Frauen im Vatikan Begegnungen
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Ich danke allen Frauen und Männern, die am Entstehen dieses Inhalt Buches mitgewirkt haben. Mein ganz besonderer Dank gilt P. Federico Lombardi SJ, der dieses Vorhaben von Anfang an wohlwollend und tatkräftig unterstützt hat. Pronto, Vaticano? Gudrun Sailer In der vatikanischen Telefonzentrale 12 Die Frau hinter Benedikt Ingrid Stampa, Papstvertraute 20 Die rechte Hand Michelangelos Schwester Teresa Todaro, Archivarin 26 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Die Herrin der Handschriften Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Christine Grafinger, Bibliothekarin 36 Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Kinderschaukeln im Kirchenstaat Schwester Chiara Pfister, Sozialarbeiterin 44 Die Augenöffnerin Maria Serlupi Crescenzi, Kunsthistorikerin 52 Die Neo-Feministin ISBN 978-3-7462-2182-3 Mary Ann Glendon, Juristin 60 © St. Benno-Verlag GmbH Leipzig Die Web-Schwester 04159 Leipzig, Stammerstr. 11 Schwester Judith Zoebelein, Internet-Verantwortliche 72 www.st-benno.de Umschlaggestaltung: Ulrike Vetter, Leipzig, Den Papst verdeutschen unter Verwendung von Fotos von Gudrun Sailer, Stefano Sigrid Spath, Übersetzerin 80 Leszczynski, Vassilis Chatzigiannis, Fritz Imhof und picture- alliance/dpa Frau Feldwebel Gesamtherstellung: Kontext, Lemsel Letizia Ermini Pani, Archäologin 92 5
Grande silenzio Vorwort Die Nonnen in den vatikanischen Gärten 100 Kardinal und Aschenbrödel Theresia Mäder, Ehefrau und Mutter 112 Vor wenigen Jahren hätte, wer Frauen in vatikanischen Funk- Die Vordenkerin tionen finden wollte, sie fast ausschließlich in so genannten Barbara Hallensleben, Theologin 122 niederen Diensten suchen müssen. Als Haushälterinnen bei Kurienkardinälen etwa, als Helferinnen beim vatikanischen Die Frau vom Film Zahnarzt oder als Telefonistinnen, wie die Ordensfrauen der Claudia di Giovanni, Filmspezialistin 134 Paulinischen Familie, die seit Jahrzehnten die akustische Schnittstelle zwischen Vatikan und Außenwelt betreuen. All Die Seligenmacherin diese dienstbaren Geister sorgen für einen reibungslosen Ab- Elisabeth Braunbeck, Theologin 144 lauf im Alltag des kleinsten Staates der Welt, und ohne ihren Einsatz käme Sand ins Getriebe des Vatikans. Der Untersekretär Doch das Getriebe selbst ändert allmählich seine Zusammen- Schwester Enrica Rosanna, Soziologin 156 setzung. Im Staat der Vatikanstadt und an der Kurie, also dem Verwaltungsapparat der katholischen Weltkirche im Vatikan, arbeiten heute mehr Frauen, als es nach außen hin den An- schein hat. Rund 15 Prozent der päpstlichen Belegschaft sind weiblich; nebenbei gesagt, ist gleicher Lohn für gleiche Arbeit im Vatikan eine Selbstverständlichkeit. Viele wirken als Assis- tentinnen oder Schreibkräfte, doch auch beim akademischen Personal bleiben Männer schon lange nicht mehr unter sich. Dass Frauen indes in hohe Funktionen an der Kurie berufen werden, ist eine Erscheinung der jüngsten Vergangenheit. 2003 ernannte Johannes Paul II. zum ersten Mal eine Präsidentin für eine der zehn päpstlichen Akademien, die sich verschiede- nen wissenschaftlichen Zweigen widmen: Er bestellte die Archäologin Letizia Ermini Pani zur Leiterin der Akademie für Archäologie. Aufsehen erregte wenig später die erstmalige Berufung zweier Frauen, darunter der Deutschen Barbara Hal- 6 7
lensleben, in die Internationale Theologische Kommission, das Vorankommen im Beruf, Gleichheit von Mann und Frau im wichtigste theologische Beratungsgremium des Papstes. 2004 Familienrecht und in der Demokratie. In diesem Brief findet folgte die US-amerikanische Juristin Mary Ann Glendon auf sich auch jene bemerkenswerte Stelle, in der Johannes Paul den Chefsessel der päpstlichen Akademie für Sozialwissen- seine Bewunderung für Frauenrechtlerinnen früherer Tage schaften, nachdem sie 1995 als erste Frau bei einem offiziellen ausdrückt, „in einer Zeit, als dieser ihr Einsatz als Zeichen Anlass, der UNO-Weltfrauenkonferenz in Peking, eine vatikani- mangelnder Fraulichkeit, als grobtuerisches Gehabe, ja als sche Delegation geleitet hatte. Im selben Jahr erhielt der Heili- Sünde angesehen wurde!“ Und der Papst prognostiziert: In der ge Stuhl in Schwester Enrica Rosanna sogar seinen ersten weib- Politik der Zukunft werden „die ernsten Probleme eine immer lichen Untersekretär, was in einer Regierung etwa einem stärkere Miteinbeziehung der Frauen“ erleben. In Feldern wie Staatssekretär entspricht. Gesundheitswesen, Ökologie, soziale Dienste werde es nie- Jede dieser Ernennung liegt weniger als fünf Jahre zurück. Dies mand anderer als die Frau sein, die „auf eine Neufassung der spricht für eine Öffnung bestimmter Kurienämter für Frauen Systeme“ drängt. Nicht zuletzt, so lässt sich der Gedanke wei- schon unter Johannes Paul II. Allerdings würden viele der terspinnen, weil ein System, das nach bloßen Kriterien der Leis- Frauen, die in diesem Buch zu Wort kommen, an dieser Stelle tung und der Produktivität tickt, zur Zeitbombe seiner eigenen einwenden, dass es auf den formalen Rang der Gläubigen – ob Zukunft wird, was weibliche Vernunft besser zu erfassen weiblich oder männlich - nicht ankommt, sondern darauf, was scheint. sie der Kirche zu sagen haben. Damit wissen sie sich in der Ver- Und die Frau in der Kirche? Als Präfekt der römischen Glau- längerung der Linie, die Päpste und Kirche in amtlichen Doku- benskongregation verfasste Kardinal Joseph Ratzinger „über menten von der Sendung der Frau zeichneten. die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in In seinem Apostolischen Schreiben „Mulieris Dignitatem“ („Die der Welt“ einen Brief an die Bischöfe. Darin bedauert er eine Würde der Frau“, 1988) formuliert Johannes Paul II. zum ers- wachsende Feindseligkeit zwischen den Geschlechtern und ten Mal das, was er den weiblichen „Genius“ nennt. Die Frau eine gesellschaftliche Einebnung ihrer Unterschiede. Die Frau ist stark, schreibt der Wojtyla-Papst, weil Gott „ihr den Men- zeichne sich nach dem Vorbild der Muttergottes „durch ihre schen anvertraut“. Haltung des Hörens, des Aufnehmens, der Demut, der Treue In seinem persönlich gehaltenen „Brief an die Frauen“ von und der Erwartung“ aus. Einstellungen, die jeden Christen prä- 1995 wird Johannes Paul anschaulicher. Er beklagt die Unge- gen sollten, die aber doch die Frau „mit besonderer Intensität rechtigkeit, dass nach wie vor viele Frauen „mehr nach dem und Natürlichkeit“ lebe. Weil sie diese Haltung allen Getauften Aussehen“ bewertet werden als nach ihrer Sachkenntnis, ihrer in Erinnerung rufe, erfülle sie „eine Rolle von größter Wichtig- beruflichen Leistung, nach den Werken ihrer Intelligenz und keit im kirchlichen Leben.“ In einem Nebensatz bestätigte Kar- schließlich nach der ihnen eigenen Würde. Er stellt sich hinter dinal Ratzinger „die Tatsache, dass die Priesterweihe aus- die Forderungen der Frauenbewegung nach gleichem Lohn für schließlich Männern vorbehalten ist“, was die Frauen aber „in gleiche Arbeit, Schutz der berufstätigen Mutter, gerechtem keiner Weise daran hindert, zur Herzmitte des christlichen 8 9
Lebens zu gelangen.“ „Nichts Neues aus Rom“, dachten Expo- Die Porträts stellen die tagtägliche Arbeit der Frauen vor und nentinnen jener Frauenbewegung, der Joseph Ratzinger ohne- fragen, mit welchem Selbstverständnis sie ihren Dienst tun, hin bereits als rotes Tuch galt, während andere ihm im Stillen was sie stärkt, was ihnen Antrieb gibt; wie der Glaube an Gott für die klaren Worte dankten. Ein Jahr später war der Kardinal einfließt in die Unterstützung des Papstes bei der Ausübung aus Bayern Papst. seines Amtes für die Kirche und die Menschen guten Willens. Ob es nicht an der Zeit sei, Frauen in der Kirche „sichtbarer“ zu Dieses Buch ist keine Streitschrift: Wer Fanfarenstöße für die machen, fragte ein junger römischer Kaplan im März 2006 bei Weihe von Priesterinnen erwartet, wird enttäuscht werden. Das Benedikt XVI. an. Christus habe die Priesterweihe bekanntlich Thema Frausein im Vatikan - also in einem männlich orches- Männern vorbehalten, erwiderte der deutsche Pontifex auch trierten Umfeld mit vielen Priestern - bildet ein Leitmotiv der hier, doch sei es „eine berechtigte Frage, ob man Frauen nicht Texte, gibt aber nicht ihren Ton an. Vielmehr geht es mir auch im Leitungsdienst der Kirche mehr Raum und mehr ver- darum, den Beitrag konkreter Menschen am konkreten Tun antwortliche Positionen bieten“ könne. Und wenige Monate spä- des Nachfolgers Petri in der Welt begreifbar zu machen, in ter lud Benedikt gegenüber deutschen Journalisten (keine der anderen Worten, weibliche Stimmen im Konzert der Kirche so vier geladenen Radio- und Fernsehanstalten hatte eine Journa- zu verstärken, dass sie für einen Augenblick als Solo hörbar listin entsandt) dazu ein, „auf Gott zu hören, dass wir den auch werden, ehe sie zurückgleiten in die Vielstimmigkeit des christ- nicht behindern, sondern uns freuen, dass das Weibliche in der lichen Gottesvolkes. Kirche, wie es sich gehört – von der Muttergottes und von Maria Jedes der Porträts bleibt eine Momentaufnahmen. Auf gewisse Magdalena an – seine kraftvolle Stelle erhält.“ Weise hoffe ich, dass dieses Buch rasch veraltet, weil das ein- Die hier versammelten Texte basieren auf Interviews, die ich im getreten ist, was eine hier vorgestellte Theologin im Interview Lauf der Jahre für das deutschsprachige Programm von Radio mit großer Überzeugung sagte: „Es wird mehr Frauen im Vati- Vatikan geführt habe. Auf viele dieser Hörfunk-Beiträge rea- kan geben. Das ist ein organischer Prozess. Er mag seine Blo- gierten Hörerinnen und Hörer außerordentlich positiv. So ent- ckaden haben und seine Verunsicherungen hervorrufen. Aber stand die Idee zu diesem Buch. Es porträtiert sechzehn Frauen, er ist.“ die heute in der einen oder anderen Weise im Vatikan für Papst und Kirche arbeiten: seit wenigen Jahren oder seit langer Zeit, Gudrun Sailer teils als einfache Bedienstete, teils als Führungskräfte, teils als Betende, oft als Gelehrte und in einem Fall als Ehefrau und Mutter. Manche der Porträtierten haben nie zuvor im Rahmen eines Interviews über ihre Tätigkeit und sich selbst gesprochen. Einige wenige Frauen, deren stilles Wirken ich in diesem Buch gerne vorgestellt hätte, gaben mir einen Korb. Andere, von denen ich einen Korb erwartete, sagten auf Anhieb zu. 10 11
Michelangelos rechte Hand Schwester Teresa Todaro verwaltet das Archiv der Bauhütte von Sankt Peter. Wo einst Michel- angelo und Bernini ihre Ateliers hatten, lagern heute sämtliche Dokumente zur Baugeschichte des Petersdoms: Skizzen, Zeichnungen und kühne Entwürfe, päpstliche Bullen, erhitzte Sr. Teresa Todaro Briefwechsel der Künstler mit den Kardinälen, Archivarin nach Ländern geordnete Einnahmen aus dem Ablasshandel, Listen mit Namen, Arbeitszeit und Sold aller Arbeiter Tag für Tag, Rechnun- gen für Tausende Tonnen Marmor, jedes »Auch Frauen bauten Gramm Blattgold und jeden Zementsack. mit am Petersdom.«
W enn unten in der Basilika der Papst Richtung Hauptaltar lige Streitfälle wurden da verhandelt: mutwillige Körperver- schreitet, können Schwester Teresa und ihre zwei Mitarbei- letzungen, Schuldzuweisungen bei Unfällen, Lieferanten, die terinnen ihn von oben als weißen Punkt mit Mütze wahrneh- sich um ihren Lohn geprellt sahen, Künstler, die gegen ge- men. Das Archiv, das den Baufortschritt der größten Kirche wisse Handwerker, und Kardinäle, die gegen gewisse Künst- der Christenheit bis heute dokumentiert, liegt hoch über ler vorgingen. Schwester Teresas Aktenschränke geben den dem linken Seitenschiff, rund um die Basis einer der Neben- niedrigsten Hilfsarbeitern Namen, sie bersten aber auch vor kuppeln. In zwei achteckigen Haupträumen und den verbin- Geschichten von Geld, Macht und Intrigen. denden Gängen stehen aufgereiht in Glaskästen 9.000 Bände Das alles hatte Julius II., als er den Grundstein legte, keines- mit unzähligen Einzeldokumenten. Schwester Teresa hat sie wegs im Sinn gehabt. Er hatte nicht einmal daran gedacht, eine alle in den Händen gehabt. neue Kirche zu schaffen. Sein Projekt war anfangs be- Das älteste Dokument des Archivs datiert vom 18. April 1506, scheidener: Er wollte nichts anderes als eine neue Apsis für und die Franziskanerin hütet es wie Kronjuwelen. Es handelt Alt-Sankt Peter. In dieser Apsis sollte sein Grabmal stehen, das sich um die Kopie Julius beim Jung-Star der italienischen Kunstszene, dem 30-jäh- »Die Dokumente quollen aus den Kar- eines Briefes von Juli- rigen Florentiner Michelangelo, in Auftrag gegeben hatte. tons, lagen aufgetürmt auf dem Fuß- us II. an den König Allerdings hatte der Papst die Rechnung ohne seinen Archi- boden. Es schmerzte, das zu sehen!« und die Königin von tekten gemacht. Donato Bramante nämlich war in seinem England, in dem der Künstlerstolz gekränkt. Bloß den Rahmen zum Werk des jun- mächtige Renaissancepapst mitteilt, dass er soeben den gen Konkurrenten Grundstein für den Neubau des Petersdomes gelegt habe. „Da sollte er schaffen? »›Ich gebe Körper und Seele für Sankt war ein Graben ausgehoben worden, und der Papst, so alt wie Nicht mit ihm. Und Peter!‹ (Michelangelo) Ich muss sagen, energisch, stieg auf einer Leiter hinab, legte einige Münzen so entwarf Braman- es gefällt mir, dieses Dokument.« zu dem Stein und kam wieder herauf“, erklärt Schwester te für den Papst Teresa die Szene. keine Apsis, sondern die größte Kirche der Christenheit. Sie Bald öffnete sich auf dem Vatikan-Hügel die größte Baustelle sollte die alte Petersbasilika ersetzen, die um 1500 in der Tat der Welt. „Wir wissen, dass zeitweise mehr als 1.000 Men- nicht mehr gut da stand. Kaiser Konstantin hatte sie im 4. schen hier arbeiteten: Architekten, Ingenieure, Zimmermän- Jahrhundert errichten lassen, mit der Apsis über dem Grab ner, Maurer, Maler, Steinmetze, Kupferstecher, Handlanger des Apostelfürsten Petrus. Dieser hatte hier, auf dem Zirkus aller Art. Es war eine Stadt in der Stadt, sehr umtriebig, und des Nero, wohl im Jahr 67 das Martyrium der Kreuzigung bestens organisiert.“ erlitten. So unterhielt die Bauhütte von Sankt Peter nicht nur eine Nach 1100 Jahren nun präsentierte sich Alt-Sankt Peter finster, Betriebskantine, eine Feuerwehr und einen Erste-Hilfe- windschief, vollgestopft und eines modernen Papstes nicht wür- Dienst, sondern auch einen Gerichtshof. Ganz und gar unhei- dig. Bramante brauchte nicht viel Überredungskunst: Julius gab 28 29
den Segen, und der Architekt schritt zur Tat. „Allerdings musste er, um seine Pläne zu verwirklichen, erst die alte Basilika in Schutt und Asche legen“, erinnert Schwester Teresa. „Nicht zu Unrecht ging Bramante als „maestro ruinante“ in die Geschichte ein: als zerstörender Baumeister.“ Im Generalarchiv darf man nur mit Sondererlaubnis des Va- tikans forschen. Rund 50 Wissenschaftler pro Jahr tun das. Sie beschäftigen sich in erster Linie mit Architektur und Kunst, es kommen aber auch Mineralogen, die über die vielfältigen Mar- morarten der Mosaiken forschen. Historiker interessieren sich für die Gesamtkosten der Basilika – unschätzbar, sagt Schwes- ter Teresa – oder für den Charakter Michelangelos. Und da gibt es ein Dokument, das die Archivarin niemandem vorent- hält: ein Brief des Künstlers an die Kardinäle. „‚Sehr verehrte Eminenzen‘, schreibt er, und dann fordert er sie dazu auf, einen bestimmten Arbeiter zu zahlen, und würden sie es nicht tun, dann, schreibt er, ‚zahle ich ihn aus eigener Tasche – auch wenn ich selbst immer gratis für den Petersdom gearbeitet habe, wie Sie wissen: Ich gebe Körper und Seele für Sankt Peter!‘ Ich muss sagen, es gefällt mir, dieses Dokument.“ Das Archiv in seiner heutigen Form besteht erst seit Anfang der 1960-er Jahre. Paul VI. ging eines Tages mit einem be- freundeten Forscher durch das Archiv an seinem alten Sitz, staunte über das Chaos und ließ Ordnung schaffen. Aller- dings hielt das Fehlen von elektrischem Licht, Telefon und vor allem eines Fahrstuhls manch einen Historiker davon ab, ein sauberes Quellenstudium zu betreiben. So übersiedelte das Archiv auf Wunsch Johannes Paul II. an seinen jetzigen Ort. Schwester Teresa sieht das als Heimkehr: „In diesem Raum arbeitete Michelangelo, und den anderen, achteckigen, wählte später Bernini als Atelier.“ Wo heute dickleibige Dokumentenbündel in eleganten Glas- 30 31
schränken ruhen, rückten die Meister ihren marmornen aufgetürmt auf dem Fußboden. Es schmerzte, das zu sehen!“ Schöpfungen mit Hammer, Meißel und Präzisionsinstrumen- Blatt für Blatt nahm die Ordensfrau in die Hand, las, ordne- ten zu Leibe. Das Ambiente ist betont schlicht. Keine Fres- te, trug in Register ein. kengewölbe, keine Barockengel, sondern eine schmucklos Eine Fundgrube; Stoff für Dutzende Doktorarbeiten. Penibel hohe Backsteinarchitektur entwarf Bramante für diese Ar- verwahrte die Bauhütte jeden Passierschein und jedes der zahl- beitsräume. Bis zum letzten Bodenziegel ist alles original reich eintreffenden Bewerbungs- erhalten: ein Verdienst Schwester Teresas. In bester Traditi- schreiben von Künstlern und Hand- »Ich würde mit gezücktem on gibt auch sie Körper und Seele für Sankt Peter. Notfalls werkern; Tag für Tag verbuchte sie, Schwert jedes einzelne mit Nachdruck. welcher Arbeiter erschien, was er Dokument verteidigen.« So schreckte die Ordensfrau nicht davor zurück, sich mit ei- tat und wie viel Lohn er mit nach nem Kardinal zu zanken, der hier einen neuen Fußboden le- Hause nahm. Wer hier blättert, stößt auf Abertausende Namen. gen lassen wollte. „Meine Aufgabe ist es, das Archiv insge- Ein Gedicht von Bert Brecht kommt in den Sinn: „Der junge samt zu schützen. So wie ich mit gezücktem Schwert jedes Alexander eroberte Indien. Er allein? Cäsar schlug die Gallier. einzelne Dokument verteidigen würde, habe ich auch für die- Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“ Schwester Tere- sen Fußboden gekämpft!“ sa, die das Armutsgelübde des Franziskanerordens abgelegt Seit elf Jahren steht Schwester Teresa dem Archiv vor. Wer hat, findet an der Baugeschichte des Petersdoms schon längst sie für das Amt empfahl, weiß sie bis heute nicht. Zwar hatte nicht mehr die Spitzen spannend, sondern die Basis, dieses die aus Agrigent stammende Sizilianerin seinerzeit Archivis- einzigartige Mosaik Sozialgeschichte der frühen Neuzeit. tik studiert und betreute Deshalb ging sie mit ihren beiden jüngeren Mitarbeiterinnen »Stellen Sie sich vor, es gab in Rom das Archiv ihres Simona und Assunta daran, spezielle Kataloge für die inte- sogar männliche Sticker für die Klosters. Doch Kardinal ressantesten Dokumente zu erstellen. Weil es sie in den Fin- Altartücher.« Virgilio Noé war ihr kein gern juckte und „der Vatikan ohnehin männlich dominiert Begriff. Der Vatikanmann ist, bis heute – stellen Sie sich vor, es gab sogar männliche hatte ihr einen Brief geschickt, in dem er anfragte, ob sie Sticker für die Altartücher...!“ –, schrieb die Schwester eines nicht als Verantwortliche ans Archiv des Petersdoms wech- Tages einen Zeitschriftenartikel über Frauen, die am Peters- seln wolle. Schwester Teresa wollte. dom mitbauten. „Mindestens 20 davon haben wir gefunden.“ Am ersten Arbeitstag sah sie: Für den Job war Fachwissen, Es handelt sich um Frauen, deren Ehemänner oder Väter in Durchsetzungsvermögen und eine kompromisslos ordnende Diensten der Bauhütte standen und verstarben – nicht selten Hand nötig. Die Übersiedlung des Archivs war ohne jede Sys- durch Unfälle. „Der Heilige Stuhl beschäftigte diese Witwen tematik erfolgt, Arbeiter hatten die alten Papiere in Kisten und Waisen anstelle der Verstorbenen weiter, sicherte der gepackt und von A nach B geschafft. „Die Dokumente quol- Familie also ein Einkommen.“ So gab es eine Frau, die in len aus den Kartons, lagen auf jedem Mauervorsprung und Sankt Peter als Glaserin arbeitete. Eine Druckerin fertigte in 32 33
Vertretung ihres Ehemannes päpstliche Dekrete. Eine andere schnitt Halbedelsteine wie Lapislazuli für das Allerheiligste. Und eine weitere transportierte Travertinplatten vom Tiberha- fen bis zur Baustelle. „Es ist sogar vermerkt, dass der Vatikan dieser Arbeiterin einen neuen Wagen kaufte, weil der alte kaputt war. Und jeden Monat behielt die Bauhütte eine kleine Summe ein, um den Wagen abzubezahlen.“ Ein sozialer Klein- kredit der frühen Neuzeit gewissermaßen. Wegen Geldmangels kamen die Arbeiten am Petersdom immer wieder zum Stillstand. Für die mitunter Jahrzehnte währenden Ruhezeiten gibt es im Generalarchiv Lücken – und danach Auf- zeichnungen über Unkraut, das Arbeiter aus allen Ecken und Ritzen der Baustelle jäten mussten. Die Kuppel des Petersdoms entstand unter Papst Sixtus V. Die Basilika selbst war damals schon fertig, eindrucksvoll und mächtig. „Nur anstelle der Kup- pel war ein Loch!“, sagt Schwester Teresa. „Sixtus erklärte: Ich mag diesen schönen Körper nicht ohne Kopf sehen. Und er gab den Auftrag, die Kuppel nach den Plänen Michelangelo zu bauen.“ Insgesamt lebten die Päpste 120 Jahre lang neben einer klaf- fenden Baustelle. 1626 weihte Urban VIII. die größte Kirche der Christenheit ein. Das Archiv der Bauhütte allerdings wächst bis heute; nach wie vor erforschen vatikanische Archäologen die Katakomben rund um das Petrusgrab tief im Bauch der Basilika, und hin und wieder fallen kleinere Bau- arbeiten an. Wer immer im Jahr 2100 Aufschluss über Iden- tität, Arbeitszeit und Entlohnung der Bediensteten begehrt, die das Grab Johannes Paul II. in den Grotten des Petersdoms aushoben – Schwester Teresas Nachfolger hüten die Antwort. 34 35
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