkung der Demokratie in Europa mittels 41) ht tp s:// w w w.e u ro p a r l.e u ro p a .e u /n ews /d e /p re s s- der anvisierten EU-Wahlrechtsreform, der Verbes- room/20200512IPR78912/corona-eu27-braucht-2-billionen-eu- ro-rettungspaket (18.05.2020) Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 13
ÖGfE Policy Brief 12’2020 Über die AutorInnen Mag.a Johanna Edthofer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektmanagerin an der ÖGfE. Sie studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien, sowie am Institut d´études politiques de Paris. Sie ist verantwortlich für die Wanderausstellung EUROPA #wasistjetzt und das Abstimmungsmonitoring der österreichischen Abgeordneten zum Europäischen Parlament. Kontakt: johanna.edthofer@oegfe.at Mag. Paul Schmidt (*1975) ist seit September 2009 Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE). Davor war er für die Oesterreichische Nationalbank in Wien und in Brüssel tätig. Er studierte Internationale Beziehungen, Politikwissenschaften und Publizistik an Universitäten in Österreich, Spanien sowie den USA und ist Alumni der Diplomatischen Akademie in Wien. Kontakt: paul.schmidt@oegfe.at Über die ÖGfE Die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) ist ein parteipolitisch unabhän- giger Verein auf sozialpartnerschaftlicher Basis. Sie informiert über die europäische In- tegration und steht für einen offenen Dialog über aktuelle europapolitische Fragen und deren Relevanz für Österreich. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Bezug auf die Förderung einer europäischen Debatte und agiert als Katalysator zur Verbreitung von eu- ropapolitischen Informationen. ISSN 2305-2635 Impressum Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kom- Österreichische Gesellschaft für Europapolitik men, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder Rotenhausgasse 6/8-9 jener Organisation, für die die AutorInnen arbeitet, überein. A-1090 Wien, Österreich Schlagwörter Generalsekretär: Mag. Paul Schmidt Europäisches Parlament, Europawahlen, Brexit, Mei- nungsbild, Österreich, SpitzenkandidatInnen-Verfahren Verantwortlich: Dr. Susan Milford-Faber Zitation Tel.: +43 1 533 4999 Edthofer, J., Schmidt, P. (2020). Das Europäische Parla- Fax: +43 1 533 4999 – 40 ment - ein Jahr nach den Europawahlen. Wien. ÖGfE Po- E-Mail: policybriefs@oegfe.at licy Brief, 12’2020 Web: http://oegfe.at/policybriefs 14 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
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