TAGUNG Die Europäische Union in unruhigem Fahrwasser: Eine deutsch-nordisch-baltische Reformpartnerschaft in Zeiten innen- und außenpolitischer ...

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TAGUNG

    Die Europäische Union in unruhigem Fahrwasser: Eine
   deutsch-nordisch-baltische Reformpartnerschaft in Zeiten
       innen- und außenpolitischer Herausforderungen

                                               Christian Opitz*

Die Europäische Union erlebt unruhige Zei-
ten. Selten wie nie zuvor bestimmen innen-                       6th German Nordic Baltic Forum
wie außenpolitische Herausforderungen die                      2014. Upgrading the German-Nordic-
europäischen Denk- und Entscheidungspro-                           Baltic Partnership in the EU:
zesse. Die Wahlen zum Europäischen Parla-                       Common Values, Mutual Interests
ment im Mai 2014 läuteten einen neuen Ab-                              and New Challenges
schnitt ein, der sich unter den gegenwärtigen
Vorzeichen als richtungsgebend für die Zu-
kunft herausstellen könnte. Wichtige Perso-                     Tagung des Latvian Institute of International Af-
                                                                 fairs und des Instituts für Europäische Politik
nal- und Prioritätsentscheidungen sind derzeit
                                                                                      (IEP)
in der Diskussion, die die inhaltliche Ausge-
staltung der Europäischen Union in den                         Mit freundlicher Unterstützung des Auswärtigen
nächsten Jahren mit Leben füllen sollen. Die                   Amtes, Berlin, und der Botschaft der Bundesrepu-
langsame aber stetige wirtschaftliche Erho-                                blik Deutschland, Riga.
lung könnte zu der oft (herbei-)gewünschten                                     7./8. Juli 2014, Riga
Aufbruchsstimmung beitragen. Die Krise in
der Ukraine und der Konflikt mit Russland
                                                               Welcome
dürften diese hingegen wieder bremsen. Alle
                                                               Dr. Andris SPRŪDS, Director, Latvian Institute
Seiten betonen, nicht an einer Neuauflage des
                                                               of International Affairs (LIIA), Riga
Kalten Krieges interessiert zu sein, aber Rhe-
torik und Handlungen zeugen von einem                          Prof. Dr. Mathias JOPP, Director, Institut für Eu-
längst überwunden geglaubten Misstrauen.                       ropäische Politik (IEP), Berlin
Die Europäische Union steht vor ihrer mögli-
cherweisen größten außenpolitischen Heraus-                    Reinventing the Eastern Partnership:
forderung in den letzten Jahrzehnten zu                        Opportunities and Constraints
einem Zeitpunkt, zu dem die innere Verfasst-                   Chair: Juris POIKĀNS, Ambassador at Large
heit der Union ihre Handlungsfähigkeit im-                     (Eastern Partnership), Ministry of Foreign Affairs
mer wieder infrage stellt.                                     of the Republic of Latvia, Riga

                                                               Keynotes:
In solchen ungewissen Zeiten erlangen Ge-
                                                               Joachim BLEICKER, Director for Basic Issues of
sprächskreise wie das Deutsch-Nordisch-Bal-                    EU External Relations and Relations with EU
tische Forum (DNBF) einen besonderen Stel-                     Member States, Federal Foreign Office, Berlin
lenwert. Unter der Überschrift „Upgrading
the German-Nordic-Baltic Partnership in the                    Ojārs ĒRIKS KALNIŅŠ, Chairman, Foreign Af-
                                                               fairs Committee of the Parliament of the Republic
EU: Common Values, Mutual Interests and
                                                               of Latvia, Riga
New Challenges“ versammelten sich mehr als

* Christian Opitz, MSSc., Forschungsassistent, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin.

                                      https://doi.org/10.5771/0720-5120-2014-4-365
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60 Teilnehmer im lettischen Riga zum sechs-
                                                              Panelists:
ten Treffen des DNBF. Die Konferenz bot                       Dr. Katrin BÖTTGER, Deputy Director, Institut
akademischen Experten sowie Verantwortli-                     für Europäische Politik (IEP), Berlin
chen aus den Ministerien und Parlamenten                      Dr. Sinikukka SAARI, Senior Researcher, Finnish
der teilnehmenden Länder die Gelegenheit                      Institute of International Affairs (FIIA), Helsinki
zum Meinungsaustausch und zur Diskussion                      Dr. Iris KEMPE, Senior Adviser for Culture and
gemeinsamer Handlungsstrategien in einer                      Education, Council of the Baltic Sea States,
anregend informellen Atmosphäre.                              Stockholm

Der deutsche Staatsminister für Europa im                     Reviewing Europe 2020 Strategy: Making
Auswärtigen Amt Michael Roth steckte in                       Stabilization Sustainable
seiner Keynote das Terrain der folgenden                      Chair: Prof. Dr. Ramūnas VILPIŠAUSKAS, In-
Diskussionen ab. Aus seiner Sicht werden                      stitute of International Relations and Political Sci-
                                                              ence, Vilnius University, Vilnius
fünf Bereiche für die kurz- bis mittelfristige
Zukunft der Europäischen Union entschei-                      Panelists:
dend sein: eine gestärkte Wirtschafts- und                    Dr. Tuulia HAKOLA, Director, Structural Policy
Währungsunion, ein umfassenderer Ansatz in                    Unit, Ministry of Finance of Finland, Helsinki
der Sozialpolitik, eine sichere und nachhalti-                Jo LEINEN, MEP, President of the European
ge Energieversorgung, der Schutz der Grund-                   Movement International (EMI), European Parlia-
werte sowie eine zielführende Nachbar-                        ment, Brussels
schaftspolitik. Diese Prioritäten wurden von                  Märt LOITE, Deputy Strategy Director, Govern-
                                                              ment Office of Estonia, Tallinn
den Teilnehmern der vier Paneldiskussionen
                                                              Aldis AUSTERS, Researcher, Latvian Institute of
jeweils aus unterschiedlichen Blickwinkeln
                                                              International Affairs (LIIA), Riga
aufgegriffen und intensiv erörtert. Anstatt die               Prof. Dr. Ansgar BELKE, Chair of Macroeco-
Diskussionen im Detail wiederzugeben soll                     nomics, University of Duisburg-Essen
sich hier auf die überspannenden Grundthe-
men fokussiert werden, die sich wie ein roter                 Key note addresses: German-Nordic-Baltic
Faden durch das zweitägige Forum zogen:                       Partnership: Challenges, Interests, Values
die Bedeutung von interner und externer                       Andrejs PILDEGOVIČS, State Secretary, Min-
Kommunikation für die Europäische Union,                      istry of Foreign Affairs of the Republic of Latvia,
die Weiterentwicklung von existierenden EU-                   Riga
Strategien, und die Frage der Führungsrolle                   Michael ROTH, MP, Minister of State for Euro-
seitens der nordischen, baltischen und deut-                  pe, Federal Foreign Office, Berlin
schen Verantwortlichen bei notwendigen Re-
formen im europäischen Kontext.                               The EU as a Foreign Player: Interests and
                                                              Instruments
Eine bessere interne und externe Kommuni-                     Chair: Dr. Gunilla HEROLF, Fellow, Royal
kation                                                        Swedish Academy of War Sciences (RSAWS),
                                                              Stockholm
Themenübergreifend unterstrichen die Dis-                     Panelists:
kussionen immer wieder die zentrale Rolle                     H.E. Ričardas DEGUTIS, Ambassador of the Re-
der Kommunikation in der und für die EU-                      public of Lithuania to Latvia, Riga
Politik. Mehrere Redner wiesen in diesem                      Marko MIHKELSON, Chairman, Foreign Affairs
Zusammenhang darauf hin, dass Kommuni-                        Committee, Estonian Parliament, Tallinn
kationsinhalte und -ziele eine interne wie ex-                Carl HARTZELL, Senior Policy Adviser, Strate-
terne Dimension besitzen. Innerhalb der                       gic Planning Division, European External Action
Europäischen Union sind fortwährende Dis-                     Service, Brussels
                                                              Niklas HELWIG, Research Fellow, Finnish Insti-
kussionen vonnöten, die die politische, wirt-
                                                              tute of International Affairs (FIIA), Helsinki
schaftliche und soziale Basis des Gemein-

                                     https://doi.org/10.5771/0720-5120-2014-4-365
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Tagungen                                                                                integration – 4/2014   367

schaftsprojekts und seine möglichen Zu-
                                                             EU Institutional Challenges after the European
kunftspfade ausloten. Zur gleichen Zeit wird                 Parliament Elections of 2014
die Vermittlung von Inhalt und Form der au-                  Chair: Kārlis BUKOVSKIS, Deputy Director,
ßenpolitischen Ziele der Europäischen Union                  Latvian Institute of International Affairs (LIIA),
immer wichtiger. Auf Seiten externer Akteu-                  Riga
re könnte somit ein besseres Verständnis für
oder zumindest Klarheit über die Intentionen                 Panelists:
der Europäischen Union hergestellt werden.                   Prof. Dr. Ahto LOBJAKAS, Researcher, Estonian
                                                             Foreign Policy Institute (EVI), Tallinn
                                                             Kristīne NAŠENIECE, Director, EU Coordina-
Der Aufstieg von EU-skeptischen und rechts-
                                                             tion Department, Ministry of Foreign Affairs of
populistischen Parteien im Zuge der Wahlen                   the Republic of Latvia, Riga
zum Europäischen Parlament im Mai 2014                       Prof. Dr. Rudolf HRBEK, Institute for Political
diente als prominentes Beispiel, welches die                 Science, University of Tübingen
Notwendigkeit für eine realitäts- und bürger-                Dr. Zanda KALNIŅA-LUKAŠEVICA, Chair-
nahe Kommunikation aufzeigt. Die wachsen-                    woman, European Affairs Committee of the Par-
de Verbreitung und Akzeptanz von Parolen                     liament of the Republic of Latvia, Riga
gegen die Europäische Union und ihre zentra-
len Werte verdeutlichen in erster Linie eine                 Concluding Remarks
tiefgreifende Verunsicherung und mangelnde                   Dr. Ilze RŪSE, Director, European Department,
Kenntnis von Sinn und Zweck des Gemein-                      Ministry of Foreign Affairs of the Republic of
                                                             Latvia, Riga
schaftsprojekts innerhalb der Bevölkerung
                                                             Dr. Funda TEKIN, Research Fellow, Institut für
des Kontinents. Im Kontext der politischen                   Europäische Politik (IEP), Berlin
Verantwortung für wirtschaftliche Verfehlun-
gen seitens der Nationalstaaten, scheint es                 wenn die Europäische Union ihre Strategie
den Befürwortern immer schwerer zu fallen,                  und Vorhaben gegenüber der anderen Seite
die Erfolge der Europäischen Union zu ver-                  nicht verständlich machen kann. Dies hatte
mitteln. ‚Alte‘ Argumente wie jene von euro-                im konkreten Fall gravierende Auswirkun-
päischer Versöhnung und Frieden – so wich-                  gen. Auf der einen Seite sahen sich die Re-
tig diese auch heute noch sind – müssen von                 gierungen und Gesellschaften in den Ländern
einem Diskurs flankiert und verstärkt werden,               der Östlichen Partnerschaft1 vor die schwer-
der die direkten Vorteile für jede Bürgerin                 wiegende Entscheidung gestellt: entweder
und jeden Bürger in der Gegenwart und Zu-                   mit den Assoziierungsabkommen eine defini-
kunft verdeutlicht. Abgesehen von potenziell                tive Hinwendung zur Europäischen Union zu
notwendigen Veränderungen im institutionel-                 vollziehen bei gleichzeitiger Abkehr von
len Gefüge, ist eine solche selbstbewusste                  historischen Einbettungen oder spiegelbild-
Binnenkommunikation, welche die EU-Be-                      lich den Schritt mit umgekehrten Vorzeichen
völkerung von der fortwährenden Relevanz                    durchzuführen. Diese innerhalb der Ukraine
des Gemeinschaftsprojekts überzeugt, eine                   unterschiedlich interpretierte Schicksalsfrage
der größten Herausforderungen.                              trug maßgeblich zu den wachsenden Span-
                                                            nungen zwischen verschiedenen Bevölke-
Viele Redebeiträge verwiesen darüber hinaus                 rungsgruppen sowie zu dem bewaffneten
auf die wachsende Notwendigkeit, die außen-                 Konflikt in der Ukraine bei.
politischen Ziele der Europäischen Union
klar und plausibel gegenüber anderen Akteu-                 Russland, auf der anderen Seite, fühlte sich
ren darzustellen. Die Östliche Partnerschaft                von den Entwicklungen in seiner Nachbar-
veranschaulicht hierbei, was passieren kann,                schaft bedroht und ergriff unerwartet drasti-

1 Die Östliche Partnerschaft umfasst die sechs ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien, Aserbaidschan, Georgi-
  en, Moldawien, Ukraine und Weißrussland.

                                    https://doi.org/10.5771/0720-5120-2014-4-365
                             Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.11.2021, 03:21:59.
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sche Maßnahmen. Unabhängig davon, wie                        sitzt. Trotzdem können Strategien nur dann
man die russische Aktionen bewertet – die                    effektiv sein und ihren zugrundeliegenden
Konferenzteilnehmer waren sich in der Ver-                   Zielen dienen, wenn ihnen ein Mindestmaß
urteilung der Regierung Putins einig – haben                 an Anpassungsfähigkeit im Lichte gegenwär-
die Geschehnisse rund um die Ukraine doch                    tiger Entwicklungen zugestanden wird.
auch verdeutlicht, dass die Europäische Uni-
on ihre Politik nach außen deutlicher kommu-                 Die „Europa 2020“-Strategie2 illustriert die
nizieren muss. Gegenseitiges Verständnis                     Notwendigkeit zur fortlaufenden Aktualisie-
setzt klare und offene Kommunikation vor-                    rung von existierenden Programmen. Die auf
aus. Dies könnte nicht nur zu einer Anglei-                  zehn Jahre angelegte Strategie aus dem Jahr
chung der Denkweisen der Regierungen in                      2010 verfolgt das Ziel eines intelligenten,
den EU-Mitgliedstaaten auf der einen und de-                 nachhaltigen und integrativen Wirtschafts-
nen in den Ländern der Östlichen Partner-                    wachstums. Insbesondere die Koordination
schaft und Russland auf der anderen Seite                    zwischen nationalen und europäischen Initia-
beitragen. In Anbetracht des eingeschränkten                 tiven soll verbessert werden. Als Reaktion
Zugangs zu unabhängigen Medien sollte die                    auf die globale Finanzkrise lanciert, ist die
Europäische Union auch versuchen, die dorti-                 Strategie vorrangig darauf ausgelegt, das
gen Gesellschaften besser über ihre Sichtwei-                Wachstums- und Produktivitätsniveau auf
sen und Pläne zu informieren. Mehrere Ex-                    dem Kontinent zu steigern. Seit 2010 haben
perten drängten auf eine verstärkt strategische              sich die Volkswirtschaften in den Mitglied-
Dimension der Östlichen Partnerschaft. Es                    staaten jedoch zum Teil sehr unterschiedlich
muss demzufolge klarer kommuniziert wer-                     entwickelt. Ein Experte verdeutlichte hierbei
den, was die Europäische Union durch ihre                    die Situation in Lettland, wo die anhaltende
Maßnahmen in der östlichen Nachbarschaft                     Emigration der jungen und gut-qualifizierten
erreichen möchte, und was nicht.                             Generation eines der Hauptprobleme bildet.
                                                             Es wird demnach zunehmend wichtig, die ge-
Bestehende Strategien nachjustieren                          meinschaftlichen EU-Ziele mit den divergie-
                                                             renden wirtschaftlichen und sozialen Gege-
Eine klare und offene Kommunikation von                      benheiten auf der nationalen Ebene in Ein-
Intentionen setzt gewöhnlich eine Formulie-                  klang zu bringen. Die kürzlich veröffentlichte
rung von eigenen spezifischen Strategien vor-                Bestandsaufnahme der „Europa 2020“-Strate-
aus. Während die Europäische Union eine                      gie3 seitens der Kommission ist ein wichtiger
Vielzahl an Agenden und Programmen be-                       erster Schritt, der jedoch von zusätzlichen
treibt, hoben mehrere Diskussionsbeiträge die                Maßnahmen flankiert werden muss.
Notwendigkeit hervor, diese Aktivitäten fort-
während nach zu justieren. Es war demnach                    Die Östliche Partnerschaft ist ein weiteres
Konsens, dass veränderte Umstände zu einer                   Beispiel für eine bestehende Strategie, die
Adaptierung und Spezifizierung führen soll-                  veränderte Realitäten berücksichtigen muss,
ten. Eine große Herausforderung in diesem                    will sie auch weiterhin zielführend sein. Viele
Zusammenhang besteht jedoch in der Tatsa-                    der Teilnehmer sahen in der Östlichen Part-
che, dass ein Kurs, der nach zeit- und res-                  nerschaft eine Erfolgsgeschichte seit ihrer
sourcenaufwendigen Verhandlungen zwi-                        Verabschiedung 2009. Allerdings war es be-
schen 28 Staaten eingeschlagen wurde, wenig                  reits vor dem Vilnius-Gipfel im November
Aussicht auf eine flexible Neuausrichtung be-                2013 und den nachfolgenden Entwicklungen

2 Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission. Europa 2020. Eine Strategie für intelligentes, nachhal-
  tiges und integratives Wachstum, KOM (2010) 2020.
3 Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europä-
  ischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Bestandsaufnahme der Strategie
  Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum, COM (2014) 130.

                                     https://doi.org/10.5771/0720-5120-2014-4-365
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Tagungen                                                                              integration – 4/2014   369

offensichtlich, dass die Strategie einer Re-              Führungsmöglichkeiten erkennen und ergrei-
form bedurfte. Die Krise in der Ukraine hat               fen
eine beträchtliche Dynamik entfacht und be-
schleunigte entsprechende Reformüberlegun-                Die Verbesserung der Kommunikation und
gen. Sie unterstrich auch und vor allem die               Nachjustierung von Strategien sind enorme
                                                          Herausforderungen für eine Gemeinschaft
Notwendigkeit zur Erklärung und Differen-
                                                          von nicht weniger als 28 Staaten. In einem
zierung der europäischen Politik. Zunächst
                                                          solchen Kontext wird mit wachsender Größe
muss die Europäische Union wiederum klar
                                                          auch die Rolle von Führungsakteuren zuneh-
kommunizieren, dass die Östliche Partner-                 mend wichtig. Eine Führungsverantwortung
schaft kein Automatismus zur Aufnahme in                  soll in diesem Zusammenhang nicht mit uni-
die Gemeinschaft ist. Mehrfach wurde von                  lateralem Durchboxen von Partikularinteres-
verschiedenen Rednern betont, dass eine                   sen gleichgesetzt werden, sondern verweist
diesbezügliche Erweiterung mittel- bis lang-              vielmehr auf die Fähigkeit zur Zusammen-
fristig nicht erfolgen könne und solle. Vonnö-            führung von verschiedenen Interessen für
ten ist hingegen ein maßgeschneidertes Vor-               einen allseitig vertretbaren Kompromiss. Ins-
gehen, welches auf die sechs Länder und de-               besondere die nordischen Länder verfügen
ren individuelle Situation und Reformfort-                über eine weit beachtete Expertise in der er-
schritte eingeht. Ein Diplomat betonte in die-            folgreichen Mediation in internationalen
sem Zusammenhang ausdrücklich, dass diese                 Konflikten basierend auf universellen Wer-
Differenzierung nicht einer Einteilung in                 ten. Zudem können die baltischen Staaten auf
Partner erster und zweiter Klasse gleichkom-              einzigartige Erfahrungen verweisen in ihren
me, sondern unterschiedliche Entwicklungs-                eigenen demokratischen Transformationspro-
verläufe berücksichtigen solle.                           zessen und den Beziehungen zu Russland.
                                                          Auf der anderen Seite wurden in letzter Zeit
                                                          heimische und ausländische Stimmen lauter,
Darüber hinaus liefern die Geschehnisse rund              die von Deutschland eine größere internatio-
um die Östliche Partnerschaft gute Argumen-               nale Verantwortung fordern. Mehrere Redner
te für eine Neufassung der Europäischen Si-               unterstrichen daher das Potenzial für eine
cherheitsstrategie (ESS). Ein Experte be-                 deutsch-nordisch-baltische Partnerschaft, die
schrieb die ESS als in hohem Maße überholt:               innerhalb der Europäischen Union eine kol-
Sie sei 2003 von den damals nur 15 Mitglied-              lektive Führungsrolle für wichtige Reformen
staaten im Kontext erheblicher Uneinigkeit                in Bereichen von gemeinsamem Interesse
über den Irak-Krieg verabschiedet worden. In              übernehmen könnte.
Anbetracht dessen könnte eine ernsthafte De-
batte über die latenten Interessensunterschie-            Ein konkreter institutioneller Rahmen für
de der nun 28 Mitglieder vis-à-vis der Östli-             eine verbesserte regionale Kooperation könn-
chen Partnerschaft und Russland auch als ein              te die Europäische Zentralbank (EZB) sein.
                                                          Ein Experte wies auf die Tatsache hin, dass
einheitsstiftender Moment zur Neujustierung
                                                          mit der Aufnahme Litauens in die Eurozone
der ESS genutzt werden. Denn erst wenn ver-
                                                          der EZB-Rat als oberstes Beschlussorgan auf
schiedene Meinungen offen angesprochen
                                                          19 Mitglieder anwächst, sodass nicht mehr je-
werden, lassen sich Kompromisse finden und                des Land bei allen Entscheidungen stimmbe-
politische Strategien formulieren. Der dama-              rechtigt sein wird. Bei dem dann geltenden
lige Fokus auf den internationalen Terroris-              Rotationsprinzip könnte es unter Umständen
mus könnte nunmehr, so ein informierter Be-               vorteilhaft sein, wenn sich die nordischen,
obachter, durch ein verstärktes Augenmerk                 baltischen und deutschen Repräsentanten
auf gegenwärtige regionale Herausforderun-                konsultieren und ihre Aktionen koordinieren,
gen in den EU-Nachbarschaften ergänzt wer-                sollte ein Partner vorübergehend nicht ab-
den.                                                      stimmen dürfen.

                                  https://doi.org/10.5771/0720-5120-2014-4-365
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Der Reformprozess der Östlichen Partner-                     ren. Die nordischen und baltischen Länder
schaft stellt eine weitere potenzielle regionale             können demzufolge mit der Unterstützung
Kooperationsplattform dar. Mehrere Teilneh-                  von Deutschland eine Führungsrolle für au-
mer teilten die kritische Ansicht, dass die                  ßenpolitische Themen übernehmen, in denen
Strategie bislang zu sehr technisch-bürokra-                 sie bereits ausgewiesen sind. Sie sind zum
tisch betrieben wurde, ohne den immanenten                   Beispiel exzellent aufgestellt, um innerhalb
politischen Implikationen genügend Auf-                      der Europäischen Union ein ambitionierteres
merksamkeit zu schenken. Trotz oder gerade                   ziviles Krisenmanagement oder verstärkte
wegen der folgenschweren Ereignisse in Be-                   Mediationskapazitäten fortzuentwickeln.
zug auf die Ukraine wäre die Europäische
Union gut beraten, sich schrittweise vom jet-                Während Führungsverantwortung gewöhn-
zigen reaktiven Krisenmanagement zu einer                    lich mit den Verantwortlichen in den Regie-
proaktiven Strategieausrichtung zu bewegen.                  rungen assoziiert wird, betonte ein Diskussi-
Mit ihren historischen Erfahrungen sahen vie-                onsteilnehmer das große Potenzial für eine
le Redner die baltischen Staaten gut positio-                verbesserte Zusammenarbeit zwischen den
niert, in Kooperation mit nordischen und                     nationalen Parlamenten. Die Reformen des
deutschen Partnern für eine verstärkt strategi-              Vertrags von Lissabon gebe den Legislativen
sche und sicherheitspolitische Dimension in-                 eine Reihe von Möglichkeiten an die Hand,
nerhalb der Östlichen Partnerschaft einzutre-                um EU-Entscheidungsprozesse zu beeinflus-
ten. Solch ein kollektives Bemühen könnte                    sen. Obschon die Zusammenarbeit zwischen
dazu führen, dass die Strategie fortan ver-                  den Parlamenten in der Region in den letzten
stärkt in real-politischen Zusammenhängen                    Jahren intensiviert wurde, sollte sich eine ver-
gedacht und verankert wird.                                  stärkte deutsch-nordisch-baltische Partner-
                                                             schaft auch auf dieser Ebene widerspiegeln.
Ob in der östlichen Nachbarschaft oder da-
                                                             Neue legislative Kompetenzen könnten durch
rüber hinaus, bedarf die Ausgestaltung der
                                                             eine regionale Kooperation besser ausgefüllt
Europäischen Union als außenpolitischer Ak-
                                                             und maximiert werden. Dies würde den Par-
teur offensichtlich einer aktiven Führung. Ein
breites Arsenal an Instrumenten steht formal                 lamenten helfen, Richtungsentscheidungen
insbesondere seit dem Inkrafttreten des Ver-                 aktiv zu gestalten anstatt nur abzusegnen. Au-
trags von Lissabon zur Verfügung, jedoch                     ßerdem könnte somit die EU-Politik insge-
wird dessen Potenzial in den Nachwirkungen                   samt auf eine größere demokratische und re-
der Finanzkrise bislang nicht vollends ausge-                chenschaftspflichtige Basis gestellt werden.
schöpft. Diese Diskrepanz führt zum vielfach
kritisierten Auseinanderklaffen von Anspruch                 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass
und Wirklichkeit in der EU-Außenpolitik.                     das DNBF seinem Ruf als offene Gesprächs-
Traditionell wurde dieser Politikbereich von                 plattform zu aktuellen Themen gerecht wur-
den großen Mitgliedstaaten wie Frankreich                    de. Entscheidenden Anteil an dem anregen-
und Großbritannien vorangetrieben und do-                    den und kritischen Austausch hat dabei die
miniert. Einfluss leitet sich heutzutage jedoch              informelle Atmosphäre. Inhaltlich sorgt die
nicht automatisch aus der Größe eines Landes                 Vielschichtigkeit der deutsch-nordisch-balti-
ab, wie es ein Experte formulierte, sondern                  schen Zusammenarbeit im Kontext der
kann auch von neuen Ideen und großem En-                     Europäischen Union sicherlich auch in den
gagement für die gemeinsamen Werte herrüh-                   nächsten Jahren für genügend Gesprächsstoff.

                                     https://doi.org/10.5771/0720-5120-2014-4-365
                              Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.11.2021, 03:21:59.
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