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TAGUNG Die Europäische Union in unruhigem Fahrwasser: Eine deutsch-nordisch-baltische Reformpartnerschaft in Zeiten innen- und außenpolitischer Herausforderungen Christian Opitz* Die Europäische Union erlebt unruhige Zei- ten. Selten wie nie zuvor bestimmen innen- 6th German Nordic Baltic Forum wie außenpolitische Herausforderungen die 2014. Upgrading the German-Nordic- europäischen Denk- und Entscheidungspro- Baltic Partnership in the EU: zesse. Die Wahlen zum Europäischen Parla- Common Values, Mutual Interests ment im Mai 2014 läuteten einen neuen Ab- and New Challenges schnitt ein, der sich unter den gegenwärtigen Vorzeichen als richtungsgebend für die Zu- kunft herausstellen könnte. Wichtige Perso- Tagung des Latvian Institute of International Af- fairs und des Instituts für Europäische Politik nal- und Prioritätsentscheidungen sind derzeit (IEP) in der Diskussion, die die inhaltliche Ausge- staltung der Europäischen Union in den Mit freundlicher Unterstützung des Auswärtigen nächsten Jahren mit Leben füllen sollen. Die Amtes, Berlin, und der Botschaft der Bundesrepu- langsame aber stetige wirtschaftliche Erho- blik Deutschland, Riga. lung könnte zu der oft (herbei-)gewünschten 7./8. Juli 2014, Riga Aufbruchsstimmung beitragen. Die Krise in der Ukraine und der Konflikt mit Russland Welcome dürften diese hingegen wieder bremsen. Alle Dr. Andris SPRŪDS, Director, Latvian Institute Seiten betonen, nicht an einer Neuauflage des of International Affairs (LIIA), Riga Kalten Krieges interessiert zu sein, aber Rhe- torik und Handlungen zeugen von einem Prof. Dr. Mathias JOPP, Director, Institut für Eu- längst überwunden geglaubten Misstrauen. ropäische Politik (IEP), Berlin Die Europäische Union steht vor ihrer mögli- cherweisen größten außenpolitischen Heraus- Reinventing the Eastern Partnership: forderung in den letzten Jahrzehnten zu Opportunities and Constraints einem Zeitpunkt, zu dem die innere Verfasst- Chair: Juris POIKĀNS, Ambassador at Large heit der Union ihre Handlungsfähigkeit im- (Eastern Partnership), Ministry of Foreign Affairs mer wieder infrage stellt. of the Republic of Latvia, Riga Keynotes: In solchen ungewissen Zeiten erlangen Ge- Joachim BLEICKER, Director for Basic Issues of sprächskreise wie das Deutsch-Nordisch-Bal- EU External Relations and Relations with EU tische Forum (DNBF) einen besonderen Stel- Member States, Federal Foreign Office, Berlin lenwert. Unter der Überschrift „Upgrading the German-Nordic-Baltic Partnership in the Ojārs ĒRIKS KALNIŅŠ, Chairman, Foreign Af- fairs Committee of the Parliament of the Republic EU: Common Values, Mutual Interests and of Latvia, Riga New Challenges“ versammelten sich mehr als * Christian Opitz, MSSc., Forschungsassistent, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin. https://doi.org/10.5771/0720-5120-2014-4-365 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.11.2021, 03:21:59. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
366 integration – 4/2014 Tagungen 60 Teilnehmer im lettischen Riga zum sechs- Panelists: ten Treffen des DNBF. Die Konferenz bot Dr. Katrin BÖTTGER, Deputy Director, Institut akademischen Experten sowie Verantwortli- für Europäische Politik (IEP), Berlin chen aus den Ministerien und Parlamenten Dr. Sinikukka SAARI, Senior Researcher, Finnish der teilnehmenden Länder die Gelegenheit Institute of International Affairs (FIIA), Helsinki zum Meinungsaustausch und zur Diskussion Dr. Iris KEMPE, Senior Adviser for Culture and gemeinsamer Handlungsstrategien in einer Education, Council of the Baltic Sea States, anregend informellen Atmosphäre. Stockholm Der deutsche Staatsminister für Europa im Reviewing Europe 2020 Strategy: Making Auswärtigen Amt Michael Roth steckte in Stabilization Sustainable seiner Keynote das Terrain der folgenden Chair: Prof. Dr. Ramūnas VILPIŠAUSKAS, In- Diskussionen ab. Aus seiner Sicht werden stitute of International Relations and Political Sci- ence, Vilnius University, Vilnius fünf Bereiche für die kurz- bis mittelfristige Zukunft der Europäischen Union entschei- Panelists: dend sein: eine gestärkte Wirtschafts- und Dr. Tuulia HAKOLA, Director, Structural Policy Währungsunion, ein umfassenderer Ansatz in Unit, Ministry of Finance of Finland, Helsinki der Sozialpolitik, eine sichere und nachhalti- Jo LEINEN, MEP, President of the European ge Energieversorgung, der Schutz der Grund- Movement International (EMI), European Parlia- werte sowie eine zielführende Nachbar- ment, Brussels schaftspolitik. Diese Prioritäten wurden von Märt LOITE, Deputy Strategy Director, Govern- ment Office of Estonia, Tallinn den Teilnehmern der vier Paneldiskussionen Aldis AUSTERS, Researcher, Latvian Institute of jeweils aus unterschiedlichen Blickwinkeln International Affairs (LIIA), Riga aufgegriffen und intensiv erörtert. Anstatt die Prof. Dr. Ansgar BELKE, Chair of Macroeco- Diskussionen im Detail wiederzugeben soll nomics, University of Duisburg-Essen sich hier auf die überspannenden Grundthe- men fokussiert werden, die sich wie ein roter Key note addresses: German-Nordic-Baltic Faden durch das zweitägige Forum zogen: Partnership: Challenges, Interests, Values die Bedeutung von interner und externer Andrejs PILDEGOVIČS, State Secretary, Min- Kommunikation für die Europäische Union, istry of Foreign Affairs of the Republic of Latvia, die Weiterentwicklung von existierenden EU- Riga Strategien, und die Frage der Führungsrolle Michael ROTH, MP, Minister of State for Euro- seitens der nordischen, baltischen und deut- pe, Federal Foreign Office, Berlin schen Verantwortlichen bei notwendigen Re- formen im europäischen Kontext. The EU as a Foreign Player: Interests and Instruments Eine bessere interne und externe Kommuni- Chair: Dr. Gunilla HEROLF, Fellow, Royal kation Swedish Academy of War Sciences (RSAWS), Stockholm Themenübergreifend unterstrichen die Dis- Panelists: kussionen immer wieder die zentrale Rolle H.E. Ričardas DEGUTIS, Ambassador of the Re- der Kommunikation in der und für die EU- public of Lithuania to Latvia, Riga Politik. Mehrere Redner wiesen in diesem Marko MIHKELSON, Chairman, Foreign Affairs Zusammenhang darauf hin, dass Kommuni- Committee, Estonian Parliament, Tallinn kationsinhalte und -ziele eine interne wie ex- Carl HARTZELL, Senior Policy Adviser, Strate- terne Dimension besitzen. Innerhalb der gic Planning Division, European External Action Europäischen Union sind fortwährende Dis- Service, Brussels Niklas HELWIG, Research Fellow, Finnish Insti- kussionen vonnöten, die die politische, wirt- tute of International Affairs (FIIA), Helsinki schaftliche und soziale Basis des Gemein- https://doi.org/10.5771/0720-5120-2014-4-365 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.11.2021, 03:21:59. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tagungen integration – 4/2014 367 schaftsprojekts und seine möglichen Zu- EU Institutional Challenges after the European kunftspfade ausloten. Zur gleichen Zeit wird Parliament Elections of 2014 die Vermittlung von Inhalt und Form der au- Chair: Kārlis BUKOVSKIS, Deputy Director, ßenpolitischen Ziele der Europäischen Union Latvian Institute of International Affairs (LIIA), immer wichtiger. Auf Seiten externer Akteu- Riga re könnte somit ein besseres Verständnis für oder zumindest Klarheit über die Intentionen Panelists: der Europäischen Union hergestellt werden. Prof. Dr. Ahto LOBJAKAS, Researcher, Estonian Foreign Policy Institute (EVI), Tallinn Kristīne NAŠENIECE, Director, EU Coordina- Der Aufstieg von EU-skeptischen und rechts- tion Department, Ministry of Foreign Affairs of populistischen Parteien im Zuge der Wahlen the Republic of Latvia, Riga zum Europäischen Parlament im Mai 2014 Prof. Dr. Rudolf HRBEK, Institute for Political diente als prominentes Beispiel, welches die Science, University of Tübingen Notwendigkeit für eine realitäts- und bürger- Dr. Zanda KALNIŅA-LUKAŠEVICA, Chair- nahe Kommunikation aufzeigt. Die wachsen- woman, European Affairs Committee of the Par- de Verbreitung und Akzeptanz von Parolen liament of the Republic of Latvia, Riga gegen die Europäische Union und ihre zentra- len Werte verdeutlichen in erster Linie eine Concluding Remarks tiefgreifende Verunsicherung und mangelnde Dr. Ilze RŪSE, Director, European Department, Kenntnis von Sinn und Zweck des Gemein- Ministry of Foreign Affairs of the Republic of Latvia, Riga schaftsprojekts innerhalb der Bevölkerung Dr. Funda TEKIN, Research Fellow, Institut für des Kontinents. Im Kontext der politischen Europäische Politik (IEP), Berlin Verantwortung für wirtschaftliche Verfehlun- gen seitens der Nationalstaaten, scheint es wenn die Europäische Union ihre Strategie den Befürwortern immer schwerer zu fallen, und Vorhaben gegenüber der anderen Seite die Erfolge der Europäischen Union zu ver- nicht verständlich machen kann. Dies hatte mitteln. ‚Alte‘ Argumente wie jene von euro- im konkreten Fall gravierende Auswirkun- päischer Versöhnung und Frieden – so wich- gen. Auf der einen Seite sahen sich die Re- tig diese auch heute noch sind – müssen von gierungen und Gesellschaften in den Ländern einem Diskurs flankiert und verstärkt werden, der Östlichen Partnerschaft1 vor die schwer- der die direkten Vorteile für jede Bürgerin wiegende Entscheidung gestellt: entweder und jeden Bürger in der Gegenwart und Zu- mit den Assoziierungsabkommen eine defini- kunft verdeutlicht. Abgesehen von potenziell tive Hinwendung zur Europäischen Union zu notwendigen Veränderungen im institutionel- vollziehen bei gleichzeitiger Abkehr von len Gefüge, ist eine solche selbstbewusste historischen Einbettungen oder spiegelbild- Binnenkommunikation, welche die EU-Be- lich den Schritt mit umgekehrten Vorzeichen völkerung von der fortwährenden Relevanz durchzuführen. Diese innerhalb der Ukraine des Gemeinschaftsprojekts überzeugt, eine unterschiedlich interpretierte Schicksalsfrage der größten Herausforderungen. trug maßgeblich zu den wachsenden Span- nungen zwischen verschiedenen Bevölke- Viele Redebeiträge verwiesen darüber hinaus rungsgruppen sowie zu dem bewaffneten auf die wachsende Notwendigkeit, die außen- Konflikt in der Ukraine bei. politischen Ziele der Europäischen Union klar und plausibel gegenüber anderen Akteu- Russland, auf der anderen Seite, fühlte sich ren darzustellen. Die Östliche Partnerschaft von den Entwicklungen in seiner Nachbar- veranschaulicht hierbei, was passieren kann, schaft bedroht und ergriff unerwartet drasti- 1 Die Östliche Partnerschaft umfasst die sechs ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien, Aserbaidschan, Georgi- en, Moldawien, Ukraine und Weißrussland. https://doi.org/10.5771/0720-5120-2014-4-365 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.11.2021, 03:21:59. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
368 integration – 4/2014 Tagungen sche Maßnahmen. Unabhängig davon, wie sitzt. Trotzdem können Strategien nur dann man die russische Aktionen bewertet – die effektiv sein und ihren zugrundeliegenden Konferenzteilnehmer waren sich in der Ver- Zielen dienen, wenn ihnen ein Mindestmaß urteilung der Regierung Putins einig – haben an Anpassungsfähigkeit im Lichte gegenwär- die Geschehnisse rund um die Ukraine doch tiger Entwicklungen zugestanden wird. auch verdeutlicht, dass die Europäische Uni- on ihre Politik nach außen deutlicher kommu- Die „Europa 2020“-Strategie2 illustriert die nizieren muss. Gegenseitiges Verständnis Notwendigkeit zur fortlaufenden Aktualisie- setzt klare und offene Kommunikation vor- rung von existierenden Programmen. Die auf aus. Dies könnte nicht nur zu einer Anglei- zehn Jahre angelegte Strategie aus dem Jahr chung der Denkweisen der Regierungen in 2010 verfolgt das Ziel eines intelligenten, den EU-Mitgliedstaaten auf der einen und de- nachhaltigen und integrativen Wirtschafts- nen in den Ländern der Östlichen Partner- wachstums. Insbesondere die Koordination schaft und Russland auf der anderen Seite zwischen nationalen und europäischen Initia- beitragen. In Anbetracht des eingeschränkten tiven soll verbessert werden. Als Reaktion Zugangs zu unabhängigen Medien sollte die auf die globale Finanzkrise lanciert, ist die Europäische Union auch versuchen, die dorti- Strategie vorrangig darauf ausgelegt, das gen Gesellschaften besser über ihre Sichtwei- Wachstums- und Produktivitätsniveau auf sen und Pläne zu informieren. Mehrere Ex- dem Kontinent zu steigern. Seit 2010 haben perten drängten auf eine verstärkt strategische sich die Volkswirtschaften in den Mitglied- Dimension der Östlichen Partnerschaft. Es staaten jedoch zum Teil sehr unterschiedlich muss demzufolge klarer kommuniziert wer- entwickelt. Ein Experte verdeutlichte hierbei den, was die Europäische Union durch ihre die Situation in Lettland, wo die anhaltende Maßnahmen in der östlichen Nachbarschaft Emigration der jungen und gut-qualifizierten erreichen möchte, und was nicht. Generation eines der Hauptprobleme bildet. Es wird demnach zunehmend wichtig, die ge- Bestehende Strategien nachjustieren meinschaftlichen EU-Ziele mit den divergie- renden wirtschaftlichen und sozialen Gege- Eine klare und offene Kommunikation von benheiten auf der nationalen Ebene in Ein- Intentionen setzt gewöhnlich eine Formulie- klang zu bringen. Die kürzlich veröffentlichte rung von eigenen spezifischen Strategien vor- Bestandsaufnahme der „Europa 2020“-Strate- aus. Während die Europäische Union eine gie3 seitens der Kommission ist ein wichtiger Vielzahl an Agenden und Programmen be- erster Schritt, der jedoch von zusätzlichen treibt, hoben mehrere Diskussionsbeiträge die Maßnahmen flankiert werden muss. Notwendigkeit hervor, diese Aktivitäten fort- während nach zu justieren. Es war demnach Die Östliche Partnerschaft ist ein weiteres Konsens, dass veränderte Umstände zu einer Beispiel für eine bestehende Strategie, die Adaptierung und Spezifizierung führen soll- veränderte Realitäten berücksichtigen muss, ten. Eine große Herausforderung in diesem will sie auch weiterhin zielführend sein. Viele Zusammenhang besteht jedoch in der Tatsa- der Teilnehmer sahen in der Östlichen Part- che, dass ein Kurs, der nach zeit- und res- nerschaft eine Erfolgsgeschichte seit ihrer sourcenaufwendigen Verhandlungen zwi- Verabschiedung 2009. Allerdings war es be- schen 28 Staaten eingeschlagen wurde, wenig reits vor dem Vilnius-Gipfel im November Aussicht auf eine flexible Neuausrichtung be- 2013 und den nachfolgenden Entwicklungen 2 Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission. Europa 2020. Eine Strategie für intelligentes, nachhal- tiges und integratives Wachstum, KOM (2010) 2020. 3 Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europä- ischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Bestandsaufnahme der Strategie Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum, COM (2014) 130. https://doi.org/10.5771/0720-5120-2014-4-365 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.11.2021, 03:21:59. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tagungen integration – 4/2014 369 offensichtlich, dass die Strategie einer Re- Führungsmöglichkeiten erkennen und ergrei- form bedurfte. Die Krise in der Ukraine hat fen eine beträchtliche Dynamik entfacht und be- schleunigte entsprechende Reformüberlegun- Die Verbesserung der Kommunikation und gen. Sie unterstrich auch und vor allem die Nachjustierung von Strategien sind enorme Herausforderungen für eine Gemeinschaft Notwendigkeit zur Erklärung und Differen- von nicht weniger als 28 Staaten. In einem zierung der europäischen Politik. Zunächst solchen Kontext wird mit wachsender Größe muss die Europäische Union wiederum klar auch die Rolle von Führungsakteuren zuneh- kommunizieren, dass die Östliche Partner- mend wichtig. Eine Führungsverantwortung schaft kein Automatismus zur Aufnahme in soll in diesem Zusammenhang nicht mit uni- die Gemeinschaft ist. Mehrfach wurde von lateralem Durchboxen von Partikularinteres- verschiedenen Rednern betont, dass eine sen gleichgesetzt werden, sondern verweist diesbezügliche Erweiterung mittel- bis lang- vielmehr auf die Fähigkeit zur Zusammen- fristig nicht erfolgen könne und solle. Vonnö- führung von verschiedenen Interessen für ten ist hingegen ein maßgeschneidertes Vor- einen allseitig vertretbaren Kompromiss. Ins- gehen, welches auf die sechs Länder und de- besondere die nordischen Länder verfügen ren individuelle Situation und Reformfort- über eine weit beachtete Expertise in der er- schritte eingeht. Ein Diplomat betonte in die- folgreichen Mediation in internationalen sem Zusammenhang ausdrücklich, dass diese Konflikten basierend auf universellen Wer- Differenzierung nicht einer Einteilung in ten. Zudem können die baltischen Staaten auf Partner erster und zweiter Klasse gleichkom- einzigartige Erfahrungen verweisen in ihren me, sondern unterschiedliche Entwicklungs- eigenen demokratischen Transformationspro- verläufe berücksichtigen solle. zessen und den Beziehungen zu Russland. Auf der anderen Seite wurden in letzter Zeit heimische und ausländische Stimmen lauter, Darüber hinaus liefern die Geschehnisse rund die von Deutschland eine größere internatio- um die Östliche Partnerschaft gute Argumen- nale Verantwortung fordern. Mehrere Redner te für eine Neufassung der Europäischen Si- unterstrichen daher das Potenzial für eine cherheitsstrategie (ESS). Ein Experte be- deutsch-nordisch-baltische Partnerschaft, die schrieb die ESS als in hohem Maße überholt: innerhalb der Europäischen Union eine kol- Sie sei 2003 von den damals nur 15 Mitglied- lektive Führungsrolle für wichtige Reformen staaten im Kontext erheblicher Uneinigkeit in Bereichen von gemeinsamem Interesse über den Irak-Krieg verabschiedet worden. In übernehmen könnte. Anbetracht dessen könnte eine ernsthafte De- batte über die latenten Interessensunterschie- Ein konkreter institutioneller Rahmen für de der nun 28 Mitglieder vis-à-vis der Östli- eine verbesserte regionale Kooperation könn- chen Partnerschaft und Russland auch als ein te die Europäische Zentralbank (EZB) sein. Ein Experte wies auf die Tatsache hin, dass einheitsstiftender Moment zur Neujustierung mit der Aufnahme Litauens in die Eurozone der ESS genutzt werden. Denn erst wenn ver- der EZB-Rat als oberstes Beschlussorgan auf schiedene Meinungen offen angesprochen 19 Mitglieder anwächst, sodass nicht mehr je- werden, lassen sich Kompromisse finden und des Land bei allen Entscheidungen stimmbe- politische Strategien formulieren. Der dama- rechtigt sein wird. Bei dem dann geltenden lige Fokus auf den internationalen Terroris- Rotationsprinzip könnte es unter Umständen mus könnte nunmehr, so ein informierter Be- vorteilhaft sein, wenn sich die nordischen, obachter, durch ein verstärktes Augenmerk baltischen und deutschen Repräsentanten auf gegenwärtige regionale Herausforderun- konsultieren und ihre Aktionen koordinieren, gen in den EU-Nachbarschaften ergänzt wer- sollte ein Partner vorübergehend nicht ab- den. stimmen dürfen. https://doi.org/10.5771/0720-5120-2014-4-365 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.11.2021, 03:21:59. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
370 integration – 4/2014 Tagungen Der Reformprozess der Östlichen Partner- ren. Die nordischen und baltischen Länder schaft stellt eine weitere potenzielle regionale können demzufolge mit der Unterstützung Kooperationsplattform dar. Mehrere Teilneh- von Deutschland eine Führungsrolle für au- mer teilten die kritische Ansicht, dass die ßenpolitische Themen übernehmen, in denen Strategie bislang zu sehr technisch-bürokra- sie bereits ausgewiesen sind. Sie sind zum tisch betrieben wurde, ohne den immanenten Beispiel exzellent aufgestellt, um innerhalb politischen Implikationen genügend Auf- der Europäischen Union ein ambitionierteres merksamkeit zu schenken. Trotz oder gerade ziviles Krisenmanagement oder verstärkte wegen der folgenschweren Ereignisse in Be- Mediationskapazitäten fortzuentwickeln. zug auf die Ukraine wäre die Europäische Union gut beraten, sich schrittweise vom jet- Während Führungsverantwortung gewöhn- zigen reaktiven Krisenmanagement zu einer lich mit den Verantwortlichen in den Regie- proaktiven Strategieausrichtung zu bewegen. rungen assoziiert wird, betonte ein Diskussi- Mit ihren historischen Erfahrungen sahen vie- onsteilnehmer das große Potenzial für eine le Redner die baltischen Staaten gut positio- verbesserte Zusammenarbeit zwischen den niert, in Kooperation mit nordischen und nationalen Parlamenten. Die Reformen des deutschen Partnern für eine verstärkt strategi- Vertrags von Lissabon gebe den Legislativen sche und sicherheitspolitische Dimension in- eine Reihe von Möglichkeiten an die Hand, nerhalb der Östlichen Partnerschaft einzutre- um EU-Entscheidungsprozesse zu beeinflus- ten. Solch ein kollektives Bemühen könnte sen. Obschon die Zusammenarbeit zwischen dazu führen, dass die Strategie fortan ver- den Parlamenten in der Region in den letzten stärkt in real-politischen Zusammenhängen Jahren intensiviert wurde, sollte sich eine ver- gedacht und verankert wird. stärkte deutsch-nordisch-baltische Partner- schaft auch auf dieser Ebene widerspiegeln. Ob in der östlichen Nachbarschaft oder da- Neue legislative Kompetenzen könnten durch rüber hinaus, bedarf die Ausgestaltung der eine regionale Kooperation besser ausgefüllt Europäischen Union als außenpolitischer Ak- und maximiert werden. Dies würde den Par- teur offensichtlich einer aktiven Führung. Ein breites Arsenal an Instrumenten steht formal lamenten helfen, Richtungsentscheidungen insbesondere seit dem Inkrafttreten des Ver- aktiv zu gestalten anstatt nur abzusegnen. Au- trags von Lissabon zur Verfügung, jedoch ßerdem könnte somit die EU-Politik insge- wird dessen Potenzial in den Nachwirkungen samt auf eine größere demokratische und re- der Finanzkrise bislang nicht vollends ausge- chenschaftspflichtige Basis gestellt werden. schöpft. Diese Diskrepanz führt zum vielfach kritisierten Auseinanderklaffen von Anspruch Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass und Wirklichkeit in der EU-Außenpolitik. das DNBF seinem Ruf als offene Gesprächs- Traditionell wurde dieser Politikbereich von plattform zu aktuellen Themen gerecht wur- den großen Mitgliedstaaten wie Frankreich de. Entscheidenden Anteil an dem anregen- und Großbritannien vorangetrieben und do- den und kritischen Austausch hat dabei die miniert. Einfluss leitet sich heutzutage jedoch informelle Atmosphäre. Inhaltlich sorgt die nicht automatisch aus der Größe eines Landes Vielschichtigkeit der deutsch-nordisch-balti- ab, wie es ein Experte formulierte, sondern schen Zusammenarbeit im Kontext der kann auch von neuen Ideen und großem En- Europäischen Union sicherlich auch in den gagement für die gemeinsamen Werte herrüh- nächsten Jahren für genügend Gesprächsstoff. https://doi.org/10.5771/0720-5120-2014-4-365 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.11.2021, 03:21:59. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
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