Das Exlibris Ernst Lubitschs - Von Auslassungen und Anspielungen
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Originalveröffentlichung in: Fotogeschichte, 17 (1997), H. 65, S. 25-32 Jürgen Müller, Thomas Hensel Das Exlibris Ernst Lubitschs Von Auslassungen und Anspielungen Eine in einem Antiquariat in Los Angeles gefunde nen Formats zeigen dem Sammler nicht nur die ne, wenig spektakuläre Ausgabe von Thomas Herkunft des Buches an und sagen damit etwas Manns Leiden und Größe der Meister aus dem Jahr über dessen Schicksal aus, sondern deuten häufig 1935 birgt eine Überraschung. Das leicht vergilbte auch die Lebens- und Vorstellungswelt des Buch und stockfleckige Buch enthält das Exlibris von eigners. 2 Im Falle Ernst Lubitschs erweist sich das Ernst und Vivian Lubitsch (Abb. I). 1 A u f die In Exlibris sogar als Schlüssel zum Verständnis sei nenseite des vorderen Buchdeckels geklebt, ver ner filmischen Poetik. weist ein Exlibris im allgemeinen auf den Eigentü Die Wege von Ernst Lubitsch, der schon 1922 mer des Buches. Die druckgrafischen Blätter klei- nach Hollywood übersiedelt war, und dem Emi granten Thomas Mann kreuzten sich in Amerika. Es ist bekannt, daß beide sich in den Kreisen der zur Emigration gezwungenen Europäer häufig be gegnet sind und korrespondiert haben, Lubitsch gar die Familie Mann über Wochen in seinem Gar tenhaus logieren ließ. Gleichwohl scheint der Band kein Geschenk aus der Hand des Schriftstel lers zu sein, denn es fehlt die Widmung. Der kreisrunden Form des Exlibris' ist am äuße ren R and der Name des Ehepaars Lubitsch einge schrieben. Der Filmregisseur war in zweiter Ehe mit Sania Bezencenet verheiratet, die den Künstler namen Vivian Gaye trug. Das Exlibris ist wahr scheinlich während beider Ehe zwischen 1935 und 1943 entworfen worden. 3 Im Gegensatz zu den Buchstaben des Namenszugs paßt sich der Schrift zug „ E X L I B R I S " im inneren Kreis der Krüm mung an: Dynamisch legt er sich in die Kurve, scheint von den unterschiedlich massigen Kornäh ren gezogen zu werden oder diese zu schieben. Abb. 1 Exlibris von Ernst und Vivian Lubitsch; wahrschein lich zwischen 1935 und 1943 , 0 5,2 cm. Die Korngarbe im Inneren des Exlibris' mag dem 25
sollen anregen, nicht nur eine, sondern mehrere DE PARVIS G R A N D I S ACERVVS. Bedeutungen zu suchen, hinter der offensichtli chen eine hintersinnige Deutung zu finden. Das Exlibris als Selbstporträ t des Regisseurs Schon der formalen Gestaltung des Exlibris' ist ein wichtiger Hinweis nahezu buchstäblich abzule sen. Die Dynamik des kreisförmig gebogenen Ge treidebündels mit sich überschneidenden Ähren läßt an die Objektivblende einer Kamera denken. Die Gestaltung der drei Ähren alludiert eine opti sche Verzerrung, wie sie sich durch die konvexe Krümmung einer Linse ergibt. Man kann an Licht reflexe denken, die beim Auftreffen von Sonnen licht auf eine gläserne Oberfläche zu beobachten sind. Dem Kenner mag die umlaufende sachliche Spica fuit primo, quem nunc est cernere fascem. Schrifttype Objektive der Firma Carl Zeiss ins Ge A paruis facimus munera ad ampla gradum. dächtnis rufen; statt den Namen des Herstellers in- strumenteller Optik liest man denjenigen des diese Optik instrumentalisierenden Ehepaares. Abb. 2 S Y M B O L O R V M & E M B L E M A T V M EX RE HER- BARIA DESVMTORVM CENTVRIA VNA COLLECTA A In der Tradition des fotografischen Selbstpor IOACHIMO CAMERARIO MEDICO NORIMBERG: Em träts wurde der Fotograf bereits früh in Analogie gesetzt zu optischen Instrumenten6 - etwa von b l e m Nr. 91 ( „ A u s kleinen Teilen am A n f a n g w i r d ein großer Haufen. Zuerst war eine Ä h r e , w a s m a n nun als Garbe sehen kann. V o n kleinen A u f g a b e n schreiten wir fort z u großen."); Fred Boissonas im Jahr 1900 (Abb. 3). Bald dar- u m 1590 (aus: A r t h u r Henkel, A l b r e c h t S c h ö n e (Hrsg.), Emble- mata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhun derts, Stuttgart 1967, Sp. 326). Betrachter die „fruchtbringende L ektüre" des Wer kes von Thomas Mann empfehlen. Der humani stisch geschulte Betrachter könnte sich prima fa- cie an emblematische Sinnbilder erinnert fühlen, deren Aufgabe es ist, beispielsweise den Gedan ken des Aufstiegs vom Kleinen zum Großen zu veranschaulichen (Abb. 2).4 Im Exlibris lebt vor allem die Tradition der Im- prese fort, in der ein Motto und eine bildliche Dar stellung miteinander verknüpft werden.5 Bild und Motto des Impresenträgers verweisen auf dessen Identität und Werke, wobei das Motto die Wahr nehmung des Bildes leitet. Das Motto der Imprese ist im Exlibris durch den Namen des Eigentümers ersetzt, was keinen prinzipiellen Unterschied be deutet. Denn der Name fungiert als Metonymie, Abb. 3 Fred Boissonas: „L e Taxiphot, autoportrait comi- die den Interpreten nach einem Bezug zwischen q u e " ; A b z u g v o n originaler Glasplatte, 1900, 24 : 30 c m (aus: dem gewählten Bild und dem L ebenswerk des Erika Billeter [Hrsg.], Das Selbstportrait im Zeitalter der Photo graphie. Maler und Photographen im Dialog mit sich selbst, Bucheigners suchen läßt. Meistens sind solche Be Ausstellungskatalog M u s e e cantonal des B e a u x - A r t s L ausanne züge zwischen Name und Bild nicht sofort ersicht und Württembergischer Kunstverein Stuttgart, Bern 1985, A b b . lich, sondern als geistreiches Rätsel inszeniert. Sie 235). 26
er dem Zuschauer in einer filmischen Sequenz ei nen Mann mit Fernglas vor Augen, der mit diesem eine Frau beobachtet, die ihrerseits ein Fernglas an ihre Augen zu führen im Begriff ist - der Zuschau er sieht, wie jemand jemanden sieht, der seinerseits etwas sieht.9 Lubitsch setzt viel daran, das Betrach ten in einer visuellen Schachtelerzählung sich selbst bespiegeln zu lassen und die instrumentell- optischen Bedingungen der Sichtbarkeit selbst zum Thema zu machen. Wenige Jahre nach Entste hung des Exlibris' legte sich ein anderer Künstler in einem Selbstporträt Rechenschaft über sein opti sches Instrumentarium ab: Um 1948 fotografierte M an Ray sich in einer konvexen spiegelnden Flä che und erzielte Verzerrungen, die denjenigen des Exlibris' verwandt sind (Abb. 5). Abb. 4 D z i g a Vertov: „ T h e M a n with a M o v i e Camera". 1929 (aus: ^Bunuel! Auge des Jahrhunderts, Ausstellungskata log Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutsch Anamorphotische Ästhetik land B o n n , M ü n c h e n 1994, S. 87). Diese Zerrbild-Ästhetik macht auf eine weitere auf war die Kameralinse nicht mehr nur Werkzeug spezifisch optische Tradition aufmerksam, in die und Insignie in der Hand des Künstlers; die Sub sich das Exlibris von Ernst und Vivian Lubitsch jekte verwuchsen förmlich mit ihren Instrumenten einschreiben läßt. Die um das leere Zentrum orga zu einer Einheit. Immer wieder äußerten Fotogra nisierte Darstellung der Ähren erinnert an anamor fen, daß sie eins mit ihrem Apparat seien. So be photische Projektionen, wie sie seit der frühen schrieb Henri Cartier-Bresson die Kamera als sein Neuzeit bekannt sind. Bei der Anamorphose (grie- „verlängertes Auge", während Hilmar Pabel für sich in Anspruch nahm, daß er mit seinem Apparat „zusammengewachsen" sei. Jacques-Henri Larti- gue mußte beim Fotografieren nicht einmal mehr visieren: „Ohne durch den Bildsucher zu sehen, wußte er, was seine Leica sah, selbst wenn er sie mit ausgestreckten Armen hielt, wobei der Appa rat gleichzeitig Ersatz für das Auge und für die Be wegungen, die Ortsveränderungen des Körpers wurde."7 Einer der einflußreichsten revolutionären Innovatoren des sowjetischen Films, Dziga Vertov, proklamierte 1923 in der Resolution des Rats der Drei: „I am kino-eye, I am a mechanical eye. I, a machine, show you the world as only I can see it."8 In „The M an with a M ovie Camera" gelang die sem Regisseur 1929 endlich die vollkommene Ver schmelzung mit einer Kamera (Abb. 4). Lubitschs Exlibris' stellt eine gewitzte Paraphra se dieser Vereinigungsphantasie von Regisseur und Kamera dar. Über dessen Form identifiziert sich Abb. 5 M a n R a y : Selbstporträt; Bromsilberabzug, um 1948, Lubitsch mit der Optik einer Kamera. Wie kaum 0 16,2 c m (aus: Erika Billeter [Hrsg.], Das Selbstportrait im Zeitalter der Photographie. Maler und Photographen im Dialog ein anderer Filmschaffender war Lubitsch darum mit sich selbst, Ausstellungskatalog M u s e e cantonal des B e a u x - bemüht, das Sehen selbst zu visualisieren. In sei Arts Lausanne und Württembergischer Kunstverein Stuttgart, nem Werk „Angel" aus dem Jahr 1937 etwa führt Bern 1985, A b b . 249). 27
Abb. 6 H e n r y Kettle: Z y l i n d e r a n a m o r p h o s e : „ D i e schlafende Venus wird v o n A m o r enthüllt"; Ö l auf H o l z , u m 1770, 37 : 4 8 cm (aus: Fred L e e m a n n , J o o s t Elffers, Anamorphosen. Ein Spiel mit der Wahrnehmung, dem Schein und der Wirklichkeit, K ö l n 1975, A b b . 150). chisch „Umgestaltung") handelt es sich um die ver zerrte Darstellung einer Figur oder eines Gegen standes auf der Grundlage perspektivischer Gesetz mäßigkeiten.10 Die Anamorphose ist ein extremes Beispiel optischer Verrätselung. Der Betrachter wird zunächst durch eine kaum erkennbare Dar stellung irregeführt, um sodann zu einer Stelle diri giert zu werden, von der aus sich die optische Ver zerrung auflösen läßt.11 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts erlebten soge nannte katoptrische Anamorphosen, die eines Spie gels, Zylinders oder Kegels bedürfen, um entzerrt zu werden, eine kurze Blütezeit. Diese verdankte Abb. 7 H e n r y Kettle: Z y l i n d e r a n a m o r p h o s e : „ D i e schlafende sich nicht zuletzt dem verhüllenden Aspekt der Venus wird v o n A m o r enthüllt". M i t H i l f e eines Spiegels ent zerrt sich die Darstellung; Ö l auf H o l z , u m 1770, 37 : 48 c m Anamorphose, denn neben Geheimporträts war (aus: Fred L e e m a n n , Joost Elffers, Anamorphosen. Ein Spiel dasjenige, das versteckt werden mußte, nicht sel mit der Wahrnehmung, dem Schein und der Wirklichkeit, Köln ten obszön oder erotisch, wie zum Beispiel die 1975, A b b . 101). 28
Darstellung einer schlafenden Venus, die von Jahr 1942, zugleich sein Horror vor einem Kino, Amor enthüllt wird (Abb. 6 und 7). das glaubt, die Wirklichkeit direkt abbilden zu kön- i? Bedient man sich zur Entschlüsselung von Lu- nen. bitschs Exlibris eines optischen Hilfsmittels, in dem man in dessen Zentrum einen zylindrischen Spiegel stellt, entzerren sich die kreisrund geboge „Es wird ss s ge cho en!" nen Ähren und erscheinen gerade. Während diese ihre natürlich gewachsene Form zurückgewinnen, Bekanntlich hat Paul Virilio die Entwicklung von verkehrt sich der Schriftzug „EX LIBRIS" jedoch Fotografie und Film mit der Entstehung moderner in sein unlesbares, sinnloses Spiegelbild. So Kriegstechnologie in Verbindung gebracht. Seit macht die mögliche Anwendung des anamorphoti- dem Ende des 19. Jahrhunderts haben sich Waffen schen Effekts auf Lubitschs Exlibris deutlich, daß und Kameratechnik weitgehend parallel entwik- jede optische Erscheinung umgekehrt werden und kelt; die Entwicklung der Filmkamera ist eng mit ein Wechsel der Perspektive Klärung und Verun- der Erfindung automatischer Waffen verbunden: klärung zugleich bedeuten kann. Es gibt keinen ar „Die Funktion der Waffe ist zunächst die Funktion chimedischen Punkt der Wahrnehmung, der eine des Auges: Visieren. Bevor er sein Ziel erreicht, vollkommene Wahrheit garantieren könnte. Im Ge muß ein Jäger, ein Krieger, immer versuchen, es genteil, jedes Sehen zeichnet sich notwendig mit Kimme und Korn seiner Waffe ins Visier zu durch seine Standortgebundenheit aus, stellt ledig nehmen, wie ein Kameramann seinen Gegenstand lich einen einzigen unter vielen möglichen Blick bei Dreharbeiten. 'Kamera läuft!' ist daher nie winkeln dar. weit entfernt von: 'Es wird ges choss en!'"1* So wa In den Filmen Lubitschs wird dem Betrachter ren etwa die auf einem Träger in Form eines Ge demonstriert, daß seine Sicht der Wirklichkeit ge wehrschaftes befestigte „Dr. Fol's Photographi wöhnlich eine verzerrte, anamorphotische ist. Sei sche Flinte", entwickelt vor 1884 (Abb. 8), und die ne Filme zeigen, daß das, was man gemeinhin für die Wirklichkeit hält, lediglich als Segment und Aspekt zu begreifen ist. Die Vorstellung von etwas Ganzem ist Lubitsch fremd. Seine anamorphoti sche, auf Übertreibung und Verkehrung zielende Ästhetik entlarvt die Vorstellung einer mit sich selbst identischen Welt. In einem der schönsten Beispiele für den Lubitsch-Touch, „Trouble in Pa- radise" von 1932, wird dem Zuschauer ein Gauner- Pärchen glaubhaft als höchst ehrenwert vorge stellt, bis Lubitsch den Zuschauer aus anderer Per spektive hinter die Kulissen blicken läßt. Konse quent wird der falsche Schein zerstört und vorge führt, wie riskant es sein kann, sein Urteil über M enschen lediglich von einem einzigen Blickwin kel - in diesem Fall von der in die Irre führenden Wertschätzung erlesener Gewänder und M anieren - abhängig zu machen. Lubitschs Protagonisten ziehen je nach ihrem Blickwinkel richtige oder fal sche Schlüsse. Dem Zuschauer ergeht es nicht an ders, er muß sich der Vorläufigkeit und Standortge bundenheit seiner eigenen Erkenntnisse bewußt sein. Es bedarf eines Hilfsmittels, einer ironischen Bespiegelung ä la Lubitsch, die Wirklichkeit ange messen zu verstehen. Hierin steckt Lubitschs ästhe Abb. 8 „Dr. Fol's Photographische Flinte", vor 1891 (aus: J o tisches Credo und, folgt man Frieda Gräfe in ihrer sef M aria Eder, Die Photographis chen Ohjective, ihre Eigen- s chaflen und Prüfung. Halle a.S. 1891 [Ausführliches Hand Bewertung von „To Be or Not To Be" aus dem buch der Photographie, B d . 1.2], S. 587, Fig. 767). 29
„Photographische Flinte" von Etienne Jules M arey genommen. Im leeren Zentrum dieser Linse schei aus dem Jahr 1882, die mit einer drehbaren Nega nen sich alle Betrachter wiederfinden zu sollen. tivscheibe für Serienaufnahmen nach dem Prinzip des Trommelrevolvers funktionierte, wesentliche technische Vorstufen zur Entwicklung bewegter „Im Lubitsch-Emmentaler ist jedes Loch genial." Filmbilder. D i e neu aufgekommene Kamerageneration der Das auffallend leere Zentrum des Exlibris' evo Pistolen-, Gewehr- und Kanonenkameras war der ziert Lubitschs berühmte Auslassungen, seine El sichtbare Ausdruck eines neuen Verständnisses lipsen, die wesentlich den Lubitsch-Touch ausma der Fotopraxis, dem das entsprechende jagdsprach chen: „Das Entscheidende ist, daß das Sujet nie di lich-militärische Vokabular Rechnung trug.14 M an rekt abgehandelt wird. Wenn wir nun vor den Z i m „zielte" durch das „Visier", gelungene M otive wa mertüren stehenbleiben, während alles drinnen pas ren „getroffen", man konnte die Kamera aber auch siert, wenn wir bei den Dienstboten sind, während „verreißen" und die Aufnahme „verschießen". alles im Salon passiert, und im Salon, wenn es auf Schon in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts fin der Treppe passiert, und in der Telefonzelle, wenn det man die Analogisierung von Kamera und W a f es im Keller passiert, so deshalb, weil sich Lu- fe. Damals wurde vielleicht zum ersten M al der bitsch ganz bescheiden sechs Wochen am Schreib noch heute übliche Begriff des „snap-shot", die tisch den K o p f zerbrochen hat, u m am Ende den englische Bezeichnung für einen ungezielten G e Zuschauern zu gestatten, sich selbst das Drehbuch wehrschuß, auf die Tätigkeit des Fotografen bezo zu konstruieren, gleichzeitig mit ihm, während auf gen. der Leinwand der Film abläuft. [...] A l s o kein Lu- Es ist notwendig, sich diesen sprachgeschichtli bitsch ohne Publikum, aber aufgepaßt, das Publi chen Hintergrund zu vergegenwärtigen, um den kum kommt nicht hinzu zum schöpferischen A k t , spezifischen Wortwitz des Exlibris' verstehen zu es steckt mit drin, es ist ein Teil des Films. [...] Die können. Denn die Darstellung der Kornähren er sagenhaften Drehbuchellipsen funktionieren nur, laubt es, eine bestimmte deutsche Redewendung weil unser Lachen die Brücke von einer Szene zur zu assoziieren. Wenn man mit einem Blick über anderen schlägt. Im Lubitsch-Emmentaler ist j e die K i m m e hinweg feststellt, daß sich das Ziel mit des L o c h genial." 15 dem Korn exakt deckt - das Ziel „aufs Korn ge Truffauts treffende Charakterisierung der ellipti n o m m e n " ist - , kann man davon ausgehen, daß schen Filmsprache Lubitschs sei mit einem Film der Schuß trifft. Erst mit Hilfe von K i m m e und ausschnitt aus „M adame Dubarry" von 1919 illu Korn, die auf dem Lauf justiert sind, kann die W a f striert.16 In einer Nahaufnahme sieht man König fe genau auf das gewünschte Ziel ausgerichtet wer Ludwig X V . auf einer großen Parkbank, umgeben den. Die waidmännisch-militärische Provenienz von der Königin, Höflingen und Dienern. Sodann der Redewendung „jemanden aufs Korn nehmen" in einer Nahaufnahme Jeanne auf einer kleinen entspricht der Poetik von Lubitschs Gesellschafts Parkbank sitzend. D i e folgende Großaufnahme komödien, in deren Dialogen er die scheinbar zeigt, wie der König durch sein Lorgnon zu ernsthaften und würdigen Themen zur „Zielschei Jeanne hinblickt. Angezogen durch deren Schön be" seines Spottes gemacht und „aufs Korn genom heit ruht sein A u g e auf der jungen Frau (Abb. 9). m e n " hat. D o c h während der König einen Augenblick lang Darüber hinaus verweist der Ausdruck „jeman nicht hinschaut, verschwindet sie. Sein suchender den oder etwas aufs Korn nehmen" nicht nur auf Blick vermag sie nicht mehr auszumachen. Lu- die optische Fixierung und Fokussierung eines G e bitsch subjektiviert den Blick des Zuschauers, in genstandes, sondern im Zusammenhang mit den dem er ihm bestimmte Positionen und Rollen, hier Komödien Lubitschs auch auf die Tatsache, daß die des Königs, zuweist. W i e in der Anamorphose ein Witz nur dann funktioniert, wenn man „getrof wird ihm ein Standpunkt zuteil, der lediglich einen fen" hat. Humor bedarf der Präzision, wie der begrenzten Aspekt der Wirklichkeit zu erkennen Witz der Pointe bedarf. So markieren Sprachspiel erlaubt. Wenn Lubitsch den Zuschauern gestatten und Bildwitz des Exlibris' nicht zuletzt auch die wollte, „sich selbst das Drehbuch zu konstruie Position des Interpreten. Er ist es nämlich, auf den ren", ist die Ausfüllung bedeutsamer Leere wesent das Kameraobjektiv zielt, und er wird aufs Korn lich eben jenen aufgegeben. 17 30
Abb. 9 E m s t Lubitsch: „ M a d a m e D u b a r r y " ; Standfoto, 1919 Abb. 10 Ernst L ubitsch: „Madame Dubarry". Standfoto, (aus: E n n o Patalas, E m s t L ubitsch: Eine L ektion in K i n o . N a c h 1919 (aus: E n n o Patalas, Ernst L ubitsch: Eine L ektion in K i n o . schrift einer Fernsehsendung, in: Hans H e l m u t Prinzler, E n n o Nachschrift einer Fernsehsendung, in: Hans Helmut Prinzler, 2 Patalas [Hrsg.], Lubitsch, München, L uzern 1987, S. 60-80, E n n o Patalas [Hrsg.], Lubitsch, M ü n c h e n , L uzern 2 1987, S. 60- hier S. 70). 80, hier S. 70). Das Exlibris von L ubitsch inszeniert diese be läßt, was er montiert."18 Es ist diese Kurzschluß deutsame L eere als den verdichteten Mittelpunkt technik, die Vermutungen, Anspielungen, Wün eines gewitzten Rebus', den der Regisseur dem Be schen den nötigen Raum eröffnet, während gleich trachter zu entschlüsseln aufgibt. In der bewußten zeitig der vertraute Boden unter den Füßen weg Verknappung findet sich das Grundmuster der für sackt - Jeanne ist den Blicken des Betrachters ent Lubitschs Filme so charakteristischen Poetik des schwunden (Abb. 10), und der Kreis des Exlibris' Witzes. „Witzig ist, wie er schneidet, was er weg denkt nicht daran, sich zu schließen. 1 D i e Verfasser danken Martin Warnke, Hamburg, für den 6 S o auch zu M i k r o s k o p und Fernrohr. V g l . Astrit Schmidt- H i n w e i s auf das Exlibris. Burkhardt, Sehende Bi lder. Di e Geschi chte des Augenmot i vs 2 V g l . etwa Albert Treier, Redende Exlibris. Geschichte und i se t dem 19. Jahrhundert, Berlin 1992, insbesondere S. 195- Kunstform des deutschen Bucherzeichens, Wiesbaden 1986 226. (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen B u c h 7 Paul Virilio, zit. nach: T h i l o Koenig, Das kriegerische V o k a archiv M ü n c h e n , 17). bular der Fotografie, in: Fotogeschi chte, 12. Jg., Heft 43, 3 Über das L eben Ernst L ubitschs informiert mit weiterfüh Marburg 1992, S. 3 9 - 4 8 , hier S. 45. renden L iteraturhinweisen Herta-Elisabeth R e n k , Ernst Lu 8 D z i g a Vertov, K i n o k s : A Revolution, in: Annette Michelson i b tsch, Hamburg 1992 (rowohlts monographien, hrsg. v o n (Hrsg.), Ki no-Eye. The Wri ti ngs of Dzi ga Vertov, Berkeley. W o l f g a n g Müller). V g l . auch Jürgen Müller, W i t and I m a L o s A n g e l e s , L o n d o n 1984, S. 11-21, hier S. 17. ge, in: Im Bli ckfeld. Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle, 1. 9 V g l . E n n o Patalas, Ernst L ubitsch: Eine L ektion in K i n o . Jg., Nr. 1, Hamburg 1994, S. 247-250. Nachschrift einer Fernsehsendung, in: Hans Helmut Prinz 4 Z u m Bedeutungsspektrum von Ä h r e n und Korngarben vgl. ler, Enno Patalas (Hrsg.), Lub i tsch, München, L uzern 2 Arthur Henkel. Albrecht S c h ö n e (Hrsg.), Emblemata. Hand 1987, S. 6 0 - 8 0 , hier S. 75. buch zur Si nnbi ldkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, 10 Darüber hinaus bezeichnet die anamorphotische Optik im Stuttgart 1967, Sp. 319-328. F i l m ein optisches Verfahren, durch das Bilder in horizonta 5 Z u r Imprese i m Kontext der E m b l e m a t i k vgl. Albrecht ler Richtung bei der A u f n a h m e im Verhältnis 1 : 2 z u s a m Schöne, Emblemati k und Drama i m Zei talter des Barock, mengezogen werden: ein A n a m o r p h o t im Projektor entzerrt M ü n c h e n - 1 9 6 8 , S. 4 2 - 4 5 ; sowie Ingrid Höp el, Emblem und das B i l d bei der Wiedergabe. Dieses Verfahren wird aller i S nnb i ld. Vom Kunstbuch zum Erbauungsbuch, Frankfurt dings erst nach L ubitschs Tod, seit den 50er Jahren, für das a m M a i n 1987, S. 11-35, insbesondere S. 20-28. Breitwandkino eingesetzt. V g l . auch Christophe Pinel, L a 31
breche de l'ecran large: de Chretien au C i n e m a S c o p e , in : ausgabe 1984), und Friedrich Kittler, Grammophon, Film, Cinematheque. Revue semestrielle d'esthetique et d'histoire yT pewriter, Berlin 1986, S. 190: „ D e r Transport v o n B i l du cinema, Nr. 9, prin temps 1996, Crisn ee 1996, S. 104-115. dern wiederholt nur den v o n Patronen. U m i m R a u m beweg 11 D a s Verfahren , das diese K o m p o s i t i o n e n gen eriert, en tstan d te Gegenstände, etwa L eute, visieren und fixieren z u k ö n laut Jurgis Baltruäaitis „in einer A t m o s p h ä r e der Kuriosität nen, gibt es z w e i Verfahren: Schießen und F i l m e n . [...] W a s und der Zauberkunst, birgt j e d o c h einen K e r n v o n A b s t r a k das M a s c h i n e n g e w e h r vernichtete, machte die K a m e r a un tion in sich, v o n I l l u s i o n s m e c h a n i s m u s und einer G e d a n k e n sterblich." V g l . dazu K o e n i g , ( A n m . 7), S. 39-48, und ders., welt, die von einer künstlichen W i r k l i c h k e i t ausgeht, die sie „ D i e K a m e r a muß w i e eine n i m m e r fehlende B ü c h s e in der bestehenden O b j e k t e n auferlegt"; Jurgis Baltrusaitis, V o r Hand ihres Herrn liegen." G e d a n k e n zu einem medienspezi wort, in: Fred L e e m a n n , J o o s t Elffers, Anamorphosen. Ein fischen Sprachgebrauch, in: Fotogeschichte, 8. Jg., H e f t 30, Spiel mit der Wahrnehmung, dem Schein und der Wirklich Marburg 1988, S. 3-14. keit, K ö l n 1975, S. 6-8, hier S. 6. 14 V g l . K o e n i g , ( A n m . 7 ) , S. 3 9 - 4 8 , hier S. 42-44. 12 V g l . Hans H e l m u t Prinzler, B e r l i n , 2 9 . 1 . 1 8 9 2 - Hollywood, 15 Francois Truffaut, L ubitsch war ein Fürst, in: Prinzler/Pata 30.11.1947. Bausteine zu einer L u b i t s c h - B i o g r a f i e , in: las (Hrsg.), ( A n m . 9), S. 120-122, hier S. 121. Prinzler/Patalas (Hrsg.), ( A n m . 9 ) , S. 8-59, hier S. 56. 16 V g l . Patalas ( A n m . 9 ) , S. 6 0 - 8 0 , hier S. 69 f. 13 Paul V i r i l i o , D i e E n t - T ä u s c h u n g . L o g i s t i k der Wahrneh 17 Z u Ellipsen i m F i l m vgl. N o e l Carroll, A d d r e s s to the Heat- m u n g : v o m K r i e g der T ö n e u n d Bilder, in: Lettre Internatio hen, in: October, Nr. 23, Winter 1982, C a m b r i d g e (MA) nal, Nr. 12, 1. Vierteljahr 1991, Berlin 1991, S. 16-18, hier 1982, S. 8 9 - 1 6 3 , insbesondere S. 125-135. S. 18. Siehe auch ders., Krieg und Kino. Logistik der Wahr 18 Frieda G r ä f e , W a s L u b i t s c h berührt, in: Prinzler/Patalas nehmung, Frankfurt am M a i n 1994 (französische O r i g i n a l (Hrsg.), ( A n m . 9), S. 8 1 - 8 7 , hier S. 83.
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